Zeit seines Lebens misstraute Schriftsteller Thomas Bernhard dem Theaterbetrieb und seinen Akteuren. Ließ er sich aber von dem Einfühlungsvermögen eines Regisseurs überzeugen, dann entstand – wie bei Claus Peymann – eine intellektuelle Lebenspartnerschaft. Ähnlich hielt es Bernhard mit Schauspielern, so sie ihn denn faszinierten.
„Ritter, Dene, Voss“ heißt eines der Bernhard-Stücke, die bereits die Namen der drei Schauspieler (Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss) im Titel tragen und daraus quasi eine Verpflichtung ableitet, die entsprechenden Mimen auch zu besetzen. Thomas Bernhard schneiderte auch dem großen Bernhard Minetti ein Porträt des Künstlers als alter Mann auf den Leib und komponierte einen ähnlich sprachgewaltigen Monolog für Gert Voss, der unter dem Titel „Einfach kompliziert“ Theatergeschichte geschrieben hat.
In „Einfach kompliziert“ monologisiert ein Schauspieler (Gert Voss) über seinen größten persönlichen Erfolg in Shakespeares Drama „König Edward III.“ am Wiener Burgtheater. Inzwischen ist der Mime völlig heruntergekommen. Er haust in einem schäbigen Domizil, in dem die Mäuse auf dem Tisch tanzen. Als letzter Überlebende seiner Familie, auch seine Frau ist inzwischen verstorben, hasst er neben den Mäusen, die er mit Hingabe verfolgt und tötet, auch alle anderen Lebewesen um ihn herum: das Mausvolk, das es zu vergiften gilt.
Seit Jahren hat der Protagonist seine Klause nicht mehr verlassen und sich zwischen Selbstmitleid, Hass und Altersdepression zunehmend zu einem Sonderling entwickelt. Er beantwortet seit 13 Jahren keine Briefe mehr, hat das Telefon abgemeldet und studiert dennoch täglich die Stellenangebote einer Abonnementszeitung. Von seinem Erfolg als Edward III. ist ihm die billige Theaterkrone geblieben, die er in einer Truhe verwahrt und sich jeden zweiten Dienstag im Monat aufs Haupt drückt.
Höhepunkt des Werks in drei den Tageszeiten folgenden Szenen ist der Besuch eines neunjährigen Mädchens, Katharina, die ihm Milch bringt. Sie ist der einzige Mensch, den er zu sich lässt, mit dem er spricht. Ihr gesteht er, Milch zu hassen, diese wegzuschütten, und sie lediglich zu bestellen, um das Mädchen zu sehen. „Schauspieler sind wie Kinder, deshalb vertragen wir uns so gut,“ sagt er ihr und bittet sie zugleich, allen Leuten zu sagen, „der berühmte Schauspieler in der Hanssachsstrasse liebt Milch, und er trinkt Milch, er existiert nur, weil er jeden Tag Milch trinkt.“
Die maßgeschneiderte Textkomposition von Thomas Bernhard, deren beklemmende Wirkung sich optimal von Gert Voss, inszeniert von Claus Peymann, auf der Bühne darstellt, ist (so verrät es schon der Titel) ebenso einfach wie kompliziert. Ihr fehlt vielleicht der in vielen Texten des österreichischen Autors aufscheinende Bernhardsche Humor und auch dessen ätzende Gesellschafts- und Kulturkritik. Es handelt sich vielmehr um einen gedanklichen Sturzbach über das Altwerden, das Altwerden eines Schauspielers im Besonderen, über den Rückzug aus dem gesellschaftlichen Miteinander, über Wahn und Wahnsinn, und der Text bekommt eine zusätzliche philosophische Note in der Auseinandersetzung mit Thesen des „Urphilosophen“ Schopenhauer, die gelegentlich aufscheinen.