Die Kakerlake

Zuallererst: Nicht überall, wo Ian McEwan drauf steht, ist auch Ian McEwan drin. Wer als Leser also das übliche, flüssig-harmonische Gleiten einer bisweilen pointierten, aber immer eingängigen Handlung wie in „Honig“ oder „Solar“ erwartet, sei vorgewarnt. Surrealistische Trends wie in „Der Tagträumer“ haben bereits aufblitzen lassen, dass der Autor auch anders kann, wenn er will.

„Die Kakerlake“ ist definitiv anders. McEwan hat sich offensichtlich von der politischen Gegenwart in Großbritannien und Europa so ultimativ unter Druck gesetzt gefühlt, dass er mit heißer, fast schon zorniger Nadel ein Sperrfeuer politischer Satire zu Papier gebracht hat, um seinen ganzen Unmut über die Ereignisse rund um den Brexit kundzutun.

Hat man sich durch das relativ kurze Buch gelesen, kann man dem Autor zubilligen, dass seine Botschaft angekommen ist. Er ist ohne den geringsten Zweifel kein Brexit-Befürworter. Bis zum Ende der Parabel tut man sich jedoch manchmal etwas schwer, wenn man nicht so der Anhänger von kafkaesker Verfremdung oder Fantasy-artiger Aufhebung jeglicher Logik ist. Die Anleihe an Kafkas Verwandlung wird von McEwan bereits in der Einleitung proaktiv thematisiert. Also besser keine Sinn-Fragen stellen und die Message auf sich wirken lassen.

Kurzzeitig schafft es McEwan sogar, den ein oder anderen Leser zu verunsichern, wenn er durch die Person des Premierministers seine Wirtschaftstheorie des Reversalismus als neues, heilbringendes Konzept für das vor sich hin darbende Königreich ausführt. Unweigerlich fragt man sich, ob Reversalismus (eine Wortschöpfung von McEwan für diese Geschichte; David Foster Wallace lässt grüßen) nicht tatsächlich klappen könnte. Aber letztendlich erweist sich alles als Machenschaften böser (sechsbeiniger) Mächte.

Ian McEwan hat sich mit „Die Kakerlake“ eine Wut- und Brandrede gegönnt, in der er seinen ganzen Frust über die Politik und die Politiker im allgemeinen und den Brexit im Besonderen von der Seele geschrieben hat. Parallelen zu lebenden Protagonisten unserer Zeit wie Donald Trump und Boris Johnson sind nicht rein zufällig, sondern ganz offensichtlich beabsichtigt.

Betrachtet man die aktuellen Ereignisse im Vereinigten Königreich mit dem possenhaften Wechselspiel der Premierminister ist McEwans Persiflage zeitlos aktuell, aber ohne Zweifel auch nicht geografisch gebunden.


Genre: Belletristik, Gesellschaftsroman, Humor und Satire, Politik und Gesellschaft, Roman
Illustrated by Diogenes

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