Die wohl umfangreichste Erzählung über ein Leben im virtuellen Raum ist Tad Williams Monumentalwerk »Otherland«. In dem Werk geht es darum, dass immer mehr Kinder Opfer ihrer Netzsucht werden und nicht mehr offline gehen können. Um diese Kinder zu retten, beschließen Jugendliche und Erwachsene aus unterschiedlichen Kulturen, sich in den virtuellen Raum zu begeben und nach ihnen zu suchen. Sie erleben eine atemberaubende Weltenschöpfung und geraten in gefährliche Auseinandersetzungen. Weiterlesen
Otherland 1 • Stadt der goldenen Schatten
Die Elfenbeinschatulle
Ein Unternehmer beauftragt einen Auftragskiller, als Detektiv seine Tochter zu finden, die vermisst wird und dabei jedes Aufsehen zu vermeiden. Der in die Jahre gekommene Berufsmörder trifft auf eine Lehrerin, der sich das gesuchte Mädchen anvertraut hat und die ihre starke Bindung zur Literatur kennt. Das ungleiche Gespann begibt sich auf die Suche und findet sich bald in der verschwiegenen Welt der Hersteller von Gewaltfilmen wieder, die junge Mädchen für ihre Zwecke brutal ausbeuten und dann verschwinden lassen.
In der Verschiedenartigkeit der beiden Ermittler liegt der besondere Reiz des ungewöhnlichen Romans, den der Autor mit psychologischem Einfühlungsvermögen geschickt inszeniert. Jeder der bislang in deutscher Übersetzung vorliegenden Somoza-Romane atmet eigenen Stil. Der Autor baut atemberaubende Spannung auf, ohne in den Trivialitäten des klassischen Kriminalromans zu versinken und ist schon deshalb eine Entdeckung!
Lexikon der Sonderlinge
Kurze Steckbriefe von Eigenbrötlern, Exzentrikern und anderen eigenwilligen Gestalten der Weltgeschichte sammelt dieses amüsante Nachschlagewerk, das unter den Lexika selbst den Platz eines Sonderlings bekleidet.
Es wird vom Fürst von Condé berichtet, der sich für eine Pflanze hielt und wütend reagierte, wenn er nicht begossen wurde. Der belgische Dichter und Übersetzer Jean de Boschère konnte keine Farben ertragen und zwang sich dazu, in einem schwarzweißen Universum zu leben. Der mit seinem Eichhörnchen Coco zusammen lebende Literat Alexis-Vincent-Charles Berbiguier fühlte sich von unsichtbaren Kobolden verfolgt, die er mit schwarzen Nadeln aufspießte und in Flaschen einsperrte.
Sektierer, Erfinder, Dandys und Käuze, aber auch größenwahnsinnige Politiker und grausame Folterer sind in der Porträtgalerie versammelt, wobei der französische Sprachraum dominiert.
Das Werk bietet unterhaltsame Lektüre vor allem solchen Lesern, die von ihrer Umwelt selbst für ein wenig sonderbar gehalten werden.
Das Ouzo-Orakel
Bodo Morten ist in die Jahre gekommen und hat sich auf eine griechische Insel zurückgezogen. Aus dem einstigen Frauenversteher und Kampfsüffel ist ein vierschrötiger, rothaariger, barfüßiger Asket von dreiundvierzig Jahren in grünem Polohemd und kurzer Cargohose mit einem Rauschebart wie ein Bienenstock geworden. Der Sonderling und Frührentner wohnt seit vier Jahren am Ionischen Meer und führt in gynäkologischer Gelassenheit, die er sich anmeditiert hat, ein mönchisches Leben als Privatgelehrter. Sein in jede Minute geordnetes neues Schubladendasein verdankt er einem Intensivaufenthalt in der Psychiatrie, der ihn wieder auf die Füße gestellt hat. Weiterlesen
Die Welt ist nicht immer Freitag
Evers erzählt Geschichten aus der Welt der Schlaffis, Kiffer und Alkis rund um Berlins Schlesisches Tor und die Kreuzberger Wrangelstraße. Es sind Skizzen, die der Autor zuvor zum Gaudi seines Publikums auf Berliner Kleinkunstbühnen vortrug, bevor er sie in diesem Band sammelte. Darunter befinden sich herrliche Geschichten, die bevorzugt um die Kunst des Nichtstuns kreisen.
Hart fordert der Alltag den Tatendrang des Protagonisten, wenn dieser morgens drei Stunden früher als üblich aufsteht, um dann bei der Lektüre seiner Pflichtenliste in nachdenkliche Starre zu verfallen! In seiner Wohnung hängen 60 bis 70 Zettel mit aufmunternden Botschaften, dieses oder jenes endlich anzugehen. Diese Zettel sind die Hölle, und es ist verständlich, dass die Pappnase unter dem massiven Druck zusammenbricht und die Wohnung nicht mehr betreten mag. Als er bei Freunden kein Quartier mehr findet, bereist er die Welt der Nachtbusse und durchquert die Stadt zwischen Kladower Hottengrund und Malchower Dorfstraße, bis er an unwirtlichen Haltepunkten von unfreundlichen Busfahrern hinaus in die Kälte gescheucht wird. Schließlich landet er in einem Kreuzberger Waschsalon und beobachtet in Unterhosen, wie sich seine Jeans in der Trommel drehen, um zu beschließen, dass sich etwas ändern muss.
Schneller als das Auge
Dass der Verfasser von »Fahrenheit 451« im Laufe seines langen Lebens neben vielen hinreißenden auch schwächere Texte geschrieben hat, ist kein Geheimnis. Bei den hier vorliegenden Geschichten handelt es sich um Erzählungen der Spitzenklasse: sie sind anmutig und fein gesponnen sowie von geheimnisvoller Poesie durchwirkt.
Seine Titelgeschichte widmet Bradbury einer Zirkuskünstlerin, die zum Gaudi des Publikums Freiwilligen Wertsachen und Kleidungsstücke stiehlt. Um sich unmittelbar in das Geschehen einzubringen und seinen Abscheu vor der Erniedrigung coram publico auszudrücken, lässt der Erzähler einen vermeintlichen Doppelgänger, den er im Publikum entdeckt, an seine Stelle treten und sich öffentlich zum Löffel machen. Dieser elegante Kunstgriff ist typisch für den Autor, dessen besonderes Talent darin besteht, Ereignisse auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedensten Perspektiven zu schildern und dabei psychologische Tiefe zu finden.
Die 21 hintersinnigen Geschichten sind filigrane Meisterwerke, voller Ironie, Magie und intensiver Gefühle. — Bradbury at his best!
Ich bin ganz, ganz tot, in vier Wochen
»Dass mir und meinem Schaffen Unterstützung zuteil werde«, wünschte sich Robert Musil in einem Brief an den österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg. Der Schöpfer von »Mann ohne Eigenschaften« stand mit diesem Gesuch durchaus nicht allein. In allen Epochen gab es Not leidende Schriftsteller, die »ihre Fingerköpfe wie Spargelspitzen« fraßen (Else Lasker-Schüler), »kaum noch die Kraft hatten, unter Brücken zu schlafen« (Wolfgang Koeppen) oder sich »in einer sehr armseligen Lage« sahen (Georg Trakl).
Bettel- und Brandbriefe berühmter Schriftsteller bestätigen literarisch das Spitzweg-Gemälde vom armen Poeten, wenn auch die Tonlage der Briefe, so die Herausgeberin, die Notlage der Verfasser nicht immer exakt abbilden. Auf der anderen Seite der um jeden Groschen kämpfenden Literaten finden sich der ständig auf Pump lebende Dichter Baron Detlef von Liliencron, der dem Suff verfallene Joseph Roth, der spielsüchtige Fjodor Dostojewski oder ein Wolfgang Koeppen, der sich Jahrzehnte lang von Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld großzügig alimentieren ließ, ohne jemals die verabredeten Manuskripte zu liefern. Auch sie lebten teilweise von den klingenden Ergebnissen ihrer stürmischen Bittbriefe und Stundungsschreiben.
Ein knurrender Magen erwies sich für viele Autoren oftmals als Antrieb für die teilweise herrlichen Bettelbriefe, die Birgit Vanderbeke gesammelt und heraus gegeben hat. Da finden sich feinsinnig schöne Texte neben entwürdigenden und grausigen Selbstzeugnissen, ironisch-witzige Bittbriefe neben depressiv-peinlichen Jammerschreiben. Die Lektüre des Sammelbandes schenkt eine Menge literarisches Lesevergnügen und zeigt, dass Schriftstellerei unter allen gesellschaftlichen Bedingungen nur für wenige ein auskömmliches Geschäft ist. Der Auswahl förderlich wäre gewesen, jeden Brief konsequent in Kontext zu stellen, wie das in einigen Fällen sehr schön erfolgt ist. In diesem Punkt wäre der Herausgeberin durchgängiges Arbeiten oder die Unterstützung eines Lektors zu empfehlen gewesen. Oder knurrte ihr Magen, und das Buch musste schnell fertig werden?
Regenbogen über der Appelbaumchaussee
Geht das Zentralgestirn hinter dem Teutoburger Wald auf und wärmt hohe Wallhecken, saftige Streuobstwiesen und wogende Getreidefelder, aus denen jubilierende Lerchen himmelwärts streben, dann besonnt es das Land der Westfalen. Kerniger Mittelpunkt dieses bäuerlich geprägten Gebietes ist das katholische Münsterland, das literarisch berühmt wurde durch Annette von Droste-Hülshoff.
Der von Gerd Haffmans bei Zweitausendeins vorgelegte Norbert-Johannimloh-Sammelband schafft ein westfälisches Sittengemälde, das mit frühesten Kindheitserinnerungen des Autors an Kuh- und Schweinestall beginnt. Er sammelt herrliche Gedichte in Hoch- und Niederdeutsch wie das über den Pastor, der seine schwangere Haushälterin des Hauses verweisen muss und hofft, dabei besser als Taufpate durchzukommen. Schließlich mündet die Anthologie in drei Episoden über historische Frauengestalten der Kommune der Wiedertäufer, die in Münster dem papistischen Bischof zum Trotz ein Königreich der Vielweiberei errichteten.
Die Anthologie hinterlässt jedoch einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits steht der Band als Lehrbuch für den, der lesen möchte, welche Schäden die katholische Moral an Leib und Seele anrichten kann, denn die Texte des 1930 geborenen Autors wimmeln bis in die Folterszenen der Wiedertäufer von lüsternen Begehrlichkeiten, Anspielungen und Traumgemälden, denen ein Hauch Voyeurismus anhaftet. Andererseits gibt es ausgesprochen starke Erzählungen um Hannes Roggenkämper, das Alter Ego des Verfassers. Wer die plattdeutschen Gedichte und mitunter recht hausbackenen Erzählungen überspringen möchte, dem sei »Die Geschichte mit der Anhalterin« empfohlen. Der Text legt beredetes Zeugnis über den trockenen Humor des Autors ab und liefert ein perfektes Kabinettstück westfälischer Provinzliteratur.
Per Anhalter durch die Galaxis
Schon der Weltuntergang, mit dem das schrägste Science-Fiction-Spektakel der Literaturgeschichte beginnt, ist ein Klassiker: Der Engländer Arthur Dent versucht verzweifelt, sein Eigenheim gegen die Willkür der Gemeindeverwaltung zu verteidigen, die sein Haus für eine Umgehungsstraße beseitigen will. Da naht eine mächtige vogonische Bauflotte aus den Weiten des Weltraums, die den Auftrag hat, die gesamte Erde aus der Umlaufbahn zu sprengen, um Platz für eine wichtige Hyperraum-Expressroute zu schaffen! Weiterlesen
Vollidiot
Simon Peters wird bald dreißig, und ihm fehlt die feste Freundin. Dabei beobachtet er täglich aus dem Fenster des T-Punkts, in dem er lustlos jobbt, die phantastisch gebaute Verkäuferin im Starbucks gegenüber und gründet mit ihr in Gedanken bereits eine raupenköpfige Familie. Aber wie soll er die Traumfrau erobern? — Mit Hilfe seiner Freunde entwickelt er einen Schlachtplan, sich der Auserwählten zu nähern, und es gelingt ihm sogar mit Mühen. Dass er sich dabei letztlich wie ein neurotischer Vollidiot aufführt, macht den Helden des gleichnamigen Romans sympathisch. Wenn der Sozialgorilla dabei auch noch über die Gefühle anderer Zeitgenossen hinweglatscht und entsetzt flieht, als sich ein Mädchen in ihn verliebt, mutiert er zur tragischen Figur.
Das persönliche Scheitern eines tollpatschigen Singles ist Gegenstand dieses herrlich bildhaft geschriebenen Romans, der sich durch alle Phasen des Alleinseins pirscht: vom Besuch eines Fitnessstudios, in dem Killerschwuchteln auf seinen untrainierten Körper sabbern über die vergeblichen Kuppelversuche einer kroatischen Putzfee bis hin zu exzessiven Sauforgien in den Armen verschnarchter Discomäuse. Der Autor, der sich als Comedy-Schreiber in Fernsehshows einen Namen gemacht hat, präsentiert mit seinem Erstling ein herrlich entspannendes Lachdebüt. In der aktuellen Flut der Single-Romane hinterlässt er aber leider keine bleibenden Spuren. Zu offensichtlich ist der Text als Vorlage für eine Verfilmung geschrieben, zu blass bleiben die handelnden Figuren, zu bemüht sind die Kalauer und Lacher, die zwar unmittelbar ihren Zweck erfüllen aber nach zwei Sekunden auch schon wieder verflogen sind.
Das vergessene Pergament
Die Bibliothekarstochter Afra ist sowohl ungewöhnlich schön als auch gegen alle Regeln des 15. Jahrhunderts belesen und gebildet. Als sie von ihrem Lehnsherren missbraucht wird, flieht sie mit ihrem einzigen Besitz: einem verblichenen Pergament, das nur mit Hilfe alchimistischer Geheimtinkturen kurz sichtbar gemacht werden kann. Geheimnisvolle Bruderschaften, Mönche, Spitzel und bewaffnete Schergen des römischen Papstes wollen an das Papier kommen und jagen die schöne Maid von Ulm über Strassburg und Venedig bis nach Konstanz. Offenbar kann der Inhalt des Pergaments die Grundfesten der katholischen Kirche erschüttern, und so werden weder Mord noch Totschlag noch Intrige gescheut, um an das wertvolle Dokument zu gelangen. Afra bewältigt indes souverän alle Gefahren und trickst instinktsicher die ihr unbekannten Gegner aus, um schließlich den Papst erzittern zu lassen.
Philipp Vandenberg schildert eine abenteuerliche Mittelalterodyssee im Schatten mächtiger Dome, lüsterner Popen, grimmiger Piraten, gieriger Wegelagerer und eines stets gewaltbereiten Pöbels. Der Historienkrimi ist spannend und unterhaltsam im Fahrwasser von »Säulen der Erde« geschrieben, zum deutschen Ken Follett reicht es allerdings leider nicht.
Die dreizehnte Dame
Mentale Fürze seien die Albträume seines Patienten, behauptet Dr. Ballesteros, als Salomón Rulfo, ein arbeitsloser Literaturagent, ihm einen stets wiederkehrenden Traum erzählt, der ihn quält: in einer weißen Villa mit einem grünen Aquarium wird eine Frau ermordet, die um Hilfe fleht. Dumm nur, dass der mentale Furz Wirklichkeit wird: die Villa und den Mord gibt es tatsächlich. Schnell entspinnt sich ein kunstvolles Geflecht von Menschen, die durch Träume aufeinander stoßen und sich einer geheimnisvollen literarischen Sekte ausgeliefert sehen.
Dreizehn Musen berühmter Dichter haben einen geheimen Hexenbund geschlossen und binden Menschen mit der Macht des Wortes. Sie wissen genau, dass ein Gedicht ein Wald voller Fallgruben sein kann. Bisweilen lauert nur ein einziger Vers mit scharfen Krallen darin. Er braucht nicht schön zu sein, er braucht weder literarisch wertvoll noch gänzlich wertlos zu sein: er ist einfach da, mit seiner geballten Ladung aus Tod bringendem Gift, und die Hexen nutzen ihn, um Menschen zu binden und mit blutiger Gewalt zu zwingen.
Somozas bizarrer Kriminalroman verlangt den hart gesottenen Leser. Er kommt im Gewand eines Mystik-Thrillers daher und entpuppt sich doch als feingliedriges literarisches Kunstwerk eines raffinierten Erzählers. Der spannende Roman ist surreal, phantastisch, stockfinster und dabei extrem blutrünstig. Das Buch erzeugt bereits nach wenigen Seiten unbestimmten Ekel, aber er weckt auch die Sucht, bis zur letzten Seite durchzuhalten, um das ungewöhnliche Geheimnis des höchst vertrackten Plots zu enthüllen.
Killer, Krimis, Kommissare
Ist Mord eine erwähnenswerte kulturelle Leistung? Trägt das bewusste Beseitigen von friedlichen und ahnungslosen Mitmenschen zur Entwicklung unserer Kultur bei? Jörg von Uthmann, Autor der vergnüglichen und zugleich informativen Kulturgeschichte des Mordes, bejaht diese Fragen. Aus seiner Sicht sind Morde zwar unerquicklich für das jeweilige Opfer, sie haben aber auch ihre guten Seiten, denn sie beflügeln Kunst und Wissenschaft — die Mediziner, die den Kommissaren dabei helfen, die Killer zu fassen, die Schriftsteller, welche die Jagd in Krimis beschreiben, und die Filmemacher, die sie verarbeiten.
Mord und Totschlag gibt es, seitdem sich Menschen beneiden und miteinander in Streit geraten. Waren im Mittelalter die Richter noch auf Feuerprobe und Folter angewiesen, bei der nahezu jeder alles gestand, zählte es zu den Errungenschaften der letzten Jahrhunderte, wissenschaftliche Methoden zur Beweissicherung und Tatortuntersuchung gefunden zu haben. Mit den Möglichkeiten der Medizin, Gifte nachzuweisen, entwickelte sich die Spurensicherung über die Fingerabdrucktechnik bis hin zur modernen DNA-Analyse, mit der erstmals 1987 ein Mörder überführt werden konnte. Parallel dazu formten sich Kriminalpolizei und Gerichtsmedizin.
Jörg von Uthmann versteht es, die tatsächlichen Verbrechen mit ihren Widerspiegelungen in Literatur, Drama, Oper und Film in Bezug zu setzen und entwirft en passant eine Geschichte der Kriminalliteratur und ihrer Autoren ohne sich auf Theorienstreit einzulassen. Dass er konzentriert auf unseren westeuropäischen Kulturkreis blickt und im wesentlichen französische, britische, amerikanische und deutsche Fälle und Autoren schildert, mag als Manko der Skizze gelten. Interessant wäre es schon, die Entwicklungen in anderen Kulturkreisen vergleichend heranzuziehen, waren es doch beispielsweise die Chinesen, denen sehr viel früher als den Europäern die Einzigartigkeit des Fingerabdrucks bekannt war.
Der literarische Spaziergang ist mit leichter Hand geschrieben und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er bietet aber eine vielseitige Einführung ins Thema und empfiehlt sich jedem, der ein wenig tiefer in die Welt der Kapitalverbrechen und ihrer künstlerischen Verarbeitung einsteigen möchte.
Puls
Das Ereignis, das als »Der Puls« bekannt werden sollte, erlebt der Comic-Zeichner Clayton Riddell, als er sich in Boston ein leckeres Softeis spendieren will: Teenager fallen übereinander her und beißen sich die Kehle durch, Geschäftsleute werden zu blutrünstigen Bestien, Busfahrer jagen und überrollen Passanten; kurz: ein infernalisches Chaos, in dem jeder jedem ans Leben geht, beginnt. Ohne lange Vorrede lässt King gleich zu Beginn seines von der ersten bis zur letzten Zeile atemberaubend spannenden Buches unfassbaren Horror über Land brausen, der von Handys ausgelöst wird, die einen unheimlichen Befehl aussenden.
Clayton denkt an seinen Sohn und hofft, dieser möge kein Handy benutzen und vor dem sich ausbreitenden Wahnsinn fliehen. Er zieht mit zwei Gefährten los, ihn zu suchen und stellt auf seiner Wanderung durch ein apokalyptisch verwüstetes Land fest, dass die Handy-Verrückten telepathische Fähigkeiten entwickeln und sich in die Gedanken der wenigen Nicht-Infizierten einloggen können. Diese sollen gezwungen werden, sich in einem angeblich funkstreckenfreien Gebiet zu sammeln. — Doch welches Grauen erwartet sie dort?
Wort für Wort
Elizabeth George gilt als begnadete Krimiautorin, die mit großem psychologischem Einfühlungsvermögen Spannungsbögen schlägt und damit eine internationale Fangemeinde um ihre Figuren schart. Mit dem vorliegenden Sachbuch reiht sie sich in die Traditionslinie amerikanischer Bestsellerautoren, die Schreiben als solides Handwerk verstehen, das vermittelbar und erlernbar ist.
Wer Elisabeth George Wort für Wort folgt, erhält zuerst einmal tiefen Einblick in ihren schriftstellerischen Handwerkskasten! George ist eine Autorin, die wenig dem Zufall überlässt und jedes spontane Sprudeln der Ideen bei der Niederschrift für sich selbst ablehnt. Sie feilt ausführlich an den Ideen ihrer Romane sowie an den Figuren, die diese bevölkern. Sie ist überzeugt, dass Figuren die Geschichte und Dialoge wiederum Figuren erschaffen. Sie schildert, wie sie ihre Figuren und Schauplätze modelliert, wie sie in einem Stufendiagramm Szenen zu Papier bringt und die Handlung entwirft. Sie betont die Bedeutung des Konflikts, um Geschichten spannend, interessant und kunstvoll erzählen zu können und erläutert die möglichen Erzählweisen. Die Autorin verrät ihre Technik und schildert ihren Umgang mit der Rohfassung des Manuskriptes und den notwendigen Schritten zur Überarbeitung bis zur Fertigstellung.
»Wort für Wort« ist ein unterhaltsam geschriebener, leicht nachvollziehbarer Lehrgang für Romanautoren und solche, die es werden wollen. Systematisch und mit vielen Leseproben nimmt Elizabeth George den Leser an die Hand und führt ihn sicher durch den Dschungel des literarischen Schreibens. Sie verlangt von ihren Lesern Leidenschaft und Disziplin, um sich die handwerklichen Techniken anzueignen und sagt sehr deutlich, dass Kunst ohne Handwerk undenkbar ist und stets darauf fußt, dass andererseits aber bei aller handwerklichen Meisterschaft auch zusätzlich Talent erforderlich ist, um ein wirklich gutes Buch zu schreiben.