Nacht des Orakels

Paul Auster »Nacht des Orakels«

Paul Auster beschreibt in »Nacht des Orakels« einen Schriftsteller, der nach lebensbedrohender Erkrankung wieder zurück ins Schreiben finden will. Auf einem Spaziergang durch Brooklyn trifft er auf einen kleinen Papierladen, dessen prachtvoll dekorierte Auslagen ihn locken. Er betritt das Geschäft, schaut sich um und entdeckt ein dunkelblaues Notizbuch portugiesischer Provenienz, das ihn anspricht. Nach ein paar Worten mit dem Geschäftsinhaber, einem alten Chinesen, erwirbt er das Büchlein und beginnt schon bald, darin zu schreiben. Weiterlesen


Genre: Erzählung, Romane
Illustrated by Rowohlt

Das Buch der Illusionen

auster-2Das Buch der Slapsticks

In seiner Heimat USA ist der Schriftsteller Paul Auster erstaunlicher Weise weniger erfolgreich, werden weniger seiner Bücher verkauft als in Deutschland und Frankreich, wo er eine große Fangemeinde hat. Das mag an seiner sehr speziellen Erzählweise liegen, für die der Roman «Das Buch der Illusionen» ein typisches Beispiel ist. Auch hier finden sich wieder Männer als kauzige Außenseiter in der Gesellschaft nicht zurecht, suchen nach Identität, auch hier schreibt der Protagonist wie ein Alter Ego des Autors Bücher, gibt es reichlich Intertextualität, bestimmt der pure Zufall das Geschehen in einem komplizierten Plot.

Bei einem Flugzeugabsturz verliert der Literaturprofessor David Zimmer seine Frau und beide Söhne, er versinkt in Depressionen, verfällt dem Alkohol. Zufällig sieht er im Fernsehen einen Stummfilm von Hector Mann, der ihn zum Lachen bringt, zum ersten Mal nach langer Zeit. Er beginnt mit Nachforschungen zu dem 1927/28 sehr erfolgreichen Stummfilmstar, der dann auf mysteriöse Weise plötzlich spurlos für immer verschwand, und schreibt schließlich sogar ein Buch über ihn, das 1987 herauskommt. Anschließend zieht er sich wieder in die Einsamkeit seines Hauses in Vermont zurück. Ein früherer Kommilitone bietet ihm einen Auftrag für die Übersetzung von François-René de Chateaubriands « Mémoires d’outre-tombe» an, der an seiner Autobiografie 35 Jahre gearbeitet und verfügt hatte, sie erst 50 Jahre nach seinem Tode zu veröffentlichen, er wolle aus dem Grabe sprechen. Zimmer macht sich an die Arbeit, kurz darauf erhält er einen Brief aus New Mexiko, Hector Mann lebe noch, habe sein Buch über ihn gelesen und würde ihn gerne sehen. Er zögert, glaubt an einen Schabernack, bis Wochen später plötzlich Alma, eine junge Frau mit einem entstellenden Muttermal im Gesicht, vor seiner Tür steht und den Zögernden auffordert, mitzukommen zu Hector Mann, der im Sterben läge. Sie zieht sogar eine Pistole, um ihn notfalls zu zwingen, die beiden landen aber schließlich noch in der gleichen Nacht zusammen im Bett. Er kann den Stummfilmstar dann tatsächlich noch für wenige Minuten in seinem Krankenzimmer sprechen, am anderen Morgen aber ist Hector tot, und seine Frau macht sich unbeirrbar daran, seine sämtlichen Filme zu verbrennen, wie er es verfügt hat. Bei einem Streit mit Alma, die zu David ziehen will, stürzt die Witwe unglücklich und stirbt, Alma nimmt sich daraufhin das Leben.

Der hier nur knapp umrissene Plot ist prall gefüllt mit Geschichten, Rückblenden zumeist, geschickt aus verschiedenen Perspektiven erzählt, wobei mich insbesondere die Passagen über Filme angesprochen haben. Auster, der reichlich Filmerfahrung mitbringt, versteht es, einen Film derart plastisch zu schildern, sämtliche Einstellungen und Kameraschwenks so detailliert zu beschreiben, dass man ihn im Kopfkino wahrhaftig sieht, – und sich dabei natürlich auch sofort an den brillanten Spielfilm «The Artist» erinnert. Raffiniert verschachtelt der Autor seine zwei Erzählebenen, die turbulente, mitreißende Geschichte von Hector nach dessen spurlosem Verschwinden beispielsweise lässt er Alma während des Fluges nach New Mexiko erzählen.

Sind wir Menschen dem Zufall ausgeliefert, ist unsere Selbstbestimmtheit nur Illusion, wie der programmatische Titel suggeriert, in einem ziellosen Chaos? Ist immer Transzendenz im Spiel oder hilft womöglich das Schreiben, Ordnung ins unstrukturiert Immanente hinein zu bringen? Paul Auster variiert auch in diesem Roman wieder seine Themen: Männer in der Krise, Zufall, Schicksalsschläge, Einsamkeit, Schuld, Identität, kurz gesagt die Existenz des uns Verborgenen, und er stellt das alles vor einen dramatischen Hintergrund, die Unbedingtheit des Todes. Mit seiner überbordenden Themenfülle erscheint der gekonnt erzählte Roman ziemlich überfrachtet, der Plot wirkt geradezu slapstickartig mit seinen vielen Wendungen bis hin zum kitschigen Ende des Buches im Buch. Gut unterhalten aber wird man allemal!

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Stadt aus Glas

auster-1Spurensuche

Der amerikanische Schriftsteller Paul Auster wird als typischer Vertreter des Postmodernismus angesehen, er benutzt eine Erzählstruktur, die collageartig reale und fiktionale Elemente zu einer neuartigen epischen Form zusammenfügt. Dabei wird die gängige Erwartung des Lesers auf Stetigkeit und lückenlosen Zusammenhang bewusst konterkariert, wofür der Roman «Stadt aus Glas», erster Teil der New-York-Trilogie dieses Autors, als ein gelungenes Beispiel gelten kann. Die darin anzutreffende Diskontinuität verweist auf irrational erscheinende Realitäten, denen das Individuum in der modernen Massengesellschaft oft ratlos gegenübersteht, an denen es nicht selten ja auch scheitert.

Schon im zweiten Satz des Romans kommt der unter Pseudonym schreibende Krimiautor und Protagonist Daniel Quinn zu dem Schluss, «nichts ist wirklich außer dem Zufall». So eingestimmt wundert sich der Leser dann kaum noch, als ein nächtlicher Anrufer Quinn beharrlich für den Privatdetektiv Paul Auster hält, er lässt sich nach anfänglichem Zögern unter diesem falschen Namen sogar als Detektiv engagieren. Der Autor erzeugt von den ersten Seiten an einen erzählerischen Sog, wie er sonst oft nur in guten Detektivromanen zu finden ist, man mag das Buch nicht zur Seite legen, bevor man nicht weiß, wie diese mysteriöse Geschichte endet, wo die Fäden des Plots zusammenlaufen. Genau damit aber werden die Leser auf den Leim geführt, vieles nämlich ist irrelevant, man wird bewusst auf falsche Fährten gesetzt. Der spannend erzählte Roman folgt also nicht den konventionellen, sprich rationalen Handlungsmustern und liefert schon gar nicht ein logisches Ende, geschweige denn eine Katharsis.

Was Auster stattdessen liefert ist ein nach bester amerikanischer Erzähltradition verfasster, flüssig zu lesender Roman, der äußerst komprimiert eine Fülle von Themen anreißt und en passant so manches Wissenswerte vermittelt. Detailliert wird die Kaspar-Hauser-Thematik beleuchtet, die eine lange Vorgeschichte aufweist bis in die Antike hinein, sie bildet hier im Roman den Kern der Story. In einem makabren Experiment auf der Suche nach der Ursprache hat ein psychopathischer Professor den eigenen Sohn als Studienobjekt missbraucht, ein beklemmendes Zeugnis davon ist der seitenlange Monolog des Opfers Peter Stillman junior. Quinn folgt vielen Spuren, stellt Hypothesen auf und verwirft sie wieder, kritzelt sein rotes Notizbuch voll mit akribisch gesammelten Details. Der von ihm observierte Professor scheint mit seinen endlosen Spaziergängen durch ein genau umrissenes New Yorker Viertel – zeichnet man diese Wege im Stadtplan nach – Buchstaben zu bilden, die auf den Turmbau zu Babel hinweisen. Und schon ist die babylonische Sprachverwirrung Thema, man befindet sich mitten in der Genesis. Die Initialen von Daniel Quinn sind identisch mit denen seiner literarischen Lieblingsfigur Don Quichotte, beide verbindet aber vor allem der aberwitzige Kampf gegen eine fiktive Bedrohung. Der labyrinthische Moloch New York dient hier als Spiegel einer gegen Ende kafkaesk erscheinenden Geschichte, deren einsamer Held an seiner eigenen Identitätskrise zerbricht, sich quasi auflöst, eine gelungene Parabel auf das moderne Leben und ein Sujet, das prompt einen munteren Wettstreit nach plausiblen Interpretationen initiiert hat.

All das ist eingebunden in ein faszinierendes Spiel mit namensgleichen Figuren, Initialen, Verwechslungen, mit einem Schriftsteller Paul Auster, der persönlich auftritt, ohne wirklich etwas beitragen zu können, und einem fiktiven Autor, der das rote Notizbuch des spurlos verschwundenen Helden als Stoffquelle für seinen Roman hernimmt. «Was Auster angeht, bin ich überzeugt, dass er sich in der ganzen Sache schlecht benommen hat», heißt es am Schluss. Und über Quinn: «Er wird immer bei mir sein. Und wohin immer er verschwunden sein mag, ich wünsche ihm Glück». Genau das ist dem interpretierenden Leser dieses surrealen Romans ebenfalls zu wünschen.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Süddeutsche Zeitung München

Nacht des Orakels

In »Nacht des Orakels« schildert der Ich-Erzähler Sidney Orr Ereignisse seines Lebens. Der nach schwerer Krankheit Genesende berichtet über Liebe, Freundschaft, Tod sowie über seine Schwierigkeiten als Schriftsteller, dem es nicht gelingt, seine Gedanken in Worte zu fassen. Als er aber im Papierladen des geheimnisvollen Mr. Chang ein blaues Notizbuch erwirbt, scheint die Schreibhemmung zu verschwinden …

Mehrere Geschichten, die manchmal etwas konstruiert wirken, verbinden sich zu einem lesenswerten Buch, das außerdem durch eine schöne handwerkliche Ausstattung auf sich aufmerksam macht.


Genre: Romane
Illustrated by Büchergilde Gutenberg Frankfurt am Main