Hanf. Ein Portrait.

Hanf. Ein Portrait. Hanf war jahrhundertelang eine Kulturpflanze. Nicht nur Seile und Taue wurden aus ihr gefertigt, sondern auch Segel. Vielleicht wäre Amerika nie entdeckt worden? Ute Woltron machte sich auf eine Spurensuche und fördert spannende Einsichten zutage, die nun in einer kleinen aber feinen Hand- und Hanfbibel mit Pflanzenporträts im Anhang vorgestellt werden.

Propagandakrieg gegen ein Heilmittel

Hanf. Ein Portrait. Die Rehabilitierung der Kulturpflanze begann erst nach dem Milleniumswechsel. Knappe 100 Jahre zuvor hatte eine beispiellose Hatz gegen den Hanf begonnen, der wie so vieles ausgerechnet von dem Land ausging, das ohne Hanfsegel vielleicht gar nicht entdeckt worden wäre: Amerika. Schon unter Roosevelt wurde mit dem „Pure Food and Drug Act“ von 1906 ein Gesetz gegen den Hanf verabschiedet, das ihn neben Alkohol, Morphium und Opium stellte. In Texas wurde ab 1937 der Besitz sogar mit der Todesstrafe geahndet. Aber ein gewisser Harry Jacob Anslinger (1892-1975) setzte bei der Verfolgung der Nutzpflanze noch eins drauf: den „Marihuana Tax Act“. Anslinger hatte eine Studie mit dem reißerischen Titel „Marihuana – Assasin of Youth“ verfasst und mit anderen Interessengruppen der USA (etwa Papier- und Textilproduzenten, Chemiekonzern, Baumwollproduzenten) einen beispiellosen Propagandafeldzug ins Leben gerufen. Der neu entfesselte Krieg gegen den Hanf war auch rassistisch, denn besonders „Neger, Hispanos, Filipinos und Unterhaltungskünstler“ würden dem bösen Kraut frönen. Die Filme Reefer Madness (1936) oder Assasin of Youth (1937) trugen ihren Teil dazu bei, das Image der ehemaligen Kulturpflanze zu ramponieren. Leute wie Louis Armstrong, Robert Mitchum, Chet Baker, Ray Charles, Tony Curtis, Morgan Freeman, David Bowie oder Joe Cocker et al. mussten weiterhin heimlich einen durchziehen.

Hanf. Ein Portrait: „What a Wonderful World“ u.a.

Spätestens mit der Shafer Commission von 1972 wurde aber klar, dass Nixons Krieg gegen diese Droge nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhte. Langsam setzte sich diese Erkenntnis durch und führte ab 2010 zu Teillegalisierungen in einigen US-Bundesstaaten. Ute Woltrons Hanf-Porträt basiert aber nicht nur auf Quellenrecherche und Literatur, sondern auch auf eigenen Erfahrungen in der Pflanzenzucht. Als Migränepatientin lernte sie selbst bald die Vorzüge der Kulturpflanze zu schätzen, die heute auch bei Krebspatienten, MS, Grünem Star, Tourette, Polyarthritis, Tinnitus, Asthma und anderen Krankheiten eingesetzt wird. Die American Medical Association war übrigens schon 1937 gegen das Verbot der Heilpflanze angetreten, wurde vom Kongress aber abgeschmettert, wie Woltron drastisch ausführt. Das vorliegende Hanfporträt ist zudem mit Gemälden aus der Kunstgeschichte illustriert, die den Marihuanakonsum in verschiedenen Anwendungsbereichen zeigen und veranschaulichen, dass Hanf schon jahrhundertelang Teil unserer Kultur ist. Nicht zuletzt sind auch Louis Armstrongs „What a Wonderful World“ und viele andere Lieder und Kunstwerke wohl davon inspiriert. Aber auch Zahlenfreaks: werden belohnt: laut WHO sterben jährlich 3,3 Millionen (!) Menschen an Alkoholmißbrauch. „Die einzige Methode, sich mit natürlichem Cannabis umzubringen, besteht darin, sich an einem Hanfseil aufzuknüpfen“, bemerkt Woltron prägnant. Und wer sich frägt, ob Willie Nelson tatsächlich am Dach des Weißen Hauses einen durchgezogen hat, wird ebenfalls eine Antwort bekommen. Kurz: Ein „unverblümtes Pflanzenportrait“ einer umstrittenen Kulturpflanze. Hanf. Ein Portrait.

 

Ute Woltron, Judith Schalansky (Hg.)

Hanf. Ein Portrait.

Reihe: Naturkunden Bd. 61

159 Seiten, Gebunden

Illustration: Falk Nordmann

Erschienen: 2020

Verlag: Matthes & Seitz Berlin

ISBN: 978-3-95757-857-0

20,00 €


Illustrated by Matthes & Seitz

Heliogabal oder der gekrönte Anarchist

Heliogabal oder der gekrönte Anarchist: „Wer von der Liebe nur die Flamme kennt, die Flamme ohne Ausstrahlung, ohne die Vielheit des Herdes, wird weniger haben als jener andere neben ihm, dessen Hirn wieder zur Schöpfung als Ganzem zurückkehrt und für den die Liebe eine gründliche, grauenhafte Ablösung ist.“ Eine an „eine Feuersbrunst gemahnende Sprache“ unterstellt Jean-Paul Curnier dem Text von Artaud, die zu einer allgemeinen Asphyxie (Atemnot) führen würde, so dicht und überwältigend ist sie. Diesem Erstickungsgefühl habe Artaud einmal selbst im Theatre du Vieux-Colombier durch einen Schrei Luft verschafft und rechtfertigte sich in einem Brief an André Breton, den Diktator der Surrealisten, mit den Worten: „(…) denn tatsächlich war mir klar geworden, dass es genug der Worte war, sogar genug des Brüllens, dass es Bomben brauchte, aber ich hatte keine zur Hand, nicht einmal in meinen Hostentaschen“. Jean-Paul Curnier stellt die – berechtigte – Frage, ob es heute denn keinen Anlass mehr gebe, vor Atemnot und Empörung zu schreien. Die Antwort kennt wohl jeder von uns.

Heliogabal: Vom Thron in die Kloake

Die Romanbiografie des spätrömischen Kaisers Heliogabal von Antonin Artaud ist ein Buch der Exzesse voller Eros und Blut. Der „syrische Fürst“, dessen unterschiedliche Namen offenbar die glücklich grammatische Verschmelzung der ältesten Bezeichnungen für die Sonne ist, wie Artaud bemerkt, wurde mit 14 Jahren zum Gottkaiser des Imperiums und mit 18 umgebracht und in eine Kloake geworfen. Antonin Artaud schreibt mit dem Wahnsinn um die Wette und gibt zu Beginn der Dreißigerjahre alles an Wut und Verzweiflung hinein, die er selbst gegen die Welt seiner Zeit hegt. Seine Spiegelung des Heliogabal ist in einer wuchtigen Sprache verfasst, voller Gewalt und Übertreibung. Artaud revoltiert damit gegen die Gesellschaft seiner Zeit und verschreibt sich schon in seiner Wohnung vor dem Text ganz der Anarchie.

Matthes & Seitz: Von und über Artaud

Im Anhang befinden sich drei Briefe zu Heliogabal, ein Text zum Schisma des Irshu, den Sonnenreligionen in Syrien und dem Tierkreis des Ram. Im Matthes & Seitz Verlag sind auch viele andere Werke von und über Artaud erschienen, zuletzt auch „Die Metaphysik Antonin Artauds“ von Merab Mamardaschili.

 

Antonin Artaud

Heliogabal

Reihe: Matthes & Seitz Berlin Paperback

2020, 197 Seiten, Broschur

Nachwort: Jean-Paul Curnier

Originaltitel: Héliogabale (Französisch)

Übersetzung: Brigitte Weidmann

Verlag: Matthes & Seitz Berlin

ISBN: 978-3-95757-811-2

Preis: 10,00 €


Genre: Biographie, Roman, Surrealismus

Bowies Bücher

Bowies Bücher

Bowies Bücher: 1975 reiste David Bowie mit einer Bibliothek von rund 1500 Büchern zu den Dreharbeiten von „Der Mann, der vom Himmel fiel“ in dem er einen Außerirdischen mimte. Der schwer kokainsüchtige Popmusiker wollte die Chance nützen, um von den Drogen loszukommen und suchte Trost in der transportablen Bücherei.

Bowies Bücher als Bibliothek

Bowie soll für die US-Buchhandelskette Barnes & Noble Buchbesprechungen verfasst haben und es wundert wohl niemanden, wenn einige der Inhalte dieser vielen Bücher, die Bowie gelesen habe, auch Einfluss auf seine Songs nahmen. „In die richtige Reihenfolge gebracht, beschreiben die Bücher einen Weg durch Bowies Leben vom Kind zum Teenager und vom drogenumnebelten Superstar zum reflektierten, zurückgezogen lebenden Familienmenschen“, schreibt John O’Connell in der Einleitung zu seinem ganz besonderen Bowie-Buch. Bowie bediente sich ganz nach dem Lieben bei dem „modernen Avantgarde-Zeug“ und nutzte es weniger für den Weltfrieden oder um den Kapitalismus zu untergraben, sondern „als eine Art Moodboard, eine Kostümkiste, aus der er sich nach Lust und Laune bedienen konnte“. Eine der frühesten Einflüsse war etwa Kafkas „Verwandlung“, von der Bowie sogar Albträume bekam in denen er sich selbst als Käfer fliegen und auf dem Rücken liegen sah.

Bowies Bücher: 100 Lieblingsbücher Bowies

Der Herausgeber begegnete David Bowie selbst als dieser 55 Jahre alt war und noch sehr gut aussah. John O’Connell ist Journalist und zeigte sich beruhigt, als Bowie ihn als „Bromley Dave“ in eine Schublade steckte und so einen kumpelhaften, zu Scherzen aufgelegten, deplatzierte intellektuelle Schnörkel im Südlondoner Dialekt vorgetragen Davie Bowie zu sehen bekam. Denn Bowie habe sich seinen Gesprächspartnern immer so präsentieirt, wie er glaubte, dass diese ihn sehen wollten. Das Pop-Chamäleon gilt als ein weiterer Beweis dafür, dass einen das Lesen von Büchern zu einem besseren Menschen macht, wie John O’Connell lächelnd ergänzt, bevor er sich auf die „Werkzeuge, die Bowie benutzt hat, um sein Leben zu steuern“ stürzt: 100 Bücher. Darunter finden sich so wichtige Werke wie Clockwork Orange, Alighieri’s Inferno, oder Camus’ Der Fremde. John O’Connell schreibt zu jedem der Bücher ca. 2-3 Seiten und schließt seine Essays mit einem Hörtipp und einem Tipp zum Weiterlesen ab. Zudem sind die insgesamt 100 Kapitel mit Illustrationen von Luis Paadín versehen.

John O’Connell

Bowies Bücher

Illustriert von: Luis Paadín

Übersetzt von: Tino Hanekamp

2020, Paperback, 384 Seiten

ISBN: 978-3-462-05352-4

Verlag: KiWi-Taschenbuch

 


Genre: Bibliothek, Bücher
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Die Adler Roms, Buch 2-3

Die Adler Roms, Buch 2-3: Wirklich eindrucksvolle und einprägsame Bilder bietet die fünfteilige Serie von Enrico Marini, die beim Carlsen Verlag in Hardcover und als Epublikation erschienen sind. Die Geschichte von Hermann dem Cherusker wird als Geschichte einer Freundschaft erzählt. Denn „Arminius“ – so der lateinische Name – wuchs in einer römischen Familie mit dem gleichaltrigen Titus Valerius Falco auf. Doch das Schicksal machte die beiden Freunde zu Feinden.

Die Adler Roms: Römer gegen Teutonen

Der zweite Band beginnt bereits 9 Jahre später als der erste, im Jahre 762 ab urbe condita, also fast 800 Jahre nach Gründung der „urbs“. Der lateinische Ausdruck für Stadt, urbs, bezieht sich natürlich auf die ewige Stadt, Rom, die Hauptstadt des Imperiums. Viele der im Comic verwendten Ausdrücke werden in einem Glossar am Ende des Bandes eigens erklärt. So lernt man spielerisch auch etwas über die römische Kultur und Sprache, aber auch Geschichte. „Trapejischer Fels“ zum Beispiel bezeichnet die Stelle an der südöstlichen Spitze des Kapitol-Hügels von wo die Todesstrafe vollstreckt wurde, indem die vermeintlichen Verbrecher den Felsen hinabgestürzt wurden. Weitere Glanzlichter des vorliegenden Comics sind aber auch die Milieuschilderung und das kulturelle Leben. So begegnen sich die beiden Rivalen bezüglich der Liebe zu Priscilla, Titus und Lucius Aelius Seianus, bei einem Wagenrennen im Circus Maximus oder ist es gar das Colloseum oder das Hippodrom? Eine Feindschaft, die ein Leben lang dauern wird, bis zur Varusschlacht im Teutoburger Wald.

Die Adler Roms: Furor Teutonicus

Aber nicht nur die Zirkusspiele und Schlachten werden authentisch gezeichnet und geschildert, sondern auch die Liebesszene zwischen Priscilla und Falco am Rande des Tiber. Man fühlt sich geradezu in eine Märchenwelt entführt. Sprachlicher Witz („die vier letzten Buchstaben deines Namens, Seianus“) und üppige dekadente Sexszenen machen „Die Adler Roms“ zu einem Lesevergnügen der ganz besonderen Art. Denn diese Bilder wird man so schnell nicht mehr aus dem Kopf kriegen, so einprägsam und eindrucksvoll sind sie gezeichnet. Etwa wenn nach einem Dialog zwischen Arminius und Falco zwei Gefangene so nebenbei abgekragelt werden und die beiden Freunde im Hintergrund entschwinden. Enrico Marini zeigt aber auch die Kultur der Germanen, ihren Thing und die Bedrohung, die ihnen durch die Römer erwächst. Zudem wird auch die Vielfalt der germanischen Kultur durch die unterschiedlichen Gebräuche der einzelnen Stämme dargestellt. Besonders gruselig und authentisch wirken die Bilder im Wald, der alsbald die römischen Legionen verschlingt.

 

Enrico Marini

Die Adler Roms (Hardcover) 2: Buch II (Hardcover)

übersetzt von Marcel Le Comte

2020, Hardcover, Größe 24,00 x 32,00 cm, 64 Seiten

Alter: ab 14 Jahren

ISBN   978-3-551-79197-9

16,00 €

Die Adler Roms (Hardcover) 3: Buch III (Hardcover)

von Enrico Marini

übersetzt von Marcel Le Comte

Arminius in Gallien

Hardcover, Größe 24,00 x 32,00 cm, 64 Seiten

Alter: ab 12 Jahren

ISBN: 978-3-551-79198-6

16,00 €

Carlsen Verlag


Genre: Antike, Comic
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Die Adler Roms, Buch 1-5

Die Adler Roms Buch 1-5: „Fortan werden eure Feinde auch die Feinde Roms sein.“ Pax Romana nannte man diese Formel, die Besiegte zu Verbündeten gegen neue Feinde machte. Es war eine Art Siedlungspolitik, die wesentlich zur Ausbreitung der römischen Kultur beitrug. Es bedeutet auch die Zeit der größten Ausdehnung des römischen Reiches unter Augustus.

Die Adler Roms: Freundschaft wider Willen

Die von Enrico Marini auf gleich fünf Bände angelegte Graphic Novel „Die Adler Roms Buch 1-5“ spielt in der Zeit 753 ab urbe condita, also 753 Jahre seit der Gründung Roms im Jahre 1 v. Chr. Drusus, der einige Stämme Germaniens unterworfen hat, schickt als Pfand für diesen Frieden den Sohn des Häuptlings Sigmar nach Rom. „Arminius“ soll eine römische Erziehung bekommen und wächst unter der strengen Hand des Titus Valerius Falco auf. Er teilt mit dessen Sohn Marcus Freud und Leid und schmiedet so ihre Freundschaft immer mehr aneinander. Schließlich treten sie beide in die römische Legion ein und die eigentliche Erzählung beginnt. „Mein Name ist Herrmann. Mein Vater ist Fürst Sigmar von der Stirps Regia der Cherusker, der die Legionen ruhmreich bekämpft hat… und wenn du mich noch einmal „Sklave“ nennst, werfe ich dich über diese Brüstung.“ Mit diesen harschen Worten und einem Zweikampf lernen sich Gaius Julius Arminius und Marcus Valerius Falco kennen und lieben. Denn eine Freundschaft beginnt oft genau so.

Die Adler Roms: Loyalität des Blutes oder der Erziehung

Im Rom der Zeitenwende begegnen die beiden jungen Männer sowohl dem Wirken des Bacchus wie dem des Pluto. Sie trinken alsbald Bärenblut, um sich auf ewig zu verbinden und ihre Freundschaft für immer zu besiegeln. Das bedeutet, dass sie sich auch Morphea, die thessalische Hexe mit der Maske, teilen und die Illustrationen dazu sind alles andere als jugendfrei. Im Anhang befindet sich ein Glossar aus dem man gebräuchliche römisch-lateinische Begriffe lernen kann. Die weitere Handlung wird noch bis zur berühmten Varusschlacht im Teutoburger Wald nachgezeichnet und bald wird sich für Herrmann die eigentliche Kernfrage stellen: Sind die Verpflichtungen seines Blutes wichtiger oder ist seine Erziehung ausschlaggebend für die Entscheidung, auf welcher Seite er steht. Die Abenteuer-Serie für Erwachsene ist in edler Ausstattung im großformatigen Hardcover erschienen und wird in insgesamt fünf Bänden fortgesetzt.

Enrico Marini

Die Adler Roms, Buch I

2019, Hardcover, 64 Seiten

Alter: ab 14 Jahren

Größe 24,00 x 32,00 cm

ISBN: 978-3-551-79196-2

Carlsen Verlag


Genre: Comic, Geschichte, Graphic Novel
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

100 Jahre Bukowski: Pulp. Ausgeträumt.

100 Jahre Bukowski: sein letzter Roman

Pulp. Ausgeträumt. Wenn man sich das Personal dieses (letzten) Romans von Charles Bukowski, Pulp, ansieht, denkt man doch, dass es ein trauriges Adieu geworden ist: Lady Death, eine gefährliche Schöne, der lange verstorbene Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline, ein Beerdigungsunternehmer namens Grovers und Nick Belane, Privatdetektiv in Los Angeles, der einen VW Käfer fährt und Stammgast in L.A.s Spelunken ist.

Pulp, Bukowskis letzter Roman

Pulp, der erste (und letzte) Krimi aus der Feder Bukowskis, ist stark an Noir Autoren der Blütezeit der Stadt der Engel angelehnt. So erinnert die Suche nach dem „Red Sparrow“ an den „Malteser Falken“, einen Roman von Dashiell Hammett aus dem Jahr 1930. Aber auch der Name des Protagonisten Nick Belane klingt verdächtig nach Mickey Spillane, der 1947 den Großstadtschnüffler Mike Hammer erfunden hatte. „Pulp“ wurde im Todesjahr Bukowskis, 1994, veröffentlicht und kann als selbstironischer Abschied des Dirty Old Man gewertet werden, der Los Angeles, seiner Stadt, damit zusätzlich noch ein Denkmal setzen wollte. Aber Charles Bukowski selbst hatte das Los Angeles der Achtziger und Neunziger Jahre wohl ebenso gut porträtiert, wie die zuvor genannten Autoren jenes der Vierziger. Oder zumindest das Leben in einer der brutalsten Städte der Welt…

Pulp: Hommage an das Schreiben und L.A.

Erst Dante, dann Fante. Bukowskis letzter Roman ist eine Huldigung an seine bewunderten Schriftsteller, aber auch an die Bewohner seines geliebten L.A.: „Sie lassen sich Haut vom Arsch ins Gesicht verpflanzen. Die Haut am Arsch braucht am längsten, bis sie runzelt. Im reiferen Alter laufen sie dann alle mit Arschgesichtern rum.“ Der beißende Humor und die markigen Sprüche Bukowskis waren schon Zeit seines Lebens Legende und besonders bei den sog. Dichterlesungen strömten die Massen, die das enfant terrible so fürchtete, herbei. „Früher war das Leben der Autoren interessanter als ihre Bücher“, schreibt Buk an einer Stelle seines Krimis, „Heutzutage ist beides uninteressant“. Das trifft beides auf Bukowski definitiv nicht zu. Seine Hommage an das Noir Genre, „Pulp“, ist ein liebevoller Abschied voll treffender Ironie und Hingabe an ein Leben als Schriftsteller in der wohl gefährlichsten Stadt der Welt. Weitere Mitwirkende: Jeannie Nitro, die bezaubernde Außerirdische, Barton, Jack Bass, Spike Jenkins, Planet Zoros, drei Flaschen chinesisches Bier, Dante und Fante.

 

Charles Bukowski

Pulp. Ausgeträumt. Roman

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Carl Weissner

2020, KiWi-Taschenbuch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-462-04313-6

Kiepenheuer & Witsch

 


Genre: Crime noir, Krimi, Roman

Der Mann mit der Ledertasche

Der Mann mit der Ledertasche: „Post Office“ – so der amerikanische Originaltitel von 1971 – war Bukowski’s erster Roman, der den Grundstein für seine spätere Schriftstellerkarriere legte. Denn nach dem „Mann mit der Ledertasche“ quittierte er seinen Dienst und lebte von seinen Gedichten, Stories und Romanen. Insgesamt erschienen mehr als 40 Bücher, die meisten davon auch bei verschiedenen deutschsprachigen Verlagen.

Resümee des Postdienstes

Anstelle eines Vorworts zitiert Bukowski den Text der US-Postverwaltung Los Angeles zum Berufsethos des Personals. „Vom Personal der Post wird erwartet, dass es nach den höchsten sittlichen Grundsätzen handelt“, heißt es da etwa und der Leser kann sich selbst ein Bild machen, wie sehr der Briefträger Henry Chinaski alias Charles Bukowski diesem entspricht. Aber wie so vieles im Leben von Charles Bukowski beginnt auch die eigentliche Geschichte mit einem Missverständnis: „Mit einem Fehler fing es an“, so der erste Satz. Denn der anfangs für leicht gehaltene Job entpuppt sich als fatal für Bukowskis körperlichen Zustand. Nicht nur, dass er zum Säufer (das war er wohl schon vorher) wird, nein, nach insgesamt mehr als elf Dienstjahren klagt er über mehrere Verschleißerscheinungen. „So weit war ich nun also, Schwindelanfälle und Schmerzen in den Armen, im Nacken, in der Brust, überall. Ich schlief den ganzen Tag, um mich für den Job auszuruhen. Am Wochenende musste ich trinken um alles zu vergessen. Damals wog ich 84 Kilo. Jetzt wog ich 101 Kilo. Das einzige, was man bewegte war der rechte Arm.“

Post, Pferderennen und Frauen

Bukowski war 51 als er sich für ein freies Leben als Schriftsteller entschloss. Natürlich hatte er schon früher begonnen zu schreiben, mit 35, aber dennoch erforderte es großen Mut, sich in diesem Alter noch auf eine unsichere Existenz als Zeilenschinder einzulassen. In seinem Debütroman finden sich alle Ingredienzien, die einem Bukowski so vertraut machen. Pferderennen, Boxkämpfe und eine Menge Frauen: Betty, Joyce, Vi, Mary-Lou, Fay und auch seine kleine Tochter Marina, die am 7. September 2020 auch schon 56 Jahre alt geworden ist. Bukowski wäre dieses Jahres übrigens schon 100 Jahre alt. Ein weiterer guter Grund für eine Re-Lektüre seines Erstlings, in dem er sein ganzes Können zeigt: Dialoge, Wortwitz, Sarkasmus und Ironie.

Charles Bukowski

Der Mann mit der Ledertasche

2019, KiWi-Taschenbuch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-462-03430-1

Kiepenheuer & Witsch

 

 


Genre: Biographie, Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Avengers – Heldenfall

Avengers – Heldenfall. Diese Story aus den Jahren 2004/05 hat es in sich. Jack of Hearts, der Antmans Tochter Cassie retten wollte und dabei starb, steigt aus dem Grab, um die Rächer (Avengers) heimzusuchen. Doch bald bleibt kein Stein mehr auf dem anderen in der Avengers-Mansion. Denn Tony Stark (Ironman) ist pleite.

Avengers: Undank ist der Welten Lohn

Eines gleich vorweg: noch nie waren die Zeichnungen der Avengers so exakt und detailliert und gleichzeitig episch wie in diesen von David Finch und Olivier Coipel in diesem Band verwirklichkeiten. Allein das macht diese Ausgab schon zu einem „Must Have“ wie der Titel suggeriert. Ein Faustschlag den Ironman der wildgewordnen She-Hulk verpasst trifft so gut, dass man förmlich aus seinen eigenen Träumen aufwacht oder sich darin verabschiedet, je nach dem. Aber auch die Story von Brian Michael Bendis wartet mit einigen Überraschungen auf. So spricht etwa Ironman vor der UNO und greift (als Verteidigungsminister) den Gesandten aus Latveria persönlich an. Die Kritik seiner Avengers-Kollegen daran führt dazu, dass Tony Stark beleidigt ist: „Ich bin ja so was von froh, dass ich mein halbes Vermögen in die finanzielle Unterstützung der Avengers investiert habe…und dass es mir jetzt so gedankt wird“.

Avengers – Heldenfall. Marvel Must-Have

Erst greift Ultrons Armee die Avengers an. Dann wird ein Angriff der Kree von den Avengers gerade nach zurückgedrängt, doch die eigentliche Herausforderung entsteht ihnen durch Magnetos Tochter. Wanda Maximoff zapfte nämlich eine neue Kraftquelle an, die sie Chaosmagie nannte. So beherrscht sie nun alle Wahrscheinlichkeiten der Realität. Ist das das Ende der Avengers? Im Anhang finden sich Informationen zu den Machern des Comics sowie ein Bonusteil zu Hinter den Kulissen, Timeline, Weitere Lektüre, Anmerkungen, Weitere Must Have Titel. Eine schockierende, finstere Saga über das Ende einer Ära. Ein echtes Must Have eben.

Brian Michael Bendis

Marvel Must-Have: Avengers – Heldenfall

Zeichner: David Finch, Olivier Coipel

Storys: Avengers (2005) Finale, Avengers 500-503

Hardcover, 180 Seiten,

19,00 €

ISBN: 9783741616617

Panini Comics


Genre: Comics, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Jessica Jones: Blind Spot im Visier

Jessica Jones ist zwar eine Superheldin, aber sie will ein normales Leben führen und keinen Gebrauch von ihren Superkräften machen. Manchmal lockt es sie dann aber doch. Als taffe Privatdetektivin bekommt sie diesmal eine Leiche in ihr Büro serviert und wird prompt als Hauptverdächtige von der Polizei verhaftet.

Fun-damente einer Beziehung

Die „Fun-damente“ einer guten Beziehung oder eines Landes oder einfach vom Baseballspiel diskutiert JJ mit ihrem Mann Luke Cage beim Spaziergehen mit dem Kinderwagen. Eine Superheldin und Detektivin braucht ja auch ein Privatleben und das soll noch dazu Spaß machen, „fun“ eben. Denn was ihr in vorliegendem Abenteuer beruflich bevorsteht, grenzt beinahe an Leichenfledderei.

Nekrophilie?

Ihre Ex-Klientin Dia Sloane ist die Leiche in ihrem Büro und nur ihr Anwalt kann sie aus den Krallen oder besser Handschellen des Gesetzes wieder befreien. Doch dann überlebt sie selbst nur knapp einen Kopfschuss und in einem Dialog mit Captain Marvel, die wie Scarlett Johansen aussieht, fordert sie die tödliche Kugel, die sie getroffen hat, vom NYPD zurück. Diese führt sie dann auf die richtige Spur. Denn der Killer tötete bisher vier Frauen und alle waren stark. „Also genau die Sorte Frauen, die gewisse Kerle wahnsinnig macht.“

Verantwortung übernehmen

Dr. Strange, der ein ganz kleines bißchen wie Tom Hardy aussieht, empfängt sie um 12:01, denn vorher will er niemanden sehen. Er macht sich prompt über ihr Kostüm lustig, das sehr knapp sitzt und eigentlich einem Badeanzug mit aufgenähtem Blitz ähnelt.

„Wenn man innere Dämonen wie Jared hat, muss man sich selbst um sie kümmern, oder man läuft ewig davon. (…) Aber am Ende kriegst du dein Leben nur dann wieder in den Griff, wenn du Verantwortung übernimmst… und dich wehrst.“ Jessica Jones könnte diese Sätze auch zu sich selbst sagen, denn auf wen träfen sie nicht zu?

Das Rätsel, wer der Killer ist, wird schließlich tiefenpsychologisch gelöst. Die Zeichner Marcio Takara und Mattia De Iulis haben eine aufsehenerregende Kriminalgeschichte in bunte Farben gehüllt und abenteuerlich illustriert. Die Atmospähre kommt  authentisch rüber und ist nicht nur für Fans der Netflix-Serie ein Must.

Kelly Thompson
Jessica Jones: Blind Spot im Visier
Zeichner: Marcio Takara, Mattia De Iulis
Storys: Jessica Jones: Blind Spot 1-6
2020, Softcover, 140 Seiten
ISBN: 9783741619106
17,00 €
Panini Verlag


Genre: Comics, Crime
Illustrated by Panini Comics

Batman: Die Jagd des Dunklen Ritters

Dem Mitternachtsdetektiv huldigen Bendis und Derington diese Story, die Batman zweimal an zwei entgegengesetzte Enden des Universums, „quer durch die Galaxis“, und wieder zurück trägt. Alfred Pennyworth ist die Stimme im Funk, die ihn dabei begleitet, aber auch eine Menge anderer Unterstützer bekommt Batman in diesem zeitlosen Abenteuer.

Batmans Jagd nach sich selbst

Unerwartete Unterstützung bekommt Batman beim Kampf gegen den Söldner Deathstroke und den Riddler durch Green Arrow, der sich aber bald in seinen Antipoden verwandelt. Denn im Zentrum dieser Geschichte steht ein Fabergé-Ei, dessen Inhalt seinen Träger sofort verwandelt.

Aber noch kann Batman die geheimnisvolle Kraft nicht durchschauen, erst als auch Green Lantern auf den Plan tritt, beginnt er zu verstehen, mit wem er es zu tun hat. Der eigentliche Feind ist nicht der Riddler, der viel zu harmlos und verrückt erscheint, sondern der, der hinter ihm steht.

Batman wird auf den Gorilla-Planeten katapultiert, wo König Nnamdi ihn zunächst unwirtlich empfängt. Wer hat schon gerne unangemeldete Besucher? „Lieber später um Verzeihung bitten, als vorher um Erlaubnis …“, kommentiert Nnamdi Batmans unangemeldetes Erscheinen. Derweilen hat ein anderer den Riddler längst auf seinen Thron gepflanzt.

Einmal durch die Galaxis… und zurück

Batman erscheint auch auf dem Planeten Thanagar, wo Hawkman lebt und kämpft sogleich gegen ein Heer von Dinosauriern. Die Teleportationstechnologie ist halt einfach unberechenbar. Das Schleuder-Wurmloch bringt ihn alsbald auch in das 19. Jahrhundert in den Wilden Westen, wo der grimmige Jonah Hex ihn mit zwei Revolvern erwartet.

„So n Quatsch kann nur wahr sein“, stimmt Hex Green Lantern und Batman zu und so kann man die beiden bald in Zivilklamotten sehen, was besonderes Vergnügen bereitet, da der Zeichner Nick Derington sein Handwerk wirklich versteht. Nicht nur was die Kostüme betrifft, sondern auch das Setting, er trifft in jedem Genre den Punkt.

Auch in zweiseitigen Illustrationen im Kampf gegen eine Truppe Ninjas zeigt Derington sein Talent. Oder wenn Batman allein im Kosmos aufwacht und von einer rosa Milchsuppe umgeben ist.

Darington ist ein Meister der Illusion, der auch dieses Abenteuer zu einer wunderbaren Episode im Kampf gegen das Böse macht. Wer der Oberböse ist, wird hier aber nicht verraten. Lesen Sie selbst dieses bunte, verrückte Abenteuer, das den Mitternachtsdetektiv an ferne Orte verschlägt und durch Raum und Zeit, „quer durch die Galaxis“, führt.

Brian Michael Bendis
Batman: Die Jagd des Dunklen Ritters
Zeichner: Nick Derington
Storys: Batman Universe 1-6
Mit Batman, Green Arrow, Green Lantern, Nightwing
2020, Softcover, 180 Seiten
ISBN: 9783741618376
20,00 €
Panini Verlag


Genre: Comics, Crime Stories
Illustrated by Panini Comics

Batman: Der letzte Kreuzzug

Batman: Die Rückkehr des dunklen Ritter von Frank Miller ist auch der Ausgangspunkt von dieser neuen Geschichte des Autorenduos Brian Azzarello/Frank Miller, das von John Romita Jr. kunstvoll in Szene gesetzt wurde. 1986 hatte Miller von einem alternden Batman erzählt, der auch mit menschlichen Problemen kämpft: Schmerzen und das Alter.

Batman, der letzte Kreuzzug

2001 erschein mit Batman: Der dunkle Ritter schlägt zurück ein grelles Sequel zum Klassiker. Und 2017 folgte ebenfalls mit Brian Azzarello Batman: Dark Knight III – Die Übermenschen eine weitere Fortsetzung. Warum Batman damals in den Ruhestand ging erklärte wiederum Batman: Ein Todesfall in der Familie.

Batman

Der letzte Kreuzzug ist nun wiederum die Vorgeschichte, also das Prequel, zu Die Rückkehr des dunklen Ritters, das einen ehrgeizigen Jason Todd als zweiten Robin zeigt. Denn der Junge aus den Slums sollte in die Fußstapfen von Dick Grayson, dem Hochseilartisten, treten.

Besonders hervorzuheben wäre hier der Zeichenstil von John Romita Jr., der sich deutlich von ähnlichen Erzeugnissen zum Thema abhebt. Und zwar durch seine außerordentliche Qualität. So gibt es etwa eine Szene, die im Schnürlregen spielt und dermaßen authentisch gezeichnet ist, dass man sich mitten darin versetzt fühlt und fast schon selbst einen Regenschirm aufspannen möchte.

Batman: in Würde altern

Auch wenn viele der Gesichter etwas runder und platter als normal wirken, kommt es etwa gerade beim Zweikampf zwischen Robin und Poison Ivy zu keinen Zweifeln. Hier werkelt ein Comic Artist, der sein Handwerk versteht und detailliert mit den Versatzstücken des Genres arbeitet.

Ein Zweikampf zwischen Batman und Killer Croc macht deutlich spürbar, wie alt sich Batman in seinen Knochen schon fühlt und wie er dennoch weiterkämpft, unerschöpft und stets motiviert, das Böse aus der Welt zu schaffen. Aber als Batman und Robin eine von Poison Ivy hypnotisierte Bande der Reichen von Gotham City bekämpfen müssen, beginnen die eigentlichen (Kopf-)Schmerzen. Batman beginnt sich Sorgen um sein Double und seine Nachfolge zu machen, denn diesem mangelt es an einem essentiellen Batman-Kriterium: Feingefühl.

Brian Azzarello, Frank Miller
Batman: Der letzte Kreuzzug
Zeichner: John Romita Jr.
Storys: The Dark Knight Returns: The Last Crusade
2020, Hardcover, 68 Seiten
ISBN: 9783741620423
15,00 €
Panini Verlag


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Bukowski Fuck Machine

Bukowski Fuck Machine. „Erections, Ejaculations, Exhibtions and General Tales of Ordinary Madness 1967-1972“ war der Titel des Sammelbandes in denen Charles Bukowskis unzählige Kolumnen aus diversen Undergroundzeitschriften erstmals als Buch erschienen. Aber Bukowski schrieb auch Gedichte und Romane und insgesamt umfasst sein Werk mehr als 40 Bücher. Am 16. August wäre er 100 Jahre alt geworden, ein guter Vorwand für eine Re-Lektüre.

Chronist des White Trash

Auch in „Fuck Machine“ folgt Bukowski dem bereits mehrmals bewährten Rezept: es muss vom F… die Rede sein, damit die Leute seine Stories lesen. Das behauptet zumindest er selbst in einer der Geschichten mit dem Titel „Zwölf fliegende Affen, die nicht richtig kopulieren wollen“. In dieser in „Fuck Machine“ enthaltenen Geschichte beschreibt er seinen Arbeitsstil in seiner bekannt ironischen Weise und veräppelt sich quasi selbst.

Aber es geht auch brutaler zu in seinen Stories, etwa in „Die kopulierende Nixe von Venice, Kalifornien“, wenn zwei abgewrackte Typen Gangstern eine Leiche klauen und diese dann missbrauchen. Dabei haben sie ohnehin ihr ganzes Leben lang tote Frauen gefickt, wie einer dem anderen vorwirft.

Der Chronist des White Trash, Bukowski, macht auch nicht davor halt, sich in zwei Schwulenhasser einzufühlen, die in „Die Ermordung des Ramon Vasquez“ ihr Unwesen treiben. Eine kleine Fußnote macht darauf aufmerksam, dass der Autor keinem seiner Mitgeschöpfe wehtun, zu nahe treten oder Unrecht tun möchte. Denn auch diese Geschichte ist Fiktion, auch wenn sich bei Bukowski oft Facts und Fiction zu Faction mischen.

Bukowski Fuck Machine

Sein Saufkumpel Jeff ist ein brutaler Kerl, der auch schwangere Frauen die Treppen runterschmeisst, erst als eine Gruppen Chinesen ihn festhält, kapiert der Protagonist, dass auch er etwas gegen seinen Freund unternehmen muss. In „Der weiße Bart“ vergnügt sich der Protagonist und zwei seiner Freunde mit einer Minderjährigen, „Abstammung unbekannt“. Aber auch seine Boxergeschichte „Kid Stardust im Schlachthof“ und die Titelgeschichte, „Fickmaschine“, haben es in sich.

Unvergessen bleibt bei jedem Leser aber „Fünfzehn Zentimeter“, eine Geschichte, die man nie mehr vergisst. Charles Bukowski verstand es wie kein anderer, die harte Realität des amerikanischen Albtraums in einfache, aber treffende Worte zu fassen und mit seinem lakonischen Humor abzufedern.

Durch Übertreibungen und Wiederholungen machte er aus der Kehrseite des American Dream ein Leben, das sich hauptsächlich in Slums, Absteigen, Bars, Hurenhäusern und Schlachthöfen abspielte. Oder bei Boxkämpfen und Pferderennen. Bestimmt aber im Bett mit einer jener Frauen, die die Reichen übrig ließen: „Wir kriegen die Mädchen, wenn die mit den Mädchen Schluss gemacht haben und es keine Mädchen mehr sind – wir kriegen die benutzten, die versauten, die kranken und kaputten. Wenn man nach ‘ner Weile aus zweiter, dritter und vierter Hand mehr will, gibt man’s auf; oder man will es wenigstens aufgeben. Trinken hilft.“

Charles Bukowski
Fuck Machine. Stories
Übersetzt von: Wulf Teichmann
2019, 176 Seiten, Taschenbuch
ISBN: 978-3-596-52236-1
12,00 €
FISCHER Taschenbuch


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen, Short Stories
Illustrated by Fischer Verlag

Kaputt in Hollywood

Kaputt in Hollywood: Zum 100. Geburtstag des geliebten Skandal-Autors Charles Bukowski ist in der FISCHER Taschenbibliothek „Kaputt in Hollywood“ eine Neuausgabe als gebundenes Buch mit 192 Seiten erschienen. Dieser Rezension liegt die Taschenbuchausgabe von 2018 mit 121 Seiten vor. Die beiden Ausgaben unterscheiden sich inhaltlich meines nur durch die Druckgröße der Buchstaben. Alles zehn Stories sind eine Auswahl aus dem unter dem amerikansichen Original erschienenen Sammelband „Erections, Ejaculations, Exhibitions and General Tales of Ordinary Madness, 1967-1972“. Bukowskis Geschichten waren vor 1972 in diversen Undergroundzeitschriften erschienen und unter diesem Titel erstmals gesammelt veröffentlicht worden. Die deutsche Erstveröffentlichschung übernahm damals der Maro-Verlag im Jahre 1976. Im Anhang zu dieser Ausgabe findet sich ein Interview von Thomas Kettner mit dem Autor.

Der amerikanische Zelluloid-Traum

„Deutschland war einfach ein Schimpfwort, etwas Unanständiges…“, erzählt Bukowski in diesem Interview dem eigens aus Frankfurt angereisten Journalisten. Er erzählt ihm von seiner ersten Kurzgeschichte, die er mit 13 Jahren schrieb in der ein Deutscher alles abknallt, was sich bewegt. Also Sohn deutscher Einwanderer wurde Bukowski oft gehänselt und das war seine Art, an seinen Mitschülern Rache zu nehmen. In diesem Sinne könnte man auch sein ganzes weiteres Werk verstehen, denn Schriftsteller wurde Bukowski wahrscheinlich vor allem deswegen, weil sein Vater ihn mißhandelt hatte. Davon erzählt er in seinem Jugendroman, aber ab und an auch in seinen Kurzgeschichten. In „Kaputt in Hollywood“ ist der Autor schon um die 50 und beschreibt den American Way of Life als das was er ist: Zelluloid. Für sich selbst findet er brauchbare Worte, die ich hier gerne in voller Länge zitiere: „(…)eine merkwürdige Type, eine seltsame Kreatur, die plötzlich auftaucht und eigenartige Töne von sich gibt, wie man sie bis dahin eigentlich nicht so gehört hat. Nichts Außergewönliches, aber irgendwie interessant, auf eine merkwürdig kaputte musikalische verrückte Art. (…) Ich bin eine störende Mißbildung.“ Wer Bukowski nach dieser Selbstbeschreibung noch nicht liebt, wird es spätestens, wenn er eine der zehn Kurzgeschichten in diesem Band aufschlägt.

Kaputt in Hollywood: Love it or Leave it

„Shit, man brauchte mindestens 150 Jahre, um in Harvard als Klassiker eingestuft zu werden“ (aus: „Zen-Hochzeit“). So etwa „Geburt, Leben und Tod einer Untergrundzeitung“ in der er seine Beziehung zu einer solchen mit Namen „Open Pussy“ beschreibt. Ein Verhör mit Beamten bei der Post, bei der er zu dieser Zeit arbeitete wird darin ebenso verhöhnt, wie der Herausgeber und dessen Frau Cherry. Denn die Obszonität seiner Texte sorgte schließlich dafür, dass die Zeitung aus dem Verkehr gezogen wurde. Oder war es doch das Foto einer nackten Pussy auf der Titelseite? Bukowskis lakonischer Humor zeigt, dass das Ganze Love & Peace Gerede von damals auch nur ein Verkaufsschmäh war, denn als der Verleger der Hippie-Zeitung entdeckt, dass seine Frau ihn betrügt, kauft er sich als erstes eine Pistole. In der Titelgeschichte packt der Protagonist seine Frau in ihr Klappbett und beschreibt sie als Brathähnchen mit Pferdezähnen während ein Typ in ein Longdrink-Glas Leber onaniert. In „Love it or Leave it“ wird er krankenhausreif geschlagen, weil er auf einem Autofriedhof jede Nacht in einem anderen Auto nächtigte. Aber Bukowski beschreibt auch den Arbeitsalltag normaler Arbeiter, denen oft keine andere Wahl bleibt, als zur Flasche zu greifen, ob überhaupt einen Halt zu finden. Es folgen immer wieder Slapstickeinlagen im Suff, etwa wenn er auf das Pflaster knallt, aber die Flasche dann doch heil bleibt. Der Kopf aber nicht. Besonders lesenswert ist auch die Zoo-Geschichte von Gordon und Crazy Carol in der er sein ganzes erzählerisches Talent zeigt. In „Eine verregnete Weibergeschichte“ schreibt er: „Während mein Alter Tag für Tag die Scheiße aus mir rausschlug, wollte ich 80 Jahre alt werden und das Jahr 2000 erleben.“ Das hat er nicht ganz geschafft. Bukowski starb im Jahr 1994.

Bukowski zum 100. Noch 50 Jahre also, bis auch er von Harvard als Klassiker der amerikanischen Literatur eingestuft wird.

Charles Bukowski

Kaputt in Hollywood. Stories

Übersetzt von: Carl Weissner

2018, Taschenbuch, 121 Seiten

ISBN: 978-3-596-90512-6

12,00 €

Fischer Verlag


Genre: Short Stories
Illustrated by Fischer Verlag

Spider-Man/Black Cat: Das Böse in dir

Spider-Man/Black Cat: Das Böse in dir. Der Filmemacher Kevin Smith (Dogma, Chasing Amy, Clerks) lässt die schon seit 1979 bekannte Marvel Heldin Black Cat alias Felicia Hardy in einem spannenden Abenteuer wieder auferstehen. In den Achtzigern kämpfte sie mit Spiderman alias Peter Parker gegen Owl und Dr. Octopus. Doch in „Das Böse in dir“ kämpft sie nicht nur gegen das Böse in Gestalt von Scorpia und Mr Brownstone, sondern auch gegen das Böse in ihr selbst. Ein Überraschungsgast spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Resozialisierung von Black Cat.

Das Böse in NYC: das Ortega-Kartell

What’s new, pussycat?“ Felicia Hardy kehrt in ihr ehemaliges Revier New York zurück, wo die Antiheldin und Meisterdiebin nicht nur auf ihren netzspinnenden Ex Spider-Man trifft, sondern auch auf einen Gegner, der Felicia mit der Erinnerung an das finsterste Kapitel ihres Lebens konfrontiert. Denn es geht um einen Schauspieler, der mittels Heroin kleine Jungs und Mädchen gefügig macht, um sie zu vergewaltigen. Anfangs verdächtigt Spidey noch Black Cat, dass sie dem tot aufgefundenen Jungen, das „H“ verabreichte, doch dann kämpfen sie alsbald an einer Seite. Es kommt zu einem Ortega-Massaker, benannt nach dem Ortega-Kartell, das die meisten Drogen in NYC vercheckt, bei dem ein Baby als einziges das Massaker überlebt. „Ich bin eine Frau mit Vaterkomplex, trage hautenges feuchtes Leder und habe meine Tage“, ruft Black Cat bevor sie sich ins Kampfgetümmel stürzt und hakt nach: „Was kann gefährlicher sein?

Liebe im Freien Fall und ohne Netz

Ist es Zwang, wenn man es mit Liebe tut?“ In Rückblenden wird auch die Geschichte von Felicia Hardy erzählt, die beinahe auch auf die schiefe Bahn geraten wäre, hätte sie nicht den (zweiten) Mann ihres Lebens kennengelernt: Spiderman! Man sagt, jede Beziehung einer Frau zu einem Mann werde durch die Beziehung zum ersten Mann, den sie liebt, geprägt: ihrem Vater. Aber was haben Felicia Hardys Vater und Peter Parker gemeinsam? Auch ein Thema, das in diesem nachdenklichen Comic angesprochen wird. Die knallbunten Farben in Zuckerlwatte gebettet erzeugen einen berauschenden Effekt, denn die Story ist nahe dran am Leben, obwohl es sich um Superhelden handelt. Statistisch gesehen wird in den USA alle zweieinhalb Minuten eine Frau vergewaltigt, heißt es etwa an einer Stelle. Jede vierte oder jede neunte Frau (je nach Berechnungsmethode) macht Erfahrungen mit sexueller Belästigung, die Vergewaltigung zumindest impliziert. Aber nicht allen Frauen gelingt es, sich aus ihrem Trauma zu einer Black Cat zu entwickeln.

Das Böse, das (nur) Männer tun

Da hilft vielleicht die vorliegende Graphic Novel, die das sexuelle Knistern zwischen Spidey und Black Cat förmlich spürbar werden lässt. Wobei man nicht genau weiß, wer bei einem Kampf der beiden unterliegen würde. Gut, dass es da noch diesen Überraschungsgast gibt, der schlichtet, hier aber nicht verraten wird. Doch am Ende wird noch ein weiterer Superschurke geboren, da helfen auch Black Cat’s eindringliche sozialarbeiterliche Worte nichts. „The Evil that Men Do“ ist der Originaltitel dieser Story, die nicht nur aufgrund ihrer schönen Aufmachung im Hardcover mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Geheimtipp!

Kevin Smith

Spider-Man/Black Cat: Das Böse in dir
Zeichner: Rachel Dodson, Terry Dodson
Storys:Spider-Man/Black Cat: The Evil That Men Do 1-6
2020, Hardcover, 164 Seitenzahl
ISBN: 9783741616464
25,00 €
Panini


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Die Infantin trägt den Scheitel links

Die Infantin trägt den Scheitel links: Die Demontage eines Heimatidylls in den Salzburger Bergen ist einer neuen, jungen und auch experimentellen Sprache verfasst, die man gerne als Expressionismus bezeichnen würde, wäre da nicht schon diese Malerei. Immerhin Nitsch und Pollock kommen auch vor, aber eigentlich geht es um eine ganze andere Familie, die Anti-Trapp Familie vielleicht. Helena Adler stellt Klischees ihrer Heimat auf den Kopf und sie hat dabei (auch noch) sichtlich Spaß. Denn in der Rolle ihres kleinen Mädchen-Ichs lassen sich leicht ein paar Tabus brechen. Ein Wimmelbild nach Pieter Bruegel?

Anti-Trapp-Idylle einer Anti-Alpen-Heidi

Da wäre einmal ihr unbändiger Hass gegen ihre beiden älteren Zwillingsschwestern und ihre Abneigung gegen ihre frömmelnde, bigotte Mutter und einen Vater mit einem fatalen Hang zu Alkohol. Selbstverständlich ist diese Konstellation nur eine sprachliche Verdichtung ihrer tatsächlichen Kindheit, denn natürlich war alles eigentlich gar nicht so schlimm. Damals. Immerhin gab es Bechertelefone, die man jederzeit unterbrechen konnte, denn man muss ja nicht immer erreichbar sein, wenn man gebraucht wurde. „Es ist die Zeit, als Jeanny im Radio rauf und runter gespielt wird. Quit livin’ on dreams.“, schreibt Adler, aber auch sonst erwähnt sie viel Kram aus den Neunzigern, etwa Schwarzenegger oder Knight Rider und natürlich MacGyver. „Der Lauf der Filmgeschichte entspricht der Chronologie der Filmgeschichte“, schreibt Adler an einer Stelle. Was konnte man am Land auch anderes tun, als den eigenen „Staubmagneten“ und „Versorger des Herzens“ zu lieben?

Infantin: Arabeske und Attitüde

Ihre Eltern konnten ihr wohl nicht genug Unterhaltung sein: „Meine Mutter rastet nicht, habe ich immer geprahlt. Und wenn sie rastet, dann rastet sie aus.“ Da hilft es manchmal, aufgeblasene Luftballons als Sauerstoffspender unter dem Bett aufzubewahren. Früher wohnten da noch Krokodile. „Der Unterschied zwischen dem und Holz ist der, dass Holz arbeitet“, meint der Vater. Die zitierten Kalendersprüche, die wir alle aus unserer Kindheit kennen, werden von Adler mit viel Sprachwitz und Situationskomik konterkariert. Es geht mehr um das Vergnügen an der Sprache und am Lesen als um eine Handlung. Und die richtigen Eltern müssen auch nicht wirklich beleidigt sein. Die rasante Abhandlung ihrer Kindheit strotzt manchmal vor banalen Obszonitäten, dann wieder wird Absurdes gereicht: Die Schwarze Anna führt eine offene Beziehung mit Prinz Valium, den sie als ihre Mätresse bezeichnet. Sie sucht einen Mann, der ihr keine Toblerone reicht, sondern die Pyramiden mit Schokolade überzieht. Ahja und für die Bildungsbürger ist auch etwas dabei: jedes Kapitel des gerade mal 150 Seiten starken Büchleins ist mit Zwischenüberschriften übertitelt, die von malerischen Werken europäischer Künstler stammen. Tatsächlich keine Frau dabei, deswegen kein –innen.

Helena Adler

Roman
2020, 176 Seiten, gebunden mit SU

ISBN: 978-3-99027-242-8

€ 20,-

Jung und Jung


Genre: Jugend, Kindheitserinnerungen, Roman
Illustrated by Jung und Jung