Die Finkler-Frage

Unterhaltsame Groteske

Er hat lange drauf warten müssen, als einer der ältesten wurde der damals 68jährige britische Schriftsteller Howard Jacobson 2010 mit dem Booker Prize geehrt für seinen Roman «Die Finkler-Frage». Die Jury charakterisierte ihn als «Klug, witzig, und auf eine ganz besondere Art auch sehr traurig und melancholisch. Wie ein Lachen im Dunkeln!» Der vor allem von US-amerikanischen Autoren wie Saul Bellow und Philip Roth repräsentierte jüdische Roman fand so erstmals ein ebenbürtiges britisches Pendant, wobei Jacobson dazu angemerkt hat, er sei «lieber die jüdische Jane Austen als der britische Philip Roth».

Trauriger Held des Romans ist Julian Treslove, ein Losertyp, der in London bei der BBC gefeuert wurde und sein Geld nun als Filmstar-Double auf privaten Feiern verdient, engagiert als  besonderer Gag. Der Fünfzigjährige ist Vater zweier Söhne, zu denen er kaum Kontakt hat, beide Mütter haben ihn noch während der Schwangerschaft verlassen. Es beginnt mit einer Essenseinladung bei seinem alten Freund Libor Sevcik, der die Schoa überlebt hat, dritter im Bunde ist Samuel Finkler, ein Gefährte aus Kindertagen, Autor von populär-philosophischen Sachbüchern, für Julian der Inbegriff des erfolgreichen Juden. Weshalb er für Jude nur noch den Begriff ‹Finkler› benutzt, was auch den Buchtitel erklärt, er bedeutet ‹Judenfrage›. Auf dem nächtlichen Heimweg wird Julian überfallen und ausgeraubt, und zwar von einer Frau, die ihn nur verächtlich mit «Du Jude» angezischt hat. Offen beneidet er die beiden kritisch-jüdischen Intellektuellen um ihre Identität, auch er möchte dem auserwählten Volk angehören, obwohl sie selbst ihr Jüdischsein sogar verachten, sich in typisch jüdischem Selbsthass üben. Nach dem Überfall treibt Julian, der ja nun auch zum Opfer gewordene Möchtegern-Jude, seine Obsession auf die Spitze. Er beschäftigt sich mit dem Hebräischen und verliebt sich in Hepzibah Weizenbaum, eine Jüdin, die gerade dabei ist, in London ein anglo-jüdisches Museum ins Leben zu rufen.

Es wird viel diskutiert in diesem Roman, in dessen Plot hingegen sich herzlich wenig ereignet. Mit nicht enden wollenden Dialogen der als Charaktere liebevoll und überzeugend geschilderten Freunde und der teilweise skurrilen Nebenfiguren wird die Thematik des Judentums unserer Zeit in all ihren Aspekten gründlich und kritisch hinterfragt. Dabei gewinnt man nebenbei tiefe Einblicke in das Seelenleben der Figuren, während sie unentwegt ihre Dispute über den permanenten Alltags-Antisemitismus und die Missetaten des Staates Israel an den Palästinensern wortreich ausfechten. Dass dies bei einem britischen Autor mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors angereichert ist, tut der Ernsthaftigkeit der Thematik keinen Abbruch. Auf Julians Begeisterung für das Judentum hält ihm der skeptische Freund vor: «Demnächst trägst du noch Schläfenlocken und sagst mir, dass du dich freiwillig zur israelischen Armee gemeldet hast, um Kampfjets gegen die Hamas zu fliegen».

Sprachlich auf hohem Niveau, werden hier Klischees und Vorurteile über das Jüdischsein lakonisch hinterfragt, ohne dass darunter der Unterhaltungswert des Romans leidet. Als Nebeneffekt lernt man zudem eine Fülle von Begriffen aus dem Jiddischen kennen und amüsiert sich über Wortbildungen wie ASCHandjiddn als Name für eine judenkritische Initiative. Damit ist verächtlich eine auf der Opferrolle gründende jüdische Identität gemeint, A Schand Jiddn! Und dass Jiddn auch Machos sind, wird deutlich, als eine Frau mit beachtlicher Oberweite bei einer Party aufkreuzt: «Hätten Jane Austens Heldinnen solche Brüste gehabt, hätten sie sich nie besorgt zu fragen brauchen, ob sie einen Ehemann abbekämen». Der Sex nimmt breiten Raum ein, ausgiebig wird hier beispielsweise ernsthaft erörtert, in wieweit denn die Beschneidung jüdischer Männer ihre sexuelle Empfindungsfähigkeit beeinträchtigt. Eine breit ausgewalzte, unterhaltsame und melancholische Groteske über jüdische Männer und das heutige Judentum.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
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