Peter Sonnbichler ist ein Bewahrer. Er bewahrt kostbare Momente davor, vergessen zu werden, auch behütet er eine Zeit, die erst kürzlich verflossen ist, aber als Epoche – vor dem Handy, dem Internet und der politischen Korrektheit –
Sonnbichler bewahrt so auch das Land vor dem Vergessen, eines, das nicht einzig als Naherholungszone oder Mountainbike-Strecke Wert hat. Weiterlesen →
Im Zentrum Dorothea Schafraneks Buch steht der Atem. Nicht, wie seit 5o Jahren in zeitgeistiger Literatur geklont: der Mensch. Welcher dann sich auch gleich über die Tiere, die Pflanzen und die gesamte Welt stellt, und sie kaputtmacht. Nein, Schafranek folgt den Rhythmen der Natur. Und dem Atem. Weiterlesen →
Folgt man der Argumentation der Autoren von „Generation Ego“ 1), zeigt uns Christoph Schlingensief, warum heute so wenig Rebellion von der Jugend ausgeht. 2) Ohne Reflexion über die eigene Position, ist man dem Neoliberalismus, dem Markt»geschehen« ausgeliefert, der ein amoralisches System – unfähig sich selbst zu hinterfragen – darstellt. Weiterlesen →
SAID (Said Mirhadi) kam siebzehnjährig als Student nach München. Der 1947 in Teheran geborene Politikwissenschaftler versuchte nach dem Sturz des Schahs in seiner Heimat erneut Fuß zu fassen. Die dort durch die Mullahs neu begründete Theokratie veranlasste ihn aber, in das deutsche Exil zurückzukehren. 2004 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft, doch seine Werke sprechen von der Sehnsucht nach seinem Geburtsland, einer Heimat, die ein Exilant zu lieben gezwungen ist, wie eine unerreichbare Geliebte, die Fata Morgana einer Oase, die in der Phantasie, im schmerzlichen Winkel der Seele wohl unerhört herrlicher erscheint, als sie in der Realität je zu sein vermag. Diese Krux quälte wohl auch den begnadeten Autor, der glücklicherweise in der deutschen Sprache eine neue „Behausung“ gefunden hatte, dutzende Bücher veröffentlichte, u.a. auch in renommierten, großen deutschen Verlagen. Weiterlesen →
„Miedeka“ ist die ewenische Benennung für jemanden, der nach der Begegnung mit einem Bären gezeichnet ist. Nastja ist eine solche Person, die bei den Ewenen von Itscha – einem indigenen Volk in der Kamtschatka – in den Wäldern lebt. Ihr ewenischer Name lautet zudem Matucha – Bärin, und sie reflektiert über das Zusammentreffen, das ihrer Meinung nach unvermeidlich gewesen sei. „Es gibt etwas Unsichtbares, das unsere Leben auf das Unerwartete zutreibt“, heißt es im Buch. Es gäbe Rhythmus in der Welt, in der wir leben, Richtung, Orientierung. Also auch ein Schicksal, das beide, Nastja und die Bärin, unausweichlich zusammengeführt hat. Weiterlesen →
Der Dichter Peter Paul Wiplinger schreibt seit geraumer Zeit sogenannte Lapidargedichte. Er möchte die Realität so abbilden wie sie ist, ohne Metaphernverbrämung und ohne Sprachzertrümmerung oder -spielerei. Damit sind seine Gedichte stets politisch relevant. Was ihm lange den Einzug in den österreichischen Literaturkanon verwehrte. Im vorliegenden Gedichtband zeigt sich wieder seine poetische Begabung. Weiterlesen →
Genre: LyrikIllustrated by Löcker Wien
Ein Roman, der ohne Mord, Sex, Tabubrüche auskommt, scheint heute gar nicht existieren zu dürfen. Im gegenwärtigen Überbietungsspektakel, der der Aufmerksamkeitsökonomie folgenden Literaturindustrie, fehlt der Platz für solch scheinbar „harmloses“ Werk. Allerdings geht der postmoderne Literaturapparat von falschen Prämissen aus: von der Moderne-Ideologie, die um jeden Preis das Gewalttätige, Hässliche und Destruktive darstellen will. Weiterlesen →
Politiker würden durch Experten und Informatiker ersetzt, die die Gesellschaft jenseits ideologischer Interessen vertreten, warnt der renommierte Philosoph und Autor Byung Chul Han in seinem neuesten Werk „Infokratie“. Weiter schreibt er, dass Politik durch datengetriebenes Systemmanagement abgelöst werde. Ich denke, das gilt wohl auch für die Corona-Krise, wenn alles auf die Prognosen der Modellrechner starrt. Oder entsetzt und panisch den Behauptungen der Virologen folgt, man bräuchte dringend einen Lockdown, 1 G etc., weil sonst bräche alles zusammen. Weiterlesen →
„Du bist aus fremden Dörfern gekommen,/hast die Sprache vergraben./ Heute liegen dort noch/Knochen toter Wörter.“ Sigune Schnabel hat Talent. Unverkennbar. „Am Wegrand sitzt dann immer/dieses fremde Kind/und wirft/mit seinen Träumen.“ Ich würde soweit gehen, zu sagen, sie ist eine begnadete Poetin. Weiterlesen →
Genre: LyrikIllustrated by Geest
Wohltuend fällt gleich einmal auf, dass wir nicht schon wieder einen Krimi vorliegen haben, wo es zurzeit scheint, man dürfe nur innerhalb der engen Grenzen dieses Genres grasen, um überhaupt öffentlich wahrgenommen zu werden. Dabei entbehrt dem Buch keineswegs die Spannung. Luksans Fantasien (mit diesem Wort ist das Buch ja untertitelt) erzeugen immer wieder diverse Spannungsbögen – ob es um Aufstände in exotischen Ländern geht oder das Einhandsegeln inmitten stürmischer Ozeane. Weiterlesen →
Das Buch Peter Sonnbichlers lässt sich nicht auf einem Bildschirm lesen. Oder irgendwie digital konsumieren. Auch nicht in den stickigen Räumen einer Bibliothek. Dazu quillt zu prall das Leben zwischen den Seiten hervor. Am besten liest es sich am Rand einer Mailichtung, oder im Mondlicht, auf einem Kirschbaum sitzend, oder gegen eine Pappel gelehnt, oder gegen den Sommer oder das Kliff von Strunjan. Oder wenigstens gegen die Klippen hinblickend, wie ich es gerade tue, diese Zeilen ins Heft notierend, nachdem ich das Gedicht Sonnbichlers über die Sehnsucht nach der Weite über Strunjans Himmel las. Weiterlesen →
Wer Aufdeckungs-Journalismus-Romane mag, wird mit diesem, sehr kompakten und überaus profundem Werk seine Freude haben. Mir sind die Informationen stellenweise zu dicht geballt, in der Mitte des Romans kommt er aber ordentlich in Schwung, und wo es literarisch schwierig ist, Fakten (auch imaginierte) dem Leser zu vermitteln, wiegt das zumindest teilweise die kraftvolle, bilderreiche Sprache Trojanows auf, der mit wenigen Strichen Situationen und Menschen als Bühnenbild des ablaufenden Dramas zu zeichnen imstande ist. Weiterlesen →
Rudolf Krieger entwickelte eine neue Lyriksprache. Das ist bemerkenswert. Dass er sich zur Kommunikation eines individuelles Zeichen-Systems – bzw. Symbolsystems bedient, verweist dabei keineswegs auf die Gepflogenheiten der Moderne, die eigene Originalität und Kreativität in den Mittelpunkt zu stellen. Sondern vielmehr auf die Notwendigkeit, auf den Bedeutungs- und Sinnverlust in Folge der Zerstörung der klassischen verbindlichen Symbolsprachen (welche ja schon Josef Beuys beklagte), neue verbindliche Symbole und eine gültige Metaphernsprache zu finden. Die Schwierigkeit liegt natürlich in der Forderung nach Allgemeingültigkeit solch individuell kreierter Sprachen: In der Lyrik jedenfalls ist das Verständnis ohnehin nicht mit der kühlen Rationalität zu finden. Worte, Metaphern, Sprachbilder berühren den Leser – sagen einem etwas – oder eben nicht. Eine Absolut-Setzung der Symbole/Zeichen ist in der Dichtkunst nicht notwendig – wäre letztlich ja gar ein Rückschritt vor die Moderne, die vor Verabsolutierungen der einzelnen -ismen und Überbietungsorgien nur so strotzt. Verbindlichkeit ist eindeutig gegeben, weil Krieger auf eine leibhaftige Sprache setzt (statt auf das Zerreißen der Syntax und die Sinnzertrümmerung der modernen/postmodernen Sprachzerstörer). Inspiriert von Natur, Bewegung, Philosophie und Mystik (hebräischer Provenienz, tibetanisches Totenbuch und I-Ging) ist er imstande, Räume des Ewigen und Plätze der Offenbarungen miteinander zu verbinden. Dieser Offenbarungsplatz ist für ihn das Wort. Die Straßen von den Plätzen weg in das Leben hinein sind seine Sätze, in denen er eine transrationale – eine den reinen Intellekt und erst recht die Naturwissenschaften übersteigende – Wirklichkeit kündet.
Krieger ist tief vom Symbolwillen durchdrungen. Wasser ist Leben. In dem manch papierener Fisch schwimmt. Genaues erfahren wir ja in Kriegers Symbolerklärungen. Plattrationales Verstehen zu suchen, erschwert das Eintauchen in seine Sprache – man würde nur auf den Wellen hin- und hergeworfen werden. Am besten läse man wohl nicht mit den profanen Augen, sondern mit dem weit geöffneten dritten. Dann offenbart sich die Sinnschönheit Kriegers Sprache. Erkennt man, dass seine Elegien weniger Klage, als leises Rufen sind, auf dass er die Antwort des Windes, der Sterne, des Erdbodens, eines Tisches nicht überhört. Wenn wir selbst stille werden, um in diesem Rufen das allgemein Wesenhafte zu erlauschen, dann mögen wir ebenfalls in der Lage sein, die Antworten des Ewigen, sowie der Steine und der Lampen in uns zu vernehmen. Wir sollten sachte lesen, nicht mit den gewohnten eingeschalteten Verstandesscheinwerfern, die nur in Autobahnsackgassen zügig führen. Dann glimmt ein Schein auf, der uns Pfade ins Innere der Zeit weist. Zurück zu unserem edelsten Wesen. Zur Seele.
Oder: Das Schwarz des unendlichen, lebendigen, glitzernden Nichts – von Rudolf Krieger massiv und feurig komprimiert – funkelt als Diamanten auf.
Kindheitserinnerungen, Traumata, Berührendes, Schreckliches packt der heuer 8o gewordene Peter Paul Wiplinger in sein jüngstes Werk.
„Auf den Spuren der Erinnerung zurückgehen, zu den Menschen, zu sich selbst“, lautet das Motto der Erzählsammlung Wiplingers. Und das vollzieht er eindrücklich. Begegnungen mit Nazis, mit Russenobersten, dem ersten „Neger“, den er sah – viele Kriegserinnerungen blitzen auf. Zeigen auch Deutlich-Menschliches. Die Feigheit eines Nazischergen, dessen Großartigkeitsgetue und die schmierige Falschheit nach der „Niederlage“, die Sinnlosigkeit des Kriegs. Familiäre Bande. Die Geborgenheit, die bei aller Strenge dennoch besteht. Die Standpunkte verortet. Auch wenn sie sich nicht mit den Elterlichen decken. Die rigide Katholizität der Eltern ist anstrengend, die Brüder werden auf den Priesterberuf „vorbereitet“, übernehmen diese Aufgabe gar freiwillig im Spiel: später will keiner von ihnen Priester werden, aber moralische Werte bleiben. Wiplinger schildert die Schwierigkeiten der Bürgermeisterfamilie in einem konservativen Ort, als die Nazis die Macht übernehmen. Dann den Respekt der russischen Besatzer, die man allerdings auch nicht verärgern durfte. Die Schilderung der Köchin, die der Autor schon in andern Büchern liebevoll zeigte, berührt immer noch. Und die Wut auf das Kindermädchen, das sadistisch und vorsätzlich böse die Anvertrauten quälte. Vieles von Wiplingers Geradlinigkeit, von seinen Prägungen wird nachvollziehbar. Als Einblick in seine Biographie wieder ein wichtiges Buch. Aber auch als Zeitdokument, das helfen sollte, Zustände wie in jener schrecklichen Ära nie wieder heraufdämmern sehen zu müssen.
Manfred Stangl
P.P Wiplinger: „Erinnerungsbilder“, Löcker, edition pen; 2019; 174 Seiten, Paperback; ISBN: 978-3-85409-985-7
Ich kann meiner Rezension des ersten Schachteltexte-Bands (nachzulesen unter: literaturzeitschrift.de) nicht viel Sinniges hinzufügen: Peter Paul Wiplinger ist ein Autor und Mensch, der sich jeder Konfrontation stellt, der, wie er im vorliegenden Band schreibt, entschieden hat: „ … und seither, seit damals und bis heute, widerspreche ich, bin ich nicht der, der nachgibt.“ In den Schachteltexten erkenne ich eine eigenwillige, gelungene Form, starke Emotionen, wilde Wut und Schmerz zu bannen, indem man das überquellende Gefühl aufs vorgeformte Schachtelfragment fasst. Und das noch dazu in einer gut leserlichen Schrift. Eine kluge Form, mit dem Leid der Welt so gut als möglich umzugehen. – Leid, das sich, um einen Satz von P.P. Wiplinger zu komplementieren, nicht aus dem Fehlen des Göttlichen in der Welt heraus auftut, sondern weil wir Mensch es uns gegenseitig antun. Wollte Gott/die Göttin/das Göttliche jegliches Leid verhindern, hätte er/sie/es die Welt nicht „erschaffen“ können. Oder, wie Buddha es lehrte: gerade weil das Leid des Todes, des Alters, der Krankheit, usw. bestehen, heißt es, aus dem Kreislauf des Samsara auszusteigen.
Wiplingers Gedichte in den Schachteltexten, sind – wohl aufgrund der eigenen Erfahrungen der letzten beiden Jahre – trister geworden, dunkler. Wer mag es ihm verdenken. In einem spannenden Kontrast dazu steht die farbige Auflösung der Fotos, die zunehmend intensiver in Rot, Violett, Türkis und den Schattierungen des Blaus erstrahlen. Ästhetisch ansprechende Fotos, produziert von Annemarie Nowak, seiner Ehefrau und hilfreichen Wegbegleiterin.
Mit Spannung zu erwarten der dritte, bereits in Arbeit befindliche Band Schachteltexte. Der grafisch-ästhetisch noch ausgefeilter erscheinen soll.
Manfred Stangl/Pappelblatt 17
Peter Paul Wiplinger: „Schachteltexte II, 2017 – 2019“, edition pen Löcker, 2019; geb., 372 Seiten, ISBN: 978-3-85409-979-6
Illustrated by Löcker Wien