Desavouierendes Hohngelächter
Der französische Schriftsteller Éric Vuillard hat mit der Erzählung «Die Tagesordnung» den erzwungenen Anschluss Österreichs thematisiert, wobei er, wie schon in anderen seiner Werke, auch hier ein geschichtliches Ereignis und seine Folgen in extrem verknappter Form neu erzählt. Insoweit kann er als legitimer Nachfolger von Stefan Zweig angesehen werden, der dieses Genre mit seiner Sammlung «Sternstunden der Menschheit» äußerst erfolgreich kreiert hat. Im Unterschied zu ihm jedoch benutzt Vuillard nicht die strenge, auf ein ‹unerhörtes Ereignis› gerichtete Novellenform, er fächert seinen Stoff vielmehr deutlich weiter auf. Hier beginnend mit einem geheimen Treffen der deutschen Großindustriellen bei Göring am 20. Februar 1933 und endend bei der läppischen Entschädigungs-Zahlung Alfried Krupps an die Zwangsarbeiter 1958.
In den 16 Kapiteln der Erzählung entwickelt der Autor seine Version der historischen Ereignisse, indem er sie, fiktional ergänzt, aus einer ironischen Distanz schildert. Sein Schwerpunkt ist dabei die emotionale Ebene, die den oft lächerlich profanen Hintergrund bildet. «Die Literatur erlaubt alles», sagt Vuillard und macht sich in diesem Sinne, mit deutlich erkennbarer Wonne, gleich am Anfang über den Geldadel lustig. Vierundzwanzig Herren steigen im Treppenhaus eines pompösen Palais nach oben zu den Nazigrößen, die sie herbeigerufen haben und sie auch gleich abkassieren werden für den bevorstehenden Wahlkampf. «Demnach könnte ich sie endlos über die Penrose-Treppe schicken» macht der Autor sich über sie lustig, Geben und Nehmen liege ja dicht beieinander in Politik und Geldadel. Ähnlich spöttisch berichtet er auch über einen Besuch von Lord Halifax, entschiedener Verfechter der britischen Impeasement-Politik, bei Göring in der Schorfheide. Auch das demütigende Treffen Schuschniggs mit dem Führer auf dem Berghof wird in mehreren Kapiteln geschildert als Vorstufe zur längst beschlossenen Annektierung Österreichs. Ribbentropps Abschiedsbesuch in Downing Street ist eine ebenso amüsante Episode wie das mit ‹Blitzkrieg› überschriebene Kapitel des deutschen Einmarsches, der dann im blamablen ‹Panzerstau› am 12. März 1938 steckenblieb. Vor die Proklamation des Führers vom Balkon der Wiener Hofburg fügt der Autor noch ein Kapitel ein, in dem er das Theatralische der ‹großen Politik› durch ein riesiges Requisiten-Lager in Hollywood demonstriert, wo zeitgleich mit den Ereignissen bereits sämtliche Nazikostüme für Spielfilme verfügbar waren, Chaplin lässt grüßen! In den letzten beiden Kapiteln thematisiert er das Grauen, indem er von gleich vier Selbstmorden am Tag der Annexion berichtet. Am Ende schließlich holen den senilen Gustav Krupp die toten Zwangsarbeiter ein, die ihn in der Villa Hügel aus dem Dunkeln anklagend anstarren.
Diese 2017 mit dem Prix Goncourt prämierte Erzählung zeichnet sich durch eine irritierende Leichtigkeit aus, in der da ganz unbefangen über das mit Abstand Düsterste in der Menschheits-Geschichte berichtet wird. Sie erinnert damit entfernt auch an «Die Wohlgesinnten» von Jonathan Littel, ein aus der Täter-Perspektive erzählter französischer Holocaust-Roman, der, wen wundert’s, überaus kontrovers diskutiert wurde. Muss man nichtdeutscher Autor sein, um so unbeschwert und beiläufig über die Nazis erzählen zu können?
Wer bei Vuillard sauertöpfisch nach historischer Seriosität fragt, hat dessen Hintertreppen-Methode nicht verstanden. Es sei ihm um das Profane hinter den großen Ereignissen gegangen, um die grotesken Witzfiguren, die als historische Akteure so oft großspurig am Werke seien. Denn vieles erweist sich ja im Nachhinein tatsächlich als reine Farce, und genau das wiederholt sich auch noch ständig bis in die Gegenwart hinein, man denke nur an das Erstarken der Populisten in Europa. Insoweit ist es durchaus legitim, fragwürdige Politiker genüsslich zu desavouieren, sie also sarkastisch mit Hohn zu überschütten zur unverhohlenen Freude des Lesers.
Fazit: lesenswert
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Holzschnittartige Erzählweise
Der Untertitel des Buches Bauern, Land: Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang von Uta Ruge verspricht viel, aber, um es gleich zu sagen, nach der Lektüre der 470 Seiten weiß ich wirklich mehr über Land, Leute und globale Zusammenhänge in der Landwirtschaft. Es gibt auch ein Glossar.
25 James Bond wurden bisher abgedreht. Einer davon dem Publikum noch nicht gezeigt. Die Pandemie sorgte schon für eine zweimalige Verschiebung. Um das Warten auf die Veröffentlichung so angenehm wie möglich zu machen, hat der Reclam Verlag vorliegende 100 Seiten Fibel zum Agenten im Geheimauftrag seiner Majestät auflegen lassen. Der Autor, Wieland Schwanebeck, ist anglistischer Literatur- und Kulturwissenschaftler an der TU Dresden und lehrt und forscht u.a. zu Männlichkeit, Hochstapelei, Humor und britischer Filmgeschichte.
Stilles Venedig. Ein seltenes Privileg wurde den beiden französischen Publizisten Luc und Danielle Carton, die seit 2005 in der Serenissima leben, zuteil. Sie erlebten die schönste Stadt der Welt ohne Touristen. Und beinahe auch ohne Bewohner.
Das Licht ist so wie es an einem Frühlingstag nur in Venedig sein kann: strahlend blauer Himmel und starke Konturen bei den Gebäuden, die das Dreidimensionale sogar noch betonen und scheinbar extra stark (aus dem Wasser) hervorholen. Venedig war ja schon seit jeher eine Augenweide, aber in vorliegendem Fotoband betritt man einen Märchenpalast, dessen einzig der Himmel würdig ist ein Dach zu geben.
Polo, Castello und Cannareggio. Die Giudecca, die zu Dorsoduro gehört, aber auch andere Inseln wurden allerdings ausgelassen, das heißt es geht wirklich ausschließlich um das, was Venedig ausmacht. „Wertvolle Momente des Glücks“, schreiben die beiden in ihrem Vorwort, „in denen das Unmögliche und das Unvorstellbare Wirklichkeit wurden: Venedig ganz für sich allein sehen und haben, wie in unseren verrücktesten Träumen. Venedig, wie wir es uns nie vorzustellen gewagt hätten“. Wer Venedig also schon länger einmal besuchen wollte, der kann es während der Pandemie mit vorliegendem Bildband tun. Denn so viel Venedig war noch nie in einem Venedig-Buch, schließlich sieht man auf den Bildern ausschließlich Gebäude und das Wasser, keine Menschen oder Tiere und vor allem keine einzige Taube. Venedig – wie Sie es noch nie gesehen haben! Eine einzigartige Reportage.

Wie das Leben halt so spielt
Keine einfachen Wahrheiten


Sic transit gloria mundi
Arizona 1880
Vom Bruder des Todes