Den ersten »berühmten Menschen«, den ich in grauer Vorzeit als angehender Journalist interviewen sollte, war ein Filmstar. Ich kannte ihn nicht. Ich hatte seinen Namen nie zuvor gehört, obwohl er doch so unerhört berühmt sein sollte, dass ich eigens nach Berlin zu einem Filmset geschickt wurde, um ihm ein paar Antworten abzuluchsen. Das Internet war in jener undenkbar lang zurück liegenden Zeit noch nicht erfunden, sonst hätte ich den Namen flink gegoogelt und wäre schlauer gewesen. Ich hätte mir auch ein Foto meines Interviewpartners anschauen können, und so wäre mir die erste Peinlichkeit erspart geblieben. Denn ausgerechnet den ersten Typen, der auf dem Set gelangweilt herumstand, fragte ich nach jener Berühmtheit, und ich möchte nicht wissen, was er von mir gedacht hat, als er sich als jener ach so gefragte Promi zu erkennen gab.
Immerhin hatte ich damit meinen ersten Promi im Interview, und ich kam auch leidlich zurecht, weil der Superstar hilfsbereit war und mein Unwissenheit mit mitleidigem Augenaufschlag hinnahm. Gay Talese, der Monate lang Frank Sinatra verfolgte, aber nicht vorgelassen wurde, hatte es da weitaus schwerer. Dafür hat er uns einer der besten Profilreportagen aller Zeiten hinterlassen. Sein Meisterwerk »Frank Sinatra ist erkältet« porträtiert den interviewunwilligen Superstar, ohne mit ihm auch nur ein Wort gewechselt zu haben, aus der Sicht des ihn begleitenden Tross.
Der Schweizer Kolumnist Mark van Huisseling kultivierte seinerseits die persönliche Art des Umgehens mit Berühmtheiten, über die er schreiben sollte. Er durchbrach das klassische Interview, indem er seine Gesprächspartner fragte, worüber sie selbst gern reden wollten. Dabei verstand er die oft bizarren Rahmenbedingungen, unter denen die Interviews stattfanden, als Lösung für seine Arbeit. Statt sich auf die konventionellen Frage-Antwort-Spielchen einzulassen, die zudem meist noch von Zerberussen der jeweiligen PR-Abteilungen überwacht und zensiert werden, erzählt er, was sich am Rande ereignet. Er stellt niemanden bloß, das überlässt er den Befragten selbst. Die floskelhafte Leere, die Pseudo-Promis, Stars und Sternchen umgibt, enthüllt sich damit von ganz allein.
Im Ergebnis schuf er Porträtminiaturen, die den Interviewten bisweilen in einem nicht unbedingt vorteilhaften Licht erscheinen lassen. Auf die Frage, welches Buch sie zuletzt gelesen habe, antwortet Verona Pooth, es seien einige von Homo Faber gewesen … Die dünne Oberfläche, auf der sich derartige Interviews bewegen, lassen damit durchaus tiefe Einblicke zu. Sein Spaziergang durch den Zoo der Alphatiere führt vom Avantgardekünstler Blixa Bargeld (»Wo sind wir heut losgefahren? Ach, Paris!« )über den professionell dauergutgelaunten Roberto Blanco (»Ich bin kein Spaßmacher, ich bin kein Clown. Ich bin Entertainer, ich will unterhalten«) und Pierre »Winnetou« Brice (»Die Helden von heute sind schwule Apachen, rosa gekleidet«) zu Dolly »Ballonbusen« Buster (»Wie lauten die Titel der letzten drei Filme, die Sie produzierten?« – »Ich kann mich nicht erinnern«).
Viereinhalb Stunden muss der Reporter auf Mariah Carey warten, die sich einen Fingernagel abgebrochen hat und ihm dann ihre nackten, langen Beine entgegen streckt (»Ich möchte weniger planen – Planen ist für die Armen«). Rocksänger Joe Cocker überrascht ihn mit dem Geständnis, von Hitler fasziniert zu sein (»Dieses Nazi-Ding war irgendwie umwerfend, von der Ideologie mal abgesehen«). Sarah Connor, die Pop-Prinzessin aus Delmenhorst, wird von einem albanischen Elitesoldaten gemanagt, und will nur über Oberbekleidung statt über Unterwäsche, für die sie wirbt, sprechen. Rolf Eden, Berlins ältester Playboy, bestreitet, Viagra zu nehmen (»Feministinnen – Wenn ich mit denen fertig bin, sind sie bloß noch feminin«).
Mark van Huisseling vertextet seine Interviews und reichert sie mit markigen Zitaten aus der Boulevardpresse an, die sein Gegenüber charakterisieren und spiegeln. Dabei zeichnet er sich durch einen extensiven Gebrauch von Zitaten in Klammern aus, es sind wohl dutzende pro Artikel. Seine Texte lesen sich unterhaltsam und beschwingt, er weicht positiv vom Klischee des Society-Reporters ab. Aber die Texte erschienen ursprünglich ja auch in der liberalen Schweizer »Weltwoche« und nicht in der Klatschpresse. Van Huisselings Interviews sind um ein Vielfaches besser als das Zeug, das ich in meinen Anfangsjahren zusammen dichtete. Gay Talese kann er hingegen nicht das Wasser reichen.
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift