Dieses kleine Büchlein von knapp 150 Seiten hat es in sich: Géza von Cziffra hielt sich von 1923 bis 1933 regelmäßig im Romanischen Café auf, traf Gott und die Welt und sammelte Anekdoten. Das Namensregister umfasst bald 300 Einträge und die Seitenzahlen sind aufgelistet, wann die Personen auftraten, oder auch nur zitiert wurden: Shakespeare und Goethe sind dabei. Es erschien 1981, als der Autor über achtzig war und die Geschichte über diese Zeit hinweggegangen war, unter dem Titel „Die Kuh im Kaffeehaus“. So kann er Vergleiche mit der damaligen Jetztzeit anstellen, als es schon Groupies und Hippies gab.
Viele der Prominenten wurden vom Stammgast Emil Orlik porträtiert und bebildern das Büchlein. Ein Nachwort von Ingrid Feix rundet es ab.
Im R.C. gab es feste Tische, was der 23 Jahre alte von Cziffra nicht wusste, als er das erste Mal an einem leeren Tisch Platz nahm. Der Gast, der sich dazu setzte, fragte ihn, wessen Sohn er sei, und der aufgebrachte Kellner klärte ihn auf: „Das hier ist ein höchst reservierter Tisch! Setzen Sie sich bitte anderswohin.“ Später erfahren wir, dass der Stammgast des Malertisches Max Liebermann war. Und ich glaube nun, dass dieser richtig gut berlinern konnte, das hatte ich einem Spross aus großbürgerlichem Haus nie zugetraut. Von Cziffra wurde ja später Drehbuchautor und kann Dialoge. Die noch nicht arrivierten Maler saßen am Nichtschwimmertisch.
Am Tisch der Männer der Feder saßen Schriftsteller, tauschten sich aus, mal auch mit Wissenschaftlern, Einstein verkehrte hier, flirtete heftig, was ihm den Spitznamen „der relative Ehemann“ einbrachte. Mal bot er Zauberkunststücke dar, oder er erklärte die Relativitätstheorie: „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen neben einer hübschen und geistreichen Frau, dann wird Ihnen diese Stunde wie eine Minute vorkommen. Sitzen sie aber mit dem nackten Hintern nur eine Sekunde auf einem heißen Ofen, so wird Ihnen die Zeit sicher wie eine Stunde vorkommen.“
Es geht um Freundschaften und Feindschaften, Bewunderung, Eitelkeiten, Eifersucht und Neid. Einmal droht ein Duell: Es ging um die Schauspielerin Elisabeth Bergner, von der alle Männer schwärmten. Ein stattlicher Bursche sagte etwas Abfälliges über sie, woraufhin „ihr Lieblingskameramann Adolf Schlazy“, ein kleiner Schmächtiger, ihn ohrfeigte. Als der Riese ihn angriff, wurde er zurückgehalten, fordert dann aber ein Duell. Als er erfuhr, dass Schlazy Jude war, sagte er, mit Untermenschen duelliere er sich nicht. Der war erleichtert: „Der erste sympathische Nazi, den ich kenne.“ Wir verfolgen die Biografien von vielen der Protagonisten, auch wie sie sich später, während und nach der Nazizeit, entwickelten.
Die Frauen hatten auch ihren Tisch und es gibt auch einiges an Zickenzoff. Für einen alten Herrn, der 1900 geboren wurde, berichtet von Cziffra darüber erfreulich sachlich, etwa so wie über die Männer. Nur einmal kommt ein Herrenwitz, nicht vom Frauentisch, vor dem fürchteten sich die Männer, aber vom Kükentisch: „Hier saßen laute junge Mädchen, die … mit den grimmigsten Gesichtern der Welt verkündeten, dass sie fest entschlossen wären, sich von keinem Mann verführen zu lassen. Kurz nach Mitternacht änderten sie fast immer ihren Entschluss.“
Am meisten war am Tisch der Mimen los, wir erfahren viel, etwa, wie es zur Dreigroschenoper gekommen war. Und wie erfolgreich sie war.
Eine Marke für sich waren auch die selbstbewussten Kellner, und so schließt das Buch mit dem Lied von Friedrich Holländer über die „Romanischen Kellner“, rund um die Gedächtniskirche herum.