Die Yogini

Ich begann einen Aufsatz über Ulli Olvedis Werk (in: pappelblatt.at) mit dem Satz: „Olvedi lesen heißt Schatztruhen öffnen“. Mit dem folgenden Roman fügt sie den leuchtenden Kleinodien der Seele ein weiteres glänzendes hinzu.
Das allerdings, wenn man kritisch sein mag, erst aus dem Schiefer, dem Mutterstein, befreit werden muss, bevor das kostbare Stück vor den Augen erstrahlt. Und das vielleicht nicht als Einstiegsroman für spirituell weniger Gutbetuchte geeignet ist. Da machen andere Romane Olvedis, wie „Das tibetanische Zimmer“ oder „Über den Rand der Welt“ mehr Sinn.
Das fast 6oo-seitige Werk erzählt die Geschichte der Yogini Lenjam, die, als die weniger spirituell anmutende Schwester von Nyima, Tochter aus höherem Haus in der tibetanischen Vergangenheit, erst manchen materiellen Verlockungen erliegt – vor allem stark wirkenden Männern –, bevor sie ihre Berufung, durch eine Dakini vermittelt, erfährt.
Inhaltlich eröffnet uns Olvedi das tantrische Verständnis der Welt, das lehrt, aus allen Begebenheiten, jeder Kleinigkeit, jeder Skepsis, jedem Irrtum, jeder Emotion einen Wegweiser am spirituellen Pfad zu entdecken. Und – falls notwendig – greifen höhere Mächte ein, Zweifel zu bereinigen, um wieder klar schauen zu können. Bemerkenswert viele Details aus dem Alltagsleben, in denen die Protagonisten irrt, werden gezeigt – beachtenswert der Fundus, aus dem Olvedi schöpft, um Textpassagen aus Heiligen Schriften zu zitieren, oder eigene Erfahrungen einzubringen, um zu vermitteln, wie nun Lenjam aus ihren Fehlern zu lernen vermag. Zwangsweise ergeben sich daraus Längen, die ich aber, präziser denkend, nicht als solche bezeichnen mag. Am besten kann der schürfende Leser das Buch wohl mit einer Edelsteinmine vergleichen, in der man lange Stollen gräbt, um auf reiche Adern zu stoßen. Ein Menschenleben umfasst zwangsläufig immense Strecken, einige Abzweigungen, Irrungen, aus denen der geübte Mineur ableiten mag, wohin der Hauptstollen führen muss, um zum Schatz zu gelangen. Dieser allerdings steckt ebenso in den Nebenwänden der Schächte – eben aufgrund der detaillierten scheinbar unscheinbaren Einsichten Lenjams. Man wiegt diese in den Händen, schleift und poliert sie mit der Schärfe der eigenen Erkenntnis und schon liegen die Kostbarkeiten zauberhaft schön vor dem blaufunkelnden inneren Auge.
Uns allen gemeinsame Schwächen werden beleuchtet, Fehleinschätzungen untersucht, denen wir alle unterliegen können; vielleicht vermögen wir auf erstem Blick den Schatz im tauben Gestein nicht zu erfassen – andere Bücher Olvedis handeln von der leichter zugänglichen Gegenwart, arbeiten mit westlichen Protagonisten, in die wir uns geschmeidiger hineinfühlen können: nichtsdestotrotz findet sich in kaum einem ihrer anderen Werke solch hochkarätige Kollektion an Karfunkeln (oder doch: jedes ihrer Bücher ist faszinierend). Zumal Olvedi eine höchst reiche Zeit schildert: voller Tempel, meditierender Mönche in Klöstern, religiös authentischer Schriften. Eine Epoche, in der spirituelle Tugenden als erstrebenswert gelten, das „einfache Volk“ ob der Segnungen von echten Lamas und Yogis Bescheid weiß und diese aufgrund der dicht gewebten spirituellen Netze auch zu unterscheiden vermag von Scharlatanen oder den geistigen Kräften weniger hoher Würdenträger. Sehnsucht könnte einen packen, denkt man an die Gegenwart, in der nur der Zellophanschein der Verpackungen zählt. Doch – was uns Olvedi vielleicht auch sagt mit diesem Roman: der tantrische Weg nimmt die Gegebenheiten an. Wir können/müssen gerade in einer geistlosen Zeit Spiritualität unverbraucht und mutig wiedererlernen.
Der vorliegende Roman Olvedis erinnert an einen Stollen tief unter dem schweren Gebirge der trostlosen Gegenwart gebaut: durch den wir schlussendlich auf unser inneres Tal der Yoginis treffen, diesen Ort von innerer Schönheit, Weisheit und Tugend, wenn wir voll Vertrauen wahrhaft bereit dazu sid …

Manfred Stangl


Genre: Roman
Illustrated by Arkana

Tagtraumnotizen

Sicher eines der schönsten der zahlreichen Bücher des Autors. Und eines der persönlichsten. Die Kindheit im Mühlviertel wird geschildert, die Beziehung zu den Eltern, zu einer brachialen „Nazi“-Erzieherin, zu den religiösen Bräuchen am Land.
Gewohnt kritisch sieht Wiplinger die Vorgänge in seiner Heimat. Beschreibt rigide Erziehungsmuster, die schon traumatisierend wirken können, und einen lebenslangen Prozess zu verarbeiten und zu wachsen. Wiplingers menschliche Reife sowie sein feines Sprachgefühl scheinen offenkundig durch bei Aussagen über seinen Vater: „und er sagte darauf völlig hilflos und wieder einmal darüber sehr traurig, daß er mich eben nicht verstand was ihm auch schmerzlich bewußt war aber ich muß dich doch verstehen du bist doch mein sohn worauf ich ihm antwortete vater das ja aber mehr auch schon nicht du weißt doch überhaupt nicht wer ich bin ich weiß ja selbst noch nicht wer ich überhaupt bin“. Der Verzicht auf Interpunktion im Buch ist nicht der modernistischen Attitüde geschuldet, vielmehr trägt er zur sogartigen Wirkung des Textes bei, die sowohl der persönlichen als auch der politischen Kritik ziemliche Intensität verleiht…
Der Tod spielt eine wesentliche Rolle: der Unfall eines Bruders, das Ableben der Eltern, das still liebevolle Verständnis am Sterbebett der Mutter, das Ertrinken der Flüchtlinge im Mittelmeer – gekonnt spannt Wiplinger weite Bögen aus der vom Nationalsozialismus und rigidem Katholizismus geprägten Kindheit bis zur Gegenwart – immer wieder blitzt Respekt vor den Altvorderen auf, etwa wo beim Gestapoverhör der Vater sich nur durch Klugheit seiner Verhaftung entziehen konnte. Schwer wiegt die Anklage des engagierten Autors, was die stets rigider werdende Flüchtlingspolitik der Regierung betrifft, die Hetze des Boulevards, die Unmenschlichkeit rechter Recken: „nicht die millionen flüchtlinge brauchen schutz nein unsere heimat braucht schutz einen heimatschutz meint er und sein outfit ist topmodisch“.
Sehr deutlich auch die Kritik am europäischen Wohlstandsmodell, das auf der Ausbeutung ausgesourcter BilliglohnarbeiterInnen beruht; und wieder eine zutiefst menschliche und zugleich kluge Reflexion des Heimatbegriffs bezüglich der Flüchtlingskrise: „diesen armen Menschen helfen ein wenig etwas abgeben von unserer heimat weil das was wir abgeben und mit ihnen teilen ja gar nichts ist im vergleich zu dem was sie verloren haben weil uns in unserem leben nichts wirklich fehlt weil wir genug an heimat haben sodaß wir vieles auch mit anderen die keine heimat mehr haben doch teilen könnten“, zumal das Gedudel über Heimat bloß zudecke, wie unsere Heimat irreparabel beschädigt wird, vom Landschaftsbild bis zur Architektur und der Lebenskultur – diese durch massenmedialen Schwachsinn.

Bemerkenswert Wiplingers Haltung zu Gefühlen generell, die heutzutage ja als überholt bis bestenfalls permanent vom Intellekt zu sanierende Dauerbaustelle gelten: „und ich höre den gesang eines fremden mir zu herzen gehenden liedes lasse mir den text übersetzen stimme mich ein in das lied und in mich selber in die tiefe meiner gefühle in etwas das zu herzen geht und nicht irgendwo oben hängt in dem gestrüpp das man verstand nennt…“.
Im zweiten schmäleren Teil des Buches lesen wir die „Venezianischen Notizen“, Wiplingers Beschäftigung mit seiner Lieblingsstadt zwischen Tourismus und (Kunst-)Geschichte. Woraus ich, weils so exakt zum Thema dieser Pappelblatt-Ausgabe passt, folgende Stelle zitieren möchte: „von zeit zu zeit in eine kirche eintreten und dort eine längere zeit verweilen sich niedersetzen in eine bankreihe vielleicht hinten auf einem platz nichts denken nichts reden nichts wollen nirgendwohin streben nein einfach nur dasein nur schauen oder dann auch einmal die augen schließen vielleicht gibt es leise musik oder eben nichts außer stille sich dieser stille hingeben sich hineinversenken in sie versinken in dieser stille ankommen in dieser stille länger als nur für einen augenblick verweilen in einer stille in dir die botschaft der stille hören aufnehmen in dich diese wortlose sprachlose lautlose botschaft bereitwillig aufnehmen in dich“

Manfred Stangl

Peter Paul Wiplinger: „Tagtraumnotizen“, Wien 2o16, Löcker, 18oS, Tb, ISBN: 978-3-854o9-678-8


Genre: Erfahrungen
Illustrated by Löcker Wien

Die innere Stimme

Christian FelberChristian Felber legt mit diesem Buch ein überzeugendes Dokument seiner Verwurzelung in der lebendigen Erde vor. Er outet sich sehr bedacht als spirituell inspirierter Mensch, dessen Wurzeln Inspiration aus der tiefenökologischen Betrachtungsweise der Erde ziehen. Eine Haltung, die Erde und alle Wesen auf ihr als lebendig, mit Seele versehen erkennt und daher ein tiefes Verständnis von Ökologie, von den Zusammenhängen des Lebens auf der Erde erweckt.
Der Verfasser der „Gemeinwohlökonomie“ und Mit-Begründer von Attac Österreich, den der wirtschaftspolitisch Interessierte aus zahlreichen präzisen Diskussionsbeiträgen in den Medien kennt, überrascht mit „Die innere Stimme“ durch die Direktheit, mit der er sich zu spirituellen Erfahrungen bekennt und der Klarheit, mit der sie ihm auf seinem (politischen) Weg helfen. Damit liegt ein Werk vor, das höchst notwendig einen Zusammenhang von spirituellen Einsichten und ökonomisch-ökologische Konsequenzen im Denken und Handeln darlegt. Wobei der Autor nicht darauf hinzuweisen vergisst, dass alleine schon die ethische Haltung (ohne spirituelle Fundierung) ausreicht, ökologisch und verantwortlich zu handeln. Umso schöner, wie Felber seine Verbundenheit mit der Natur, mit Mutter Erde, mit den Wesen auf ihr streckenweise poetisch zum Ausdruck bringt. Ein Buch, das alle spirituell Interessierten lesen können, um wenn sie wollen, ökologische Verantwortung daraus abzuleiten.
Gerade an ein, zwei Stellen läuft der Text Gefahr, missverständlich interpretiert zu werden. Etwa wo es um die „permanente kreative individuelle Selbsterschaffung“ geht: Felber meint damit, dass wir uns weiterentwickeln können und sollen, der narzisstisch angehauchte Esoteriker könnte aber (wie der Zeitgeistbobo) an die permanente Selbsterfindung erinnert sein – ans ständige Neuerschaffen eines Images, eines Selbstbildes, das an Stelle eines wahren Selbst tritt. Wer Felbers Buch liest, begreift aber rasch, dass es dem Autor um echte Weiterentwicklung geht (und damit auch ökologisches Interesse), und nicht um Selbstdarstellung, also die Projektion beliebiger Bilder in die Welt, um sich selbst oder ein Produkt zu verkaufen. Felber kennt die Qualitäten der Stille, der Meditation in der Natur, die Kraft des Tanzes – das Hören nach Innen.
Diese Erfahrungen (die er nicht scheut mystisch zu nennen) lassen ihn so großartige Sätze formulieren wie, dass spirituelle Anbindung zu einer Hochzeit von Freiheit, Menschenwürde und Gemeinwohl führt. An anderer Stelle spricht er von TTIP als Handelsdiktatur. Geld ist nur ein Mittel, nicht der Zweck des Lebens: daraus resultiert seine fundierte Kapitalismuskritik, wie sie in der Gemeinwohlökonomie zu studieren ist. Spiritualität als Basis hilft, nicht fanatisch zu werden, sondern stets an die Anbindung ans Leben, die Erde, das Mitgefühl zu denken, und nicht zu Erstarren (weder in religiösen noch in ideologischen Vorschriften).
Vielleicht noch besteht die Gefahr, dass generell die „innere Stimme“ mit dem „inneren Zensor“ verwechselt wird – einer Stimme, die permanent von innen ins Ohr plärrt, was richtig und falsch ist (scheint) und wie man/frau sich am günstigsten selbst darstellt. Diese Stimme ist der Ausdruck narzisstischen Denkens, das streng kontrollierend und zensierend wirkt und mit der inneren Stimme Felbers gar nichts gemein hat, die mitfühlend und durchs Herzen spricht – oft auch durch die Stille. Die innere Stimme erschließt sich nicht durch das Denken, sondern durchs Spüren, teilt er uns mit und erklärt die innere Stimme als vom Denken weitgehend unabhängig – Felber formuliert erhellend: „Der kognitive Denkprozess sagt uns über unseren wahren Zustand, über unsere innere und innerste Befindlichkeit ungefähr so viel wie die Aktienkurse über das Gemeinwohl.“

Christian Felber: „Die innere Stimme – wie Spiritualität, Freiheit und Gemeinwohl zusammenhängen“, Publik-Forum, 2o15


Genre: Esoterik und Grenzwissenschaften, Spiritualität
Illustrated by Publik-Forum

Gemeinwohlökonomie

Das Werk stellt im essentiellen Sinn gesellschaftliche Verhältnisse „vom Kopf auf die Füße“. Nicht weiter soll die pure Zunahme von finanziellen Mitteln den Reichtum einer Gesellschaft anzeigen, sondern Geld wird zum Mittel, ein Mehr an Freiheit, Lebensglück, Sinnhaftigkeit und Solidarität zu erlangen. Der Unfug, dass im wirtschaftlichen Bereich entgegengesetzte Werte herrschen als wir uns in privaten Beziehungen wünschen – nämlich Konkurrenz und Übervorteilung statt Zusammenhalten, Teilen und Vertrauen – soll menschlichkeitsstiftend beendet werden.
Gefordert wird demgemäß das Umstellen der Finanzbilanz von Unternehmen auf eine Gemeinwohl-Bilanz. Je sozialer, demokratischer, ökologischer, solidarischer Unternehmen handeln, desto mehr Punkte in der Gemeinwohlbilanz erlangen sie. (Und kommen damit in den Genuss von Förderungen und Krediten sowie das Vertrauen der KundInnen). Auf der volkswirtschaftlichen Ebene wird das BIP durch das Gemeinwohl-Produkt abgelöst.

Felber verortet dieses System in die Marktwirtschaft (aber keine kapitalistische), da ja private Unternehmen nicht durch staatliche ersetzt werden sollen, sondern deren Zielsetzung durch Interventionen wie Förderungen zu solidarischem, nachhaltigem, natur- und menschenfreundlichem Verhalten umgepolt wird.
Die Mehrzahl der (gerade heimischen Unternehmen) stelle ohnehin keine gr
oße Bedrohung für Demokratie und Menschlichkeit dar, die augenfällige Machtkonzentration der Multis und Großbanken würde aber gerecht beschnitten.
Die Börsen bzw. das Finanzkasino zu schließen beendet ebenso wie Abschaffung von Zins und Aktionärs-Dividende die alleinige Fokussierung aufs Geldmachen. Betriebe können beim Format ihrer optimalen Größe verbleiben, statt unbedingt wachsen zu müssen, um Kreditschuld und Konkurrenzdruck standzuhalten. Die horrenden Einkommensunterschiede sollen gerechteren Verhältnissen weichen, in dem kein Manager beispielsweise mehr als das Zehnfache des gesetzlichen Mindestlohns verdient. Das Erbrecht wird dahingehend reformiert, dass eine „demokratische Mitgift“ gleiche Chancen für alle ins Erwerbsleben Einsteigenden schafft. Das verhindert die Zuspitzung feudaler Verhältnisse, wo die 3 % der Reichsten, die 8o % des Vermögens besitzen, vermittels ihrer Kinder Geldkonzentrationen in undemokratischen Ausmaßen produzieren. Ab einer gewissen Betriebsgröße gehen zudem Firmenanteile an Mitarbeiter über und ebenso Mitspracherechte. Es ist nicht einzusehen, warum das gerade heute so eifrig beschworene Prinzip der Demokratie nicht innerhalb des Alltags im täglichen Arbeitsprozess gilt, wo wir grad alle 5 Jahre einmal eine Regierung wählen dürfen. Felber schlägt dementsprechend umfangreiche Reformen hin zu einer direkten Demokratie vor.

Eine demokratische Bank gewährleistet zinsenfreie Kredite an Gemeinwohlunternehmen, die ökologische, nachhaltige und soziale Projekte initiieren; auf internationaler Ebene ist der Globo oder Terra Garant für ein funktionierendes, den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr regelndes Zahlungsmittel, das durch Regionalwährungen zur Ankurbelung lokaler Projekte ergänzt wird. Spareinlagen werden garantiert, nicht nur weil es krisenanfällige und Dilemmata auslösende Finanzmärkte in der heutigen Form nicht mehr gibt.

Ich finde, dass Felber zum revolutionären, visionären Entwurf einer gerechteren Zukunft unverhohlen konkret auch die Schwierigkeiten bei der Umsetzung benennt.

Die meisten von uns sind extrinsisch motiviert: d.h. sie besitzen wenig Selbstwertgefühl, sind kaum durch innere Sinnhaftigkeit und Freude angespornt sondern bloß durch von der Gesellschaft oktroyierte (Un-)Werte. Bessersein, erfolgreich, einzigartig, besonders sein heißen die „Werte“ einer Kultur, die auf geringem Selbstwahrnehmungsgefühl, auf keinerlei Urvertrauen basiert. Ich schrieb an anderer Stelle, dass eine Gesellschaft, die selbstbestimmte Menschen verhindert, uns leicht allerlei Unsinn einreden kann, der fürs angebliche Glück benötigt wird. Zur Selbstbestimmung zählen meiner Ansicht nach neben dem Vorhandensein des Urvertrauens, eine hohe inter- und intrapersonale Intelligenz und Empathie. Felber wiederrum fordert eine Bildungserweiterung, bei der Kinder den Wert von Emotionen lernen, solidarisches Handeln, Kooperation, das Annehmen des eigenen Körpers und die Liebe zur Natur. Gerade die am gierigsten sich an äußern Werten wie materiellen Reichtum und Ansehen klammernden sind oft die unglücklichsten Menschen. Ihr Weltbild sich diktieren zu lassen stürzt die Mehrheit ins Unglück und zerstört Natur und Planeten. Warum sollen wir ihnen in den Abgrund folgen?

Die Stärke der Gemeinwohlökonomie liegt darin, dass sie keine realitätsfremde Utopie darstellt, sondern jeder einzelne zu ihrer Umsetzung beitragen kann, sei es als verantwortungsvoller Konsument, der fair gehandelte ökologische Produkte kauft und frägt, ob der Betrieb eine Gemeinwohlbilanz erstellt oder als Initiator von Gemeinwohlunternehmen, wie sie bereits in beachtenswerter Menge existieren. Wir brauchen nicht auf das Subjekt der Geschichte warten, wie es Marx in der Arbeiterklasse vermutete – quer durch alle Gesellschaftsschichten finden sich Unterstützer und Akteure der Gemeinwohlökonomie. Die Schwierigkeit wird wohl dennoch darin liegen, die narzisstische Psyche, die in unseren Breiten herrscht, soweit mit Mitgefühl und Leben zu erfüllen, dass Gerechtigkeit, Einfühlungsvermögen und Solidarität, nach dem Werteverlust durch die Postmoderne, wieder zu anstrebenswerten Inhalten erhoben werden. Nur so können Ich-Sucht, Gier und Neid von uns abgeschüttelt werden – möglicherweise erst nach einer – alle betreffenden – absehbaren Krise (der Wirtschaft wie der Umwelt).


Genre: Sachbuch
Illustrated by Deuticke Wien

New Cage

Ein in jeder Hinsicht wichtiges Buch! Ich möchte diese Rezension nicht weniger derb beginnen, weil „New Cage“ sowohl zur Lektüre jedes spirituell Interessierten als auch des chronischen Kritikers jeglicher Esoterik zählen sollte.

Die Krux am gesellschaftlichen Diskurs ist doch, dass es über „Esoterik“ keinen gibt. Die Linke hat mit diesem garstigen Thema gar nichts am brennenden Hut – ist einfach außer jeder Kritik; die Konservativen wollen keine Konkurrenz durch Diskussion salonfähig machen; eingefleischte Atheisten scheinen sich wie der Teufel vorm Weihwasser zu fürchten.
Daher ist die Unternehmung Johannes Fischlers aufs äußerste zu begrüßen. Er schafft eine wertvolle Basis für einen fundierten Diskurs, der unerlässlich sein sollte, vor allem wenn man davon ausgeht, dass eine Grundannahme des Autors stimmt. Nämlich, dass die Esoterik bereits mitten in der Gesellschaft angekommen sei. Mit zahlreichen Beispielen belegt er diese These – etwa würden Schulklassen auf Esoterikfachmessen gekarrt, um Kinderenergiearbeit (und Kinderschutzengelkommunikation) kennenzulernen. Das WiFi fördert Kurse, in denen man/frau sich nach „Kryon“-Ausbildungskonzepten zum Energie-, schlimmer noch: Lichtarbeiter umschulen lassen kann. Und Geistheiler kann man durch staatliche Legitimation werden, wenn man den entsprechenden Gewerbeschein der österreichischen Wirtschaft ersteht.

Kein esoterisch denkender/glaubender Mensch kommt ohne Engelsprays oder Engelkarten (die oftmals im Set feilgeboten werden) oder allerlei anderen Tand aus, was zu einer zweiten Hypothese des Autors führt: dass die esoterische Spiritualität 2.0 vor allem eine riesige Geschäftemacherei im Sinne gewiefter Werbe-Strategen sei.
Den Kunden – die heute nicht in Sekten organisiert sind, sondern in Onlineforen bzw. -gruppen Lehr-CDs und Engelsprays bestellen können – werden von ihren Geschäftsmeistern Aufträge mitgegeben, die Welt ins Licht zu führen, Planentenarbeiter zu werden, die Energie der Erde anzuheben etc. – so kaufen sie gern im Bewusstsein ihrer Wichtigkeit: missionieren sowie verkaufen in einem Atemzug. Fischler stellt recht klare Bezüge zur Konsumwelt her, in der der Trend zur Super-Marke, zum Mega-Brand unübersehbar ist, der zugleich den Konsumenten zum Spezialisten und Kenner (etwa der feinsten neuen Kaffeekapseldüfte) erhöht. Ähnlich funktioniert das Geschäft mit der Esoterik: jeder Lichtarbeiter kann sich eingeweiht schätzen und damit auch noch Geld verdienen (versuchen). Ich verstehe diesen Drang aus einer entfremdeten Arbeitswelt aussteigen zu wollen und auf einer Ebene zu arbeiten, in der das eigene Heil, Gesundheit, Glück erreichbar scheinen und gleichzeitig der Lebensunterhalt zu bestreiten ist. Leider aber werden damit zahlreiche ehrlich Sich-Bemühende zu Opfern, die gleichzeitig als Täter fungieren. Sie führen nicht ins, sondern hinters Licht. Fischler unterscheidet in seinem Werk zwischen spirituellen Methoden wie Meditation, Yoga, Chi Gong und Konsumesoterik. Er bestätigt das Bedürfnis in einer entindividualisierenden und entseelenden Zeit nach Identität und Erfüllung zu suchen: Sehr deutlich lässt er uns wissen, wie dieses Bedürfnis gerade in der Esoterik 2.0 korrumpiert, manipuliert und ins Gegenteil verkehrt wird.

Fischler spricht von der Re-sakralisierung der Welt in Folge der eher agnostischen Jahrzehnte der Vergangenheit. Doch Spiritualität, die zu Luxusartikeln verkam, die der auf Markenprodukte geeichte Konsument noch zu seinem Image hinzufügt, um ein bezauberndes Ich in die Welt zu stellen – damit hat Spiritualität, die nicht auf Schein und Selbstinszenierung abzielt, sondern auf psychisches/seelisches Wachstum nichts gemein. Fischler arbeitet einen Effekt heraus, der tiefer ins Elend, statt zur Befreiung führt: je massiver sich der Eso-Suchende mit scheinspirituellem Tand umgibt, desto schneller muss er sich nach weiteren Dingen umsehen, damit die scheinbare Wirkung nicht verfliegt, der Engelsduft sich nicht verflüchtigt. Damit gerät der Eso-Konsument (der aber als Lichtarbeiter ja gleichzeitig heilige Tupperware verhökert) in eine Teufelsspirale. Einerseits mag diese ihn in den Abgrund der materiellen Verelendung reißen (wenn alles Geld für diverse unmöglichen Quacksalber-Produkte und Kurse verpulvert wurde), anderseits kommt`s möglicherweise bald auch psychisch zum Burnout. Um nichts von der wirklichen Welt in sein Denken einzulassen, muss der Engel-, Planeten- und Allarbeiter ständig nach neuen Angeboten der sakralen Konsumwelt suchen, um seine Scheinidentität aufrechtzuerhalten. Er benötigt zunehmend schneller frische „Systeme“, um Praktisches, Lebenswichtiges und Notwendiges sowie seine eigenen Zweifel und Ängste zu verdrängen. Das schafft eine weit abgehobene Persönlichkeit (die im Zeitalter des Narzissmus noch nicht sonderlich auffallen würde), vor allem aber eine Psyche, die vermittels sämtlicher aus der Psychoanalyse bekannten Abwehrmechanismen Realität derart verleugnet, dass letztlich der Feind im Außen gleichermaßen an Gewaltigkeit zunimmt, wie eigene unerwünschte Impulse verdrängt werden müssen. Anzunehmen ist auch, dass nicht alles so läuft, wie es der Glücksarbeiter gern hätte und dem (teuflischen/dämonischen) Außen dafür Schuld gegeben werden muss. Hier zeichnet sich eine politisch äußerst gefährliche Entwicklung ab, die nur im ernsthaften und bemühten Diskurs aller mit Vernunft Ausgezeichneten und mit einem liebevollen Herz Begnadeten abgewendet werden kann.

Nicht zustimmen vermag ich des Autors Rekurs auf überholte Entwicklungsmodelle des Ich-Konzepts, wie sie uns reduktionistische Wissenschaft einreden will. Eine spirituelle Psyche ist keineswegs eine regredierte, Fischler (ver)mag nicht im Sinne Ken Wilbers zwischen prä- und transpersonalen Entwicklungen zu unterscheiden. Für den Eso-Narzissten gilt jedoch leider sehr wohl, dass nicht reifere Ich-Strukturen aufgebaut werden, sondern eine Schein-Identität von Besonderheit, Spiritualität, Einzigartigkeit die innere Leere übertüncht. (Was für den Narzissten, der wissenschaftlich tätig ist, ebenso gilt; Spiritualität ist halt dann durch den Allmachtglauben der Wissenschaft ersetzt). Der Mystiker weiß aber, dass jenseits des abgeschotteten, isolierten Modernen-Ich eine Dimension der Erfahrung existiert, die sein Dasein unendlich bereichert. Der Mystiker weiß allerdings auch, dass Engel selten zum Menschen sprechen – und wenn, dass ihn diese Erfahrung bis ins Mark erschüttert, und die infantilisierten Engel des Eso-Betriebs, die eher wie Heinzelmännchen wirken, die man auf astraler Ebene für sich schuften lassen will, schon gar nichts damit gemein haben. Den Irrglauben beständig Botschaften aus dem Himmelreich, anderen Planeten, anderen Dimensionen channeln zu können/müssen, sollte wirklich schleunigst ein heiliger Riegel vorgeschoben werden. In Engelsprays sind keine Engel zerstampft oder destilliert, Engelsalben aus Energie gibt’s nicht, und allerlei anderer Unsinn wäre einfach mit dem Begriff der Quacksalberei aus den Verkaufsregalen der Drogeriemärkte zu verbannen.

Traurig ebenfalls, dass heute Kinder als Partnerersatz missbraucht werden (lt. Winterhoff u.a.). Furchtbar, wenn sie zu Indigo- oder Kristallkindern stilisiert werden, womit man ihnen eine normale Kindheit raubt, weil man sie auf ihre besondere Rolle vorbereitet (die auch auf die Eltern zumindest violett abfärbt), sie damit jedoch hundertprozentig ins narzisstische Größenselbst und in egomanische Allmachtphantasien treibt. Natürlich passiert das jenseits esoterischer Familien (Mütter) ebenfalls – dies vergisst Fischler nicht zu erwähnen.

Kontraproduktiv scheint mir einzig die Einleitung des Buchs, die von einem der Science Busters verfasst wurde: Er versucht Spiritualität insgesamt zu diskreditieren. Diese sei eingebildet und überheblich, während Wissenschaft Segnungen wie das Fernsehen und Handys hervorgebracht habe. Als Beweis für die Richtigkeit und Allgültigkeit der Wissenschaften nennt er die Lebenserwartung eines heute Geborenen von 100 Jahren im Vergleich zu jener vor 15o Jahren, die bei 35 gelegen habe. Ich denk, dieser aus dem Hut gezauberte Zahlentrick belegt zur Genüge, wie arrogant und kreativ Wissenschaft mit der Wahrheit umgeht: In den USA nimmt die Lebenserwartung aufgrund der ungesunden Lebensweise und der zerstörten Umwelt bereits wieder ab; in Europa wird sie hauptsächlich deshalb höher, weil die Kindersterblichkeit abnahm (wäre eine eigene Diskussion, ob wegen Impfungen oder sonstigen Gründen), außerdem starb wohl die Generation schon fast aus, die zahlreiche Vertreter im 1. oder 2. Weltkrieg verlor. Zudem liegt die Lebenserwartung in manchen afrikanischen Ländern nun bei unter 35 Jahren, da die Ausbeutung durch Fischereikonzerne der langlebenden Welt und Landgrabbing und diverse andere Ungerechtigkeiten das eben bewirken.

Man könnte auch sagen: Wir fressen denen dort drunten das Fleisch von den Knochen – aber verfettet lebt man auch nicht lange – siehe oben: USA… Und wer heute als 8o-Jähriger stirbt, verbrachte wahrscheinlich die letzten zehn Jahre sediert im Altersheim: welch Sinnbild für unsere moderne wissenschaftlich so fortschrittliche Welt.


Genre: Sachbuch
Illustrated by Molden

Schweres Gift

Der zweite Krimi des Autors weist eine ähnlich hohe Qualität wie der vielbeachtete Debütroman (Kreuzigers Tod) auf.
Ein Mord in der Wiener Musikszene verschafft dem Leser einen schimmernden Eindruck des Wiener Lokalkolorits. Dabei gelingen Oberdorfer bei Gesprächen der Figuren über Musik (von klassischer bis in die Gegenwart) spektakuläre Sequenzen. Die anspruchsvolle Charakterisierung der unterschiedlichen Personen der Handlung gewährt tiefe Einblicke in die menschliche Psyche. Speziell beim „Schlussmonolog“ des/der trickreich überführten Mörders/Mörderin (genaues soll ja nicht verraten werden) leuchtet Oberdorfer stimmig düstere Winkel der menschlichen Seele aus. Zudem erhellt kritisches Licht die abgründigen Seiten einer städtischen Oberschicht. Pervertierungen, Komplotte innerhalb des Beamtenapparats, Korruption und Manipulationen der Öffentlichkeit werden höchst glaubwürdig zum spannenden Teil der facettenreichen Handlung.

Mit „Schweres Gift“ legt Oberdorfer ein hochwertig geschriebenes Stück Literatur vor, die durchs Korsett des Krimis fast zu eng geschnürt scheint. Oder positiv formuliert: die literarische Sprache des Autors sprengt den engen Rahmen eines Krimis, was bei dem einen oder anderen Leser vielleicht zu Irritationen führen mag.
Einer Leserschaft, die qualitätsvolle Krimis schätzt, ist der Roman aber ausdrücklich zu empfehlen.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

Buddhas Kinder

Olvedi eröffnet mit diesem Buch interessante Einblicke ins monastische Leben exiltibetischer Klöster. Speziell der Alltag der Novizen wird beleuchtet, dabei stets auch kritisch hinterfragt.

Ungemein spannend ist des Weiteren Olvedis Charakteristik der tibetischen Medizin. Und gänzlich unglaublich liest sich die Begegnung mit einem Schamanen, den sie bei einer Heilungszeremonie beobachtet, wobei das Ergebnis der gelungenen Behandlung medizinisch überprüft wurde. Selbst Einblicke ins tibetische Totenbuch (und in eine berührende, auf die Wiedergeburt hingewendete Begräbniszeremonie) werden uns gewährt.

Erfreut erkennt der Leser Begebenheiten wieder, die Olvedi in ihren Büchern einarbeitete. Klar und schön spiegeln sich in „Buddhas Kinder“ die Quellen, aus denen die Romane der Meister-Autorin fließen. Auch die Herkunft des fundierten spirituellen Wissens wird fassbar, wenn sie von den großen buddhistischen Lamas unserer Zeit erzählt, bei denen sie studierte. Reich und prächtig bebildert ist dieses Buch ein Muss für jeden, den die mystischen Welten aus Olvedis belletristischem Werk faszinieren.

Naturgemäß nicht unproblematisch stellt sich die Schilderung des Klosterlebens der Kinder dar. Viele werden aus purer Armut von den Eltern „abgegeben“, anderen soll die umfassende Ausbildung im Kloster eine bessere Zukunft sichern. Nun scheint das Leben im exiltibetischen Kloster nicht vergleichbar mit den oft bösen Erfahrungen in katholischen Internaten. Disziplinär nötige Strenge wird durch die Weisheit der buddhistischen Lehrer abgemildert. Und Selbst-Disziplin stellt eine Tugend auf dem buddhistischen Pfad zur Erleuchtung dar. Klosterkinder spielen gern Fußball – vieles ist nicht ausdrücklich erlaubt, aber genauso wenig speziell verboten. Musik und Tanz zählen zu den Lehrinhalten der umfassenden spirituellen Tradition. Es scheint, als verstünden die erziehenden Mönche stets aufs Neue, die Balance zwischen nötiger Anleitung und dem Zulassen kindlicher Lebensenergie zu finden.

Ein Novize – Patenkind Olvedis – wendet sich an westliche Jugendliche. Er wirbt fürs Klosterleben, das ihm Halt, Sicherheit, Ausbildung und eine würdige Zukunft schenkt. Mönchen wird in buddhistischen Ländern hoher Respekt gezollt, und sie sind bei allerhand Zeremonien unerlässlich. Doch keines der Kinder ist gezwungen, nach seiner Zeit im Kloster, lebenslang Mönch zu bleiben.

Olvedi stellt den Buddhismus als philosophisch-psychologisches System dar, an das man nicht glauben muss bzw. soll, sondern das man nur mittels (Meditations-)Praxis sich erschließen kann. Den Unterschied zwischen Wiedergeburts-Überzeugung und Auferstehungsreligion erläutert sie präzise. Karma hat nichts mit Strafe zu tun, sondern mit den Chancen, aus den Fehlern voriger Leben zu lernen.

Dem Leben der Nonnen wird Olvedis besondere Aufmerksamkeit zuteil, (wie auch in ihren Romanen). Im Exil in Nepal und Indien zeigt der tibetische Buddhismus (der Vajrayana), weniger patriarchale Züge. Olvedi unterstützt die Entwicklung der Nonnen, wo sie nur kann, gerade natürlich im eigenen Verein, der sich zur Aufgabe machte, Klöster im Exil zu fördern.


Genre: Erfahrungen
Illustrated by Nymphenburger

Positionen 1960-2012

Mit den „Positionen“ legt P.P. Wiplinger ein umfangreiches Werk vor, das sein schriftstellerisches Schaffen auf stimmige Art ergänzt. Er, der immer das Leben vor das Schreiben setzte, bzw. das Engagement vor die pure Kunst, lässt uns darin an seinem Briefverkehr mit zahlreichen Persönlichkeiten aus der österreichisch und internationalen Kulturlandschaft ebenso teilhaben, wie an kritischer und kämpferischer Korrespondenz mit diversen Amtspersonen. Zudem ist das Buch gespickt mit Essay, Referaten und Reden, gehalten zu nachlesenswerten Anlässen, verfasst alskulturpolitische Statements.

Die Briefform liegt Wiplinger literarisch. Seine direkte Art Dinge anzusprechen, dabei lebendig und poetisch bildhaft sein zu können, zählt zu den Qualitäten des Buchs. Schon 196o, also in einem der ersten der Briefe (an Melitta Mühlborn), postuliert er, daß Briefe eine Weise seien, die Persönlichkeit, das Denken mit jemandem zu teilen. „Jeder Brief ist ein Teil, ich möchte sagen: ein Spiegelbild unserer Persönlichkeit“.

Bevor ich auf das Werk näher eingehe, eine grundsätzliche Äußerung: eingedenk der schnellebigen Postmoderne, in der Information zur Ware verflacht wird, da in der rasenden Selbstüberholung der Berichterstattung das Vergessen bereits begründet liegt, fällt„Positionen 196o – 2012“ unter die zeitgeschichtlichen Dokumente. Fragen, die uns heute bewegen sind früh von Wiplinger in die Rinde des Baums der Ereignisse eingeritzt, und wir können anhand des Wachstums knorrige Auswüchse und Verzerrungen deutlich ablesen. Für den an Geschichte, Politik, Literaturgeschichte Interessierten ein wertvolles Nachschlagewerk, das tatsächlich aufgrund des umfangreichen gelungenen Indexes auch dementsprechend zu verwenden ist. Vollständige Themenbereiche freilich erschließen sich aufgrund der gewählten Form eher selten –will man Wiplingers Konflikt mit dem Österreichischen PEN Club verstehen, muss man wohl andere Quellen zurate ziehen. Selbiges gilt für ähnlich komplexe Themen, allerdings mögen die „Positionen“ als Einstiegsdroge gelesen werden, die Sucht auf mehr Wiplinger auslösen kann. Seine „Lebenswege“, dutzende andere Werke liegen ja vor, die quer zu den Briefen gelesen tiefe Einblicke in sein Denken sowie in kulturelle (Fehl-) Entwicklungen gewähren.

Immer wieder beeindruckt sein Anschreiben gegen den Braunen Sumpf in Österreich, ob er gegen fragwürdige Bürgermeister, FPÖ Politiker und/oder Holocaust Verharmloser ins Feld zieht. Seine Schriften entbehren jedoch herzhaft-kräftig der modern typischen Negativverliebtheit. Sein aufmunternder Ton lässt sich gut heraushören in einem Brief an die (ja erst kürzlich verstorbene) Ceija Stojka, als er ihr 1995mitteilt, „dass Sie sich, liebe Ceija Stojka, sowohl durch Ihre beiden Bücher literarisch, aber vor allem durch Ihr engagiertes öffentliches Eintreten für die Menschenrechte und die humanistischen Grundprinzipien und Ihr mutiges Auftreten gegen jede Art von Rassismus und Intoleranz für eine Mitgliedschaft […] qualifiziert haben.“ Und auch persönlich drückt Wiplinger seine Freude über einen möglichen Beitritt der Roma-Autorin zum PEN-Club aus.

Wunderschön klingt in einem Statement das grundhumane Selbstverständnis Wiplingers an (im Brief 2o12 an Dr. Johanna Agreiter): „Und die Rebellion war meine Dynamik, die mich getrieben hat. Veränderung wollte und will ich noch immer, nicht endlose Erklärungen […] Eines hat man aber trotz aller individuellen inakzeptablen Gegenpositionen jedem Menschen nicht nur zu schulden, sondern aktiv zu erweisen, nämlich Respekt; Respekt auch vor dem Andersdenkenden und dem Anderssein. … Dagegen schreie und schreibe ich mein ganzes Leben schon an: gegen diese Intoleranz, gegen diese Überheblichkeit, gegen dieses Sich-selbst-zum-Richter-Machen. Das geht einfach nicht! Liebe und Zuneigung überschreiten Grenzen, Grenzziehungen (die einen sowieso nur in das eigene Ghetto einsperren). Empathie sollte, nein muss unbedingt über Grenzen hinweg ausgebreitet und wirksam sein; sonst leben wir in einer von uns selbst enthumanisierten, zerstörten Welt.“

In einem frühen Brief Wiplingers ist der zackige Aufmarsch von Veteranen, die Gefallene aus den Kriegen zu ehren gedenken, nicht vergessen, wobei seine Wut betreffs des „Deserteurthemas“ saftig aufblitzt und das Dunkel erhellt: „Ein Jägerstätter, wegen Wehrdienstverweigerung zum Tod verurteilt und hingerichtet, hat mehr für die Heimat getan als ein ganzes Bataillon Frontsoldaten.“ Nicht dem Vergessen anheimgegeben ist Franz Fuchs, der Attentäter von Oberwart, sind die Tragödien des Bosnienkriegs mit den Massenmorden, ist die leidige Bush-Administration, sind der Fall des Eisernen Vorhangs und Hilfssendungen an Bulgarische Schriftsteller. Fast muss man sich als Rezensent schämen, weil so wenig von dem, was Wiplinger dokumentiert, in der Beschränktheit der Mittel auch nur angerissen werden kann…

Seine Liebe zur Musik sei den „Antworten auf die Fragen der Dissertantin Arletta Szmorhun, 2oo4“ entnommen, da dieseWiplingers skeptische Haltung gegen den Intellektualismus bekunden: „Auch wenn der Autor Camus heißt und einmal ein modisches Zeitgeist-Kultbuch geschrieben hat [bezogen auf „Der Mythos des Sisyphos“] mit dem abertausende Intellektuelle ihren geistigen Existenznachweis, ihre Legitimation zu erbringen versucht und sich dabei selbst entmündigt haben, der Schlusschor der Matthäus-Passion, von Johann Sebastian Bach, oder Mozarts Requiem sind mir näher als alles andere, weil sie mich wirklich zutiefst berühren, weil ihre Botschaft Ewigkeitswert hat und zeitlos gültig ist.“

An anderer Stelle warnt Wiplinger eindringlich vor dem Hineinstürzen in die Emotionen, auch wenn er selbst sie immer wieder suchte. Doch als Ratgeber seien sie oft unzuverlässig.
Wie sein Offener Brief aus dem Bezirksblatt in meinbezirk.at, vom 25.12.2o12 beweist, kämpft P. P. Wiplinger nach wie vor voll herrlicher und gescheiter Emotionalität: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister, waren Sie heute Nacht in der Mette? Hatten Sie mit Ihrer Familie […] einen schönen Heiligen Abend? Naja, sicherlich. Und haben sie eigentlich eine Ahnung (nein, ich glaube nicht), wie es Menschen geht, die aus ihrer Heimat flüchten mussten […] so sie nicht im Meer ersaufen?! […]. Was machen wir (Mühlviertler und andere Österreicher, wir alle eben) mit einem solchen Bürgermeister, der glaubt, derart menschenverachtende Einschätzungen haben zu dürfen und sie noch dazu ganz lässig und verantwortungslos von sich geben und damit manipulativ umgehen zu dürfen? […] Bei Menschenrechtsverletzungen gibt es keine Diskussion, ob richtig oder falsch, so als sei jede Meinung a priori durch die gegebene Meinungsfreiheit schon als richtig anzusehen und legitimiert! Formulierungen inhumaner Inhalte unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit sind somit nicht der beurteilenden Kritik entzogen und sind nichts anderes als die Widerspiegelung einer inhumanen Gesinnung. Menschenrechtsverletzungen sind das, was sie sind, ohne jede langwierige Herumdiskutiererei, Interpretation oder was auch immer. Menschenrechtsverletzungen sind durch nichts und durch niemanden zu relativierende und so zu rechtfertigende Vergehen an Menschen!“ (Auszug aus dem Brief an den Bürgermeister Alfred Hartl, Bad Leonfelden /OÖ)

Manfred Stangl


Genre: Erinnerungen
Illustrated by Löcker Wien

Zanskar und ein Leben mehr

Zanskar, Ort und Kloster tief im tibetanischen Himalaya. Dorthin verschlägt es Dölma auf der Suche nach ihren Wurzeln. Sie wuchs bei Zieheltern in der Schweiz auf, Flüchtlingskind, nie richtig angekommen, auch als Ehefrau nicht oder in der Mutterrolle. Schreiben verschafft ihr ein Stück Heimat entdeckt Dölma, als sie im fremden Geburtsland ihrer Bestimmung folgt und sich einer Nonne anschließt, sodass sie Teil wird der Rituale, Gesänge und Gebete eines buddhistischen Klosters.

Nach zehn Jahren in denen Dölma als verschollen gilt benachrichtigt ein Brief aus Nepal ihre Tochter Pema-Marie, dass die Tagebücher in Kathmandu gefunden wurden. Pema-Marie begibt sich auf eine mannigfache Spurensuche: sie, die Wissenschaftlerin, begegnet einer spirituellen Glaubenswelt, Schamanen, ihrer Vergangenheit, verdrängten und verhärteten Schichten ihrer Psyche.

Facettenreich wie ein Juwel schillern die unterschiedlichen Ebenen des Romans. Gehalten in das Licht der diversen Betrachtungsweisen funkeln spirituelle Erfahrungen auf, glänzende Einblicke in das Wesen der Seele im Westen lebender Menschen, Ahnungen von Weite und Tiefe der Natur und den Räumen buddhistischer Gedankenwelten.

Feinfühlig geht Ulli Olvedi vor, nie schildert sie spirituelle Erlebnisse vordergründig blendend, nie zerrt sie ihre Protagonisten in ein kaltes Licht der akribischen Analyse, welches die Figuren bleich und hässlich aussehen lässt; selbst die typischen Verkorkstheiten Pema-Maries, ihre westlich-starren Denkmuster, die seelischen Verkrustungen beleuchtet die mitfühlende Art der Autorin so, dass Pema in einem sympathischen Licht erscheint.

Auch politisch bezieht der Roman Stellung: die chinesische Herrschaft über Tibet wird massiv angeprangert; und bei aller Klarheit und Schönheit, die das Leben der Nonnen im Kloster Zanskar bestimmt, übersieht die Autorin nicht die paternalistischen Formen des tibetanischen Buddhismus und lässt Dölma über die Freiheit der Frauen im Westen und die Emanzipation dozieren. Geschickt dann zeigt Olvedi anhand der Neurosen und Erstarrungen Pema-Maries, wie wenig wahre geschlechtliche Unabhängigkeit im Westen gelang, wie sehr die Frau vom leistungsfixierten Urteil des Vaters, sowie durch intellektuelle Selbstzensur von ihrem Leben abgeschnitten in ihrem wertenden überkritischen Denken dahinrotiert.

Olvedi zeigt Auswege, lässt ihre Figuren nicht in modernen Ohnmachtsphantasien abstumpfen und versumpfen.
Sie ist so weise, nicht auf alle Fragen willfährig zu antworten: das Konzept der Wiedergeburt beinhaltet die Gefahr, Hierarchien zu rechtfertigen, in die hinein man aus (vor-)bestimmten Gründen inkarniert wird; diesem Thema weicht Olvedi nicht aus… sie reflektiert die Opferbereitschaft der Nonnen, spricht das Für und Wider aus. Letztlich lässt sie einen jungen Rinpoche sagen, dass im Exil starre Strukturen sich zunehmend auflösen. Die Essenz des Inkarnationsgedankens wird ausgesprochen: man sei die Summe aller Wiedergeburten bis dato, es gehe nicht um Strafe oder Schuld, sondern besäße konkret jetzt die Möglichkeit, aus dem Vergangenen zu lernen und sein Leben zu ändern…
Bei all den subtil verpackten essentiellen Aussagen, die Olvedi trifft, ist ihr schriftstellerisches Talent so groß, Predigten von der Kanzel herab vermeiden zu können; nie sind Dialoge zu lang, weil Olvedi mittels ihrer Figuren belehren will, nie wird der Roman trocken oder langatmig. Im Gegenteil: stets zeichnet sie in ihrer einfühlsamen Sprache die Konturen der Landschaft mit, stets agiert der Mensch in die Natur eingebettet, bewegt sich darin wie in einem wundersamen Haus, auch wenn die Gefahren eines Lebens in den Riesen des Himalayas nicht verniedlicht werden: Nonnen murmeln Mantras, ihr Glaube an die Mutter der Buddhas beschützt sie – Tara wacht über ihre Töchter… doch das Sterben gehört zum Alltag wie das Sein.

Olvedis Sprache ist sanft und präzise: ihre Sätze stehen nicht als kalte Felsblöcke im Buch herum, uns als schroffe Lehrgebilde einzuschüchtern. Sie liefert Mimik, Gestik der Figuren mit, emotionale Färbungen, Stimmungen. Dadurch wird ihre Sprache so lebendig, menschlich, und anderseits eben geheimnisvoll, magisch, wo überwältigende spirituelle Erfahrungen faszinieren. Oder existentielle Erschütterungen, wie der Tod, abgemildert freilich durch das Wissen über die Wiedergeburt im Gewand des neuen Körpers, das nun besser um die gereifte Seele sich hüllt.
Oftmals scheinen Olvedis Sätze sich aus dem Buch auf einen Baum zu schwingen, wo sie Vögel werden und jubilierend trällern.

Ein Buch, wertvoll wie ein Diamant, wobei sich vermuten lässt, dass wohl die Sehnsucht des Lesers nach solch mystischen Räumen, die dieser Roman eröffnet, ihn drängt, sich selbst in spirituelle Bereiche, in die Meditation vorzuwagen…

Manfred Stangl


Genre: Romane
Illustrated by O.W. Barth München