Welt aus Glas

Literarische Bußübung

Ernst-Wilhelm Händler spürt in seinem Roman «Welt aus Glas» den großen Themen der Menschheit nach, wobei ihm die Glaskunst als Vehikel dient für seine Geschichte. Was in Hesses «Glasperlenspiel» als Überwindung einer lebensfeindlichen Bildungselite angelegt ist, das wird hier als Kapitalismuskritik mittels einer dekorativen Kunstgattung thematisiert. Mit seiner Detailfülle dürfte der dickleibige Roman besonders für Liebhaber dieser elitären Kunstgattung interessant sein, aber auch bereichend für kunstsinnige Leser, die sich noch nie mit exquisiten Glasobjekten beschäftig haben.

Die Protagonisten, das Ehepaar Jillian und Jacob Arbogast, betreiben in New York erfolgreich eine Galerie für Glaskunst. Der dreißig Jahre ältere Jakob hat sich beim Ankauf der Villa eines verstorbenen Kunstsammlers total verspekuliert. Statt der von ihm bezahlten vier ist das Anwesen allenfalls eine Million Dollar wert, sie sind wahrscheinlich ruiniert. Aber Jillian rechnet damit, durch den Ankauf einer überaus wertvollen Glaskunst-Sammlung, von deren wahrem Wert die Mailänder Eigentümer keinerlei Vorstellung haben, diese finanzielle Schlappe ausgleichen zu können, sie hat Käufer dafür bereits an der Hand. Wenn das Geschäft erfolgreich abgewickelt ist, will sie sich dann auch endlich von ihrem Mann trennen. Der hofft, eine reiche Kundin als Investorin für einen Großauftrag gewinnen zu können, bei dem es um die Gestaltung der Grenzbefestigung der USA in Richtung Mexico geht, ihm schwebt eine landschafts-verträgliche Glaskonstruktion vor. Bei seiner Erkundungstour entlang der Grenze zusammen mit der steinreichen Investorin, die inzwischen auch seine Geliebte ist, werden sie von einem kriminellen mexikanischen Polizisten entführt, der Lösegeld erpressen will.

Ideenreich entwickelt der Autor seine Geschichte in zwei abwechselnd erzählten Handlungs-Strängen, die mit vielen Rückblenden das Leben des Ehepaares schildern. Über den Erotomanen Jacob heißt es lapidar: «Existierte noch etwas außer Geld, Sex und Kunst? Ihm fiel nichts ein». Jillian hingegen ist an Sex wenig interessiert, und wenn, dann bevorzugt sie Frauen, mit Jacob hat sie quasi mal eine Ausnahme gemacht. Sie findet stattdessen ihr Glück in Tiffany-Lampen mit floralen Motiven, hat allerbeste Beziehungen zu finanzstarken Sammlern und ist im Übrigen genauso geldgierig wie ihr Mann. Wobei sie auch genauso skrupellos ist wie er, ihrer beider Transaktionen bewegen sich hart am Rande der Legalität, sie nutzen die Sammel-Gier und Unkenntnis ihrer Kunden schamlos aus. ‹Sex sells› ist ja eine Marketing-Weisheit auch in der Literatur, und diesem Mantra folgend gibt es im Roman reichlich Szenen, die ins Pornografische abdriften, ohne jede Beziehung zum eigentlichen Thema, der Selbstfindung zwischen Kommerz und Kunst.

Der Autor versteht es zweifellos, stilistisch gekonnt philosophische Reflexionen und penibel bis ins letzte Detail beschriebene Szenen in seinem Plot miteinander zu verbinden. Es ist aber genau diese filigrane Beschreibungs-Kunst, die auf Dauer lästig wird und zum reinen Selbstzweck ausartet. Allein das mit «Flunky» betitelte Kapitel, in dem Jillian die Glas-Sammlung für den Transport zum Käufer in eigens angefertigte Transportkisten verpackt, erstreckt sich über neunzehn Seiten. Man meint, die Staubkörner zählen zu können, die sie akribisch beseitigt, bevor sie die teuren Objekte vorsichtig, als wäre eine Bombe zu entschärfen, in ihrer jeweiligen Kiste verstaut. Man fragt sich als Leser genervt, warum macht der Autor das? Weil er es eben kann, – so einfach ist die Antwort! Wo blieb da der Rotstift des Lektors? Sowohl die pathetisch vorgetragenen philosophischen Betrachtungen und endlosen Selbst-Reflexionen wie auch die sich immer mehr ausbreitende Langeweile bei den endlosen kunsttheoretischen Exkursen machen die Lektüre zu einer regelrechten Bußübung. Da können dann auch die Thriller-Elemente nichts mehr retten, und die deplazierten Sexszenen erst recht nicht!

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Frankfurter Verlagsanstalt

Die Weisheit der Mütter – Heilsame Impulse aus dem Matriarchat

Ganzheitliches, soziales, naturverbundenes Denken

Theologe Lothar Beck untersucht im vorliegenden Buch Symbole des Matriarchats, die Mythologie und die Überfrachtung des Matriarchats durch das Patriarchat und durch das Christentum kirchlicher Ausprägung. Er beruft sich dabei auf schon vorhandene Literatur, z.B. auf die Basiswerke von Marija Gambutas und Heide Göttner-Abendroth. Er beschreibt im Prinzip, was die Autoren von “Die Wahrheit über Eva” als die “Religion von unten” bezeichnen.

Außerdem benutzt er durchgehend die weibliche Sprachform: “So möchte ich die Selbstverständlichkeit der männlichen Prägung unserer Sprache bewusst machen.” Für mich als weibliche Leserin hat sich das als sehr erholsam und heilsam erwiesen: Ich als Frau werde endlich sichtbar! Ich habe schon vorher eine gendergerechte Sprache befürwortet, jetzt bin ich erst recht dafür, dass diese forciert wird: Sprache ist Ausdruck von Wirklichkeit, Sprache schafft aber auch Wirklichkeit. Beides kommt im Patriarchat zum Tragen, wenn die männliche Sprachform vordergründig für alle gilt, aber trotzdem hintergründig mindestens ein Geschlecht ausschließt und unsichbar macht. Wenn eine gendergerechte Sprache eingeführt wird, mag das vordergründig zwar etwas mühsamer zu lesen und zu schreiben sein, aber sie holt ans Licht, was schon lange da, aber (gewollt) unsichtbar war. Damit kommt Frauen und anderen Geschlechtern mehr Sichtbarkeit und damit mehr Präsenz und Wertschätzung zu. Diese wirkt sich (das ist meine tiefste Überzeugung), konsequent angewandt, auch auf andere Bereiche des Lebens aus.

Theologe Lothar Beck kommt, kurz zusammengefasst, zu folgenden Erkenntnissen:

  • Die symbolische Vaterordnung ist auf allen Ebenen eng mit männlichem Domminanzverhalten und männlicher Gewalt verknüpft. “Die Symbolordnung zwingt das andere Geschlecht zu einer stärkeren Anpassung an die jeweilige Sichtweise und ihren Wertekanon.”
  • arche, griechisch = Ursprung, Herrschaft => matri-arche = mütterliche Ursprungsbezogenheit allen Lebens; patri-arche = väterlich-männliche Vorherrschaft
  • männliche Gewalt zielt in 3 Richtungen: gegen männliche Konkurrenten, gegen Frauen und Mütter, gegen Mutter Natur
  • Politik der Gleichberechtigung: Frauen werden verstärkt dazu eingeladen, sich an patriarchalen kapitalistischen bzw. sozialistischen Unterdrückungs- und Ausbeutersystemen aktiv zu beteiligen
  • Die Umwandlung vom matriarchalen zum patriarchalen System erfolgte nicht von innen, sondern von außen durch frühpatriarchale Eroberer, dann auch immer hierarchisch von oben nach unten gegen massiven jahrtausendelangen Widerstand (vgl. auch das Buch “Die Wahrheit über Eva”).
  • Matriarchale Religiosität erklärt sich von selbst und bindet Natur und Alltag sinnstiftend ein (s. “Wahrheit über Eva”: Religion von unten), während patriarchale Religion von oben kommt: “Eine abstrakte theologische Idee wird sekundär mit natürlichen Abläufen verknüpft, um ihren künstlich-theoretischen Sinngehalt glaubwürdiger und verständlicher zu machen.” Sie dienen dabei ausschließlich männlicher Machtinteressen. (s. “Wahrheit über Eva” Religion von oben bzw. Herrschaftsreligion) => derzeitige Weltreligionen wie monotheistische Religionen, Buddhismus… sind zutiefst patriarchal
  • Frauen gelten in Vaterreligionen als zweitrangige Menschen, werden von Priesterämtern ausgeschlossen, gelten zur Zeit der Menstruation und Geburt als unrein (bei der Geburt von Mädchen doppelt so lange wie bei der Geburt von Jungen); Sexualität gilt als Sünde, wobei die Frau angeblich den Mann zur Sünde verführt; der gesamte Bereich der Monatsblutung, der Frauwerdung, des Frauseins nach der Menopause wird bis heute negativ erlebt und tabuisiert (s. das Jugendbuch “Alles ganz normal”) und seine große Würde und Bedeutung wurde und wird ihm genommen
  • “Frauen werden im Grunde bis heute als Menschen zweiter Klasse behandelt. Sie werden unterbezahlt und stehen noch immer ziemlich alleine da: im unlösbaren Konflikt zwischen Kindererziehung und Karriere. Dies bedeutet, dass sich jede Frau in der vaterländischen Volkswirtschaft selbst ihren Weg zwischen Kindern und Beruf suchen muss, also zwischen einer randständigen weiblichen und einer außenwirksamen männlichen Lebensgestaltung. Obwohl sie statistisch gesehen dabei sind, die Männer sowohl in kommunikativ-emotionaler als auch in mathematisch-technischer Intelligenz zu überholen, werden sie belächelt und weniger ernst genommen, wenn sie in der Ehe oder in einem Team von Männern ihre Werte und ihre weibliche Art, an eine Sache heranzugehen, zu äußern oder zu begründen versuchen.”
  • Die “weibliche Art” beschreibt Beck als ganzheitliche Herangehensweise, die z.B. in einem Konfliktfall nicht auf eine schnelle, dominante Lösung aus ist, sondern auf eine langfristige, ganzheitliche und alle Parteien aus sich heraus befriedende Lösung. Der Lösungsprozess ist dabei oft schmerzlich, aber heilsam.
  • Das geht einher mit dem weiblichen Symbol des Knotens und des Lösens desselben: Früher war es die Aufgabe des Mannes als Eignungstest für Führungsaufgaben, den Knoten geduldig zu lösen und dabei zu wertvollen Erkenntnissen zu gelangen, während die patiarchal-gewaltsame Lösung eines Alexanders des Großen so aussieht, dass er den gordischen Knoten einfach durchschlägt – das Gegenteil einer ganzheitlichen Lösung.
  • “Die symbolische Ordnung der Mutter und die Hochachtung der Mutter Natur könnten einen existentiellen Rahmen für eine Kurskorrektur und eine lebensbewahrende, nachhaltige Entwicklung darstellen […]”
  • “Der Sinn von Intelligenz ist vornehmlich ein sozialer […] Ungebundenes Mannsein steht in Gefahr, die Ehrfurcht vor dem Leben zu verlieren.”
  • Im alten Europa, aber auch weltweit verkörperte das Weibliche das Ursprüngliche. Alles Weibliche war schöpferisch: Jedes Tier entsteht aus dem Eierstock, jede Pflanze aus dem Fruchtknoten. Das Weibliche war deshalb das Abbild des Göttlichen und ihm wurde eine besondere schöpferische Kraft zugeschrieben. In jedem Muttertier, in jeder samentragenden Pflanze, in jedem fruchttragenden Baum zeigt sich die Göttin als schöpferisch Gebärende, als Große Mutter. Der Todesaspekt war in die ganzheitliche Muttersymbolik integriert. Die Göttin trat deshalb auch meist in der Dreiheit auf: als Mädchen (Farbe weiß), als Menstruierende/Mutter (Farbe Rot), als Frau in der Menopause (Farbe Schwarz). Diese Dreiheit der weiblichen Gottheit hat das kirchliche Christentum übernommen und versucht, sie auf das Männliche umzudeuten, wobei der weibliche Aspekt zurückgedrängt und bekämpft worden ist. Die Dreiheit des Weiblichen (Göttinnen bzw. Aspekte der Großen Göttin erscheinen gern in Dreierformation, aber auch Feen) gilt auch für die Mondphasen (mit dem Mond ist die Frau besonders eng verbunden, weil der Mond wie die Periode zyklisch ist und Frauen oft im Mondzyklus menstruieren), den Lebenszykkus und den Jahreszyklus. Die zyklische Frau ist mit dem Zyklus der Natur verbunden und lebt mit, nicht gegen die Natur. (In diesen Zusammenhang fällt auch die Wiedergeburt, an die die meisten Religionen glauben. Die Hauptströmungen des Monotheismus haben den Wiedergeburtsglauben verbannt und verfolgt. Er ist aber in den mystischen und den Nebenströmungen des Monotheismus immer noch vorhanden. Die Göttin birgt die Seelen der Verstorbenen in ihrem Bauch (s. Höhlengräber und runde Gräbererhebungen), bis sie wiedergeboren werden (s. z.B. Frau Holle im Buch “Unsere heimischen Göttinnen neu entdecken” von der Archäologin Joanne Foucher).)
  • Die Religion von unten erklärt sich (wie oben angedeutet) von selbst: Runde Formen in der Natur wurden dem Weiblichen zugeschrieben (Schwangerschaftsbauch, Brüste), Fels- und sonstige Spalten der Vagina (die besondere schöpferische Kraft besaß und deshalb verehrt wurde). Wasser wurde ebenfalls mit dem Weiblichen und Göttlichen in Verbindung gebracht (Fruchtwasser, Wasser, das aus Felsspalten dringt, Flüsse => Flüsse schlängeln sich: Schlangen und Drachen => im Christentum verteufelt und bekämpft, s. z.B. Garten Eden und Georg und der Drache). Die erblühende Natur im Frühling wurde u.a. der Göttin Ostara (Ostern) zugeschrieben. Eier (s. Weltenei), meist rot gefärbt (Menstruationsblut), Hennen, Kaninchen/Hasen (weil sichtbar fruchtbar), Lämmer gelten bis heute als Symbole für Ostern! Wo solche Göttinnensymbole nicht verbannt werden konnten, wurden sie entweder christianisiert oder dämonisiert bzw. als Aberglaube abgewertet. (s. auch “Unsere heimischen Göttinnen neu entdecken”)
  • Als Abbild der Göttin trug die Frau die Bezeichnung “geweihter Mensch” (Wei(h)b) bzw. englisch “wo-man”. Die ältesten Figuren, die man gefunden hat, sind Frauenfigurinen. Die Frau ist die Schöpferin (s.o.), der Mann das Geschöpf. In diesen Zusammenhang fällt auch die weltweite Mythologie des Sohn-Geliebten. Die Göttin gebiert alle(s) und damit auch den männlichen Gott. Als Geschöpf stirbt der Gott, von der Göttin beweint, entweder in der Trockenphase heißer Länder oder im Herbst und feiert im Frühling Wiederauferstehung. Mit der Göttin vermählt er sich, um Fruchtbarkeit zu garantieren. Er ist als Gott und als Mann in das Geschöpfliche, geboren aus der Göttin, eingebunden. Als solcher ist er guter Hirte (s. Christentum) und vorausschauender, ganzheitlicher Gärtner. Das Patriarchat hat diese weibliche Schöpferkraft schrittweise zurückgedrängt und dem männlichen Gott zugeschrieben, wobei diese Zuschreibung künstlich konstruiert wird, sich aber nicht aus natürlichen Begebenheiten erklärt. Die Götter Odin und Thor z.B. waren ursprünglich ebenfalls gute Hirten und Gärtner, bevor der destruktive Herschafts- und Gewaltanteil überwog und verherrlicht wurde. Jesus ist auch im Christentum der gute Hirte und war ursprünglich der Religion von unten zugetan (s. auch “Die Wahrheit über Eva”) und hat sie verkörpert (was Beck mit verschiedenen Bibelpassagen belegt).
  • Göttinnensymbole sind der oben schon beschriebene Knoten als Symbol der Weisheit und Wandlungskraft. Die Kröte verkörpert die gebärende Stellung der Göttin/Frau und damit die Geburtskraft. Weitere Göttinnensymbole sind neben dem Ei und der Vulva das Schamdreieck als Symbole des Entstehens und des Ursprungs. Das kosmische Kreuz (!) und das Rad sind Symbole der kreisenden (zyklischen) Bewegung. Das Rautennetz verkörpert den Zusammenhang und die die Koevolution. Mondsichel, Horn und Raupe stehen für das Werden und den Übergang. Biene (die Göttin wird gern als Biene dargestellt) und Schmetterling verkörpern die Transformation und die Wandlungskraft. Bärin und Hirschkuh sind Sinnbilder der Mütterlichkeit. Hügel, Quellen, Höhlen und Bäume sind Grundelemente des heiligen Ortes.
  • “In der Ehtnologie ist die große Friedfertigkeit matriarchaler Gesellschaften allgemein belegt.” Sie stärkt das Ich-Bewusstsein im egalitär-akzeptierenden Sinn und erweitert es auf die Gemeinschaft. Wenn eine Mutter Unterstützung bei der Kindererziehung von ihrer Mutter erhält, leben die Enkel länger. Unter dem Vorsitz der Sippenmutter wird Konsenz angestrebt. “Es herrscht niemand. Was zählt, ist die Klugheit, die Kompetenz und die Erfahrung des einzelnen.” Freiwillige Akzeptanz, Prinzip des Ausgleichs, des freiwillig angenommenen Ratschlags und Stammesbündnisse von Gleichen sind weitere Merkmale eines Matriarchats. Der Herd gilt als heiliger Ort für die Ahn*innenverehrung. Feste bestreiten und Hilfsbereitschaft bringen hohe Anerkennung. Die Anhäufung von Gütern stellen keinen Wert dar (s. auch “Wahrheit über Eva”). Nachhaltiges Umgehen mit natürlichen Ressourcen, Geburtenregelung allein durch die Frau, umfassende Solidarität, heiliges Gastrecht, hoher Wert der selbstbestimmten Sexualität, freie Liebesbeziehungen, innige Beziehung und Fürsorglichkeit der Muttersippe sind weitere Merkmale.
  • Zusammengefasst gesagt: Vom Matriarchat in seinen verschiedenen Ausprägungen kann man viel lernen für einen gesunden, heilsamen und konstruktiven Umgang mit der Welt und miteinander.

Sinnstiftung und wohlwollender Umgang miteinander, nicht gegeneinander

In der Zuammenfassung oben konnte ich nicht alle Aspekte beleuchten, dafür ist die Lektüre dieses Buches da. Lothar Beck gibt wie auch Joanne Foucher und die Autoren von “Die Wehrheit über Eva” wichtige Erkenntnisse und Impulse für ein sinnstiftendes, ganzheitliches, nachhaltiges, soziales Leben mit und nicht gegeneinander, mit und nicht gegen die Natur. Er verbindet in seinem Buch die Göttinnensymbolik und Erkennntnisse aus dem Matriarchat mit dem kirchlichen Christentum und zeigt auf, wo die alte Religion vom Christentum überformt und defamiert wurde. In seinen Exkursen stellt er weitere Verbindungen her und gibt tiefere Einblicke in eine Welt, die aus ihrem System heraus um so vieles besser ist als die jetzige. Er zeigt sehr deutlich auf, wie tiefst patriarchalisiert wir heutzutage sind, stellt die einzelnen Phasen des Patriarchats dar (Früh-, Hoch- und Spätpatriarchat) und zeigt auf, wo sie heute noch zu finden und wie weit wir in ihnen verstrickt sind. Er gibt aufgrund der Erkenntnisse über das Matriarchat Tipps für ein in allen Belangen gesünderes, ganzheitliches und befreiteres Leben – für Frauen und Männer! Er zeigt also auch auf, wo Männer sich in einem solchen ganzheitlichen System verorten können und welche Vorteile es nicht nur für die Frau, sondern auch für den Mann hat.

Fazit: Definitiv lesens- und überdenkenswert!


Illustrated by Neue Erde

Der Vogel, der spazieren ging

Leichtfüßig mit Tiefsinn

In seinem satirischen Roman «Der Vogel, der spazieren ging» erzählt Martin Kluger mit viel Witz eine jüdische Familiengeschichte, deren überbordende Lebensfülle von einer verborgener Tragik überschattet ist, welche aber nur sehr vage angedeutet wird. Man merkt dem Plot an, dass sein Verfasser auch Erfahrungen als Drehbuchautor hat, viele Szenen sind geradezu filmreif. Wobei hier der kriminalistischen Elemente wegen eher an den ‹Film noir› zu denken ist, vor allem aber ist sehr viel schwarzer Humor im Spiel. Beim Humor jedoch scheiden sich ja bekanntlich die Geister, denn wenn man die Anspielungen oder falschen Fährten, die in diesem Schelmen-Roman immerzu gelegt werden, nicht als solche erkennt und einordnen kann, dann kann man sich natürlich auch nicht darüber amüsieren!

Der Ich-Erzähler Samuel Leiser lebt als einer von neunundzwanzig Übersetzern der Kriminalromane seines Vaters in Paris. Yehuda Leiser, der als Jude dem Naziterror entkommen konnte und mit seinem dreijährigen Sohn nach Amerika ausgewandert ist, schreibt unter dem Pseudonym Jonathan Still eine äußerst erfolgreiche Krimireihe. Sam, der die Bücher des Vaters ins Deutsche übersetzt, hat eine Tochter mit der bekannten Filmregisseurin Letitia aus Montevideo, die sich von ihm aber getrennt hat und jetzt mit einem glamourösen Filmstar zusammenlebt. Die zwölfjährige Ashley verlässt ihr englisches Internat und zieht zu Sam nach Paris. Damit beginnt für ihn ein turbulentes Leben mit dem frühreifen Mädchen gerade in dem Moment, als er sich frisch in seine Spanisch-Lehrerin verliebt hat.

So beginnt ein im Jahre 1972 angesiedelter, zuweilen fast slapstickartig turbulenter Plot, in dessen Verlauf nicht nur die pubertäre Tochter, sondern auch die aus aller Welt anreisende Familie voller skurriler Typen das Leben von Samuel völlig durcheinander wirbelt. Höhepunkt ist Ashleys Geburtstag, zu dem sich alle in seiner Wohnung versammeln. Mit erkennbarer Wonne lässt der Autor seine liebevoll beschriebenen Figuren, die in ganz unterschiedlichen Beziehungen zueinander stehen, aufeinander prallen. Als da wären: Tochter, Geliebte, Samuels Ex, deren Neuer, der dominante Vater, der mafiöse Onkel samt Bodyguards, eine ungemein erfolgreiche Bestseller-Autorin trivialer Kitschromane. In diesem Trubel geht für Sam so ziemlich alles schief, Ashley nervt mit Fragen nach ihren jüdischen Wurzeln, seine längst überfällige Übersetzung bleibt unerledigt liegen, mit der Liebsten gibt es erste Probleme, die Geburtstagsfeier für die Tochter endet im Fiasko.

Bereichernd sind die Einblicke in jüdisches Leben, und amüsant sind vor allem die vielen Beispiele für jüdischen Humor. Das dominante stilistische Merkmal dieses Romans aber liegt in der Fülle von intertextuellen und philosophischen Querverweisen, die einiges an Belesenheit voraussetzt, will man all die Anspielungen verstehen. Zudem gibt es interessante Einblicke in das Zusammenwirken von Autor, Übersetzer und Verleger, es wird aber auch über stilistische Finessen und Tricks beim Schreiben erzählt. Die Pachtwork-Familie des Romans spricht verschiedene Sprachen wild durcheinander, was durch viele, oft längere englische, spanische und französische Einschübe betont wird, die unübersetzt den Lesefluss allerdings ziemlich stören. Wer außer dem Autor ist denn schon firm in allen drei Fremdsprachen? Sehr erfreulich hingegen sind seine vielen kreativen Satzgebilde, so wenn eine WG-Küche erwähnt wird, «deren Zustand zu beschreiben ein völlig neues Vokabular erfordern würde». Oder wenn sein Protagonist zu erkennen glaubt, die Wirkung der erzwungenen Gemeinschaft in einem Internat würde «eine steppenwolfartige Solidarisierung des Zöglings mit sich selbst [zu] fördern». Ähnlich burschikos formuliert auch Felicitas Hoppe, die genau deshalb ihre Fangemeinde hat mit einer dem Spaß zugeneigten Leserschaft, den Rezensenten eingeschlossen! Wer also leichtfüßig Erzähltes mit reichlich Tiefsinn sucht, der ist auch hier genau richtig!

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by DuMont

Alles ganz normal

Alles ganz normal?

Camillas Leben gefällt ihr gerade gar nicht: Ihr Vater hat eine neue reiche Freundin, zu der die Familie ziehen muss. Camilla findet ihre neue Stiefmutter zu oberflächlich und beziehungsunfähig. Ihre Stiefschwester ist ein echter Stinkstiefel. Der Vater kümmert sich nicht mehr um seine eigenen Kinder, hält dafür aber zu seiner neuen Familie. Überhaupt wirkt er sehr überfordert: Es kümmert ihn nicht, dass sein Sohn die Schule dauerhaft schwänzt oder seine Tochter in der neuen Schickimicki-Klasse gemobbt wird. Camillas alte Freundinnen wenden sich von ihr ab.

Dagegen scheint es bei Luna alias Lunatika viel besser zu laufen: Die beliebte Tiktokerin fährt immer neue Follower-Rekorde ein, bekommt Angebote für Verträge. Sie scheint immer auf alles eine Antwort zu wissen und ihren Follower*innen Trost spenden zu können. Aber auch hier ist nicht alles so, wie es scheint. Lunas Vater glänzt seit Jahren aufgrund seines Forschungsprojektes durch Abwesenheit. Die Mutter ist praktisch alleinerziehend und musste daher auf die Verwirklichung ihrer Träume verzichten. Sie versucht es dennoch, nachdem ihre Tochter aus dem Gröbsten heraus ist, aber mit wenig Erfolg. Das Mutter-Tochter-Verhältnis ist angespannt.

In all der Misere startet Camilla einen letzten Versuch, die Freundschaft zu ihren alten Freundinnen zu retten: Sie nimmt ein Video auf, in dem sie über ihre erste Periode spricht. Was eigentlich nur für ihre Freundinnen gedacht war, gerät in die falschen Hände – auf einmal ist Camillas Video für alle zugänglich. Das beschert ihr übles Mobbing, aber auch eine langsam wachsende Solidarität zwischen den Mädchen.

Mobbing, Tabuthemen, Feminismus, Social Media, Familienmodelle, Politik

Das rote Tuch verbindet die verschiedenen Themen des Buches: Es steht zum einen für die Periode, die von der Gesellschaft anstatt gefeiert tabuisiert wird. So sind Frauen und Mädchen gezwungen, so zu tun, als gäbe es die Periode  und alles, was damit zusammenhängt, nicht. Sie müssen sie verstecken, verheimlichen, dass sie sie haben. Sie erdulden still die allmonatlichen Schmerzen und das Unwohlsein und müssen so tun, als wäre alles ganz normal. Bis vor kurzem waren Hygieneartikel für die Periode sogar mit einer Luxussteuer (!) belastet. Das führt dazu, dass sie sich für ihre Regelblutung schämen und nicht wissen, wie sie mit dem Natürlichsten der Welt umgehen sollen. Sie haben keinerlei Kenntnisse über sie und werden von ihr überrascht, wenn sie kommt. Und das führt wiederum zu peinlichen Situationen.

Die Periode ist ein rotes Tuch für eine Gesellschaft, die patriarchal geprägt ist. Sie steht für das Frausein, für die Fruchtbarkeit der Frau. Denn nur die Frau ist in der Lage, Leben zu schenken. Die Frau und alles, was mit dem Frausein zusammenhängt, wird durch das Patriarchat negiert, angefeindet, ins Lächerliche gezogen, ignoriert, tabuisiert, dämonisiert. Im Buch wird das durch das üble Mobbing Camillas verdeutlicht. Sie muss jeden Tag in der Schule eine wahren Spießrutenlauf absolvieren durch Häme, Tuschelei, Stichelei und Angriffe in Form von Tampons, die feucht rot bemalt sind, oder überlebensgroße Graffiti am Schulgebäude, die sie und ihr Bedürfnis, über die Periode zu reden, in den Dreck ziehen. Nutznießer sind in dem Buch die notgeilen, frauenfeindlichen Politiker, gegen die sich Widerstand auch in der Schule regt.

Das Buch verschweigt nicht, dass auch Frauen bewusst oder unbewusst den patriarchalen Interessen dienen. Dafür steht die Lehrerin, die von den Kindern verlangt, einen Aufsatz über eine normale Familie zu schreiben. In der Klasse – alles privilegierte Jugendliche – herrscht Ratlosigkeit darüber, was als normal gilt. Denn die Familienmodelle sind völlig unterschiedlich: Allereinerziehende Eltern, Patchworkfamilien, abwesende Väter usw. Das gutbürgerliche Modell der Kleinfamilie mit Vater, Mutter, Kind(ern) wird von kaum einer Familie erfüllt. Das bringt die Lehrerin aus dem Tritt, was sie aber mit Ignoranz und Strenge überspielt. Der Besuch des frauenfeindlichen Senators löst nur bei ihr Begeisterung aus, in der Klasse aber nicht. Der Senator ist lebensfremd, sodass er die Kids und deren Lebenswirklichkeit weder interessiert noch berührt.

Das rote Tuch steht weiterhin für Solidarität und das Kämpfen für eine bessere Welt – die wiederum für den Senator/ die Herrschenden, der/die sich in Privilegien und Frauenfeindlichkeit eingerichtet hat/haben, ein rotes Tuch ist. Die Mädchen und ein paar der Jungen tragen das rote Tuch in der Schule und während des Besuchs des Senators. Vor der Schule demonstrieren Feministinnen, unter anderem Lunas Mutter, für mehr Gerechtigkeit. Lunas Mutter ist leidenschaftliche Comiczeichnerin, die in ihren Comics feministische Themen aufgreift, auch weil sie selbst die Erfahrung gemacht hat, in einer patriarchalen Welt zu kurz zu kommen und benachteiligt zu werden. Sie hat für den Traum ihres Mannes ihren eigenen aufgegeben und das gemeinsame Kind großgezogen – nur um festzustellen, dass er sie wahrscheinlich betrügt.

Luna und Camilla, die am Anfang alles andere als Freundinnen sind, entdecken, dass es sehr wohl Gemeinsamkeiten gibt und sie voneinander lernen können. Sie entwickeln während des Besuchs des Senators aus dem Stehgreif eine neue Rede, die live gestreamt wird und das alte, feindliche System bloßstellt – so wie Camilla bloßgestellt worden ist.

Die Männer kommen in dem Roman meist nicht gut weg. Sie sind entweder überforderte Väter, vor der Familie geflüchtete und egoistische Väter oder Jungen, die sich dem Mainstream anpassen. Der Senator steht für Machtmissbrauch und Frauenfeindlichkeit. Einzig ein Lehrer an der Schule besitzt Empathie und das Geschick, Mobbing und Tabuthemen für die Schüler*innen so aufzubereiten, dass daraus fruchtbare Einsichten entstehen. Auch Außenseiter Valerio entpuppt sich als tiefsinnig und fortschrittlich und steht so im Widerspruch zu den angesagten, aber empathielosen Jungen seiner Klasse, bei denen das tumbe Ramboverhalten und rücksichtslose Machtstreben als Ideal gilt.

Das rote Tuch als roter Faden schlingt sich auch um Social Media. Am Beispiel Lunas und Camillas werden die Gefahren aufgezeigt, die Social Media mit sich bringen kann. Die junge Tiktokerin versteht diese Gefahren noch nicht und ist überfordert mit ihrer Beliebtheit und deren Konsequenzen. Camilla spürt die Gefahr am eigenen Leib (s.o.). Aber Social Media bietet auch die Chance, sich zu wehren. Luna nutzt ihre Beliebtheit, um positive Änderungen in Gang zu setzen und auf Missstände aufmerksam zu machen.

By the way: Luna ist lateinisch und bedeutet “Mond”. Der Mond steht für die Mondzyklen und ist eng mit dem Weiblichen und der Periode der Frau verbunden. Frauen menstuieren oft im Mondzyklus. Der Mond in diesem Zusammenhang steht auch für weibliche, mächtige Gottheiten. Lunatica dagegen bedeutet “launisch, sprunghaft…” und ist negativ konnotiert. Das passt ins Bild, wie ursprünglich positive Weiblichkeit vom Patriarchat ins Negative verkehrt wird. Der Autorin, selbst Feministin, dürften diese Zusammenhänge bekannt sein. Sie setzt sie wohl sehr bewusst ein und verkehrt z.B. den negativ besetzten Begriff Lunatika wiederum ins Positive durch eine ihrer Protagonistinnen.

Camilla kommt ebenfalls aus dem Lateinischen und bedeutet “die Ehrbare”. Die Kamille wird oft als Zeichen der Hoffnung gedeutet. Muss man dazu noch mehr sagen?

Das Cover

Das Cover ist gut gewählt. Es weist, ohne zu viel zu verraten, auf den Inhalt des Buches hin. Die vorherrschenden Farben sind Rot und Rosa. Rot, das rote Symbol der Weiblichkeit und die Blutstropfen deuten auf die Periode, die kein Tabuthema sein sollte, sondern etwas ganz Natürliches ist, für das sich Mädchen nicht zu schämen brauchen. Sie sollten im Gegenteil stolz auf dieses ureigenste Merkmal der Frau sein dürfen. Rosa ist die kleine Schwester von Rot. Sie war früher Farbe der Männer, die mit Rot den Kriegsgott Mars verbunden haben. Rosa galt als das kleine (kriegerische) Rot, bevor es für Mädchen verharmlost und verniedlicht wurde. Rote Wangen, rote Lippen, rote Tücher, rote Blutstropfen, roter Pulli… Frau pur! Und durchaus kämpferische Frau, denn die Mädchen und Frauen auch im Buch kämpfen für sich und ihre Bedürfnisse. Und Schwarz ist nicht nur die Farbe der Trauer (der Trauer darüber, wie die Verhältnisse für Frauen und Mädchen immer noch sind), sondern auch für die fruchtbare, schwarze Mutter Erde, aus der Leben und Neues erwächst. In diesem Fall positive Veränderungen.

Fazit

Das Buch ist extrem lesenswert, weil es auf mehreren Ebenen in die Tiefe geht. Es spricht nicht nur ein, sondern gleich mehrere kritische Themen an, verbindet sie, reflektiert sie und bietet Lösungsvorschläge an. Diskriminierung ist meist auch nicht ein- sondern mehrdimensional. Die verschiedenen Schichten müssen erst einmal durchschaut und konstruktiv aufgearbeitet werden. Das bietet das Buch ebenfalls. Die Schreibe ist verständlich und spannend. Damit ist “Alles ganz normal” auch als Schullektüre mehr als geeignet.


Genre: Jugendbuch
Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Mao – das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes

Mao – der Trump der Kommunisten?

Neulich hat mich Mao angelächelt. Auf einem Buch, das an einen Zaun gelehnt zum Mitnehmen stand. Das passiert im Viertel hier häufig, dass Menschen die Bücher nicht wegwerfen, sondern zum Mitnehmen vors Haus stellen.
Ich habe Mao mitgenommen. Über Stalin wusste ich schon immer viel, die Begeisterung der Marxisten-Leninisten für ihn in den Siebzigern habe ich nie geteilt.
Aber Mao, der schien nicht so schlimm zu sein. Selbst viele Konservative fanden ihn toll.
Und für uns Jugendliche klang Kulturrevolution so verführerisch. Wir haben sie 1968 und später geliebt. Aufstehen gegen eingerostete Kultur, eingerostete Institutionen, Bürokraten. Nicht nur ich, auch viele andere junge Leute haben daran geglaubt.
Das Mao-Buch allerdings erzählt eine Geschichte darüber, die ich so nicht kannte.
Die Kulturrevolution war eine geschickte Intrige Maos. 1958-61 hatte er den großen Sprung nach vorne ausgerufen, überall brannten kleine Hochöfen und sämtliche nützlichen Dinge aus Eisen wanderten dort hinein. Den Bauern wurden die Lebensmittel abgepresst, die Mao ins Ausland verkaufte, um Geld für seinen Traum, die chinesischen Atombombe, zu bekommen. Er glaubte wirklich, dass China mit dem Eisen aus Mini-Hochöfen zur Großmacht werden würde.
1962 wagten dann doch einige Funktionäre den Aufstand. Erstmals kam zur Sprache, dass Millionen beim großen Sprung verhungert waren. Dass Maos Vorstellung, man müsse nur viel Stahl erzeugen, um zur Weltmacht zu werden und die USA zu überholen, ein gigantischer Schwindel war. Mao musste klein beigeben und den großen Sprung abblasen. Natürlich schob er anderen die Schuld in die Schuhe, den örtlichen Funktionären, der Sowjetunion und den Planungskommissionen. Nur einer war unschuldig; der Erfinder des großen Sprungs vorwärts, der Schrott produzierte und Millionen verhungern ließ:
Gott vergibt. Mao niemals. Liu chao Shi, der zweite Mann in der KP Chinas, hatte ihm widersprochen. Und mit ihm viele andere Funktionäre. Widerspruch vertrug Mao nicht und vergaß ihn nie.
So rief er die Kulturrevolution aus. Die Jugend sollte gegen die Bürokraten und die alte Kultur aufstehen. Sie tat es gerne, die Bürokratie war verhasst. Wie immer delegierte Mao die Aufgabe, diesmal an seine Frau Jiang Qin und an seinen Verteidigungsminister Lin Biao. Liu chao Shi wurde gedemütigt und in Isolationshaft genommen. Zahlreiche Funktionäre wurden durch die roten Garden gefoltert, getötet oder, wenn sie Glück hatten, nur öffentlich gedemütigt und zu »Selbstkritik« gezwungen.
Mao legte Quoten fest, die vorgaben, wie viele in jedem Bezirk verhaftet, wie viele ermordet werden mussten. Wer zu wenige erschoss, war ganz sicher ein Rechtsabweichler und musste ebenfalls verfolgt werden.
Das Ganze war nicht neu. Wie Stalin benutzte Mao andere Menschen und ließ sie beseitigen oder ins Arbeitslager schaffen. Die Taktik hatte er bereits seit der Gründung des ersten kommunistischen Staats 1931 in einer chinesischen Provinz angewandt. Um seinen Traum vom »neuen Menschen« zu verwirklichen, der allen Egoismus fahren ließ, nur für das Kollektiv lebte, immer die gleiche Meinung wie alle vertrat und sich auch gleich wie alle anderen kleidete. Wie Ché Guevara hasste Mao Individualismus.
Und wie viele Puritaner predigte er Wasser und trank Wein. Er selbst hungerte nie. Den Chinesen waren Bücher verboten, außer der roten Mao-Bibel. Mao wollte die Kultur nicht revolutionieren, er wollte sie »ermorden«. Unnützes Zeug, das die Menschen von der gesellschaftlich nützlichen Arbeit abhielt.
Er selbst besaß ein eigens konstruiertes Bett, damit die vielen Bücher, die er dort stapelte, nicht in der Nacht auf ihn fielen.
Jung Chang und Jon Halliday schildern Mao ausführlich mit zahlreichen Quellenangaben in »Mao – das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes«. Ein trauriges, aber notwendiges Buch, das den Aufstieg eines Intriganten schildert, der die Welt beherrschen wollte, jeden Widerspruch brutal unterdrückte und die Chinesen hungern ließ.
Das Buch zeichnet Maos Weg gut nach, leider verliert es einiges dabei aus den Augen. Anfang der Zwanziger hatte die KP Chinas knapp über vierzig Mitglieder, Anfang der Dreißiger konnte sie ihren ersten kommunistischen Staat in China gründen, Ende der Vierziger beherrschte sie das chinesische Festland.
Mao beherrschte die KP. Der Frage, warum so viele ihm nachgelaufen sind, geht das Buch leider nicht nach. Und auch nicht der Frage, warum das Konzept der leninistischen Partei, der »Führung der Arbeiterklasse«, nicht nur Mao und Stalin, sondern auch massenhaft weitere Bürokraten, Intriganten und Opportunisten hervorbrachte.
Auch in anderen Gesellschaften wimmelt es von Opportunisten und Intriganten in der Politik. Mit Trump haben wir gerade ein eindrückliches Beispiel erlebt. Genau wie Mao vertrug er keinerlei Widerspruch, glaubte, alles besser zu wissen als die Fachleute, schlug jeden Ratschlag in den Wind und entließ jeden, der ihm auch nur ein bisschen widersprach.
Aber die USA hatten seit langem Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit, die selbst ein Trump nicht abschaffen konnte, obwohl er es immer wieder versucht hat. Lenin hat beides bei seinem Revolutionskonzept völlig außer Acht gelassen. Die Rechnung wurde bald präsentiert, als Stalin an die Macht kam. Und später bei Mao wiederholte es sich. Kein unabhängiges Gericht konnte ihnen auf die Finger klopfen, keine freie Presse die gefälschten Erfolgszahlen anprangern, die Hungersnot und die Morde der Geheimpolizei aufdecken.
Das Buch hat mich traurig gestimmt, ich konnte es nur nach und nach lesen, weil es mich an meinen Idealismus und den zahlreicher Anderer erinnert hat. Und die Frage aufwirft, warum so viele Intellektuelle diesem Kriminellen nachgelaufen sind, überall sein Loblied sangen und jeden verteufelten, der ihnen widersprach. Schon damals gab es eine Cancel-Culture, die unbequeme Wahrheiten lieber unter der Decke halten wollte.


Illustrated by Blessing München

Prinz Eisenherz Band 25

Prinz Eisenherz Yeates-Jahre Band 25: Im 25. Band der Nachfolgezeichner Hal Fosters zeichnet Thomas Yeates für Text und Zeichnungen verantwortlich. Er hat nicht nur Aleta, der Frau von Prinz Eisenherz, Zauberkräfte verliehen, sondern ihr auch zwei Raben zur Seite gestellt, die ihr manche Schwierigkeit abnehmen. In vorliegendem Abenteuer ist auch Prinz aus Thule froh, dass er eine Gefährtin gefunden, die so gut zu ihm passt. Und ihm auch noch drei Söhne und die Zwillingstöchter geschenkt hat.

Aberglaube, Zauberei und Aletas Raben

Die LeserInnen erinnern sich: im Vorfeld der magischen Auseinandersetzung mit Maldubh, der Frau Dracos, hatte Aleta ihrem Gemahl eröffnet, dass sie über umfangreich Kenntnisse und praktische Erfahrungen in und mit der traditionellen, die Natur respektierenden, weiblichen Magie verfügt, „deren uraltes Wissen nur in weiblicher Linie und ausschließlich mündlich weitergegeben wird“ (Vgl. 3860,2-5) Möglicherweise gehen ihre Zauberkräfte sogar direkt auf Circe, die berühmte Zauberin des griechischen Mythos, die schon Odysseus verzauberte, zurück, schreibt Uwe Baumann in seinem in vorliegendem Band abgedruckten Vorwort. Auf Seiten Aletas und Maeves standen schon in jenem Abenteuer zwei Raben. Diese waren bei den Griechen positiv konnotiert und dem Gott Apollon heilig. Auch in der Bibel versorgten sie den Propheten Elija mit Nahrung oder symbolisierten Weisheit und Erinnerung bei den Nordländern. Denn auch Odin, ihr höchster Gott, war von den beiden Raben Hugin (Gedanke) und Mugin (Gedenken) begleitet. Die Raben Aletas bringen in vorliegendem Abenteuer des Prinzen aus Thule nicht nur einen wertvollen Hinweis (einen Stofffetzen), sondern schützen auch die beiden Fledermaus-Frauen Audrey und Afton. Denn zurück in Camelot stößt nicht nur der alte Freund und Ritter der Tafelrunde, Gawain, zu den Reisenden Eisenherz, Aleta und Nathan, sondern auch ein alter Aberglaube. Hexerei soll für den Tod Baron Imberts und seines Nachfolgers Gareth verantwortlich sein und die dazugehörigen Hexen werden leicht gefunden. Wie immer werden die Außenseiter beschuldigt, jedoch kann Eisenherz in Sherlock-Holmes-artiger Manier die Verbrechen aufklären. Und wer nicht an die Unschuld von Audrey und Afton glaubt, dem helfen die Raben Aletas etwas nach.

Monarchistische Ritter und demokratische Räuber

Die zwei Abenteuer in diesem Band gehen aber nahtlos in ein drittes Abenteuer über, das hier nur anklingt, aber im folgenden Band noch fortgesetzt wird. Gawains Freundin, Rory Rotkappe, die den Lesern ebenfalls aus einem vergangenen Abenteuer bekannt ist, hat ganze Arbeit geleistet und das Gut von Arne, Eisenherz‘ Sohn, so gut verwaltet, dass satte Profite entstanden. Ob dies mit ihrer politischen Einstellung (sie ist Demokratin) oder ihrem Fleiß zusammenhängt, müssen die beiden Ritter, Gawain und Eisenherz, erst herausfinden. Eine winterliche Reise von Rory, Gawain, Eisenherz und Kleinochs nach Lockbramble führt elegant in das nächste Abenteuer, das jetzt schon mit Spannung erwartet wird und demnächst erscheint.

 

Thomas Yeates

Prinz Eisenherz Yeates-Jahre Band 25. Yeates-Jahre. 2019 – 2020

Text: Mark Schultz

(Originalseiten 4274 – 4377)

Großformatiger (23,5 x 32 cm) Hardcover-Band, 112 Seiten

Reproduktion der farbigen US-Sonntagsseiten

Vorwort: Uwe Baumann

Übersetzung: Uwe Baumann und Claudia Wich-Reif

ISBN 978-3-946842-55-2

24,90 EUR [D] / 25,60 EUR [A] / 35,50 sFr [CH]

Bocola Verlag


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Bocola

Der Sandler

Über die Ekelgrenze hinaus

Mit einer eher ungewöhnlichen Thematik überrascht Markus Ostermair in seinem jüngst erschienenen Debütroman «Der Sandler», wobei der Titel nur Bayern und Österreichern verständlich sein dürfte. Er steht nämlich für Obdachlose, umgangssprachlich abwertend auch als Penner oder Berber bezeichnet, in der mobilen Variante als Nichtsesshafte, Vagabunden, Tippelbrüder oder Landstreicher bezeichnet, mit ideell überhöhtem Nimbus auch als Clochards. Im vorliegenden Roman, dessen Verfasser während seines Zivildienstes in der Münchner Bahnhofs-Mission gearbeitet hat, wird von den Stadtstreichern erzählt, die in München ‹Platte machen›, also vorwiegend auf der Straße leben. Man merkt dem Roman deutlich an, dass sein Autor weiß, wovon er spricht, seine Geschichte wirkt überaus authentisch. Sechs Jahre zuvor schon hat Thomas Melle in «3000 Euro» sehr kapitalismus-kritisch ebenfalls von gescheiterten Existenzen in einer Großstadt erzählt.

Vor den schmucken Schickeria-Fassaden der Münchner Spaßgesellschaft streift der ehemalige Mathematik-Lehrer Karl Maurer ruhelos durch die bayerische Metropole. Er pendelt zwischen Bahnhofsmission, Suppenküche und Notunterkünften, ständig auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf und einer Flasche Hochprozentigem. Sein Absturz begann mit einem tödlichen Autounfall, bei dem ihm ein kleiner Junge unvermittelt vor den Wagen lief. Obwohl er vor Gericht freigesprochen wurde, sieht er sich moralisch in der Schuld. Er hat seither ständig Alpträume, die er nur mit Alkohol unterdrücken kann. Seinen Beruf musste er schon bald aufgeben, er verlor dann auch noch Frau und Tochter und landete, in einer unaufhaltbaren Spirale nach unten, auf der Straße.

Der Roman beginnt mit dem sinnigen Satz: «Das darf man eigentlich niemandem erzählen, dachte Karl». Mit diesem inneren Monolog verdeutlicht der Autor gleich zu Beginn das schamhafte Schweigen der Gescheiterten über ihren sozialen Abstieg. Der Protagonist ist durch eine böse Narbe im Gesicht entstellt, die von der Attacke eines anderen ‹Sandlers› herstammt, er meidet seither möglichst den Kontakt zu seinen Schicksals-Genossen. Sein einziger Freund ist Lenz, ein psychisch kranker, an sich und der Welt scheiternder Möchtegern-Philosoph und Weltverbesserer. Der übergibt ihm vor seinem Suizid den Schlüssel für eine kleine Souterrain-Wohnung in bester Wohnlage. Die hatte er geerbt, in seinem Wahn grenzenloser Selbstverachtung aber selbst nicht bewohnen wollen, er hat die Strasse vorgezogen. Tausende von Zetteln mit obskuren Visionen und Erkenntnissen hatte Lenz vollgeschrieben, die der Autor im Roman trickreich zu allerlei kontemplativen Einschüben nutzt, hinter denen sich dann sogar manche Wahrheit verbirgt.

Mit bewundernswerter Akribie beschreibt Markus Ostermair weitere, ähnlich skurrile Typen im Umfeld von Karl. Ebenso detailliert schildert er weit über die Ekelgrenze hinaus die absurde hygienische Verwahrlosung seiner Figuren. Ein weiterer Alptraum ist deren medizinisch bedenkliche, körperliche Verfassung. Alles wenig erbaulich für den arglosen Leser, aber leider authentisch beschriebene Realität. ‹Lustiges Zigeunerleben› und ‹Grenzenlose Freiheit› werden als Illusion brutal demaskiert, stattdessen Betteln und Hausieren, Pfand sammeln, kleine Gaunereien. Bis hin zur Beraubung dreier wohlstands-verwahrloster Schnösel, die Karl dabei erwischt, wie sie auf einen schlafenden ‹Sandler› pinkeln, was er spontan mit beherzten Fausthieben rächt. Völlig eingeschüchtert geben die Drei ihm widerstandslos nicht nur ihr ganzes Geld, sie gehen mit ihm auch noch zum nächsten Geldautomaten und plündern ihre Konten. Dieser Roman wird mit nicht immer leicht nachvollziehbaren Perspektivwechseln erzählt, und leider schleichen sich dabei auch Längen ein. Stereotypen allerdings werden geschickt vermieden, womit der Autor jeden Kitschverdacht entkräftet. Die mit einem schönen Traum Karls endende Geschichte deutet realiter jedenfalls auf ein Fiasko hin.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Ostburg Verlag

I hear the sunspot – limit 1

Hören versus Schwerhörigkeit

Taichi fällt dem schwerhörigen Studenten Kohei bei ihrer ersten Begegnung quasi auf den Kopf. Nach einer etwas turbultenten Anlaufphase übernimmt der quirlige Student für seinen ruhigen Mitstudenten Kohei die Mitschriften von Vorlesungen, dafür erhält Taichi Mahlzeiten von ihm. So freunden sich die beiden an, und Taichi gewinnt immer mehr Kenntnisse über die Welt von Schwerhörigen und Gehörlosen. Als er ein Arbeitsangebot von einer Firma erhält, die auf die Bedürfnisse von Gehörlosen spezialisiert ist, schmeißt er sein Studium und nimmt die Arbeit an. Kohei dagegen studiert weiter. Das führt dazu, dass sich die beiden immer weniger sehen. Beide bauen sich ihre Welten jenseits des anderen auf. Kohei trifft mehr Gehörlose. Einer der neuen Bekannten geht davon aus, dass die Welt der Gehörlosen und die der normal Hörenden nicht zueinander passen. Dazu kommt, dass sich Kohei in Taichi verliebt hat, Taichi aber noch mit seinen Gefühlen für Kohei kämpft. Als Kohei Fotos von einem Workshop sieht, den Taichi wegen seiner Arbeit besuchen muss, reagiert er eifersüchtig auf Taichics Chef Chiei, der sehr vertraut mit Taichi scheint.

BL und Menschen mit Handicap

Die Folgeserie der BL-Reihe (BL = boys love) “I hear the sunspot” baut ein retardierendes Moment ein, indem sich die beiden Protagonisten kaum sehen, weil sie jetzt in unterschiedlichen Welten leben. Kohei zweifelt immer mehr, ob seine Gefühle für Taichi bei dem energiegeladenen Tollpatsch auf Gegenliebe stoßen. Taichi dagegen wird sich durch seine Arbeit und die damit verbundene räumliche Trennung von Kohei immer mehr bewusst, dass er Kohei liebt.

Zentral in dieser Serie sind 2 Themen: das der homosexuellen Liebe und das der Menschen mit Handicap, die sich in einer Welt zurechtfinden müssen, die für ihre Bedürfnisse nicht ausgelegt ist. Es ist ungewöhnlich, dass diese beiden Themen kombiniert werden bzw. dass Menschen mit Handicap Manga-Protagonisten werden. Solche Manga dürfte es ruhig öfter geben.

Kohei und Taichi machen einen Prozess durch, in dem sie sich ihrer Gefühle bewusst werden. Kohei ist schließlich der erste, der sich ein Herz fasst und Taichi seine Gefühle gesteht. Ein Outing anderen gegenüber findet aber (noch) nicht statt. Taichi braucht noch länger, um sich über seine Gefühle klar zu werden. Der Prozess wird im Manga recht glaubhaft dargestellt. Die Probleme, die Homosexuelle innerhalb der Gesellschaft haben, werden hier also im Gegensatz zu vielen anderen Manga deutlicher angesprochen.

Der mit gutem Aussehen gesegnete ruhige Riese Kohei kommt bei Mädchen sehr gut an, empfindet aber die Kommunikation mit ihnen und anderen normal Hörenden als sehr anstrengend. Er und andere Schwerhörige und Gehörlose kämpfen außerdem mit Vorurteilen: Da sie nichts oder nur wenig hören, gelten sie für andere als arrogant, weil sie sie angeblich ignorieren. Da die meisten “Normalos” keine Gebärdensprache sprechen, sind die Gehörlosen auf Lippenlesen und langsames Sprechen angewiesen. Das erschwert eine Teihabe an ansonsten ganz normalen Dingen wie z.B. einer Vorlesung – Taichi muss mitschreiben, weil der Dozent zu weit weg ist, damit Kohei ihn verstehen bzw. von dessen Lippen lesen kann.

Das stellt der Manga gut heraus: Er spricht an, wie Leute mit Handicap von der Gesellschaft behindert werden, und wie sich Missverständnisse und Vorurteile bilden. Taichi ist Vorbild: Er geht ganz unvereingenommen mit Kohei und anderen Gehörlosen um. Außerdem gelingt es ihm, sich in sie hineinzuversetzen. Kohei kommt Taichis laute und extrovertiert-übertriebene Art zugute: So kann er Taichi hören und seine Gesten besser verstehen. Indirekt wird damit angedeutet, dass jede*r gut ist, so wie sie/er ist. Taichi nervt zwar andere Hörende mit seiner extrovertierten Art, aber bei den Gehörlosen kommt er genau deswegen gut an.

Fazit

Gefühlvolle Manga-Reihe, die die romantische homosexuelle Liebe Schritt für Schritt entfaltet und das Leben mit Handicap gut beschreibt.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Schaurige Orte in der Schweiz. Unheimliche Geschichten

Auf die Herausgabe dieses Bandes seiner wachsenden Sammlung von unheimlichen Orten und gruseligen Städten muss Herausgeber Lutz Kreutzer regelrecht gewartet haben. Denn »Schaurige Orte in der Schweiz« gab ihm, der nunmehr alleiniger Herausgeber ist, die Möglichkeit, wieder eine eigene Erzählung einzubinden, und die bildet diesmal ein Highlight der gruseligen Geschichten, die er zusammentrug. Weiterlesen


Genre: Anthologien, Gruselgeschichten, Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Gmeiner

Arthrose: Die besten Heilmethoden

Arthrose

Arthrose – chronische Krankheit, deren Verlauf gemildert werden kann

“In Deutschland leiden etwa fünf bis sechs Millionen Menschen an Arthrose, mit steigender Tendenz.”Arthrose ist ein Verschleiß der Gelenke. Er tritt auf, wenn sich der schützende Knorpel mit der Zeit abnutzt. Die Knochenenden werden nicht mehr gepolstert und die Knochen reiben aneinander, was Schmerzen verursacht. Ab dem 60. Lebensjahr sind rund 50% der Frauen und 30% der Männer betroffen. Arthrose ist eine chronische Erkrankung, die nicht geheilt, aber gelindert werden kann. Das Buch gibt einige Tipps, wie das gelingen kann. Des Weiteren erklärt es Aufbau und Funktion der Gelenke, weitere Bestandteile des Bewegungsapparats, wie es zum Verschleiß kommt und welche weiteren Krankheiten der Gelenke es gibt.

Tipps:

–  Arthrose vorbeugen: gute Körperhaltung für eine gleichmäßige Belastung der Gelenke, regelmäßige Bewegung

– Arthrose mildern:

  • körperliche Aktivitäten im Alltag
  • Entlastung der Gelenke (Gelenke gezielt warm halten, Vermeidung schwerer Lasten und einseitiger Belastung, richtige Arbeitshöhen, nicht zu lange bewegungslos bleiben, gleichmäßige Belastung)
  • Physiotherapie
  • medikamentöse Behandlung mit schmerzstillenden Tabletten, Salben, Cremes, Gels
  • Operationen
  • Naturheilmittel und Pflanzen (Ingwer, Kurkuma, Weidenrinde, Brennessel, Teufelskralle, Pfefferminzöl, Kraut- und Kohlwickel…)
  • regelmäßige Bewegung mit Bewegungsarten, die einem guttun (geeignete Sportarten: Radfahren, Nordic Walking, Wandern, Schwimmen, Aqua-Jogging, sanfte Gymnastik, Tai Chi, Yoga)
  • Gewichtsreduktion auf ein gesundes Maß durch möglichst kohlenhydrat- und fettarme Ernährung
  • richtige Ernährung: ausreichend Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe; Omega-3-Fettsäuren; viel frisches Obst und Gemüse; gesunde, pflanzliche Fette und Öle; Antioxidatien in Kräutern und Gewürzen; Eier und Milch nur in Maßen; Fleisch nur in Maßen, kein Schweinefleisch; möglichst viele entzündungshemmende Lebensmittel essen

Informations- und Rezepteteil

Auch dieses Buch vertritt den Ansatz, dass Ernährung nicht nur schaden, sondern auch heilen oder zumindest helfen kann. Nach einem gut verständlichen und übersichtlich gegliederten Informationsteil folgt ein gut bebilderter Rezepteteil. Der Informationsteil gliedert sich in: Unsere Gelenke, Krankheiten der Gelenke, Arthrose genau erklärt, Mit Arthrose leben, Die richtige Bewegung bei Arthrose, Die richtige Ernährung bei Arthrose. Das Buch fängt also mit dem Wichtigsten – nämlich der Erklärung, was Arthrose ist und wie sie sich von anderen Gelenkkrankheiten unterscheidet – an, um dann Tipps zur Vorbeugung und zum Leben mit Arthrose zu geben.

Der Rezeptteil gibt unter dem jeweiligen Rezept Infos und Tipps zu den verwendeten Nahrungsmitteln. Nährwertangaben und die Zubereitungszeit, die etwas optimistisch bemessen ist, vervollständigen das Bild. Am Ende des Buches bilden Fotos der Gerichte und die dazugehörige Seitenzahl eine Art Register, um ein bestimmtes Rezept schnell finden zu können. Das alles trägt zur Übersichtlichkeit bei, sowie die Unterteilung der Rezepte in Suppen, Salate, Gemüsegerichte, leichte Fleischgerichte, Fisch und Meeresfrüchte, Brote, Belag und Öle, Snacks, Desserts und Smoothies. Die Rezepte sind vielfältig, aber trotzdem Geschmackssache. Ich suche mir die für mich in Frage kommenden Gerichte aus, die mir auch meist schmecken. Aber gerade meinem Kind schmecken viele der Rezepte nicht. Familienfreundliche Gerichte wären also auch hier gut. Auf der anderen Seite: Da Arthrose vorwiegend Senior*innen zu betreffen scheint, passt es ja wieder.

Fazit

Übersichtliches, gut verständliches Buch über Arthrose und den Umgang mit der Krankheit. Auch der Rezepteteil ist übersichtlich gehalten. Die Rezepte selbst sind, wie meist, Geschmackssache. Offenheit lohnt sich der Gesundheit zuliebe trotzdem, zumal die Gerichte vielfältig sind.


Illustrated by Weltbild

LTB Classic Edition! 11: Die Comics von Carl Barks

news classic 11

Entenhausens größter Pechvogel

In Entenhausen rumpelt es bedenklich. Als Die Duck-Familie dem für Onkel Dagoberts Geldspeicher gefährlichen Rumpeln nachgehen will, entdeckt sie im Erdinnern die Kullern. Und die will bald ihre Meisterschaft “Kuller-Cup” austragen – auf dass die Erde mächtig bebe!

Onkel Donald will beweisen, dass auch er olympiatauglich ist. Deshalb bewirbt er sich bei den Ausscheidungswettkämpfen in Entenhausen. Tatsächlich gewinnt er einige Disziplinen – aber nicht wegen seiner Sportlichkeit.

Als Onkel Dagobert von einem Hypnotiseur die Miete eintreiben will, bietet der ihm eine Rückführung in ein früheres Leben an. Onkel Dagobert lehnt ab – bis er erfährt, dass andere Entenhausener mit Erinnerungen an vergrabene Schätze reich geworden sind.

Als Donald eine Walschule sieht, kommt ihm die Idee, mit einem gefangenen Wal Geld zu verdienen. Eine Bucht scheint ihm für diesen Zweck wie geschaffen. Also treiben er und seine Neffen einen Wal in die Bucht. Aber damit ist es nicht getan und die Probleme fangen erst richtig an.

Daniel Düsentrieb will Urlaub von seinem Erfindergeist machen. Um nur ja nicht in Versuchung zu geraten, geht er für eine Weile zu Oma Duck auf’s Land, da das Landleben beschaulich und geruhsam sein soll. Aber selbst dort kommt der umtriebige Erfindergeist nicht zur Ruhe.

Um mit wenig Aufwand Geld zu verdienen, meldet sich Onkel Dagobert bei einer Quizsendung für Dumme an. Aber er hat nicht mit dem Finanzamt gerechnet, das bei einer gewissen Geldsumme Strafen verhängt.

Auf einem Kostümfest will Donald als Ritter erscheinen, weil er die ritterlichen Ideale schätzt. Aber Ritter sind momentan in Entenhausen alles andere als angesagt. So erntet er für sein Kostüm v.a. Hohn und Spott – bis Löwen ausbrechen.

Als Onkel Dagobert erfährt, dass er nur der zweitreichste Mann der Welt sein soll, will er das nicht auf sich sitzen lassen. Also macht er sich auf den Weg zu seinem Gegner Mac Moneysac, um zu beweisen, dass er der reichste Mann der Welt ist.

Donald will seine schwimmbegeisterten Neffen Kultur beibringen, indem sie Klavier spielen lernen sollen. Die drei Jungen sind davon aber alles andere als begeistert. Deshalb beschließt Donald, sie zum Schwimmwettkampf herauszufordern. Aber entgegen seines Versprechens sind seine Schwimmmethoden alles andere als fair play.

“120 Jahre Carl Barks – Der Mann, der Entenhausen schuf” (Verlag)

318 Seiten vollgepackt mit 10- und 1-Seitern des Erfinders des Duck’schen Universums Carl Barks: Einfach gehaltene Comics, die auch heute noch mit Witz, Humor, Ideenreichtum und Charme begeistern. Die vorliegenden Geschichten stammen aus den Jahren 1955 und 1956. Der Verlag veröffentlicht Carl Barks Werk chronologisch. Ungewohnt ist evtl. die Kürze der Comics, da in den meisten anderen Bänden die Storys meist deutlich über 10 Seiten lang sind.

Für weibliche Fans fällt die Abwesenheit der Frauen auf: Noch erscheinen sie höchstens als Rand- oder Nebenfiguren, und dann – dem Rollenklischee der 50er getreulich folgend – in den entsprechenden “Frauen”-rollen. Daran hat sich in Entenhausen bis heute bedauerlicherweise wenig geändert.

Anbei noch ein paar Infos des Verlags zu Carl Barks, dem wir den Entenhausener Kosmos verdanken: “Carl Barks wurde 1901 in Oregon, USA geboren. Als junger Mann arbeitete er als Farmer und Drucker. Sein Traum war aber ein anderer: Er wollte Cartoonist werden und 1935 ging dieser Traum in Erfüllung. Disney engagiert ihn anfangs als Zeichner in der Trickfilmabteilung. Dort wurden seine Qualitäten als Gaglieferant und und Story-Board-Schreiber schnell erkannt. Donald Duck hatte zwar bereits ein Jahr zuvor als “Wise Little Hen” sein Filmdebüt gegeben, doch Barks entwickelte die Figur weiter, gab Donald den berühmten Matrosenanug, kürzte seinen Schnabel und ließ ihn menschlicher aussehen. Von April bis 1943 bis September 1965 schrieb und zeichnete er fast alle 10-seitigen Duck-Geschichten in “Walt Disney’s Comics und Stories”. Carl Barks schuf rund 6400 amerikanische Disney-Comicseiten, die meisten davon handelten von der Duck-Familie. So entwickelte Barks schrittweise den gesamten Entenhausener Kosmos. 1947 gelang es Barks eine ganz besondere weltberühmte Ente zu erschaffen. Für eine Weihnachtsgeschichte brauchte er einen griesgrämigen Erbonkel: Dagobert Duck, die reichste Ente der Welt, die gern im Geldbad schwimmt, war geboren. Nach den Kurzgeschichten folgten lange Abenteuer der Entenfamlie. Barks schickte Donald, die drei Neffen und Dagobert um die ganze Welt. Sogar auf anderen Planeten und auf dem Meeresgrund sind sie unterwegs gewesen. Oft bediente sich Barks der griechischen Mythologie und Legenden vergessener Kulturen. So hatten die waghalsigen Enten oft verrückte Abenteuer zu bestehen, in denen sie “Das goldene Vlies” suchten oder El Dorado und Atlantis entdeckten. Am 25. August 2000 starb die Legende Carl Barks.”

Im vorliegenden Band gibt es Infos zu Carl Barks und Übersetzerin Dr. Erika Fuchs, die den Inflektiv und heute gebräuchliche Sprüche wie “Dem Ingeniör ist nichts zu schwör” erfand.

Ich persönlich hätte mir mehr Hintergrundinfos zur Entstehung der Comics gewünscht und zum Betriebsklima innerhalb des Disney-Imperiums. Das soll ja entgegen der fortschrittlichen Animationskunst nicht besonders arbeiterfreundlich (v.a. gegenüber Frauen) und hierarchisch dominiert gewesen sein.

 

Fazit

Die frühen Comics des Entenhausener Erfinders Carl Barks sind einfach, aber abwechslungsreich und humorvoll gehalten, dabei aber männlich dominiert. Frauen kommen nur am Rand und nur in den 1950er-typischen Geschlechterrollen vor. Daran hat sich bis heute bedauerlicherweise (zu) wenig geändert.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa Media

My Roommate is a Cat 1-4

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Bild 1 - My Roommate is a Cat Band 2 (Deutsche Ausgabe) Carlsen MangaArtikelbild-0My Roommate is a Cat 4 als Taschenbuch

Haustiere als Therapie und Schlüssel zur Welt

Schriftsteller Subaru ist alles andere als ein Gesellschaftsmensch. Er lebt nur für sein Schreiben und vergisst darüber gern mal zu essen und zu schlafen. Das ändert sich, als ihm Straßenkatze Haru zuläuft. Auf einmal steht Subarus Leben Kopf: Nicht nur, dass er sich jetzt umgehend über die Bedürfnisse einer Katze informieren muss, wenn er kein verwüstetes Heim riskieren will.

Auch das gesellschaftliche Leben Subarus ändert sich nach und nach. Subarus Verleger ist fast jeden Tag bei ihm, weil er Haru so niedlich findet. Außerdem zieht ein Freund bei ihm ein und veranstaltet Chaos. Davon nicht genug muss sich Subaru mit dem weiblichen Geschlecht auseinandersetzen, wenn Haru etwas zu fressen haben soll: Nana, die nette Verkäuferin aus der Tierhandlung, ist selbst Katzenbesitzerin und versorgt ihn nicht nur mit Katzennahrung, sondern auch mit vielen hilfreichen Tipps rund um die neue Mitbewohnerin. Außerdem ist sie ein großer Fan des Mystery-Schriftstellers, ahnt aber nicht, dass ihr Idol der neue Kunde ist.

Das ändert sich, als Subarus Verleger ihn endlich zu einer Signierstunde überreden kann. Dort treffen sich die beiden und es kommt zu einem peinlichen, aber auch niedlichen Moment der Zweisamkeit. Als Subaru sich danach für sein Verhalten bei Nana entschuldigen und ihr ihren verlorenen Schlüssel wiedergeben will, trifft Haru auf ihr Brüderchen, das inzwischen bei Nana eine neue Bleibe gefunden hat. Haru trifft aber auch die Tochter einer netten Famulie wieder, die sie als Straßenkatze durchgefüttert hatte. Das kleine Mädchen und ihre Freundin sind ab jetzt öfter zu Besuch bei Subaru, auch weil sie ihm zeigen soll, wie man Katzenfutter selbst kocht.

Zwei Perspektiven

Die vorliegende Reihe wird aus zwei Perspektiven erzählt: Aus der Perspektive des Schriftstellers Subaru und der der Katze Haru. Dabei wird dieselbe Szene zweimal beleuchtet. Die Geschichte Harus fließt auf diese Art und Weise ins Geschehen mit ein: Sie hat als Straßenkatze gelernt, misstrauisch zu sein, sich durchzuschlagen und sich um ihre beiden Geschwister zu kümmern. Die seelische Verletzung, dass eines ihrer Geschwister trotzdem gestorben und das andere verschwunden ist, prägt sie. Ihr Drang, sich um andere zu kümmern, lebt sie an Subaru aus, von dem sie befürchtet, dass er wie ihre Gewschwister nicht genug isst und stirbt. Das führt zu einer Reihe von Missverständnissen zwischen Mensch und Katze, die als hintersinnige Situationskomik verwertet wird.

Allerdings wird Haru sehr vermenschlicht. Sie handelt und denkt wie ein Mensch in Katzengetalt. Katzenbesitzer*innen könnten diese Vermenschlichung durchaus kritisch sehen.

Die Idee, eine Situation aus mehreren Perspektiven zu erzählen, ist nicht neu, aber gut. Sie veranschaulicht, dass ein und diesselbe Situation immer mehrdeutig sein kann. Eine solche Erzählweise öffnet und erweitert den Horizont.

Soziales Miteinander

Diese Reihe macht deutlich, dass Menschen Herdentiere sind und andere brauchen, um sich wohlzufühlen. Allerdings macht sie auch deutlich, dass man, wenn man länger allein gelebt hat, sich erst einmal an den Trubel mit anderen gewöhnen muss. Auszeiten sind auch nötig, um sich zu erholen. Subaru scheint hochsensibel zu sein, denn er ist kreativ, tiefsinnig, empfindsam und braucht viel Ruhe, um Erlebnisse zu verdauen. Diese und seine Gedanken verarbeitet er in Büchern, die andere berühren und ihnen Lebensmut geben. Damit wird ein weiterer Aspekt angesprochen: Um sozial zu sein, muss man nicht unbedingt face to face mit anderen kommunizieren. Subaru ist ein von Grund auf guter Charakter, kann keiner Fliege etwas zuleide tun und versucht sich in andere (auch in seine Katze) einzufühlen. Dass er allein lebt, heißt also nicht, dass er nicht sozial ist. Soziales Denken und Fühlen ist eine Sache des Charakters und nicht der tatsächlichen sozialen Kontakte. Denn es kann genauso gut sein, dass jemand, der vordergründig mit aller Welt befreundet ist, diese Kontakte in hinterhältiger Weise ausnutzt.

Subaru hat sich nach dem Tod seiner Eltern, den er anscheinend nicht richtig verarbeitet hat, in ein Schneckenhaus zurückgezogen, wohl, um nicht wieder verletzt zu werden. Dabei ist er innerlich eingeforen. Haru holt ihn allein durch ihre Anwesenheit nach und nach aus seinem Schneckenhaus heraus. Jetzt muss Subaru nicht nur für sich, sondern auch für andere Verantwortung übernehmen. Durch die Katze nehmen seine sozialen Kontakte allmählich zu, sodass er lernt, nicht nur sozial zu denken, sondern sich auch im realen Kontakt zu anderen sozial zu verhalten. Das reduziert seine Einsamkeit und er erhält neue Anregungen für seine Bücher. Außerdem erhält er so die Chance, eine Freundin zu finden.

Ein wenig erinnert die Geschichte an heutiges soziales Verhalten, das oft per Handy oder Internet stattfindet, also in einer distanzierten und reduzierten Form, weil so Körper- und andere wichtige gestische und mimische Signale nicht oder nur schwer wahrgenommen in die Kommunikation einbezogen werden können. Kontakt über ein Medium wie Telefon, Handy, Internet ist nicht so (bedeutungs-)reich wie ein direkter Kontakt mit anderen Menschen.

Subaru bekommt durch den direkten Kontakt (positive) Rückmeldung, die vorher in der Art nicht möglich waren. Er bekommt Rückmeldung von seiner Katze und den Menschen seiner Umgebung, die ihm verdeutlichen, dass sie ihn nett finden oder seine Werke sehr schätzen. Das vermittelt Selbstbewusstsein und ermöglicht eine weitere Öffnung nach außen.

Fazit

Die Reihe ist ein Plädoyer für positive Mensch-Tier und Mensch-Mensch-Beziehungen. Jede*r darf so sein, wie sie oder er ist. Außerdem vermitteln positive Beziehungen Selbstbewusstsein, Verantwortungsbewusstsein und eine generelle Öffnung zur Welt hin. Wichtig ist dabei der unmittelbare Kontakt zu anderen (nichrt bloß der mittelbare), auch um neuen Input zu erhalten – alles Nahrung für die Seele. Ruhige, aber trotzdem spannende Manga-Reihe, die aus der Sicht des Menschen und aus der Sicht der Katze erzählt wird: Mehrere Perspektiven derselben Situation ermöglichen einen erweiterten Horizont und vertiefen das Verständnis für sich und andere.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Wondrak für alle Lebenslagen

Einen Wondrak für alle Lebenslagen: Mit 88 Jahren verkündete Janosch in der deutschen Wochenzeitschrift ZEIT, dass er keine Wondraks mehr publizieren werde. Über 350 Wondrak-Zeichnungen waren bis dahin schon erschienen. Über 300 Bücher hatte Janosch zeit seines Lebens publiziert, viele seiner Geschichten waren in 40 Sprachen übersetzt worden. Mit „Wondrak für alle Lebenslagen“ kann man nochmals zurückblicken und sich erinnern. Der Reclam Verlag macht’s möglich.

Janosch’s Wondrak als Lebenshilfe

Die deutsche Literaturwissenschaft habe sich vielleicht zu wenig mit Janosch beschäftigt, weil Bildergeschichten keine Literatur darstellten, so Tillmann Prüfer in seinem Nachwort zur vorliegenden Ausgabe. Ähnlich wie Wilhelm Busch würde man Janosch fälschlicherweise für einen Kinderbuchautor halten. Aber jeder der Janosch kennt, weiß natürlich, dass dem überhaupt nicht so ist. Mit „Oh, wie schön ist Panama“ bekam Janosch um 1978 aber endliche die Aufmerksamkeit, die er verdiente. Die zeichnerische Arbeit des gelernten Schmieds wurde von Erfolg gekrönt und Janosch konnte sich nun ganz seinen kleinen Helden des Alltags widmen. Aber der Wondrak ist natürlich kein alter ego Janoschs. Werk und Autor muss man immer trennen. Die eigentliche Fiktion ist die Autobiographie. Auch wenn Wondrak natürlich etwas mit Janosch zu tun hat. Denn der Held Wondrak ist ein Anti-Held. Aber er meistert das älter werden ebenso gut, wie sein Schöpfer Janosch, der seit einigen Jahren eine Finca in Teneriffa besitzt und es sich dort gut gehen lässt. Was ist Heimat? Frägt der Herr Wondrak an einer Stelle und steht dabei vor einem Dorf. „Die Heimat ist ein Ort, wo das Herz auf ewig wohnt, egal, ob es dort stinkt.“ Eine profunde Antwort für jemanden, den es eigentlich nur in der Fantasie gibt, der aber durchaus reale Gedanken hat. Etwa wenn es um’s Arbeiten geht. Wie motiviert sich Wondrak? Immer wenn er eine Eins würfelt, dann muss er nicht arbeiten. Nachsatz: Manchmal dauert es Stunden, bis eine Eins kommt.

Wondrak und Co.

Die Zusammenstellung in vorliegendem, liebevoll mit den Zeichnungen Janoschs gestalteten Band folgt Themen, die für uns alle wichtig sind. Wie lässt es sich gut leben, wie klappt es mit der Liebe, wie kommt man gut durchs Jahr, wie geht man die kleinen Probleme des Alltags an und wie steht es mit den großen Fragen des Lebens. Wer noch mehr lesen will, der denke bei Janosch auch an seine unvergesslichen Figuren Tigerente, Tiger und Bär, Schnuddel oder Günter Kastenfrosch, beliebte Figuren in Geschichten wie Post für den Tiger oder Ich mach dich gesund, sagte der Bär.

Janosch

Wondrak für alle Lebenslagen

Nachw. von Tillmann Prüfer

127 S. 98 Farbabb.

Wieder lieferbar ab 25.03.2021

ISBN: 978-3-15-014176-2

Reclam Verlag

6,00 €

 


Genre: Cartoons, Comics, Kinder und Erwachsene, Komik
Illustrated by Reclam Verlag

Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit.

Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit: Wien vor 40 Jahren. In den Achtzigern. Die Stadt war damals grau und verlassen und eine Menge Seniorinnen mit ihren Hunden bevölkerten die ansonsten leeren Straßenbahnen. Meist trugen sie Pelzmäntel und waren grantig. Der typische Wiener Grant, den es damals auch noch an den Häuserfassaden gab. Ein nostalgischer Rückblick „auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit“ anhand von Fotografien und kurzen Texten zeigt in vorliegender Publikation, dass der goldene Westen auch einmal grau war. Dafür aber voller Charme.

Wien – Stadt an der Peripherie Europas

Was die Innenstädte von heute kennzeichnet, ist die Tatsache, dass sie zumeist von ausländischen Multikonzernen mit ihren Werbetafel und Aufschriften zugekleistert sind. Das war damals – in den Achtzigern – noch anders. Eine vor der Wende aus der DDR geflüchtete Freundin meinte, als sie über Ungarn nach Wien kam sei es ihr noch nicht bewusst gewesen, bereits im Westen angekommen zu sein. Wien war damals nicht im Herzen Europas, sondern an der Peripherie. Dieses Lebensgefühl fing auch der junge Fotograf (*1963) Harald A. Jahn mit seiner Kamera ein. Damals wie heute.  Was er zeigt, sind verfallene Häuserzeilen und Vorstädte, Geschäfte und Greissler des kleinen Mannes, aber auch alte Kinos oder den böhmischen Prater und die Flaniermeile Mariahilferstraße. Alle Bilder haben eines gemeinsam: sie zeigen ein Wien, das es heute nicht mehr gibt und so könnte man Jahn geradezu als Archäologen bezeichnen, auch wenn sich zwischen die Häuserfronten ein paar Porträts mischen. So etwa den 80-jährigen Schuster, der von Favoriten im Süden immer noch jeden Tag in den Westen in seine Werkstatt fährt.

Spurensuche in den Achtzigern und neuer Aufbruch

Spuren des Weltkriegs findet er im ersten Kapitel seiner „Randschaften“ genannten Bestandsaufnahme in Buchform, darauf folgen Villen, Durchhäuser und Bilder vom alten Nordbahnhof oder AKH. Im Cafè Theater an der Wien hatte er sich damals einen Scherz erlaubt und dem schlecht laufenden Café durch ein Kontaktinserat in einer Zeitung unter die Arme gegriffen. Es kamen lauter alte Herren und Frau Maria rettete dieser eine Abend pro Woche das Überleben. Später wurde daraus die Donauwelle, ein Ort, wo sich Laien und Dilettanten alte Operettenlieder vortrugen. Natürlich fehlen auch die Wirtshäuser nicht, Jahn hat sowohl die Tschocherl als auch die Brandineser aufgesucht und sie in seinem Fotalbum des Alten Wien verewigt. Eines davon liegt in der Moissigasse, in der Donaustadt, weit vom Zentrum entfernt. Dort wundern sich die Gäste, dass sich einer so ein Fotobuch antut. Aber Harald A. Jahn freut sich, die Orte seiner Kindheit wieder zu entdecken. Darunter auch das Fahrradgeschäft „Rih“ auf der Praterstraße, das nach dem Hengst Kara Ben Emsis benannt wurde. In Margareten, dem fünften Bezirk Wiens, findet er sogar noch ein Hutgeschäft, das von der damaligen Besitzerin betrieben wird.

Randschaften: Das Wien unserer Kindheit

Ein Glück für das Lokal und die Gäste, denn zumeist werden solche Geschäfte wenn es keine Nachkommen gibt geschlossen. Die neuen Mietverträge wären für Neuübernahmen zu teuer und so steht wieder ein Erdgeschosslokal leer. Harald A. Jahn leistet mit „Randschaften“ einen wichtigen Beitrag wider das Vergessen, denn gerade diese kleinen Geschäfte, die Gassenlokale, sind Teil der Identität Wiens und machen die Stadt unverwechselbar und unvergleichlich. Bis die Pandemie vorbei ist, warten wir alle auf eine neue Gründerzeit. Eine neue Renaissance dieser außergewöhnlichen Plätze. Mit den Greisslern hat es bereits begonnen und wer weiß, ob nicht bald wieder die Bäume blühen. Nicht nur im Prater.

Harald A. Jahn

Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit

Wien 2021, 256 S., 390 Farbabb. im Text, 29,7 x 21 cm; broschiert

ISBN 978-3-85161-246-2

Phoibos Verlag

34,90 € *

 

 

 


Genre: Bilderbuch, Fotobuch, Reiseführer
Illustrated by Phoibos Wien

Stein der Geduld

Vom Ende der Geduld

Der in Kabul geborene Schriftsteller Atiq Rahimi hat für seinen dritten Roman «Stein der Geduld» 2008 den Prix Goncour bekommen. «Sein erschütterndes Buch berührt unser Herz» hat die Buchpreis-Jury dazu angemerkt. Wie schon in anderen seiner Werke thematisiert auch dieser inzwischen verfilmte, schmale Band die unterwürfige Rolle der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans. Dieses Land, hatte der Autor bei der Preis-Verleihung erklärt, symbolisiere für ihn den ganzen Terror der Welt. Durch den gerade gestern erst verkündeten Abzug der Nato ist zu befürchten, dass der Taliban-Terror dort sehr schnell wieder die Oberhand gewinnt. Insoweit ist der Roman hochaktuell, verdeutlich er doch die archaischen gesellschaftlichen Verhältnisse des Landes ebenso wie die Schrecken des nicht enden wollenden, verheerenden Bürgerkrieges.

Eine Frau pflegt mitten im Bürgerkriegs-Geschehen eines kleinen Ortes in Afghanistan ihren vor zwei Wochen durch einen Schuss in den Hals schwer verletzten, im Koma liegenden Mann. Die Verletzung des als Kriegshelden gefeierten Mannes stammt jedoch nicht von den Kampf-Handlungen, sondern von einem banalen Streit unter Männern. Obwohl seine Augen offen sind, reagiert er nicht, sie glaubt jedoch, dass der wie ein Stein reglos Daliegende sie hören kann und spricht ihn deshalb immer wieder an. Allmählich werden dann ihre inbrünstigen, endlosen Gebete durch immer unfangreicher werdende Monologe der Frau ersetzt, die sich damit zunehmend die Probleme ihrer zehnjährigen Ehe mit dem Tyrannen von der Seele redet. Sie wurde nämlich, nach Landessitte ungefragt, mit dem sehr viel älteren Partisanen verheiratet, den sie nie gesehen hatte, und das auch noch in dessen Abwesenheit. Erst nach fünf Jahren kam er dann zum ersten Mal nach Hause und hat die Ehe mit seiner ihm unbekannten Frau ‹vollzogen›. Wie unbeholfen er dabei war, wurde ihr erst später klar, als ihre als Prostituierte arbeitende Tante sie wegen des ausbleibenden Kinder-Segens, an dem sie keine Schuld traf, einem Mann zugeführt hat, der dann auch prompt zwei Kinder mit ihr gezeugt hatte. Und was Lust bedeutet wird ihr sogar erst jetzt, Jahre später klar, als ein blutjunger, durchs Dorf streunender Kämpfer in dem Glauben, sie sein eine Hure, mehrmals mit ihr Sex hat.

In einem bühnenreifen, kammerspielartigen Szenario erzählt der Autor von einem islamischen Ehe-Alptraum, von dem die Frau sich nach afghanischer Mythologie durch den magischen «Stein der Geduld» zu befreien sucht. Die drehbuchartig kurzen Szene-Beschreibungen und anfangs sehr kurzen Sätze, die die Frau an ihren im Koma liegenden Mann richtet, entwickeln zunehmend eine beklemmende Dramatik. Was sie dem Bewusstlosen erzählt, könnte sie ihm sonst niemals sagen, es wäre ihr sicherer Tod, aber gerade darin liegt ja wohl auch der Reiz für ihre Geständnisse. Wie der magische «Stein der Geduld» muss er jetzt aber alles ertragen oder er wird platzen, wenn es nämlich zuviel wird für Gott, der sich in Wahrheit in dem Stein verbirgt.

Die Frau erzählt, zunächst sehr zögerlich, dann aber immer selbstbewusster werdend, in Rückblenden von ihrem schweren Leben unter der Fuchtel der Schwiegermutter, oder vom gewalttätigen Vater, der mit der Zucht von Kampf-Wachteln Geld zu verdienen sucht. Schließlich fügt sie sogar scheherazadeartig eine märchenhafte Königs-Geschichte ein, in der es um ein an Ödipus gemahnendes Dilemma geht. Immer beteiligt sind bei alldem ihr Koran mit der noch aus dem Paradies stammenden Vogelfeder als Lesezeichen, ferner ihre geduldig mit den 99 Namen Allahs herunter gebetete schwarze Kette. In der poetischen Prosa von Atiq Rahimi bilden Ameisen, eine Fliege und eine Spinne das Personal für raffiniert eingeschleuste Szenen von signifikant Insignifikantem, mit dem das Geschilderte eine erstaunlich authentische Note bekommt. Der Befreiungsakt der nicht mehr so ganz geduldigen Frau endet hochdramatisch mit dem Zerspringen des titelgebenden Steins.

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Ullstein