Mitgift

Nichts zu lachen

Auch der neue Roman «Mitgift» von Henning Ahrens ist wieder in der niedersächsischen Provinz angesiedelt, in Klein Ilsede nahe Peine. Anders als seine bisherigen Romane aber weist dieser keine magischen, fantastischen Elemente auf, hier wird im Gegenteil, für ihn untypisch, sehr realistisch erzählt. Dieses acht Generationen umfassende, autobiografisch inspirierte Familienepos, das bis ins Jahr 1775 zurückreicht und 1962 ein jähes Ende findet, stützt sich, wie der Autor im Nachwort schreibt, auf Briefe und Tagebücher des eigenen Großvaters, der Pate stand für den Protagonisten seines Buches. Der Roman wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert, der bisher größte Erfolg für den Autor.

Wilhelm Leeb sen. bewirtschaftet den Bauernhof der Familie in siebter Generation, er ist ein glühender Nazi, das örtliche SA-Büro befindet sich in seinem Haus. Zum Entsetzen seiner Familie, zu der auch die beiden Großeltern-Paare gehören, meldet er sich zum Militär, obwohl er als Landwirt eigentlich unabkömmlich ist. Begeistert zieht er in den Krieg, für ihn scheinbar nur eine spektakuläre Abenteuer-Reise. Vier Jahre nach Kriegsende kehrt er dann schließlich desillusioniert aus polnischer Gefangenschaft zurück. Und vom ersten Tag an schikaniert der Despot seine Familie wie in alten Zeiten. Sein ältester Sohn Wilhelm jun., von allen nur ‹Willem› genannt, wird traditionell den Hof übernehmen müssen, obwohl er dazu so gar keine Lust verspürt. Und dass er während der Abwesenheit des Vaters, als Jüngling noch, ganz allein mit der Mutter, den Hof geführt hat, wird von dem Tyrannen nur mit maßloser Kritik bedacht, er ist mit nichts zufrieden und nörgelt nur rum. Immer mehr versinkt ‹Willem› nun in seinem Frust, er kommt gegen den Despoten einfach nicht an. Bis der dann eines Tages plötzlich vor der Tür der Nachbarin Gerda steht, seiner Jugendliebe. Er hatte sich damals, der hohen Mitgift wegen, doch lieber eine wohlhabende Bauerntochter zur Frau genommen, während Gerda unverheiratet geblieben ist. Gerade sie aber ist es, die nebenberuflich seit vielen Jahren den Dienst der «Totenfrau» versieht, die also im Dorf die Leichen zur Bestattung herrichtet. Wegen wem aus seiner Familie der Exfreund denn nun Gerda plötzlich in sein Haus bestellen muss, das erfährt der Leser erst ganz am Ende.

Die streng sachlich bleibende Erzählung klammert Emotionen fast völlig aus. Dem harten bäuerlichen Leben mit seinen starren Denkstrukturen angepasst ist auch das umfangreiche Figuren-Ensemble des Romans, das stimmig geschildert wird in seiner derben, weitgehend freudlosen Lebenswirklichkeit. Innige Liebe, aber auch Herzeleid kommen nicht vor, alles ist streng rational begründet. Ehen sind wohl kalkulierte Zweckbündnisse mit einer streng hierarchischen inneren Struktur, die ungeschriebenen Gesetzen folgt und unumstößlich scheint. Nur Willems jüngerem Bruder und auch seiner Schwester gelingt es, einer lebenslangen Fron auf dem Bauernhof zu entfliehen, er selbst zerbricht daran.

Erzählt wird fragmental, in großen Zeitsprüngen, manchmal sogar über Jahrhunderte hinweg. Durch diese in 21 Kapiteln zeitlich vor und zurück wechselnde Erzählweise bringt der Autor Spannung in die ansonsten narrativ ja weitgehend abgearbeitete Thematik. Das Geschehen einer problematischen Vater-Sohn-Beziehung bleibt in dieser Zeitreise mit elf kunstvoll angelegten, parallelen Handlungs-Strängen immer leicht nachvollziehbar. Die eher nüchterne Sprache wird auch durch eine Fülle von alltäglichen Redensarten und Gemeinplätzen geprägt, was die Geschichte sehr realistisch, fast authentisch erscheinen lässt. Auch die Dialoge in diesem Familien-Epos sind durchweg stimmig, man fühlt sich beinahe dazugehörig als Leser und ist nicht nur Zaungast. Die nüchterne Erzählweise lässt allerdings die Figuren sehr blutarm erscheinen, man erfährt, was ihnen geschieht, ohne selbst mitzufühlen, und zu lachen gibt es ja sowieso kaum mal was im freudlosen Alltag der Dörfler aus Klein Ilsede.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Falken

Vom Strippenzieher im Hintergrund

Auch für den zweiten Teil ihrer Cromwell-Trilogie mit dem Titel «Falken» hat Hilary Mantel 2012 wieder einen Booker-Prize verliehen bekommen, drei Jahre nach dem ersten Teil. Ein weiterer Riesenerfolg für die 2014 von der Queen zur Dame Commander des Order of the British Empire ernannte britische Schriftstellerin. Ein wenig erklärt diese altmodisch wirkende Adelstümelei auch die große Begeisterung der Briten für historische Stoffe, und ‹Dame Hilary› hat da mit ihren historischen Romanen unbestritten Maßstäbe gesetzt. Zumal der ebenso populäre wie berüchtigte Heinrich VIII. auch hier wieder den geschichtlichen Dreh- und Angelpunkt bildet, es geht mal wieder um seine Frauen.

Der englische König hat mit Rom gebrochen, die anglikanische Kirche gegründet und damit endlich seine Scheidung von Katharina von Aragon möglich gemacht. Seine zweite Frau Anne Boleyn und ihr familiärer Clan reüssieren nun bei Hofe, und Lordkanzler Thomas Cromwell, der all dies geschickt und intrigant eingefädelt hat, beginnt durch seine Skrupellosigkeit fast synchron zur neuen Königin ebenfalls einen allseits beneideten Aufstieg. Er wird einer der mächtigsten Männer im England des sechzehnten Jahrhunderts. Aber nachdem auch Anne dem König keinen männlichen Thronfolger schenkt, verliebt sich Heinrich VIII. bei einem Besuch auf dem Stammsitz der Familie Seymour in die stille Jane. Neben der Unfähigkeit seiner Frau, männliche Nachkommen zu gebären, für ihn also ein weiterer guter Grund, sich endlich von Anne zu trennen, er will nun unbedingt Jane Seymour heiraten. Wieder zieht Cromwell im Hintergrund die Fäden und bewirkt, dass Anne Boleyn wegen angeblicher Untreue und Hochverrat zum Tode verurteilt wird.

In der Zeit des Übergangs vom späten Mittelalter zur Renaissance angesiedelt, wird in diesem Roman das Panorama einer höfischen Gesellschaft beschrieben, deren Vorstellungen und Gedanken uns Heutigen völlig fremd erscheinen. Sich eng an die historische Wahrheit haltend beschreibt die Autorin minutiös ein unbekümmert herbei phantasiertes, fiktives Geschehen, das gleichwohl sehr real wirkt, nicht zuletzt auch durch seine sprachlich ‹heutigen› Dialoge. Neben ihrer beneidenswerten Fantasie ist dies insbesondere Hilary Mantels bewährtem Schreibstil zu verdanken. Sie erzählt nämlich konsequent im Präsens und erzeugt damit eine Gegenwart, in die man sich unmittelbar eingebunden fühlt als Leser, man ist quasi Zaungast des komplizierten höfischen und fast undurchschaubaren politischen Geschehens. Welches zudem dann auch noch spannend ist, denn selbst wenn man die Tudor-Geschichte in groben Zügen bereits kennt, kommen dank der akribischen Recherche der Autorin hier noch etliche weitgehend unbekannte Details ans Licht. Fern jeder Romantik und ohne psychologische Tiefenlotungen stattet sie zudem ihre sehr lebendig wirkenden Figuren mit viel Menschlichkeit aus und hält sich als Erzählerin unsichtbar im Hintergrund, wodurch ein fast reportageartiger Prosatext entsteht.

Ein Höhepunkt gekonnten Erzählens ist sicherlich die grausige Hinrichtung von Anne Boleyn, von der kein noch so winziges Detail unerwähnt bleibt, wahrlich nichts für empfindliche Gemüter. In ihrem Nachwort weist die Autorin auf die kontroversen Diskussionen über die näheren Umstände von Annes gewaltsamem Sturz hin und auf die eher spärliche und zudem auch noch unsichere Beweislage. Insbesondere aber geht es ihr um den einflussreichen und undurchschaubaren Sekretär des Königs. Im Nachwort schreibt sie dazu, sie versuche zu zeigen, «wie ein paar entscheidende Wochen aus Sicht Thomas Cromwells ausgesehen haben mögen», dem Strippenzieher im Hintergrund. Und weist mit dem Konjunktiv darauf hin, dass sie da wohl manches ergänzen musste. Ohne Zweifel ist der Königin des historischen Romans mit «Falken» wieder ein großes Werk gelungen. Die Begeisterung deutscher Leser dafür dürfte sich allerdings mangels spezifisch britischen Nationalgefühls in engen Grenzen halten.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by DuMont

Geistige Wesen – Engel, Elementale und das Ätherische

 

Geistige Welt – materielle Welt: kein Gegensatz

Der Autor legt mit diesem ca. 160 Seiten umfassenden Büchlein eine kompakte Informationsquelle über diverse Arten von geistigen Wesen vor. Er berücksichtigt dabei immer auch die Überlieferungen, die Traditionen/ den Aberglauben, die Religionen und die Physik.

Den Inhalt kann ich aufgrund der Kompaktheit nur grob und auszugsweise zusammenfassen: Der Ursprung/die Quelle/die Gottheit hat sich gelangweilt und sich deshalb zersplittert, um Erfahrungen zu sammeln. Diese Splitter oder auch Abschnürungen sind die Seelen alles Belebten und die Engel. Die Abschnürungen der Engel wiederum sind die Natur- oder Elementarwesen. Die Elementarwesen könnten aber auch gefallene Engel sein, die auf der Erde etwas bewirken wollten (im positiven Sinne). Nur die Abschnürung und damit auch die Trennung vom Göttlichen ermöglicht Individualität, die von der Gottheit aufgrund der Erfahrungen gewollt ist. Das sei die sogenannte “Erbsünde”: “Sünde” kommt vom altnordischen “sunt” (das Gewesensein), das Geborensein trennt uns ab. Abgetrennt und damit in den Status der Individualität versetzt wird mithilfe des Erdäthers, der die trennende Haut bildet.

Auch Menschen bilden mit ihren (un)bewussten Bedürfnissen und Wünschen Abschnürungen: die Elementale. Diese laufen solange in ihrer (menschlichen Wunsch-)Programmierung, bis diese erfüllt bzw. die getrennten Seelenanteile wieder zurückgeholt werden. Deshalb sei es wichtig, was man sich wünsche. Man solle genau darüber nachdenken, was einem wirklich wichtig ist, weil sonst die Programmierung wie beim Zauberlehrling nach hinten losgehen könne. Das Karma könne man auch als Erlösung von Elementalen verstehen.

Die E-motion ist das, was hinausbewegt wird. Sie ist der Äther. Der Äther sei nach dem Dreiwelten-Modell die Welt, die die Objektwelt (das, was wir als Realität in der Inkarnation wahrnehmen) und die Paradieswelt (höhere Wirklichkeit, Ideenwelt) miteinander verbindet. Der Äther ist die Welt der Träume, der Bildekräfte und fluktuativen Wirklichkeit. Die Gefühle/Emotionen und die Wahrnehmung seien entwicklungsgeschichtlich deutlich älter als z.B. der Sehsinn oder gar der Verstand. Emotionen und Wahrnehmungen sind der Schlüssel für die Kommunikation über die Ätherwelt mit anderen Wesen.

Quanten, Teilchen, Wirbel – all dies wird vom Bewusstsein erzeugt. Überhaupt nehmen die Theorien der morphischen Felder und der Quanten einen guten Teil des Buches ein. Brönnle verweist auf und verbindet die verschiedenen Theorien auch gern miteinander. Die Wesen selbst seien eigentlich gar nicht voneinander getrennt, nur spüren sie diese Verbindung im inkarnierten Zustand nicht, es sei denn, man sei offen dafür und nutze den Äther. Für das Training dieser Offenheit bietet Brönnle verschiedene Übungen an.

Die Engel sind nach Brönnle unmittelbare Splitter oder Lichtstrahlen aus dem göttlichen Bewusstsein. Zudem ist ihre Funktion des Boten ihr Wesen. Wenn Naturwesen oder Engel auf der Erde wirken wollen, müssen sie ihr Bewusstsein auf einen Ort fokussieren, damit sie sich hier verankern können. Die (menschliche) Seele selbst ist umhüllt von verschiedenen Ätherhüllen, die sie schützen.

Brönnle betreibt auch Begriffsklärung: Die begriffe “Gott” oder “Teufel” z.B. stammen von “deva”: Das sind Naturwesen. Deva – devil; Deva – deus. Quarkse => Quarks als kleinste Einheiten, Zwerge. daimon = Geistwesen oder göttliches Wesen, Seele eines Toten im Griechischen, daimonion als höheres, überpersonales Etwas nach C.G. Jung; das chinesische Schriftzeichen steht für Dämon/Geist. Materie stammt von lateinisch “mater” = Mutter. Mutter Erde (Gaia) und die irdischen Mütter geben den Seelen eine Hülle, mit deren Hilfe sie Individualität ausüben und Erfahrungen machen können.

Brönnle geht auch ausführlich auf die verschiedenen Todes- und Jenseitsvorstellungen ein. Dabei stellt er z.B. heraus, dass Schlangen und Drachen Jenseitswege bzw. Portale ins Jenseits waren, bevor sie vom Christentum verteufelt wurden. Schlangen und Drachen gehören auch zum Göttinnenglauben, auf den der Autor ebenfalls eingeht und zeigt, dass  dieser vom Christentum geschluckt und negativ besetzt wurde. Er verwendet auch immer wieder Begriffe, die dem Weiblichen zugeordnet werden, z.B. gebären: Ein Engel oder ein Naturwesen gebiert sich in die Welt hinein. Merkwürdig nur, dass dann wieder das Bild des Menschen mit Ätherhüllen drumherum klassisch männlich dargestellt wird…

Das Buch selbst ist gut bebildert und trotz aller Theorien anschaulich und verständlich geschrieben, sodass man einen guten Überblick über all die Vorstellungen und ‘Theorien bekommt.

Fazit

Kompaktes und verständliches Buch über alles Geistige und Seelische, das die dies- und jenseitige Welt durchdringt, inklusive der religiösen, mythologischen und naturwissenschaftlichen Vorstellungen.


Genre: Sachbuch Esoterik
Illustrated by Neue Erde

The Hottest State – Hin und weg

„Hin und weg“ ist der erste Roman des Schauspielers Ethan Hawke, den man sowohl aus Action-Filmen als auch aus Liebes-Filmen kennt. Die „Before“-Trilogie von Regisseur Richard Linklater (bei Studiocanal gerade als solche im Bundle als BluRay und DVD erschienen) zeitigte auch ein neues Format mit Hawkes schriftstellerischem Lieblingsthema: Beziehungs-Kino. Ganz groß. In Cinemascope sozusagen. Auch zwei Buchdeckeln.

The Bitter End im Hottest State

Wahrscheinlich hat noch nie jemand so ehrlich über das „Thema Nr. 1“ in unser aller Leben, Beziehungen, geschrieben, wie Ethan Hawke. „Hin und weg“ ist sein erster Gehversuch in diese Richtung, der erstmals 1996 unter dem Originaltitel „The Hottest State“ erschien. 1997 erstmals auf Deutsch bei KiWi. Auch wenn der Romanautor sich beizeiten hinter dem Schauspieler William Harding, seinem Protagonisten, der auch in seinem vierten Roman „Hell strahlt die Dunkelheit“ (ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch 2021) wiederkehrt, versteckt. In „Hin und Weg“ ist er noch zarte 20 Jahre alt und lernt in einer New Yorker Bar im Bitter End (sic!) ausgerechnet am Ferragosto Sarah kennen. Seine erste große Liebe, die ihn in Bann schlägt. Jeder von uns kennt es. Aber noch niemand hat es mit so treffenden und aufregenden Worten beschrieben, was diese erste so verheißungsvolle Fantasie mit uns allen macht. In nur drei Monaten erlebt William sämtliche Höhen und Tiefen der ersten Liebe, den alles übertreffenden Irrsinn und den heftigsten Schmerz. Und natürlich auch die ganze Idiotie dahinter.

Hin und weg zwischen New York und Paris

„In Paris ging alles den Bach runter.“ Was in New York beginnt kommt in einem vorläufigen Höhepunkt, der Peripetie, in Paris zu einem jähen Ende. William muss aufgrund von Dreharbeiten dorthin und nimmt Sarah kurzerhand mit. Aber sie haben nur eine Woche Zeit, sich im Hotel de Nesle aufeinander abzustimmen. Denn dann muss William arbeiten und Sarah wieder zurück nach New York. Aber was in diesem Hotelzimmer in Saint Germain de Près, mitten in Paris, passiert, verändert ihrer beider Leben. Zumindest wollen sie, dass es ihr Leben verändert. Für immer. Doch als William nach seinen Drehtagen in Paris wieder nach New York zurückkehrt, hat Sarah sich verändert. William versucht sie mit einem Romeo-Monolog vor ihrer Wohnung zu beeindrucken, doch er macht sich mehr lächerlich als nützlich. In einem letzten Showdown lädt sie ihn dann an ihren Arbeitsplatz ein und zeigt ihm ihr Leben. Aber kann es jetzt noch zu einem Happy-End kommen? Ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch erschienen sind der zweite Roman und die „Regeln für einen Ritter“ (2010, dt.: 2016), ein Handbuch mit feinen Zeichnungen und einer bezaubernden Geschichte für die Helden unserer Tage.

Ethan Hawke
Hin und weg. Roman
Übersetzt von: Kristian Lutze
2016, KiWi-Taschenbuch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-462-04962-6
Kiepenheuer & Witsch
9,99 €


Genre: Beziehungen, Bilderbuch, Gespräche, Große Liebe, Liebe, Philosophie, Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Asterix und der Greif

Amazonen, Römer und ein rätselhafter Greif

Der römische Forscher Globulus erhält von Cäsar die Erlaubnis, nach dem legendären Greifen zu suchen. Eine gefangene Amazone soll die Forschertruppe zu dem Greifen führen. Zeitgleich sollen Asterix, Obelix und Miraculix ein Fässchen Zaubertrank dem Volk der Sarmaten bringen. Allerdings wohnen diese in eisiger Kälte und der Trank gefriert. Somit verliert er jede Wirkung. Zu allem Unglück ist die gefangene Amazone Kalaschnikowa die Lieblingsnichte des sarmatischen Schamanen – und sie weiß nicht, wo sich der Greif befindet. Denn das ist das Geheimnis der Schamanen. Aufgrunddessen schwebt Kalaschnikowa in Lebensgefahr. Asterix und Obelix beschließen, den Sarmaten zu helfen und brechen mit deren kriegerischen Frauen zu einer Befreiungsmission auf.

Aufeinanderprallen von Kulturen

Der neueste Asterix-Band (Band 39) bietet wie gewohnt eine Mischung aus Abenteuer und Humor. Das Abenteuer speist sich aus der Verfolgung der Römer und dem Aufeinandertreffen mit ihnen, und der Humor aus der Konstellation der römischen Kommandeure und dem Kulturschock, den Asterix und Obelix bei den Sarmaten erleben. Denn dort hüten zu 50% die Männer die Kinder, bleiben zuhause und erledigen den Haushalt, während die Frauen auf Kriegszüge gehen. Auch die Namen muten den Galliern und den Leser*innen weiblich an, heißen die Männer doch Terrine, Ötküsine, Gasturbine, Honigbine, Margarine usw. Dieser Rollentausch ist zwar sehr einfach gestrickt, trotzdem tut es gut, als Leserin einmal Männer umgeben von einer Kinderschar oder beim Geschirrspülen zu sehen, während die Frauen feiern oder Politik betreiben. Normalerweise ist das bei den Asterix-Abenteuern immer umgekehrt – Frauen werden von der Außenwelt (wie vom Rollenklischee gewollt) eher abgeschnitten und sind bei Festivitäten meist dazu da, den Männern zu servieren anstatt mitzufeiern. Diesmal bezweifeln die Amazonen, dass Männer in der Lage sind, diplomatisch zu sein oder Krieg zu führen – was Asterix ärgert. Er fühlt sich in seiner Männlichkeit nicht ernstgenommen, was wiederum mindestens ein Schmunzeln bei weiblichen Lesern auslösen dürfte, da normalerweise Frauen nicht ernstgenommen werden. Die Haltung dieser Frauen ist auch dementsprechend offen und selbstbewusst, wenig “weiblich” und schon gar nicht geduckt. Allerdings greifen auch hier Klischees: Das Aussehen ist trotz aller Körperunterschiede der Frauen attraktiv. Man(n) will anscheinend auch bei älteren Frauen nicht die Natur und die Diversität walten lassen, während im Gegensatz dazu die Männer alles andere als hübsch anzuschauen sind.

Fazit

Humor- und schwungvolles Abenteuer in bewährter Asterix-Manier, diesmal aber mit vertauschten Rollenklischees.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa Media

Blitz-Abendessen Low Carb

 

Blitz Abendessen Low CarbInfos Low Carb

Das vorliegende Kochbuch gibt als Einstieg und Einleitung eine kurze Übersicht über die Ernährungsweise Low Carb: “Erfinder” dieser Art der Ernährung ist William Banting, der sein Übergewicht mithilfe des Verzichts auf zucker- und stärkehaltige Lebensmittel und der Umstellung auf Obst, Gemüse und Fleisch drastisch reduzieren konnte. “Vereinfacht gesagt geht es bei Low Carb darum, die täglich aufgenommene Kohlenhydratmenge zugunsten von Fetten und Proteinen zu reduzieren.” Es gehe nicht darum, diese Ernährungsform als Diät misszuverstehen (trotz des raschen Gewichtsverlustes). Es gehe auch nicht darum, ganz auf Kohlenhydrate zu verzichten, weil diese wie das Fett die Hauptenergiequelle des Körpers ausmachen. Es gehe darum, die “schlechten” kurzkettigen Kohlenhydrate wegzulassen, dafür in reduzierter Form die “guten” komplexen zu sich zu nehmen. Damit reduziert man neben dem Gewicht auch Folgekrankheiten wie Diabetes 2 und Bluthochdruck. Die Ernährung werde so sanft umgestellt.

Low Carb am Abend entscheidet über die Fettverbrennung in der Nacht. Das Abendessen sollte die leichteste Mahzeit am Tag sein, damit sich der Körper nachts erholen kann. Wer auf sein Gewicht achtet, sollte abends so essen, dass die Muskulatur mit vielen Eiweißen versorgt wird. Das Kochbuch empfielt, Nudeln, Reis und Kartoffeln durch Gemüsealternativen zu ersetzen, wie z.B. Zucchini-Zoodles, Blumenkohlreis oder Püree aus Topinambur, Sellerie oder Blumenkohl. Nachspeisen sollten mit Xylit (Birkenzucker) oder Erythrit gesüßt werden. Mehle aus Kokosnuss, Mandeln, Walnuss oder Sesam eignen sich ebenfalls für die Low-Carb-Ernährung. Ansonsten sollte man Kohlenhydrate durch Gemüse ersetzen, wie z.B. Brokkoli, Tomaten, Spargel, Gurken, Möhren usw.

Schmackhafte Rezepte

Den Löwenanteil des Buches machen die Rezepte aus. Diese sind unterteilt in: Schnelle Suppen und Salate, Fixes mit Fleisch und Fisch, Vegetarisches auf die Schnelle, Desserts im Nu. Mit einem Rezepteregister schließt das Buch ab. Man sieht, dass für fast jeden Geschmack etwas dabei ist. Da ich viele der Rezepte nachgekocht habe, kann ich sagen, dass sie zumindest für mich und meinen 9-jährigen Sohn schmackhaft sind. Die Zutatenliste ist meist überschaubar, und damit auch die Zubereitungszeit. Allerdings ist in die Zubereitungszeit nicht die Garzeit eingerechnet. Ein großer Vorteil der Rezepte sind die Zutaten, die man normalerweise nicht in speziellen Läden kaufen muss, denn es gibt sie im Supermarkt. Die Gerichte sind einfach, aber wie gesagt schmackhaft. Vorgestellt werden Gerichte wie Erbsensuppe, Quinoa-Salat mit Tunfisch, Fleischbällchen mit Blumenkohlstampf in Tomatensoße, aisatisches Fischcurry, Quinopfanne mit Shrimps, Gemüse-Wok mit Hähnchen, Tomaten-Schninken-Käse-Omelette, Zucchini-Möhren-Puffer, Ofen-Feta mit Oliven, würziger Blumenkohlreis, Shakshuka, überbackener Blumenkohl, schnelle Schoko-Mousse, Vanillepudding, Johannisbeer-Sorbet, Erdbeer-Limetten-Quark, Frozen-Joghurt-Popsicle, Himbeeren auf Vanillesahne, Tassenküchlein mit Blaubeeren.

Die Rezepte sind appetitlich bebildert und sehen nachgekocht ähnlich wie auf den Fotos aus. Sie sind mit Nährwertangaben versehen. Sie schonen meist auch den Geldbeutel (abgesehen von Shrimps o.ä.). Ich persönlich habe festgestellt, dass ich nach dem Genuss der Gerichte immer noch Hunger hatte und mir kälter war als sonst – ich brauche schlicht mehr Kohlenhydrate. Da sollte jede*r auf seinen Körper achten. Auch das Buch selbst ist kein strikter Verfechter des Low Carb, regt aber dazu an, zumindest eine Mahlzeit pro Tag, am besten die abendliche, ohne Kohlenhydrate zuzubereiten.

Fazit

Schmackhafte, recht leicht und schnell zuzubereitende Gerichte (mit Fleisch, Fisch, vegetarisch, Süßes) mit verständlichen Infos zur Low-Carb-Ernährung.


Genre: Kochbuch
Illustrated by Weltbild

Zu den Elefanten

Da hilft auch kein Wikipedia

Der österreichische Schriftsteller Peter Karoshi hat nach zwölf Jahren mit der Novelle «Zu den Elefanten» sein zweites Buch veröffentlicht. Es wurde unter 230 nominierten Büchern für den Deutschen Buchpreis 2021 auf die Longlist mit zwanzig Titeln gewählt, der größte Erfolg des bisher weitgehend unbekannten Autors. Andreas Platthaus hat in der FAZ zur dieser Liste angemerkt: «Einzige faustdicke Überraschung ist die Nominierung von Peter Karoshis Novelle».

Der Wiener Kultur-Wissenschaftler Theo verbringt wie jedes Jahr mit seiner Frau und dem neunjährigen Sohn Moritz die Sommerferien in dem abgeschiedenen Alpendorf Sonnseit. In tagebuchartig datierten Aufzeichnungen berichtet er als Ich-Erzähler, wie er mit seinem Sohn bei einer Wanderung auf den neu angelegten «Weg des Buches» gestoßen sei. Eine Fremden-Führerin erklärt ihnen, dass früher auf diesem Weg protestantische Bücher in den katholischen Süden geschmuggelt wurden, weil sie kurz nach der Reformation dort strengstens verboten waren. Und dass auf gleichem Wege, nur in umgekehrter Richtung, der spätere Kaiser Maximilian II ebenfalls hier unterwegs gewesen sei. Er hätte es sich nämlich nicht nehmen lassen, seinen Elefanten ‹Soliman›, den ihm sein portugiesischer Onkel geschenkt hat, auf dem Weg vom Hafen in Genua bis nach Wien persönlich zu eskortieren. «Einst kam ein großer Elefant / von Süden her in unser Land. / In dieses Haus da kehrt er ein / und aß und trank viel guten Wein. / Gesättigt froh und heiter / zog er dann wieder weiter. Also geschehen anno domini 1551», so hat man später in dem nun in ‹Hotel Elefant› umbenannten Gasthof in Auer über dieses historische Ereignis auf einer Inschrift gereimt. Nach einigen Tagen kommt Theo auf die Idee, einen Teil dieser Route mit dem hellauf begeisterten Moritz in südliche Richtung zu erwandern. Dabei wollen sie alle Gasthöfe dieses Namens aufsuchen, aber auch andere historische Spuren davon aufspüren.

Selbst den Nobelpreisträger José Saramago hat dieser Stoff 2011 schon animiert, sein vorletzter Roman trägt den Titel «Die Reise des Elefanten». Anders aber als bei ihm dient das historische Ereignis bei Peter Karoshi lediglich als narratives Gerüst für seine Geschichte einer quälenden Selbstfindung, der Reise seines Protagonisten zu sich selbst. Der beruflich frustrierte Theo findet weder als Wissenschafter noch in seinem Familienleben eine Erfüllung. Er ist wie ausgelaugt, so etwas wie Lebensglück scheint ihm nicht beschieden zu sein. Stattdessen befindet er sich dauerhaft in einem seelischen Schwebezustand. Und so steht denn auch das Abenteuer mit dem Sohn unter keinem guten Stern, der Neunjährige ist schon nach der ersten Nacht mitsamt seinem Einmannzelt spurlos verschwunden. In einer odysseeartigen Suchaktion eilt der Vater ihm entlang der Elefantenroute hinterher. Dabei gerät er immer mehr in persönliche Schwierigkeiten, ein Schrecken jagt den nächsten. So erleidet er beispielsweise im Hotel «Elefant» in Brixen einen Schwächeanfall und verletzt sich beim Sturz so schwer, so dass er ins Krankenhaus eingeliefert wird. In immer surrealistischer werdenden, desaströsen Rückschlägen taumelt er, unbeirrt vorangetrieben, von Katastrophe zu Katastrophe. An der Gegenwart verzweifelnd sinniert er in all dem Chaos wie ein Traumwandler pausenlos über das Leben und dessen unveränderbare Determiniertheit. Für ihn sind es Vergangenheit, Erinnerung und das Gedächtnis, welche allein als Bauplan des Lebens die Gegenwart bestimmen.

Das bekanntlich besonders gute Gedächtnis von Elefanten hilft gleichermaßen auch den Menschen, wenn sie sich denn nur intensiv zu erinnern suchen. Alles andere als eine Roadnovel, bringt diese mit einem nachwortartigen Endkapitel als Höhepunkt schließende Erzählung durch ihre magischen Momente den Leser ins Grübeln darüber, was Selbstentfremdung und Weltfremdheit anrichten können. Man müsse dem selbst beikommen, dabei helfe einem auch kein Wikipedia-Artikel, so die Katharsis.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de

 


Genre: Novelle
Illustrated by Leykam Buchverlag Wien

Ätherische Öle in der Erkältungszeit – Schnelle Hilfe bei Husten, Schnupfen und grippalen Infekten

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Ätherische Öle als Unterstützung in der Erkältungszeit

Dieses in sich abgeschlossene Buch über Aromatherapie in der Erkältungszeit ist sehr vielseitig angelegt, d.h. die Aromen können unterschiedlich verwendet werden. In dem Buch werden folgende Möglichkeiten vorgestellt: Klärung der Raumluft durch Aroma-Vernebler, Duftlampen, Raumsprays, Duftträger, Kissensprays; Nasen- und Nasenschleimhautpflege durch Nasenduschen, -sprays, -pflegeöle, -balsam, Roll-Ons; Hals- und Rachenpflege durch Gurgelmischungen, Hals- und Rachensprays, Lutschpastillen, Quarkwickel; Stärkung der Bronchien durch Brusteinreibungen, – wickel, Hustenbonbons; Inhalationen durch Wasserdampf, Trockeninhalation, Riechsalzmischungen; Augen- und Ohrenauflagen durch Augenkompressen und Öle für die Ohren; Anwendungen bei Fieber durch Wadenwickel, Lippenbalsam; Stärkung des Immunsystems durch Ganzkörper-Massageöle, Bademischungen, Fußbäder, Sauaaufguss-Mischungen, Ölziehen, Aromatisierung von Honig und Getränken; Schutz und Hygiene durch Seifen, Sprays und Tücher, Beduftung von Mundschutz-Masken; Förderung der Rekonvaleszenz durch Öle, Wickel, Suppe. Da ist für jede*n etwas dabei. Vor jedem neuen Kapitel wird verständlich erklärt, gegen was die Aromen wirken und wofür sie anzuwenden sind.

Der erste Teil des Buches widmet sich insgesamt der Information der Leser*innen. Er stellt die verschiedenen, für die Erkältungszeit wirksamen ätherischen Öle, sowie die einzelnen Erkrankungen in verständlicher Sprache vor. An den Rändern grün hinterlegt sind zur schnelleren Auffindbarkeit die ätherischen Öle aufgelistet, die für die jeweilige Erkrankung am geeignetsten sind. Ebenso wird der richtige Umgang mit den Ölen beschrieben. Dies findet sich in Kurzform auch bei den Rezepten wieder, in denen auch die Altersangaben, sowie Vorsichtsmaßnahmen bei einzelnen Ölen aufgelistet werden. Ebenso gehen die Autorinnen auf die wichtigsten Inhaltsstoffe ein. Dabei teilen sie ihre Informationen über jedes einzelne Öl in Wirkung, wichtige Inhaltsstoffe, Anwendung, Hinweise und “Gut geeignet für” auf. Die Infos sind kurz und prägnant. Anwendungen für Kinder werden immer mitgedacht, ebenso gibt es natürlich Rezepturen für Kinder, inklusive Altersangaben bei Rezepten und Ölen, sowie der jeweiligen Verdünnung der Öle.

Die Rezepturen aus naturreinen Ölen sind schnell zusammengestellt und werden im Buch sehr übersichtlich mit Symbolen, Infos und Farben zur schnelleren Auffindbarkeit versehen. Außerdem sieht man auf den ersten Blick, wozu die jeweilige Rezeptur gut ist. In Tabellen werden Tipps zum Zusammenstellen der Erkältungsmischungen gegeben, sowie Öle mit den verschiedenen Wirkstoffen aufgelistet, eine Übersicht über die Pflegeöle gegeben usw., was alles ebenfalls zur schnellen Auffindbarkeit und Kurzinformation beiträgt. Das Buch selbst ist schön bebildert und vermittelt insgesamt ein Wohlgefühl – man soll sich in der Erkältungszeit nicht unterkriegen lassen. Ich persönlich habe mich nach der Lektüre gut informiert gefühlt. Abgerundet wird das Buch mit Register und Literaturverzeichnis.

Wichtige Öle in der Erkältungszeit sind u.a. Zitrone, Latschenkiefer, Eukalyptus radiata, Cajeput, Thymian Thymol, Benzoe Siam, Ravintsara, Salbei, Lorbeerblätter, Lavandin oder Lavendel fein u.v.m., die jeweils vor den Anwendungen in jedem neuen Kapitel aufgelistet werden. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass diese Öle zur therapeutischen Anwendung 100% naturrein sein müssen.

Fazit

Sehr informatives, verständliches und übersichtliches Buch über die wichtigsten Aromen, die man bei verschiedenen Krankheiten in der Erkältungszeit einsetzen kann.


Genre: Sachbuch Gesundheit
Illustrated by Joy Verlag

A Couple of Cuckoos 1

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Vertauschte Babys

Kuckuckskinder – eines Tages erfahren die beiden Oberschüler*innen Erika und Nagi von ihren Eltern, dass sie gar nicht ihre “richtigen” Kinder sind. Als wäre das nicht genug, begegnen sich die beiden zufällig: Erika will Nagi unbedingt als Fake-Freund engagieren, um einer arrangierten Verlobung zu entkommen. Und damit der widerstrebende Nagi auch wirklich mitspielt, setzt sie ihn mit einem prekären Foto unter Druck. Als die beiden erfahren, wer wirklich Erikas Verlobter werden soll, erleben die Teenager wieder eine faustdicke Überraschung. Und diese kettet die beiden unwideruflich aneinander.

Abträgliche Männerfantasien

Der erste Band der Serie nimmt sofort Tempo auf: Die Kuckucksfamilie Nagis ist im Gegensatz zu ihm voller Energiebündel. Auch Erika, die ursprünglich aus dieser Familie stammt, ist extrem temperamentvoll. Er selbst schlägt mit seinem Lerneifer und seiner ruhigen Art seiner genetisch echten Familie nach. All dies birgt viel Potential für dynamische und komische Momente, die der Manga auch nutzt. Allerdings fragt man sich als Leser*in direkt auf der ersten Seite, wie es zu diesem Tausch kommen konnte – schließlich wird zumindest die echte Mutter von Erika zweimal darauf hingewiesen, dass sie ein Mädchen bekommen hat. Sehr unlogisch, dass man sich dann 16 Jahre lang mit einem Jungen zufrieden gibt ohne nachzufragen.

Ansonsten werden hier offensichtlich Männerfantasien bedient, wenn auch im Vergleich zu anderen Mangas zumindest vorerst noch recht dezent. Die Mädchen sind alle sehr vollbusig und werden in Posen dargestellt, die wohl erotisch wirken sollen. Echte Vorbilder für Mädchen sind sie so jedenfalls nicht, da sie offensichtlich nur als Objekte von männlichem Voyeurismus dienen. Dazu gehört auch die Haremsfantasie, die schon im ersten Band angelegt ist. Ebenso gehört zu diesen Männerfantasien, dass ausnahmslos alle Mädchen hübsch sind, die männliche Hauptfigur im Gegensatz dazu aber durchschnittlich bis wenig attraktiv aussehen darf. Dieses asymetrische Gefälle und die damit verbundene Ungerechtigkeit gegenüber Mädchen und Frauen, die nicht so attraktiv sind, liegen auf der Hand. Eigentlich sollte so etwas nicht mehr in den Medien transportiert werden, um das ohnehin wenig geförderte weibliche Selbstbewusstsein nicht noch weiter zu untergraben.

Fazit

Der Manga hat gute Anlagen in Hinsicht auf Dynamik und Humor, aber er bedient Männerfantasien. Und diese sind einem gesunden Mädchen- und Frauenbild in mehrerlei Hinsicht abträglich.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Es ist immer so schön mit dir

Konzentrat aus 40 Jahren Liebesleben

Als Spezialist für menschliche Abgründe hat Heinz Strunk auch seinem neuen Roman «Es ist immer so schön mit dir» wieder eine düstere Thematik zugrunde gelegt, eine nur als toxisch zu bezeichnende Liebesgeschichte. Er lässt ein Paar zu einander finden, die beide als seelisch eher verkrüppelte Figuren so gar nicht zusammenpassen. Eine Amour fou also, bei der das Scheitern vorprogrammiert ist. Wie die flapsige Erkenntnis «Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen» hier am Beispiel demonstriert wird, das ist trotz des wenig originellen Themas sehr eindrucksvoll, und gekonnt erzählt ebenfalls.

Als Musiker ist der namenlose Protagonist mit Mitte zwanzig gescheitert. Er hat daraufhin ein Tonstudio eröffnet, in dem er seit nunmehr zwei Jahrzehnten Hörbücher und Hörspiele produziert, außerdem vertont er Produktvideos, Tutorials und anderes mehr. Davon kann er inzwischen gut leben, er ist insoweit eigentlich ganz zufrieden. Seine Freundin Julia ist Mathematiklehrerin, sie sind schon einige Jahre liiert. Er fühlt sich jedoch geradezu gefangen in dieser Beziehung, und der Sex ist inzwischen auch immer seltener geworden. Mit Vanessa lernt er plötzlich eine halb so alte Traumfrau kennen und wundert sich, dass die eher spröde Schöne ausgerechnet an ihm Gefallen findet. Er trennt sich daraufhin von Julia. Seine neue Liebste schlägt sich als wenig erfolgreiche Schauspielerin recht und schlecht mit allerlei Gelegenheitsjobs durchs Leben, beide sind beruflich allenfalls Mittelmaß. Sie erleben einen sexuellen Rausch miteinander, worauf ja auch der Titel «Mit dir ist es immer so schön» deutlich anspielt. Aber sie sind nicht nur dadurch aufeinander fokussiert, sie verstehen sich auch in vielerlei anderer Hinsicht. Sein unverhofftes Glück, aber auch das Chaos, das sie in sein Leben bringt, bindet ihn gleichermaßen an die rätselhaft bleibende, junge Frau. Er kommt trotz vieler Probleme und mancher Enttäuschung, die sie ihm beschert, einfach nicht mehr los von ihr.

In einem Mix aus Tragik und Komik erzählt der Autor aus einer zutiefst machohaften Sicht von der Midlife-Crisis seines wehleidigen, typisch strunkschen Antihelden. Wobei er ihm auch keines der Fettnäpfchen erspart, in das all die zunehmend verknöchernden, bindungsunfähigen ewigen Junggesellen so gern hineintreten. Die magersüchtige, als Jugendliche vom Diakon missbrauchte Vanessa hingegen bleibt als oft eher kalt erscheinende Figur nicht nur unberechenbar, sondern auch ziemlich konturlos. Der Autor entwickelt seine Figuren mit Hilfe oft funkelnder, zuweilen sogar amüsanter Dialoge, die in der Geburtstagsfeier von Vanessa zu einer virtuosen Redeschlacht mit deren neunmalkluger Schwester ausarten. Überhaupt sind etliche der Figuren recht schrullige Typen, die genüsslich mit allen ihren Ecken und Kanten geschildert werden. Der Roman ist das verstörende Psychogramm eines gescheiterten Künstlers, der sich notfalls mit viel Alkohol aus seinem seelischen Trümmerfeld in eine bessere Welt säuft. Am Ende stellt er dann immer ernüchtert fest, dass sie davon auch nicht besser geworden ist und die große Liebe wohl scheitern wird.

Diese düstere Geschichte ist in einer angenehm lesbaren Sprache geschrieben, in weiten Teilen mit dem für den Autor typischen Stilmittel der erlebten Rede, wobei auch sein morbider Humor nicht zu kurz kommt. Auffallend als erzählerische Besonderheit ist dabei seine ausgeprägt olfaktorische Beschreibung ekelerregender Szenerien, wohl um Unbehagen auszudrücken. Dem wird eine bei Männerhaushalten eher selten anzutreffende Putzwut des geruchsempfindlichen Helden gegenübergestellt. In Abkehr von seinen bisher autobiografisch geprägten Themen, die inzwischen «auserzählt» seien, hat Strunk nun sein Thema gewechselt: «Das Buch fasst alle meine Erfahrungen aus 40 Jahren Liebesleben zusammen», hat er dazu erklärt. Und das ist ihm, von einigen Ungereimtheiten abgesehen, zu denen auch ein roter Slip gehört, tatsächlich gelungen.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Eva schläft

Dem Buch ist ein Prolog vorgestellt: Ein Päckchen für Eva kommt an. Die Mutter Gerda verweigert die Annahme, und unterschreibt dies, für ihre Tochter. Auf Frage sagt der Postbote, nun gehe das Päckchen zum Absender zurück, und fragt, was Eva gerade mache. Die Antwort: Eva schläft. Weiterlesen


Genre: Gesellschaftsroman
Illustrated by Wagenbach

Einmal gärtnern wie in Sissinghurst

Sie lieben englische Gärten, oder wollten schon immer mal dahin? Dann ist das Buch Einmal gärtnern wie in Sissinghurst von Astrid Ludwig genau richtig für Sie: Es ist aufgemacht wie ein Reisetagebuch, das die Erinnerung an eine schöne Zeit festhält, mit dem ein Geschenk gemacht werden soll, vielleicht auch sich selbst: Viele Fotos, jede Seite eingerahmt von einem linierten Hintergrund, für jedes Kapitel eine kleine Skizze, fein gezeichnet, die dann auf jeder Seite des Kapitels wiederholt wird. So etwas macht Freude. Weiterlesen


Genre: Gartengestaltung
Illustrated by Verlag Eugen Ulmer

It’s magic – Magie ist keine Zauberei

Bild 1 - It's magic Annekatrin PuhleMagie ist keine Hexerei

Annekatrin Puhle setzt sich in ihrem Buch “It’s magic” nicht mit Fantasy, sondern mit allen Facetten des sechsten Sinnes auseinander und bezeichnet diese als Magie. Dieser kann auf Dinge in der realen Welt zugreifen, die sonst verborgen sind. Sie nennt die Fähigkeit des sechsten Sinnes “innere Magiern”, die jeder Mensch in sich berge; Frauen insbesondere, da ihnen über die Jahrtausende hinweg eher Zugang zu ihrer Intuition zugesprochen wurde. Deshalb spricht Puhle wohl davon, dass sich das “magische Potential aktivieren” ließe. Nach ihr erfahre man Magie am häufigsten und natürlichsten im Traum. Der Zugriff auf die verborgene Wirklichkeit berge aber auch Machtpotential, weswegen damit verantwortungsvoll umgegangen werden müsse. Sonst ergeht es einem wie dem Zauberlehrling in Goethes Gedicht. Wer sein magisches Potential nutzen wolle, solle sich am Guten orientieren.

Mit der inneren Magierin als Medium könne man u.a. auch mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen oder andere als parawissenschaftlich empfundene Fähigkeiten aktivieren, wie z.B. ASW (außersinnliche Wahrnehmung). Sie geht außerdem auf die Kraft der Gedanken ein, die großes magisches Potential hätten, v.a. wenn man sie ausspricht. Auch Numerologie spielt nicht nur in diesem Zusammenhang eine Rolle. Gedanken müssen allerdings frei von Negtionen sein und gesprochene Worte können abgeschwächt, angefochten und wieder aufgehoben werden. Ebenso wirken Emotionen magisch, sowohl die positiven als auch die negativen. Man solle sich also eher in Liebe, Dankbarkeit und Hoffnung üben als z.B. in Hass oder Neid. Gedanken und Emotionen zusammen sind demnach Magie in Hochpotenz.

Zahlen, geometrische Symbole und Zeichen können ebenfalls magisch wirken. Auch der Alltag kann magisch wirken durch besondere Nahrungsmittel, Fasten, Getränke, Pflanzen, Steine und Edelsteine, Amulette, Gebete, Gesang, Meditation usw. In Stille und Meditation könne sich Magie besonders gut entfalten. Außerdem schreibt Puhle bestimmten Zeiten eine magische Qualität zu, wie z.B. Geburt, Pubertät, Partnerwahl, Krisen, Tod oder im Jahreslauf die Jahreszeiten (besonders die Übergänge), auch Tagesanbruch und Abenddämmerung seien magische Zeiten. Ebenso können Orte magisch sein, wie z.B. Türschwellen, Wegkreuzungen, Quellen, Seen, Bäume, Hecken (Heck-se = die Heckensitzerin, die Grenzwächterin zwischen Diesseits und Jenseits ist), spirituelle, religiöse, heilige Orte. Licht sei ebenso magisch (Kerzenlicht, Licht, dass die Verstorbenen sehen, Heilung mit Licht…), runde Formen wie der Kreis oder die Kugel (z.B. die Seele als Kugel, der Ring oder die magische Kugel der Wahrsagerin).

Puhle plädiert dafür, in unserer rationalen Welt wieder den sechsten Sinn zu entdecken, der in unserer Vergangenheit und bei Naturvölkern selbstverständlich war und ist und ohne den diese Welt nicht vollständig ist. Sie gibt den Leser*innen Übrungen an die Hand , mit deren Hilfe sie wieder ihr eigenes magisches Potential entfalten können. Allerdings sieht sie die Intuition im Gegensatz zu anderen wohltuend kritisch (sie nennt mehrere Gründe dafür) und ist auch dafür, den Verstand zu Rate zu ziehen. Intuition kann nach der Autorin hilfreich sein, wenn sie auf fundierten Erfahrungen und Wissen beruht. Bei der Einschätzung von fremden Menschen dagegen wirkt sie sich nachteilig aus. Innere Stimmen snd mit Vorsicht zu genießen, v.a. bei negativen Inhalten; die Stimme des Herzens auch nur dann, wenn diese aus dem reinen Herzen kommt. Stürmische Emotionen seien keine guten Ratgeber. Ebenso rät sie davon ab, z.B. Pflanzen ohne fachkundige Anleitung als Rauschmittel zu genießen.

Am Ende jeden Kapitels fasst sie ihre Erkenntnisse unter dem Stichwort “Magische Essenz” zusammen. Außerdem gibt sie ebenfalls am Ende eines jeden Kapitels Tipps und “Rezepte”, also Anleitungen, für einen gelingenden Zugang zur inneren Magierin.

Das Buch ist übersichtlich und verständlich geschrieben und gibt einen guten Überblick über das, was man normalerweise als Grenzwissenschaften bezeichnen würde. Puhle bezieht hier auch die Traditionen mit ein, weil unsere Vorfahren magisch dachten. Ob man diese Dinge glaubt oder nicht, bleibt jeder und jedem selbst überlassen. Puhle nennt aber auch Beispiele für den sechsten Sinn, wie er im alltäglichen Leben schon erfahren worden ist. Die Beispiele sind zur besseren Übersichtlichkeit im Text abgesetzt und grau hinterlegt, sodass man einen schnellen Zugriff auf sie hat.

Fazit

Übersichtliches, verständliches Buch über den sechsten Sinn, der auch (evtl. mit ein wenig Übung) im Alltag erfahren werden kann. Die Autorin gibt hierzu leicht durchzuführende Übungen. Sie ist aber auch wohltuend kritisch z.B. bzgl. der unreflektierten Intuition und der Anwendung von Rauschmitteln.


Genre: Sachbuch Esoterik
Illustrated by Neue Erde

Die Nibelungen

Uns ist in alten mæren wunders vil geseit

Die Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe hat mit ihrem neuen Buch «Die Nibelungen» ein weiteres originelles Werk vorgelegt, das Mythen auf eine ganz eigene Art erzählt. Waren es bisher die Jungfrau von Orleans oder der Rattenfänger von Hameln, so ist es nun das in Worms beginnende Heldenepos, ein deutscher Stummfilm, wie es im Untertitel heißt, welches die Autorin auf ihre Weise neu bearbeitet hat. Sie bietet damit einen ungewöhnlichen Zugang zu dem mythologischen Stoff, dessen Inhalt sie als bekannt voraussetzt. Sie sei inspiriert worden «von dem verqueren Wunsch, ihn noch einmal ganz von vorn, bis hinein in die Gegenwart aufzurollen, jenseits von Aktualisierung und Kitsch, den größten Feinden der Rezeption eines Mittelalters, von dem wir nach wie vor wenig wissen», hatte sie vorab in einem ‹Werkstattbericht› erläutert.

In drei Kapiteln wird die sattsam bekannte, kanonische Geschichte in groben Zügen nacherzählt, unterbrochen jeweils von einem Kapitel «Pause». Zur Erläuterung der einzelnen Szenen werden, quasi als Reminiszenz an den Stummfilm, viele erläuternde Texttafeln zwischengeschaltet, was die Orientierung in der manchmal slapstickartig turbulenten Handlung durchaus erleichtert. Das mythische Geschehen selbst wird als alljährliches Festspiel in Worms unter freiem Himmel aufgeführt, ein wichtiges, touristisches Event. In den beiden langen Pausen werden die zahlreichen Darsteller, in einem erfrischend witzigen Plauderton, zu ihrer Rolle und ihrer Haltung zu dem Epos befragt. Als «Zeuge im Beiboot» beobachtet die im Abspann als Drehbuchautorin aufgeführte Felicitas Hoppe das kitschig inszenierte Schauspiel aus einer kritischen Distanz. Der vielbeschäftigte Tod wird dabei von einem «Laien aus Worms in einem Trainingsanzug von Woolworth» verkörpert, die Begleitmusik liefert der örtliche Männer-Gesangsverein, der Drache ist aus Pappmaschee. Mit «Die goldene Dreizehn» als Metapher bezeichnet die Autorin den im Rhein versenkten Schatz, der sich als ständig mutierender, unentwegt herum streunender Algorithmus erweist. Er ist der eigentliche Mittelpunkt in diesem blutrünstigen Tanz ums Goldene Kalb, denn darauf laufe es letzten Endes ja immer hinaus, macht uns die Autorin deutlich.

Sie benutzt dafür sehr virtuos drei Erzählebenen: Zum einen die Wormser Freilichtbühne mit ihrer massentauglichen, modernen Inszenierung der uralten Sage, die von ihr kräftig durch den Kakao gezogen wird, ferner der Stummfilm als dialogloser, künstlerisch anspruchsvoller Plot mit den Fakten sowie, kontemplativ besonders ergiebig, die schlagfertigen Pausen-Interviews, in denen auch das Theaterleben als solches karikiert wird. In einer Mischung aus intellektuell höchst anspruchsvollen Reflexionen mit immer wieder eingestreuten Späßen und Albernheiten brennt die Autorin ein erzählerisches Feuerwerk ab, das seinesgleichen sucht in der deutschsprachigen Literatur. Basis für Zitate ist die 2006 erschienene Übertragung des Nibelungenliedes von Uwe Johnson, szenisch wird auf den künstlerisch unerreichten Stummfilm von Fritz Lang Bezug genommen, der als einziger kitschfrei mit dem Stoff umgeht.

Stilistisch wortmächtig, thematisch anspruchsvoll, zugleich aber auch wohltuend albern, gelingt diesem Buch das Kunststück, mit fließenden Grenzen der abgedroschenen Sage nicht nur eine neue Sichtweise abzugewinnen, sondern auch auf witzige Art angenehm zu unterhalten. Alles in allem also ein raffiniert angelegtes literarisches Vergnügen, das im Nebeneffekt auch so manchen Leser dazu animieren dürfte, erstmals, oder mal wieder, entweder zum Original zu greifen oder diese Sage in moderner Übertragung nachzulesen, notfalls auch als Sachbuch. Und dabei stößt er womöglich dann auf den in Mittelhochdeutsch geschriebenen, ersten Satz des handschriftlich überlieferten Textes, den man früher in der Schule sogar auswendig gelernt hat: «Uns ist in alten mæren wunders vil geseit, von helden lobebæren, von grôzer arebeit».

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by Fischer Verlag

Besichtigung eines Unglücks

Fünf Richards

Dem neuen Roman von Gert Loschütz mit dem distanziert wirkenden Titel «Besichtigung eines Unglücks» liegt thematisch das schwere Eisenbahn-Unglück im Bahnhof von Genthin am 22. Dezember 1939 zugrunde. Eine Vorstufe zu dem Buch war das vor zwanzig Jahren zu dieser Katastrophe produzierte Hörspiel des Autors. Als dort Geborener erzählt er neben den sorgsam recherchierten Umständen, die zu dem Unglück führten, nicht nur die fiktive Geschichte eines weiblichen Unfallopfers, er unterlegt seinem Ich-Erzähler auch etliche autobiografische Details.

Im ersten der fünf Kapitel wird unter der Überschrift «Vier Sekunden» vom bis heute schwersten Eisenbahn-Unglück auf deutschem Boden berichtet. Dabei ergibt sich tatsächlich aus einer Reihe der verschiedensten, unglücklich zusammen treffenden Faktoren, dass letztendlich ein vier Sekunden zu früh gegebenes, manuelles Not-Haltesignal aus dem Stellwerk zum verhängnisvollen Stopp eines vollbesetzten D-Zug führte, auf den dann ein ebenso vollbesetzter, nachfolgender D-Zug ungebremst mit über 100 km/h auffuhr. Der sich aus den Gerichtsunterlagen und den Akten der Reichsbahn ergebende und für den Roman aufbereitete Ablauf des Geschehens ist spannend wie ein Krimi, auch was die archaisch anmutende Signaltechnik anbelangt. Aber Vorsicht! Wer da glaubt, das alles wäre heute mit modernster Elektronik nicht mehr möglich, der sei an die beiden Regionalzüge erinnert, die am 9. Februar 2016 nahe Kolbermoor frontal aufeinanderprallten. Schuld war modernste Technik, das Smartphone nämlich, von dem der Fahrdienstleiter abgelenkt war, als er manuell beide Züge in die einspurige Strecke einfahren ließ (aber das nur nebenbei!).

Im zweiten Kapitel wird von Carla berichtet, einem der Unfallopfer, die schwerverletzt überlebt. Sie ist mit dem Juden Richard Kuiper verlobt, der von den Nazis gesucht wird. Vor der verhängnisvollen Zugfahrt lernt sie einen Italiener kennen, mit dem sie zwei Tage später nach Berlin fährt, er überlebt das Unglück nicht. Im Krankenhaus gibt sie sich dann als seine Frau aus, ohne dass erkennbar wird, warum. Es darf spekuliert werden! Sie ist‹Halbjüdin›, nach der Ehe wäre sie ‹Volljüdin› mit allen negativen Konsequenzen, das ruft dann sogar die Gestapo auf den Plan. Mit dem Ladenmädchen Lisa kommt schließlich die Mutter des Journalisten und Ich-Erzählers Thomas Vandersee ins Spiel, sie versorgt Carla vor der Entlassung mit neuer Kleidung. Als junge Frau lernt Lisa mit dem namenlos bleibenden «Begabten» einen Violin-Virtuosen kennen und lieben, der sie unterrichtet. Er nimmt sie dann aber doch nicht mit in die USA, als er von dort ein lukratives Angebot bekommt. Denn er hat leider noch eine andere Geliebte, eine Ménage-à-trois aber kommt für Lisa nicht in Frage.

Als Journalist, lässt uns der Ich-Erzähler wissen, wurde er nach einem Vortrag von einem hochbetagten Zuhörer angesprochen und auf das Zugunglück in seiner Heimatstadt hingewiesen. Zunächst widerstrebend, dann aber immer eifriger habe er zu recherchieren begonnen und sich diverse Notizen gemacht, aus denen dann im vierten Kapitel zitiert wird. Eine journalistisch anmutende, eher unsichere Erzählhaltung ist das typische Merkmal dieser Spurensuche. Es bleibt reichlich Raum für Spekulationen, die Hauptrolle spielt bei alledem immer der Zufall. Kein Zufall aber ist es, wie sich erst ganz am Schluss herausstellt, dass die fünfmal verheiratete Carla immer Ehemänner mit Namen Richard hatte: Ryszard Wósz, Ricardo Fuchs, Richard Lessnik, Richard White, Richard Oettinger. Ein beredtes und auch betroffen machendes Zeichen lebenslanger Reue, Zeugnis ewiger Verbundenheit zudem mit ihrem einstigen Verlobten, den sie so schmählich seinem Schicksal überlassen hat. Dieser aus einer Verzahnung von Fakten und Fiktion entwickelte Roman wird reportageartig erzählt, mit einer elegischen Grundierung natürlich. Ein wenig leidet er jedoch an seinen disparaten Erzählebenen, es fehlt ihm ein stimmiger Erzählbogen als narrativer Überbau.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by Schöffling & Co Frankfurt am Main