Die wahre Geschichte von Ned Kelly

Robin Hood in Australien

Für seinen Roman «Die wahre Geschichte von Ned Kelly und seiner Gang» erhielt der australische Schriftsteller Peter Carey 2001 den Booker Prize. Der als bedeutendster lebender Autor seines Landes angesehene Romancier ist damit einer der vier Autoren die den seit 1969 vergebenen Buchpreis zweimal erhalten haben. Wie fast immer bei diesem Autor ist sein Roman inhaltlich auf seine Heimat bezogen hier auf den legendären 1854 geborenen ‹Staatsfeind› Ned Kelly der zu den als Bushranger bezeichneten Outlaws gehörte. Solch berühmte historische Figuren werden ja gern wie auch in dieser fiktiven Autobiografie zum Robin-Hood-artigen Volkshelden verklärt Ned Kelley habe sich ja nur gegen die Willkür der verhassten Kolonialbehörden aufgelehnt. Diesen nationalen Mythos hat der Autor durch seinen Roman auch international bekannt gemacht.

In 17 als Päckchen bezeichnete ‹Papierbögen› unterteilt schildert der Romanheld tagebuchartig seiner Tochter die ihn nie kennen gelernt hat seine «wahre Geschichte». Als Sohn irischer Einwanderer die als Squatter genannte Farmer ein armseliges Leben am unteren Ende der sozialen Hierarchie fristen muss Ned schon mit zwölf Jahren als Halbwaise in dem vaterlos gewordenen Haushalt mitarbeiten. Seine Mutter von ihm über alles geliebt bessert mit dem Verkauf von selbst gebranntem Schnaps und gelegentlichen Liebesdiensten an zweifelhaften Mannsbildern die meist leere Haushaltskasse ein wenig auf. Einer von ihren Freiern ist der legendäre Harry Power der Ned auf ihren Wunsch hin unter seine Fittiche nimmt bei ihm soll er das Handwerk des ‹Bushrangers› lernen. Nach diversen Gaunereien und Viehdiebstählen bei den Reichen die er mit einigen ihm treu ergebenen Ganoven mit seiner Gang gemeinsam begeht erschießt er bei einem Schusswechsel einen Polizisten und wird fortan von einem wachsenden Aufgebot der Polizei verfolgt. Durch einen raffiniert ausgetüftelten Bankraub in den er die ganze ihm wohlgesinnte Bevölkerung einer Kleinstadt als Publikum mit einbezieht verschafft er sich das benötigte Geld für seine geplante Auswanderung. Dazu kommt es aber nicht mehr denn die Behörden schicken schließlich eine ganze Hundertschaft Polizisten mit der Eisenbahn in die kleine Stadt wo es dann in bleihaltiger Luft zum Showdown kommt.

Peter Carey hat seine in Briefform angelegte fiktive Autobiografie in einer seinem ungebildeten Helden angemessenen Sprache verfasst um größtmögliche Authentizität vorzutäuschen. Und so finden sich in seinem Text außer den Punkten an den Satzenden weder Kommata noch sonstige Satzzeichen. Was beim Lesen zunächst mal irritierend ist obwohl man sich daran gewöhnen kann diese Rezension mag als Beispiel dafür dienen. Durch eingestreute Zeitungsberichte und schriftliche Eingaben an die Behörden wird der beabsichtigte Realitäts-Effekt noch verstärkt. Ned Kelly wird psychisch als weitgehend emotionsloser Typ dargestellt der außer seiner mit ihm ödipal verbundenen Mutter für die er wirklich alles tut niemanden vorbehaltlos liebt nicht mal seine Frau.

In der Frage ob Ned Kelly ein verabscheuungswürdiger skrupelloser Verbrecher ist oder eine Art selbstloser Freiheitskämpfer für die unterdrückte irische Minderheit nimmt der Autor deutlich die Position seines Ich-Erzählers ein. Er relativiert dessen Taten als moralisch vertretbar als eine durch den Unrechts-Staat selbst heraufbeschworene politische Revolution der sich ja auch viele Gleichgesinnte angeschlossen hätten er stilisiert ihn damit quasi als Opfer. Der mit seinem abenteuerlichen Geschehen an Western erinnernde Roman ist unterhaltsam und historisch bereichernd auch wenn er zuweilen satirisch überzeichnet scheint. Man könnte zum Beispiel die eisernen Rüstungen der Bande beim letzten Gefecht so deuten wird im Internet aber eines Besseren belehrt. Neds von Kugeln zerbeulter Schutzpanzer kann tatsächlich als Kultgegenstand in einem Gefängnis-Museum besichtigt werden.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Fischer Verlag

LTB 552: 70 Jahre Panzerknacker

Lustiges Taschenbuch Nr. 552 - 70 Jahre PanzerknackerInhalt

„KI – Kriminelle Intelligenz“: Daniel Düsentrieb hat für Dagobert Duck eine KI erfunden, die ihm in Lebens- und Geschäftsdingen helfen soll. Aber Dagobert ist schon nach kurzer Zeit von deren hartnäckiger Besserwisserei genervt. Er schmeißt sie kurzerhand raus – und treibt sie so direkt in die Arme der Panzerknacker. Die freuen sich im Gegensatz zu Dagobert über so viel Intelligenz und wollen das unverhoffte Glück schamlos ausnutzen.

„Bodyguards unter sich“: Donald wird von Onkel Dagobert als kostenloser Bodyguard verpflichtet. Aber Donald ist den anderen Bodyguards körperlich gnadenlos unterlegen. Dafür hat er aber andere gefragte Qualitäten, wie er alsbald beweisen kann.

„Gipfelstürmer“: Mitte des vergangenen Jahrhunderts in einem hochgelegenen Gebirge betreut Micky hingebungsvoll seine Bienen. Aber eigentlich ist der kleine Ort für etwas anderes berühmt, denn es hat noch niemand geschafft, seinen Gipfel zu stürmen. Das ruft Kater Karlo und seine Kumpanen auf den Plan. Sie wollen das Dorf unter ihre Kontrolle bringen. Ob Micky das verhindern kann?

„Superheld auf Samtpfoten“: Aus Versehen hilft Donalds Katze ihm, die Panzerknacker dingfest zu machen.

„Eine raketenstarke Geschäftsidee“: Kuno wettet mit Dagobert Duck, dass seine neueste Geschäftsidee diesmal kein Reinfall ist. Und damit er die Wette tatsächlich gewinnt, holt er sich einen starken Geschäftspartner an seine Seite.

„Das Halb-voll-Prinzip“: Dussel ist völlig begeistert von einem Buch, das Optimismus in jeder Lebenslage lehrt. Er will das Halb-voll-Prinzip auch dem notorischen Pechvogel Donald schmackhaft machen. Ob das gelingt?

„Ein knackiger Kartentrick“: Onkel Dagobert hasst Reisen, weil er sein Geld nicht mitnehmen kann. Deshalb erfindet Daniel Düsentrieb eine Kreditkarte, in der Dagobert in Pseudotalern aus Anti-Materie baden kann. Leider bekommen die Panzerknacker Wind von der neuen Erfindung.

„Der Plan im Plan“: Das Phantom tut sich mit Kater Karlo und seiner Bande zusammen, um einen genialen Plan auszuführen. Allerdings hat das Phantom noch einen Plan im Plan, von dem die anderen nichts wissen.

„Pirat wider Willen“ wird Schiffskoch Donald, als ein berüchtigter Pirat über Bord geht und seine Mannschaft Donald mit dem Piratenkapitän verwechselt.

„Gut abgewehrt!“: Da es Onkel Dagobert zu teuer ist, sein Abwehrsystem auf den neuesten Stand zu bringen, will er selbst die Ganoven abwehren. Das ist aber schwieriger als gedacht.

 

Jubiläum und mehr

Der Verlag schreibt zum Jubiläum: „In Entenhausen treiben die Panzerknacker seit nunmehr 70 Jahren ihr Unwesen. Im November 1951 hat der legendäre Entenzeichner Carl Barks den Panzerknackern ihren ersten Auftritt verschafft. Es war das Heft 134 der US-Reihe „Walt Disney’s Comics and Stories“. Seitdem hat die unrasierte Verbrecher-Bande in den roten Rollkragenpullovern ein großes Ziel: der Sturm auf Dagobert Ducks Geldspeicher und seine Fantastilliarden.“ Den haben sie in diesem Band geschafft – aber mit erklecklichen Nebenwirkungen.

4 Geschichten mit den Panzerknackern, die mal mehr, mal weniger im Mittelpunkt stehen, bietet dieser Band, plus eine weitere Ganovengeschichte. Das ist kein so schlechter Schnitt für einen Band mit 11 Geschichten. Trotzdem hätte ich mir zum Jubiläum mindestens die Hälfte der Geschichten als Panzerknacker-Comics gewünscht. Die anderen Storys bieten ein buntes Potpourri an weiteren Themen, in den u.a. menschliche Güte, Mut, Forscherdrang und Redlichkeit als positiv hervorgehoben (Gipfelstürmer) oder augenzwinkernd Lebensratgeber aufs Korn genommen werden (Halb-voll-Prinzip). Außerdem zeigt „Bodyguards unter sich“, dass körperliche Stärke beileibe nicht alles ist, um im Leben zu bestehen. Oftmals kann man sogar auf sie verzichten, wenn man andere Qualitäten wie handwerkliche Fähigkeiten oder Intelligenz aufzuweisen hat. Es macht außerdem deutlich, wie wichtig Zusammenhalt ist.

Neben Humor und Action sorgt also auch ein minimaler Tiefgang für schöne Lesestunden. Insgesamt sind die Storys kurzweilig zu lesen.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa Media

Montecristo

Die Guten sind die Guten und die Bösen sind die Bösen. In den meisten Krimis und Thrillern konventioneller Machart ist die Welt einfach noch in Ordnung. So ist es in aller Regel auch in gängigen Mainstream-Filmen der Fall – klare Strukturen, der Leser oder Zuschauer muss keine kognitiven Dissonanzen reduzieren. Irritierend wird es, wenn diese wohlbekannte Zuordnung ins Wanken gerät, wie zum Beispiel in der amerikanischen TV-Serie „Better Call Saul“, wo sich die Haupt-Protagonisten zu „moralischer Flexibilität“ bekennen. Wie moralisch flexibel ist Martin Suter oder besser seine fiktive Hauptfigur Jonas Brand im Krimi „Montecristo“? Weiterlesen


Genre: Krimi, Kriminalliteratur, Kriminalromane
Illustrated by Diogenes

Erbin des verlorenen Landes

Postkoloniale Lethargie

Mit ihrem zweiten Roman «Erbin des verlorenen Landes» gewann die indischstämmige Schriftstellerin Kiran Desai 2006 den britischen Booker Prize. Darin zeichnet sie ein nüchternes, deprimierendes Bild der indischen Gesellschaft, wovon schon der Buchtitel kündet. Die nach China zweitgrößte Nation der Welt wird im Umbruch zwischen archaischen Traditionen, nachwirkendem Kolonialismus und überfordernder Globalisierung am Beispiel von Menschen aus den unteren sozialen Schichten beschrieben.

Zeitlich ist dieser resignative Roman Mitte der 1980er Jahre angesiedelt, Handlungsort ist Kalimpong, eine kleine Stadt im Distrikt Darjeeling des Bundesstaates Westbengalen. Historischer Hintergrund ist der Aufstand der Gurkhas, und es beginnt denn auch gleich dramatisch mit einem Überfall der Rebellen auf einen pensionierten Richter, der mit seinem Koch in ärmlichsten Verhältnissen in einem abgelegenen, verfallenen Haus lebt. Die magere Beute der jungen Aufständischen aus Nepal sind drei uralte, nicht mehr brauchbare Gewehre, ansonsten ist dort nichts zu holen für sie. Der wortkarge, desillusionierte Jurist hatte in Cambridge studiert, heute spielt er Schach mit sich selbst und lebt völlig zurückgezogen. Er hat seine 17jährige Enkelin Sai bei sich aufgenommen, die als Waise eine strenge christliche Klosterschule mit grotesken Erziehungsmethoden besucht hatte. Darunter hat sie sehr gelitten und sich beim Großvater dann wieder in ein naives Naturkind zurückverwandelt, das sich als «Erbin des verlorenen Landes» fühlt. Um sie in Mathematik und den Naturwissenschaften weiterzubilden, engagiert der Richter den Hauslehrer Gyan. Prompt verliebt sich die pubertierende Sai in den schüchternen jungen Mann. Doch aus all ihren Blütenträumen wird nichts, denn Gyan schließt sich den Aufständischen an, deren Ziele er für legitim hält. In einer zweiten, in New York angesiedelten Handlungsebene wird alternierend vom Sohn des Kochs berichtet, der sich als illegaler Migrant mit ständig wechselnden Gelegenheitsjobs durchschlagen muss. In den Briefen an den Vater schreibt er von seinem Glück in der Neuen Welt und gaukelt dem alten Mann Erfolge vor, lebt in Wahrheit aber im unsäglich primitiven Milieu der Tellerwäscher, ohne jede Chance auf Besserung.

Dieses kunstvoll komponierte Panorama eines Indiens der trügerischen Idylle erzählt von naiven Illusionen, die zu desillusionierenden Irritationen seiner Protagonisten führen. In einer derart veränderten Welt können sie sich nicht mehr zurechtfinden. Sie trauern einer Vergangenheit nach, in der die grandiose Natur und die vitalen Lebensansprüche der in ihr lebenden Menschen harmonisch in Einklang zu sein schienen. Diese Ursprünglichkeit ist verloren gegangen, und die heraufziehenden Veränderungen verheißen nichts Gutes für die kleinen Leute, sie fühlen sich politisch und ökonomisch abgehängt, für sie ist die Welt aus den Fugen geraten. Entstanden ist dieser Frust nach dem Abzug der Briten, dessen befreiende Wirkung nicht zu mehr Würde für die untersten Schichten geführt hat, der sie vor allem aber auch nicht aus ihrem Elend befreit hat.

Der postkolonialistische Roman entwickelt sich fragmentarisch aus vielen, rasch wechselnden, kurzen Szenen, wobei das Augenmerk der auktorial erzählenden Autorin weniger auf ihren Protagonisten ruht, deren Lebenslinien sie miteinander verknüpft, als auf der exotischen Szenerie, in der sie sich durchs Leben schlagen müssen. Dieses Kaleidoskop lebensbunter Bilder überdeckt allerdings das bedauerliche Fehlen einer politischen Würdigung der geschilderten Begebenheiten sowohl in Indien wie auch in den USA. Es wird unterstellt, dass alles schicksalhaft miteinander verbunden und historisch vorbestimmt sei, was dann auch die Lethargie der als selbstgenügsam dargestellten Bevölkerung erklären soll. Störend sind aber vor allem die vielen Klischees, die hier bedient werden, wobei deren überreichlich vorhandenes Ekelpotential das Lesen alles andere als erfreulich macht.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Berlin Verlag Berlin

Batman/Catwoman 1-3

Batman/Catwoman 1-3: Die Geschichte einer großen Liebe. Zeichner Clay Mann und Autor Tom King haben gemeinsam eine dreiteilige Love-Story umgesetzt, deren erster  und zweiter Teil soeben bei Panini erschienen sind. Schon das Cover zeigt die beiden eng umschlungen. Aber während Catwoman dem Betrachter direkt ins Auge blickt, schweift Batman’s Blick ab. Es scheint als hätte er bereits anderes im Sinne.

Batman und Catwoman: stille Nacht, heilige Nacht

Katze und Fledermaus. Könnte es zwei gegensätzlichere Tiere geben? Aber die beiden Tiere sind ja nur die Embleme und doch verraten sie auch etwas über die Charaktere der beiden Träger. Die ersten scharf konturierten Bilder der Trilogie unter dem DC Black Label werden zu den Klängen von “Stille Nacht” eröffnet und zeigen die rothaarige Andrea Beaumont, die in einem anderen Abenteuer als Phantom zum Racheengel wurde, beim Teetrinken bei Bruce Wayne. Alfred, der Butler von Wayne, lebt nicht mehr. Kenner von Tom Kings Werken wissen, dass Alfred Penyworth in einer anderen Geschichte von ihm (Das Hochzeitsalbum) gestorben ist und Bat und Cat eine Tochter namens Helena haben. Aber auch schon zuvor erfand King eine alternative Batman/Catwoman Welt in der die beiden sich zwar verloben, Selina aber auf eine Hochzeit verzichtet, damit Batman der Welt als Jäger der Schurken erhalten bleibt. Sie opfert also ihr und sein privates Glück dem Weiterbestehen Gothams. Ganz anders in diesem Abenteuer. Schon bei der ersten zeichnerischen Begegnung der beiden fallen sie sich in die Arme und küssen sich innig. Ein Traumpaar. Die Geschichte einer großen Liebe?

Bat und Cat versus The Joker

Natürlich gibt es immer wieder einen, der diese Idylle stört. Der Joker tritt auf und fordert seinen Tribut. Schließlich hatte er einst Selina aus der Gosse geholt und aus ihr Catwoman, die Meisterdiebin gemacht. Und dann taucht noch ein anderer geheimnisvoller Killer auf, der den Wahnsinn des Jokers ergänzt. Aber auch auf der Seite der Guten wächst eine unerwartete Unterstützung heran: Batgirl. „To save us all from Satan’s Power when we were gone astray”, singt der Joker, auch das ein Weihnachtslied, während Selina ihrem Todesengel begegnet. Wird Batman sie vor dem Zweikampf bewahren können? Und was für eine Rolle spielt der Joker bei diesem dunklen Abenteuer, das hoffentlich bald seine Fortsetzung erfährt. Band 2 ist bereits erschienen und wird eine Selina Kyle zeigen, die sich ihres Katzencharakters durchaus bewusst ist. Band 3 wird es wohl im Frühjahr zu sehen und (er)staunen geben. Wenn die Stille Nacht wohl schon vorbei sein wird…

Clay Mann/Tom King

Batman/Catwoman 1

Original-Storys: Batman/Catwoman 1-3

2021, Hardcover, 84 Seiten, Format ca. 21 x 32 cm

ISBN: 9783741624537

Panini

18,00 €


Genre: Catwoman, Comics, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Der Duft der Kiefern

Eine wahre Geschichte über eine Mutter. In Liebe erzählt von ihrer Tochter. So lautet die Widmung in dieser Familienchronik der Kriegsgeneration als graphic novel inklusive Familienstammbaum im Anhang. Aber es ist nicht nur die Geschichte ihrer Familie, die Bianca Schaalburg hier erzählt, sondern auch ein großes Stück deutsche Geschichte. Die Geschichte eines Landes und eines Volkes repräsentativ dargestellt anhand einer typisch deutschen Familie.

Der Duft der Kiefern

Das Erbe, das die Protagonistin übernimmt, besteht zunächst in schweren Holzkästen und einer Spiegelkonsole aus den Dreißigern, in der Bianca sich und ihre Familie erkennt. Wie war das, eine Kindheit unter den Nazis? Kann sie die Erinnerungen an diese Zeit bald ebenso mit Kreide überschreiben wie die alten Türen des Nussholzkastens, auf den sie Worte der Schönheit und der Träume schreibt? Die Kienäpfel (Berlinerisch für Kiefernzapfen), die sie als Kinder in der Siedlung Onkel Toms Hütte unter den Kiefern einsammeln vermitteln schöne Erinnerungen und doch ist das eigentliche Erbe der Eltern und Großeltern schwer zu (er)tragen. Opa Heinrich war schon 1926 (!) in die NSDAP eingetreten, aber die noch lebenden Familienmitglieder wissen nichts mehr davon. Das Mantra „Wir. Wussten. Von. Nichts.“ Bekommt sie in ihrer Familie und Verwandtschaft öfters zu hören. Also macht sie sich selbst auf die Suche nach Antworten und rekonstruiert die Familiengeschichte der Bewohner ihres Hauses. „Diese Menschen können ihre Geschichte nicht mehr erzählen. Deshabl will ich ihnen eine Stimme geben.“, schreibt sie und tut es sodann.

Zeitgeschichte für jede Generation

Aber sie erzählt auch von den anderen ermordeten MitbürgerInnen, den ZwangsarbeiterInnen, den Erschießungskommandos und Hinrichtungen, die oft in drei bis sechs Stunden 2-400 Menschen ermordeten. „Dazu gab es Wodka, manchmal auch einen Imbiss“, ergänzt sie, denn das Morden war tatsächlich organisiert wie eine Kaffeefahrt. Die Toten wurden zu Tausenden aufeinander gestapelt und im Wald vergraben. Und was war Onkel Heinrichs Aufgabe in Riga? Auch diese Frage bleibt unbeantwortet. Aber wer damals auf einem Pferd vor einem Holzhaus saß, dem konnte es wohl nicht so schlecht gehen. Der war aber auch nicht unschuldig. „Wenn wir gewinnen, müssen wir nichts erklären, wenn wir verlieren, gibt es nichts zu erklären“, lautete die bizarre Logik des Zweiten Weltkrieges. Darüber hinaus erzählt die Autorin auch von der Teilung der beiden deutschen Staaten, der Stasi, dem Kalten Krieg und 1968. Ein deutsches Lesebuch also, das in einfachen Worten und Bildern den Schrecken unseres Jahrhunderts nacherzählt, ohne etwas zu beschönigen. Vielleicht kann man gerade durch so eine graphic novel auch die junge Generation für die Geschichte ihrer (Groß-)Eltern interessieren und so die Erinnerung wachhalten, damit das, was passiert ist, nie mehr passiert. Ein wichtiger Beitrag also!

Bianca Schaalburg
Der Duft der Kiefern
Text & Zeichnung: Bianca Schaalburg
2021, 208 Seiten, Hardcover mit Lesebändchen, 19,5 x 26,5 cm, vierfarbig
ISBN: 978-3-96445-058-6
Avant Verlag
26,00 €


Genre: Biographie, Deutschland, Familiengeschichte, Graphic Novel, Zeitgeschichte, Zweiter Weltkrieg
Illustrated by Avant Verlag

Lustiges Taschenbuch Nikolaus 1 (Sonderband)

Lustiges Taschenbuch Nikolaus Nr. 1

Inhalt

„Operation Diamantspitze“: Juwelier Van Diamand hat den diesjährigen goldenen Weihnachtsbaum teuer geschmückt. Die Krönung des Baumes ist die außerordentlich kostbare Diamantspitze. Damit sie bis zum Weihnachtstermin nicht gestohlen wird, soll Detektiv Donald sie bewachen. Aber wie immer geht etwas schief.

„Einsatz an Weihnachten“: Die Glücksschokolade von TV-Star Sunny Sunshine ist gestohlen worden. Auch die Schneekanone ist kaputt. Sollte hier jemand ausgerechnet die Sendung der Weihnachtslive-Show sabotieren? Detektiv Duck wird mit dem Fall beauftragt.

„Diebstahl unterm Tannenbaum“: Für seine Daisy tut Donald alles – auch im tiefsten Winter mehrere Tage anstehen für eine Weihnachtskarte von Donna Duckia. Aber das ist leichter gesagt als getan, denn eine Katastrophe kommt selten allein.

„Verschwörung zum Fest“: Was ist das? Dagobert Duck wird von der Polizei als Dieb verhaftet? Donald glaubt nicht an die Schuld seines Onkels und will den Fall aufklären.

„Der Weihnachtswettbewerb“: Ausnahmsweise scheint Donald Glück zu haben, denn er hat einen satten Geldpreis gewonnen. Rettet das den Kauf seiner Weihnachtsgeschenke oder kommt wieder einmal etwas dazwischen?

Variationen

5 deutsche Erstveröffentlichungen, die ich oben kurz vorgestellt habe, bietet der 1. Band von „LTB Nikolaus.“ Insgesamt sind es 13 Geschichten rund um das Thema Weihnachten, davon 8 aus „LTB Weihnachten“-Editionen. Die meisten dieser 8 Geschichten stammen aus dem „LTB Weihnachten 7“, nur eine aus „LTB Weihnachten 8“. Das heißt konkret, dass man sich diesen ersten Nikolaus-Band auch sparen könnte, wenn man besagte „LTB Weihnachten 7“ bei sich zuhause hat. Es sei denn – und darauf läuft es wohl auf Seiten des Verlags hinaus – man möchte als Leser*in die Erstveröffentlichungen lesen. Trotzdem finde ich die Anzahl der Geschichten aus fast nur einem LTB anstatt aus mehreren viel zu hoch. Da zieht man den Fans, die das 7. Weihnachts-LTB schon haben, zusätzlich Geld aus der Tasche. Die Erstveröffentlichungen selbst drehen sich um Detektiv Donald Duck, verfolgen also eine Reihe. Es sind alles in allem auch keine expliziten Nikolaus-Geschichten (der Nikolaus hat einen eigenen Feiertag und ist nicht gleichzusetzen mit Weihnachten), sondern breit gestreute Weihnachtsgeschichten.

Insgesamt gesehen wird das LTB-Universum an manchen Stellen moderner; Gustav Gans z.B. tritt als Influencer auf und das Handy ist im Einsatz. Ansonsten wird die Spannung durch viel Action, viele Katastrophen, skurrile Träume, Begegnungen der 3. Art und Donalds sprichwörtlichem Pech erzeugt. Alles schon irgendwie bekannt und Tradition, aber durch die Variationen zumindest für Kinder immer noch lesenswert.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa Media

Der weiße Tiger

Moralisch absurder Schelmenroman

Mit seinem sozialkritischen Schelmenroman hat der indische Schriftsteller Aravind Adiga ein provozierendes Debüt geschrieben, das 2008 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, nachdem es in Indien bereits lange vorher schon ein Riesenerfolg war. Ganz offensichtlich hatte der Autor damit in seiner Heimat einen Nerv getroffen. Er wurde aber auch massiv als Nestbeschmutzer kritisiert: «Ich wusste, dass es Kritik geben würde» hat er im Interview erklärt. «Ich habe damit gerechnet. Wäre sie ausgeblieben, hätte ich sicher etwas falsch gemacht. Stellen Sie sich ein Buch vor, das 1938 in Deutschland Lob von allen Seiten bekommen hätte. Da könnte man auch sicher sein, dass etwas daran nicht stimmen kann». Sein Roman sei «auch eine Reaktion auf die Bollywood-Kultur des indischen Films und der indischen Literatur, die die Armut vollkommen ausblendet».

Held dieser satirisch überhöhten Geschichte aus dem sozialen Untergrund ist der junge Balram, Sohn eines Rikschafahrers und der klügste Junge in Laxmangarh. Als Ich-Erzähler berichtet er dem chinesischen Ministerpräsidenten, der in Kürze die Stadt besuchen wird, in Briefform sieben Nächte lang, – Scheherazade lässt grüßen, von seinem Aufstieg, der in Indien ebenso selten sei wie ein weißer Tiger im Dschungel. Er gehört zu den wenigen Underdogs, denen ein solcher sozialer Aufstieg gelingt in diesem von einer allgegenwärtigen Korruption gebeutelten Land. Neben dem Glück, das auch dazugehört, ist es sein unbedingter Erfolgswille, der ihm den wundersamen Weg nach oben ebnet, er bezeichnet sich deshalb selbst als «Der weiße Tiger». Durch Zufall erhält er beim Sohn eines der drei lokalen Großgrundbesitzer einen Job als Chauffeur und kommt mit ihm nach Delhi. Damit gehört er zur privilegierten Dienerschaft seines zwielichtigen Herrn, der seinen immensen Reichtum mit illegalem Kohleabbau verdient, für den üppige Schmiergeld-Zahlungen fällig werden. Ebenso korrupt sind die Steuerbehörden, die ihre hohen Einkommensteuer-Forderungen gegen reichlich Bargeld auf erträgliche Höhen reduzieren. Mit Schmiergeld lässt sich sogar ein tödlicher Autounfall mit Fahrerflucht aus der Welt schaffen, den die Ehefrau seines Arbeitgebers verursacht hat. Sie überfährt in Delhi nachts im Suff ein Kind auf dem Fahrrad. Balram muss ein Schuld-Anerkenntnis unterschreiben, das dann aber gar nicht benötigt wird. Denn Schmiergeld hilft natürlich auch hier aus der Klemme, die Polizei spricht von mangelhafter Beleuchtung des Rades und stellt die Ermittlungen ein. Um der ewigen Armutsfalle zu entgehen, beschließt Balham eines Tages, seinen Herrn auf einer der Schmiergeld-Fahrten zu töten und mit dem für seine Verhältnisse immensen Geldbetrag unterzutauchen, um sich selbstständig zu machen. Er gründet in Bangalore einen schon bald florierenden Taxidienst für die nächtlich arbeitenden Angestellten in den Callcentern von großen US-Unternehmen.

Diese bitterböse Geschichte ist zutiefst unmoralisch, vermittelt sie doch die fragwürdige Botschaft, der Weg aus dem Elend kann nur durch Gewalt gelingen. Adiga reduziert das Kastensystem auf die sich unversöhnlich gegenüber stehenden Gegensätze einer Bevölkerung zwischen Oben und Unten, Licht und Finsternis. In vielen Szenen wird detailfreudig ein Panorama Indiens gezeichnet, dass mit verstörenden Bildern das unsägliche Elend schildert. Daran ändern auch alle politischen Reformen nichts, die Wähler seien «wie Eunuchen, die über das Kamasutra streiten», heißt es im Roman. Kein Wunder, dass Balram Chinas politisches System für das bessere hält.

Satirisch überzeichnet, aber mit viel schwarzem Humor angereichert, wird hier sarkastisch knapp aus der sozialen Frosch-Perspektive über das von der Bevölkerung her zweitgrößte Volk der Welt berichtet. Dabei steht der Hühnerkäfig als Metapher für die Duldsamkeit des indischen Volkes. Zweifellos ein wichtiges Buch, das auf amüsante Art den Horizont weitet und das Genre Schelmenroman moralisch ad absurdum führt.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by C.H. Beck München

Der blinde Mörder

Ambivalente Familiensaga

Die im englischsprachigen Raum vielfach geehrte, kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hat für den Roman «Der blinde Mörder» im Jahre 2000 ihren ersten Booker Prize erhalten. Im Jahre 2019 erhielt sie dann ihren zweiten, sie gehört damit zu den vier Autoren, die ihn zweimal verliehen bekamen. Obwohl also hochgeehrt im englischen Sprachraum, ist die Rezeption im deutschen eher verhalten, insbesondere das Feuilleton zeigt sich hier skeptisch. Warum eigentlich?

Wie immer bei Atwood stehen in dieser drei Generationen umfassenden Geschichte die Frauen und ihre Rolle in der Gesellschaft im Mittelpunkt. In Rückblenden erzählt die 84jährige Iris als Ich-Erzählerin, wie sie und ihre jüngere Schwester Laura in den 1930er Jahren als wohlbehütete Töchter eines erfolgreichen Fabrikanten in Ontario aufwachsen. Als in der Depression die Firma an den Rand des Ruins gerät, heiratet Iris auf Druck des Vaters den neureichen Geschäftsmann Richard. Die fünfzehnjährige, als schwierig geltende Laura hat derweil eine heimliche Affäre mit Alex, einem gesuchten kommunistischen Aktivisten, dem eine Brandstiftung angelastet wird. Aber auch Iris verfällt ihm sexuell. Er lebt im Untergrund und zieht später mit einer kanadischen Brigade in den Krieg. Gegen Kriegsende fällt er, und als Laura erfährt, dass er auch mit Iris ein Verhältnis hatte, bringt sie sich um. Die schon einige Zeit getrennt von ihrem Mann lebende Iris entdeckt ein skandalträchtiges Roman-Manuskript von Laura mit dem Titel «Der blinde Mörder». Darin wird auktorial und mit namenlosen Figuren sehr freimütig von ihrer skandalösen Affäre erzählt, die hier als zweite Erzählebene eingeflochten ist. Nicht genug damit, ist in dieser Binnen-Geschichte eine weitere enthalten, in der Alex nach dem Sex der Geliebten Teile seiner dystopischen Story erzählt, mit Frauen in einer grotesk untergeordneten Sklavenrolle, er hält sich damit finanziell über Wasser. Ergänzend werden für die politischen Hintergründe und gesellschaftlichen Ereignisse immer wieder fiktive Zeitungs-Meldungen eingefügt, die dem Erzählten einen authentischen Touch verleihen. Das Ganze ist das handgeschriebene Manuskript von Iris, die 1999 stirbt. Sie wendet sich damit direkt an ihre in der Welt herumgeisternde Enkelin, um ihr all ihre Erinnerungen nun eben in Schriftform zu hinterlassen, wenn sie ihr schon nicht persönlich davon erzählen kann.

Mit ihrer kunstvoll verschachtelten Erzähl-Struktur breitet die Autorin in diesem Roman das üppige Panorama einer tragischen Familien-Geschichte vor dem Leser aus, angereichert mit einem interessanten sozialen und historischen Hintergrund. Gleichzeitig ist diese Saga vom allmählichen Niedergang einer einst stolzen, reichen und glücklichen Familie auch ein opulentes Sittenbild des zwanzigsten Jahrhunderts, das motivisch unwillkürlich an Thomas Mann erinnert. Der Roman ist überfrachtet mit Nebensächlichem, man weiß als Leser genau, dass die Zigaretten in einer silbernen Schatulle im Wohnzimmer verwahrt werden, weil man es gefühlt hundert Mal gelesen hat. Für männliche Leser fast unerträglich sind die ausufernden Schilderungen der Garderobe aller weiblichen Figuren, ihr Seelenleben wird hingegen sträflich vernachlässigt. Besonders die Ich-Erzählerin Iris bleibt als Mensch farblos, eine blutleere Figur ohne nennenswerte Entwicklung, und das über Jahrzehnte hinweg.

Beeindruckend jedoch ist die funkelnde Sprache, in der hier erzählt wird, angereichert mit stimmigen Metaphern und wunderbar schwarzem Humor, der besonders in der Rahmen-Geschichte der betagten Iris mit sarkastischen Anmerkungen überzeugt. Die für klare Worte bekannte Autorin spart auch nicht mit harscher gesellschaftlicher Kritik, so wenn sie zum Beispiel vom protzigen abstrakten Gemälde eines Neureichen spricht, «zusammengesetzt aus kostspieligen bunten Klecksen». Da verzeiht man dieser ambivalenten, aber auch unterhaltsamen Familiensaga dann gern ihre unübersehbaren, kleinen Schwächen.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Piper Verlag München

Harry Potter und der Stein der Weisen – MinaLima-Prachtausgabe

Der berühmteste Zauberer der Welt

Harry Potter scheint kein Glück im Leben zu haben: Seine Eltern starben, als er ein Jahr alt war, und seitdem fristet er sein Leben bei der Familie seiner Tante. Weder Tante, Onkel noch Cousin Dudley sind Harry freundlich gesinnt, sodass der Junge eher eine Art unwillkommer Haussklave als Familienmitglied ist. Das ändert sich, als Harry erfährt, dass seine Eltern Zauberer und Hexen waren. Ab diesem Zeitpunkt besucht er die Schule für Hexerei und Zauberei in Hogwarts. Dort ist er eine richtige Berühmtheit, denn er hat als Kind als Einziger den Angriff des berüchtigten Lord Voldemort überlebt. Lord Voldemort will die Herrschaft über die Hexen und Zauberer an sich reißen und scharrt deshalb alte und neue Weggefährten um sich. Und zu Harry hat er eine ganz besondere Beziehung, die das Leben des Jungen in permanente Gefahr bringt.

Zu Recht eine Prachtausgabe

Den ersten Band der Harry-Potter-Saga bringt Carlsen in einer  Prachtausgabe mit Prägedruck auf dem Cover – allerdings auch entsprechend teuer – heraus. Die Ausgabe kostet 40 Euro. Dafür bietet sie mehrere Goodies: Auf jeder Seite gibt es schön geschwungene und/oder verschnörkelte Umrandungen und kleine Einzelzeichnungen auf antik getrimmten Seiten, die sehr gut zur nostalgischen magischen Welt passen. Außerdem sind die meisten Seiten mit großen oder kleineren Bildern illustriert. Hinzu kommen viele interaktive Elemente zum Ausklappen oder als Pop-up, die mit zusätzlichem Papier vor Abnutzung geschützt sind. Die Kapitelanfänge werden durch Illustrationen extra hervorgehoben. Die Ausgabe wurde vom preisgekrönten Studio MinaLima gestaltet, das sich auch schon für die Harry-Potter-Filme verantwortlich zeichnete. Als weitere Extras bietet das Buch Infos zur Autorin und zu MinaLima. Die Übersetzung ist dieselbe wie die der schon bekannten Ausgaben.

So weit, so gut. Mir persönlich sind die Zeichnungen allerdings in der Tendenz zu dunkel gehalten; sie vermitteln für mein Gefühl eine zu düstere Stimmung. Manche erinnern ein wenig an Scherenschnitte, wie das Cover schon andeutet. Die vorherrschenden Farben sind Schwarz, Braun, Blau und Grün, die zwar öfter mit wärmeren Farben ergänzt werden, aber trotzdem den düsteren Charakter behalten. Damit wird zwar sicherlich auf die nicht ungefährliche magische Welt angespielt, trotzdem hätte ich mir für manche Bilder eine etwas heimeligere Atmosphäre gewünscht, die ja auch die Filme bieten. Außerdem sind mir die Zeichnungen zu einfach geraten (obwohl sie mir besser gefallen als die Cover-Zeichnungen der ursprünglichen Ausgaben); ich hätte sie mir etwas weniger schematisch gewünscht.

Fazit

Ein teures Prachtbuch, das viele interaktive und liebevoll gestaltete Elemente bietet sowie zahlreiche Zeichnungen. Die sind allerdings für meinen Geschmack von der vorherrschenden Farbgebung her zu dunkel geraten. Trotzdem macht es Spaß, das auf alt getrimmte Buch zu lesen und all die interaktiven Elemente und Bilder zu entdecken.


Genre: Fantasy, Jugendroman
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Weit über das Land

Sie sind verheiratet? Haben Kinder? Gehen einer regelmässigen Berufstätigkeit als Angestellter nach?

Dann stellen Sie sich Folgendes vor.

Sie kommen mit Ihrer Familie aus Ihrem zweiwöchigen Sommerurlaub an einem spanischen Strand nach Hause ins Einfamilienheim und haben schon das Gröbste aus- oder eingeräumt. Alles wie immer. Die Wäsche liegt bereits vor der Waschmaschine, die Kinder sind im Bett. Gemütlich setzen Sie sich mit Ihrer Frau auf die Terrassenbank, geniessen ein Glas Wein und lesen ein wenig in den aufgelaufenen Zeitungen. Bis dahin alles bekannt? Abwarten.

Die Frau steht auf, um nach dem rufenden Sohn zu schauen und geht danach vom Tag ermüdet direkt ins Bad und Bett. Der Mann steht ebenfalls auf und geht zum Gartentor und verlässt das Grundstück. Er hat nichts dabei außer den Kleidern, die er noch von der Fahrt am Leib trägt, ein paar simple Utensilien in der Tasche, ein wenig Bargeld und eine Kreditkarte. Er geht einfach weiter. Stunde um Stunde, die ganze Nacht, die folgenden Tage, Wochen. Weiterlesen


Genre: Belletristik, Roman
Illustrated by Fischer Verlag

Afropäisch: Eine Reise durch das schwarze Europa

AfropäischAfropäisch: Mit einem Interrailticket reist der Autor durch Europa, startet an einem 1.10. und muss genau am 31.3. zurück sein, denn er reist auf eigene Kosten, schläft dabei in Hostels, manche Einschränkungen des Komforts inbegriffen. So wird er auch Menschen begegnen, die nicht zu den Besserverdienenden gehören. Nach Plan besucht er europäische Hauptstädte und kleinere Orte im Süden Frankreichs und Spaniens: er folgt damit „seiner afropäischen Achse“. Mal reist er wie ein Flaneur, lässt sich von Zufallsbekanntschaften Geschichten erzählen, deren Informationen wird dann nachgeforscht, mal flicht er eigene Erlebnisse und Gelesenes ein. Weiterlesen


Genre: Afrikanische Geschichte, Gesellschaft, Imperialismus
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

10th – Drei Freunde, eine Liebe

Freundschaft und Liebe – passt das?

Umeko und Take sind seit ihrer Kindheit befreundet. Allerdings hat diese Freundschaft einen Haken: Umeko muss sich um den chronisch kranken Take kümmern, der sie zudem herablassend behandelt. Take ist wegen seines schlechten Gesundheitszustandes oft missgelaunt und lässt seine schlechte Laune an Umeko aus. Das ändert sich, als Matsu Interesse an den beiden zeigt. Matsu ist im Gegensatz zum mürrischen Tkae und zur stillen Umeko stets gut gelaunt und bei anderen sehr beliebt. Aber dieser Eindruck täuscht: Auch Matsu hat sein Päckchen zu tragen und versteht deswegen die Situation von Take und Umeko gut. Deshalb kann er auf die beiden eingehen und gewinnt mit seiner empathischen Art die Herzen des schüchternen Mädchens und des kranken Take. Er ist aber auch in der Lage, den beiden die Meinung zu sagen und aus einer objektiven Perspektive heraus die Situation zu beurteilen. Das beeindruckt sowohl Umeko als auch Take. Irgendwann merken die beiden, dass sie sich in Matsu verliebt haben. Die Liebe zu dem aufgeschlossenen Jungen tut beiden gut; sie ändern sich allmählich zum Positiven hin. Und sie beschließen, faire Rivalen um die Gunst von Matsu zu sein. Außerdem wollen sie ihre Freundschaft nicht gefährden. Für Umeko wird es allerdings kompliziert, denn irgendwann merkt sie, dass sie Matsu zwar sehr mag, aber romantische Gefühle für den neuen Take, der mittlerweile aufgeschlossener ist und nicht mehr so oft mit Anfällen zu kämpfen hat, hegt. Als sie Take ihre Gefühle gesteht, wird sie abgewiesen. Aber auch Take muss einen Korb hinnehmen, als er Matsu seine Gefühle offenbart. Angesichts dieser romantischen Verwirrungen kämpfen alle drei um ihre Freundschaft, denn diese ist ihnen nach wie vor wichtig.

Die drei in sich abgeschlossenen Bände sind keine seichten romantischen Mangas, sondern rücken andere Themen in den Vordergrund: Freundschaft, Toleranz, gegenseitige Akzeptanz, Entwicklung der Persönlichkeit, sensibles Eingehen auf andere und die jeweilige Situation, Selbstvertrauen und Selbstwert. Diese Themen werden schlüssig, verständlich und tiefsinnig aufbereitet den Leser*innen näher gebracht. Die Dialoge, die die Beteiligten führen, und die Weise, wie sie reagieren, sind auf der einen Seite Vorbild, bieten auf der anderen aber auch Identifikationspotential, v.a. für Pubertierende in der Phase der Identitätsfindung.

Die Verwicklungen, die sich ergeben, sorgen für den Spannungsbogen. Die Nebencharaktere spiegeln z.T. die Situation der drei Hauptcharas wider. Sie zeigen aber auch, dass man empathischer auf Situationen und andere Menschen reagieren kann, wenn man selbst Ähnliches erlebt hat. Der Erfahrungsschatz und die seelische Tiefe wächst mit den Hürden, die man überwinden muss. Auch das zeigt die Reihe.

Fazit

Empfehlebswerter Manga über die Themen der ersten Liebe, Freundschaft, Selbstfindung, Toleranz.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen / Hayabusa

She likes Gay Boys but not me! 1

Coming Out?

Der Oberschüler Jun ist schwul, verheimlicht aber seine sexuelle Neigung. Er hat eine Affäre mit einem Familienvater namens Makoto und eine ebenfalls schwule Internetbekanntschaft namens Mr. Fahrenheit. Letzterem vertraut er sein Innenleben an und freut sich, dass auch Mr. Fahrenheit sein Gefühlsleben mit ihm teilt. Denn er ist der einzige außer Juns Affäre, der von Juns Homosexualität und den Schwierigkeiten, die das mit sich bringt, weiß. Durch einen Zufall erfährt Jun von der Leidenschaft seiner Klassenkameradin Sae für BL-Manga. Er verspricht ihr, den anderen nichts davon zu sagen. Damit eröffnet sich für ihn eine neue Freundschaft, die schließlich in eine Beziehung mit Sae mündet. Jun will mit dieser Beziehung herausfinden, ob er es ähnlich machen kann wie Makoto: Nach außen hin ein normales Leben zu führen, um keine Repressalien erdulden zu müssen, aber mit einer Affäre seine sexuellen Bedürfnisse befriedigen zu können. Aber dieses Experiment ist mit weiteren Schwierigkeiten verbunden.

Der erste Band dieser Boys-Love-Serie mutet deutlich realistischer an als so viele andere, die in einer in sich abgeschlossenen Welt spielen und in denen v.a. die romantische und/oder sexuelle Beziehung hervorgehoben wird, anstatt die Schwierigkeiten zu beleuchten, mit denen Homosexuelle zu kämpfen haben. In der o.g. Reihe spielen die Probleme eine entscheidenede Rolle, denn sie bestimmen Juns Alltag und seine Entscheidungen, die nicht nur für ihn weitreichende Konsequenzen haben. Die Spannung dieses Ansatzes bezieht sich also darauf, wie Jun sich entscheidet, was sich aus diesen Entscheidungen ergibt und wie alle Beteiligten damit umgehen. Schade, dass es nicht mehr solcher Manga gibt, die einen Einblick in die Situation homosexueller Menschen gibt! Aber nicht nur dieses Thema wird angesprochen, sondern auch die Neigung der Menschen insgesamt, alles, was anders ist, mindestens misstrauisch zu beäugen, wenn nicht gar zu verteufeln. Das Cover macht den Zwiespalt deutlich, in dem Jun sich befindet.

Fazit

Lesenswerter Manga über Homosexualität und den Umgang aller Beteiligten mit dieser Art der sexuellen Neigung.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen / Hayabusa

Der Friedhof der vergessenen Bücher

Ein Buch wie eine Kathedrale

Der Ruhm des spanischen Schriftstellers Carlos Ruiz Zafon gründet sich auf den ersten Band einer Tetralogie, deren geheimnisvoller Ort «Der Friedhof der vergessenen Bücher» ist, zu dem unter gleichem Namen mit dem vorliegenden Erzählband nun posthum eine Ergänzung erschienen ist. Es handelt sich um «eine tief unter Barcelona verborgene Bibliothek, in der die Bücher darauf warten, ihre Seele an ihren Leser weiterzugeben». Die vier Romane bilden einen breitgefächerten Erzählkosmos, in dem die Bücher selbst sich ihre Leser suchen, nicht umgekehrt. Mit dem vorliegenden Band weiterführender, ergänzender Geschichten sollte dieser labyrinthische Kosmos nach dem Willen des früh verstorbenen Autors weiter wachsen.

Mit Abstand erfolgreichster Roman war der unter dem Titel «Der Schatten des Windes» erschienene, erste Teil der Tetralogie, der in 36 Sprachen übersetzt mehr als 15 Millionen Mal verkauft wurde. Einige von dessen Figuren, aber auch von den drei Folge-Romanen, finden sich hier ebenso wieder wie viele Themen und Motive der Tetralogie. Mit sieben bisher unveröffentlichten der insgesamt elf Erzählungen stellen sie ein letztes Geschenk des Autors an seine treuen Leser dar. Carlos Ruiz Zafon hat dazu erklärt: «Für mich ist der Friedhof der vergessenen Bücher so etwas wie die Verkörperung der Erinnerung, der Identität. Das geht weit über Bücher oder Literatur oder geistige Welten hinaus».

In «Blanca und der Abschied» geht es um die Liebe des angehenden Dichters David Martin , in «Namenlos» erfahren wir von dessen tragischer Geburt, die dritte Geschichte handelt von einem selbstlosen Arzt, dem es übel ergeht, und in der nächsten erzählt David Martin seinen Mitgefangenen «eine Geschichte von Büchern, Drachen und Rosen». Eine längere Erzählung handelt vom Fürst des Parnass, es folgt «Eine Weihnachts-Geschichte», wir sehen «Alicia im Morgengrauen» und erleben «Graue Männer» als Auftragskiller. Nach einer Liebesaffäre in «Die Frau aus Dunst» folgt mit «Gaudi in Manhattan» eine Hommage auf den berühmten Architekten. «Ist dir mal aufgefallen, dass die Leute immer mehr verblöden, je intelligenter die Handys werden?» fragt eine Rothaarige in Manhattan den Ich-Erzähler der kurzen, letzten Geschichte mit dem Titel «Apokalypse in zwei Minuten». Das Ende sei gekommen, aber da er «nie im Finanzsektor gearbeitet habe», gestehe sie ihm drei Wünsche zu. «Ich will wissen, was der Sinn des Lebens ist. Ich will wissen, wo es das beste Schokoladen-Eis der Welt gibt. Und ich will mich verlieben». «Die Antwort auf die beiden ersten Wünsche ist dieselbe», sagt die Rothaarige, und der Erzähler ergänzt: «Was den dritten Wunsch betraf, gab sie mir einen Kuss».

Barcelona bildet den örtlichen Ausgangspunkt fast aller Geschichten von Zafon, die er mit gedrechselten Worten in vergilbten Bildern beschreibt. Da ist von engen, labyrinthischen Gassen die Rede, von düsteren Fassaden, die in Nebelschwaden verschwinden. Fast immer fällt auch Schnee in seinen Beschreibungen, so als ob wir in Moskau sind und nicht in einer Stadt mit Mittelmeerklima, Licht und Sonnenschein passen nicht zur düsteren Welt Zafons. Ein immer wiederkehrendes Motiv sind bei ihm auch die Bücher, und meist ist ein satanischer Verleger namens Corelli in das Geschehen verwickelt, ihn mag der Autor, wie er erklärt hat, ganz besonders. Es ist diese unheimliche, geisterhafte Atmosphäre, die sein Markenzeichen darstellt und seine phantastische Erzählbühne stimmungsmäßig grundiert. Dabei gerät er mitunter deutlich in die Gefilde der Trivial-Literatur, was er durch einen Vergleich zu relativieren sucht: «Ein Roman sollte wie eine gotische Kathedrale sein, bestehend aus Worten und Geschichten und Figuren: Man geht hinein und man denkt nicht über die Mathematik oder Physik des Bauwerks nach». Und tatsächlich erzeugt er einen publikums-wirksamen Lesesog, der dafür sorgen dürfte, dass seine Bücher wohl nie auf dem «Friedhof der vergessenen Bücher» landen werden.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Fischer Verlag