Mein wunderbarer Gartensalon – Wie Frauen in ihrem Garten das Leben genießen

Mein wunderbarer GartensalonNach der Gartenarbeit kommt der Spaß

Autorin Katja Mutschelknaus fängt da an, wo Gartenmagazine aufhören: Mit der Nutzung des nach mühevoller Gartenarbeit hergerichteten Stück eigenen Landes. Damit hat die Autorin eine Nische gefunden, denn selbst wunderschön bebilderte Zeitschriften wie “Landidee” heben v.a. die Gestaltung und Arbeit im Garten hervor. Aber was kann frau damit anstellen, wenn sie mit der Arbeit fertig ist? Da hakt Mutschelknaus ein. Sie beschreibt den liebevoll hergerichteten Garten als erweitertes Wohnzimmer für die Dame, eine Seelenwohnung, ein von neugierigen Blicken abgeschirmter Ort, in dem frau sich erholen und nach Herzenslust allem, was ihr Spaß macht, nachgehen kann. Dort darf sie wieder Kind oder junge Frau sein, schaukeln, eine Feenparty veranstalten, den Geliebten einladen, den Garten als Spa benutzen oder ihn in eine orientalische Wohlfühloase verwandeln.

Aber so ganz ohne Arbeit kommt auch sie nicht aus: Wer schlemmen will, muss erst einmal kochen. Und das machen trotz männlicher Sterneköche im Fernsehen und in der Gastronomie im Alltag immer noch die Frauen. Damit es aber kein Alltagstrott-Essen wird, streut sie in ihre eigens für genussvolle Momente entworfenen Rezepte immer wieder etwas Exquisites oder Luxuriöses ein wie Blattgold oder Trüffel. Sie gibt aber auch Tipps, wie frau das Trocknen von Kräutern und das Einmachen wiederbeleben kann, um Leckeres zu zaubern. Außerdem gibt sie Tipps, wie frau sich ihre Wohlfühloase nach ihren Wünschen stilvoll gestalten kann. Damit frau nicht lange suchen muss, sind die Bezugsquellen von Zutaten und Möbeln usw. gleich inklusive. Da ist aber auch schon ein nicht ganz unwichtiger Hund begraben: Um sich das alles leisten zu können, muss frau das nötige Kleingeld haben. Oder sich die Rezepte rauspicken, die lecker sind und ohne viel luxuriösen Zierrat auskommen. Bio ist natürlich toll und in mehrerlei Hinsicht extrem wünschenswert, aber auch dafür muss der Geldbeutel stimmen. Ansonsten sind wohl Supermärkte oder besser noch handwerkliches Geschick gefragt, um sich die eigene grüne Oase mit Mobiliar zu verschönern. Sollte frau Letzteres besitzen, kann sie sich aus den angegebenen Bezugsquellen wie “Garten aus Holz” prima Ideen abschauen, anstatt viel Geld auszugeben.

 

Woher kommen die Ideen für die Gartenfreuden?

Ansonsten informiert die Autorin leichtfüßig über historische Gartenfreuden, Bräuche und Mythen, sowie Gärten als Schauplätze in der Literatur, schlägt den Bogen zu Zauberwesen wie den Feen und Elfen und vergisst auch nicht die gefiederten Gartenbewohner, die mit ihren Liedern die hoffentlich mittlerweile tiefenentspannte Dame verzaubern. Ganz praktisch gibt Mutschelknaus Tipps, wie frau Vögel in ihrem Garten artgerecht unterstützen kann.

Mir persönlich hat Mutschelknaus’ Schreibstil sehr gefallen. Er ist, wie oben schon angedeutet, leichtfüßig, beschwingt-fröhlich, tänzerisch. Ihre Sprache ist bildhaft und adjetivreich, sodass man sich das Beschriebene prima vorstellen kann. So entwirft sie mit leichter Hand Stimmungsbilder und lässt das Kopfkino anspringen. Das alles ist dazu geeignet, ein entspanntes Ferienfeeling zu schaffen und aufzumuntern. Mutschelknaus will anscheinend die Lust für das süße Nichtstun (wieder) wecken, das in unserer hektischen und stets im Hamsterrad rotierenden Welt abhanden gekommen ist. Sie tut gut daran, denn ohne entsprechende Entspannung fehlt ein wichtiger Teil des Lebens, der für die Regeneration zuständig ist. Vielleicht hat Corona die eine oder den anderen wieder aus den Hamsterrad rausholen und den Wert der Entspannung schätzen lernen können. Und entspannen kann frau und man(n) meist im Grünen. Eigentlich sollten wir es machen wie die Kinder (die Autorin erinnert an die eigene Kindheit): Raus ins Grüne und machen, wozu frau Lust hat! Schaukeln und Elfeninterview inklusive.

Fazit

Leichtfüßiges, schön bebildertes Sachbuch mit Betonung auf Genussmomenten, das mit seiner beschwingt-fröhlichen und bildhaften Art, die schönen Dinge des Lebens zu beschreiben, Ferienfeeling im eigenen Garten weckt. Es ist Nahrung für die Seele und mit den Rezepten für den Körper gleich mit.


Genre: Garten, Rezepte, Sachbuch
Illustrated by Thiele Verlag

My Roommate is a Cat 6

Gemeinschaft

Subaru und Haru geben Leo wohlbehalten bei dessen Besitzer*innen ab. Der introvertierte Schriftsteller Subaru lernt einmal mehr über Menschen, Tiere und Gemeinschaft dazu. Auf dem Rückweg kommt er an einem Imbiss vorbei und erfährt von dessen Besitzer, wie sehr seine Mutter ihn geschätzt hat. Das stärkt sein Selbstbewusstsein und er erkennt, dass er nicht allein ist. Auch bei anderen Gelegenheiten wie z.B. Neujahr merkt Subaru, dass er nicht mehr allein ist, sondern sich langsam ein soziales Netzwerk um ihn herum bildet. Haru fasst die Situation in ihrer eigenen Art und Weise auf: Ihr Verantwortungsbewusstsein erstreckt sich auf Tier und Mensch und sie bringt Leo noch das ein oder andere bei. Und es kommt noch mehr Zuwachs: Haru macht Subaru darauf aufmerksam, dass unter seiner Veranda verlassene Katzenbabys sind.

Tiere als Balsam für die Seele und soziale “Therapie”

Auch der neue Band erzählt wieder einfühlsam von dem introvertierten Schriftsteller Subaru, der durch seine Katze Haru langsam seinen Weg zurück ins Leben und Freund*innen findet. Subaru lernt, Freundschaften anzunehmen und zu pflegen. Der Band erzählt ebenso von der tiefen Bindung von Haustierbesitzer*innen zu ihren Tieren und wie die Tiere Einsamkeit vertreiben und sogar Gemeinschaftsleben entstehen lassen und fördern können.

Aber es taucht auch immer wieder das Problem von ausgesetzten Tieren auf und wie es ihnen auf der Straße ergeht – sofern sie überleben. Tierschutzorganisationen können ein Lied von all dem Leid singen, das ausgesetzten Tieren wiederfährt. Deshalb wirbt der Manga für Verantwortungsbewusstsein für Lebewesen, die genau wie Menschen Freud und Leid empfinden können. Subaru stellt sich der Verantwortung für die Katzenbabys, bringt sie zum Tierarzt, informiert sich, was er für sie tun muss und will liebevolle Halter*innen für die Kätzchen finden. Wer Tiere hat, hat die Verpflichtung, sich um sie artgerecht zu kümmern. Nur das verhindert Tierleid.

Empfohlen.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Was fehlt dir

Vom Ende aller Dinge

Nach ihrem Überraschungs-Erfolg mit «Der Freund» hat Sigrid Nunez nun einen Roman unter dem banal klingenden Titel «Was fehlt dir» vorgelegt, der im Original mit «What Are You Going Through» seine Thematik weitaus besser beschreibt. Es geht um das emphatische Einfühlen in das Schicksal anderer Menschen und die Frage, inwieweit das eigene Leben davon betroffen ist. Die New Yorker Schriftstellerin geht dieser Frage eher in essayistischer Form nach denn in erzählerischer, erst nach der Hälfte des Buches beginnt der eigentliche Plot um das schwierige Thema selbstbestimmtes Sterben.

Eine der Autorin ähnelnde Schriftstellerin (sic) soll ihre unheilbar an Krebs erkrankte beste Freundin beim geplanten Suizid begleiten, und auch in dieser Figur ist unschwer Susan Sontag zu erkennen, die Mutter von David Rieff, dem Exfreund der Autorin. Die namenlose Ich-Erzählerin hat sich über Airbnb bei einer Witwe eingemietet, um ihre in der Nähe im Krankenhaus liegende Freundin jederzeit besuchen und ihr beistehen zu können. Das Buch beginnt mit dem Satz «Ich machte mich auf den Weg, um mir den Vortrag eines Mannes anzuhören». In apokalyptischen Bildern sagt ein bekannter Professor da den längst unabwendbar gewordenen Untergang der Menschheit voraus als Folge der sich häufenden globalen Krisen. Mit diesem Einstieg spiegelt Sigrid Nunez den menschlichen Tod am bevorstehenden, selbst verschuldeten Ende der Zivilisation und weist darauf hin, was es bedeutet, gerade jetzt zu leben. Der Vortragende ist, erfährt man erst im Nachhinein, der Ex-Mann der Erzählerin. In ihm, den sie lange nicht gesehen hat, findet sie nun plötzlich einen kompetenten Gesprächspartner für die schwierigen Fragen, mit denen sie sich in ihrer bedrückenden Rolle als Sterbebegleiterin auseinander setzen muss. Ein weiterer Themenbereich dieses Buches ist die Frage, wie sich denn überhaupt darüber schreiben lässt, woran Menschen leiden, was der Tod für sie bedeutet, wie sie mit seiner Unabwendbarkeit umgehen.

Um dieses Themenspektrum herum entwickelt die Autorin in vielen anekdotischen Abschweifungen und Anspielungen aus Film und Literatur ihre literarische Tour d’Horizon ums Sterben und um die Frage, wie Mitgefühl die Sicht auf unser Leben verändern kann. Wobei das Altwerden hier im Roman vor allem ein Problem der Frauen ist. Sei es, dass sie vom Schlankheits-Wahn betroffen sind, ein passender Mann nicht zu finden ist, eine Paranoia zur absoluten Vereinsamung führt. In einer Anekdote erkennt eine krebskranke Frau, dass ihr ungeliebter Mann angesichts ihres nahen Todes immer führsorglicher wird und geradezu auflebt, nun regelrecht glücklich erscheint. Und sarkastisch wird die Geschichte eines Mannes und einer Frau kommentiert, die im Fahrstuhl stecken bleiben und nach der glücklichen Befreiung spontan beschließen, zu heiraten. Aber einem «Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage» setzt Nunez trocken ein «Well, no» entgegen, so simpel ist das Leben halt doch nicht.

Eine «allertraurigste Geschichte» folgt der anderen, und mit Ford Madox Ford ist hier auch schon einer der vielen intertextuellen Verweis genannt, Faulkner, Sontag, Kafka, Bachmann und andere ergänzen diese literarischen Bezüge und werden teilweise ausführlich zitiert. Und es wimmelt von Aphorismen: «Eine Jugend, die belastet ist von dem Wissen, wie traurig und schmerzhaft Altern ist, würde ich überhaupt nicht Jugend nennen», lässt Nunez ihre Erzählerin sagen. In einer einfachen Sprache werden da, zuweilen recht amüsant, viele kluge Gedanken ausgebreitet, so wenn sie an einer Stelle fragt: «Und ist das nicht das Schöne am Lesen, dass es dich von dir selbst ablenkt». Auch Walter Benjamin kommt am Ende zu Wort: «Der Leser fühlt sich vom Roman angezogen in der Hoffnung, dass er sein zitterndes Leben mit einem Tod wärmen kann, über den er liest». Da scheint was dran zu sein, wird man sich nach der Lektüre dieses klugen Buches sagen, ob man es nun als Roman gelesen hat oder als Essay.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Aufbau Berlin

BL Metamorphosen – Geheimnis einer Freundschaft 4

Freundschaft kennt kein Alter

Urara hat angefangen, ihren eigenen Manga zu zeichnen. Aber da sie sich selbst nicht viel zutraut, stagniert ihr Projekt. Ihre um zwei Generationen ältere Freundin Yuki hilft ihr, indem sie Urara bei sich zeichnen lässt, ihr dort kreativ Licht zum Zeichnen verschafft, ihr einen Freund vorstellt, der eine Druckerei besitzt, und sich schon überlegt, wie man den Tisch bei der 128. Comitia hübsch gestaltet, damit Uraras Werk sich verkauft. Bei so vielen praktischen Überlegungen rund um ihren Manga kann Urara gar nicht anders als weiterzuzeichnen – obwohl sie eigentlich für ihre Prüfungen lernen müsste. Der Tag der Con rückt immer näher und Urara hat nur noch wenig Zeit, um ihren ersten eigenen BL-Manga zu vollenden. Wird sie es trotz aller Hindernisse schaffen?

 

Im Anderssein unterstützt werden

Der 4. Band der Serie vertieft die Freundschaft zwischen den beiden ungleich alten Frauen mit einem gemeinsamen Hobby – den Boys-Love-Mangas. Dabei sprechen oft schon die Zeichnungen für sich, um Stimmungen adäquat und auf den Punkt gebracht an die Leser*innen zu bringen. Da reicht z.B. schon ein Blick Uraras in ein Schaufenster, um zu zeigen, wie hässlich sie sich in Gegenwart der hübschen Freundin ihres Kumpels fühlt. Oder es wird bildhaft ein Vergleich zwischen der von Urara und Yuki hochverehrten BL-Profizeichnerin und Urara angestellt: Erstere ist von ihrem Beruf aufgrund des Stresses und der unfreien Arbeitsweise nicht mehr so begeistert, während die zwar an sich selbst zweifelnde, das Projekt aber trotzdem durchziehende Urara eine leise, dafür aber tiefgehend leidenschaftliche Begeisterung für das Zeichnen entwickelt. Die eine sehnt sich nach den Freiheiten und der Anonymität der Dojinshi-Messe, die andere hofft auf ebenjener, dass wenigstens eine*r ihr Werk kauft und damit wertschätzt.

Wertschätzung erhält Urara von der über 70-jährigen Yuki. Sie verurteilt Urara nicht, die anstatt für die Prüfungen zu lernen ihren eigenen Weg geht. Im Gegenteil: Ohne viele Worte zeigt Yuki ihr ihre Wertschätzung, indem sie in praktischer Weise alle Probleme und die Organisation der Con durchdenkt und Urara ihre Lösungsvorschläge präsentiert. Sie zeigt so sehr deutlich, dass sie an Urara und ihr Vorhaben glaubt. Man muss nicht immer viele Worte um eine Sache machen (zumal Worte oft Schaum sind), sondern tatkräftig mitanpacken. Genau das tut Yuki. So eine Freundin wünscht sich jede, hat aber leider nicht jede. Die beiden Frauen gehen auf diese Art und Weise ihren eigenen Weg, der auf mehrerlei Art nicht mit dem der uniformen Gesellschaft übereinstimmt. Sie zeigen: Jede*r hat das Recht, auf ihre/seine Weise glücklich zu werden.

Nebenbei wird der Alltag der beiden Frauen in unaufgeregter, aber warmherziger Weise gezeigt, den sie oft unabhängig voneinander erleben. Selbstständigkeit spielt also ebenfalls eine große Rolle, sowie der ganz natürlich stattfindende Wechsel zwischen Alleinsein und Gemeinschaft. Überhaupt ist der Manga wie immer sehr warmherzig und in unaufgeregeter Art pointiert in seiner Art und Weise, die Dinge darzustellen.

Außerdem wird nebenbei gezeigt, wie man mit dem Altern umgehen kann: Yuki altert genauso unaufgeregt wie sie ihren Alltag meistert. Ja, da sind die Altererscheinungen, die ihr zu schaffen machen. Ja, sie ist nicht mehr hübsch. Aber Letzteres spielt für sie keine Rolle und Ersteres ist nur für den Moment unangenehm. Es hält sie jedenfalls nie davon ab, ihr Leben weiterhin so zu gestalten, wie es ihr gefällt und wie sie es für richtig hält. So möchte ich auch altern!

Empfohlen!


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Die Finkler-Frage

Unterhaltsame Groteske

Er hat lange drauf warten müssen, als einer der ältesten wurde der damals 68jährige britische Schriftsteller Howard Jacobson 2010 mit dem Booker Prize geehrt für seinen Roman «Die Finkler-Frage». Die Jury charakterisierte ihn als «Klug, witzig, und auf eine ganz besondere Art auch sehr traurig und melancholisch. Wie ein Lachen im Dunkeln!» Der vor allem von US-amerikanischen Autoren wie Saul Bellow und Philip Roth repräsentierte jüdische Roman fand so erstmals ein ebenbürtiges britisches Pendant, wobei Jacobson dazu angemerkt hat, er sei «lieber die jüdische Jane Austen als der britische Philip Roth».

Trauriger Held des Romans ist Julian Treslove, ein Losertyp, der in London bei der BBC gefeuert wurde und sein Geld nun als Filmstar-Double auf privaten Feiern verdient, engagiert als  besonderer Gag. Der Fünfzigjährige ist Vater zweier Söhne, zu denen er kaum Kontakt hat, beide Mütter haben ihn noch während der Schwangerschaft verlassen. Es beginnt mit einer Essenseinladung bei seinem alten Freund Libor Sevcik, der die Schoa überlebt hat, dritter im Bunde ist Samuel Finkler, ein Gefährte aus Kindertagen, Autor von populär-philosophischen Sachbüchern, für Julian der Inbegriff des erfolgreichen Juden. Weshalb er für Jude nur noch den Begriff ‹Finkler› benutzt, was auch den Buchtitel erklärt, er bedeutet ‹Judenfrage›. Auf dem nächtlichen Heimweg wird Julian überfallen und ausgeraubt, und zwar von einer Frau, die ihn nur verächtlich mit «Du Jude» angezischt hat. Offen beneidet er die beiden kritisch-jüdischen Intellektuellen um ihre Identität, auch er möchte dem auserwählten Volk angehören, obwohl sie selbst ihr Jüdischsein sogar verachten, sich in typisch jüdischem Selbsthass üben. Nach dem Überfall treibt Julian, der ja nun auch zum Opfer gewordene Möchtegern-Jude, seine Obsession auf die Spitze. Er beschäftigt sich mit dem Hebräischen und verliebt sich in Hepzibah Weizenbaum, eine Jüdin, die gerade dabei ist, in London ein anglo-jüdisches Museum ins Leben zu rufen.

Es wird viel diskutiert in diesem Roman, in dessen Plot hingegen sich herzlich wenig ereignet. Mit nicht enden wollenden Dialogen der als Charaktere liebevoll und überzeugend geschilderten Freunde und der teilweise skurrilen Nebenfiguren wird die Thematik des Judentums unserer Zeit in all ihren Aspekten gründlich und kritisch hinterfragt. Dabei gewinnt man nebenbei tiefe Einblicke in das Seelenleben der Figuren, während sie unentwegt ihre Dispute über den permanenten Alltags-Antisemitismus und die Missetaten des Staates Israel an den Palästinensern wortreich ausfechten. Dass dies bei einem britischen Autor mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors angereichert ist, tut der Ernsthaftigkeit der Thematik keinen Abbruch. Auf Julians Begeisterung für das Judentum hält ihm der skeptische Freund vor: «Demnächst trägst du noch Schläfenlocken und sagst mir, dass du dich freiwillig zur israelischen Armee gemeldet hast, um Kampfjets gegen die Hamas zu fliegen».

Sprachlich auf hohem Niveau, werden hier Klischees und Vorurteile über das Jüdischsein lakonisch hinterfragt, ohne dass darunter der Unterhaltungswert des Romans leidet. Als Nebeneffekt lernt man zudem eine Fülle von Begriffen aus dem Jiddischen kennen und amüsiert sich über Wortbildungen wie ASCHandjiddn als Name für eine judenkritische Initiative. Damit ist verächtlich eine auf der Opferrolle gründende jüdische Identität gemeint, A Schand Jiddn! Und dass Jiddn auch Machos sind, wird deutlich, als eine Frau mit beachtlicher Oberweite bei einer Party aufkreuzt: «Hätten Jane Austens Heldinnen solche Brüste gehabt, hätten sie sich nie besorgt zu fragen brauchen, ob sie einen Ehemann abbekämen». Der Sex nimmt breiten Raum ein, ausgiebig wird hier beispielsweise ernsthaft erörtert, in wieweit denn die Beschneidung jüdischer Männer ihre sexuelle Empfindungsfähigkeit beeinträchtigt. Eine breit ausgewalzte, unterhaltsame und melancholische Groteske über jüdische Männer und das heutige Judentum.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by DVA München

Kochen und Backen mit Buchweizen – Glutenfrei und vegan schlemmen mit dem Traditionskorn Buchweizen

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Vegane Küche mit dem gesunden Pseudogetreide Buchweizen

Journalistin Katrin Luber hat ein Koch- und Backbuch rund um ein altes, lange Zeit in Vergessenheit geratenes Traditionskorn geschrieben: Buchweizen. Früher war das Kochen und Backen mit Buchweizen, das als Zwischenfrucht beim Getreideanbeau diente und sich aufgrund seiner Anspruchslosigkeit gut auf nährstoffarmen Böden machte, gang und gäbe. Die Kartoffel verdrängte das Korn. Heute weiß man: Dieses Nahrungsmittel ist gesund. Das hebt Luber immer wieder in ihrem Buch hervor. Buchweizen ist glutenfrei, wächst sehr gut auf Brachland, wächst schnell, ist widerstandsfähig, besitzt den Nährwert von Weizen, ist ein Magnet für Bienen, soll präbiotisch und antioxidativ wirken, kann eine Senkung des Blutdrucks und eine verbesserte Gewichtsregulierung bewirken und einen positiven Effekt auf Diabetes haben (ebenso auf Alzheimer) und kann krebshemmend sein. Wenn der Buchweizen allerdings ungeschält ist, kann man empfindlicher auf Sonne reagieren.

Bevor es an die Rezepte geht, beschäftigt sich Luber ausführlich mit dem Buchweizen selbst: Geschichte und Herkunft des Buchweizens, Buchweizen-Märchen, Botanik von Buchweizen, Nährwerte von Buchweizen, Zubereitungsarten in seinen Anbaugebieten und wie man Keimlinge und Sprossen selbst zieht. Sie beleuchtet auch, wie man mit Buchweizenmehl selbst Sauerteig herstellt und wie man Hefewasser macht.  Alles in allem legt sie den geneigten Leser*innen das Kochen und Backen mit diesem Nahrungsmittel aus zahlreichen Gründen sehr ans Herz. Einige nennt sie auch in ihrem Vorwort. Zum einen hat die Autorin aufgrund gesundheitlicher Probleme auf vegan umgestellt und ist so auf Buchweizen gestoßen. Zum anderen, ebenfalls wegen gesundheitlicher Probleme, hat sie sich gluten- und zuckerfrei ernährt. Sie berichtet davon, dass ihre Verdauung sich verbesserte, sie plötzlich mehr Energie hatte und ihr Ausschlag wegging. Außerdem verschwanden Menstruationsschmerzen, Heuschnupfen, Reflux, Arthrose und Schilddrüsenunterfunktion. Ihre Erfahrungen gibt sie in ihrem Blog “Ist das vegan oder kann das weg?” und in diesem Buch weiter.

In dem Buch berichtet sie auch über die Machenschaften der Backwarenindustrie (die einem die Lust auf gekauftes Brot ziemlich verleiden) und klärt über verschiedene Arten von Getreideunverträglichkeit auf. Nach dem Lesen all dieser verständlich und flüssig geschriebenen Infos fühlte ich mich gut informiert und bereit, die Rezepte auszuprobieren. In einem ausführlichen Rezepteteil gibt Luber ihre Rezepte zu folgenden Themen weiter: Backwaren, Frühstück und Snacks, Süßes, Hauptgerichte. Da ist also für alle Tagesabschnitte und Geschmäcker etwas dabei. Ihre Rezepte sind vegan und glutenfrei. Das stellte mich persönlich vor Herausforderungen, da ich (neudeutsch) Flexitarierin bin und außerdem ein Kind mitzunernähren habe. Dieses Kind ist auch recht wählerisch, was das Essen angeht. Außerdem habe ich nicht alle Zutaten in “meinen” Supermärkten gefunden. Auch DM hatte z.B. keine Buchweizenflocken. An Buchweizen konnte ich deshalb nur Buchweizenmehl und Buchweizen als ganzes Korn ergattern.

All dies ließ mich Kompromisse eingehen: Ich kochte nur an einigen Tagen vegan, wenn ich die entsprechenden Zutaten zuhause hatte, ansonsten vegetarisch und mit anderen Zutaten, z.B. anstatt Buchweizenflocken mit Haferflocken. Dabei kam heraus: Man kann mit diesem Buch gut improvisieren, selbst wenn man kein*e Veganer*in ist. Und insgesamt sind diese Rezepte alltagstauglich (wenn man Zeit für Hefegebäck hat). Und: Ich war bass erstaunt, dass mein Sohn gar nichts gegen Buchweizen hat! Ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken soll, aber ich hatte gleich den Begiff “vegane Hausmannskost” im Sinn… Und das ist ganz und gar nichts Schlechtes. Außerdem erfeulich: Buchweizen macht satt! Sogar mich. Allerdings sind Buchweizenpfannkuchen ohne Ei etwas bröselig. Ich konnte sie in der Pfanne nicht wenden, ohne dass sie mir gebröckelt sind. Tipps erwünscht.

Nur Kleinigkeiten: Zweimal im Buch kam die gleiche Info über Buchweizen (S. 86 und 110) vor. Was ich mir noch gewünscht hätte: Bezugsquellen von z.B. Buchweizenflocken, Buchweizenschalen, Buchweizennudeln, Sojamehl… Wo bekommt man gute Produkte her? Ud: Ich glaube, dass folgender Satz anders gemeint war: “Etwas Wasser nach Bedarf, falls der Teig zu flüssig ist” (S. 67): Da ist bestimmt gemeint, “falls der Teig zu fest ist”. Außerdem als Anmerkung zu dem Satz “Meistens wissen die Menschen selbst, dass es nicht gesund ist und sie es eigentlich besser machen müssten.” Ich sage hier jetzt mal als alleinerziehende Mutter, dass es ganz klar eine Frage der Zeit und des Geldbeutels ist, sich gesünder zu ernähren. Gute Produkte sind definitiv teurer als zusatzstoff- und pestizidverseuchter Fertigmist. Und wenn man vollzeitschaffend nur eine halbe Stunde Zeit in der Mittagspause hat und nach Feierabend ein sehr lebendiges Kind zuhause, dann wird es auch zeittechnisch schwer mit der gesunden Ernährung. Zum Glück bessert es sich, je größer das Kind wird. Auch vorher habe ich schon versucht, möglichst gesund zu kochen, aber es ist alles andere als einfach, wenn man keine hilfreichen Hände hat, die einem entweder das Kind abnehmen oder selbst kochen. Das gilt auch für Frauen, die Männer haben, die sich (zu) wenig bis gar nicht im Haushalt und der Kindererziehung engagieren.

Sehr sympathisch: Die Fotos der Autorin sind genauso hausgemacht wie ihr Essen. Also keine mit Hilfsmitteln oder Styropor aufgepimpten Gerichte, die auf jede erdenkliche Art auf Hochglanz poliert wurden, sondern alltagstaugliches Essen, das die Autorin nach dem Fotografieren im Sinne der Nachhaltigkeit und der Wertschätzung der Lebensmittel selbst aufgegessen hat. Sie will Leser*innen damit auch Mut machen, es selbst auszuprobieren, indem sie sagt: “Das können Sie auch!”

Fazit

Informatives, flüssig geschriebendes Buch über vegane, gut nachzukochende Hausmannskost mit Buchweizen, dessen Rezepte zumindest mir und meinem Sohn gut schmecken!

 


Genre: Koch- und Backbuch
Illustrated by BoD Norderstedt

Wiesbacher Sinfonie

Neue Facetten

Auch in ihrem jüngsten Buch «Wiesbacher Sinfonie» sind die Liebe und ihre Irrungen und Wirrungen wieder das Thema von Katia Bohlander-Sahner. Als literarische Gattung eine Erzählung in kürzerer Form, die nach der Goetheschen Definition vom unerhörten Ereignis der Novelle entspricht, also klar strukturiert eine signifikante, einmalige Abweichung von der Normalität thematisiert. Es geht um die zerstörerische Liebe zwischen zwei familiär gebundenen Menschen, was als Thema ja so neu nicht ist. Gelingt es der Autorin, diesem in jeder Hinsicht bis zum Überdruss abgearbeiteten Genre neue Facetten abzugewinnen?

Den thematischen Sätzen einer Sinfonie entsprechenden wird hier in vier Abschnitten eine Geschichte von zwei Ehepaaren erzählt, die sich beide nach langjährigen Ehen in einer Phase befinden, die man nur noch als Alltagsroutine bezeichnen kann. In der kaum noch eine schwache Glut erkennbar ist von dem, was einst große Liebe war. Man hat sich an ein Zusammenleben gewöhnt, in dem es kein erotisches Prickeln mehr gibt, das Bett ist eigentlich nur noch Schlafstatt und ganz selten auch mal Ort sexueller Begegnung. Die Geschichte beginnt damit, dass der Lehrer Klemens von der Schriftstellerin Paula gebeten wird, ihre Manuskripte zu lesen und zu beurteilen. Er fühlt sich geehrt und trifft sich mit ihr zu einem ersten Gespräch. Und wie das so ist im Leben, finden die Zwei Gefallen aneinander. Als er kurz darauf im Rahmen eines Schüleraustausch-Programms mit der Klasse nach Italien aufbricht, merkt Paula, dass sie regelrecht ‹liebeskrank› geworden ist. Sie reist ihm mit der Ausrede, zum Schreiben dringend eine Auszeit vom Alltagsstress zu brauchen, kurz entschlossen hinterher. Natürlich sprengt nun der erste Sex zwischen ihnen alle Dimensionen, sie verleben einige rauschhafte Nächte. Bis Klemens plötzlich auf der Strasse mit einem Schlaganfall zusammenbricht. Seine Frau Minka eilt nach Italien und stellt überrascht fest, dass die Schriftstellerin auch vor Ort ist und den im Koma liegenden Klemens am Krankenbett besuchen will.

Peinlich, peinlich, aber es hilft ja nichts, die Frauen reden schließlich ein offenes Wort miteinander, und Minka bleibt dabei überraschend ruhig. In einer selbstkritischen Rückblende erinnert sie sich nämlich an ihre sadomasochistische Eskapade vor einigen Jahren mit einem charismatischen Psychologen, dem sie vom ersten Augenkontakt an rettungslos verfallen war. Als er ihr nach mehr als einem Jahr wilder Ausschweifungen ankündigt, dass er bald heiraten werde, nimmt sie das relativ gelassen hin. Denn auch ihr ist ja klar, dass ihre perverse Beziehung nicht ewig dauern oder gar in eine Ehe münden kann, dass Sadomaso also auf längere Sicht nicht tragfähig sein würde als Lebensgrundlage. Ziemlich überraschend gelingt es der Autorin dieser ebenso verzwickten wie tragischen Geschichte, ein für alle versöhnliches Ende zu finden. Welches, das wird in einer spoilerfreien Rezension wie dieser hier natürlich nicht ausgeplaudert. Denn genau in diesem unerwarteten Ende liegt die Stärke dieser Novelle!

Zunächst aber ist sie mit ihrem vorhersehbaren Geschehen eher enttäuschend und bleibt auch nicht kitschfrei, es werden viele abgenutzte Klischees bedient. Im Stil eines typischen Pageturners wird vorwärts drängend in kurzen, einfachen Sätzen erzählt, die in vielen ebenfalls kurzen Kapiteln straff strukturiert sind und deren Überschriften mit ihrer voraus weisenden Funktion noch zusätzlich dem Lesefluss Vortrieb geben. Dem Trend der Zeit folgend wird auch hier der ökonomischen Maxime ‹sex sells› gehuldigt, Minkas Rückblende im «Dritten Satz» wird mit einem Hinweis auf den trivialen Erotik-Dreiteiler «Shades of Grey» eingeleitet. Was hier Liebe genannt wird, das ist nicht nur im perversen Teil der Story purer Sex, auch die heftige Liaison zwischen Klemens und Paula sprengt alle ihre sexuellen Erwartungen. Aber auch das sind natürlich keine jener neuen Facetten, von denen eingangs die Rede war!

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Novelle
Illustrated by Edition Schaumberg

Charles Bukowski in Hamburg. Auf DVD.

Charles Bukowski in Hamburg. Auf DVD. 1200 Leute in einem Raum mit Bukowski. Am 18. Mai 1978 las der wohl berüchtigste US-Underground-Poet Charles Bukowski, geboren in Andernach, endlich auch in Deutschland. Seine ersten selbstironischen Worte gingen in dem Tumult und Chaos und der großen Freude des Publikums beinahe unter: „Hello, it’s good to be back!

Charles Bukowski – Live – in Hamburg

Charles Bukowski war 1920 als Sohn eines kalifornischen Besatzungssoldaten und einer deutschen Mutter im rheinischen Andernach gezeugt und auf Heinrich Karl getauft worden. Als Charles jr. drei Jahre alt war zogen seine Eltern mit ihm nach Los Angeles wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1994 blieb. Denn obwohl er innerhalb L.A.s sogar mehrmals umzog, war er ansonsten nicht viel auf Reisen, ausgenommen seine Jahre der Wanderschaft, die ihn nach New Orleans, Chicago oder Pittsburgh brachte. Bukowski gilt jedenfalls als der Schriftsteller der Stadt der Engel, Los Angeles, denn kein anderer setzte dieser Stadt ein so lebendiges und authentisches Denkmal wie er. Sein Roman „Hollywood“, nicht nur die Filmfabrik, sondern auch ein Stadtteil von Los Angeles, erschien zeitgleich zu „Barfly“, einer Hollywood-Produktion mit Micky Rourke und Faye Dunaway in den Hauptrollen. Diese explosive Kombination katapultierte Bukowski aus dem Underground in den Mainstream und endlich geschah das, was er sich sein Leben lang gewünscht hatte: vom Schreiben zu leben. Bukowski war inzwischen 55 Jahre alt.

Auf DVD: Charles Bukowski Lesung 1978

Die Liste seiner Nebenjobs ist legendär: vom Leichenwäscher zum Millionär, Möbelpacker, Nachtportier, Schlachtergehilfe, Bremser bei der Eisenbahn, Birnenpflücker, Zuhälter, Hafenarbeiter, Sportreporter, Briefsortierer bei der Post. Auch wenn die Hälfte seines Lebenslaufs wohl erfunden sein mag brachte es Henry Chinaski – so sein Alter ego – doch auf insgesamt 40 betriebsame Jahre, die in seinen Gedichten, Romanen und Short Stories auch immer wieder eine Rolle spielten. Die vorliegende Aufnahme seiner Lesung in Hamburg zeigt Charles Bukowski at his best. Voller Selbstironie, stets die Weinflasche in der Hand und den Kühlschrank auf der Bühne in Sichtweite, liest er mit einer integren, ruhigen Stimme seine Werke. Selbst wer kein Englisch spricht versteht ihn, denn er spricht die Sprache des Volkes, grell, schonungslos, direkt, manchmal auch melancholisch, aber stets von sich selbst überzeugt und voll subtilen Humors. Hätte es ihn gegeben, man hätte ihn erfinden müssen. Zusätzlich zur Lesung befindet sich auch die Dokumentation „Zum 70.“ auf dieser DVD, in der Bukowski in Interviews über seine liebsten Hobbys neben dem Schreiben spricht: Frauen, Alkohol, Pferdewetten, Frauen. Eine liebevolle Hommage an eine Legende, die dieses Jahr 101 Jahre alt geworden wäre.

Charles Bukowski

Charles Bukowski in Hamburg. Auf DVD.

Zweitausendeins Edition Dokumentation 75.

Spr.: D/E. Sub: Interview D. 78 Min. FSK 12. PAL.

Zweitausendeins Edition. 2017. DVD.

Zweitausendeins Verlag

7,99 €


Genre: Dokumentation, DVD, Film, Gedichte, Hamburg, Lesung, Spoken Word, USA
Illustrated by Zweitausendeins Frankfurt am Main

Batman Death Metal – Sepultura

Batman Death Metal – Band Edition 5 – Sepultura. Andreas Kisser (Gitarre), Derrick Green (Gesang), Paulo Xisto (Bass) und Eloy Casagrande (Schlagzeug) besser bekannt als Sepultura sind die Stars dieser Batman Death Metal Sonderedition, Band Edition 5 (Heft). Zeichner Greg Capullo und Autor Scott Snyder haben dieses Batman Abenteuer der brasilianischen Band aus Belo Horizonte gewidmet, die schon seit 1984 Thrash Metal machen, den sie mit Tribal Elementen zu einer explosiven Mischung verbinden.

Es lebe das Multiversum!

Das Multiversum lebt! Längst sprechen wir nicht mehr von einem Universum, sondern von vielen Multiversen. Denn in der Vielfalt liegt das Leben. Das Multiversum von dem wir hier sprechen besteht aus vielen Paralleluniversen, Welten und Dimensionen. Lux Luthor ist schuld daran, dass es im Sterben liegt, da er Perpetua, der finsteren Göttin des Multiversums, zur Macht verhalf. Sie hat sich mit dem bösen Batman, der lacht zusammengetan, um eine Welt nach der anderen zu vernichten. Das Batman/Joker Hybrid, das fast so stark wie Dr. Manhattan ist, herrscht als Dunkelster Ritter mit Robin King und anderen Bat-Monstern über die apokalyptische DC Hauptwelt. Aber Wonder Woman, Batman, Flash und Superman stellen sich der Übermacht an Bösewichten entgegen und kämpfen sich durch drei Crisis-Welten. Aber auch Lex Luthor schläft nicht. Er hat sich in dem Alien-Söldner Lobo eine wirksame Unterstützung geholt. Seine Mission beginnt erst und leitet über zu Teil 6 der Batman Death Metal Sonderserie, die schon im September begonnen hat. Dazu erschien auch eine Sonderedtion mit Dream Theater, deren neues Album im Oktober, diesen Herbst also, erscheint.

Sepultura: Neues Comic, neue Alben?

Die Sonderausgaben zum Batman-Event des Jahres – Batman Death Metal – sind mit jeweils einer berühmten Metal- Gruppe auf dem Cover plus Band-Biographie und Interview im Heft selbst ausgestattet. Im vorliegenden Heft präsentiert sich die international erfolgreiche brasilianische Band Sepultura, die seit 2011 beim deutschen Musiklabel Nuclear Blast unter Vertrag steht und deren neues Album Quadra von 2020 es auf Platz 5 der deutschen Charts brachte. Demnächst sind sie vielleicht wieder auf Tournee, denn das ist natürlich das, was Sepultura immer noch am liebsten machen – außer vielleicht Batman Death Metal Comics lesen?

Greg Capullo/Scott Snyder

Batman Death Metal

Originalstories:  Dark Nights: Death Metal 5, Death Metal Guidebook

Batman Death Metal – Band Edition 5 – Sepultura

2021, Heftformat, 52 Seiten

Panini Verlag

5,99 €


Illustrated by Panini Comics

Conan – Geschichten aus Cimmeria

Conan – Geschichten aus Cimmeria. Die Autoren Esad Ribic, Kurt Busiek, Roy Thomas und Zeichner Esad Ribic, Kevin Eastman sowie Steve McNiven legen mit „Conan – Geschichten aus Cimmeria“ verschiedene Neuinterpretationen zum steinzeitlichen Muskelhelden vor. Conan, selbst Cimmerier, ist schwarzhaarig und düsteren Blickes, stets das Schwert in der Hand. Er ist immer bereit zu plündern, morden, aber auch zu Melancholie und Heiterkeit. Mit Sandalen an den Füßen zertritt er so manchen Thron und macht sich auch bei Anarchisten zunehmend beliebter. Conan strotzt vor Gewalt und das übt eine gewisse Anziehungskraft aus. Aber auch das Gegenteil.

Vier Stories in einer Ausgabe

Erschaffen wurde Conan von Robert E. Howard (1906-1936) für US Pulp Magazine. Als er 1932 das Licht erblickte war er sowohl König als auch Pirat und seine einzige Liebe galt vor allem Belit, der Königin der Schwarzen Küste. Um Missverständnisse zu vermeiden: das ist der Name eines Schiffes. Seines Schiffes. Ab 1970 machte Roy Thomas Conan aber auch zu einer Ikone der Popkultur in dem er ihn zu einer waschechten Comic-Legende transformierte. Thomas, Barry Windsor-Smith, John Buscema, Gil Kane und andere machten Conan lange vor den Schwarzenegger-Filmen zu einem Helden, den viele aufgrund seiner Zügellosigkeit schätzten. Nun liegt ein neues Werk vor, das Conan ins Zentrum unterschiedlicher Betrachtungen stellt. Gleich vier unterschiedliche Stories finden sich in vorliegender Ausgabe.

Conan: Hardcore im Hardcover

Der kroatische Künstler Esad Ribic eröffnet den Reigen mit einer Geschichte über den Auszug aus Cimmeria ohne Worte. Roy Thomas liefert das Prequel zum alleresten Marvel-Abenteuer des beliebtesten Barbaren. Kurt Busiek setzt die 2000er Karriere Conans würdevoll fort. X-Men Legende Chris Claremont wiederum setzt mit Steve McNiven und Steven S. DeKnight fort und Turtel-Schöpfer Kevin Eastman rundet den Band mit einer eigenen Geschichte ab. Ein guter Band für einen Einstieg in die Comic Legende Conan, der Barbar, die unterschiedliche Perspektiven und viele neue zeichnerische Einflüsse zur Geltung bringt. Eine Landkarte über zwei Seiten zeigt auch den Wirkungsradius von Conan. Außerdem befinden sich Skizzenzeichnungen und eine weitere mit Blutspritzern gekennzeichnete Landkarte im Anhang. Ein interessanter Blick hinter die Kulissen also.

Esad Ribic

Conan – Geschichten aus Cimmeria

Originalstorys:  Conan the Barbarian: Exodus, King-Size Conan (2020)

2021, Hardcover, 100 Seiten, Maße ca. 19 x 28,5cm

ISBN: 9783741623400

Panini

15,00 €


Genre: Comics, Fantasy Art, Graphic Novel, Steinzeit
Illustrated by Panini Comics

Die Eroberung Amerikas

Mit Klamauk zur Aufklärung

In seinem neuen Roman «Die Eroberung Amerikas» erzählt der Schriftsteller Franzobel um einen historischen Kern herum eine Geschichte, deren ungeheuerliche Grausamkeiten er mit reichlich Humor serviert, um sie ertragbar zu machen. Es geht um die erfolglose Expedition des spanischen Eroberers Hernando de Soto durch das heutige Florida, in deren Verlauf er den Mississippi entdeckt hat, wo er 1542 starb. An seiner Figur, hat der österreichische Autor erklärt, «kulminiert die ganze Geschichte der spanischen Konquista», de Soto verkörpere triumphalen Erfolg und klägliches Scheitern in einer Figur.

Er habe versucht, möglichst wahrhaftig zu erzählen, hat Franzobel geäußert. «Es ging dann aber für mich nur über den Humor. Sowohl ich als auch der Leser – wir brauchen den Humor, damit wir nicht nach zwanzig Seiten sagen: Diese Geschichte ist so fürchterlich – man mag das zwar verstehen, aber man mag sich das nicht antun». Und so beginnt der Roman auch gleich im ersten der vielen Kapitel mit einer kuriosen Rahmengeschichte. Die New Yorker Rechtsanwalts-Kanzlei Trutz Finkelstein & Partner reicht am Bezirksgericht eine Klage ein auf Rückgabe der Vereinigten Staaten von Amerika an die indigene Bevölkerung, – einschließlich Hawaii und Alaska. «Doch bevor wir auf diesen Brief zurückkommen, machen wir einen Sprung durch Raum und Zeit und begeben uns zur Ursache dieses abstrusen Ansinnens» heißt es weiter im Buch. Mehr als 500 Romanseiten später verkündet im letzten Kapitel der Supreme Court nach viereinhalbjähriger Prozessdauer, dass Amerika wieder an die Indianer zurückfalle und die Rückgabe bis Ende des Jahres zu erfolgen habe, eine Berufung sei nicht möglich. Ersatzweise müssten sich die USA verpflichten, vier Dekaden lang die aktuell bei 650 Billionen Dollar liegenden Militärausgaben «ausschließlich für Umwelt- und Sozialprogramme zu verwenden, um das seit fünfhundert Jahren kaputtgemachte Land wieder in Ordnung zu bringen».

Auf den fünfhundert Seiten dazwischen berichtet Franzobel über die von Kaiser Karl V. ausgeschickte, 700 Mann starke Expedition, die das mythische Eldorado finden soll. Dabei hat er sorgsam recherchierte Details in seine ebenso farbenfrohe wie grauenhafte Geschichte eingebettet. Sie ist nur durch Humor erträglich, und deshalb hat er eine illustre Schar von fiktiven Figuren, eine schräger als die andere, darin versammelt. In einer an Dantes «Inferno» erinnernden Hölle aus Blut, Schmerzen, Siechtum, Tod, Willkür und Verrat erleben die Eroberer groteske Situationen. Was wir da lesen ist in epischer Breite geschilderter Horror, in dem auch die Inquisition ihre unheilvolle Rolle spielt, die katholische Kirche läuft zur Hochform auf dabei. Zu den Lesefrüchten gehören eine Menge von en passant gesammelten Erkenntnissen über die damalige Seefahrt und die enormen logistischen Anforderungen eines solchen überseeischen Raubzugs, über die indigene Bevölkerung und ihre Sitten natürlich, über das damalige medizinische Wissen und anderes mehr.

Für seine tragikomische Groteske verwendet der Autor eine für ihn spezifische, zeitlich auf das Heute ausgeweitete, burleske Erzählweise, die er mit Anekdoten, schrägen Vergleichen und Witzen anreichert. Dabei greift er beispielsweise auf heutige Film-Schauspieler zurück bei seinen Figuren-Beschreibungen, es wird sogar karikaturhaft geschwäbelt im Expeditionstross. Sein auktorialer Erzähler sitze im 21ten Jahrhundert, er bevorzuge diese Innenperspektive und könne sich dann immer drauf beziehen. Als Metapher auf die Menschheits-Geschichte verfolge sein Roman einen aufklärerischen Zweck. Hier wird also im Sinne Walter Benjamins «die Geschichte gegen den Strich» gebürstet. So wohltuend der allenthalben waltende Sarkasmus das Ungeheuerliche zu relativieren vermag, so störend werden dann aber auf Dauer auch die vielen Kalauer, sie wirken sprachlich oft wie an den Haaren herbeigezogen. Bei aller lobenswerten Fabulierlust letztendlich also entschieden zu viel Klamauk!

Fazit: 2* mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Zsolnay München

Die Selbstgerechten

Sahra Wagenknecht hat ein Buch geschrieben. Über unsere Gesellschaft, durch die ein Riss geht, die sich in unterschiedliche Filterblase aufteilt, und in der immer öfter nicht mehr diskutiert, sondern nur noch moralisiert wird.
Ich bin moralisch und jeder der meine Meinung nicht teilt, folglich minderwertig. Ganz neu ist dieser Effekt nicht, schon vor zweitausend Jahren sagte ein Pharisäer: »Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin, wie dieser Zöllner neben mir.«
Schon damals waren viele Intellektuelle voller Verachtung für die unteren Schichten der Bevölkerung. Sie liebten das Volk, hassten aber die Bevölkerung. FB und Internet haben diesen Effekt verstärkt und vor allem ist es mittlerweile »in« geworden, Menschen danach zu beurteilen, ob sie die gerade gängigen Worte benutzen, ob sie den letzten Schrei an moralischer Empörung teilen. Weiterlesen


Genre: Politik und Gesellschaft
Illustrated by Campus Verlag

Das lachende Baby: Fröhliche Wissenschaft: Was Babys glücklich macht

Der Autor ist Psychologe und forscht zur neuronalen Entwicklung der Babys. Als Wissenschaftler kennt er die einschlägigen Publikationen der letzten Jahrzehnte und belegt seine Aussagen: Die Literaturliste bringt es auf über dreißig der knapp vierhundert Seiten. Es geht ihm nicht um die motorische Entwicklung, sondern um Gedanken und Gefühle der Babys, und: Warum lachen wir Menschen eigentlich? Manchmal erzählt er auch aus dem Nähkästchen, was Wissenschaftler voneinander halten. Laien bezieht er mithilfe des Internets in seine Forschung ein, manche Eltern erzählen von sich und ihren Gefühlen, die die Babys auslösen und geizen nicht mit Beiträgen über die Leistungen ihrer Kinder.

Im Vorwort Was ist so lustig?

wird die Darstellungsweise vorgestellt, die Entwicklung des Lachens bei Kindern wird chronologisch beschrieben: „Letzten Endes soll dieses Buch jedoch das Unmögliche leisten und den wunderbaren Klang eines Babylachens noch zauberhafter machen. Wenn mir das nicht gelingt, suchen Sie sich am besten ein Baby und lassen sie sich von ihm unterhalten.“

An dieser Stelle möchte ich, die Rezensentin, die eigene Entwicklung meiner Wahrnehmung und meines Verstehens von Säuglingen beschreiben. Meine Eltern hatten noch die Bibel der schwarzen Pädagogik von Frau Harrer: „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ im Schrank, auch als ich in den siebziger Jahren Kinderärztin wurde, und bald auch Mutter, wurde den Müttern in Entbindungskliniken das Füttern zu festen Zeiten, mit festen Mengen und auch Fertigmilchproben mit auf den Weg gegeben.

Wenn ich in dieser Zeit die Kampagne „Nestlé tötet Babys“ unterstützte, dann hatte ich die körperliche Entwicklung im Auge: Gerade in Entwicklungsländern war die hohe Säuglingssterblichkeit auch dadurch bedingt, dass hygienische und oft auch finanzielle Mängel dazu führten, dass Flaschenkinder verhungerten oder an Durchfall starben.

Als ich dann mehrere Jahre in Afrika arbeitete, begriff ich, wie viel mehr Fürsorge afrikanische Kinder erfahren durften, auch, welche emotionale Bedeutung das Stillen hat. Mehr noch: Die Kinder hatten kein Gitterbettchen, in das sie abgelegt wurden zum Schlafen, sondern schliefen ein, wo sie gerade saßen, meist war es irgendein Schoß bei Menschen, die mit ihnen in Kontakt waren. Ich ahnte, wie falsch, ja schädlich, viele unserer kinderärztlich begründeten Weisheiten gewesen waren.

Bei Addyman lese ich nun, wie inzwischen einige der Vorstellungen dieser Zeit, auch die „großer Denker“, widerlegt wurden, und, wie es ihn mit Freude und Genugtuung erfüllt, wenn die Bedeutung des Lachens für unsere Seelen bewiesen wird. Ich freue mich dann immer mit.

Eine Zeit vor dem Lächeln

In diesem Kapitel wird das Wissen über die vorgeburtliche Entwicklung zusammengefasst: Vor allem die 4D Ultraschalldiagnostik zeigt, dass Babys etwa 90 % der Zeit Schlafen, dass sie Lächeln und Schmerzen in ihrem Gesicht ausdrücken. Und nach der Geburt werden Babys beruhigt, wenn sie Melodien wiedererkennen, sie sie noch im Mutterleib gehört hatten.

Alles Gute zum Geburtstag

Hier wird das geburtshilfliche Wissen auf dem neuesten Stand beschrieben, wir lesen, dass Kaiserschnittgeburten die Bindung zwischen Mutter und Kind erschweren. Der vor allem im englischen Schrifttum geführte Streit zwischen nature (angeboren) und nurture (erlernt) wird dargestellt, aber auch, der Unterschied zwischen einem echten und einem erzwungenen Lächeln. Das erstere kommt mit einem Muskel weniger aus! Das echte Lächeln zeigt, dass ein Baby glücklich ist. „Aber wenn Neugeborene lächeln, weil sie glücklich sind, lautet die nächste Frage: Was macht sie glücklich?“

Die kleinen Vergnügungen

Alle Primatenbabys mögen Süßes und ziehen Grimassen, wenn sie etwas Bitteres bekommen, wir Menschen also auch. Glück stellt sich auch ein beim Pinkeln oder einem „guten Schiss“. In diesem Kapitel werden Definitionen des Glücks von der Antike bis zur Gegenwart behandelt, auch von Aristoteles und Epikur. Am schlechtesten kommen Ökonomen und Philosophen weg: „Ökonomen und Philosophen machen viel Aufheben um Vergnügen und Lust, aber ich habe den Verdacht, dass das hauptsächlich widerspiegelt, wie langweilig es ist, ein Ökonom oder Philosoph zu sein.“

Freud hat nicht viel zu Kindern geschrieben, und er hielt das Lachen, wie das Kacken, für Triebabfuhr. Auch die Freudschülerinnen Anna Freud und vor allem Melanie Klein mit einem dystopischen Blick auf die Säuglingszeit werden als Anhängerinnen von Vorurteilen dargestellt.

Schlafen?

Hier wurde mir wieder der Unterschied zu den afrikanischen Dorfkindern deutlich: Säuglinge schlafen oder sie sind eben wach, aber an diesem Wachsein zur gefühlten Unzeit leiden hier die Eltern. Es werden viele Studien zum Träumen vorgestellt: „Die beiden Nutzen des Träumens scheinen Lernen und Glück zu sein“ und die meist sinnlosen Ratgeber zum Schlaftraining. Am besten nimmt man die Schlafgewohnheiten des Babys als Eltern mit Humor und „das Aufwachen als das, was es ist: eine abgeschlossene Schlafperiode.“

Die erste Berührung

Hier wird die von Descartes (ein ganz unglücklicher Eigenbrötler war das! Hatte nicht mal eine Frau!) postulierte Trennung zwischen Körper und Geist auseinandergenommen und zusammengefügt, was zusammengehört. Und für die Kleinen gilt: Massage ist Kommunikation, bevor es Sprache gibt.

Spielzeugfreuden

Spielen ist Lernen, es gibt eine Fülle von Studien nicht nur mit Tieren, auch mit Babys, in denen bewiesen wird, wie etwa das dreidimensionale Sehen, das Abschätzen von Entfernung oder die Tiefen von Abgründen durch andauernde Versuche erlernt werden. Gestaunt habe ich (und so ganz will ich es noch nicht glauben), dass es einen großen Unterschied gäbe zwischen dem passiven Sitzen und Ansehen einer Fernsehsendung und dem aktiven Nutzen eines Smartphones schon bei Kleinkindern.

Wir sehen, wie US-amerikanische Pädiater ihre Empfehlungen dazu in den letzten Jahren schrittweise geändert haben. Eine Studie TABLET (Toddler Attentional Behaviours and Learning with Touchscreens) zeigt, dass sie in allen Entwicklungsschritten gleichauf waren mit denen, die nicht mit Smartphones „lernen“ konnten, und dass sie über mehr Kompetenzen verfügten. Ganz allgemein gilt aber, wie für auch Ernährung oder Sport, es nicht zu übertreiben und Kinder dabei zu begleiten!

Überraschung

Warum spielen die kleinen so gerne Kuckuck und Verstecken? Addyman zieht Vergleiche zwischen der Neugier der Babys und der von Wissenschaftler/innen. Dann werden Wissenschaftstheorien vorgestellt.

Lache, und die Welt lacht mit dir

Bei den Navajos gibt es eine Party, wenn ein Baby zum ersten Mal gelacht hat, so als wäre das Baby nun Teil der menschlichen Gemeinschaft geworden. Zum besseren Verständnis der Rolle des Lachens bei Menschen sehen wir uns wieder die Unterschiede zu Primaten an: Unsere Augen haben mehr Weiß als Hintergrund, und das erleichtert den Blickkontakt. Wir machen keine Fellpflege, aber das Lachen ersetzt diese intensive Beziehungspflege. Am besten gefällt mir als Oma die wichtige Rolle der menschlichen Großmütter bei der Weitergabe von Kultur. Durch das jahrzehntelange Leben nach der eigenen Fortpflanzungsphase können wir uns um die Enkel kümmern. Primatinnen gebären bis zu ihrem Tode. Und wir lesen, dass Väter (oder Großväter) in unserer Geschichte kaum eine Rolle als Kulturübermittler spielen: sie sind ja auf der Jagd!

Der Klang des Glückes

Hier geht es um Musik und Tanz. Am besten sehen sie sich die Videos an, als Addyman mit Imogen Heap eine Oper komponiert und dann auch den Happy Song dazu. Auch hier beeindruckt die partizipative Forschungsweise, mit der Eltern als „Mitarbeiter“ gewonnen werden.

Fröhliches Geplauder

Zur Entwicklung der Sprache gibt es beeindruckende Studien, bei denen Schimpansen unter Laborbedingungen Sprache, auch als Gebärdensprache, beigebracht wurde. Ein für Addyman wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung Noam Chomskys mit den Behavouristen. Und er berichtet, was ihn, den Banker, veranlasst hatte, noch einmal mit dem Psychologiestudium anzufangen.

Ja, Nein, Maybe Baby

Bei der Sprachentwicklung gibt es, über die Kulturen hinaus, Muster. Das Wort „nein“ wird früher erlernt, vielleicht, weil die Babys es von ihren Eltern so oft gehört haben? Zum Trost für manche Eltern: während der Trotzphase entwickelt sich auch die Fähigkeit zur Empathie. In seiner Doktorarbeit ging es um die Fähigkeit der Babys, Unterschiede wahrzunehmen. Was für die 8 Monate alten eine leichte Übung ist, überfordert 4 Monate alte. Und wir erfahren, warum seine Arbeit von der angestrebten Zeitschrift nicht publiziert wurde, zum Glück dann aber in einer für Tierforscher …

Freunde

Babys werden geliebt und sie lieben es, andere zum Lachen zu bringen. Gemeinsames Lachen ist Grundlage für Freundschaften. In diesem Kapitel geht es um die Theory of mind, um Autismus als eine andere Form von Empathie zu zeigen. Babys sind hilfsbereit und haben Sinn für Gerechtigkeit. Wie haben wir Erwachsene unsere Freundschaften geschlossen? Das letzte Kapitel endet mit einem Schlusswort: „Freundschaft macht uns glücklich, und Glück bewirkt, dass wir bessere Freunde sind. Freunde sind für uns da, weil wir für sie da sind und das beginnt, sobald wir lächeln können.“


Genre: Pädagogik, Psychologie
Illustrated by Kunstmann München

11. September 2001

11. September 2001: 20 Jahre nach 9/11 („diese aus der US-Schreibweise des Datums zum Symbol geronnene Chiffre“) ist das Ereignis, das den Beginn des 21. Jahrhunderts markiert, tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, schreibt auch der Autor, seines Zeichens Amerikanist und Professor für Zeitgeschichte. In der Reihe „100 Seiten“ des Reclam-Verlages hat er eine bündige Lektüre verfasst, die sich mit allem um 911 beschäftigt, also sowohl der Vor- als auch der Nachgeschichte.

Das Ereignis des 21. Jahrhunderts

Der 11. September war auch medial ein Ereignis. Eine Stunde nach den Anschlägen wussten 70 Prozent der  Deutschen davon. In Amerika sind es 90 Prozent, aber auch in „Kansas, der Schwäbischen Alb, im australischen Outback, den Favelas von Rio, den Townships von Soweto oder den Glastürmen von Hongkong und Tokio“ wären dieselben Bilder über die Schirme geflimmert. Dabei geschah 9/11 eigentlich im vordigitalen Zeitalter, damals war das Internet noch eher begrenzt und so gehöre der 11. September streng genommen noch zum 20. Jahrhundert, als „robust massenmediale, prädigitale Erfahrung“, wie Gassert schreibt. Der islamistische Terrorismus – damals noch eher ein Nischenphänomen – sei eigentlich vom Westen zur „Kriegspartei“ aufgewertet worden. Denn die Kriegserklärung des saudischen Baulöwen Osama Bin Laden an die USA wurde dankbar angenommen. Schließlich war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 ein praktisches Feindbild abhandengekommen. Nun forderte ein einfacher Terrorist die Weltmacht heraus und machte ihr ihren einzigen, kurzen „unipolaren Moment“ in der Weltgeschichte madig.

11. September 2001 oder 911

Aber der islamistische Terrorismus hat sich auch gegen den Islam selbst gewandt. Eine nicht näher definierte Gruppe von Terroristen hatte am 20. November 1979, dem islamischen Neujahrstag, die Große Moschee von Mekka durch 500 schwer bewaffnete Kämpfer überfallen und Tausende von Pilgern als Geisel genommen. Der islamistische Terrorismus begründet seine Absichten auf dem Verrat der Saudischen Eliten, die die heiligen Stätten des Islam von den USA bewachen ließen. Tatsächlich sind die beiden Länder Verbündete, spätestens seit der Operation Desert Storm, die den Überfall des Iraks auf Kuwait zwar rückgängig machte, Saddam Hussein aber weiter im Amt ließ. Dieser metzelte die irakische Opposition nieder und damit war die Glaubwürdigkeit der USA im Nahen Osten ein weiteres Mal untergraben. Philipp Gassert schreibt aber nicht nur über die Drahtzieher des Terrors, den Irakkrieg und die Anschläge selbst, sondern auch über die innenpolitische Opposition in den USA und die Friedensbewegung gegen den Irakkrieg zehn Jahre nach Kuwait. Grafiken, Fotos und Fotos lockern den Fließtext auf, einige Lektüretipps und eine Zeittafel befinden sich im Anhang. Eine Lektüre also, die man lesen sollte, bevor man darüber spricht. Über DAS Ereignis des 21. Jahrhunderts.

Philipp Gassert: September 2001
Originalausgabe
100 S. 12 Abb. und Infografiken
ISBN: 978-3-15-020579-2
Reclam Verlag


Genre: Geschichte, Politik, Religion
Illustrated by Reclam Stuttgart/Dietzenbach

Der Traum von Olympia – Die Geschichte von Samia Yusuf Omar

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Für Samia Yusuf Omar erfüllt sich 2008 ein Traum: Sie darf für Somalia an den Olympischen Spielen teilnehmen. Obwohl sie Letze wird, avanciert sie zum Publikumsliebling. Zurück in Somalia machen ihr aber wieder die schlechten Trainingsbedingungen zu schaffen. Die Bahnen, auf denen sie läuft, sind von Granaten durchlöchert, und sie hat weder gute Trainingskleidung noch ausreichend zu essen. Deshalb beschließt sie, ein somalisches Trainingscamp aufzusuchen, um für Olympia 2012 trainieren zu können. Aber das Training in diesem Camp wird ihr verweigert – weil sie eine Frau ist. Die Männer weigern sich kategorisch, mit einer Frau zu trainieren. Auch sonst hat es Samia nicht leicht in Somalia, weil muslimische Fundamentalisten Frauen in allen Bereichen das Leben schwer machen. Deshalb fasst sie einen folgenschweren Entschluss: Sie will mit ihrer Tante zu ihrer Verwandten nach Europa flüchten.

Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit: Samia nahm an den Olympischen Spielen 2008 teil und wollte ein paar Jahre später nach Europa flüchten, um dort bessere Trainings- und Zukunftsmöglichkeiten zu haben. Auf der Flucht ertrank sie in einem der schlecht ausgestatteten Schlauchboote.

Flüchten als allerletzte Option

Schon das Cover macht deutlich, worum es in der Graphic Novel geht: um einen Traum und um diejenigen, die diesen Traum behindern und sogar unmöglich machen. Der erschöpft-leidvolle Ausdruck der Protagonistin und ihr dürres Äußeres machen die Qualen deutlich, denen sich Samia ausgesetzt sah, um ihren Traum zu verwirklichen.

Der in schwarz-weiß gehaltene Comic geht auf die Dinge besonders stark ein, die Samia davon abgehalten haben, ihren Traum erneut zu leben, und die letztlich zu ihrem Tod geführt haben: Diskriminierung der Frauen, Fundamentalisten, Diktatur, Bürokratie, kriminelle Machenschaften. Wäre Samia – als erste der Stellschrauben, die Samia massiv behindert haben – nicht als Frau diskriminiert und im Traininglager aufgenommen worden, wären ihr all die späteren Qualen und ihr Tod erspart geblieben. Denn diese Ablehnung führt dazu, dass sie woanders trainieren will, aber durch die Bürokratur behindert wird. Und das wiederum führt dazu, flüchten zu wollen und dabei den Machenschaften der Schlepper ausgeliefert zu sein.

Das macht schon das grundlegende Problem deutlich: Wenn Menschen in ihrer Heimat gute Bedingungen vorfinden, bleiben sie dort. Niemand verlässt aus Jux und Dollerei sein Zuhause! Sind die Bedingungen schlecht (Hunger, Diskriminierung, Gewalt, Korruption…), entschließen sich Menschen schweren Herzens dazu, ihre Heimat zu verlassen. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn die Politik es schaffen würde, menschenfreundiche Bedignungen herzustellen (auch die Politik des Auslandes), dann würden die Menschen auch in ihren Ländern bleiben wollen. Eine Politik der Abschreckung und der Grenzziehung erreicht niemals ein gutes Ziel – Flüchtlinge werden sich nicht abschrecken lassen, da die Bedingungen in ihrer Heimat schlicht zu grauenvoll sind. Im Vor- und Nachwort gehen sowohl der Autor als auch Elias Bierdel (Journalist und Mitglied bzw. Gründer diverser Menschrechtsorganisationen) auf diese schlimmen Bedingungen ein, unter denen Menschen flüchten und was sie auf ihrer Flucht erleiden.

Und – leider wie immer – haben Frauen in solch menschenfeindlichen Staaten doppelt und dreifach zu leiden. Ihnen wird viel mehr noch als den Männern ein menschenwürdiges Leben schlicht unmöglich gemacht. Das wird im Comic mehr als deutlich.

Das Schwarz-Weiße unterstreicht diese bedrohliche Situation und den bedrohlichen Alltag noch und ruft eine beklemmende Stimmung hervor. Aber all das hebt auch die unglaubliche Stärke und den Mut dieser jungen Frau hevor, die bereit ist, etwas aus ihrem Leben und ihren Talenten zu machen und ihren Traum zu verwirklichen – selbst auf die Gefahr hin, ihr Leben zu verlieren. Aber – und auch das zeigt der Comic von Anfang an – das Leben in einem fundamentalistisch regierten Land, v.a. als Frau, ist tagtäglich lebensgefährlich. Samia hat also eigentlich nichts mehr zu verlieren, als sie sich auf den Weg macht.

Der Comic steht für alle Flüchtlinge, die aus Leid und Not heraus fliehen.

Mir persönlich hat der eckige Zeichenstil nicht so zugesagt, aber als Metapher für die vielen scharfen Kanten des Lebens ist er allerdings wieder passend. Ich persönlich hätte mir auch mehr Ausgestaltung der Geschichte gewünscht; sie war mir zu kurz, um sich richtig hineinfühlen zu können. Aber der Inhalt macht diese kleinen Mängel mehr als wett.

Fazit

Ein hochaktueller Comic, der mehr als deutlich macht, dass sich politische Systeme ändern müssen, um einen Flüchtlingsstrom zu vermeiden, und das westliche Systeme michts erreichen, indem sie Flüchtlingsströme blockieren. Sie müssen dazu verhelfen, dass die Politik in den betroffenen Staaten sich zum Besseren wendet! Menschen flüchten niemals aus ihrer Heimat, wenn sie sich dort wohlfühlen und ein menschenwürdiges Leben leben können!

Der Comic macht auch deutlich, dass besonders Frauen unter politischen Systemen leiden, die fundamentalistisch, gewalttätig, korrupt, diktatorisch und insgesamt menschenfeindlich sind.

Als Lektüre sehr zu empfehlen!


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Carlsen graphic novel