Wirf deine Krücke ins Abendrot

Das Buch Peter Sonnbichlers lässt sich nicht auf einem Bildschirm lesen. Oder irgendwie digital konsumieren. Auch nicht in den stickigen Räumen einer Bibliothek. Dazu quillt zu prall das Leben zwischen den Seiten hervor. Am besten liest es sich am Rand einer Mailichtung, oder im Mondlicht, auf einem Kirschbaum sitzend, oder gegen eine Pappel gelehnt, oder gegen den Sommer oder das Kliff von Strunjan. Oder wenigstens gegen die Klippen hinblickend, wie ich es gerade tue, diese Zeilen ins Heft notierend, nachdem ich das Gedicht Sonnbichlers über die Sehnsucht nach der Weite über Strunjans Himmel las.

Es ist schwierig, die richtigen Worte für dieses essentielle Werk zu finden. Sonnbichler selber liebt das Kleine, beschwört es, versucht es zu bewahren – gar sein ästhetisches Credo lautet, kleine Gedichte verfassen zu wollen, kleine wie Steine in der Hand, oder Dachziegel, die doch in der Summe alles abdecken können. Und ich möchte ergänzen: und mit denen sich Pfade legen lassen, am schönsten Bäche aufwärts, zurück zu den Wolken, und über diese wiederum bis zum letzten Ozean.

Blumen blühen in den Seiten des Gartens, der dieses Buch ist. Flinke Eidechsen jagen über sonnenheiße Steinplatten, kleine Käfer krabbeln auf Grashalmen, und Vogelschwärme ziehen nach Süden, und endlich, endlich kehren sie wieder zurück. Sonnbichler hat die Tiere nicht vergessen. Und nicht die Bäume und Rosenbüsche, doch auch nicht den giftigen Eisenhut. Seine Welt ist ein Garten, der allerdings von den Rändern her eng und strenger zubetoniert wird, von einer Zivilisation, die er als wenig fruchtbar empfindet. Doch stets kehrt der Frühling, immer erwacht die Lebensfreude, die Kraft neu, und damit die Hoffnung.
Damit allein schon ist Sonnbichler neben die ganz Großen wie Gary Snyder, zu stellen. Er benennt, was den Kindern von Fridays for Future schmerzhaft fehlt, was ihnen die Brust beklemmt, ihnen abgeht: eine Welt, die ersteinmal Natur ist, in der es sich staunen und jubeln lässt, frei sein und die Tiere verstehen.

Die Faktoren der Einengung, der Anpassung, der Unterwerfung benennt Sonnbichler ebenso, allerdings eingewoben in Sonnenseiten und Frühlingshauch, auf dass Beton und mächtige Zwänge nicht die Seiten erdrücken, dem Leser die Luft rauben, den Garten ersticken.

„Wir sind Europas letzte Wilde“, schreibt er in einem Gedicht, und bekennt sich zu einer Generation, die nicht zwangsdigitalisiert ist, die noch die alten Geschichten kennt und die Nachbarn.

es lebt sich nicht in der menschenwelt allein / denn ein bisschen sind wir vogel und sand / ein bisschen meer wohl auch und luft / und alles was wir waren und was war. / so leben wir mit allem und alles lebt mit uns / und wir brauchen die augen der tiere / und augen aus erde und meer / um das wichtige zu sehen / für das selbst schärfstes denken / nicht genügt.

Die allernächsten Nachbarn sind also das Meer und die Tiere, so wundert es nicht, dass Sonnbichler gegen die Jagd das Halali bläst sowie gegen andere Naturausbeuter und -zerstörer. Und gegen jene Unmenschen, die auch die Sprache zerstören und die Erinnerung, auf dass nichts bleiben solle, als ihre nutznießende Sicht der Dinge, ihre Definition von Wertigkeiten und Glück.

Daher ist dieses Werk so wichtig: weil es vorm Verstummen bewahrt, weil es das Sachte, Leise, Kleine, Anmutige davor bewahrt, überbrüllt zu werden, letztlich zum Schweigen gebracht und danach gänzlich in Vergessenheit gedrückt. Die Qualität des Dichters zeigt sich auch formal: Der spärlichste Gebrauch der Interpunktion folgt dem Gebot der Einfachheit, dient nicht eitel moderner Mode, seine Kleinschreibung weist auf das Feine. Wie von Zauberhand gegossen fließen seine, in ruhigem Rhythmus geschriebenen, Zeilen wie durch ein klug angelegtes, Jahrhunderte erprobtes Bewässerungssystem, lassen eine Welt sprießen, wie wir sie lange suchten, erinnern an die Vergangenheit und feiern das immerwährend Schöne. Dessen unentbehrliche Facette das vorliegende Werk von Peter Sonnbichler darstellt.

Manfred Stangl
Peter Sonnbichler: Wirf deine Krücke ins Abendrot, edition sonne und mond 2o2o, 2o8 Seiten, Tb, ISBN: 978-3-9504897-5-0


Genre: Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

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