Der Verräter

Literarischer Gangsta-Rap

Der US-amerikanische Schriftsteller Paul Beatty hat für seinen Roman die Satire gewählt als probaten Stil, den nach wie vor latenten Rassismus in seinem Land anzuprangern. Der farbige Autor wurde dafür als erster Schriftsteller seiner Nation 1916 mit dem britischen Booker-Price ausgezeichnet. Dieser Roman «macht jedes soziale Tabu bedeutungslos», erklärte die Jury, er zeichne «ein schockierendes und unerwartet lustiges» Bild von Los Angeles. Den problem-beladenen Handlungsort bildet ein am südlichen Stadtrand dieser Metropole gelegenes, fiktives Farbigen-Ghetto namens ‹Dickens›. Ein agrarisch geprägter Schandfleck für die ganze Region, dessen reale Vorlage der für seine hohe Kriminalitätsrate berüchtigte Vorort Compton ist, einer der Geburtsorte des Gangsta-Rap.

«Aus dem Mund eines Schwarzen klingt das sicher unglaublich, aber ich habe nie geklaut. Habe nie Steuern hinterzogen oder beim Kartenspiel betrogen», heißt es zu Beginn. In einem 26 Seiten langen Prolog berichtet der Ich-Erzähler, der seinen Spitznamen «Verräter» seiner Fähigkeit zur Deeskalation verdankt, in Handschellen in den Katakomben des Supreme Court im Washington sitzend und auf seinen Prozess wartend, wie er dorthin kam. Der durch seinen Vater massiv traumatisierte junge Farmer ist angeklagt, weil er als Anführer einer Bürgerrechts-Bewegung in Dickens die Sklaverei wieder einführen will, sie schaffe ehrliche, der Realität entsprechende Verhältnisse und verhelfe den Schwarzen wieder zu ihrer wahren Identität. Außerdem hat er an der örtlichen Schule die Rassentrennung durchgesetzt, was von der farbigen Bevölkerung ebenfalls einhellig begrüßt wird, man will keine weißen Kinder an der Schule. In den örtlichen Bussen hat der traumatisierte Sohn eines von der Polizei erschossenen Psychologen neue Schilder «Ggf. für Senioren, Behinderte und Weiße freigeben» angebracht. Als identitätsstiftende Maßnahme hat er außerdem, zusammen mit seinem Freund Hominy, den durch eine Gebietsreform verschwundenen Stadtteil Dickens wieder hergestellt. Die Beiden haben nämlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die alte Grenze als durchgehenden, breiten Farbstreifen auf den Boden gemalt und auch wieder Ortsschilder aufgestellt, die Einwohner sind begeistert! Als alternder, ehemaliger Star der erfolgreichen Kurzfilm-Serie «Die kleinen Strolche» ist Hominy hoch angesehen, der berühmteste Bewohner des Viertels, sein Wort gilt was in Dickens. Und prompt wird durch all das die permanente Gentrifizierung gestoppt, man fühlt sich wieder wohl in diesem Bollwerk der Farbigen gegen die Vorherrschaft der Weißen.

Mit diesem Roman hält Paul Beatty seiner Nation gnadenlos den Spiegel vor. Er verweist durch eine Fülle bewusst eingesetzter Klischees auf die Vergeblichkeit aller Bemühungen um Gleichberechtigung, sie ist nichts weiter als eine Schimäre. Dieser Roman ist eine einzige, bissig vorgebrachte Dauer-Provokation, die ethnische Spaltung scheint unüberwindbar. Gelassen auf seinen Prozess wartend raucht der durchgeknallte Held erst mal sein selbst angebautes Marihuana. Er hält sich für unschuldig, schließlich sei die Abschaffung der Rassentrennung nie verwirklicht worden. «Ich finde, ein bisschen Sklaverei und Rassentrennung haben noch niemandem geschadet», erklärt er seelenruhig, beides existiere ja noch. Es sind derartige Überspitzungen, die seiner bissigen Gesellschafts-Satire eine geradezu zersetzende Wirkung verleihen.

Der Autor arbeitet aber auch mit manchmal ohne fundiertes Hintergrund-Wissen unverständlichen Witzen, die der bitteren Thematik des sozialen Wahnsinns zusätzlich eine komische Note geben sollen. Durch seine grotesken Einfälle erzielt der ehemalige Poetry-Slamer eine lang anhaltende Wirkung. Mancher Leser dürfte allerdings Schwierigkeiten haben, dem oft mit wüsten Kraftausdrücken durchsetzten Slang der Figuren zu folgen und all die popkulturellen Anspielungen auf eine Welt von – mit Gangsta-Rap sozialisierten – Underdogs wirklich zu verstehen.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by Luchterhand

Yakuza goes Hausmann 5

Wenn Hausmann, dann richtig!

Der ehemalige Yakuza Tatsu geht in seinem Hausmanndasein voll auf. Trotzdem verordnet ihm seine Frau zwei Tage Entspannung, als sie auf Geschäftsreise geht. Dieses ihm völlig unbekannte Wort entpuppt sich als echte Herausforderung für den rührigen Ehemann. Während eines ganz normalen Wocheneinkaufs trifft Tatsu auf einen anderen Ex-Yakuza, dessen Clan Tatsu ausgerottet hat. Aber anstatt das Messer zu schwingen, zückt Goda ein Mikrophon und fordert Tatsu zu einem Rap-Battle heraus. Als Tatsu und seine Frau an einem Halloween-Kostümwettbewerb teilnehmen wollen, um einen der ausgeschriebenen Preise zu gewinnen, artet dieser in ein Gangstertreffen aus. Auch ein harmloser Restaurantbesuch hat es in sich, wenn die Schlacht ums All-You-Can-Eat-Buffet beginnt. Da hat sogar ein Ex-Yakuza gegen hungrige Senior-Frauen keine Chance. Eine echte Herausforderung sind auch Tatsus Schwiegereltern. Vor allem, wenn sich Schwiegervater und Göttergattin, die beide null Ahnung vom Kochen haben, in seiner Küche breit machen. Da merkt Tatsu, dass er von seiner Schwiegermutter noch viel lernen kann. Und den Kampf gegen eine waschechte Grippe gewinnt nicht einmal ein gestählter Yakuza-Körper. Dafür macht ihm beim Backkurs keiner etwas vor.

Geschlechterklischees gegen den Strich gebürstet

… und das im wahrsten Sinne des Wortes! Denn mit Putz- und Haushaltsgeräten kann die Hauptfigur Tatsu umgehen wie kein zweiter. Ein solches Engagement ihres Mannes im Haushalt würde sich so manche Frau sehnlichst wünschen. Klar triften die alltäglichen Begebenheiten dieses speziellen Hausmanns gerne ins Absurde ab, aber das ist dem Humor geschuldet, der hier für die Leser*innen nicht zu kurz kommen soll. Trotzdem ist die Botschaft klar, erst recht, wenn Tatsu sie seinem Gangsterkollegen ins Gesicht rappt:

“Das bisschen Haushalt kann so schlimm nicht sein, sagt ein Mann! Doch du Weichei gehst daran ein, zerbrichst selbst im Schongang!!”

Ein wahres Wort, denn so sprechen nur Männer, die nie einen Finger für den Haushalt krumm machen mussten. Männer, die es tun, wissen, dass das kein Pappenstil ist, v.a. weil man nie Feierabend, Wochenende oder Ferien hat. So nimmt der Humor eine hintersinnige Gestalt an, die aus Tatsu ein Vorbild für alle Männer macht, die unbedingt ihr Macho-Gehabe ausleben müssen, aber diejenigen mutigen männlichen Perlen bestärkt, die sich entgegen des Spotts ihrer Freunde und Kollegen ganz bewusst für den Haushalt entscheiden.

Fazit

Derartige Mangas und Comics, die zum Nachdenken über Geschlechterrollen anregen, dürfen ruhig mehr vermarktet werden! Die heutige Welt braucht sie dringend.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Lincoln im Bardo

Nicht einfach zu lesen, aber lohnend

Der für seine Kurzgeschichten gerühmte US-amerikanische Schriftsteller George Saunders hat mit «Lincoln im Bardo» erstmals einen Roman vorgelegt. Der Debütroman des in Deutschland weitgehend unbekannten Autors wurde 2017 mit dem britischen Booker-Preis geehrt. Die Jury lobte ihn als «in Form und Stil äußerst originellen Roman, der eine geistreiche, intelligente und zutiefst bewegende Erzählung zutage fördert». Erzählt wird eine auf Zeitungsberichten fußende Begebenheit um den amerikanischen Präsidenten Lincoln, der nach der Grablegung seines kleinen Sohnes in tiefster Nacht noch einmal die Gruft aufsuchte, um ihn ein letztes Mal in den Armen zu halten. Insoweit also ein Roman nach einer wahren Begebenheit. Spätestens mit dem titelgebenden Begriff «Bardo» aber wird deutlich, dass es hier um Überirdisches geht, um einen im tibetanischen Buddhismus beschriebenen Zwischenzustand nach dem Tode und vor dem endgültigen Eingehen ins Jenseits.

Während der Wirren des amerikanischen Bürgerkriegs erleidet Präsident Lincoln einen schlimmen persönlichen Verlust, als im Februar 1862 sein über alles geliebter, elfjähriger Sohn Willie während eines großen Staatsempfangs an Typhus stirbt. Nach dem feierlichen Begräbnis sucht er noch in der gleichen Nacht ganz allein das Grab auf. Aber Willie bekommt nicht nur Besuch von seinem trauenden Vater, auch andere gerade erst Verstorbene leisten ihm dort Gesellschaft. Zwei von ihnen sind sogar überzeugt, dies wäre nur ein temporärer Aufenthaltsort für sie, bald könnten sie wieder ins Leben zurückkehren. Ihre Särge bezeichnen sie als Kranken-Kisten, der Friedhof ist für sie nur der Kranken-Hof. Einer der Beiden ist Roger Bevins III, der ständig in Erinnerungen schwelgt und körperlich nur noch aus Augen, Ohren, Nase und Händen in einer undefinierbaren Fleischmasse besteht. Hans Vollman wurde von einem Balken erschlagen und hat ein riesiges Loch im Kopf. Der junge Mann träumt von nichts anderem, als ein erstes Mal mit einer Frau zu schlafen, sein Penis ist ständig erigiert. Viele der Figuren im Zwischenreich sind dem Leben scheinbar näher als dem Tod, aber sie empfinden intensiver. Alle sind sich ihrer Unvollkommenheit im Leben äußerst schmerzlich bewusst, eine seelische Diskrepanz, die als verspätete Erkenntnis manchmal durchaus komisch wirkt.

Willie wird von Dämonen bedrängt, die ihn endgültig ins Jenseits befördern wollen, böse Mächte locken ihn, Lianen fesseln ihn an seine Gruft, eine an die Plazenta erinnernde Haut überwuchert ihn. Neben solchen, an eine ‹Gothic Novel› erinnernden Schauerelementen handelt es sich hier aber vor allem um einen historischen Roman. Seine vielen Figuren aus allen Gesellschafts-Schichten erzählen in Ich-Form aus ihrem Leben, Soldaten natürlich, diverse enttäuschte Ehefrauen, dieser und jener Reverend, am Suff Gestorbene, Ganoven und andere mehr. Der gefürchtete Eisenzaun trennt diesen Teil des Friedhofs von den Armengräbern «ohne Krankenkiste» ab und vom Massengrab der Sklaven.

Diese Geschichte aus dem Geisterreich zur Zeit des Sessionskrieges wird ähnlich einer antiken Tragödie von einem vielstimmigen Chor aus Toten in 108 kurzen Kapiteln erzählt. Wobei die einzelnen der mehr als hundertfünfzig Stimmen oft nur sequenziell sich ergänzende Worte, Satzteile oder Kurzsätze beisteuern, und zwar in ihrer ureigenen Diktion. Diese munter palavernden Geisterstimmen werden häufig noch ergänzt um historisch verbürgte oder fiktive Zitate aus Briefen, Zeitungsausschnitten, Dokumenten und anderem mehr. Gleichwohl aber ist die Bezeichnung Roman hier ziemlich irreführend, eine derart eigenwillige Erzählweise konterkariert gnadenlos alle gängigen Erwartungen an diese literarische Gattung. Und so unterhält das Buch den Leser als eine mit ironischer Distanz angelegte historische Meditation über das Jenseits, über das nachzudenken man ja erst wirklich beginnt, wenn es gar nicht mehr anders geht. Nicht einfach zu lesen, aber lohnend!

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Luchterhand

Sind Sie das? Eine Spurensuche

Wie viel vom tatsächlichen Leben eines Autors steckt in seinen Romanen? Diese Frage taucht nahezu in jedem Publikumsgespräch mit Autoren auf. Aber auch Literaturwissenschaftler und Rezensenten beschäftigen sich teilweise akribisch und streng wissenschaftlich mit dieser Thematik. Charles Lewinsky hat sich mit seinem neuesten Buch auf Spurensuche im eigenen Werk begeben. Weiterlesen


Genre: Autobiografie, Sachbuch
Illustrated by Diogenes

Schwindel: Ursachen und Beschwerden verstehen. Wieder Sicherheit und Gleichgewicht erlangen.

SchwindelSchwindel: Ursachen und Möglichkeiten zur Besserung der Beschwerden

Schwindel kann viele Urachen haben. Die Autorin nennt Schwankschwindel, Drehschwindel, Liftschwindel und Benommenheitsschwindel als häufigste Schwindelarten. Sie beschreibt diese Schwindelarten, deren Urachen, deren Begeiterscheinungen und den Umgang mit ihnen verständlich und übersichtlich. Schwindelursachen finden sich v.a. im Innenohr, den Augen, dem Gehirn, der Halswirbelsäule, in anderen Organen und in der Psyche. Hier unterteilt Lenz in funktionellen Schwindel, gutartigen Lagerungsschwindel, Vestibuläre Migräne, Morbus Menière und Entzündung des Gleichgewichtsnervs. Schwindel tritt aber auch in besonderen Lebenssituationen auf: im Alter, in der Kindheit, den Wechseljahren. All diese Situationen beschreibt Lenz prägnant, aber sorgfältig.

Für den akuten Schwindelanfall gibt sie folgende Tipps: hinsetzen oder hinlegen, ruhig bleiben (Schwindel geht oft mit akuter Angst einher), bewusst ruhig atmen, prüfen, ob man zu lange nichts gegessen oder getrunken hat oder ob man z.B. Karussell gefahren ist, kühles Wasser trinken, Schokolade oder Traubenzucker essen bzw. ein zuckerhaltiges Getränk trinken, hinlegen und dabei Beine hochlegen. Der Notarzt sollte verständigt werden, wenn der Schwindel nicht nach wenigen Minuten verschwindet, als drehend empfunden wird und/oder mit Taubheitsgefühlen, Sprechstörungen oder Bewegungsproblemem einher geht. Bei wiederholtem Schwindel, Schwindel ohne ersichtlichem Anlass, Schwindel durch bestimmte Kopfbewegungen, Schwindel mit Beschwerden, länger anhaltendem Schwindel oder regelmäßigem Schwindel in bestimmten Situationen sollte man den Arzt aufsuchen. Dabei gibt Lenz einen Überblick über diverse Untersuchungsmethoden.

Des Weiteren empfielt Lenz, ein Schwindeltagebuch zu führen, damit Patient und Arzt es auswerten können. Ansonsten sind Gleichgewichts-, Kräftigungs- und Konfrontationsübungen ein gutes Mittel gegen Schwindel. Patient*innen mit psychogenem Schwindel sollten sich den schwindelauslösenden Situationen maßvoll, aber regelmäßig stellen. Entspannungsübungen können Schwindel ebenfalls entgegenwirken. Die Autorin bietet in dem Buch mehrere Übungen für die entsprechenden Schwindelarten. Hilfreich wären hier aber Fotos oder Bilder gewesen, die den Text unterstützen. So ist es schwieriger, sich die Übungen vorzustellen.

Der Anhang bietet Links, Literatur und Adressen zum Thema Schwindel, sowie ein Lexikon der Fachbegriffe.

Insgesamt ist das Büchlein kompakt, aber verständlich geschrieben. Viele Fotos, Bilder, relativ wenig Text pro Seite und eine relativ große Schrift tragen zur guten Übersicht und Lesbarkeit bei. Nach der Lektüre fühlt man sich überblicksartig gut informiert und kann sich durch die weiterführende Literatur und die Adressen vertiefend über die eigene Schwindelart kundig machen.


Illustrated by Weltbild

Lustiges Taschenbuch 546: Anpfiff in Europa

Lustiges Taschenbuch Nr. 546 - Anpfiff in Europa (Entenhausen)

Mixed Pickles mit Fußball

Anpfiff in Europa – oder besser böser Anpfiff in Entenhausen, denn die Entenhausener Dribbelkünstler sind nicht auf Spur. Stürmer Donald sieht sich durch Neuzugang Hubbe Wechselklotz bedroht. Der Streit eskaliert und so muss Trainer Mark Marter zu extravaganten Mitteln greifen.

Die Ballade eines Reisenden: Goofson und Mickel, zwei Wanderarbeiter, sind froh, wieder zuhause zu sein. Aber dort hat sich O’Karlo breit gemacht, der Schulden durch Grundstückskonfiszierung eintreibt. Auch Mickels Grundstück will er konfiszieren. Aber Mickel wehrt sich.

“Der gläserne Irrgarten” treibt Onkel Dagobert und seine Familie in den Wahnsinn. Trotzdem will der reiche Knauser den Schatz, der sich in diesem Irrgarten befindet, nicht aufgeben.

“Der Wachstumsgenerator” wird Entenhausen zum Verhängnis, als ausgerechnet Franz von ihm getroffen wird.

Entgegen Donalds Wissen und Willen will ein gewinnsüchtiger Geschäftsmann “Phantomiasland” eröffnen. Donald will sich das nicht bieten lassen, vergisst aber durch eine von Daniel Düsentriebs Pillen, dass er eine Doppelidentität hat. Daniel Düsentrieb will ihm wieder auf die Sprünge helfen. Ob das rechtzeitig gelingt?

Der Quantenstaubsauger: Entenhausen ist im Jagdfieber. Alle verfolgen die digitalen Megaminis. Der Erfinder dieses Spiels will aber noch ein Stück weiter gehen: Durch seinen Quantenstaubsauger werden neue schwarze Löcher entstehen, die sein Spiel noch lebensechter machen sollen. Professor Wunderlich warnt vor unabsehbaren Folgen.

Ordnung ist das halbe Leben: Daisy schreckt vor Donalds Unordnung zurück. Deshalb will sie seinen Dachboden aufräumen. Aber ob das bei sommerlichen Temperaturen eine gute Idee ist?

App in die Zukunft: Daniel Düsentrieb baut aus seinen misslungenen Erfindungen kleine, technische Spielereien. Eine dieser Spielereien ist ein Handy, das in die Zukunft sehen kann. Und das bekommt ausgerechnet Claas Klever in die Hände.

Unterhaltung und Kritik

Neben kurzweiliger Unterhaltung für jüngere und ältere Fans bietet diese Ausgabe hintergründig auch ein paar Dinge zum Nachdenken: Wie sieht es aus mit Urheberrechten? Darf man die einfach aushebeln? Wie erreicht man Gemeinschaftssinn innerhalb verfeindeter Lager? Was ist besser: Digitale oder reale Welt? Dürfen sich Wirtschaft und skruppellose Geschäftsleute über das Wohl der Menschen hinwegsetzen? Ist es gut, in die Zukunft sehen zu können?

Anspielungen gibt es natürlich auch wieder, z.B. in vergleichsweise harmloser Form auf King Kong.

Fazit

Kurzweilige Unterhaltung mit Hintergedanken.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa

Milchmann

Surreale Parabel

Mit ihrem dritten Roman hat die irische Schriftstellerin Anna Burns 2018 den Durchbruch geschafft, das Buch erhielt den Booker Price. Die in Belfast geborene Autorin thematisiert darin den Nordirland-Konflikt in Form einer surrealen Parabel, in der eine junge Frau ihren Weg sucht in der schwierigen politisch-religiösen Gemenge-Lage. Während in Deutschland das Feuilleton den Roman überwiegend positiv beurteilt, sind hierzulande die Leser-Kritiken auffallend verhalten. Zu Recht?

«An dem Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.» Wer das Buch liest, ohne sich vorab über seine Thematik oder die Autorin informiert zu haben, wird nur den Kopf schütteln über das, was er da liest. Eine namenlose 18Jährige erzählt aus der Ich-Perspektive, oft in Form des inneren Monologs, wie sie von einem älteren Mann gestalkt wird. Der Stalker nähert sich der jungen Frau, die ältere und jüngere Schwestern hat und im Roman nur ‹Mittlere Schwester› genannt wird, ohne sie jedoch körperlich zu bedrängen. Sie hat seit einem Jahr eine eher zerbrechliche Beziehung mit ‹Vielleicht-Freund›, einem autobesessenen Messi. Der will unbedingt mit ihr zusammenziehen, sie aber ist sich ihrer Beziehung nicht sicher. Um den lästigen ‹Milchmann› zu vergraulen, der sich ständig beim täglichen Jogging an sie ranhängt, überredet sie den sportbesessenen ‹Schwager 3›, mit ihr zusammen zu trainieren. Das Versteckspiel der Autorin treibt seltsame Blüten, weder benennt sie den Ort ihrer Handlung noch die feindlichen Parteien, die sich hier unversöhnlich gegenüber stehen, es wird nur von Wir und Die gesprochen. ‹Wir› sind dabei die Staatsverweigerer, die als Paramilitärs den Stadtteil beherrschen, ‹Die› sind die ‹Feinde aus dem Land auf der anderen Seite der See›. Es geht um Nordirland, wird dem unvorbereiteten Leser irgendwann klar, ohne dass es explizit benannt wird, auch der Klappentext schweigt sich dazu aus. Damit soll mutmaßlich der bürgerkriegsartigen Situation eine exemplarische Bedeutung zugewiesen werden.

Aberwitzig in dieser kafkaesken Gesellschaft ist auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander, ‹Ich Mann, Du Frau› sind klar definierte Rollenbilder, denen zu folgen hat, wer sich viel Ärger ersparen will. Die Mutter von ‹Mittlere Schwester› redet deshalb auf sie ein, doch endlich zu heiraten, das sei schließlich ja der Lebenszweck einer jeden Frau, sie sei kein gutes Vorbild für ihre drei jüngeren Schwestern. Es gibt viele Tote in dieser Geschichte, ‹Älteste Freundin› gehört ebenso dazu wie ‹Tablettenmädchen›, auch ‹Chefkoch› muss sterben und am Ende dann ‹Milchmann›, der Terroristen-Anführer.

Die nur rudimentär vorhandene Handlung wird in einer seltsam codierten, monotonen Sprache mit häufig mäandernden Satzkonstruktionen erzählt. Deren Umschreibungen wirken ebenso verstörend wie die unbeholfenen Bezeichnungen der namenlosen Figuren, die hier als Namens-Ersatz dienen. Wie in dieser verfremdeten Schilderung die Verhältnisse im Nordirland-Konflikt geschildert werden, das erfordert beim Lesen schon einige Phantasie, zumal Zeit- und Lokalkolorit weitgehend fehlen. In einem proletarischen Milieu, das sich im permanenten Ausnahme-Zustand befindet und anscheinend auch unregierbar geworden ist, wird hier die Angst thematisiert, was doch ziemlich irreal wirkt in seiner Parabelartigkeit. Zur Paranoia zählt dann auch ein spektakuläres Massaker unter den Hunden des Stadtviertels, die in einer barbarischen Aktion restlos alle umgebracht werden, indem man ihnen den Hals durchschneidet. Durch ihr Gebell, heißt es, würden heimlich anschleichende Kämpfer zu früh entdeckt werden. Bei all der Symbolik und Geheimnistuerei wird die durch stilistisch ständig wiederholte, hölzern formulierte Phrasen allmählich nervende Geschichte vom Psycho-Terror dann auch noch zunehmend langweilig. Wofür eigentlich der Preis, fragt man sich!

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Die wandernden Schatten

Unentschuldbare Ignoranz

Der in Frankreich hoch angesehene Schriftsteller Pascal Quignard hat für sein 2002 erschienenes Werk «Les Ombres errantes» den Prix Goncourt erhalten. Eine deutsche Übersetzung erschien erst 13 Jahre später unter dem Titel «Die wandernden Schatten». Als Verfasser eines umfangreichen, bedeutenden und in diverse Sprachen übersetzten, vielschichtigen Werkes aus Romanen, Erzählungen und Essays ist er jedoch nach wie vor in Deutschland weitgehend unbekannt. Der vorliegende Band ist der erste Teil eines Schreibprojekts unter dem Titel «Letztes Königreich», welches einer Wanderung durch die Biografie des Autors in permanentem Wechsel mit einer Tour d’Horizon durch die Geschichte der Menschheit gleicht. Dabei stehen die titelgebenden wandernden Schatten für das Verborgene in der Welt, für das mit Worten kaum Fassbare.

In 55 Kapiteln sehr unterschiedlicher Länge entwickelt Quignard ein grandioses Gedankengebäude, das er in Form von Notizen, literarischen Skizzen, Gedankensplittern, Aphorismen, rätselhaft Magischem, Naturbeobachtungen, exotischen Fremdzitaten, historischen Kurzgeschichten oder Auszügen aus Erzählungen vor dem Leser ausbreitet. Aus dieser Vielfalt heraus entwickelt sich beim Lesen ein dichtes Geflecht verschiedenartigster Assoziationen, das nicht immer leicht zu durchdringen ist. Ein thematischer Schwerpunkt dieser Prosa ist das Schreiben selbst, wobei der Autor beispielsweise solche Einsichten äußert: «Der Romanschriftsteller ist der einzige Lügner, der die Tatsache nicht verschweigt, dass er lügt». An anderer Stelle widmet er sich dem Lesen, mit sechs Kisten Wein aus Épineuil und zwei mit Büchern gefüllten Postsäcken zieht er sich in sein ländliches Refugium am Ufer der Yonne zurück, «Blieb nur zu hoffen, dass niemand zu Besuch kommen würde». Die Ruhe, die ihn umgab, war vollkommen. «Das Glück wurde immer größer. Ich las». Und er stellt fest: «Wenn man ein Buch öffnet, weiß man nicht, wohin man geht. Man lässt sich führen in Zeiten, an Orte, zu Gefühlen, mit denen man sich sonst nicht ohne weiteres eingelassen hätte».

Besonders die Werke der Alten sind für Quignard Inspirationsquelle, der Römer Lukrez zum Beispiel, die Chinesen Han Yu und Laotse, der Japaner Tanizaki. Aber auch Descartes und Walter Benjamin geben ihm Anregungen zum Denken, und sogar die Weisheiten der Eskimos. Ihn interessieren «nur Gedanken, die zittern», erklärt er dazu, keine feststehenden Erkenntnisse mithin, sondern dynamische Denkprozesse. Seine historischen Erzählschnipsel beginnen zeitlich beim letzten römischen Kaiser Syagrius, dessen Schattenanrufung bei der Hinrichtung er zitiert, ferner schreibt er über den Theologen Jean Duvergier de Hauranne, als Abt Saint Cyran genannt, der sich dem Jansemismus gewidmet hat. Der historische Erzählbogen reicht außerdem über die Mission des US-Seeoffiziers Matthew Perry von 1853 über den japanischen Überraschungs-Angriff auf Pearl Harbor bis zum nationalen Trauma 9/11 in New York. Die Kunst ist ein weiteres Thema für den Autor, mit dem er sich äußerst kritisch auseinandersetzt. Er zitiert in diesem Zusammenhang sogar Herman Göring mit dem Ausspruch: «Wenn ich das Wort Kultur nur höre, entsichere ich meine Browning». Sein philosophisches Credo ist die Unabgeschlossenheit, die Vergangenheit sei nichts weiter als eine einzige Verfallsgeschichte.

In all diesen Meditationen ist deutlich eine permanente Verweigerungs-Haltung von Pascal Quignard erkennbar, die zuweilen sogar in Defätismus ausartet. Als radikaler Aussteiger aus dem Literaturbetrieb hat er in der Normandie Zuflucht gefunden für sein konsequent dem Denken gewidmetes Lebenswerk. Seine hier als Buch vorliegende, fragmentarische Sammlung von Skizzen aus seiner Gedankenwelt sprengt den Rahmen sämtlicher literarischen Gattungen. Genau darin aber liegt der Reiz dieser außergewöhnlichen Lektüre. Unentschuldbar angesichts dessen, was hierzulande mit Buchpreisen geehrt wird, ist die dem Autor zuteil werdende Ignoranz!

Fazit: erstklassig

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Genre: Kurzprosa
Illustrated by Diaphanes Verlag

Batman Death Metal

Batman Death Metal: Der vorliegende Sonderband setzt die Geschichte direkt nach Heft 3 der Event-Hauptserie fort. Die Realitäten des DC-Multiversums wurden fast alle zerstört. Aber es gibt noch ein paar Gerechte, die versuchen, die letzten verbliebenen Parallel-Erden zu retten. Doch dafür müssen sie in die Zeit der Crisis on Infinite Earth und der Final Crisis. Ein gefährliches Unterfangen

Das Multiversum in Gefahr

Eine Krise hat auch die Superhelden-Welt erfasst. Denn die Finsternis hat triumphiert, Perpetua die Göttin des Multiversums zerstört ein Universum nach dem anderen. Auf der DC-Haupterde herrscht der Batman, der lacht, ein böses Batman/Joker-Hybrid aus dem Dunklen Multiversum. Er hat sogar einen Sidekick namens Robin King und steigert sein Bedrohungspotential dadurch nach. Aber es gibt noch Hoffnung für den Planeten und das Universum, denn der echte Batman, Wonder Woman, Swamp Thing und Harley Quinn nehmen den Kampf gegen Perpetua auf. Um Verstärkung zu bekommen müssen sie vorher allerdings noch ihre Kollegen vom Gefängnisplaneten Apokolips befreien. Die Green Lanterns und Supermen wiederum müssen gegen Owlman und andere Schurken kämpfen. Aber auch die Justice League wird nach ihrer Niederlage gegen den Batman, der lacht wieder zusammengetrommelt. Allen voran Barry Allen, Wally West, Jay Garrick…besser bekannt als: die drei Flashs!

Crossover Superhelden Comics und Death Metal Bands

Auf der anderen Seite von Apoklips, das von Darkseid regiert wird, gibt es aber auch (noch) den Planeten New Genesis. Auf beiden Planeten tummeln sich unzählige Superhelden und Superschurken, die sich entweder für den Erhalt oder die Zerstörung des Multiversums einsetzen. Bis September 2021 werden insgesamt sieben Death Metal Ausgaben erscheinen. Die Einzelheft Versionen widmen sich neben der Hauptgeschichte aber auch den Bands der Death Metal Szene, denen durch Variant-Covers, Bandfotos und Band-Biographien gehuldigt wird. Zusätzlich erscheinen ab Juni 2021 insgesamt auch drei Sonderbände. Sepultura, Megadeth, Lacuna Coil sind nur einige der vielen Bands, die gecastet wurden. Zudem erscheinen manche Ausgaben auch mit Trading Cards.

Scott Snyder/Greg Capullo

Batman – Death Metal Sonderband 1

2021, Softcover, 164 Seiten

ISBN: 9783741622519

Panini

19,00 €

 


Genre: Comics, Crossover, Death Metal, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Das große Buch der Gärtnerinnen & Gärtner

Das große Buch der Gärtnerinnen & Gärtner ist nicht nur groß, es wiegt über drei Pfund: „Das gesamte Gartenwissen aus 100 interessanten Gärtnereien“ in Buchform. Es ist breiter als DIN A 4 und mit einem Hardcover versehen. Man braucht beide Hände, um es zu halten, wie einen Schatz.

Die Gärtnereien liegen in Deutschland, die meisten in Niedersachsen, je vier in Österreich und in der Schweiz. Die Betriebe werden über ihre Gärtner/innen vorgestellt, mit Namen und Fotos. Wir erfahren auch das Gründungsjahr; es sind viele Traditionsbetriebe dabei, am ältesten die Späth’sche Baumschule in Berlin, die im letzten Jahr ihr 300. Jubiläum feierte. Es gibt Angaben zu den Mitarbeiter/innen und dazu, wie die Produkte vermarktet werden. Beim Zusatz In der Nähe werden touristische Attraktionen in der Umgebung aufgezählt.

Dazu gibt es wunderschöne Fotos der Gartenfotografin Marion Nickel, pro Betrieb fünf bis zehn, die auch die umgebende Landschaft erfassen und die pflanzlichen Spezialitäten der Gärtner/innen wiedergeben. Diese stehen im Mittelpunkt der Beschreibungen, sind Lieblingspflanzen, mal auch Leidenschaften geworden.

Als Erstes habe ich über die Betriebe in Berlin und Brandenburg nachgelesen, bei Foersters in Bornim erkenne ich die Bedeutung des passionierten Gärtners und Gartenautors noch einmal neu: Er sei der Wegbereiter „für moderne Gärten im Stil von Dutch Wave, New German Style und Präriegärten.“ In einem interessanten YouTube Video nennt ihn Herr Felix Merk, Kurator der Foerster Anlage für die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, „Gartenphilosoph.“

Zum New German Style empfehle ich meine Rezension von Gärten in Berlin von Susanne Gatz!

Weiter geht es mit Foerster Schülern, Misterhepatica.de, der bei Foerster lernte, seine Nachfolge antrat und inzwischen in Ketzin Leberblümchen züchtet, den Ort hat er gewählt wegen der „tiefgründigen Lehmböden der Ketziner Platte.“ Nahe der niederländischen Grenze ist der Nachfolge von Oskar Pagel zu besuchen, der als Foersterianer in dessen Sinne weitergezüchtet hat: vor allem Gräser. Dazu empfehle ich das Kapitel in meinem Buch Gräser müssen sein.

Die Autorin stellt Spezialisten vor für Farne, Funkien, Alpenveilchen, Gräsern, Viola, selbst Ilex kann man züchten, und immer wieder Bäume, Rosen und Kräuter. Es gibt viel Neues zu entdecken: Wussten Sie, dass Frau Elke Haase „mit über 600 Fliedersorten Weltmarktführerin“ ist? Als sie im St. Petersburger Botanischen Garten einen Vortrag zu 300 Jahre Späth’sche Baumschule hielt, entdeckte sie, dass im 20. Jahrhundert in Russland auf den Spuren Lemoines und Späth’s Flieder weitergezüchtet worden waren. Wunderschöne Sorten, die im Rest der Welt nicht bekannt wurden, zu deren Duft man sich, laut Frau Haase, Klavierkonzerte von Rachmaninow anhören sollte.

Andere sind weniger poetisch, sie haben die Klimakrise im Auge und wollen Staudenpflanzen weiterentwickeln, die auch Hitze und Trockenheit ertragen. Auch beim Verpacken wird experimentiert, recycelbare Töpfe, oder einfach, wie in der Prignitz, die Taglilien wurzelnackt verkaufen, wozu man aber die Blütenzeiten kennen muss. Wieder andere entdecken die „Hitzekünstler der Sierra Nevada“ und machen sie heimisch.

Das Buch kann man nicht auslesen, aber zukünftig werde ich bei meinen Reiserouten immer nachschauen, wo man vielleicht vorbeikommen könnte.

Tipps gibt es auch im ausführlichen Glossar, wo weitere Gärtnereien, Gartenmärkte, Treffpunkte und Netzwerke für Gärtner und Pflanzenfreunde beschrieben sind. Und als Grundlage für den Erfahrungsaustausch ein ausführliches Pflanzenregister.

Im Impressum werden die Autorinnen vorgestellt und das Papier, „dessen mattierte Oberfläche dem Inhalt einen edlen und hochwertigen Charakter“ gäbe. Als Rentnerin vor den Linsenops hätte ich mir als Kontrast auf diesem edlen Papier eine schwärzere Tinte gewünscht, die kleinen und blassen Schrifttypen sind nur schwer lesbar.


Genre: Garten
Illustrated by Callwey

Eurotrash

Kracht lässt es wieder krachen

Mit seinem neuen Roman «Eurotrash» hat Christian Kracht eine Fortsetzung seines Debüts «‹Faserland» von 1995 vorgelegt. Darin setzt sich der umstrittene Schweizer Schriftsteller als Ich-Erzähler autofiktional mit der eigenen Familien-Geschichte auseinander. Als Plot dient ihm ein Besuch bei seiner hochbetagten, zeitweise dementen und alkoholkranken Mutter in Zürich, dem sich dann eine gemeinsam unternommene, spontane Reise durch die Schweiz anschließt. «Ich begreife meine Werke humoristisch» hat er mal erklärt, und so ist wohl auch dieser sechste Roman mit dem abfälligen Titel alles andere als ernst zu nehmen.

Die Hauptfigur ist die Mutter jenes Christian Kracht, der «vor einem Vierteljahrhundert» als seinen ersten Roman «Faserland» geschrieben hatte und gar nicht mehr weiß, warum der so heißt. So selbstbezüglich geht es hier zu, der Autor ist ein Meister der Selbstinszenierung. In dieser grotesken Roadnovel finden sich viele literarische Ingredienzien wieder, die man als typisch für ihn kennt. «Also, ich musste wieder auf ein paar Tage nach Zürich» lautet der erste Satz, auch hier wieder das anbiedernde Füllwort ‹Also› wie schon im Debüt, das den Leser ganz unmittelbar ansprechen soll. Weitere Motive sind das reichlich vorhandene und mit vollen Händen hinausgeworfene Geld, ferner Medikamenten-Missbrauch und Alkohol im großen Stil. Typisch, wenn auch weniger aufdringlich als im Debüt sind die immer wieder genannten Nobelmarken der Upperclass, zu der dieser hedonistische Ich-Erzähler sich zählt. Was man wohlwollend als Kapitalismus-Kritik auslegen kann, aber auch als Kennzeichen einer latenten Wohlstands-Verwahrlosung. In dieses Spiel mit dem Überfluss sind auch all die Luxus-Behausungen der Familie in Gstaad, Kampen auf Sylt, Cap Ferrat oder Myfair mit einbezogen, in denen der schnöselige Ich-Erzähler zu Hause war, alle mit wertvoller Kunst ausstaffiert. Und man verkehrte auch mit der Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Als Leser tut man gut daran, all das nicht ernst zu nehmen, dem Autor nicht auf den Leim zu gehen in diesem virtuosen Verwirrspiel zwischen Fakten und Fiktionen, das sich hinter dem Label ‹Roman› versteckt.

Mit dem Taxi starten Mutter und Sohn nach einen Besuch bei ihrer Bank zu ihrem Roadtrip, bei sich haben sie 600.000 Franken in einer prall gefüllten Plastiktüte, das Bargeld soll großzügig unter die Leute gebracht werden. Mit gegenseitigen Vorwürfen bieten die Beiden in ihren Gesprächen ein erschreckendes Bild ihres konfliktreichen Verhältnisses, er würde sie sträflich vernachlässigen, lautet der Vorwurf der Mutter. Den Sohn hingegen beschäftigt die Nazi-Vergangenheit des Großvaters, der auf Sylt Treffen der ehemaligen SS-Kameraden organisiert hat. Es sind funkelnde Dialoge, die da im Taxi oder Hotel geführt werden, wobei die erstaunliche Schlagfertigkeit und scheinbare Bildung der nur ‹Bunte› lesenden Mutter zu kuriosen Situationen führt, in denen sie den Sohn verblüfft und die oft einer Posse gleichen. Ihn aber kotzt alles an, er stört sich an der Verlogenheit bei seinem Blick in menschliche Abgründe.

«Christian Kracht ist ein ganz schlauer Bursche», wird Peter Handke zitiert, was zweifellos stimmt, Kracht lässt es wieder krachen! Allerdings war das doch wohl eher abwertend gemeint in jenem Zitat, mit dem auf dem Umschlag geworben wird. Was ein ausgewiesener Medienprofi dann, wie man sieht, mühelos ins Gegenteil drehen kann. Seine mit intertextuellen Bezügen gespickte, intellektuell anspruchsvolle Geschichte erweist sich im Endeffekt als ein selbstbezogenes Spiel um die eigene Person. Vieles dabei ist reine Pose, eine Attitüde, die auch auf den sprachlichen Stil zutrifft, der mit Attributen überladen eher altväterlich wirkt. Und wo führt das nun hin? Das Ende lässt alles offen, was noch unterstrichen wird durch sage und schreibe 14 leere Seiten am Ende, die bei der Seitenzahl aber ungeniert mitgezählt sind! Ist diese Leere in Wahrheit der Schluss?

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Die Zeuginnen

Es passiert nicht oft, dass ein Fortsetzungs-Roman erst 34 Jahre nach dem ersten Band erscheint, die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hat nun nach dieser langen Zeitspanne mit «Die Zeuginnen» einen an ‹Der Report der Magd› anschließenden Roman veröffentlicht. Mancher heutige Leser war damals noch gar nicht auf der Welt, andere hatten wahrscheinlich auch Wichtigeres zu tun, als Bestseller-Romane zu lesen. Was insoweit aber kein Manko ist, denn das neue Buch ist völlig eigenständig zu lesen, seine Handlung beginnt erst 15 Jahre nach dem Ende des erfolgreichen Vorgängers. Die Inspiration zu diesem Roman habe sie aus den Fragen der Leser des ersten Bandes erhalten, hat die Autorin erklärt, «die andere Inspirationsquelle ist die Welt, in der wir leben». Damit spielt sie auf Trump an, auf die Klimakrise, auf den islamistischen Terror und anderes mehr.

Dieser dystopische Roman handelt vom Niedergang des fiktiven Staates Gilead, der als misogyne Theokratie aus den ehemaligen USA hervorgegangen ist. Atwood treibt mit diesem extrem frauenfeindlichen Staat als zentraler Thematik ihren Feminismus auf die Spitze. Sie erzählt ihre Geschichte abwechselnd aus der Perspektive dreier Frauen, die als Ich-Erzählerinnen zunächst nur lose miteinander verbunden sind, ehe sich die Handlungs-Stränge am Ende des Buches in einem spannenden Finale vereinen. Mächtigste Figur ist ‹Tante› Lydia, die als ehemalige Richterin dazu gezwungen wird, in Gilead ein klosterartig organisiertes System aufzubauen, in dem Sitten-Wächterinnen mit äußerster Härte die Frauen unterdrücken. Dabei stehen Ehefrauen hierarchisch höher als die unverheirateten ‹Mägde›, die als haremsartige Nebenfrauen für Kindersegen zu sorgen haben und zur Hausarbeit verpflichtet sind. Da Scheidungen verboten sind, muss ein Mann, will er seine Frau loswerden, auf die Praktiken von Heinrich VIII zurückgreifen. Überhaupt geht das System brutal mit Menschen um, Verurteilte werden öffentlich hingerichtet, in besonderen Fällen wie in einer römischen Arena von ‹Mägden› in Stücke zerrissen. Lydia, die eng mit der Führungselite verbunden ist, macht heimlich Aufzeichnungen und sammelt Dokumente über den verbrecherischen Unrechtsstaat, sie will mithelfen, ihn eines Tages zu stürzen.

Die junge Agnes, deren Bericht als ‹Zeugenaussage 369A› betitelt ist, will einer drohenden Zwangsheirat entgehen und lässt sich als ‹Tante› ausbilden, sie reflektiert diesen Staat aus einer system-konformen Innensicht. Unter ‹Zeugenaussage 369B› berichtet Nicole, die als Baby von der Widerstands-Bewegung MayDay nach Kanada entführt wurde, aus einer system-kritischen Außenperspektive. Als ‹Die kleine Nicole› nimmt sie einen fast jesusartigen Status im Propagandakrieg der beiden verfeindeten Nachbarstaaten ein, ihr Konterfei hängt in allen öffentlichen Gebäuden Kanadas. Aus Angst vor einem Anschlag muss sie, vom Geheimdienst beschützt, unter falschem Namen leben.

Dieser kunstvoll konstruierte Roman ist reichlich mit Spannungs-Elementen aufgeladen, die das Buch zu einem Pageturner machen und ihm wohl auch den Booker-Price 2019 eingebracht haben. Männer spielen darin kaum eine Rolle, sie sind nur negatives Beiwerk, quasi der Grund allen Übels. Zu den Leerstellen dieser Geschichte gehört die Frage, warum die Frauen sich dem allen klaglos unterwerfen, Hinweise dazu gibt es keine. Der kreative Plot wird flüssig lesbar erzählt und ist, besonders im Bericht von Lydia, stilistisch mit schwarzem Humor angereichert. Sie ist denn auch die markanteste Roman-Figur, bei der oft die Fäden zusammenlaufen. Auffallend ist der völlige Verzicht auf psychologische Deutung der Figuren, Margaret Atwood berichtet distanziert, fast lakonisch, so als ob sie von historisch Verbürgtem spricht. Sie fügt als Epilog sogar «Historische Anmerkungen» hinzu und nennt in ihrer Danksagung auch die vielen Leserbriefe als Ideengeber für das neue Buch. Dessen literarischer Wert ist allerdings ziemlich umstritten!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Berlin Verlag Berlin

Die Sonne der Scorta

High Noon

Für seinen dritten Roman «Die Sonne der Scorta» erhielt Laurent Gaudé 2004 den Prix Goncour. In dem wie ein Prolog vorangestellten Gedicht von Cesare Pavese klingen bereits die Themen Schweigen, Einsamkeit, Wahnsinn und Sonne an, die diesen fünf Generationen umfassenden Roman über eine italienische Familie ebenfalls prägen. Und auch hier steht das Motiv der Heimat als ‹angeborene› Identität des Menschen im Zentrum eines Geschehens, das insbesondere durch die archaische Lebensweise seiner Figuren bestimmt wird.

Es beginnt mit einem Paukenschlag. Im Jahre 1875 kehrt der nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassene Verbrecher Luciano in sein Heimatdorf auf dem Gargano in Apulien zurück. In einer an den Western «High Noon» erinnernden, vor Spannung knisternden Szene reitet er in glühender Mittagssonne durch das während der Siesta menschenleere Dorf, um das zu tun, wovon der Halunke sein Leben lang geträumt hat: Er will unbedingt einmal Sex mit Filomena haben, der Frau seiner Träume. Danach werden ihn die Leute töten, das weiß er, aber es ist ihm völlig egal, er hat mit dem Leben abgeschlossen. Sie öffnet ihm die Tür und gibt sich ihm widerstandslos hin. Demonstrativ knöpft er seine Hose erst zu, als er nach der Siesta aus ihrem Haus tritt, so dass alle es sehen können. Er wird von den erbosten Männern gesteinigt, aber bevor er das Bewusstsein verliert, hört er eine Frau schreien: «Immacolata ist die letzte Frau, der du Gewalt angetan hast». Es war die Schwester, mit der er geschlafen hat, Filomena ist schon lange tot!

Immacolata wird schwanger, bringt Rocco zu Welt und stirbt im Kindbett. Der Pfarrer rettet das Neugeborene vor den erzürnten Dorfbewohnern, die es als Frucht des Bösen gleich der Mutter mit in den Sarg legen wollen. Rocco wird in einem Nachbardorf aufgezogen und entwickelt sich zu einem Schwerverbrecher, der aber, anders als sein Vater, zu großem Wohlstand kommt und, deshalb allseits geachtet, eine Familie gründet. Als er stirbt, hinterlässt er sein gesamtes Vermögen der Kirche und stürzt Frau und Kinder damit in bitterste Armut. Über fünf Generationen hinweg erlebt dieser Familienclan einen Rückschlag nach dem anderen. Sei es die erst auf Ellis Island scheiternde Auswanderung der Kinder oder der in einem irren Akt der Verzweifelung eigenhändig niedergebrannte Zigarettenladen, das Schicksal meint es nicht gut mit ihnen, sie scheinen mit einem Fluch beladen zu sein. Aber ihr Lebenswille lässt sie unbeirrt voranschreiten, allen Widrigkeiten zum Trotz. Der Autor entwickelt in den zehn Kapiteln seiner wechselvollen Geschichte ein archaisches Bild vom armseligen Leben auf dem Lande, das einen harten Menschenschlag hervorbringt. Seine lebensprallen Figuren sind anschaulich beschrieben und wirken selbst als Ganoven sympathisch. Und dies vor allem in den Dialogen, die in ihrer Gedankenfülle und Lebensweisheit einen deutlichen Kontrast bilden zu den Brutalitäten des entbehrungsreichen Daseins.

Als zweite Erzählebene bindet der Autor immer wieder Gespräche mit dem Dorfpfarrer in seine Geschichte ein, die das Geschehen aus einer persönlichen Perspektive kurzgefasst wiederholen und in unterschiedlichen Aspekten tiefer gehend deuten. Die Sinnfrage steht im Zentrum aller Gespräche, in dieser Familie ist eine latente Todes-Sehnsucht spürbar. Der Urahn lässt sich widerstandslos steinigen, einer seiner Enkel lässt sich als Schmuggler aufs Meer hinaus treiben und wird nie wieder gesehen. In der bitteren Armut scheint Geld der Heilsbringer zu sein, aber es erweist sich als ebenso trügerisch wie das Schicksal selbst. In diesem Roman fungiert eine ganze Familie als Protagonist, ihr Weiterleben von Generation zu Generation folgt dem Lauf der Natur, was der Pfarrer am Beispiel der Oliven verdeutlich, von denen das Dorf lebt und die, alljährlich wiederkehrend, ewig existieren. Dieser neorealistisch erzählte Roman stellt mit seiner gedanklichen Tiefe eine gleichermaßen bereichernde wie unterhaltende Lektüre dar.

Fazit: erstklassig

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Genre: Roman
Illustrated by dtv München

My Roomate is a Cat 5

My Roommate is a Cat 5 als TaschenbuchNeue Herausforderungen und schmerzhafte Erinnerungen

Schriftsteller Subaru soll auf Wunsch seiner Leser*innen Liebesbeziehungen in seine Geschichten einbauen. Das stellt den schüchternen und in Liebesdingen völlig unerfahrenen Mann vor völlig neue Herausforderungen. Obwohl er sich des Problems annimmt, misslingt der erste Versuch völlig. Sein Redakteur beschließt daraufhin, Subaru mit Liebesfilmen zu versorgen, damit der Schriftsteller wenigstens eine Ahnung von der Liebe bekommt. Währenddessen erinnert sich seine Katze Haru an ihre Zeit als Straßenkatze. Dabei stellt sie sich erneut Freud und Leid: Sie gedenkt der Straßenkatzen, die ihr geholfen haben, aber auch ihres kleinen Bruders, der verhungert ist.

Der 5. Band vermittelt Themen wie den Mut, seine Komfortzone zu verlassen (besonders für schüchterne Menschen schwer) und die Verarbeitung schmerzhafter Erlebnisse. Wie immer wird aus der Sicht Subarus und aus der Sicht seiner Katze Haru erzählt. Dabei werden Haru und ihre Katzenfreunde ziemlich vermenschlicht. Das ist aber auch der einzige Wehrmutstropfen an einer ansonsten schönen, warmherzigen Serie.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!