Dunbridge Academy – Anywhere

Dunbridge Academy - Anywhere - Sarah Sprinz - PBNeuanfang in Schottland

Die deutsche Gymnasiastin Emma hat sich entschieden, als Austauschschülerin für ein Jahr nach Schottland auf die Dunbridge Academy zu gehen. Ihre vielbeschäftigte Mutter freut sich, denn sie war ebenfalls Schülerin des renommierten Internats, das für eine gute Zukunft seiner Schüler*innen steht. Aber Emma geht nicht nur aus Bildungsgründen nach England – sie will ihren verschollenen Vater finden, der die Familie vor einigen Jahren verlassen hat, und ihm einige für sie wichtige Fragen stellen. Da ihr Vater ebenfalls die DA besucht hatte, erhofft sie sich Hinweise vor Ort, um ihn suchen zu können.

Womit sie nicht gerechnet hat: Sie entwickelt Gefühle für ihren Mitschüler Henry. Aber Henry ist schon vergeben und scheint mit seiner Freundin Grace ein perfektes Paar zu bilden. Aber dieser Schein trügt, denn Grace vergöttert zwar ihren Freund, aber Henry hat sich innerlich schon von ihr entfernt. Um alles noch komplizierter zu machen, scheint ein griesgrämiger Lehrer Emma vom ersten Tag an auf dem Kieker zu haben. Aber er könnte auch etwas mit der Vergangenheit ihrer Eltern zu tun haben. Emma beschließt, diese wenn auch schwierige Chance zu nutzen, um ihren Vater zu finden.

Wirklich schwierig wird es für Emma, Henry und ihre Freund*innen, als Henrys Schwester stirbt. Henry fällt in tiefe Depressionen, die ihn zu verschlingen drohen.

Ernste Themen in „trivialem“ Gewand

Der in sich abgeschlossene Band (er behandelt vordergründig die romantische Beziehung zwischen Emma und Henry) ist Teil einer Reihe. Als Extra ist eine Karte der DA beigelegt. Eigentlich zur Belletristik und eher zur Trivialliteratur zählend, ist allerdings nur die Rahmenhandlung „trivial“, weil sie eine romantische Beziehung behandelt. In diese eingebettet sind erste Themen: Tod, Trauer, Trauerbewältigung, Verlust, Substanzmissbrauch und Abhängigkeit, die plausibel entfaltet werden, auch wenn man stellenweise den Eindruck hat, dass die Teenager zu erwachsen handeln.

Ebenso wird das Thema alleinerziehende Familien und deren Konsequenzen angesprochen: der Verlust, den die Kinder verarbeiten müssen, der fehlende Vater, die immerzu beschäftigte Mutter, das frühe Aufsichalleingestelltsein, die schmerzlichen vielfältigen Gefühle der Kinder. All dies wird am Beispiel von Emma thematisiert, die versucht, ihre schmerzliche Vergangenheit aufzuarbeiten, indem sie ihren Vater, und damit Antworten, sucht. Der Wert von Freundschaften vor allem in schwierigen Zeiten wird ebenfalls thematisiert.

Insgesamt hat dieser Roman Züge eines Entwicklungsromans: Die Heldin (aber auch die Freund*innen) ziehen aus, um erwachsen zu werden / sich weiterzuentwickeln, und müssen auf ihrem Weg Schwierigkeiten meistern. Die Teenagerzeit hält viele Herausforderungen bereit, die ebenfalls zu diesem Weg zählen und im Roman angesprochen werden. Dass all dies nicht ohne Irrungen und Wirrungen, Fehler und Stolperfallen abgehen kann, zeigt der Roman immer wieder – das macht ihn für die junge Leserschaft plausibel und nachvollziehbar. Sie können sich wahrscheinlich gut mit den Held*innen identifizieren. Lösungen werden ebenfalls geboten, auch wenn die ein oder andere Lösung im ersten Moment nicht im Sinne der Held*innen ist.

Allerdings frage ich mich, warum die Haupthandlung meist im (englischsprachigen) Ausland stattfinden muss – in Deutschland würden sich die Themen doch ebenfalls gut umsetzen lassen. Die Anlehnung an englisch- bzw. amerikanischsprachige Kultur soll wohl Verkaufsargumenten dienen. Was schade wäre.

Insgesamt empfohlen.


Genre: Jugendroman, Tod, Trauer, Verlust
Illustrated by LYX

Save you – Save me – Save us

Die Maxton-Hall-Reihe: Alle 3 Bände im Schuber: Save Me. Save You. Save Us.Die Welt der Reichen und Schönen…

Ruby Bell besucht die angesagte Schule Maxton Hall, in welche all die Reichen, Mächtigen und Schönen ihre Kinder schicken. Sie selbst kommt aus einer einfachen Familie und hat ihren Platz aufgrund eines Stipendiums bekommen. Deshalb beschließt sie, möglichst unauffällig ihre Schulzeit in Maxton Hall zu verbringen, um nicht den Spott ihrer Mitschüler*innen auf sich zu ziehen.

Eines Tages beobachtet sie unfreiwillig, wie ihre Mitschülerin Lydia mit ihrem Lehrer rumknutscht. Das beschert ihr die Feindschaft ihres Zwillingsbruders James, der seine Schwester vor der Klatschpresse und damit vor der Zerstörung des Rufes des bekannten Namens Beaufort bewahren will. Beide geraten aneinander. Das Verhältnis scheint sich noch zu verschlimmern, als James als Strafe für einen Streich dem Veranstaltungskomitee beitreten muss, in dem Rubi Vorsitzende ist. Erstaunlicherweise ist aber das Gegenteil der Fall, denn James hat gute Ideen und lädt Rubi zum historischen Fundus der Beaufort’schen Modekette ein, um für die Schulparty Halloweenkostüme auszusuchen. Beide kommen sich langsam näher und entdecken ihre Liebe füreinander. Aber diese zarten Bande sind James‘ Eltern gar nicht recht, denn Rubi ist keine standesgemäße Partie. Als wäre das noch nicht genug, stirbt James‘ und Lydias Mutter. Vater Beaufort hat kein Verständnis für die Trauer seiner Kinder; sie sollen funktionieren und einen Studienplatz in Oxford anstreben. Er übernimmt das Unternehmen Beaufort nach dem Tod seiner Frau und strukturiert es nach seinem Willen um.

Lydia und James leiden unter der harten Regie ihres Vaters und dessen beruflichen Vorstellungen für sie. Es kommt zu immer mehr Konflikten innerhalb der Familie Beaufort. Das führt auch dazu, dass sich James von Rubi zurückzieht, um sie zu schützen. Rubi allerdings hat noch andere Probleme, denn ein Foto von ihr und einem ihrer Lehrer kursiert in der Schule und suggeriert, dass sie ein Verhältnis mit diesem Lehrer hat. Das führt zu ihrem Schulausschluss und damit zum Aus ihrer Träume, Oxfordstudentin zu werden. Wütend stellt Ruby fest, dass James für das Foto verantwortlich ist. Sie unterstellt ihm, es herumgeschickt zu haben, um von Lydia abzulenken. Denn Lydia ist von ihrem Lehrer schwanger und wird deswegen von ihrem Vater verstoßen. Sie lebt jetzt bei ihrer Tante Ophelia, die von Lydias Vater aus dem Unternehmen gedrängt wurde. Die schlimme Situation für James, Rubi, Lydia und ihre Familien spitzt sich immer weiter zu – bis James von seinem Chauffeur einen Hinweis erhält, der das Leben aller von Grund auf verändern kann.

…ist auch nicht immer das, was sie scheint

Die Trilogie – hier in der Hardcover-Gesamtausgabe im Schuber – lebt nicht nur von romantischen Irrungen und Wirrungen, sondern auch vom Kontrast zwischen High Society und Normalbürgertum. Dabei werden Leser*innen immer wieder mit der Nase auf folgendes Motto gestoßen: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ Will in diesem Fall heißen: Auch die Reichen, Schönen und Mächtigen haben so ihre Schwierigkeiten. James und seine Schwester wachsen in einer lieblosen Familie auf, in der sie für ihren Vater nur Schachfiguren sind, die er nach Belieben hin- und herschieben kann. Genügen sie seinen Ansprüchen nicht, lässt er sie fallen. Das lieblose Elternhaus und der Zwang eines vorherbestimmten Lebens ohne Aussicht auf die Erfüllung eigener Wünsche lassen James Trost im Alkohol und in Drogen suchen. Er muss mit der Verletzung fertig werden, keine glückliche Familie zu haben, die ihn um seiner selbst willen liebt und unterstützt. Das wird ihm erst richtig bewusst, als er Rubis Familie kennenlernt, die trotz aller Schwierigkeiten zusammenhält und sich füreinander interessiert.

Auch Lydia wird wie ihr Bruder nicht nur körperlich, sondern auch seelisch verletzt, als ihr Vater sie wegen ihrer Schwangerschaft verstößt. Sie und ihr Bruder erhalten so etwas wie Nestwärme bei ihrer Tante und Rubis Familie. Auch die anderen reichen Freunde von James sind nicht nur von Glück verwöhnt: Die konservative High Society akzeptiert keine Homosexuellen oder Menschen, die finanzielle Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Alles, was nicht dem schönen Schein entspricht, wird vertuscht und passend gemacht. Gelingt das nicht, müssen die schwarzen Schafe aus dem schönen Schein verschwinden.

Aber auch Rubis bürgerliche Welt ist nicht heil, denn ihr Vater ist nach seinem Unfall behindert und ihre Schwester kämpft gegen Vorurteile, weil sie nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Beide schöpfen Kraft aus ihrer Familie und aus ihrem Willen, das Beste aus der Situation zu machen – was ihnen dank Ausdauer und Arbeit an sich selbst auch gelingt. Damit sind sie Vorbild für andere; im Buch für James und seine Freunde, die mit Schicksalsschlägen erst lernen müssen umzugehen.

Die Trilogie mag verächtlich (und diskriminierend) als „Frauenliteratur“ oder „Trivialliteratur“ abgekanzelt werden, aber sie trifft Themen, die junge Frauen interessieren (und über die Männer ruhig nachdenken dürfen): Liebe, wie man eine Beziehung aufbaut und trotz aller Schwierigkeiten pflegt und erhält, Problemlösungskompetenzen in brenzligen Situationen, Durchhaltewillen, Sein statt Schein, Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein, die Fähigkeit, hinter Masken und Kulissen zu sehen, die Qualitäten der/des anderen erkennen und fördern können, Zusammenhalt, Mut, Stärke (nicht muskulär).

Fazit

Vordergründig eine Trilogie mit allerlei romantischen Verwicklungen, hintergründig aber auch ein Plädoyer für echte Werte wie Selbstwert, Problemlösungskompetenzen, den Mut, seine eigenen Träume zu verwirklichen, Vorbildfunktion, soziales Verhalten usw.

Insgesamt eine spannende Reihe, die von Verwicklungen vielerlei Art lebt, und im Sinne eines Entwicklungsromans die charakterliche Entwicklung der Figuren begleitet.


Genre: Jugendroman
Illustrated by LYX- Verlag/ Bastei Lübbe

Harry Potter und der Stein der Weisen – MinaLima-Prachtausgabe

Der berühmteste Zauberer der Welt

Harry Potter scheint kein Glück im Leben zu haben: Seine Eltern starben, als er ein Jahr alt war, und seitdem fristet er sein Leben bei der Familie seiner Tante. Weder Tante, Onkel noch Cousin Dudley sind Harry freundlich gesinnt, sodass der Junge eher eine Art unwillkommer Haussklave als Familienmitglied ist. Das ändert sich, als Harry erfährt, dass seine Eltern Zauberer und Hexen waren. Ab diesem Zeitpunkt besucht er die Schule für Hexerei und Zauberei in Hogwarts. Dort ist er eine richtige Berühmtheit, denn er hat als Kind als Einziger den Angriff des berüchtigten Lord Voldemort überlebt. Lord Voldemort will die Herrschaft über die Hexen und Zauberer an sich reißen und scharrt deshalb alte und neue Weggefährten um sich. Und zu Harry hat er eine ganz besondere Beziehung, die das Leben des Jungen in permanente Gefahr bringt.

Zu Recht eine Prachtausgabe

Den ersten Band der Harry-Potter-Saga bringt Carlsen in einer  Prachtausgabe mit Prägedruck auf dem Cover – allerdings auch entsprechend teuer – heraus. Die Ausgabe kostet 40 Euro. Dafür bietet sie mehrere Goodies: Auf jeder Seite gibt es schön geschwungene und/oder verschnörkelte Umrandungen und kleine Einzelzeichnungen auf antik getrimmten Seiten, die sehr gut zur nostalgischen magischen Welt passen. Außerdem sind die meisten Seiten mit großen oder kleineren Bildern illustriert. Hinzu kommen viele interaktive Elemente zum Ausklappen oder als Pop-up, die mit zusätzlichem Papier vor Abnutzung geschützt sind. Die Kapitelanfänge werden durch Illustrationen extra hervorgehoben. Die Ausgabe wurde vom preisgekrönten Studio MinaLima gestaltet, das sich auch schon für die Harry-Potter-Filme verantwortlich zeichnete. Als weitere Extras bietet das Buch Infos zur Autorin und zu MinaLima. Die Übersetzung ist dieselbe wie die der schon bekannten Ausgaben.

So weit, so gut. Mir persönlich sind die Zeichnungen allerdings in der Tendenz zu dunkel gehalten; sie vermitteln für mein Gefühl eine zu düstere Stimmung. Manche erinnern ein wenig an Scherenschnitte, wie das Cover schon andeutet. Die vorherrschenden Farben sind Schwarz, Braun, Blau und Grün, die zwar öfter mit wärmeren Farben ergänzt werden, aber trotzdem den düsteren Charakter behalten. Damit wird zwar sicherlich auf die nicht ungefährliche magische Welt angespielt, trotzdem hätte ich mir für manche Bilder eine etwas heimeligere Atmosphäre gewünscht, die ja auch die Filme bieten. Außerdem sind mir die Zeichnungen zu einfach geraten (obwohl sie mir besser gefallen als die Cover-Zeichnungen der ursprünglichen Ausgaben); ich hätte sie mir etwas weniger schematisch gewünscht.

Fazit

Ein teures Prachtbuch, das viele interaktive und liebevoll gestaltete Elemente bietet sowie zahlreiche Zeichnungen. Die sind allerdings für meinen Geschmack von der vorherrschenden Farbgebung her zu dunkel geraten. Trotzdem macht es Spaß, das auf alt getrimmte Buch zu lesen und all die interaktiven Elemente und Bilder zu entdecken.


Genre: Fantasy, Jugendroman
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

The Second Princess – Vulkanherz

Von Prinzessinnen und Dämonen

Saphina als drittgeborene ist die jüngste Prinzessin aus dem Hause der königlichen Bell-Dynastie. Damit bleibt sie von Regierungsgeschäften weitgehend verschont, denn die älteste Prinzessin erbt den Thron. Als aber Maylin, die zweitälteste Prinzessin und Saphinas Lieblingsschwester, stirbt, muss Saphina Maylins Erbe antreten. Und das ist ein geheimes und dunkles Erbe, wie sie bald darauf erfahren muss: Sie soll die Insel als Herrscherin über dne Vulkan vor Dämonen schützen. Anders als Maylin wurde Saphina aber  nicht ihr Leben lang auf diese Aufgabe vorbereitet. Jetzt soll Dante, ein Adelssohn und enger Vertrauter der Familie, es richten. Er hat schon mit Maylin trainiert und muss jetzt Saphina auf ihre neue Aufgabe vorbereiten. Aber die Zeit ist knapp, denn Dämonenkönig Zandor lauert nur auf die Chance, wieder frei zu kommen.

Um erst einmal etwas Positives zu sagen: Der Roman ist flüssig geschrieben, liest sich also gut. Auch die Idee, dass eine reine Frauendynastie herrscht und sich die Prinzessinnen ihren Gatten selbst auswählen können, ist prima; ebenso die Idee, dass es letztlich einzig in der Hand einer Frau liegt, die lebensbedrohliche Gefahr abzuwenden. Damit wird dem weiblichen Geschlecht mehr Macht und Stärke zugestanden als in manch anderen Fantasy- oder Mysteryromanen. Aber leider schlägt trotzdem das Klischee zu. Auch Saphina braucht eine Art Beschützer, in dem Fall Dante, der die hitzköpfige und unüberlegte Prinzessin einweist und und vor Gefahren retten muss. Der Charakter Dantes ist ebenfalls klischeebeladen: sarkastisch, düster, extrem selbstbewusst. Die Liebesgeschichte der beiden ist dementsprechend durchschaubar, weil schon in anderen Romanen sattsam erzählt. Es wimmelt von gutaussehenden Frauen und Männern mit wenig ausgefeilten Charakteren.  Neue Ideen oder Tiefsinnigkeit sind rar gesäht. Damit hebt sich der Roman kaum vom Mainstream ab, weil er Altes eigentlich nur wiederkäut. Wem das genug ist, kann sich eine seichte Feierabendlektüre gönnen, die kaum zum Nachdenken anregt. Mir persönlich reicht das allerdings nicht.

Fazit

Gut geschriebenes, aber seichtes Lesefutter, dass es in ähnlicher Art schon hundertfach zu kaufen gibt.


Genre: Jugendroman
Illustrated by Carlsen Hamburg

The Run – Die Prüfung der Götter

The Run Cover

Die Prüfung

Die 18-jährige Sari steht kurz vor ihrer Prüfung “The Run”, die sie zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft machen soll. Vorher sind Kinder und Jugendliche sogenannte Phantome, die sich vollverschleiern müssen und in der Gesellschaft keine Rechte haben. Sari bereitet sich schon seit Jahren auf die Prüfung vor, obwohl niemand den Phantomen verraten darf, wie The Run abläuft. Die Vorbereitungen laufen unter erschwerten Bedingungen: Sie muss nach dem Tod ihrer Mutter vor sieben Jahren sowohl ihren verrückt gewordenen Vater als auch ihren kleinen Bruder versorgen. Sie ist die Ernährerin der Familie und muss ihren Bruder vor den Ordnungshütern verstecken, weil er ein Mutant ist. Mutanten werden ihren Familien entrissen und niemand weiß, was mit ihnen passiert. Unter diesen ungünstigen Voraussetzungen tritt sie The Run an.

Bald merkt sie, dass The Run gefährlich ist und nicht selten tödlich endet. Die Prüfungen, die sie und die anderen bestehen müssen, sind alles andere als leicht und dienen nur dazu, dem despotischen Herrscher gebrochene Untertanen zu sichern. Als Sari das erkennt, beschließt sie, The Run in jedem Fall zu bestehen, um danach den Herrscher zu stürzen. Hilfe erhält sie von Keeran, der aber v.a. seine eigenen Ziele verfolgt. Trotzdem fühlt sie sich zu dem innerlich zerrissenen Mann hingezogen. Während The Run merkt sie aber auch, dass sie selbst Kräfte hat, die das normale Maß übersteigen.

Die Tribute von Panem

Der in sich abgeschlossene Roman erinnert  an “Die Tribute von Panem”. Auch hier gibt es Despoten, die für die Jugend lebensgefährliche Prüfungen ansetzen, um den Untertanen ihre Macht zu demonstrieren. Auch dort wird eine Dystopie beschrieben, in der hierarchisch-despotische Machtverhältnisse für eine nachhaltige Unterdrückung der Bevölkerung sorgen. Hier wie dort werden die Qualen der jugendlichen Protagonistin und die Gewalt ausführlich dargestellt, aber auch der ungebrochene Wille der Heldin, das alles zu überstehen. Außerdem sorgt die Heldin für bahnbrechende Neuerungen. Wer die Tribute von Panem mochte, wird wohl auch diesen Roman mögen.

Mir persönlich gefällt die ausschweifende Darstellung der Gewalt nicht. Das ist mir zu voyeuristisch. Wenigstens wird in diesem Roman durch die Heldin die Gewalt nicht gutgeheißen – sie protestiert bei jeder Gelegenheit und unter Gefährdung ihres eigenen Lebens gegen das unterdrückerische Regime. So wird die Gewalt zumindest hinterfragt.

Heldin mit Vorbildcharakter

Die Heldin ist in ihrem Handeln und ihrem Hören auf ihren eigenen Gerechtigkeitssinn Vorbild. Sie nimmt  die Gegebenheiten nicht einfach hin wie die meisten anderen, sondern versucht, etwas an ihrer Situation zu verändern. Auch ihre Funktion als Basis der Familie ist vorbildhaft, allerdings mit dem Einwand, dass auch in der Realität Frauen durch die Umstände oft genug gezwungen sind, die Basis der Gesellschaft zu sein und alles schultern zu müssen – ob sie wollen oder nicht. Anerkennung dafür gibt es keine. Auch das verdeutlicht der Roman. Frauen entwickeln durch die permanente Belastung und Unterdrückung aber etwas, das die Psychologie als “diamantene Fähigkeiten” bezeichnet: Durch den Druck werden sie zu dem stärksten und edelsten aller Edelsteine. Diese Fähigkeiten hat Sari ebenfalls entwickelt und setzt sie zu ihrem Vorteil ein. Im Roman wird ihre Stärke (interessanterweise von den Männern) immer wieder betont: Sie wird bewundert von Keeran und gefürchtet vom Despoten.

Verdrehung der Wahrheit

Despotische Regime verändern, verdrehen und beschneiden gern die Wahrheit, um sie zu ihren eigenen Zwecken zu benutzen. Im Roman wird das durch die Göttersagen deutlich, die der Bevölkerung nur in Teilen zugänglich und damit von ihrem Kern entfremdet sind und einen neuen Sinn erhalten. Sari findet während The Run eine Ausgabe mit dem vollständigen Text, der sie bei ihrem Vorhaben unterstützt. Auch hier gilt: Bildung schützt vor Manipulation. Deshalb die Bücherverbrennungen despotischer Regime und die Kontrolle der Literatur, Kunst und Presse. Nachdem Sari die Wahrheit über ihr Land und ihre Abstammung erfahren hat, ist sie bestrebt, für eine bessere Welt zu kämpfen.

Verschleierung

Die vollständige Verschleierung der Phantome erinnert an die Verschleierung von Frauen in der realen Welt. Im Roman sind weibliche und männliche Charaktere betroffen, die für die Gesellschaft durch das Symbol der Verschleierung unsichtbar und ohne Wert sind.

Schwächen im Ausdruck und der Charakterzeichnung

Die Figuren im Roman können anscheinend nicht normal sprechen. Im ganzen Buch gibt es keine Wörter wie “sagen”, “antworten” usw., dafür aber ausschließlich “knurren” (mit Abstand am häufigsten), “raunen”, “zischen”, “fauchen”. Das stört den Lesefluss irgendwann sehr, zumal diese Begriffe nicht immer zu dem, was die Figuren sagen, passen wollen.

Die männliche Hauptfigur Keeran erinnert an männliche Hauptfiguren von Schnulzenromanen, die pseudogeheimnisvoll und -gefährlich sind. Er hat keine wirklich erkennbare Charaktertiefe.

Fazit

Wer “Die Tribute von Panem” mochte, könnte auch an diesem Roman Gefallen finden. Allerdings verhindern ein paar Schwächen ein rundum gelungenes Leseerlebnis.


Genre: Dystopie, Fantasy, Jugendroman
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

K-Pop Confidential

Der Traum, ein Star zu sein

“Candace kann singen – und zwar richtig gut. Nur weiß kaum jemand davon. Genauso wenig wie von ihrer Begeisterung für K-Pop. Heimlich nimmt die 15-Jährige an einem Casting teil – und ergattert prompt einen Trainee-Platz bei der weltgrößten K-Pop-Schmiede in Seoul. Eine Riesenchance!

Doch die Ausbildung ist hart, mit strengen Regeln und unerbittlichen Trainern, die Candance an ihre Grenzen bringen. Und als sie YoungBae kennenlernt, den sie wegen des strikten Dating-Verbotes eigentlich nicht treffen darf, beginnt sie zu zweifeln. Kann sie sich selbst treu bleiben und gleichzeitig ein K-Pop-Star werden?” (Inhaltsangabe des Verlags)

Unmenschlicher Drill

Die in sich abgeschlossene deutsche Erstausgabe hat es in sich, und zwar in mehrerlei Hinsicht. Das Cover deutet es schon an: Das, was man in der Öffentlichkeit zu sehen bekommt, ist leichtfüßig und soll gute Laune verbreiten – damit die Kasse klingelt. Wie das Pink und helle Blau im Cover ist es aber nur ein Bruchstück dessen, was K-Pop ausmacht: Der größte Teil (im Cover dunkel bis schwarz) ist der harte Teil des Trainings eines Trainees und später des unter (Knebel-)Verträgen stehenden Pop-Stars, dem letztlich keine Rechte zugesprochen werden. Er gehört buchstäblich seinem Label und seinen Fans.

Die Trainingsmethoden kann man ungeschminkt als Folter bezeichnen: permanenter Schlaf- und Essensentzug sollen vordergründig fitte und schlanke Tänzer*innen hervorbringen, hintergründig sorgen sie aber durch den permanenten Hunger und die Erschöpfung für ein Verhalten, das Aufbegehren unmöglich macht. Ebenso das konsequente Anbrüllen und Entwerten der Trainees, das ihnen das Selbstbewusstsein rauben und sie zu widerstandslosen Puppen machen soll. Der Schlaf- und Essensentzug ist perfide und gesundheitsschädlich: Nur 4 Stunden Schlaf pro Nacht wird den Jugendlichen zugestanden! Den Rest des Tages (und der Nacht) verbringen sie mit Unterricht und stundenlangem harten Training. Und das angeblich gesunde Essen besteht (v.a. für die Mädchen) aus Ei und Süßkartoffeln zum Frühstück, in der harten Variante nur aus einer Süßkartoffel, weil gerade die Mädchen angeblich zu fett sind!

Das muss man sich mal vorstellen: Die sich im Wachstum befindlichen Jugendlichen (v.a. die Mädchen, die sich entwickeln und ihre Periode bekommen) verhungern wegen Mangelernährung vor aller Augen bei den wenigen Kalorien, die sie zu sich nehmen dürfen und die sofort durch das extrem harte Training wieder verbraucht werden! Die Jungen werden zwar auch nicht mit Samthandschuhen angefasst, scheinen aber trotzdem mehr Privilegien zu genießen als die Mädchen. Diskiminierung ist anscheinend Alltag in der K-Pop-Schmiede. Der Psychoterror, dem die Trainees permanent unterliegen, tut sein Übriges zu der alles andere als gesunden Arbeitsatmosphäre, bei der jedes Menschen- und Kinderrecht, allen voran das der Würde, gebrochen wird. Mir kamen beim Lesen unwillkürlich Vergleiche mit den Arbeitslagern der diversen Ideologien.

Dazu ein paar Zitate aus dem Buch:

“Obwohl ich in meiner ersten Woche bestimmt nicht mehr als drei Stunden pro Nacht geschlafen habe, kann ich eigentlich nicht behaupten, dass ich müde bin. Ein Gefühl der Panik versetzt mich ständig in höchste Alarmbereitschaft.”

“Mr Choi gibt uns das Gefühl, Puppen zu sein, mit denen er spielt.”

“Ich fühle mich so beurteilt. Grelle, heiße Scheinwerfer sind auf mich gerichtet, ein berühmter Modefotograf verweist auf meine Makel, mustert jede meiner Bewegungen und Gesichtsausdrücke. Keines der anderen Mädchen macht den Mund auf und Managerin Kong ebensowenig: Sie tippt auf ihrem Handy herum. Doch der Hauptgrund: Ich bin verdammt hungrig und erschöpft. Diese ganze Schönheitssession hat so lange gedauert, dass wir Mittag- und Abendessen haben ausfallen lassen, und ich bin kurz davor umzukippen.”

“Niemals würde sie sich anmerken lassen, dass ihr vom vielen Bleichen die Kopfhaut brennt, ihr von den Kontaktlinsen die Augen jucken und sie unter den vielen Schichten ‘Natural Look’-K-Beauty-Makeup aussieht, als hätte sie seit Wochen nicht geschlafen – denn das hat sie nicht.”

“Dann dämmert es mir: K-Pop ist kein bisschen anders als Hollywood; es ist immer die Frau, die die Konsequenzen tragen muss. One.Js Namen wird nicht von Hatern skandiert, aber QueenGirl musste sich auflösen. Für HyunTaek und RubiKon läuft alles weiter wie bisher, während Iseuls Kariere ruiniert ist und WooWee nur verzweifelte Versuche unternehmen kann, um zu überleben.”

Erinnern an die Menschenrechte

Candace’ Mutter, von der ihre Tochter anfangs wenig hält, die sich aber im Laufe des Romans als starke Frau entpuppt, gibt ihr die entscheidenen Worte mit auf den Weg:

“Wenn dich hier irgendjemand schikaniert oder verletzt, dann finde bitte einen Weg, es mir zu sagen.”

“Vergewissere dich, dass sie dich wie jemanden behandeln, der das Wichtigste in jemandes Leben ist. Denn das bist du.”

Daran hält sich Candace. Sie beobachtet das Ganze, macht es bis zu einen gewissen Grad auch mit, bis sie erkennt, dass man  andere Menschen so nicht behandeln darf und beschließt, ein solch menschenverachtendes System nicht mehr zu stützen. Damit ist sie Vorbild, um den Teufelskreislauf der “Hoffnungsfolter” (Hwemang Gomun) zu durchbrechen. Dieser Begriff meint, “dass die Hoffnung auf Erfolg aufrecht erhalten wird, einem aber immer mehr und mehr abverlangt wird, und man am Ende dennoch nicht weiß, ob man sein Ziel erreicht.” Auf dieser Hoffnungsfolter gründet das ganze ausbeuterische System der K-Pop-Industrie, das der Roman wunderbar offenlegt.

Durch die Figur von Candace verfolgen die Leser*innen bis ins Detail, wie die menschenverachtende K-Pop-Maschinerie funktioniert, wie sie am Laufen gehalten wird  – und wie sie gebrochen werden kann. Denn auch die Fans sind Teil der Maschinerie, die das System am Laufen halten.

Fazit

Der Verdienst dieses Buches: Es macht den dunklen Sumpf, die üblen Missstände (im Buch bildlich dargestellt durch die von der Außenwelt abgesperrte Trainee-Etage, die einem trostlosen Bunker gleicht) sichtbar, dem die Trainees und Idole (v.a  die weiblichen) permanent hilflos ausgesetzt sind. Die Hauptfigur Candace macht es vor, wie man sich verhalten sollte, wenn einem alle Rechte geraubt werden: Sie begehrt dagegen auf, prangert in aller Öffentlichkeit die Missstände an und steigt genauso öffentlichkeitswirksam aus.  Sie nutzt ihre Beliebtheit, die sie sich schon erworben hat, um für Menschlichkeit zu kämpfen. Candace’ Mutter ist ebenso mutig: Sie stellt sich wie eine kampfbereite Bärin vor ihre Tochter, als der wütende CEO ihr an den Kragen will. Die Branche verhält sich gegenüber Frauen und Mädchen diskriminierend und im Buch sind es (wie im wahren Leben) die Frauen, die Stärke beweisen.


Genre: Jugendroman
Illustrated by Carlsen Hamburg

Krähenzauber (Die zwölf Kasten von Sabor) 2

Krähenzauber (Die zwölf Kasten von Sabor 2)Politik gegen das Volk zum eigenen Nutzen

Nachdem Pah, der alte Anfüher der Krähenrotte, Schreinwächter geworden ist, führt Stur ihre mittlerweile stark geschrumpfte Rotte als Krähenhexe an. Prinz Jasimir hat sich derweil mit den Militärs seiner Tante, der Oberbefehlshaberin Draga, auf den Weg zum Palast gemacht, um Rhusana zu stürzen. Rhusana hat inzwischen Jasimirs Vater, den König, ermordet, um selbst den Thron zu besteigen. Und damit haben die Oleander-Junker freie Bahn, die Krähen zu verfolgen und ungestraft zu töten. Rhusana will die Krähenkaste auslöschen und gießt zusätzlich Öl ins Feuer, indem sie  Lügen über die Sündenseuche verbreitet. Stur erkennt, dass ihre besonderen Fähigkeiten gefragt sind, um Schlimmers abzuwenden und Jasimir zum Thron zu verhelfen. Denn die von Rhusana erschaffenen Haut-Ghoule dezimieren die Armee und sind auch den Krähen auf der Spur. Mit ihren Phönix-Zähnen kann Stur das Phönix-Feuer wirken, das als einziges die Ghoule aufhält und ihr auch bei der Bekämpfung der sich stark ausbreitenden Sündenseuche hilft. Aber dann verliert sie ihre Zähne ausgerechnet an einen anderen betrügerischen Rottenführer.

Erkennen und Ausbau eigener Fähigkeiten

Stur wird immer selbstsicherer und lernt ihre Fähigkeiten als Anführerin immer besser und realistischer einzuschätzen. Außerdem baut sie ihre Fähigkeiten als Hexe aus und entdeckt, dass sie (weil sie neue, kreative Ideen hat, die vom Althergebrachten abweichen) ihre Magie den Gegebenheiten anpassen kann, sodass Stur auch ohne die Sicherheit der Phönix-Zähne auskommt. Dabei ist sie keineswegs ohne Angst und Zweifel, aber sie lernt, diese zu überwinden, um ihre Ziele zu erreichen. Ihr Antrieb ist die fürchterliche Zukunft, die ihre Kaste erwartet, sollten sie und Jasimir scheitern.

Dabei werden ihr allmählich auch ihre Vergangenheit in gescheiterten vergangenen Leben bewusst und sie erkennt die Zusammenhänge ihres Schicksals mit den Schicksalsfäden der Korona. Dieses Wissen wiegt schwer, hilft ihr aber auch, ihre Aufgabe zu meistern. Außerdem kommt sie der ursprünglichen Bestimmung der Krähen auf die Spur, die den Krähen eine verloren gegangene Fähigkeit zurückgibt.

Stur sprengt somit althergebrachte Traditionen und Grenzen, um nicht nur für ihre eigene Kaste eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Sie wagt Neues und weiß, dass das Neue nicht gern gesehen und deshalb für sie gefährlich ist. Sie beweist Mut, indem sie sich dieser Herausforderung stellt. Damit hat sie Vorbildfunktion. Wie schon in meiner Rezension zum ersten Band ausgeführt, kommt der Antrieb für eine bessere Zukunft von unten, denn die oberen Kasten haben kein Interesse, etwas an ihrem (ausbeuterischen) System zu ändern. Die Revolution kommt nicht nur von unten, sie kommt von einer Frau. Und diese Frau ändert fast im Alleingang eine ganze Welt. Damit klingt an, dass man sich mit einem vermeintlich vorgegebenen Schicksal nicht abfinden muss. Stur tut es nicht, trotz Lebensgefahr.

Fantasy- oder SF-Literarur reagiert oft auf und verarbeitet politische vergangene oder aktuelle Ereignisse. Kastensysteme und Hierarchien, sowie deren Misswirtschaft und Unterdrückung der Menschen gab es seit der Sesshaftwerdung mehr oder weniger durchgängig. Immer dort, wo Menschen Besitz anhäufen, muss dieser verteidigt werden und oft wird er ungleich verteilt. In Kombination mit einem patriarchalischen System haben v.a. die Frauen das Nachsehen. Beides wird in dieser mit zwei Bänden abgeschlossenen Reihe aufgenommen und verarbeitet. Die Autorin setzt den Fokus v.a. auf die unterste Kaste, die Krähen, und zeigt, dass jeder Mensch wertvoll ist, egal, wo sie/er/divers herkommt, egal, welches Geschlecht sie/er/divers hat. Der besondere Fokus allerdings liegt auf der Hauptfigur, die weiblich und ganz und gar sie selbst ist.

Fazit

Spannnende, 2-bändige Reihe mit sozialer Botschaft und einer Frau, die allen Widrigkeiten zum Trotz ganz sie selbst ist und damit nicht weniger als die Welt verändert.


Genre: Fantasy, Jugendroman
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Der Weltenexpress 2: Zwischen Licht und Schatten

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“Kohle, Dampf und Magie”

“Endlich ist Flinn Nachtigall offiziell Schülerin im Welten-Express, dem magischen Internatszug. Doch dass sie eines Tages die Welt verändern soll, mag sie kaum glauben. Auch ihre Freunde Pegs, Kasim und Fedor reagieren mit gemischten Gefühlen. Denn der gesamte Zug ist in Gefahr: Ein geheimnisvoller Schatten treibt sein Unwesen und Maskierte sorgen für Chaos und Angst. Was ist los an Bord des Welten-Expresses? Auf der Suche nach Antworten steht Flinn plötzlich ihrem vermissten Bruder Jonte gegenüber. Doch etwas stimmt nicht mit ihm…” (Inhaltsangabe des Verlags)

Spannungsbogen, retardierendes Moment

Der 2. Band der Reihe wartet mit einer spannenden Fortsetzung auf. Ein paar der Geheimnisse des ersten Bandes (Was ist mit den verschwundenen Schülern, den Phantompfauen, passiert? Wo steckt Jonte? Bleibt Mme Florett weiterhin verschollen?) werden gelüftet, wobei die Spannung durch neue Fragen, die die Beantwortung dieser drängenden Fragen aufwerfen, erhalten bleibt. Ein retardierendes Moment trägt ebenfalls zur Spannung bei: Die zart erblühende Liebe zwischen Flinn und Fedor stagniert. Und sie stagniert wegen etwas Beziehungstypischem, nämlich einer Reihe von Missverständnissen. Ähnliches lässt sich bei Pegs und Kasim beobachten. Auch hier sind Missverständnisse die Hauptursache für ihre Beziehungsprobleme. Damit ist Identifikationspotential für jugendliche Leser*innen gegeben, die ebenfalls in dem Alter sind, in dem sie ihre erste Liebe erleben.

Diese im Buch anklingenden Missverständnisse zwischen den Geschlechtern setzen sich aber auch in der Realität und in den Beziehungen zwischen Erwachsenen fort. Hauptursache dessen sind systembedinge Abgrenzungen der Geschlechter voneinander, bedingt durch Rollenklischees, die zu (falschen) Mythen über das jeweils andere Geschlecht führen. Mehr echtes Interesse für das jeweils andere Geschlecht, vorurteilsfreie Haltung und viel, sehr viel ernst gemeinte Kommunikation würden das Gros dieser Probleme lösen. Genau das geschieht auch im Buch erst einmal nicht, sodass sich die Beziehungsprobleme zuspitzen. Natürlich trägt auch das zur Spannung bei, denn man fragt sich automatisch: Wie geht es mit Flinn und Fedor, Pegs und Kasim weiter?

Das Cover

Man könnte auf den ersten Blick meinen, dass das Cover wie das Cover des ersten Bandes aussieht. Tatsächlich ähnelt es diesem im Hauptaufbau des Bildes. Wieder stehen die Hauptpersonen an der Brücke, auf dem der Welten-Express fährt. Wieder sieht man die magischen Tiere, wieder die Hauptgegenstände, die im Buch eine Rolle spielen. Mit dieser Ähnlichkeit wird die Verbindung zum ersten Band auch über das Bild hergestellt.

Die Unterschiede sieht man auf den zweiten Blick. Der auffälligste ist der der Farbe. Das erste Cover hat die Farbe der Nacht, die runde Scheibe ist der Mond, die runden, glitzernden Sprengsel die Sterne. Das zweite Cover hat den gleichen Aufbau, aber durch den Farbunterschied ist die runde Scheibe die Sonne, die Sprengsel das Sonnenlicht. Die Gegenstände wechseln zum Bild von Mme Floretts Schwester, zu den Schulschals und zur Rabenmaske, die alle im Roman immer wieder vorkommen. Anstelle von Mme Florett sieht man in der Heldengruppe Jakub und seine Koffergeige, der ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Bezeichnend der Untertitel des zweiten Bandes: “Zwischen Licht und Schatten”. Das Cover unterstützt also optimal den Inhalt.

Diverses

Ansonsten sind natürlich auch hier wieder Anklänge an Harry Potter zu finden, da der Express Hogwards ähnelt. Steampunk-Fantasy wird durch die Verbindung von Technik, Magie und dem namengebenden Dampf angedeutet.

Die Hauptaussage des Buches scheint zu sein: “Glaube an dich selbst.” Flinn zweifelt an ihrer Bestimmung als weltveränderndes Tigerkind, sie zweifelt an der Beziehung zu Fedor, sie zweifelt an ihren Freunden, sie zweifelt an ihrem Bruder. Die Überwindung dieser Zweifel gehört bei ihr zur Charakterentwicklung.

Fazit

Eine gelungene Fortsetzung, die Lust auf den dritten Band macht.


Genre: Fantasy, Jugendroman
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Knochendiebin 1 – Die zwölf Kasten von Sabor

Knochendiebin (Die zwölf Kasten von Sabor 1)Verrat, Hierarchien, Durchbrechen alter Strukturen

“Stur, die junge Hexe aus der Krähen-Kaste, kennt nur ein Gesetz: Beschütze die deinen! Denn von den übrigen Kasten im Königreich werden die Krähen geschmäht. Dabei versorgen sie Sterbende und Tote, ein wichtiger Dienst in einem Land, in dem seit Generationen die Sündenseuche wütet.

Als Sturs Krähen-Rotte für eine Bestattung zum Palast gerufen wird, geschieht Unerwartetes: Der angeblich tote Kronprinz verlangt ihre Hilfe! Um eine Intrige zu verhindern, müssen er und sein Leibwächter heimlich Verbündete treffen – unter Sturs Obhut. Aber kann sie dem Prinzen und seinem besten Freund wirklich trauen?” (Inhaltsangabe des Verlags)

Kastensystem, Monarchie, Einforderung von Rechten und Wertschätzung

Wie bei Fantasy-Romanen meist der Fall, ist auch hier die Monarchie als Herrschaftssystem eine gute Ausgangsbasis, um Spannung durch  systembedingte Probleme aufzubauen. Verschärft werden diese Probleme noch durch das Kastensystem, das – wie das reale indische – in seiner Undurchlässigkeit Ungerechtigkeiten zementiert.

Die Autorin wendet hier einen Kniff an: Sie macht die unterste, rechtlose Kaste zum Hauptakteur der Handlung und hier wiederum eine Frau (die Frau ist hier nicht das Opfer, sondern die Akteurin – auch eher in von Frauen geschriebener Fantasy anzutreffen). Das garantiert ein Maximum an Spannung, denn Veränderung von unten ist immer schwierig und damit eine dankbare Ausgangsbasis für eine gelungene Geschichte.

Sie stellt außerdem die Stärke der Frau in dieser untersten und rechtlosen Schicht heraus. Die Frau ist es, die letztlich die Veränderung einleitet und am Laufen hält. Das erinnert sehr an die Realität, in der Frauen die existentielle Basis am Laufen halten, aber mitnichten die (auch finanzielle) Wertschätzung erhalten, die sie eigentlich notwendig und gerechterweise dafür verdient hätten. Wie im realen Leben müssen die Entrechteten selbst für ihr Recht sorgen.

Stur fordert diese Wertschätzung ein, schlägt das Maximum an Bezahlung heraus und weist immer wieder auf ihren eigenen Wert und den ihrer Kaste hin. Damit weist die Autorin indirekt einen Lösungsweg auch für die Realität auf: Frauen müssen immer wieder auf ihren eigenen Wert hinweisen, diesen vehement einfordern und – nicht zuletzt – das Maximum an finanzieller Entlohnung ihrer Leistungen fordern und für dessen Einhaltung kämpfen.

Schlimm genug, dass das überhaupt notwendig ist. Aber da dürfen sie sich ruhig am Mann orientieren, der sich selbst wie selbstverständlich wertschätzt (dabei spielt keine Rolle, ob er diese Wertschätzung tatsächlich verdient hat), das auch immer wieder lautstark kommuniziert und seinen Wert definitiv nicht unter den Scheffel stellt. Schon gar nicht finanziell.

Frauen sind auch da leider immer noch zu leise (systembedingt: eine Frau ist immer noch die bessere, weil besser kontrollierbare Frau, wenn sie wenig bis kein Selbstbewusstsein hat)  und halten ihre Leistungen (siehe Dreifachbelastung Haushalt, Kind, Arbeit – in der Pandemie mehr denn je) für selbstverständlich, obwohl sie es nicht sind.

Stur zeigt, dass man nur dann gehört wird, wenn man lautstark, mit Druck (sie erpresst die Königskaste) und nachhaltig, sowie hartnäckig und nachdrücklich den Mund aufmacht. Veränderung kommt nicht von oben, sie kommt von unten. Die Oberen wollen natürlich nicht, dass sich etwas ändert, denn dann gehen ihre Privilegien verloren. Im Fall von Stur ermöglicht die Frau durch die Abhängigkeit des Prinzen von ihrer Kaste Zugeständnisse und wirkt an forderster Front und mit Einsatz ihres Lebens mit, dass diese erfüllt werden.

Mythen und Seuche

Die Autorin nimmt Mythen auf und verarbeitet sie. Zunächst zu den Protagonisten, den Krähen. Die Krähen im Roman stellen die unterste Kaste dar, die im Gegensatz zu den anderen Kasten keinerlei Rechte haben und vogelfrei sind. Außerdem besitzen sie im Gegensatz zu allen anderen keine angeborenen Zauberkräfte, ausgenommen die Hexen der Krähen. Sie benennnen sich mit Schimpfnamen, haben wie Landstreicher kein eigenes Zuhause und sind zuständig für die im Reich am niedrigsten angesehene Arbeit: die Betreuung der Sterbenden und Toten. Sie leisten, weil sie immun gegen die Seuche sind, tatsächlich aber die existentielle Arbeit im wahrsten Sinn des Wortes, denn kommen die Krähen nicht, dann sterben die Menschen dorf-, städte- und landstrichweise. Die Krähen haben ihre eigenen Traditionen und Sagen, für die sich die anderen Kasten allerdings nicht interessieren, weil sie die Krähen nicht als Menschen betrachten. Da sie vogelfrei sind, werden sie von einer Ku-Klux-ähnlichen Organisation systematisch gejagt und getötet. All das will Stur nicht nur für ihre eigene Krähen-Rotte ändern.

Wie die Krähen im Roman wird der Krähe als Vogel eine Neigung zum Diebstahl nachgesagt. Sie steht mythisch auch mit dem Tod in Verbindung. Feen sollen sich in der keltischen Mythologie in Krähen verwandeln, um Botschaften aus der Anderswelt zu überbringen. Die Unterwelt- und Kriegsgöttin Morrigan tauchte oft in Gestalt einer Krähe am Schlachtfeld auf, um die Seelen der Verstorbenen zu sich zu holen. Damit setzen auch die Figuren in diesem Roman Krähen v.a. mit negativen Eigenschaften in Bezug. Man sagt den Tieren aber auch nach, dass die am Wegrand sitzenden Vögel prüfen, wie mutig die Helden sind, die vorbeigehen. Stur prüft die Gesinnung und den Mut des Prinzen und seines Lebwächters immer wieder. Sie sollen auch hellserherische und schicksalhafte Kräfte haben und mit den Nornen die Schicksalsfäden weben. Stur nutzt die Zähne und Knochen der anderen Kasten, um deren Zauberkräfte anzuzapfen und sie für ihre Kaste zu nutzen. Außerdem ist sie dabei, das Schicksal der Krähen, aber auch das der anderen Kasten grundlegend zu ändern. Dazu passt, dass die Krähe einen zentralen Status in Bezug auf Transformation und Veränderung hat. Dabei ändert Stur nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst. Krähen als Tiere sind sehr anpassungsfähig. Auch das trifft auf diese Kaste zu. Die Krähen im Roman müssen anpassungs-und widerstandsfähig sein, um zu überleben. Das macht hartgesottene Menschen aus ihnen, die mit allem, was das Leben ihnen zumutet, zurecht kommen. Die Krähe lüftet Geheimnisse und durchschaut Geheimniskrämerei. Stur ist dabei, die Machenschaften der herrschenden Kasten aufzudecken und zu durchkreuzen. Die Krähe gilt als Hüterin der heiligen Gesetze. Stur und die Krähen hüten die mythischen Schätze ihrer Kaste. Als Indianerstamm gibt es den Stamm der Absarokee (veraltet: Crow), die einer der bedeutensten Stämme der norwestlichen Plains waren. Die Krähen im Roman sind wichtig, aber ihre Bedeutung wird von den anderen Kasten marginalisiert und abgewertet. Perchta, die Vogel- oder Steinfrau, die mit großer Nase dargestellt wird (Hinweis auf einen Vogelschnabel), steht für die klare Sicht der Dinge und Wahrheit. Beides nennt Stur ihr eigen und trifft mit ihren Aussagen den Nagel auf den Kopf.

Die Hexe galt in der christlichen Vergangenheit als böse, alte Frau mit magischen Kräften, die sie zum Schaden anderer nutzte. Lüftet man den Schleier der christlichen Dämonisierung des sogenannten Aberglaubens, kommt eine kraftvolle, weise, alte Frau zum Vorschein, die mit ihrem Wissen über Kräuter und der Magie der Göttinnen Menschen hilfreich zur Seite stand. Der Kessel und der Mörser, sowohl Gegenstände der alten Frau im Alltag als auch Göttinnensymbole, wurden durch das Christentum verunglimpft. Sie dienten dazu, Essen zu kochen und Heiltränke herzustellen. Der Besen, mit dem die alte Frau ihr Heim auskehrt und reinigt (und der damit auch im spirituellen Sinn Reinigungsfunktion hat), wurde ebenfalls dämonisiert. Die Katze ist eines der heiligen Tiere der Göttin, z.B. Begleiterin der Freya, und wurde zusammen mit den anderen heiligen Göttinnensymbolen verdammt. Stur wird sich ihrer magischen Fähigkeiten bewusst und nutzt sie wie eine weise Greisin, die sich vor nichts und niemandem mehr rechtfertigen und sich nichts mehr gefallen lassen muss. Auch Stur ist, wie die weise Alte, verschroben und tut im Ernstfall, was getan werden muss. Das heißt in ihrem Fall, dass sie als barmherzige Krähe auch Leben nimmt.

Ana, die Knochenfrau, ist die Todesgöttin. Sie ist weiß wie die ausgebleichten Knochen. Wie die Knochen ihres Fleisches entledigt sind, enthüllt Ana den Kern der Dinge. Stur nutzt die Knochen der Lebenden und Toten der anderen Kasten, um ihre Magie zu wirken, und ihre Scharfsicht, um die Wahrheit in einer intriganten und den Krähen feindlich gesonnenen Welt von allem Schleier zu entkleiden.

Spannend wäre auch, die anderen Kasten auf ihre mythologischen Ursprünge zu untersuchen, würde hier aber zu weit führen.

Durch die im Buch beschriebene Seuche ist auch die Aktualität (Corona) gegeben. Und wie im Buch sind es die Pflegekräfte, die eine wichtige Basisarbeit leisten, die dafür aber nicht wertgeschätzt werden (schon gar nicht finanziell). Und wie sollte es anders sein: Der Großteil der Pflegekräfte ist weiblich.

Fazit

Das Buch ist spannend geschrieben und präsentiert – wohl auch, weil eine weibliche Autorin die Urheberin ist – keine in der passiven Opferrolle gefangene, schwache Frau, sondern eine, die weder hübsch sein, noch Männern in irgendeiner Art und Weise gefällig sein und gefallen muss. Stur ist, wie ihr Schimpfname sagt, willensstark, verschroben, scharfsichtig, klug, mutig, gerissen, stahlhart, widerspenstig, kann auf sich selbst und andere aufpassen und tut, was getan werden muss. Damit spiegelt sie reale Frauen wider, die sich in einer sie dikriminierenden Welt diamantene Eigenschaften erwerben mussten, um zu überleben. Denn auch heute noch werden diese diamantenen Eigenschaften mitnichten geschätzt, aber kräftig ausgenutzt. Wird sich die Frau dieser diamantenen Eigenschaften bewusst, wird sie so selbst-bewusst und brandgefährlich wie Stur in diesem Roman. Auch andere Frauen, wie die Tante des Prinzen, werden in mehrerer Hinsicht als starke Menschen dargestellt.

Die Mythologie stützt die Aussagen des Buches und verleiht ihnen Tiefe. Sie stützt auch und gerade die Rolle der Frau als starker, unabhängiger Mensch, der sich von nichts und niemanden in die Knie zwingen lassen muss.

Gern mehr davon!


Genre: Fantasy, Jugendroman
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg