Ava – Die barfüßige Gräfin 

Ava – Die barfüßige Gräfin. Ava Gardner, die Hollywood-Diva der Frühzeit, steht ganz im Mittelpunkt dieses Biocomics, das sie zur Zeit ihres größten Erfolges, “Die barfüßige Gräfin“, zeigt. Auf Primo-Tour in Südamerika macht sie Station in Brasiliens pulsierender Metropole der 1950er Jahre.

Ava: Sabotage durch Howard Hughes

Die Schattierungen der Iris variieren je nach Stimmung: graugrün, wenn die Melancholie sie überfällt, smaragdgrün, wenn Frank Sinatra – ihre einzige, heftige Liebe – in der Nähe ist, saphirblau an Abenden, an denen sie sich betrinkt.” Mit diesen Worten beschreibt Elisabeth Gouslan, Autorin von “Ava, la Femme qui amait les hommes” ihre Ava in ihrem Geleitwort zu vorliegender herausragender Comic-Biographie. Die Leinwandgöttin Ava soll in Rio de Janeiro Werbung für ihren neuen Film “Die barfüßige Gräfin” machen. Aber die zwei Promo-Tage sind ein Wechselbad aus Fanjubel, Skandalen, Presserummel, Rausch und Tränen. Ava dient als Projektionsfläche für Fantasien und Interessen aller Beteiligten, aber eines Morgens will sie nicht mehr mitspielen. Denn es geht das Gerücht, dass ein gewisser Howard Hughes, der wohl reichste Mann der damaligen Welt, alles tut, um ihren Film und die damit verbundene Promotion zu zerstören. Als ihr Presseagent vor Ort verhaftet wird und sie am Flughafen beinahe von ihren Fans zertrampelt wird, ahnt Ava Gardner schon, dass Rio kein Honiglecken werden wird.

Ava Gardner- der Gottesbeweis

Sie kommt in ein Land deren Präsident sich vor zwei Wochen erst selbst gerichtet hat und die Bevölkerung ist keineswegs in guter Laune. “Diese Stadt deprimiert mich, Rene. Ich brauche einen Drink“, sagt Ava zu ihrer Concierge, sich vor dem Spiegel die Haare bürstend. Bald wird auch Rene von einem aufsäßigen Liebhaber kompromittiert und vielleicht steckt selbst dahinter der durchtriebene Millionär, den Ava einfach nicht mehr daten will. Denn es gab schon einmal so ein Date, das in einem Desaster endete. Ava Gardners “erhabene Gleichgültigkeit“, wie ihr schwuler Presseagent es nennt, kommt bald erheblich ins Wanken. Bald ist auch die brasilianische Presse gegen sie, die ihr Hochnäsigkeit vorwirft nur weil sie das Hotel gewechselt hat. “Ihre Arroganz, ihr Alkoholismus und ihre Zügellosigkeit sind uns zutiefst zuwider. Sie bilden sich wunder was ein, dabei sind sie nur eine mittelmäßige Schauspielerin“, fasst es eine Zollbeamtin bei der Ausreise zusammen. Decio Vieira Ottoni, ein Filmkritiker sah das ganz anders: “Ava ist ein Gottesbeweis“, soll er einmal gesagt oder besser im Diario Carioca geschrieben haben. Moralische Vorstellungen sollten eben nie über der qualitativen Bewertung des Berufes einer Person stehen.

Die Zeichnungen von Ana Miralles zeigen Ava Gardner als fantastischen Gottesbeweis, eine klassische Hollywoodiva und Leindwandgöttin, schöner vielleicht sogar, als sie es in Wirklichkeit war. Vor allen Dingen aber zeigt Szenarist Emilio Ruiz, dass es eine Frau damals genauso so schwer hatte, wie heute gegen alte weiße Männer etwas auszurichten.

Emilio Ruiz
Ava – Die barfüßige Gräfin
Zeichnung: Ana Miralles · Szenario: Emilio Ruiz
2024, gebunden, 112 Seiten, Farbe
ISBN: 978-3-96582-166-8
Schreiber&Leser
€ 24,80


Genre: Biographie, Comic
Illustrated by Schreiber&Leser

David Bowie Band 2 : Low

David Bowie.Wir sind Helden, Du und ich,. Das ist unsere Bestimmung. Weil wir uns lieben. So ist das.” Nach “Starman“, dem Comic über David Bowie’s Ziggy Stardust Years legt der renommierte Comic Zeichner Reinhard Kleist ein weiteres Werk zum Pop-Musik-Chamäleon  vor, das sich mit seinen Berliner Jahren beschäftigt. Die sog. Berlin-Trilogie umfasste die drei Alben Low-Heroes-Lodger.

Bunter Bilderreigen zu Bowies Berliner Boheme

Low” ist vielmehr auch ein Gefühl, denn Bowie kam ziemlich ausgebrannt in das immer noch ausgebombte Berlin der 1979er Jahre. Er hatte sich in Los Angeles die Nase etwas zu voll genommen und versuchte ausgerechnet im Inselstaat West-Berlin von seiner Sucht loszukommen. Mit dem sehr treffenden Nietzsche-Zitat “Verbrennen musst du dich wollen/in deiner eignen Flamme/wie wolltest du neu werden,/wenn du nicht erst Asche geworden bist!” findet Reinhard Kleist einen passenden Anschluss an sein Vorgängerwerk zu Bowie, Starman, der auch immer wieder in “Low” auftaucht: zumeist im Spiegel. Den Sound des neuen Albums “Low” definiert einer der Toningenieure im vorliegenden Comic mit den Worten: “fremd, zerrissen und brüchig, ein vom Übergang des Hedonismus des amerikanischen Rock, mit all seiner selbstzerstörerischen Macht hin zu etwas, von dem ich noch nichts weiß“. Der Sound der Stadt war sicherlich auch auf dem Album zu hören, aber auch seine neu entflammte Liebe zu einer gewissen Romy definierte Bowie’s Zeit in Berlin. “Plastic Soul” nannte er selbst seine neu erfundene Musikrichtung bei der ihm vielleicht auch sein US-amerikanischer Busenfreund Iggy Pate stand. Aber auch das Brücke-Museum mit seiner expressionistischen Dauerausstellung soll einen wichtigen Einfluss auf David Bowie gehabt haben, dort soll er die meiste Zeit verbracht haben.

David Bowie in Berlin: Oblique Strategies

Ziggy Stardust, Starman, Halloween Jack, der Thin White Duke zu David Bowie: “In Berlin bin ich endlich wieder unter echten Menschen. Es ist so einfach, isch in Berlin zu verlieren und sich selbst zu finden“, lässt Kleist seinen Bowie sagen und führt ihn in einem bunten Bilderreigen durch die heutige Bundeshauptstadt Deutschlands und kurz auch in die ehemalige Hauptstadt der DDR, Ost-Berlin. Kleist gibt ihm dabei ein Deck Karten in die Hand, die Oblique Strategies, die den Zufall zum Herrscher machen und seine Kreativität zu neuen Ufern emporschwingt. Am Ende des wunderbaren Bilderreigens trifft Bowie auch auf Christiane F und die beiden umarmen sich als King und Queen wie in dem Song Heroes mit Krone. Aber Reinhard Kleist spart auch das traurige Ende David Bowies als “Black Star” nicht aus und zeigt in einer wunderbaren Rückschau die verschiedenen Charaktere die Bowie darstellte als großangelegte Bilderrevue. Der gestrandete Starman etwa, der in einem Wald seine Wunden leckt, wird zum Sinnbild Pop-Chamäleons, der unser Leben mit so vielen wunderschönen Songs bereicherte. Ebenfalls bei Carlsen erhältlich: Low – Luxusausgabe (59,00 €) und Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years (25,00 €).

Reinhard Kleist
David Bowie Band 2 : Low
2024, Hardcover, 176 Seiten, Größe: 201 mm x 266 mm, ab 10 Jahren
ISBN: 978-3-551-79363-8
Carlsen Verlag
25€


Genre: Biographie, Comic
Illustrated by Carlsen Comics

Nur noch kurz die Welt sehen

Heinz Stücke – 51 Jahre nonstop mit dem Fahrrad unterwegs, 648.000 Kilometer, 196 Länder. – Es kann kaum jemanden geben, der bei diesem Titel und vor allem dem Untertitel nicht kurz innehält. Falsch gelesen? Kann das sein?

Und ja, das gibt es in der Tat. Heinz Stücke aus Hövelhof in Ostwestfalen heißt der die Welt umrundende Radfahrer in dieser unglaublichen, aber doch wahren Geschichte. Er ist der unstrittige und alleinige Held des Buches. Oder ist er vielleicht eher der Anti-Held? Wie sagt ein Fahrradhändler aus Hongkong über ihn: „Heinz ist kein außergewöhnlicher Mensch, aber er hat Außergewöhnliches geleistet“. Er ist offensichtlich ein eher einfacher Mensch und ist das auch bis ins hohe Alter geblieben, vielleicht ein Held wider Willen. Natürlich muss er sich unterwegs vermarkten, muss in allen Herren Ländern Dia-Vorträge halten, um zu überleben und natürlich liebt er es mit Menschen bei einem Bier (oder mehreren) Smalltalk zu halten. Aber dann ist er im „Dazwischen“, zwischen Aufregungen, Highlights und Abenteuern, wieder sehr oft und sehr gerne alleine („aber nie einsam“).

Die lebensphilosophischen Kernsätze des Heinz Stücke aus Westfalen sind an einer Hand abzuzählen.

„Man muss ohne Komfort leben können und auch ohne Familie. Man muss früh anfangen, bevor man Verantwortung hat und bevor man ein Sklave seiner Umgebung geworden ist.“

Er hat den rechtzeitigen Absprung geschafft. Mit 23 Jahren ist er Ende 1962 gestartet (mit 300 US-Dollar Startkapital in der Tasche), mit 74 Jahren ist er 2014 wieder in die alte Heimat zurückgekehrt.

Wie kann man sich über diese lange Zeit motivieren? „Links, rechts, links. Treten, treten, treten“. Aber da ist auch eine stete Sehnsucht nach weiteren Reisen, nach dem Neuen, noch mehr oder besser sogar alles zu sehen. Und eine Abneigung ins heimische Umfeld als Werkzeugmacher zurückzukehren. Die Aversion ist so groß, dass er eine Art von Familientreffen in den Niederlanden stattfinden lässt, nur 200 Kilometer vom Heimatort entfernt. Die Fremde ist zur Heimat geworden.

Wie er sich über all die Jahre finanziert hat? „Möglichst wenig ausgeben!“ Logischerweise reicht dies nicht aus, auch wenn man 51 Jahre ohne festen Wohnsitz überwiegend im Zelt lebt, aber zum Glück gibt es unterwegs immer wieder Einladungen zum Essen und Übernachten, Spenden und Sponsoren und Einnahmen aus Vorträgen und dem Verkauf seiner Fotografien. Heinz Stücke scheint nicht der Mann der tiefschürfenden Worte zu sein. Dafür hat er seine Kamera, mit der er die Welt wahrnimmt und seine Eindrücke mit beeindruckendem Geschick und bewegenden Blickwinkeln und Arrangements für die Ewigkeit festhält. Diese Fotografien sind die absoluten Höhepunkte im Buch.

Festgehalten werden muss, dass es nicht das Buch, nicht die Autobiografie des Abenteurers Heinz Stücke ist, sondern das Buch der Journalistin Carina Wolfram über Heinz Stücke. Carina Wolfram schreibt überwiegend für ein Radmagazin übers Radfahren.

Zu Beginn betont sie, dass die Arbeit an einem Buch über Heinz Stücke genauso wenig gradlinig verlaufen kann, wie die 51-jährige Radreise des Protagonisten. Ohne Zweifel richtig. Sie konnte der Fülle an Material leider bis zum Schluss nicht wirklich Herr/Frau werden. Phasenweise blitze etwas von einer Chronologie auf, dann wechselte sie in Schwerpunktthemen, die aber mehr als willkürlich aneinandergereiht wurden und den Logik-Test „Was passt nicht in die Reihe?“ fast alle nicht bestehen würden.

Gewünscht hätte man sich als Leser, dass es zumindest am Anfang einen kurzen zeitlichen Abriss in Stichworten oder als Grafik gegeben hätte, um sich im weiteren Verlauf des Buches an dieser Chronologie zu orientieren, einzelne Episoden besser einordnen zu können. Da liest man überrascht, dass der Welt-Radler etliche Male in London und Hongkong war, dass er mit dem Round-the-World-Ticket um die Welt geflogen ist und denkt hoppla, wie integriere ich denn nun diesen „Stilbruch“ in mein 51-Jahre-Nonstop-Radeln-Bild?

Schaue ich als Globetrotter und Nomade auf dieses Leben, so bin ich davon überzeugt, dass im Weltbürger Heinz Stücke eine solch unglaubliche Eindrucksfülle bestehen muss, dass es ihm die Brust zerreißen und den Kopf zum Bersten bringen könnte. Vielleicht ist Heinz Stücke aber gar nicht in der Lage, all die spannenden Aspekte und Dimensionen zu artikulieren. Dann ist es um so betrüblicher, dass es der Autorin trotz allem Respekt für die Herkulesaufgabe nicht gelang, all das herauszulocken und es zu verbalisieren. Gewünscht hätte man sich mehr Makro-Szenen, mehr Tiefgang, mehr Emotionen, mehr Einblicke in die Psyche dieses ungewöhnlichen Exemplars aus der Gattung Mensch. Nur seine gelegentliche „Wut“ war einer Erwähnung wert. Gab es auch die sensible, nachdenkliche Seite des Radfahrers jenseits des stumpfsinnigen Tretens? Das Zitat „Sich-Verlieben ist eine Dummheit“ und der kurze Verweis auf eine Beziehung zu einer Frau in Belarus sind leider recht blutleere Andeutungen. Da wäre mehr spannend gewesen. Dafür hätte man gerne auf ein relativ sinnloses und die Oberflächlichkeit akzentuierendes Interview mit einem jüngeren Weltumradler verzichten können.

Am Ende des Buches bleibt das, was alleine schon durch Titel und Untertitel im Leser ausgelöst wurde – Faszination für diesen horizontsüchtigen Mann, sein Eintauchen in fremde Länder und Kulturen und sein Leben abseits der Norm. Ein Individuum, ein Unikum, ein Gegenpol zu Tradition, Konvention, Bausparvertrag, Reihenhaus und Unfallversicherung. Nichts für jeden, aber tief drinnen schlummert es öfter als man denkt.


Genre: Biographie, Biographien, Briefe, Kurzgeschichten und Erzählungen, Memoiren, Reisen
Illustrated by Delius Klasing

Beth Chatto Mein Leben für den Garten

Bei unserem Besuch in den Gärten von Beth Chatto und Christopher Lloyd (Christo) entdeckte ich das Buch Dear Friend and Gardener, die Korrespondenz der beiden, die, wie sich dann herausstellte, nur von 1996 und 1997 währte. Darin schwärmten sie von ihrem gemeinsamen Reisen in den vergangenen Jahrzehnten. Darüber wollte ich mehr lesen. Und dann war da noch etwas:

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Genre: Biographie
Illustrated by Ulmer

Kafkas Familie. Ein Fotoalbum

Kafkas Familie. Ein Fotoalbum. Vor 100 Jahren starb Franz Kafka an einer Lungentuberkulose im Sanatorium in Kierling, Österreich, kurz vor seinem 41. Geburtstag. Zum traurigen Jubiläum erscheint eine Vielzahl an Kafka Publikationen in den unterschiedlichsten Verlagen und in vielen Ausführungen. “Kafkas Familie. Ein Fotoalbum” sticht heraus und zeigt den Einzelgänger als Familienmenschen, der er zwar nicht sein wollte, aber dennoch war.

Kafka, der (Anti-)Familienmensch?

…sonst hätte sich ja das gewöhnlichen Denken der Sache bemächtigt und mir auch andere Männer gezeigt, welche anders sind als Du (…) und doch geheiratet haben und darunter wenigstens nicht zusammengebrochen sind, was schon sehr viel ist und mir reichlich genügt hätte“, schreibt Franz über seinen Onkel Richard Löwy, nachdem er noch sehr viele andere Ähnlichkeiten zu ihm festgestellt hatte. In einer Tagebucheintragung vom 4. September 1912 bedauert der leidgeprüfte Autor: “Ich gehe nachhause und bedaure nicht geheiratet zu haben. Natürlich verwischt sich das wieder, sei es, daß ich es zu Ende denke, sei es daß sich die Gedanken verlaufen. Aber bei Gelegenheit kommt es wieder.“, fügt er kryptisch hinzu und meint sein Onkel Alfred Löwy in Spanien sei ihm “der nächste Verwandte, viel näher als die Eltern, aber natürlich nur in einem ganz bestimmten Sinn“. Aber Kafka ist zwar ebenso unverheiratet geblieben, aber an weiblicher Aufmerksamkeit fehlte es ihm dennoch nicht. Abgesehen von seinen drei Schwestern war da noch seine Mutter und seine Freundinnen Milena Jesenská, Felice Bauer, Dora Diamant u.a.

Lärm aus allen Räumen

Gewohnt hatte der Autor der Weltliteratur – bis auf die letzten Monate – aber immer bei seinen Eltern über die er sich gerne beschwerte: “Lärm aus allen Räumen” heißt es da über die gemeinsame Wohnsituation, in der er entweder versuchte einen Mittagsschlaf zu halten oder schlichtweg nachts, wenn er versuchte zu an seinen Werken zu arbeiten. Tagsüber war er in der Versicherung. Aber wie die vorliegende Erzählung bestätigt, war Franz Kafka durchaus auch viel auf Reisen. Bei einem dieser Ausflüge besuchte er auch den Wiener Prater, wovon eine abgedruckte Postkarte zeugt. Franz Kafka ist darauf in einem Kulissenflugzeug zu sehen. Neben ihm Albert Ehrenstein, Otto Pick und Lise Weltsch, im Hintergrund das Wiener Riesenrad. Das vorliegende Fotoalbum zeigt Kafka umrahmt von seiner Großfamilie. Das erste Kapitel widmet sich Julie und Hermann, dann Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, die Familien der drei Schwestern, Kafka auf Ausflügen und Reisen, in der Sommerfrische und im Sanatorium.

Kafkas Familie. Ein Fotoalbum

Jedes Kapitel wird vom Herausgeber eingeleitet und die Fotografien werden mit passenden Zitaten aus dem Werk oder aus Briefen Kafkas ergänzt. Das letzte Kapitel widmet sich dem wohl traurigsten Kapitel aus Kafkas Leben. In “Was aus Kafkas Familie wurde” werden die Lebensläufe der Verwandten nachgezeichnet, jene, die zur Flucht vor dem Nationalsozialismus gezwungen wurden und auch jene, die in Konzentrationslagern zu dessen Opfer wurden. Insgesamt sind es mehr als 100 Fotografien der Familie Kafka, von denen ein großer Teil bislang unveröffentlicht blieb. Die Fotos zeigen den Autor der “Verwandlung” und seine Verwandtschaft – in der Stadt, in der Sommerfrische aber auch fein zurechtgemacht im Fotoatelier. Die Nachkommen der Schwestern haben einige der Fotos aufbewahrt, die nun erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Der Herausgeber Hans-Gerd Koch hat im Verlag Klaus Wagenbach in der SALTO Reihe u.a. auch “Kafka in Berlin” veröffentlicht. Er gilt als Spezialist von Franz Kafka und der Prager deutschen Literatur.

Hans-Gerd Koch (Hrsg.), Franz Kafka
Kafkas Familie. Ein Fotoalbum
Mit Texten von Franz Kafka
2024, Sachbuch, 208 Seiten. Mit etwa 100 Fotografien
ISBN 978-3-8031-3738-8
Wagenbach Verlag
38,– €


Genre: Biographie, Deutsche Literatur, Fotobuch
Illustrated by Wagenbach

Voyage, Voyage. Eine Reise durch die französische Popmusik

Voyage, Voyage. Sommerlektüre für den Sommer 2024: voyage, voyage. Der Kulturjournalist und Buchautor André Boße widmet sich darin auf mehr als 300 Seiten der französischen Pop- und Rockmusik. Von den Hits der Yéyé-Jahre über French Pop und Nouvelle Chanson bis hin zu Rock, Electro, Hip-Hop, und Raï. Mit dabei sind u.a. Jane Birkin, Jacques Dutronc, Mylène Farmer, Serge Gainsbourg, Françoise Hardy, MC Solaar, Vanessa Paradis, Zaz und viele andere mehr.

Voyage, Voyage: Nicht nur Chanson(s)

Der Musiktitel auf den der Buchtitel anspielt stammt von “Desireless”, zweifellos einer der beliebtesten französischen Popsongs in Deutschland, wie Boße anmerkt. Es geht darin um nichts anderes als eine Reise, eine Reise zu sich selbst. Ganz so wie der Autor auch in seine eigene Vergangenheit abtaucht, denn damals, als der Hit rauskam, war er gerade 13 und – natürlich – im Frankreich-Urlaub. “Das Herz von `voyage, voyage´ schlägt in Moll“, schreibt er und trifft damit den Punkt, was genau die französische Popmusik so speziell macht: die Melancholie. Fishbac, eine Sängerin dieser Szene drückte es in einem Interview mit dem Autor einmal so aus: “Die Melancholie ist ein bestimmendes Moment unserer kulturellen Identität, das zeige sich auch im französischen Kino und in der Literatur. Während im deutschen Schlager der Trost und bei den Songs des `Great American Songbook´ Träume vermittelt werden.” Einer der herausragendsten Vertreter des Genres ist zweifellos Serge Gainsbourg, sozusagen der Gran Maestro des französischen Pops, auf den sich einige Jahrzehnte auch der Rapper MC Solaar bezog: “Il était une fois dans l’Ouest encore sauvage/Un peintre armé de lettres, un vrai tueur-à-gage…“. Von Pop zu HipHop, Rai, Folk, Chanson, Pop, Rock und Punk reicht auch das Repertoire der vorliegenden Monographie zur Musik des liebsten deutschen Nachbarlandes, Frankreich. Natürlich stehen diese Musikrichtungen nicht ausschließlich für Melancholie, sondern im Gegenteil, auch für sehr viel gute Laune, Sonne, Strand und Meer. Nicht zuletzt wegen des “savoir vivre” wird Frankreich ja auch weltweit so bewundert.

Schmelztiegelsound der Vororte und mehr

Unvergesslich sind natürlich auch die Beiträge von Vladimir Cosma. Mit der Filmmusik zu “Alexandre, der Lebenskünstler” reüssiert er, um dann mit “La Boum – die Fete” durchzustarten und: abzuheben. Die beiden Lieder der ersten zwei Teile werden zu echten Gassenhauern und ohne sie hätte es wohl auch keine La Boum Génération gegeben, wie Boße betont. Immerhin 27 Millionen mal haben sich “Reality” und “Your Eyes” verkauft, allerdings – möchte man bemerken – wohl vor allem darum, weil sie auf englisch und nicht auf französisch gesungen werden. Die Geschichte der deutschen Singlecharts spricht dafür eine andere Sprache. Drei Lieder schafften es dort auf Platz eins: das bereits erwähnte titelgebende “Voyage, Voyage“, “Alors en danse” von Stromae und “Ella, elle l’a” von France Gall. Wer es lieber düsterer hat, wird sich bei Alain Bashung (“Novize”) oder Arno wohlfühlen, dem französischen Tom Waits. Sehr lebensbejahend und freundlich sind auch Les Negresses Vertes oder Les Rita Mitsouko, vor allem aber der Senkrechtstarter Manu Chao. Der Sänger von Mano Negra/Manu Chao wurde 1961 in Paris geboren. Der Sohn eines Intellektuellen, der vor dem Franco-Regime in Spanien nach Frankreich geflüchtet war, singt in “Patchanka”, dem Schmelztiegelsound der Vororte, also auf Französisch, Englisch, Spanisch. Eines der Schlusskapitel widmet sich auch den elektronischen Popphänomenen Daft Punk und Air. Mit “The Virgin Suicides” einem Soundtrack zu einem Coppola Film sei Air genau das gelungen, was die Kernkompetenenzen der französischen Musikkultur enthalte: “die verträumte, verschwommene Schwermut, in der trotz aller Traurigkeit auch ein wenig Hoffnung mitschwingt. Und sei es die Hoffnung auf den Tod“. Womit wir wieder bei der Melancholie wären, die offensichtlich ebenso zum Savoir Vivre gehört wie Sonne, Strand und Meer…

Boße, André:
Voyage, Voyage. Eine Reise durch die französische Popmusik
Originalausgabe
Klappenbroschur. Format 12,5 × 20,5 cm
2024, 352 S. · 27 Abb.
ISBN: 978-3-15-011468-1
Reclam Verlag
20,00 €


Genre: Biographie, Frankreich, Kunst, Monographie, Musik und Literatur, Popkultur
Illustrated by Reclam Verlag

Nirvana. 100 Seiten.

Nirvana. 100 Seiten

Nirvana. 100 Seiten

Nirvana. 100 Seiten. Am 8. April 1994 wurde die Leiche von Kurt Cobain in seinem Haus gefunden. Sein Todesdatum wurde auf 5. April vordatiert. Er hatte sich mit seiner Browning-Auto-5-Selbstladeflinte in den Mund geschossen. Im Abschiedsbrief zitierte er Neil Young: “It’s better to burn out than to fade away.”

Nirvana: Smells like …deodorant

Auch drei Dekaden nach dem Ende von Nirvana werden ihre Songs fleißig zitiert. Zuletzt etwa “Something in the Way” in The Batman (2022), “Rape Me” in der Erfolgsserie Succession (2018-2023) oder “Come as you are” in Captain Marvel (2019) und nochmals “Something in the Way” in der Serie Yellowjackets (2021ff). Der Leadsänger, der Sohn eines Automechanikers und einer Kellnerin, wuchs in Aberdeen, Washington, einem Kaff mit 20.000 Einwohnern auf, das hauptsächlich von der Holzwirtschaft lebte. Die Autorin beschreibt aber nicht nur den Hintergrund des Leadsängers und Texters von Nirvana, sondern auch jenes der anderen Mitglieder, denn wie sie betont, ist ihre Biographie eine der Band und nicht allein die des Sängers. Außerdem gibt es eigene Features zu den vier wichtigsten Alben von Nirvana, Fotos und nicht zuletzt eine Graphik, die zeigt, wie einflußreich Frauen für die Grunge-Band der Neunziger waren.

30 Jahre Todestag: Nirvana. 100 Seiten

Autorin Caldart unterstellt wiederum Kurt Cobain eine gewisse “Geschlechtsdysphorie”, die ihn auch zur Identifikationsfigur der späteren Queer-Bewegung macht.Immerhin trug er auch Frauenkleider, schminkte sich oder lackierte sich die Fingernägel. Das hatten – mit Verlaub – allerdings schon ein Mick Jagger oder David Bowie in den Siebzigern gemacht. In jedem Fall richtete sich Kurt’s Bestreben gegen den klassischen Rockdudemacho, der sich für ihn z.B. in Axl Rose verkörperte, worauf auch der Disput der beiden gründete. Vor allem das Verhalten von Rocktstars gegenüber Frauen störte Cobain. Böse Zungen behaupten zwar, dass er unter dem Pantoffel von Courtney Love, der Sängerin von Hole, stand, andere wiederum das Gegenteil. Verbürgt ist jedenfalls, dass Nirvana’s größter Hit einer Frau zu verdanken ist: Tobi Vail (Bikini Kill), die damals ein Deo namens “Teen Spirit” verwendete.

Grunge: zwischen Punk und Metal

Am 11. Januar 1992 geschah schließlich das Unmögliche. Das Album Nevermind verdrängte Michael Jacksons “Dangerous” von Platz eins er Billboard-Charts. Das war noch keiner Rockband gelungen, schon gar nicht einer, die in zerschlissenen Jeans und Holzfällhemden auftrat und sich um Konventionen wenig schiss. Dass “Smells like Teen Spirit” auf einem Riff von Bostons “More than a Feeling” beruhte, zeigte nur auf welchen Größen auch eine Band wie Nirvana aufbaute. Beim Reading Auftritt 1992 machten sie sich daraus einen Spaß und verarschten sich selbst mit einer gelungenen Persiflage. Auch das ist in Caldarts Biographie nachzulesen, die die Band zwar nie LIVE gesehen hat, dafür aber ein lebendiges Bild der Grunge-Ikonen in ihrer Reclam 100 Seiten Biographie auferstehen lässt. Nirvana waren so viel mehr als nur eine Band, denn sie veränderten nicht nur das Rockbusiness, sondern auch das Leben von Millionen von Jugendlichen. Umso fataler war wohl die Botschaft, die Kurt Cobain am 5. April 1994 aussandte: “It’s better to burn out than to fade away.

Man sollte sich seine Vorbilder eben mit sehr viel Bedacht aussuchen. Mir gefiel ein Zitat aus seiner eigenen Feder viel besser: “Youth has to challenge things“. Und dafür stand auch Grunge: ein Lebensgefühl zwischen Punk und Metal, between a rock and a hard place…

Caldart, Isabella
Nirvana. 100 Seiten
2024, broschiert. Format 11,4 × 17 cm, 100 S., 13 Abb. und Infografiken
ISBN: 978-3-15-020711-6
Reclam Verlag
12,00 €


Genre: Biographie, Rock
Illustrated by Reclam Verlag

Nachtfrauen

Nachtfrauen. Die beiden Geschwister Mira und Stanko stehen vor einer herausfordernden Aufgabe. Ihre Mutter ist alt und soll auf den Auszug aus ihrem Haus im kärntnerischen Jaundorf vorbereitet werden. Da weder Mira noch Stanko sich um sie kümmern können, wird es für die alte Dame zu gefährlich alleine zu leben.

Nachtfrauen: Verzeihen und Vergeben

Du wirst dich um Mutter kümmern müssen“, sagt ihr Bruder zu ihr. Aber Mira ist längst aus der Enge des Dorfes in die Weite der Großstadt Wien gezogen, wo sie einen Mann und eine Arbeit hat. Sie kann also gar nicht zurückkommen und sie will es auch nicht. Zwischen ihrer Mutter Anni und ihr bestehen immer noch Differenzen, die nun endlich durch einen neuen Besuch beseitigt werden könnten. So packt sie also ihre Koffer und reist zurück ins “Innere ihrer Kindheit“, wie sie sagt: “Sie konnte nicht einmal behaupten, in die Fremde zu reisen, wenn sie nach Hause fuhr, das würde ihr niemand glauben“.

Heimat und Sprache

Wenn sie ihr Dorf besucht, erwarten sie die üblichen Vorwürfe, die jeden “Abtrünnigen” treffen, der sich aufmachte, um ein anderes Leben in der Fremde zu finden. Weggehen kann schließlich jeder, das Schwierige ist doch zu bleiben. Sobald sie sich der Jauntalebene näherte, veränderte sich auch ihre Sprache und ihre Haltung, denn der slowenische Dialekt, den sie in Wien nie benutzt, bestimmt nun auch ihr Denken und Handeln. Die Sprache ihrer Kindheit ist auch die Sprache ihrer Verluste, “über die Mira sich selbst nicht recht im Klaren war“. Eine davon ist ihre Jugendliebe Jurij, dem sie prompt in Jaundorf begegnet.

Schweigen (Klage), Geheimnis (Tat)

Einen interessanten Zugang findet Mira auch zur Wahrheit: “(…) dass es vielleicht besser ist angelogen zu werden, nicht die Wahrheit zu wissen. Wir wollen den anderen immer nackt vor uns sehen, nackt und durchschaubar, das ist doch demütigend, es geht doch darum, miteinander auszukommen oder nicht?”, stellt sie Jurij die Frage der Fragen. Auch er, der bewusst Slowene ist, hat darauf eine Antwort. Denn lange galt die Zweisprachigkeit der Region als Makel, auch darüber schreibt Maja Haderlap im ersten Teil ihres Romans Nachtfrauen, der von drei Generationen Frauen erzählt. Der erste ist ganz Mira gewidmet, der zweite, kürzere Agnes und Anni, also Großmutter und Mutter. Der erste Teil ist eine Erzählung und ein Dilemma, wie es nicht besser formuliert werden könnte. Denn das Zerwürfnis mit ihrer Mutter beruht auf einem Unfall bei dem ihr Vater zu Tode kam.

Bedrängte (Nacht-)Frauen

Dieses Unglück schwelte lange zwischen ihrer Mutter und ihr und vergiftete die Beziehung, dabei war sie damals noch ein Kind und konnte gar nichts dafür, was geschah. Schuldgefühle waren es vielleicht auch, die Mira nach Wien vertrieben, aber immerhin war sie auch die erste Frau, die ihr Dorf verließ. Das tat sie auch für die anderen Frauen, die, die zurückblieben. Denn die alleinstehenden Frauen in Jaundorf litten am meisten unter den zudringlichen Händen der Männer. Aber damals galt die Schweigsamkeit einer Frau noch als noble Eigenschaft und so beschloss auch sie, lieber zu schweigen. Ein Schweigen, das vielleicht mit diesem Roman durchbrochen wird. Stellvertretend für all die Schweigenden.

Ein Roman über Zugehörigkeit, Erinnerungen, Verlust und Entscheidungen, die das Leben beeinflussen. Aber auch ein Roman, der Mut macht, darüber zu sprechen, was unaussprechlich ist.

Maja Haderlap wurde in Bad Eisenkappel / Železna Kapla (Kärnten) geboren. Sie veröffentlichte Lyrik in slowenischer Sprache, ehe sie für einen Auszug aus ihrem Romandebüt Engel des Vergessens 2011 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Weitere renommierte Preise folgten, wie der Max Frisch-Preis 2018 oder der Christine Lavant Preis 2021. Nachtfrauen ist ihr erstes Buch im Suhrkamp Verlag und stand auf der Shortlist für den Österreichischen Buchpreis 2023.

Maja Haderlap
Nachtfrauen. Roman
2023, fester Einband mit Schutzumschlag, 294 Seiten
ISBN: 978-3-518-43133-7
Suhrkamp Verlag
24,00 €


Genre: Biographie, Frauen, Frauengeschichte, Roman, Slowenen, Zweiter Weltkrieg
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Die einzige Frau im Raum

Die einzige Frau im Raum. In der Reihe “Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte” sind von derselben Autorin schon Biografien zu Lady Churchill, Mrs Agatha Christie, Frau Einstein u.a. erschienen. In vorliegendem Briefroman erzählt sie die Geschichte der Schauspielerin und Erfinderin Hedwig Eva Maria Kiesler besser bekannt als Hedy Lamarr.

Ikone der Frauenbewegung

“Lady Bluetooth” wurde sie in einer Ausstellung, die ihrem Lebenswerk gewidmet war, genannt. Ihre Zusammenarbeit mit dem Komponisten George Antheil wurde mit dem Ergebnis frequency hopping gesegnet. Dieses frequency hopping stellte die Grundlage für das heutige wifi zur Verfügung. Lamarr wollte es während des Krieges auch der US-Armee zur Verfügung stellen, um Torpedos abzuwehren, allein, die amerikanischen Betonköpfe waren nicht intelligent genug das Potential ihrer Erfindung zu erkennen. Und so ging Hedy Lamarr vorerst als “schönste Frau der Filmgeschichte” in die Annalen ein, bis sich findige Journalist:innen mit ihrem Vermächtnis genauer auseinandersetzten. Ein Ergebnis war auch der Film “Calling Hedy Lamas”, der in Zusammenarbeit mit ihrem Sohn Anthony Lauder entstanden war. Oder später auch “Bombshell”, eine Dokumentation über ihre beiden Karrieren vom ersten Nacktmodell der Filmgeschichte zur Ikone der Frauenbewegung als Erfinderin.

Hedy Lamarr Forever

Marie Benedict widmet sich Hedy Lamarr, die durch ihre Heirat mit einem österreichischen Waffenhändler Zugriff auf die Pläne des Dritten Reichs erlangte. Ein Wissen, das sie später nutzte, um an der Seite der Alliierten zu kämpfen. Im Jahr 1937 verließ sie ihren gewalttätigen Ehemann und floh über Paris und London nach Hollywood. Dort wurde sie zu Hedy Lamarr, dem weltberühmten Filmstar. Was keiner wusste: Sie war Erfinderin. Und sie hatte eine Idee, die dem Land helfen könnte, die Nazis zu bekämpfen und die moderne Kommunikation zu revolutionieren. Wenn ihr nur jemand zugehört hätte. Der Hype um die schönste Frau der Welt mit Köpfchen reißt also auch mit diesem Briefroman nicht ab. Denn nach einem nach ihr benannten Wissenschaftspreis, einem Theaterstück von Peter Turrini, einem Song von Johnny Depp über sie, zwei Dokumentationen, einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof, was kann da noch kommen? Als Ikone der Popkultur gilt sie übrigens auch spätestens nach der Adaptation als Catwoman in der Comicwelt, wie alte Zeichnungen beweisen. Auch Anne Hathaway berief sich auf Lamarr für ihre Interpretation von Catwoman. Oder Disney’s Snow White? Was kann da also noch kommen? Naja, vielleicht das WonderWoman Hedy Lamarr spielt? Sehen Sie hier selbst!

Marie Benedict
Die einzige Frau im Raum. Roman
Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte, Band 4
Übersetzt von: Marieke Heimburger
2023, KiWi-Paperback, 304 Seiten
ISBN: 978-3-462-00492-2
Kiepenheuer & Witsch


Genre: Biographie, Briefe, Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

The Addams Family – Das Familienalbum

The Addams Family. “Man sagt, unter uns ist niemand, in dem kein Roman steckt.” Morticia, Gomez, Lurch, das eiskalte Händchen, Onkel Fester, Granny Frump und die lieben Kinderlein Pugsley und Wednesday: das ist die Addams Family! 1600 veröffentlichte Arbeiten gibt es von Charles Addams (1912-1988), die andere Hälfte liegt in privaten Händen oder Sammlungen.

Fröhliche Schauer des Gruselns

Für »The Addams Family: Das Familienalbum« hat Kevin Miserocchi etwa 200 Cartoons zusammengetragen und mit liebevollen Einführungsstories versehen, selbstverständlich für Fans und Neulinge gleichermaßen aufregend. Denn dass die zweite Staffel von “Wednesday” dieser Tage bei Netflix online geht, wäre ohne das Talent und die Inspiration von Charles unmöglich gewesen. Er war es, der die außergewöhnlichste Familie der Welt salonfähig gemacht hat. Die zwischen 1964 und 1966 ausgestrahlte Serie mit vierundsechzig Folgen, die Kinofilme und schließlich Wednesday für die Next Generation schafft Verbindendes zwischen inzwischen drei Generationen. Aber widmen wir uns doch als erstes gleich den beiden lieben Kinderlein, die so alles andere als artige Gesellen sind. Pugsley, der Bruder von Wednesday, hätte ursprünglich “Pubert” heißen sollen, aber dieser Name war eher eine Bezeichnung seines Tuns und wurde von den Produzenten einhellig abgelehnt.

The Addams Family – Das Familienalbum

Da wurde eben Pugsley, ein Fluß in der Bronx zum Namensgeber. Er sitzt vor seiner Spielzeugeisenbahn und lenkt prompt einen Schulbus Kinder auf die Geleise. Auf einem anderen Cartoon sieht man wie er sich hinter einem Busch eine Haiflosse anzieht, während die anderen Kinder im Fluß schwimmen. Aber auch Lurch hat ähnliche Ambitionen. Der zwei Meter Riese ist der wortlose Butler der Familie und kidnappt auch schon mal die kleine Wednesday bevor er sie in den vorbeifahrenden Schulbus wirft. Da ist Granny Frump (dt.: Vogelscheuche) geradezu harmlos, die meiste Zeit rührt sie mit einem Kochlöffeln in einem Gifttopf. Oder holt für ihre Enkerl Weihnachtskekse in Fledermaus- und Totenkopfform aus dem Feuer.

Eine Familie zum Fürchten

Einer der wohl am meisten geliebten und gleichzeitig fiesesten Charaktere ist sicherlich Onkel Fester. Da die Kinder alle anderen Erwachsenen ohnehin Tante oder Onkel nennen, heißt dies nun aber nicht, dass sie irgendwie verwandt wären. Fester geht schon mal fischen (mit Dynamit) oder fährt im Karacho durch das Parkgaragentor – ohne zu zahlen natürlich. Unter der Dusche dreht er “scalding” (brühend) voll auf und öffnet schon mal die Büchse der Pandora an einem belebten Strand. In ein Vogelschutzgebiet fährt er mit einem Kofferraum voller Katzen… Ihm macht eigentlich nur noch das eiskalte Händchen Konkurrenz. Es ist kein Hausangestellter, aber dreht eventuell die Schallplatte um. Ein eigenes Kapitel ist auch anderen, weiteren Verwandten gewidmet. “Ich finde ja bei Strahlung vor allem die Gedanken be(un)ruhigend, dass is in künftigen Generationen zu Mutationen kommt”, meint abschließend Morticia vor dem Kaminfeuer. Und das ja Weihnachten vor der Türe steht, sei noch besonders auf den Cartoon auf der letzen Seite verwiesen, bei dem die versammelte Addams Family am Dach ihres Gruselhauses mit einem siedenden Öltopf steht. Unten vor dem Haustor: die liebe Verwandtschaft.

Köstliches Amüsement erwartet alle Familienmitglieder unterm Weihnachtsbaum mit diesem Familienalbum der Addams Family. Eine gelungene Hommage an einen der größten Humoristen Amerikas und seine berühmt-berüchtigte Schöpfung, die wohl liebenswerteste amerikanische Familie. Frohe Weihnachten!

Kevin Miserocchi (Hg.)
Charles Addams. The Addams Family – Das Familienalbum
Herausgegeben von H. Kevin Miserocchi
Übersetzt von Conny Lösch
2023, Hardcover, 224 Seiten
ISBN 978-3-95614-567-4
Verlag Antje Kunstmann
Euro 30,00 €


Genre: Biographie, Cartoons, Familiengeschichte, Horror
Illustrated by Verlag Antje Kunstmann

Boulevard der Helden

Boulevard der Helden. 30 biografische Geschichten von Erfolgsautor Michael Köhlmeier, die zuvor in einem Magazin der zugehörigen Verlagsmutter erschienen, sind hier in einem Buch versammelt. Sowohl berühmte Männer und Frauen stellt der Schriftsteller im Porträt vor und zeigt, was sie so außergewöhnlich macht(e). Mit dabei: Wilma Rudolph, Ignaz Semmelweis, Houdini, Mata Hari oder Marilyn Monroe und viele andere mehr.

Helden des Alltags/Albtraums

Die “Mutter Courage des Tabubruchs”, Beate Uhse, war eine der ersten Fliegerpilotinnen der Welt und flog sogar Einsätze für ein Regime, das Gottseidank ein schnelles Ende fand. Dennoch schaffte sie es, sich nach dem Krieg komplett neu zu erfinden indem sie eine Sexartikelshopkette eröffnete. Das verklemmte fast puritanische Nachkriegsdeutschland lernte durch Beate Uhse etwa den Coitus interruptus oder andere Verhütungsmethoden. Auch solche die wirklich funktionierten. In ihrer “Schrift X”, die man in ihren Shops für 50 Pfennig bekam, wurden Herr und Frau Bundesbürger aufgeklärt. Vielleicht bekam sie Jahrzehnte später dafür das Bundesverdienstkreuz? Köhlmeier erzählt pointiert und ohne viel Schnörkel die Geschichte der erfolgreichsten deutschen Unternehmerin und macht Lust auf noch mehr seiner Kurzbiographien, etwa “den Helden schlechthin”. Na, wer könnte da anderes gemeint sein als Humphrey Bogart himself? Köhlmeier beschreibt Bogey als King of Cool, als “Inbegriff der Coolness”, noch bevor es das Wort überhaupt gab. Er stellt ihn auf die Seite von Achill, dem wahren, ungebrochenen Helden, und nicht auf die Seite von Odysseus, dem verschlagenen, listigen Kerl. Das Lied “Don’t Bogart that Joint my Friend” bezieht sich – laut Köhlmeier – übrigens tatsächlich auf Humph. Er hätte sein Zigaretten schon nach ein paar Zügen ausgedrückt, was bei einem Joint doch schade gewesen wäre, so der Liedtext. Laureen Bacall, seine spätere Frau, hätte jedenfalls ordentlich gepfiffen.

Starke Männer und Frauen

Eine kleine Verbeugung vor einem alten Freund ist auch das Porträt über Bilgeri, das Köhlmeier hier vorlegt. Dieser hätte Bärenkräfte entwickelt, als sich in jungen Jahren ein Musikkollege (die beiden spielten damals in einer Band) unter einen Lastwagen legte, der Flügel bekam und abstürzte. Reinhold hätte mit seinen Pranken reingefasst und so ein Leben gerettet. Was wieder beweist, dass wir Menschen zu unglaublichen Taten fähig sind, wenn wir nur wollen. Übermenschliche Kräfte erforderte es wohl auch, als Rudi Dutschke seinen Attentäter in seiner Zelle besuchte. Die Kampagne die die Bildzeitung damals gegen den Studentenführer führte, hatte zu einem Schussattentat geführt, dem Rudi neun Jahre später erlag. Aber er konnte seinem Mörder noch verzeihen. Auch das wohl eine Heldentat im Maßstab Bilgeris. Aber auch unter Diskriminierung mussten viele Helden leiden, wie das Doppelporträt von Ella Fitzgerald und Norman Granz überdeutlich macht. Obwohl die Sängerin Begeisterungsstürme im Orpheum Theatre in New York ausgelöst hatte, durfte sie dort dennoch nicht auf die Toilette. Diese war – wie der ganze Konzertsaal im übrigen – den Weißen vorbehalten. In den USA herrschte damals noch Segregation. Und so wurde für Ella Fitzgerald extra ein Abort auf Rädern organisiert, der hinten im Hof abgestellt wurde.

Boulevard der Helden: 30 moderne Legenden

Michael Köhlmeier erzählt von Stil-Ikonen aus Kunst und Kultur sowie Legenden aus Musik, Sport, Wissenschaft und was sie ausmachte. Eines zeichnete aber wohl alle – ob Sportgrößen, Musiklegenden, Schach-Giganten und Glamour-Stars – aus: sie ertrugen demütig ihr Schicksal. Großes Lesevergnügen eines der besten Erzählerhelden unserer Zeit, Michael Köhlmeier bietet Hintertüren und -treppen zu seinen Ikonen, aber auch Trojanische Pferde. Ein Lesegenuss für Jung und Alt.

Michael Köhlmeier
Boulevard der Helden
2023, 224 Seiten / 120 mm x 200 mm
Benevento Verlag
€ 22.-


Genre: Biographie, Kurzgeschichten, Porträt
Illustrated by Benevento Verlag

50 JAHRE KISS

50 Jahre KISS. Der kanadische Journalist und Autor ist in Metalkreisen kein Unbekannter. Er veröffentlichte unter anderem Bücher zu Led Zeppelin, Deep Purple, Black Sabbath und Rainbow, aber auch regelmäßig Artikel für den Record Collector, Goldmine und den Metal Hammer. Mit 50 Jahre KISS wird sein Bekanntheitsgrad unweigerlich nach oben schnellen, gehört sie doch zu einer der beliebtesten Hardrock/Metal-Bands der Welt.

Illustrierte Biographie mit ausklappbarer Chronik

Über 300 Fotos und Abbildungen sowie Fotos und Abbildungen von Memorabilia durch die Jahrzehnte und alle Karrierestationen hindurch zeigt Martin Popoff in vorliegender großformatiger Coffee-Table-Edition, der ersten illustrierte Biografie der Band in Deutschland, so der Verlag. Die Zeitreise “50 JAHRE KISS” erscheint rechtzeitig zur angekündigten letzten Deutschland-Tournee der 1973 in New York gegründeten Superband. Natürlich kommen damit auch die fans der Band auf ihre Kosten, die sog. “Kiss-Army”, die schon mal auch kräftig beim Merchandise zulangt: Kiss Bikinis, Kiss-Kondome und Kiss-Särge. Aber das ist noch lange nicht alles! Paul Stanley, Gene Simmons (beide 73), Tommy Thayer (62) und Eric Singer (65) heizten bei ihrem Abschiedskonzert den Fans in der Arena ordentlich ein. Ein Event an das sich viele noch ein weiteres halbes Jahrhundert lang erinnern werden. Dass das letzte Konzert der US-amerikanischen Band ausgerechnet in Deutschland stattfand hat aber auch persönliche Gründe, die in vorliegender Biografie ebenso enthüllt werden, wie viele andere Geheimnisse. Warum zeigt Gene Simmons seine Zunge? Wie lang ist sie wirklich? Hat Paul Stanley deutsche Vorfahren? Diese und viele andere bedeutenden Fragen, werden von Martin Popoff mit links beantwortet. Das wirklich letzte Konzert der Band soll übrigens im Dezember in New York stattfinden. Dort, wo alles anfing. The End of The Road betitelte Tournee endet dort nach 3 Jahren Tournleben.

Abschiedstournee in derzeitiger Besetzung

Wie keine andere Band in der Musikgeschichte dürfen sich Kiss auch über Spitznamen freuen, die von ihrer Maskierung herrühren. So firmiert Paul Stanley schlicht als The Starchild, Gene Simmons schon wesentlich bedrohlicher als The Demon und die anderen Mitglieder als The Spaceman (Ace Frehley und später Tommy Thayer), The Catman (Peter Criss und später Eric Singer) und schließlich noch The Fox (Eric Carr) sowie The Ankh Warrior (Vinnie Vincent). Die diversen Umbesetzungen ließen das Gespann Stanley/Simmons aber stets unberührt und so sorgte das Gespann Starchild und Demon für Kontinuität. Eine vollständige Discocraphie der Band sowie eine ausklappbare Chronik der 50 Meilensteine sorgen zudem für Aufsehen in dieser umwerfenden Würdigung einer der kapitalsten Bands der amerikanischen Musikgeschichte. Mehr als 100 Millionen verkaufte Scheiben können nicht irren. Aber von wegen “End of the Road”: vielleicht kommt es ja doch noch zu einer Wiedervereinigung der Originalmitglieder der Band? Die Abschiedstournee bezog sich ja schließlich nur auf die derzeitige (oben genannte) Besetzung der Band. Schließlich ist man auch mit über 70 noch lange nicht zu alt für Rock’n’roll wie Mick Jagger & Co eben gerade bewiesen haben.

Martin Popoff
50 JAHRE KISS
Die illustrierte Biografie
Übersetzung: Matthias Breusch
Hardcover mit Schutzumschlag, 27 x 23,5 cm
2023, 192 Seiten, mit 6 Seiten ausklappbarem Mittelteil
Durchgehend farbig bebildert
ISBN 978-3-85445-767-1
Hannibal Verlag
€ (D) 35,00 / € (A) 35,00


Genre: Biographie, Rockmusik
Illustrated by Hannibal

Das Stefan Zweig Album

Das Stefan Zweig Album. “Stefan Zweig hat mich zu seinem dauernden Oberhaserl ernannt. Mehr will ich nicht, möge er sich ab und zu eines Unterhaserls erfreuen. Ich gönn ihm die Andere und ihn der anderen. Wenn ich nur immer sein Oberhaserl bin.“, vertraute Friederike von Winternitz ihrem Tagebuch im November 1916 an. Wegen ihm hatte sie sich scheiden lassen, schließlich war Stefan Zweig damals schon ein berühmter Schriftsteller dessen Texte auch international erschienen und übersetzt wurden. Und das Haus am Kapuzinerberg in Salzburg in dem sie mit ihm wohnte war auch nicht ohne.

Sternstunden eines Schriftstellers

Der Kurator und mehrfache Buchautor Oliver Matuschek zeigt in seinem “Familienalbum Stefan Zweig” sowohl private als auch professionelle Seiten des Schriftstellers. 1919 erschien etwa sein Drama “Jeremias”, das zeigte, dass “derjenige, der als der Schwache, der Ängstliche in der Zeit der Begeisterung verachtet wird, in der Stunde der Niederlage sich meist als der einzige erweist, der sie nicht nur erträgt, sondern sie bemeistert” (O-Ton Zweig). “Sternstunden der Menschheit”, 1927 erstmals erschienen, wurde ein weiteres Highlight seiner Karriere und das zu seiner Lebenszeit meistverkaufte Buch. Ein Faksimile zeigt eine Original-Schreibmaschinenseite eines Manuskripts sowie Buchumschläge aus verschiedenen Editionen. 1939 war er laut einer Statistik des Völkerbundes bereits der meistübersetzte Autor der Welt. Allein zwischen 1932 und 1939 erschienen 126 Bände seiner Werke in Übersetzungen, weiß der Matuschek und besonders in Südamerika er zum Star, was mithin ein Grund gewesen sein mag, warum er später dorthin auswanderte oder besser gesagt exilierte. Matuschek erklärt an Beispielen auch die Arbeitsweise des Schriftstellers Zweig und untermauert dies mit einer Vielzahl von Originaldokumenten und Fotos.

Ungeduld des Herzens

Sein erster echter Roman, Marie Antoinette, wurde sogar von Hollywood verfilmt und kam 1938 dort in die Kinos. Ein Foto zeigt den Andrang vor dem Astor Kino. Aber schon im selben Jahr musste Zweig und seine Familie fliehen, den Besitz veräußern und auf eine sichere Ausreise hoffen. Der Großteil des Besitzes ging allerdings verloren und gilt seither als verschollen. Sein letzter Roman in “Österreich” erschein am 30. April 1938: “Ungeduld des Herzens”. Zu diesem Zeitpunkt war Zweigs Heimat, Österreich, als Ostmark bereits Teil des Deutschen Reichs und seine Bücher wurden von den Nazis verbrannt. Am Grab von Sigmund Freud in London soll Zweig im September 1939 die Trauerrede gehalten haben, bevor er sich schließlich in seiner letzten Heimat, Brasilien, mit seiner zweiten Frau, Lotte, für den Freitod entschied. Hätte er nur noch zwei, drei Jahre Geduld gehabt… Ein Familienalbum mit vielen privaten Fotos, Manuskripten und Briefen bis hin zu Erstausgaben aus aller Welt, die aus einer Vielzahl von privaten und öffentlichen Sammlungen stammen, ein sehr vielfältiges, erstmals zugängliches Bildmaterial. 2008 war Matuschek Kurator der Ausstellung “Die drei Leben des Stefan Zweig” im Deutschen Historischen Museum in Berlin. “Drei Leben – Eine Biographie” erschien 2006. Matuschek arbeitete auch beim Projekt stefanzweig.digital am Literaturarchiv Salzburg mit.

Oliver Matuschek
Das Stefan Zweig Album – Stefan Zweig ins Bild gesetzt
240 Seiten
ISBN-13 9783710901546
30,- EUR


Genre: Bildband, Biographie, Fotobuch, Literatur

Peter Joseph Lenné: Eine Biographie

Das Buch wirkt klein und schlank und ist doch mehr als eine Biografie. Schon der Untertitel verrät: “Mit einer kurzen Geschichte des Landschaftsgartens von seinen englischen Vorbildern bis zum Volkspark.“ Und wir lernen nicht nur über Landschaftsgärten, wir sehen auch Lennés Rolle darin: „Durch ihn wird die Gartenrevolution zur Gartenevolution. Bei ihm beginnt der Übergang in die Moderne mit allen ihren Licht- und Schattenseiten.“ Die Entwicklungsepochen der Landschaftsplanungen werden mit denen der Literatur verglichen, da wird Lenné zum romantischen Gartenpoet, ist mal der Spätromantiker, meist einfach der Landschaftspoet.

Ohff berichtet von der Kindheit als Sohn des Hofgärtners von Brühl, seinen Ausbildungsstätten, etwa in München, der Arbeit in Wien und Paris, die Reisen. Von Hardenberg gelingt es 1816, den jungen Gärtnergesellen an den Preußischen Hof zu rufen.

Als Neuling muss er neben den Altvorderen bestehen, die barocke Schlossgärten für gottgegeben hielten, und da wollte ein Jüngling gerundete statt grader Wege planen, sogar Bäume fällen, wegen der besseren Aussicht! (Dit ham wa ja noch nie jemacht! Höre ich in Erinnerung eigener Tätigkeiten im Öffentlichen Dienst.)

Ohff glänzt nicht nur mit seinem Wissen über Garten- und Landschaftsplanung, er beschreibt Lennés Tricks im Umgang mit seinen Königen und auch mit seinen Kollegen. Lenné muss sich, über die Jahrzehnte, mehrmals auf neue Regenten einstellen. Er hat klare „Verschönerungspläne“ und will deren Umsetzung erreichen.

Er gestaltet die Landschaft, wissend, dass sie auf das menschliche Gemüt eine große Wirkung ausübt. Angestellt ist er als Beamter der preußischen Könige, aber er beginnt früh, über die Grenzen deren Schlossgärten hinaus, die Folgen der Verstädterung gerade für die nicht-adligen Menschen zu sehen, und er versucht, dem gegenzuwirken: Schon 1840 legt er seine „Projectirten Schmuck- und Grenzzüge von Berlin und seiner Umgebung“ vor. Tiergarten, Zoo, Humboldthain werden nach und nach, teils nach seinem Tode von seinen Schülern, umgesetzt. In Magdeburg, Köln und Dresden, um nur einige zu nennen, entstehen öffentlich zugängliche Gärten. Ein Kapitel des Buches heißt: Der Volkspark. Die Idee des Volksparks kommt aus England, später auch die Ballspiele, für die in den Parks Plätze geschaffen wurden.

Bei besonderen Gartenvorhaben kennt Ohff jedes Detail, als Beispiel mag das Projekt von Schloss und Park Babelsberg dienen, wo die übliche Rivalität zu Pückler auch mal zu dessen Obsiegen führte (was ich beim Besuch der Ausstellung vor einigen Jahren nicht verstanden hatte). Augusta, die Gattin des Hausherrn hatte viele, oft wechselnde Vorstellungen, mit denen Pückler, als „Homme de femme par exellence“ besser umgehen konnte als Lenné. Pückler, der selbstbewusste Aristokrat, machte sich zeitlebens gern über Lenné lustig. Schon der Name! Er kommt eigentlich, wie dessen Vorfahren, aus dem französisch sprachigen Belgien: Le nain, (der Zwerg) daraus macht Pückler „laine“ (Wolle).

Zwischendurch wird er als Mensch beschrieben, seine Treue zu „Fritzchen,“ seiner Ehefrau, zu seinen Gefährten, von denen einige zu Duzfreunden werden. Außerdem war er „Frühaufsteher, Weintrinker, mit einer Vorliebe zu Mosel und Rhein, Hundeliebhaber“ insgesamt ein geselliger Mensch, der dazu auch noch gerne sang. Und er unterstützte Arbeitervereinigungen, manche der späteren Tätigkeiten in Berlin, wo er „Buddelpeter“ genannt wurde, werden von Ohff als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschrieben.

Nachdem der Prinzregent Wilhelm 1861 zum König gekrönt wurde, spielten Lennés Verschönerungspläne für die Entwicklung Berlin keine Rolle mehr, Berlin wurde immer mehr zur Steinwüste. Nach seinem Tod wurde Lenné auf dem Bornstedter Friedhof im Bereich des privaten Sello-Friedhofs mit anderen Gärtnern des preußischen Hofes begraben.

Für Lenné begannen die Ehrungen: Ehrendoktor in Breslau und viele andere. Und doch stecken in vielen seiner Werke noch seine „Verschönerungspläne“. „Als Schwärmer ein Praktikus und als Praktikus ein Schwärmer, vollendet er den klassischen Landschaftsgarten, zumindest auf dem Kontinent, und verwandelt ihn gleichzeitig zur Grün-Oase für den luft- und baumhungrigen Menschen der großen Städte.“ Das Buch endet mit einem Gedicht eines ehemaligen Gartendirektors, das Michael Seiler gewidmet ist. Hier die letzten Strophen:

„Laut Stadtplan läuft die Friedrich-Ebert-Straße

Exakt in Flucht der alten Hauptallee;

(hier stand vielleicht einmal die Marmorvase).

Auf Luftaufnahmen kurz nach dem ersten Schnee,

beziehungsweise in der Wachstumsphase,

erkennt man noch die Wege von Lenné.“

Abgerundet wird das Büchlein durch eine Auflistung der Jahreszahlen zur Entwicklung von Landschaftsgärten, denen seiner Biografie, einer Literaturliste und einem Personenregister.

 


Genre: Biographie, Gartenplanung in Berlin/Brandenburg, Volksparks
Illustrated by Jaron Verlag