Charles Bukowski in Hamburg. Auf DVD.

Charles Bukowski in Hamburg. Auf DVD. 1200 Leute in einem Raum mit Bukowski. Am 18. Mai 1978 las der wohl berüchtigste US-Underground-Poet Charles Bukowski, geboren in Andernach, endlich auch in Deutschland. Seine ersten selbstironischen Worte gingen in dem Tumult und Chaos und der großen Freude des Publikums beinahe unter: „Hello, it’s good to be back!

Charles Bukowski – Live – in Hamburg

Charles Bukowski war 1920 als Sohn eines kalifornischen Besatzungssoldaten und einer deutschen Mutter im rheinischen Andernach gezeugt und auf Heinrich Karl getauft worden. Als Charles jr. drei Jahre alt war zogen seine Eltern mit ihm nach Los Angeles wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1994 blieb. Denn obwohl er innerhalb L.A.s sogar mehrmals umzog, war er ansonsten nicht viel auf Reisen, ausgenommen seine Jahre der Wanderschaft, die ihn nach New Orleans, Chicago oder Pittsburgh brachte. Bukowski gilt jedenfalls als der Schriftsteller der Stadt der Engel, Los Angeles, denn kein anderer setzte dieser Stadt ein so lebendiges und authentisches Denkmal wie er. Sein Roman „Hollywood“, nicht nur die Filmfabrik, sondern auch ein Stadtteil von Los Angeles, erschien zeitgleich zu „Barfly“, einer Hollywood-Produktion mit Micky Rourke und Faye Dunaway in den Hauptrollen. Diese explosive Kombination katapultierte Bukowski aus dem Underground in den Mainstream und endlich geschah das, was er sich sein Leben lang gewünscht hatte: vom Schreiben zu leben. Bukowski war inzwischen 55 Jahre alt.

Auf DVD: Charles Bukowski Lesung 1978

Die Liste seiner Nebenjobs ist legendär: vom Leichenwäscher zum Millionär, Möbelpacker, Nachtportier, Schlachtergehilfe, Bremser bei der Eisenbahn, Birnenpflücker, Zuhälter, Hafenarbeiter, Sportreporter, Briefsortierer bei der Post. Auch wenn die Hälfte seines Lebenslaufs wohl erfunden sein mag brachte es Henry Chinaski – so sein Alter ego – doch auf insgesamt 40 betriebsame Jahre, die in seinen Gedichten, Romanen und Short Stories auch immer wieder eine Rolle spielten. Die vorliegende Aufnahme seiner Lesung in Hamburg zeigt Charles Bukowski at his best. Voller Selbstironie, stets die Weinflasche in der Hand und den Kühlschrank auf der Bühne in Sichtweite, liest er mit einer integren, ruhigen Stimme seine Werke. Selbst wer kein Englisch spricht versteht ihn, denn er spricht die Sprache des Volkes, grell, schonungslos, direkt, manchmal auch melancholisch, aber stets von sich selbst überzeugt und voll subtilen Humors. Hätte es ihn gegeben, man hätte ihn erfinden müssen. Zusätzlich zur Lesung befindet sich auch die Dokumentation „Zum 70.“ auf dieser DVD, in der Bukowski in Interviews über seine liebsten Hobbys neben dem Schreiben spricht: Frauen, Alkohol, Pferdewetten, Frauen. Eine liebevolle Hommage an eine Legende, die dieses Jahr 101 Jahre alt geworden wäre.

Charles Bukowski

Charles Bukowski in Hamburg. Auf DVD.

Zweitausendeins Edition Dokumentation 75.

Spr.: D/E. Sub: Interview D. 78 Min. FSK 12. PAL.

Zweitausendeins Edition. 2017. DVD.

Zweitausendeins Verlag

7,99 €


Genre: Dokumentation, DVD, Film, Gedichte, Hamburg, Lesung, Spoken Word, USA
Illustrated by Zweitausendeins Frankfurt am Main

Batman Death Metal – Sepultura

Batman Death Metal – Band Edition 5 – Sepultura. Andreas Kisser (Gitarre), Derrick Green (Gesang), Paulo Xisto (Bass) und Eloy Casagrande (Schlagzeug) besser bekannt als Sepultura sind die Stars dieser Batman Death Metal Sonderedition, Band Edition 5 (Heft). Zeichner Greg Capullo und Autor Scott Snyder haben dieses Batman Abenteuer der brasilianischen Band aus Belo Horizonte gewidmet, die schon seit 1984 Thrash Metal machen, den sie mit Tribal Elementen zu einer explosiven Mischung verbinden.

Es lebe das Multiversum!

Das Multiversum lebt! Längst sprechen wir nicht mehr von einem Universum, sondern von vielen Multiversen. Denn in der Vielfalt liegt das Leben. Das Multiversum von dem wir hier sprechen besteht aus vielen Paralleluniversen, Welten und Dimensionen. Lux Luthor ist schuld daran, dass es im Sterben liegt, da er Perpetua, der finsteren Göttin des Multiversums, zur Macht verhalf. Sie hat sich mit dem bösen Batman, der lacht zusammengetan, um eine Welt nach der anderen zu vernichten. Das Batman/Joker Hybrid, das fast so stark wie Dr. Manhattan ist, herrscht als Dunkelster Ritter mit Robin King und anderen Bat-Monstern über die apokalyptische DC Hauptwelt. Aber Wonder Woman, Batman, Flash und Superman stellen sich der Übermacht an Bösewichten entgegen und kämpfen sich durch drei Crisis-Welten. Aber auch Lex Luthor schläft nicht. Er hat sich in dem Alien-Söldner Lobo eine wirksame Unterstützung geholt. Seine Mission beginnt erst und leitet über zu Teil 6 der Batman Death Metal Sonderserie, die schon im September begonnen hat. Dazu erschien auch eine Sonderedtion mit Dream Theater, deren neues Album im Oktober, diesen Herbst also, erscheint.

Sepultura: Neues Comic, neue Alben?

Die Sonderausgaben zum Batman-Event des Jahres – Batman Death Metal – sind mit jeweils einer berühmten Metal- Gruppe auf dem Cover plus Band-Biographie und Interview im Heft selbst ausgestattet. Im vorliegenden Heft präsentiert sich die international erfolgreiche brasilianische Band Sepultura, die seit 2011 beim deutschen Musiklabel Nuclear Blast unter Vertrag steht und deren neues Album Quadra von 2020 es auf Platz 5 der deutschen Charts brachte. Demnächst sind sie vielleicht wieder auf Tournee, denn das ist natürlich das, was Sepultura immer noch am liebsten machen – außer vielleicht Batman Death Metal Comics lesen?

Greg Capullo/Scott Snyder

Batman Death Metal

Originalstories:  Dark Nights: Death Metal 5, Death Metal Guidebook

Batman Death Metal – Band Edition 5 – Sepultura

2021, Heftformat, 52 Seiten

Panini Verlag

5,99 €


Illustrated by Panini Comics

Conan – Geschichten aus Cimmeria

Conan – Geschichten aus Cimmeria. Die Autoren Esad Ribic, Kurt Busiek, Roy Thomas und Zeichner Esad Ribic, Kevin Eastman sowie Steve McNiven legen mit „Conan – Geschichten aus Cimmeria“ verschiedene Neuinterpretationen zum steinzeitlichen Muskelhelden vor. Conan, selbst Cimmerier, ist schwarzhaarig und düsteren Blickes, stets das Schwert in der Hand. Er ist immer bereit zu plündern, morden, aber auch zu Melancholie und Heiterkeit. Mit Sandalen an den Füßen zertritt er so manchen Thron und macht sich auch bei Anarchisten zunehmend beliebter. Conan strotzt vor Gewalt und das übt eine gewisse Anziehungskraft aus. Aber auch das Gegenteil.

Vier Stories in einer Ausgabe

Erschaffen wurde Conan von Robert E. Howard (1906-1936) für US Pulp Magazine. Als er 1932 das Licht erblickte war er sowohl König als auch Pirat und seine einzige Liebe galt vor allem Belit, der Königin der Schwarzen Küste. Um Missverständnisse zu vermeiden: das ist der Name eines Schiffes. Seines Schiffes. Ab 1970 machte Roy Thomas Conan aber auch zu einer Ikone der Popkultur in dem er ihn zu einer waschechten Comic-Legende transformierte. Thomas, Barry Windsor-Smith, John Buscema, Gil Kane und andere machten Conan lange vor den Schwarzenegger-Filmen zu einem Helden, den viele aufgrund seiner Zügellosigkeit schätzten. Nun liegt ein neues Werk vor, das Conan ins Zentrum unterschiedlicher Betrachtungen stellt. Gleich vier unterschiedliche Stories finden sich in vorliegender Ausgabe.

Conan: Hardcore im Hardcover

Der kroatische Künstler Esad Ribic eröffnet den Reigen mit einer Geschichte über den Auszug aus Cimmeria ohne Worte. Roy Thomas liefert das Prequel zum alleresten Marvel-Abenteuer des beliebtesten Barbaren. Kurt Busiek setzt die 2000er Karriere Conans würdevoll fort. X-Men Legende Chris Claremont wiederum setzt mit Steve McNiven und Steven S. DeKnight fort und Turtel-Schöpfer Kevin Eastman rundet den Band mit einer eigenen Geschichte ab. Ein guter Band für einen Einstieg in die Comic Legende Conan, der Barbar, die unterschiedliche Perspektiven und viele neue zeichnerische Einflüsse zur Geltung bringt. Eine Landkarte über zwei Seiten zeigt auch den Wirkungsradius von Conan. Außerdem befinden sich Skizzenzeichnungen und eine weitere mit Blutspritzern gekennzeichnete Landkarte im Anhang. Ein interessanter Blick hinter die Kulissen also.

Esad Ribic

Conan – Geschichten aus Cimmeria

Originalstorys:  Conan the Barbarian: Exodus, King-Size Conan (2020)

2021, Hardcover, 100 Seiten, Maße ca. 19 x 28,5cm

ISBN: 9783741623400

Panini

15,00 €


Genre: Comics, Fantasy Art, Graphic Novel, Steinzeit
Illustrated by Panini Comics

Die Eroberung Amerikas

Mit Klamauk zur Aufklärung

In seinem neuen Roman «Die Eroberung Amerikas» erzählt der Schriftsteller Franzobel um einen historischen Kern herum eine Geschichte, deren ungeheuerliche Grausamkeiten er mit reichlich Humor serviert, um sie ertragbar zu machen. Es geht um die erfolglose Expedition des spanischen Eroberers Hernando de Soto durch das heutige Florida, in deren Verlauf er den Mississippi entdeckt hat, wo er 1542 starb. An seiner Figur, hat der österreichische Autor erklärt, «kulminiert die ganze Geschichte der spanischen Konquista», de Soto verkörpere triumphalen Erfolg und klägliches Scheitern in einer Figur.

Er habe versucht, möglichst wahrhaftig zu erzählen, hat Franzobel geäußert. «Es ging dann aber für mich nur über den Humor. Sowohl ich als auch der Leser – wir brauchen den Humor, damit wir nicht nach zwanzig Seiten sagen: Diese Geschichte ist so fürchterlich – man mag das zwar verstehen, aber man mag sich das nicht antun». Und so beginnt der Roman auch gleich im ersten der vielen Kapitel mit einer kuriosen Rahmengeschichte. Die New Yorker Rechtsanwalts-Kanzlei Trutz Finkelstein & Partner reicht am Bezirksgericht eine Klage ein auf Rückgabe der Vereinigten Staaten von Amerika an die indigene Bevölkerung, – einschließlich Hawaii und Alaska. «Doch bevor wir auf diesen Brief zurückkommen, machen wir einen Sprung durch Raum und Zeit und begeben uns zur Ursache dieses abstrusen Ansinnens» heißt es weiter im Buch. Mehr als 500 Romanseiten später verkündet im letzten Kapitel der Supreme Court nach viereinhalbjähriger Prozessdauer, dass Amerika wieder an die Indianer zurückfalle und die Rückgabe bis Ende des Jahres zu erfolgen habe, eine Berufung sei nicht möglich. Ersatzweise müssten sich die USA verpflichten, vier Dekaden lang die aktuell bei 650 Billionen Dollar liegenden Militärausgaben «ausschließlich für Umwelt- und Sozialprogramme zu verwenden, um das seit fünfhundert Jahren kaputtgemachte Land wieder in Ordnung zu bringen».

Auf den fünfhundert Seiten dazwischen berichtet Franzobel über die von Kaiser Karl V. ausgeschickte, 700 Mann starke Expedition, die das mythische Eldorado finden soll. Dabei hat er sorgsam recherchierte Details in seine ebenso farbenfrohe wie grauenhafte Geschichte eingebettet. Sie ist nur durch Humor erträglich, und deshalb hat er eine illustre Schar von fiktiven Figuren, eine schräger als die andere, darin versammelt. In einer an Dantes «Inferno» erinnernden Hölle aus Blut, Schmerzen, Siechtum, Tod, Willkür und Verrat erleben die Eroberer groteske Situationen. Was wir da lesen ist in epischer Breite geschilderter Horror, in dem auch die Inquisition ihre unheilvolle Rolle spielt, die katholische Kirche läuft zur Hochform auf dabei. Zu den Lesefrüchten gehören eine Menge von en passant gesammelten Erkenntnissen über die damalige Seefahrt und die enormen logistischen Anforderungen eines solchen überseeischen Raubzugs, über die indigene Bevölkerung und ihre Sitten natürlich, über das damalige medizinische Wissen und anderes mehr.

Für seine tragikomische Groteske verwendet der Autor eine für ihn spezifische, zeitlich auf das Heute ausgeweitete, burleske Erzählweise, die er mit Anekdoten, schrägen Vergleichen und Witzen anreichert. Dabei greift er beispielsweise auf heutige Film-Schauspieler zurück bei seinen Figuren-Beschreibungen, es wird sogar karikaturhaft geschwäbelt im Expeditionstross. Sein auktorialer Erzähler sitze im 21ten Jahrhundert, er bevorzuge diese Innenperspektive und könne sich dann immer drauf beziehen. Als Metapher auf die Menschheits-Geschichte verfolge sein Roman einen aufklärerischen Zweck. Hier wird also im Sinne Walter Benjamins «die Geschichte gegen den Strich» gebürstet. So wohltuend der allenthalben waltende Sarkasmus das Ungeheuerliche zu relativieren vermag, so störend werden dann aber auf Dauer auch die vielen Kalauer, sie wirken sprachlich oft wie an den Haaren herbeigezogen. Bei aller lobenswerten Fabulierlust letztendlich also entschieden zu viel Klamauk!

Fazit: 2* mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Zsolnay München

Die Selbstgerechten

Sahra Wagenknecht hat ein Buch geschrieben. Über unsere Gesellschaft, durch die ein Riss geht, die sich in unterschiedliche Filterblase aufteilt, und in der immer öfter nicht mehr diskutiert, sondern nur noch moralisiert wird.
Ich bin moralisch und jeder der meine Meinung nicht teilt, folglich minderwertig. Ganz neu ist dieser Effekt nicht, schon vor zweitausend Jahren sagte ein Pharisäer: »Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin, wie dieser Zöllner neben mir.«
Schon damals waren viele Intellektuelle voller Verachtung für die unteren Schichten der Bevölkerung. Sie liebten das Volk, hassten aber die Bevölkerung. FB und Internet haben diesen Effekt verstärkt und vor allem ist es mittlerweile »in« geworden, Menschen danach zu beurteilen, ob sie die gerade gängigen Worte benutzen, ob sie den letzten Schrei an moralischer Empörung teilen. Weiterlesen


Genre: Politik und Gesellschaft
Illustrated by Campus Verlag

Das lachende Baby: Fröhliche Wissenschaft: Was Babys glücklich macht

Der Autor ist Psychologe und forscht zur neuronalen Entwicklung der Babys. Als Wissenschaftler kennt er die einschlägigen Publikationen der letzten Jahrzehnte und belegt seine Aussagen: Die Literaturliste bringt es auf über dreißig der knapp vierhundert Seiten. Es geht ihm nicht um die motorische Entwicklung, sondern um Gedanken und Gefühle der Babys, und: Warum lachen wir Menschen eigentlich? Manchmal erzählt er auch aus dem Nähkästchen, was Wissenschaftler voneinander halten. Laien bezieht er mithilfe des Internets in seine Forschung ein, manche Eltern erzählen von sich und ihren Gefühlen, die die Babys auslösen und geizen nicht mit Beiträgen über die Leistungen ihrer Kinder.

Im Vorwort Was ist so lustig?

wird die Darstellungsweise vorgestellt, die Entwicklung des Lachens bei Kindern wird chronologisch beschrieben: „Letzten Endes soll dieses Buch jedoch das Unmögliche leisten und den wunderbaren Klang eines Babylachens noch zauberhafter machen. Wenn mir das nicht gelingt, suchen Sie sich am besten ein Baby und lassen sie sich von ihm unterhalten.“

An dieser Stelle möchte ich, die Rezensentin, die eigene Entwicklung meiner Wahrnehmung und meines Verstehens von Säuglingen beschreiben. Meine Eltern hatten noch die Bibel der schwarzen Pädagogik von Frau Harrer: „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ im Schrank, auch als ich in den siebziger Jahren Kinderärztin wurde, und bald auch Mutter, wurde den Müttern in Entbindungskliniken das Füttern zu festen Zeiten, mit festen Mengen und auch Fertigmilchproben mit auf den Weg gegeben.

Wenn ich in dieser Zeit die Kampagne „Nestlé tötet Babys“ unterstützte, dann hatte ich die körperliche Entwicklung im Auge: Gerade in Entwicklungsländern war die hohe Säuglingssterblichkeit auch dadurch bedingt, dass hygienische und oft auch finanzielle Mängel dazu führten, dass Flaschenkinder verhungerten oder an Durchfall starben.

Als ich dann mehrere Jahre in Afrika arbeitete, begriff ich, wie viel mehr Fürsorge afrikanische Kinder erfahren durften, auch, welche emotionale Bedeutung das Stillen hat. Mehr noch: Die Kinder hatten kein Gitterbettchen, in das sie abgelegt wurden zum Schlafen, sondern schliefen ein, wo sie gerade saßen, meist war es irgendein Schoß bei Menschen, die mit ihnen in Kontakt waren. Ich ahnte, wie falsch, ja schädlich, viele unserer kinderärztlich begründeten Weisheiten gewesen waren.

Bei Addyman lese ich nun, wie inzwischen einige der Vorstellungen dieser Zeit, auch die „großer Denker“, widerlegt wurden, und, wie es ihn mit Freude und Genugtuung erfüllt, wenn die Bedeutung des Lachens für unsere Seelen bewiesen wird. Ich freue mich dann immer mit.

Eine Zeit vor dem Lächeln

In diesem Kapitel wird das Wissen über die vorgeburtliche Entwicklung zusammengefasst: Vor allem die 4D Ultraschalldiagnostik zeigt, dass Babys etwa 90 % der Zeit Schlafen, dass sie Lächeln und Schmerzen in ihrem Gesicht ausdrücken. Und nach der Geburt werden Babys beruhigt, wenn sie Melodien wiedererkennen, sie sie noch im Mutterleib gehört hatten.

Alles Gute zum Geburtstag

Hier wird das geburtshilfliche Wissen auf dem neuesten Stand beschrieben, wir lesen, dass Kaiserschnittgeburten die Bindung zwischen Mutter und Kind erschweren. Der vor allem im englischen Schrifttum geführte Streit zwischen nature (angeboren) und nurture (erlernt) wird dargestellt, aber auch, der Unterschied zwischen einem echten und einem erzwungenen Lächeln. Das erstere kommt mit einem Muskel weniger aus! Das echte Lächeln zeigt, dass ein Baby glücklich ist. „Aber wenn Neugeborene lächeln, weil sie glücklich sind, lautet die nächste Frage: Was macht sie glücklich?“

Die kleinen Vergnügungen

Alle Primatenbabys mögen Süßes und ziehen Grimassen, wenn sie etwas Bitteres bekommen, wir Menschen also auch. Glück stellt sich auch ein beim Pinkeln oder einem „guten Schiss“. In diesem Kapitel werden Definitionen des Glücks von der Antike bis zur Gegenwart behandelt, auch von Aristoteles und Epikur. Am schlechtesten kommen Ökonomen und Philosophen weg: „Ökonomen und Philosophen machen viel Aufheben um Vergnügen und Lust, aber ich habe den Verdacht, dass das hauptsächlich widerspiegelt, wie langweilig es ist, ein Ökonom oder Philosoph zu sein.“

Freud hat nicht viel zu Kindern geschrieben, und er hielt das Lachen, wie das Kacken, für Triebabfuhr. Auch die Freudschülerinnen Anna Freud und vor allem Melanie Klein mit einem dystopischen Blick auf die Säuglingszeit werden als Anhängerinnen von Vorurteilen dargestellt.

Schlafen?

Hier wurde mir wieder der Unterschied zu den afrikanischen Dorfkindern deutlich: Säuglinge schlafen oder sie sind eben wach, aber an diesem Wachsein zur gefühlten Unzeit leiden hier die Eltern. Es werden viele Studien zum Träumen vorgestellt: „Die beiden Nutzen des Träumens scheinen Lernen und Glück zu sein“ und die meist sinnlosen Ratgeber zum Schlaftraining. Am besten nimmt man die Schlafgewohnheiten des Babys als Eltern mit Humor und „das Aufwachen als das, was es ist: eine abgeschlossene Schlafperiode.“

Die erste Berührung

Hier wird die von Descartes (ein ganz unglücklicher Eigenbrötler war das! Hatte nicht mal eine Frau!) postulierte Trennung zwischen Körper und Geist auseinandergenommen und zusammengefügt, was zusammengehört. Und für die Kleinen gilt: Massage ist Kommunikation, bevor es Sprache gibt.

Spielzeugfreuden

Spielen ist Lernen, es gibt eine Fülle von Studien nicht nur mit Tieren, auch mit Babys, in denen bewiesen wird, wie etwa das dreidimensionale Sehen, das Abschätzen von Entfernung oder die Tiefen von Abgründen durch andauernde Versuche erlernt werden. Gestaunt habe ich (und so ganz will ich es noch nicht glauben), dass es einen großen Unterschied gäbe zwischen dem passiven Sitzen und Ansehen einer Fernsehsendung und dem aktiven Nutzen eines Smartphones schon bei Kleinkindern.

Wir sehen, wie US-amerikanische Pädiater ihre Empfehlungen dazu in den letzten Jahren schrittweise geändert haben. Eine Studie TABLET (Toddler Attentional Behaviours and Learning with Touchscreens) zeigt, dass sie in allen Entwicklungsschritten gleichauf waren mit denen, die nicht mit Smartphones „lernen“ konnten, und dass sie über mehr Kompetenzen verfügten. Ganz allgemein gilt aber, wie für auch Ernährung oder Sport, es nicht zu übertreiben und Kinder dabei zu begleiten!

Überraschung

Warum spielen die kleinen so gerne Kuckuck und Verstecken? Addyman zieht Vergleiche zwischen der Neugier der Babys und der von Wissenschaftler/innen. Dann werden Wissenschaftstheorien vorgestellt.

Lache, und die Welt lacht mit dir

Bei den Navajos gibt es eine Party, wenn ein Baby zum ersten Mal gelacht hat, so als wäre das Baby nun Teil der menschlichen Gemeinschaft geworden. Zum besseren Verständnis der Rolle des Lachens bei Menschen sehen wir uns wieder die Unterschiede zu Primaten an: Unsere Augen haben mehr Weiß als Hintergrund, und das erleichtert den Blickkontakt. Wir machen keine Fellpflege, aber das Lachen ersetzt diese intensive Beziehungspflege. Am besten gefällt mir als Oma die wichtige Rolle der menschlichen Großmütter bei der Weitergabe von Kultur. Durch das jahrzehntelange Leben nach der eigenen Fortpflanzungsphase können wir uns um die Enkel kümmern. Primatinnen gebären bis zu ihrem Tode. Und wir lesen, dass Väter (oder Großväter) in unserer Geschichte kaum eine Rolle als Kulturübermittler spielen: sie sind ja auf der Jagd!

Der Klang des Glückes

Hier geht es um Musik und Tanz. Am besten sehen sie sich die Videos an, als Addyman mit Imogen Heap eine Oper komponiert und dann auch den Happy Song dazu. Auch hier beeindruckt die partizipative Forschungsweise, mit der Eltern als „Mitarbeiter“ gewonnen werden.

Fröhliches Geplauder

Zur Entwicklung der Sprache gibt es beeindruckende Studien, bei denen Schimpansen unter Laborbedingungen Sprache, auch als Gebärdensprache, beigebracht wurde. Ein für Addyman wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung Noam Chomskys mit den Behavouristen. Und er berichtet, was ihn, den Banker, veranlasst hatte, noch einmal mit dem Psychologiestudium anzufangen.

Ja, Nein, Maybe Baby

Bei der Sprachentwicklung gibt es, über die Kulturen hinaus, Muster. Das Wort „nein“ wird früher erlernt, vielleicht, weil die Babys es von ihren Eltern so oft gehört haben? Zum Trost für manche Eltern: während der Trotzphase entwickelt sich auch die Fähigkeit zur Empathie. In seiner Doktorarbeit ging es um die Fähigkeit der Babys, Unterschiede wahrzunehmen. Was für die 8 Monate alten eine leichte Übung ist, überfordert 4 Monate alte. Und wir erfahren, warum seine Arbeit von der angestrebten Zeitschrift nicht publiziert wurde, zum Glück dann aber in einer für Tierforscher …

Freunde

Babys werden geliebt und sie lieben es, andere zum Lachen zu bringen. Gemeinsames Lachen ist Grundlage für Freundschaften. In diesem Kapitel geht es um die Theory of mind, um Autismus als eine andere Form von Empathie zu zeigen. Babys sind hilfsbereit und haben Sinn für Gerechtigkeit. Wie haben wir Erwachsene unsere Freundschaften geschlossen? Das letzte Kapitel endet mit einem Schlusswort: „Freundschaft macht uns glücklich, und Glück bewirkt, dass wir bessere Freunde sind. Freunde sind für uns da, weil wir für sie da sind und das beginnt, sobald wir lächeln können.“


Genre: Pädagogik, Psychologie
Illustrated by Kunstmann München

11. September 2001

11. September 2001: 20 Jahre nach 9/11 („diese aus der US-Schreibweise des Datums zum Symbol geronnene Chiffre“) ist das Ereignis, das den Beginn des 21. Jahrhunderts markiert, tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, schreibt auch der Autor, seines Zeichens Amerikanist und Professor für Zeitgeschichte. In der Reihe „100 Seiten“ des Reclam-Verlages hat er eine bündige Lektüre verfasst, die sich mit allem um 911 beschäftigt, also sowohl der Vor- als auch der Nachgeschichte.

Das Ereignis des 21. Jahrhunderts

Der 11. September war auch medial ein Ereignis. Eine Stunde nach den Anschlägen wussten 70 Prozent der  Deutschen davon. In Amerika sind es 90 Prozent, aber auch in „Kansas, der Schwäbischen Alb, im australischen Outback, den Favelas von Rio, den Townships von Soweto oder den Glastürmen von Hongkong und Tokio“ wären dieselben Bilder über die Schirme geflimmert. Dabei geschah 9/11 eigentlich im vordigitalen Zeitalter, damals war das Internet noch eher begrenzt und so gehöre der 11. September streng genommen noch zum 20. Jahrhundert, als „robust massenmediale, prädigitale Erfahrung“, wie Gassert schreibt. Der islamistische Terrorismus – damals noch eher ein Nischenphänomen – sei eigentlich vom Westen zur „Kriegspartei“ aufgewertet worden. Denn die Kriegserklärung des saudischen Baulöwen Osama Bin Laden an die USA wurde dankbar angenommen. Schließlich war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 ein praktisches Feindbild abhandengekommen. Nun forderte ein einfacher Terrorist die Weltmacht heraus und machte ihr ihren einzigen, kurzen „unipolaren Moment“ in der Weltgeschichte madig.

11. September 2001 oder 911

Aber der islamistische Terrorismus hat sich auch gegen den Islam selbst gewandt. Eine nicht näher definierte Gruppe von Terroristen hatte am 20. November 1979, dem islamischen Neujahrstag, die Große Moschee von Mekka durch 500 schwer bewaffnete Kämpfer überfallen und Tausende von Pilgern als Geisel genommen. Der islamistische Terrorismus begründet seine Absichten auf dem Verrat der Saudischen Eliten, die die heiligen Stätten des Islam von den USA bewachen ließen. Tatsächlich sind die beiden Länder Verbündete, spätestens seit der Operation Desert Storm, die den Überfall des Iraks auf Kuwait zwar rückgängig machte, Saddam Hussein aber weiter im Amt ließ. Dieser metzelte die irakische Opposition nieder und damit war die Glaubwürdigkeit der USA im Nahen Osten ein weiteres Mal untergraben. Philipp Gassert schreibt aber nicht nur über die Drahtzieher des Terrors, den Irakkrieg und die Anschläge selbst, sondern auch über die innenpolitische Opposition in den USA und die Friedensbewegung gegen den Irakkrieg zehn Jahre nach Kuwait. Grafiken, Fotos und Fotos lockern den Fließtext auf, einige Lektüretipps und eine Zeittafel befinden sich im Anhang. Eine Lektüre also, die man lesen sollte, bevor man darüber spricht. Über DAS Ereignis des 21. Jahrhunderts.

Philipp Gassert: September 2001
Originalausgabe
100 S. 12 Abb. und Infografiken
ISBN: 978-3-15-020579-2
Reclam Verlag


Genre: Geschichte, Politik, Religion
Illustrated by Reclam Stuttgart/Dietzenbach

Der Traum von Olympia – Die Geschichte von Samia Yusuf Omar

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Für Samia Yusuf Omar erfüllt sich 2008 ein Traum: Sie darf für Somalia an den Olympischen Spielen teilnehmen. Obwohl sie Letze wird, avanciert sie zum Publikumsliebling. Zurück in Somalia machen ihr aber wieder die schlechten Trainingsbedingungen zu schaffen. Die Bahnen, auf denen sie läuft, sind von Granaten durchlöchert, und sie hat weder gute Trainingskleidung noch ausreichend zu essen. Deshalb beschließt sie, ein somalisches Trainingscamp aufzusuchen, um für Olympia 2012 trainieren zu können. Aber das Training in diesem Camp wird ihr verweigert – weil sie eine Frau ist. Die Männer weigern sich kategorisch, mit einer Frau zu trainieren. Auch sonst hat es Samia nicht leicht in Somalia, weil muslimische Fundamentalisten Frauen in allen Bereichen das Leben schwer machen. Deshalb fasst sie einen folgenschweren Entschluss: Sie will mit ihrer Tante zu ihrer Verwandten nach Europa flüchten.

Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit: Samia nahm an den Olympischen Spielen 2008 teil und wollte ein paar Jahre später nach Europa flüchten, um dort bessere Trainings- und Zukunftsmöglichkeiten zu haben. Auf der Flucht ertrank sie in einem der schlecht ausgestatteten Schlauchboote.

Flüchten als allerletzte Option

Schon das Cover macht deutlich, worum es in der Graphic Novel geht: um einen Traum und um diejenigen, die diesen Traum behindern und sogar unmöglich machen. Der erschöpft-leidvolle Ausdruck der Protagonistin und ihr dürres Äußeres machen die Qualen deutlich, denen sich Samia ausgesetzt sah, um ihren Traum zu verwirklichen.

Der in schwarz-weiß gehaltene Comic geht auf die Dinge besonders stark ein, die Samia davon abgehalten haben, ihren Traum erneut zu leben, und die letztlich zu ihrem Tod geführt haben: Diskriminierung der Frauen, Fundamentalisten, Diktatur, Bürokratie, kriminelle Machenschaften. Wäre Samia – als erste der Stellschrauben, die Samia massiv behindert haben – nicht als Frau diskriminiert und im Traininglager aufgenommen worden, wären ihr all die späteren Qualen und ihr Tod erspart geblieben. Denn diese Ablehnung führt dazu, dass sie woanders trainieren will, aber durch die Bürokratur behindert wird. Und das wiederum führt dazu, flüchten zu wollen und dabei den Machenschaften der Schlepper ausgeliefert zu sein.

Das macht schon das grundlegende Problem deutlich: Wenn Menschen in ihrer Heimat gute Bedingungen vorfinden, bleiben sie dort. Niemand verlässt aus Jux und Dollerei sein Zuhause! Sind die Bedingungen schlecht (Hunger, Diskriminierung, Gewalt, Korruption…), entschließen sich Menschen schweren Herzens dazu, ihre Heimat zu verlassen. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn die Politik es schaffen würde, menschenfreundiche Bedignungen herzustellen (auch die Politik des Auslandes), dann würden die Menschen auch in ihren Ländern bleiben wollen. Eine Politik der Abschreckung und der Grenzziehung erreicht niemals ein gutes Ziel – Flüchtlinge werden sich nicht abschrecken lassen, da die Bedingungen in ihrer Heimat schlicht zu grauenvoll sind. Im Vor- und Nachwort gehen sowohl der Autor als auch Elias Bierdel (Journalist und Mitglied bzw. Gründer diverser Menschrechtsorganisationen) auf diese schlimmen Bedingungen ein, unter denen Menschen flüchten und was sie auf ihrer Flucht erleiden.

Und – leider wie immer – haben Frauen in solch menschenfeindlichen Staaten doppelt und dreifach zu leiden. Ihnen wird viel mehr noch als den Männern ein menschenwürdiges Leben schlicht unmöglich gemacht. Das wird im Comic mehr als deutlich.

Das Schwarz-Weiße unterstreicht diese bedrohliche Situation und den bedrohlichen Alltag noch und ruft eine beklemmende Stimmung hervor. Aber all das hebt auch die unglaubliche Stärke und den Mut dieser jungen Frau hevor, die bereit ist, etwas aus ihrem Leben und ihren Talenten zu machen und ihren Traum zu verwirklichen – selbst auf die Gefahr hin, ihr Leben zu verlieren. Aber – und auch das zeigt der Comic von Anfang an – das Leben in einem fundamentalistisch regierten Land, v.a. als Frau, ist tagtäglich lebensgefährlich. Samia hat also eigentlich nichts mehr zu verlieren, als sie sich auf den Weg macht.

Der Comic steht für alle Flüchtlinge, die aus Leid und Not heraus fliehen.

Mir persönlich hat der eckige Zeichenstil nicht so zugesagt, aber als Metapher für die vielen scharfen Kanten des Lebens ist er allerdings wieder passend. Ich persönlich hätte mir auch mehr Ausgestaltung der Geschichte gewünscht; sie war mir zu kurz, um sich richtig hineinfühlen zu können. Aber der Inhalt macht diese kleinen Mängel mehr als wett.

Fazit

Ein hochaktueller Comic, der mehr als deutlich macht, dass sich politische Systeme ändern müssen, um einen Flüchtlingsstrom zu vermeiden, und das westliche Systeme michts erreichen, indem sie Flüchtlingsströme blockieren. Sie müssen dazu verhelfen, dass die Politik in den betroffenen Staaten sich zum Besseren wendet! Menschen flüchten niemals aus ihrer Heimat, wenn sie sich dort wohlfühlen und ein menschenwürdiges Leben leben können!

Der Comic macht auch deutlich, dass besonders Frauen unter politischen Systemen leiden, die fundamentalistisch, gewalttätig, korrupt, diktatorisch und insgesamt menschenfeindlich sind.

Als Lektüre sehr zu empfehlen!


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Carlsen graphic novel

Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm

Wer ein Buch über »Die Nibelungen« vorlegt, muss schon einen triftigen Grund vorweisen, um die hundertfach wiedergekäute Heldensaga um den Drachentöter Siegfried und seine legendären Taten erneut aufzugreifen und in Buchform anzubieten. Felicitas Hoppe hat es gewagt und mit ihrem Werk zugleich die Hand nach dem Deutschen Buchpreis 2021 ausgestreckt, für den der Titel mit 19 anderen Bewerbern nominiert wurde. Weiterlesen


Genre: Heldensagen, Romane
Illustrated by S. Fischer

Vati

Im Osten nicht Neues

Der für den diesjährigen Frankfurter Buchpreis nominierte Roman der österreichischen Schriftstellerin Monika Helfer mit dem Titel «Vati» ist eine Fortschreibung ihres erfolgreichen Erinnerungs-Bandes vom Vorjahr. Hatte sie in «Bagage» von ihrer Mutter und den Großeltern erzählt, so widmet sie sich in dem aktuellen Roman nun aus der Perspektive als Kind und Jugendliche ihrem Vater. «Wir sagten Vati. Er wollte das so. Er meinte, es klinge modern» heißt es gleich zu Beginn, wodurch der altbacken klingende Romantitel entschuldigt ist. Denn er trägt mit dazu bei, diesem literarischen Denkmal für den Vater einiges an Authentizität zu verleihen.

Der aus einfachsten Verhältnissen stammende Josef Helfer kam als Invalide aus dem Zweiten Weltkrieg zurück, im russischen Winter war ihm ein Bein erfroren. Der Unterschenkel musste amputiert werden, seither trägt er eine Prothese. Man gibt dem traumatisierten jungen Mann eine Stelle als Verwalter eines auf der Tschengla in Vorarlberg gelegenen Erholungs-Heims für Kriegsversehrte, das von einem Stuttgarter Verein betrieben wird. Josef heiratet und bekommt vier Kinder. Schon als Kind war Josef sehr lernbegierig, er brachte sich noch vor der Schule selbst das Lesen und Schreiben bei und wurde deshalb vom Vater eines Klassen-Kameraden gefördert. Der gewährt ihm exklusiv Zugang zu seiner wertvollen Privat-Bibliothek, die 1324 von ihrem stolzen Besitzer nie gelesene Bücher enthielt. Immer mehr entwickelt er sich dort zu einem Bibliophilen. In dem Heim, das er dann nach dem Krieg verwaltet, findet er voller Freude ebenfalls eine Bibliothek vor, die dem Betreiber-Verein von einem Tübinger Professor vermacht worden war, die von den Gästen aber nie genutzt wurde. Er entwickelt sich allmählich zum Bibliomanen und beginnt, als eine Umwandlung des Heims zu einem Hotel bevorsteht, geradezu zwanghaft die Bestände der Bibliothek beiseite zu schaffen. Als eine Kommission zu einer Übergabe-Inventur anreist und er befürchtet, dass die entstandenen Lücken im Bücherbestand anhand der notariellen Schenkungs-Urkunde zwangsläufig aufgedeckt werden, nimmt er Gift. Er wird zwar gerettet, hat sich nun aber unwiderruflich von seiner Familie entfernt, die paradiesische Zeit der Familie auf dem idyllischen Bergplateau endet abrupt.

In ständigen Zeitsprüngen erzählt Monika Helfer im Wechsel vorausschauend oder rückblickend real Erinnertes aus ihrem Leben, durchmischt mit fiktional Ergänztem. Dabei bleibt «Vati» als zentrale Figur weiterhin dominant, auch wenn er nach langer Genesungszeit jetzt im Kloster lebt und sie ihn fast nie sehen. Die Geschwister sind nach dem frühen Krebstod der Mutter ganz auf sich allein gestellt und werden auf die ‹Bagage› verteilt, sie leben fortan getrennt voneinander bei den Verwandten. Die Autorin hadert nicht mit ihrem Schicksal, sie versucht mit ihrer Erinnerungs-Arbeit zu sich selbst zu finden. Ihre Seelenverwandtschaft zum Vater kommt zum Ausdruck, wenn sie sich zum Beispiel daran erinnert, wie er die ersten zwei Bücher in die Hand genommen hat, auf denen ihr Name steht, Das hatte ihn sichtlich sehr stolz gemacht, denn er war es ja, der die Liebe zur Literatur in ihr geweckt hat.

Mit ihrer assoziativen, charmant österreichisch gefärbten Erzählweise erzeugt die Autorin ein stimmiges Ambiente für die Erinnerungs-Splitter, mit deren Hilfe sie nicht nur ihren Vater, sondern auch die damaligen Zeiten zu verstehen sucht. Ihre Bagage, der große Familienclan, besteht aus oft allzu überschwänglich gezeichneten Figuren, die als amüsante Charaktere jedoch immer wieder mal Anlass zum Schmunzeln geben. Es wird psychologisch nichts analysiert in diesen fiktional üppig angereicherten Erinnerungen voller Leerstellen, deren Stoff als solcher nichts wirklich Neues bietet. Es bleibt als Benefit für den Leser der diskrete Umgang mit den Fakten und deren sensible Einbettung in einen angenehm lesbaren Plot, der diesem beliebten literarischen Genre ein weiteres Buch hinzufügt.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Hanser Verlag München

Wölfe

Stilistisch hochmodern

Soviel vorweg: Auch wer dicken Historien-Romanen eher ablehnend gegenübersteht, wird in «Wölfe» von Hilary Mantel eine spannende Geschichte finden, die schnell vergessen lässt, dass es so wohl nicht war. Aber durchaus hätte sein können, mit jenem Heinrich VIII, der Kulminations-Figur, um die sich hier letztendlich alles dreht, der mit den sechs Frauen! Pünktlich zu dessen 500ten Thronjubiläum veröffentlicht, bedient dieses Buch ein nationales englisches Mythos. In ihrem Opus magnum vom Ende des Mittelalters widmet sich die streitbare britische Autorin dem politischen Strippenzieher jener Epoche, Thomas Cromwell, mit einer Trilogie. Deren erster Band weist bereits in seinem beziehungsreichen Titel auf die berühmte Sentenz «homo homini lupus» von Thomas Hobbes hin, ‹der Mensch ist dem Menschen ein Wolf›. Der 2009 mit dem Booker-Prize prämierte Erfolgsroman gilt in Großbritannien als ein Jahrhundertwerk.

Es beginnt gleich mit einer wüsten Szene, in der Cromwell von seinem Vater so brutal niedergeschlagen wird, dass er ernstlich um sein Leben bangt. Jahre später bereist er Italien, ist dort als Tuchhändler erfolgreich und absolviert nach seiner Rückkehr ein Studium der Rechtswissenschaft. Schon bald tritt er in die Dienste des Kardinals und Lordkanzlers Thomas Wolsey ein und erweist sich als sehr geschickt und umsichtig in den politischen Ränkespielen am Hofe. Es geht dabei politisch vornehmlich um die Annullierung der Ehe von Heinrich VIII. mit Katharina von Aragon, seiner ersten Frau, die ihm keinen überlebenden männlichen Thronfolger geboren hat. Der König hat ein Auge auf Anne Boleyn geworfen, die aber nicht seine Mätresse sein will, sie will geheiratet werden! Er setzt deshalb alle Hebel in Bewegung, um beim Papst die Ungültigkeit seiner Ehe durchzusetzen. Als Wolsey 1529 sein Amt als Lordkanzler verliert, weil er nicht in der Lage war, in Rom die ersehnte Annullierung durchzusetzen, steigt Thomas Morus zu dessen Nachfolger auf. Cromwell wird vier Jahre später Schatzkanzler, dann königlicher Sekretär und zweithöchster Richter. Skrupellos setzt er durch, dass der König anstelle des Papstes das Oberhaupt der anglikanischen Kirche wird, und genau damit ermöglicht er endlich die Scheidung. Thomas Morus hingegen weigert sich aus moralischen Gründen, einen entsprechenden Eid zu leisten, und wird deshalb 1539 hingerichtet.

So weit der reale Handlungskern, dem der Roman eine fiktional üppig angereicherte Rahmen-Geschichte hinzufügt, deren verwickelte Intrigen und politischen Winkelzüge in epischer Breite vor dem Leser ausgewalzt werden. Emsig tätig in all dem turbulenten Geschehen ist ein schier unüberschaubares Figuren-Ensemble, bei dem selbst die Autorin Schwierigkeiten hatte, den Überblick nicht zu verlieren. Wie sie im Interview erklärte, hat sie sich dabei eines Zettelkastens mit Dateikarten über jede der handelnden Personen bedient, – im Buch kann sich der Leser immerhin auf eine fünfseitige Liste aller Akteure stützen. Hilary Mantel erzählt im Präsens, was ihren Stoff sehr gegenwärtig wirken lässt, weit entfernt vom schwülstigen Mief konventioneller Historien-Romane. Sie enthält sich dabei jeder Interpretation des turbulenten Geschehens, das in seiner dramatischen Wucht zuweilen durchaus an Shakespeare erinnert.

Bleibt die Frage, welche Lesefrüchte einen nicht-britischen Leser ohne emotionale Bindung an vaterländische Mythen erwarten. Da ist zunächst mal die Auffrischung und Ergänzung historischen Wissens über den schlagwortartig ja allgemein bekannten königlichen Blaubart sowie über seinen skrupellosen Drahtzieher Cromwell und dessen Intimfeind Thomas Morus. Dann aber auch die stilistisch hochmoderne Form, in der hier zuweilen sogar recht amüsant erzählt wird, ohne dabei vor lauter unterhaltsamer Fiktion je die gesicherten Fakten zu vergessen. Die vielen kammerspiel-artigen Szenen in diesem Machtpoker überspielen in ihrer Privatheit gekonnt die Düsternis der blutrünstigen historischen Realität.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by DuMont

Jede Zeit ist deine Zeit – Wie Frauen Weisheit, Heilung und Kraft aus jeder Lebensphase schöpfen

 

Chancen und Schwächen der Lebensphasen einer Frau

Autorin Sabine Groth beschreibt in ihrem Buch nicht nur die einzelnen Lebenszyklen der Frau, sondern auch deren Vor- und Nachteile, wobei sie die Vorzüge der einzelnen Lebensphase betont und Tipps gibt, wie die Frau sie für sich nutzbar machen kann. Sie betont auch, dass wir alle die Archetypen der Frau (das Mädchen, die junge, die reife und die alte Frau) immer in uns tragen und auf deren Qualitäten zugreifen können. Oft geschieht das intuitiv, wenn z.B. eine junge Frau etwas sagt oder macht, das man eher einer älteren Frau zugetraut hätte. Mithilfe ihrer “Experimente”, wie sie sie nennt, kann die Frau üben, sich selbst wahrzunehmen, an ihre Wünsche und Bedürfnisse heranzukommen und sich selbst wieder ein Stück mehr zu heilen.

Groth fängt mit dem Mädchen an. Sie sagt, dass jede von uns das kleine Mädchen in sich trägt: das sind all die glücklichen, aber auch wenig schönen Momente, die wir in unserer Kindheit erlebt haben. Das innere Kind wahr- und seine Bedürfnisse ernst zu nehmen, empfiehlt Grothe, um wieder Zugang zu sich selbst zu erhalten, kindische Verhaltensweisen abzulegen und zu heilen.

Die junge Frau bringt Begeisterungsfähigkeit und körperliche Kraft mit, ist visionär, flexibel und mutig. Aber sie hat meist auch einen brüchigen Selbstwert, wartet auf einen vermeintlichen “Traumprinzen”, der wohl für immer ein Traum bleibt, hat einen Mangel an Weitsicht und ist noch unerfahren. Sie hat viele Gesichter und Rollen. Sie geht zyklisch mit ihrer Menstruation. Diesem Teil widmet Groth große Aufmerksamkeit, da die Menstruation auch im Westen ein Tabu-Thema ist – im Gegensatz zu früher, wo das Erblühen der Weiblichkeit mit einem Fest gefeiert und gewürdigt wurde. (Die Scham, die Unwissenheit und das Lächerlichmachen dieses wichtigen Themas beschreibt sehr gut das Jugendbuch “Alles ganz normal”.) Außerdem geht Groth auf das Thema “Kinder oder keine Kinder bekommen” ein bzw. auf einen unerfüllten Kinderwunsch.

Die Mutter als nächste Lebensphase kann eine Mutter im biologischen und/oder im geistigen Sinne sein, indem sie z.B. Projekte großzieht. Auch das Sich-Selbst-Bemuttern (wenn herzliche Mütterlichkeit in der Kindheit gefehlt hat) ist ein großes Thema. Außerdem wie sich die Beziehungskarten mit einem Baby neu mischen und wie die Mutter mit dem Baby geboren wird. Allerdings ist meine Erfahrung, dass auch frau das Muttersein ganz schnöde lernen muss. Groth sagt hier zum Glück aber auch, dass Mutter nicht gleich Mutter ist und geht auf verschiedene gängige Muttertypen ein, wie die perfekte Mutter, die ausgebrannte Mutter, die sich aufopfernde Mutter, die aber alle eines gemeinsam haben: Es sind gebrochene Typen und keine heilen, ganzen.

Auch das Thema Wechseljahre wird von Groth ausführlich behandelt. Sie versucht mit dem Schreckgespenst der ausrangierten und hässlicher werdenden Frau aufzuräumen. Sie führt das Beispiel der Männer an, von denen man sagt, sie werden mit zunehmendem Alter reifer und damit attraktiver. Für meinen Geschmack trifft es das aber nicht ganz. Männer halten sich vielleicht für attraktiver, sind es aber nicht. Da fehlt es bei vielen an geistiger Reife und Verantwortungsbewusstsein (v.a. für Frau und Familie) und sie altern vom Körper her genau wie die Frauen auch. Die Krone setzen dann die Männer auf, die alternd und ohne psychische Arbeit an sich selbst zu leisten hinter Frauen herjagen, die mindestens ihre Tochter sein könnten. Sollte aber eine alternde Frau es wagen, sich einen Jüngeren zu angeln – was anscheinend biologisch und von der ursprünglich matriarchalen Lebensweise sogar besser passen würde – dann haben sie und ihr jüngerer Mann mit Vorurteilen zu kämpfen.

Groth spricht die Vorteile der Wechseljahre an. Die größten sind die, dass frau mit ihrem Leben besser aufräumen kann, weil sie nicht mehr (auch hormongesteuert) dem Muttersein frönen muss. Sie blickt durch ihre Lebenserfahrung und Hormonumstellung nun mit anderen Augen auf ihr Leben und kann alles aussortieren, was ihr nicht gut tut. Sie kann ihre Interessen (auch dank mehr männlicher Hormone) aggressiver durchsetzen. Sie orientiert sich jetzt mehr an ihren eigenen Bedürfnissen und ist nicht mehr so abhängig von der Meinung anderer, v.a. von der männlichen Meinung. Allerdings braucht sie für diesen inneren Rückzug und Aufräumprozess Zeit, die sie meist wegen der Mehrfachbelastung nicht hat. Groth spricht hier auch den Jugendwahn an, dem viele Frauen durch Schönheits-OPs, Botox und Ähnlichem Aufwind geben. In Würde altern sieht anders aus, und Grothe macht Vorschläge, wie das gelingen könnte. Und dazu ist innere Arbeit (Stichwort Psyche) wichtig, nicht die Arbeit am Äußeren.

Die weise Alte schließlich hat viel Lebenserfahrung, die sie für ihre Zwecke einsetzen kann. Sie muss sich von nichts und niemandem mehr etwas sagen lassen. Wenn die innere Arbeit mit sich selbst gelungen ist, braucht sie das Altern nicht zu fürchten. Sie kann sich dann auch mit Tod und Sterben auseinandersetzen und ihr Leben so regeln, dass sie nichts bereuen muss. Das Leben vom Ende her zu betrachten und notwendige Trauerarbeit zu leisten, hilft ihr zu leben.

Zum Schluss gibt Grothe Tipps, wie frau die alterslose Frau in sich erwecken kann und rät zu einem Frauenzirkel, der Frauen in ihrem Frausein und ihrer Frauwerdung unterstützt. Sie gibt Literaturempfehlungen und bietet ein Verzeichnis der Experimente, der Kraftsätze und eine Übersicht über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Lebensphasen an.

Innerer Frühjahrsputz als Grundvoraussetzung für Heilung

Groth gibt in ihrem verständlich geschriebenen Buch eine treffende Analyse der jetzigen und vergangenen giftigen Lebensumstände der Frauen, macht aber gleichzeitig die positiven Seiten der jeweiligen Lebensabschnitte und deren Kraftquellen sowie Freiheiten bewusst. Sie ermutigt Frauen, das eigene Selbst zu finden und zu leben und bietet dazu Übungen an. Die Übungen sollen auch bewusst machen, wo Verletzungen sind, die geheilt werden wollen. Sich ihnen zuwenden, darum trauern und Giftiges ablegen, um heilen zu können, ist wichtig. Denn erst dadurch wird der Weg frei für Neues. Grothe erwähnt auch, dass die Frau durch ihre Zyklen an die Natur angebunden ist (s. auch Lothar Becks Bücher). Sie holt krankmachende Gesellschaftsstrukturen ins Bewusstsein und zeigt Wege auf, sich daraus zu befreien. Reflexion und Selbstreflexion, sowie gut für sich selbst zu sorgen sind zentrale Punkte, um einen neuen gesünderen Weg einschlagen zu können. Dazu gibt sie Beispiele und hilfreiche Fragestellungen. Sie bringt zur Sprache, was sprachlos macht und diffus gefühlt als Unzufriedenheit im Unterbewussten schwelt: So löst sie beim Lesen immer wieder „Aha“-Effekte aus.

Fazit

Das verständlich geschriebene Buch bringt auf den Punkt, worunter Frauen in dieser Gesellschaft leiden. Grothe bringt zur Sprache, was sprachlos macht und diffus gefühlt als Unzufriedenheit im Unterbewussten schwelt: So löst sie beim Lesen immer wieder „Aha“-Effekte aus. Sie betont gleichzeitig aber auch das Gute der einzelnen großen Lebensphasen einer Frau und gibt Tipps z.B. in Form von Übungen, wie man die Kraftquellen der jeweiligen Lebensphasen anzapfen kann, um damit ein gesünderes, besseres Leben zu leben. Dazu ist ein gründliches, inneres Aufräumen nötig, um zu wissen, welche Verletzungen immer noch wirken und wie man sie heilen kann.

 


Illustrated by Neue Erde

I hear the sunspot limit 3

Behindert ist man nicht, man wird dazu gemacht

Taichi ist so traurig darüber, dass Kohei Abstand von ihm will, dass ihm der Appetit vergangen ist. Für den ewig Hungrigen ist das etwas noch nie Dagewesenes. Taichis Arbeitskollegen machen sich deshalb Sorgen um ihn. Erst als die ebenfalls schwerhörige Maya ihm sagt, dass Kohei Taichi nicht weiter belasten will und ihm resolut rät, dass er seine Gefühle mit Kohei klären soll, sieht Taichi eine neue Perspektive.

Koheis Mutter hat indessen ein TV- Interview abgesagt, weil es nichts Positives über Gehörlose und Schwerhörige bringen will. Sie sagt Kohei eindringlich, dass er selbst die Hauptrolle in seinem Leben spielt und danach leben und sich nicht zurücknehmen soll.

Ryu dagegen hat überhaupt keine Probleme damit, gehörlos zu sein. Er kommt gut zurecht, hat Freunde und als Kind seinen großen Bruder, der immer für ihn da war. Er ärgert sich über die anderen, die ihn in die Rolle des bemitleidenswerten Behinderten drängen wollen, obwohl er wie alle anderen seinen Job erledigt und seinen Alltag souverän meistert. Aufgrund seines Ärgers baut er aber eine Mauer zu den Hörenden auf. Allerdings merkt er, dass Taichi keine Unterschiede zwischen den Menschen macht und jeden so nimmt, wie er  oder sie ist. Er denkt aber auch über seinen Bruder nach, der Vorurteilen ausgesetzt ist, weil er einen behinderten Bruder hat.

Währenddessen gibt Taichis Chef Chiba einen Kurs für neue Kolleg*innen, damit sie sich in die gehörlosen und blinden Mitarbeiter*innen der Firma besser einfühlen können. Taichi versteht so besser, wie sich die einzelnen Handicaps anfühlen. Währenddessen hat Kohei ein erhellendes Gespräch mit Taichis Großvater. Als Taichi erfährt, dass Kohei bei ihm zuhause war, versucht er ihn einzuholen und sich mit ihm auszusprechen. Auch Ryu spricht sich mit seinem Bruder aus. Dieser erkärt Ryu, dass er sich nicht benachteiligt fühlt, sondern die Gebärdensprache liebt und deshalb einen Beruf ergriffen hat, in dem er mit dieser Sprache arbeiten kann.

Diverse Sichtweisen zum Thema Handicap

Auch in diesem Band steht das Thema Handicap und wie Menschen mit Handicap und Menschen ohne damit umgehen (neben der homosexuellen Liebesgeschichte zwischen Kohei und Taichi) im Vordergrund. Der Band zeigt wieder die Vorurteile auf, denen Menschen mit Handicap immer wieder begegnen, und die Barrieren, auf die sie sowohl im Alltag als auch in den Köpfen der Menschen stoßen. Gerade Japan ist nicht besonders behindertenfreundlich, sodass die momentan stattfindenden Paralympics in Tokio die Hoffnung wecken, dass sich die Einstellung gegenüber Menschen mit Handicap von Vorurteilen weg und hin zum Positiveren wandelt. Auch der Manga will dazu beitragen, indem er z.B. in Form von Ryu zeigt, dass sich Menschen mit Handicap durchaus nicht behindert fühlen müssen und alles erreichen können, was sie wollen – wenn man sie lässt und ihnen echte Unterstützung und nicht bloß Mitleid und aus Mitleid geborene Handlungen zukommen lässt; ganz zu schweigen von Vorurteilen und Benachteiligung. Die Seminare, die Chiba anbietet, indem er Menschen ohne Handicap durch die Nachbildung von entsprechenden Handicaps fühlen lässt, wie sich das anfühlt, können als Vorbild dienen. Wenn man sich in eine andere Person hineinversetzen kann, hilft das schon sehr viel. Außerdem zeigt es, dass Menschen mit Handicap als Kompensierung andere Fähigkeiten ausgebildet haben, die mindestens ebenso wertvoll sind wie die “normalen” und sie quasi Superheld*innen im Alltag sind, weil sie viel mehr leisten müssen als Menschen ohne Handicap. Diese Leistung sollte entsprechend gewürdigt werden. Der Manga versucht also tiefgründig und vielschichtig auf das Thema einzugehen.

Der Fortsetzungsband enthält als Extra weitere in sich abgeschlossene Stories zu den Charakteren der Serie.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Alpi – The Soul Sender 1
by Rona

Vom Sterben der göttlichen Wesen

Die kleine Alpi, ein noch junges Mädchen, ist eine Soul Sender. Ihre Aufgabe ist es, göttliche Geister ins Jenseits zu schicken, bevor sie die Umgebung mit ihrem Fluch vergiften. Denn die Flüche sind sowohl für Menschen als auch für deren Umwelt tödlich. Leider hat die Sache eine Kehrseite: Die Soul Sender überleben zwar den Fluch, aber sie leiden unter schlimmen Schmerzen, Wunden und Qualen, wenn sie die göttlichen Seelen zu ihrem Ursprung zurückschicken. Auch Alpi muss für ihre Tätigkeit diesen Preis zahlen. Und um nicht schleichend vergiftet zu werden, muss sie sich regelmäßig einem ebenso qualvollen Reinigungsritual unterziehen. Aufgrund ihrer Arbeit gerät sie mehr als einmal in gefährliche Situationen – und die verursachen nicht nur die sterbenden göttlichen Geister.

Der erste Band der Serie verbindet Mythen mit neuen Ideen und der Vernichtung der Umwelt durch Technik. Dabei wird aber keine Schwarz-Weiß-Malerei betrieben, denn die jeweiligen Akteure haben gute Gründe für ihr Handeln. Mir persönlich werden Leid und Qualen zu viel betont, aber insgesamt ist es eine solide Story mit guten, ausdrucksvollen Zeichnungen.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Häsin in der Grube

Der Nanabozo erscheint seither all jenen, „die sich verirrt haben“. In Gestalt eines Hasen. Mireille Gagné, die auf der Isle-aux- Grues geboren wurde und in Québec zur Schriftstellerin avancierte, beschreibt in ihrem Debütroman die Geschichte eines Abschieds, die sie mit einer alten indigenen Fabel über einen Schneeschuhhasen verbindet. Mireille Gagné, Jahrngang 1982, studierte Kommunikationswissenschaften und hat zuvor allem Lyrik und Kurzgeschichten veröffentlicht und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet.

Ein Abschied für immer

Die Geschichte von der Schneehäsin, die die Protagonistin Diane erzählt, ist mit ihrer Freundin Eugène verbunden, die sich ein Notizbuch und eine Polaroid-Kamera mitnahm, bevor sie spurlos verschwand. Eines Tages wacht Diane nach einer Operation auf und ihr wird vom Arzt empfohlen, sich die nächsten Tage zu schonen und keinesfalls zu schonen. Doch ihre Erinnerungen an Eugène verfolgen sie und machen sie immer wacher und aktiver. So lernt sie etwa über das System der Caecotrophie, das Schneeschuhhasen das Überleben in der Wildnis garantiert. Sie spricht von einer Transformation, denn ihr Körper verändert sich nach der Operation und erst sehr langsam erfährt der Leser, warum das so ist. Der Schneeschuhhase kann jedenfalls bis zu drei Meter hüpfen und erreicht beim Laufen eine Geschwindigkeit von bis zu achtzig Kilometern pro Stunde. Ob sie jemals auch so leistungsfähig sein wird? „Sie fühlt sich wie ein Baum im Herbst, der noch alle Blätter hat, vor den großen Stürmen. Bald entblättert.“

Abschied und Aufbruch

In einer poetischen und dennoch kurzen und prägnanten Sprache erzählt Mireille Gagné die Geschichte des Lepus americanus, die bald zu ihrer eigenen wird. In kurzen Kapiteln, manchmal ganz ohne Satzzeichen über Seiten hinweg, um die Atemlosigkeit der Erzählerin zu veranschaulichen, lernen wir, wie Diane wieder in ihr Leben zurückfindet. Wie sich ihre Gedanken sortieren und die Transformation schließlich stattfindet. Eine Erzählung als Metapher? „Das war ihr Wunschziel gewesen. Nie mehr müde zu sein.“ Diane will arbeiten. Arbeiten, um zu vergessen. Denn das Unbehagen liegt in den Erinnerungen. Und nur wer rastet, hat Erinnerungen. Erinnerungen an Eugène. „Diane erlebt einen Augenblick der Fülle bei dem Gedanken endlich dem Horizont gewachsen zu sein.“ Wird der neue Aufbruch, der Abschied von ihrer Insel ihr auch die Zeit verschaffen, um sich wieder zusammenzuflicken? Der Epilog am Ende der Geschichte erklärt einiges. Aber das meiste findet sich zwischen den Zeilen. Ein jeder kann es finden. Vor allem die, „die sich verirrt haben“.

Mireille Gagné
Häsin in der Grube
Aus dem kanadischen Französisch von Birgit Leib
SALTO [262].
2021, 120 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet
ISBN 978-3-8031-1361-0
Wagenbach Verlag
17.-€


Genre: Roman
Illustrated by Wagenbach