Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten

Der Hundertjaehrige der zurueckkam um die Welt zu retten von Jonas Jonasson

Sechs lange Jahre, nachdem der Hundertjährige aus dem Fenster stieg und auf wundersamen Wegen und nach absurden Abenteuern ein hübsches Barvermögen sammelte, kehrt Allan Karlsson wieder in die Bücherwelt zurück. In dieser Warteschleife alterte der Hauptheld zum Glück nur ein Jährchen, denn die Story beginnt an seinem 101. Geburtstag, den er auf Bali verbringt. Weiterlesen


Genre: Humor, Politische Romane, Romane
Illustrated by C. Bertelsmann München

Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid

Mit seinem eigenwilligen Roman »Ein Mann namens Ove« bewies Fredrik Backman, dass schwedische Autoren viel mehr können als spannende Krimis mit eigener Melodie zu verfassen. 2013 wurde er dafür zum erfolgreichsten Autor Schwedens gekürt. Sein Folgeroman »Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid« stieg auch in Deutschland sofort in die Bestsellerlisten auf, obwohl oder gerade weil Großkritiker vor dem Buch warnen, das ihnen zu schlicht ist. Weiterlesen


Genre: Humor, Romane
Illustrated by Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main

Dark Matter. Der Zeitenläufer

Dark Matter. Der Zeitenläufer von Blake Crouch

Was wäre wenn? In diese spannende Frage taucht US-Autor Blake Crouch ein, indem er sich des Phänomens der Paralleluniversen annimmt. Er macht es auf spielerische Weise und verlangt keinerlei Vorkenntnisse in theoretischer Physik oder welcher Disziplin auch immer. Das macht den Roman, der zum Science-Fiction-Genre gerechnet werden kann, zu einer angenehmen Lektüre. Doch Vorsicht: Der Stoff hat es in sich! Weiterlesen


Genre: Romane, Science-fiction
Illustrated by Goldmann München

Tyll – die große Schelmerei

Es scheint viel Geschichte in diesem Buch zu stecken. 30-jähriger Krieg. Der große Gaukler Tyll. Der zweite Prager Fenstersturz. Westfälischer Friede 1648. Genau genommen war‘s das aber auch schon. Denn ein geschichtlicher Roman ist Tyll nicht.

Tyll Eulenspiegel lebte im 16ten Jahrhundert (es existieren Drucke mit Darstellungen aus dem Jahr 1515), also hundert Jahre vor dem 30-jährigen Krieg. Warum Kehlmann die bekannte Figur ins nächste Jahrhundert versetzte, ist nicht nachvollziehbar. Irgendein Rezensent fabulierte von der „Vermessung des Krieges“. Das stimmt schon gar nicht. Denn außer einer Kurzbeschreibung der Schlacht von Zusmarshausen von außen quasi, von zufällig in die Schusslinie geratenen Reitern, die Eulenspiegel eskortierten, beschreibt Kehlmann nicht den Krieg. Er schwadroniert zwar darüber, wer aller Schlachten erlebt hatte, diese aber dann nicht in Worte zu fassen vermochte, schildert allerdings selber schon gar keine Schlacht. Und so wie er darüber hinwegseiltanzt, die Schlacht zu beschreiben, jongliert er mit Versatzstücken des Krieges, erfasst ihn aber nicht. Nun, den 30-jährigen Krieg zu beschreiben – noch dazu in einem Roman – ist wohl ohnehin unmöglich. Krieg generell in seiner Brutalität und Unmenschlichkeit zu zeigen, mag vielleicht das Ansinnen eines Pazifisten sein und scheint damit berechtigt. Kehlmann beschreibt aber keine Schlacht, auch nicht den Krieg, einzelne Episoden draus zwar, wie er sie für seine Story braucht – so etwa erzählt er die Geschichte vom Winterkönig, der quasi als Auslöser des Krieges gehandelt wurde, doch die Hässlichkeit des Krieges ermisst er nicht.

Tyll wird in fast allen Episoden implementiert, hat aber wieder keine erklärbare Funktion außer vielleicht geschmeidiger Kitt zu sein… Grauen versucht Kehlmann sehr wohl zu bezeugen – allerdings eher der Zeit, des Äons, in der dieser Krieg tobt.
Und das gelingt ihm drastisch: der Vater von Tyll Eulenspiegel, Claus, wird von päpstlichen Beauftragten auf deren Durchreise der Hexerei überführt, und hingerichtet. Die Grauen der Inquisition, der Hexenverfolgung, der Folter und der frömmlerischen Teufelsangst werden akribisch dargestellt. Speziell der irrwitzige Aberglaube thematisiert, den sich, Kehlmann nach, sowohl der Hexer – der eigentlich nur einige magische Sprüche vor sich hinmurmelt, auch Flüche ausstößt, jedoch ebenfalls Kranke heilt – als auch dessen Richter teilen. Das pikante an der Sache: Einer der Ankläger ist Anastasius Kircher, ein hoher päpstlicher Würdenträger, der von Kehlmann als lächerlicher, synkretistischer Scharlatan hingestellt wird, schrieb der doch über Drachen, die Pest, den Magnetismus und Hieroglyphen und sonst noch tausend Dinge. Kehlmann überführt ihn des Glaubens an die Analogien, an den Zusammenhang der Dinge und der Welt, die ihn auf haarsträubende Abwege führte, etwa dass Drachenblut die Pest besiegen würde. In einigen Belangen stimmt Kehlmanns Urteil offenkundig, anderseits war Kircher der Erste, der Blut unter einem Mikroskop untersuchte, der gegen Pest Isolation und Hygiene empfahl, und der eine Grundlage für die spätere Entschlüsselung der Hieroglyphen schuf. Kehlmann erwähnt den Heroen der anschließenden Epoche nicht – obwohl er Tyll leicht auf einem Bein in diese hinüberhüpfen hätte lassen können – aber es soll uns reichen, wiederholt zu bekommen, wie finster und dumm das Mittelalter war, wie bigott und abergläubisch, jeglicher Vernunft abhold. Nein: das ist ja nicht Mittelalter, sondern Frühbarock, die Neuzeit bereits im Jugendalter, in der Hexen verbrannt werden, sie der Häresie angeklagt, gefoltert und ausgelöscht werden. Mit ihnen die mittelalterliche Medizin, die Kräuterkunde und das Wissen von den Geistwesen – wie es Schamanen und Schamaninnen weltweit noch heute tradieren. Und nun beginnt das Zeitalter Descartes: Ich denke also bin ich. Mit der kartesischen Wende trennt Wissenschaft Geist vom Körper, die Seele von der Welt, den Verstand vom Leib. Und wir sind in der analytischen Welt: der Epoche des Intellekts, in der alles und jedes unter dem Mikroskop zerstückelt wird, aber es findet sich keine Seele und schon gar kein Gott; vielleicht die eine reine Wahrheit: Es gibt keinen Gott neben dem allmächtigen Verstand.
Kehlmann scheppert mit der Klingelbüchse voll bekannter Vorurteile über die unaufgeklärte, naive Zeit vor der Moderne, macht Späßchen und Salto Mortali rückwärts – uns zum Gaudium und zum Vergnügen, denn wir, wir wissen, wir sind gescheit, haben Smartphones und Apps und elektrisches Licht. Das Wetter damals um 1648 war furchtbar schlecht – kleine Eiszeit – es regnete dauernd oder schneite, und im Schnee erfror der pestkranke Winterkönig mit Tyll als letztem Gefährten. Aber erstens starb Friedrich von Böhmen nicht wie von Kehlmann eigentlich sehr ergreifend beschrieben, und zweitens war kein Tyll an dessen Seite, weil seit gut hundert Jahren selbst schon verschieden. Und zweitens war das Klima keineswegs so schiach wie von Kehlmann erdichtet (nachzulesen im Werk: 1648 von Heinz Duchhardt). Was will also unser Possenreißer Daniel Kehlmann? Warum greift er zu derart eklatanten Mitteln und stibitzt sich wie Max und Moritz die Buchteln Ereignisse aus zumindest einem Jahrhundert zusammen, um diese quasi-synkretistisch zusammenzugießen – wie die Stahlkugeln für die Kanonen im 17ten Jahrhundert?

Die Antwort gab ich Schelm bereits zuvor. Kehlmann ergötzt sich für uns über die Epoche des Synkretismus, des Glaubens, alles hinge irgendwie zusammen, alles habe Bedeutung und sei letztlich zu verantworten einer letzten Instanz, nämlich Gott gegenüber. Das ist tatsächlich derart amüsant; wir alle wissen doch längst: Gott ist tot, aber Atomstrom, Elektronenmikroskop, Kabel-TV und Coffee To Go hievten unsere heutige Welt aus dem eisigen Morast von Pest, Cholera und Vorurteilen mitten hinein ins Paradies der Glückseligkeit der modernen Menschen und der modernen Ideen, tagtäglich zu überprüfen in den – uns gratis gegebenen – Blättern in den vom Klimawandel erhitzten Bussen und vollgestopften U-Bahnen auf der Fahrt in unsere prekären Jobs.


Genre: Historischer Roman, Romane
Illustrated by Rowohlt

Forderung

Forderung von John Grisham

Drei amerikanische Studenten stecken in der Scheiße. Sie wollten Jura studieren und stinkreiche Anwälte werden. Dies ist in den USA ohne finanzielle Mittel jedoch kaum zu verwirklichen, und so landen sie am unteren Ende der universitären Bestenliste an der privaten »Foggy Bottom Law School«, einem Institut niedrigsten Niveaus, dessen Ausbildung gerade gut genug ist, um als Assistent besser qualifizierter Anwälte ein mageres Auskommen fristen zu können. Keinesfalls reicht es, um die enormen Kredite abzuzahlen, die jeder von ihnen aufgenommen hat, weil er auf die bunten Hochglanzbroschüren der Hochschule, die allen Absolventen tolle Jobs mit satten Gehältern suggerierten, hereingefallen war. – Soweit die Ausgangssituation von John Grishams Roman »Forderung«. Weiterlesen


Genre: Romane, Thriller
Illustrated by Heyne München

Nie weit genug

Aus einem kleinen Kaff im Sauerland bricht die 21-jährige Marleen Richtung Kanada auf, um ihre Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer zu stillen. Ihre Reisetasche birgt ein paar Klamotten, ein Ticket nach Vancouver, eine bescheidene Barschaft und ihren Talisman, einen roten Granat. Dieser Granat soll sie auf ihrer Reise in die unbekannte Ferne beschützen und ihr Glück bringen. Weiterlesen


Genre: Biographien, Erfahrungen, Frauenliteratur, Romane
Illustrated by Selbstverlag

In all den Jahren

In all den Jahren Elsa ist Schauspielerin und lebt in München. Untypisch für ihr Metier gehört sie eher zu den Schüchternen und wartet auf ihren großen Durchbruch – wo auch immer der herkommen soll. Solange hält sie sich mit Synchron-Sprechrollen über Wasser. Eines Tages lernt sie Finn kennen, ihren neuen Nachbarn und erfährt direkt mehr über ihn, als sie wissen will.

Denn bei diesem ersten Kennenlernen steht Finn so vor ihr, wie der Herr ihn schuf.  Finn ist Maler und die Muse küßt ihn halt in unbekleidetem Zustand eher. Meint er. Dummerweise hat er sich aber selbst ausgesperrt und so bleibt Elsa nichts übrig, als den nackten Finn in ihre Wohnung zu lassen und Rettung herbei zu telefonieren. Dieser ersten Begegnung folgen weitere und so langsam werden aus Nachbarn Freunde. Allerbeste Freunde. Die Sorte Freunde, denen man alles erzählt, mit denen man alles teilt, von denen man sich den Kopf halten lässt, wenn man sterbenselend über der Schüssel hängt und die auch über Nacht bleiben, wenn die Welt mal wieder gemein zu einem ist.

Diese Sorte Freunde werden Elsa und Finn, aber mehr ist da nicht. Weiß man doch, wie schnell Beziehungen kaputt gehen. Da bleibt man lieber bei der Freundschaft. Denn die ist für ewig. Und wenn der mittlerweile gemeinsame Freundeskreis noch so oft insistiert, die Beiden wären das perfekte Paar – Elsa und Finn bleiben in all den Jahren standhaft. Durchgehend. Naja, fast. (Einmal spielt auch ein anderes standhaft eine Rolle. Aber mehr soll hier nicht verraten werden.)

Barbara Leciejewski schildert das Auf und Ab dieser ungewöhnlichen Freundschaft über einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten. Sie erzählt von gut 20 Jahren ganz normalem Leben und streift dabei ganz en passant Themen der Zeit. Historische Ereignisse und deren Auswirkungen auf einzelne Schicksale sind mit eingewoben, sie widmet sich Themen, mit denen sich sicher auch viele ihrer Leser im Laufe ihres Erwachsenenlebens auseinandersetzen müssen wie Pachtworkfamilien, Alzheimer und Pflege älterer Angehöriger. Dazu gibt sie Einblicke in das Künstlermilieu der bayerischen Metropole, dankenswerterweise nicht in die exaltierte Schicki-Micki-Bussi-hier-Bussi-dort Welt, sondern in die Welt der eher wirklich kreativ Schaffenden.

Ihre Figuren sind allesamt liebenswert mitsamt ihrer größeren und kleinen Macken und decken eine große Bandbreite ab. So ziemlich jeder wird wohl einen Charakter finden, mit dem er sich identifizieren kann.  Zugegeben – der Plot erinnert an einen der größten Kinoerfolge der Neunziger, keine Frage. Elsa und Finn sind sowas wie Harry und Sally für die hippe deutsche Stadtbevökerung des 21. Jahrhunderts, aber – ihre Geschichte macht Freude und warum nicht? Nach fast 20 Jahren kann dieses Thema ja ruhig mal wiederbelebt werden. Vor allem, wenn es so unterhaltsam und liebenswert gemacht ist.

Ein Buch wie eine Atempause

“In all den Jahren” ist ein Buch wie eine Atempause – endlich mal ein Gesellschaftsroman, der ohne hysterisches Rumgequake auskommt, der nicht alles bis ins Kleinste ausdiskutiert, sondern einfach erzählt.  Natürlich wird es ab und zu knapp vor kitschig, natürlich spielt die Autorin mit Klischees, das soll gar nicht verschwiegen werden. Aber sie tut es mit Stil und Herzenswärme. Die Charaktere sind allesamt liebevoll entwickelt, auch die in den Nebenrollen und nichts wird einfach in 08/15 Textbausteinen abgewickelt, wie man es sonst auch schon mal gerne bei Liebesromanen findet, die schnell aus der Feder geschüttelt werden, um eine Leser-Erwartung zu bedienen.

Wie die Autorin auf ihrer Webseite erzählt, hat sie in einigen Brot – und Butter Berufen gearbeitet, bevor sie sich entschloss, ihre Selbstzweifel zu ignorieren und auf ihr Herz zu hören, um Schriftstellerin zu werden. Mittlerweile sind 5 Bücher erschienen, einige erst Jahre nach Entstehung, das fünfte “Versuchen wir das Glück” gerade eben.  Ihre Bücher erscheinen sowohl gedruckt als auch in der Kindle-Edition, sind aber noch nicht so ganz dem Status Geheimtipp entwachsen. Aber hinter den Autorinnen, die in diesem Genre gefeiert werden, braucht Barbara Leciejewski sich meiner Meinung nach nicht zu verstecken. Ich habe In all den Jahren mit Bedauern ausgelesen und ganz ungerne den Freundeskreis um Elsa und Finn verlassen. Mir hat die Autorin ein paar schöne erholsame Stunden geschenkt. und dafür dürfte es sich doch schon gelohnt haben, Selbstzweifel über Bord zu werfen.


Genre: Gesellschaftsroman, Liebesroman, Romane
Illustrated by Acabus

Weltgift

ROSEGGER_Weltgift_300_CMYKWie gern verachtet man gegenwärtig Peter Rosegger. Wie emsig wird ihm das Mäntelchen des Naturpoeten ohne Tiefgang umgeworfen, oder er gar zum verdächtigen Blut- und Boden- jedenfalls Heimatdichter herabgewürdigt. Und das ohne dem Begriff Heimat nur ansatzweise neutral gegenübertreten zu wollen. Meist kennen die Rosegger-Verhöhner kein einziges seiner Bücher. Vom Überblick seiner Werke ganz zu schweigen. Was dann nämlich an Weltfreundschaft, an Natur- und Tierliebe und an Menschenglaube zum Vorschein käme würde all die heutigen Propheten des Negativen (die Modernedichter) durch Charme und Wohlklang foltern. Den potenziellen Rosegger-Lesern aber erschlösse sich eine stimmungsvolle Welt, in der Sinn und Schönheit zugegen sind. Und alles trotz der unmittelbaren Nähe zu gesellschaftskritischen Aussagen über menschliche Not und karger bäuerlicher Realität. Dem verkitschten Rosegger Bild – dessen Rahmen wohl die Nazis vorgeätzt hatten – würde schnell eine Aufnahme in die Ahnengalerie des Weltschriftstellertums folgen. Und Leser und Autorenschaft könnten sich an diesen Romanen erfreuen und aus ihnen lernen. Ein Einstieg dazu ist Weltgift, bewusst vom couragierten Wiener Septime Verlag ausgewählt, um das Bild zurechtzurücken …
Ein von wohl narzisstischem Hass und Depression angekränkelter Unternehmersohn will nicht mehr in der Firma des Vaters arbeiten … er verschmäht die Konventionen, das falsche, diplomatische Getue seines Vaters mit den Kunden… Hadrian möchte etwas erleben, sehnt sich nach intensivem Lebensgefühl. Und er möchte Bedeutendes leisten. Die Gelegenheit bietet sich, als der Vater nach einem bissigen Streit ihn enterbt, Hadrian aber mit dem Pflichtanteil sich leicht das heruntergekommene Schloss Finkenstein kaufen kann, wo er im großen und modernen Stile Landwirtschaft zu betreiben beabsichtigt. Er stellt einen sich geschickt anpreisenden Gutsverwalter ein, teilt Hoffnungen und Sorgen mit Sabin, dem Kutscher, der schon in der Stadt der Familie gedient hatte.
Der Junge wächst dem Gutsbesitzer zunehmend ans Herz, er scheint die einzige Person, auf die sich Hadrian tiefer einlassen kann; Sabin will aber nicht Kammerherr spielen, sondern lieber im Stall bei seinen Pferden weilen.
Der Gutsverwalter entpuppt sich als Betrüger, nach einem schweren Unwetter mit reißenden Fluten liegt Finkenstein darnieder; die Versicherungsprämien für solche Schäden wurden allerdings nicht abgeführt, und auch Zulieferer aus dem Umland nie bezahlt … also muss Hadrian sein Schlossherrenabenteuer sausen lassen.
Er und Sabin, den er mittlerweile adoptiert hat, kaufen ein kümmerliches Gebäude abseits des Lindwurmhofs. Der Lindwurmbauer benötigt Geld, zwei seiner Söhne schickte er in die Stadt zum Studieren. Der eine Philosoph, der andere Arzt – beide ohne „passende“ Posten – tauchen in kurzem Abstand wieder am heruntergekommenen elterlichen Hof auf; dramatische Diskussionen stören den Frieden der Abgeschiedenheit.
„Barmherzigkeit“, rief der erregte Doktor (der Philosophie) und schlug die Hände zusammen. Barmherzigkeit sei ein Krebsschaden. Sie päppele die Kranken und Krüppel auf, wodurch das Menschengeschlecht immer mehr herabkomme. Die Geduld sei ein Unding, weil sie der Unzulänglichkeit Vorschub leiste. Alle sogenannten Wohltätigkeitsorganisationen seien von Übel, weil sie den Menschen beugen nach etwas das nicht der Mühe wert ist. Das sogenannte allgemeine Menschenrecht sei eine Torheit, weil nur der ein Recht habe, der etwas leistet. Der Starke sei im Recht, und der allein, und sein Recht und seine Pflicht sei, die Schwachen auszurotten und sich nur mit Starken zu verbinden. So sei es, und er hätte da was gesagt, das jeder Gebildete längst wisse. – Bei dieser Preisrede auf die Kraft hatte er sich in so eine nervöse Aufregung hineingeredet, dass seine Hände zitterten. Wie ein Gifthauch schauerte es durch den ganzen jungen Menschen.
Weitere Streitgespräche folgen. Der Religionsfeind Nietzsche und der große Versöhner Tolstoi stehen in ihren Ideen auf dem Bauernhof einander schroff gegenüber. Rosegger fasst die menschenverachtende Ideologie Nietzsches, der auch heute von Linken wie Rechten geschätzt wird, erschreckend klar zusammen. Was auf Nietzsches Größenphantasien folgte, darf als bekannt, wenn auch nicht aufgearbeitet, vorausgesetzt werden. Doch es ist Rosegger, der als Naivling verspottet wird, als Waldbauernbub und Romantiker – gar als reaktionärer Ideologe. Dabei lugen in seinen Büchern stets fruchtbare Erde und das Grün des Lebens aus den Schutthaufen und dem Grau der Städte, die gerade zu seiner Zeit das Land und die Bauern gierig verschlingen. Die Industrie frisst die Bauernhöfe, die Wälder, verdaut die Knechte und spuckt Proletariat und Heimatlose aus. Und naiv ist Rosegger nie: Er bekennt sich allerdings selbst in den schlimmsten Zeiten zu einer Literatur, die erbaut, die nicht Mistkübel des Schriftstellers ist, der dem Leser hochtrabend übergestülpt wird, sondern zu Wachstum und moralischer Anleitung der Leute dient. Die Schichten aus Staub, Ziegeln und Asphalt, die dazumal schon die Seelen der Menschen erstickten, klopft er ab, lässt sie im frischen Wind in den Hochtälern erschauern, in der Sonne über den Smognebeln leuchten. In „Erdsegen“, wo ein Journalist aufgrund einer Wette die Schreibstube mit der Einschicht tauscht, unterweist er den Leser in ehrliche bäuerliche Arbeit, berichtet von Anstrengung, Mut, Zuversicht, Aufrichtigkeit, Anstand und Liebe. Und das in derart liebevoll humorvollem Ton – der aber edler Würde und Schönheit weicht, wo Witz nur der Distanz zum Leben diente –, dass der moderne Leser nur so ins Staunen und Schwärmen gerät (wenn er denn dazu überhaupt fähig ist).
Auch in Weltgift gibt Rosegger nicht billig-eitler Verachtung der Protagonisten nach. Wenn auch so etwas wie Hoffnungslosigkeit und Bitterkeit mit dem entwurzelten Stadtmenschen durchscheint, was in der Bemerkung gipfelt, „dass ein Mensch, dessen Seele von Weltgift zerfressen ist, nicht in die ländliche Natur zurückkehren kann und soll.“
Auch im vielgescholtenen Buch „Waldheimat“ findet der offenherzige Leser keine verkitschte Sicht auf Natur und Landleben. Der Tod ist steter Begleiter der ärmlichen aber doch meist zufriedenen Landbevölkerung. Was Rosegger vollbringt, ist, den Bauern und andern Landbewohnern, die heute eher aus dem Heimatmuseum bekannt sind – Pecher, Ameiser, Kohlenbrenner, Kräuterer – eine Stimme zu verleihen, Identität und Persönlichkeit. Die Menschen aus den abgelegenen Provinzen holt er somit ins Blickfeld, ins Bewusstsein der Stadtmenschen: eine vornehme Aufgabe, würde ich meinen. Dass später andere Schriftsteller, Franz Innerhofer beispielweise, eine weitere Schicht der Landbevölkerung literarisch erschließen, nämlich die Knechte und Mägde, deren Leben sich sicherlich extrem mühevoll gestaltete, (was aber ist zu den Knechten oder verarmten Bauern zu sagen, die jeweils zu Dutzenden in Kellerlöchern in der Stadt hausten, wo sie als Industrieproletariat bis aufs Blut ausgebeutet wurden – was Rosegger in Weltgift ja ebenfalls thematisiert) stellt die logische Fortsetzung in der Literaturgeschichte dar: Keine der Sichtweisen ist die richtigere.
Allerdings haben bei Innerhofer Depression, Trübsinn, Kälte und Distanz die Oberhand gewonnen – vielleicht zurecht – aber die modernistische Sicht der Dinge ist aus ganzheitlicher Haltung zumindest hinterfragbar. Was Rosegger vermag, gelingt modernen Dichtern nimmermehr. Das sage ich voller Überzeugung eingedenk einer Stelle aus „Erdsegen“, in der er die allgewaltige Natur dem Protagonisten das Numinose unendlich mal eindringlicher predigen und vor allem begreifen lässt, als jemals von einer Kanzel gehört.
Weltgift nun als Einstieg in die reiche und wundervolle Welt Peter Roseggers zu empfehlen, die Wurzeln der urbanisierten Welt aufzugreifen, um Fehlentwicklungen besser abschätzen zu können, scheint mir gerade heutzutage höchst angebracht.

Peter Rosegger: „Weltgift“, Septime Verlag Wien, 2016, geb. 334 S. ISBN: 978-3-902711-59-5


Genre: Heimatliteratur, Romane
Illustrated by Septime Verlag Wien

Koryphäen

BUECHLER_Koryphaeen_CMYK_300Koryphäen ist ein sehr eigener Roman. Spannend, aber kein Krimi. In der Zukunft angesiedelt, aber nicht wirklich Science-fiction. Es dreht sich alles um Spionage, aber wir haben keinen Agententhriller vorliegen.
Dennoch geht’s um Themen der Zukunft und futuristische Kulturtechniken.
Und das Interessante an Büchlers Schreibweise wurzelt gerade darin, Telepathie als probates Mittel der Kommunikation einzuführen. Daraus ergibt sich ein Stil, der durch Einschübe der Gedankenströme verschiedener Personen zunehmend Fahrt aufnimmt. Der Hauptstrang der Erzählung ist nicht immer klar zu sehen, man handelt sich an ihm wie der Taucher, der in den Tiefen des Ozeans seinen Körper „ablegt“ um sich voll auf Gedankenströme konzentrieren zu können, an einem Seil in die Tiefe. Manchmal sieht man den Weg nicht, ist von der Dunkelheit des Meeres verwirrt, aber man liest bedachtsam weiter, bis sich aus der Schemenhaftigkeit wieder Klareres schält. Und man liest gern weiter, weil Büchler sehr gut schreibt. Immer wieder blitzen herrlich schöne Sprachbilder auf, dann wieder zieht einen die Spannung weiter, tiefer. Und die Gedankeneinschübe der verschiedenen handelnden bzw. denkenden Personen halten den Roman stets in der Schwebe, als liege man bewegungslos ausgestreckt 1ooo Meilen unter dem Meer. Die Einschübe lösen den Text nämlich nicht in Nonsens auf, wie gekünstelte, sich avantgardistisch nennende Literatur es gern eitel macht, sie zerreißen Welt auch nicht zunehmend in kleinere Fetzchen, auf denen dann die Konzern- und Trustchefs ihre Bilanzen summieren. Im Gegenteil. Inhaltlich geht’s um die Sammlung genetischer Codes zur Optimierung der menschlichen Leistung, die abseits allen Datenschutzes oder Menschenrechte stattfindet. Die Bewusstseinsfäden eines Aussteigers und der Daten-Sammler verstricken sich ineinander: ein Agenten- Abenteuer entspinnt sich, das aber nie platt daherkommt. Letztlich verweben sich Schicksale, und das gute Ende geschieht (ebenfalls im Gegensatz zum Großteil zeitgenössischer Literatur) zuletzt. Ein Sabotageakt zerstört die angelegte Universal-Sammlung, und auch psychisch-seelisch befreien die Protagonisten sich aus den Fesseln ihrer Vergangenheiten. Ein seltsam schöner Roman, der zudem durch die Kenntnisse der Autorin bezüglich Telepathie besticht, und von dem nun nicht mehr verraten werden soll, da er es wert ist, von vielen Lesern selbst entdeckt zu werden.
Manfred Stangl
Gudrun Büchler: „Koryphäen“, Septime Verlag, Wien 2o17, Hardcover, 184 Seiten; ISBN: 978-3-9o2711-6o-1


Genre: Agentenroman, Romane, Science-fiction
Illustrated by Septime Verlag Wien

Suchbild mit Katze

Henisch_Suchbild mit Katze_110216.inddÜber Henisch` leise, feinfühlige Art zu schreiben ist schon viel gesagt worden. Im vorliegenden Roman besticht zudem sein sachter Humor, der nie zu Schenkelklopfern animiert. Sympathisch schon, dass im Romantitel eine Katze erwähnt wird – für sowas nehmen sich die Autorinnen und Autoren der Wichtigkeit heute nicht Zeit. Dann der Rekurs auf den Kater Murr. Auf E.T.A. Hoffman, der die Ahnung erweckt, dass Peter Henisch zur Handvoll Autoren und Autorinnen im deutschen Sprachraum zählt, die im Herzen sich Romantik und Fantastik auf liebevolle Art bewahrt haben. Auch Dr. Dolittle mitsamt Affen, Papagei und Schwalben bevölkern die Buchseiten. Und denen möchte der kleine Protagonist, der Ich-Erzähler in seiner Kindheit, eben eine Katze hinzugesellen. Und so will er eigentlich mit dem Schreiben beginnen. Daneben als Hauptfigur die Stadt Wien der Nachkriegszeit. Und zeitgeschichtliche Sequenzen – etwa der mögliche Atombombeneinsatz, den ein US-General gegen die Chinesen im Koreakrieg empfahl. Und der Bub schmiss alle seine Spielfiguren mit einem gewaltigen Ruck um, sodass die Katze Murli entsetzt davonsprang.
Do little: tu das Kleine, sieh es, erzähle davon, rücksichtsvoll mit gedämpfter Stimme. So entsteht Zärtlichkeit, Sympathie, Nächstenliebe. Die vermeintlichen Großartigkeiten und Besonderheiten, das Lamento und das Geschrei lass den Napoleons und Alexandern des Zeitgeistes, die permanent das Aller-Neueste plärren – selbstinszenierende Marktschreier oder Jammerer in Eitelkeit. Henisch stellt auf wundervolle Art das Gegenteil all dieser Negativismen dar. Der Roman versöhnt mit der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die einem ganzheitlich Fühlenden ansonsten sehr wenig abzugewinnen imstand ist.
Manfred Stangl
Peter Henisch: „Suchbild mit Katze“, Deuticke, Wien, 2o16, 2o8 S, geb.; ISBN: 978-3-552-o6327-3


Genre: Humor, Romane
Illustrated by Deuticke Wien

The Drop – Bargeld

 

the-dropDennis Lehane schreibt gerne Krimis über schwarze Schafe, doch der Protagonist des vorliegenden Mafia-Thrillers, der Barkeeper Bob Saginowski, wirkt beinahe harmlos im Vergleich zu den anderen Personen, die dieses Buch bevölkern. „Seine“ Kneipe – da wo er arbeitet – ist eine „Drop“-Kneipe, das bedeutet, dass Mafiageld dort gesammelt und zwischengelagert wird, bis „jemand“ kommt und es abholt. Wer wäre so dumm und würde eine solche Kneipe überfallen? Der sichere Tod wartete auf ihn. Als Cousin Marv, Sully, Donnie, Paul, Stevie, Sean und Jimmy dort zusammensitzen, um auf das 10-jährige Verschwinden von Richie „Glory Days“ Whelan anzustoßen, geschieht jedoch genau das: zwei Maskierte holen sich die Tageslosung, aber nicht den „drop“. Zufall? Absicht? Oder Training Day?

Erfolg ohne Vergangenheit

Der schüchterne Bob kramt einen verletzten Pitbull aus einer Müllkippe vor dem Haus von Nadia und so entsteht auch eine Liebesgeschichte, die sich durch einen knallharten Mafiathriller zieht wie Marillenmarmelade durch eine Sachertorte: „Er spürte eine plötzliche Rückkehr dessen, was er empfunden hatte, als er den Hund aus der Mülltonne gezogen hatte – etwas, das er mit Nadia verschwunden geglaubt hatte. Verbundenheit.“ Dennis Lehane verbindet die Geschichte der beiden unterschiedlichen Charaktere auf eine geschickte Weise, denn stets steckt der Schlüssel zur Gegenwart in der Vergangenheit seiner Figuren. Und die ist oft sehr dunkel: „Ein erfolgreicher Mann konnte seine Vergangenheit verbergen, aber ein erfolgloser Mann verbrachte den Rest seines Lebens damit, nicht in seiner zu ersaufen.“

Katze im Hals

Die „Via Dolorosa“ des Anti-Helden Bob Saginowski zieht sich durch East Buckingham, ein Viertel Bostons, in dem sich früher ein Gefängnis befand, selbst die Straßen erinnerten noch daran: Pen’ Park, Justice Lane, Probation Avenue und die älteste Kneipe im Viertel namens „Zum Galgen“. Wer hier lebt, den kann auch der Polizist Evandro Manolo Torres, dem „eine Glocke im Herz regelmäßig die Stunde schlägt“ (Anspielung auf eine Roman Hemingways) nicht mehr erschrecken. Denn auch wenn Torres Saginowski immer dicht auf den Fersen ist, kommt er ihm doch nie nahe genug. Drastische Bilder wie „er blickte mich mit den stumpfen Augen eines Maulwurfs an“ oder „mein Hals fühlst sich an, wie wenn ne verdammte Katze reingefallen ist und jetzt versucht, sich mit den Krallen hochzuarbeiten“ wechseln sich ab mit brutalen Gewaltszenen oder Worten wie diesen, die die Freundin Evandros an ihn richtet: „Du siehst nur dne Teil von mir, der wie du aussieht. Was nicht mein bester Teil ist, Evandro.“

Bürger im Käfig

Wir befreien uns nicht aus unseren Käfigen“ sagt Bob an einer Stelle zu Nadia, weil er genau weiß, dass die Bewohner von East Buckingham zwar nicht in einem Gefängnis leben, das Gefängnis aber in sich tragen. „Eines morgens rollte man im Bett auf die andere Seite und sah eine völlig neue Welt.“, heißt es am Ende eines packenden Leseabenteuers, also genau das, was einem beim Lesen von Dennis Lehane auch passieren kann.

Dennis Lehane
The Drop – Bargeld
Diogenes, 2014, 224 Seiten
ISBN 978-3-257-60451-1
€ (D) 17.99 / sFr 23.00* / € (A) 17.99


Genre: Kriminalliteratur, Kriminalromane, Romane, Thriller
Illustrated by Diogenes Zürich

Die siebte Sprachfunktion

Binet: Die Siebte SprachfunktionLaurent Binet gelingt mit diesem abgedrehten Wissenschaftskrimi über die siebte Sprachfunktion etwas Einzigartiges: Er führt seinen Leser mit vergnüglicher Leichtigkeit durch die hoch intellektualisierte Welt philosophischer und semantischer Theorien und entfaltet gleichzeitig einen faszinierenden Kriminalroman, in dem er raffiniert Fiktion, berühmte Zeitgenossen, Wissenschaftstheorie und Wirklichkeit vermengt. Wer glaubt, aus diesen Komponenten ließe sich kein schmackhaftes Gericht komponieren, darf sich bei der Lektüre eines Besseren belehren lassen: Der Autor beschert mit seinem witzig-satirischen Krimi ein farbenfrohes Lesevergnügen. Weiterlesen


Genre: Kriminalromane, Romane
Illustrated by Rowohlt