Der Fotosammler – Fantasien

Wohltuend fällt gleich einmal auf, dass wir nicht schon wieder einen Krimi vorliegen haben, wo es zurzeit scheint, man dürfe nur innerhalb der engen Grenzen dieses Genres grasen, um überhaupt öffentlich wahrgenommen zu werden. Dabei entbehrt dem Buch keineswegs die Spannung. Luksans Fantasien (mit diesem Wort ist das Buch ja untertitelt) erzeugen immer wieder diverse Spannungsbögen – ob es um Aufstände in exotischen Ländern geht oder das Einhandsegeln inmitten stürmischer Ozeane. Weiterlesen


Genre: Kurzgeschichten
Illustrated by Edition Keiper

Wirf deine Krücke ins Abendrot

Das Buch Peter Sonnbichlers lässt sich nicht auf einem Bildschirm lesen. Oder irgendwie digital konsumieren. Auch nicht in den stickigen Räumen einer Bibliothek. Dazu quillt zu prall das Leben zwischen den Seiten hervor. Am besten liest es sich am Rand einer Mailichtung, oder im Mondlicht, auf einem Kirschbaum sitzend, oder gegen eine Pappel gelehnt, oder gegen den Sommer oder das Kliff von Strunjan. Oder wenigstens gegen die Klippen hinblickend, wie ich es gerade tue, diese Zeilen ins Heft notierend, nachdem ich das Gedicht Sonnbichlers über die Sehnsucht nach der Weite über Strunjans Himmel las. Weiterlesen


Genre: Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

Doppelte Spur

Wer Aufdeckungs-Journalismus-Romane mag, wird mit diesem, sehr kompakten und überaus profundem Werk seine Freude haben. Mir sind die Informationen stellenweise zu dicht geballt, in der Mitte des Romans kommt er aber ordentlich in Schwung, und wo es literarisch schwierig ist, Fakten (auch imaginierte) dem Leser zu vermitteln, wiegt das zumindest teilweise die kraftvolle, bilderreiche Sprache Trojanows auf, der mit wenigen Strichen Situationen und Menschen als Bühnenbild des ablaufenden Dramas zu zeichnen imstande ist. Weiterlesen


Genre: Politische Romane
Illustrated by S. Fischer

Sunny 1

Leben in Waisenhaus

Im Kinderheim “Star Kids” sind Pflegekinder mit unterschiedlichen Charakteren aus ebenso unterschiedlichen Familienverhältnissen untergebracht. Allen gemeinsam ist, dass ihre Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu erziehen. Die Kinder wissen, dass sie anders sind und deswegen in der Schule als Außenseiter abgestempelt werden. Das schweißt sie notgedrungen enger zusammen. Gemeinsamer Zufluchtsort der Heimkinder ist ein alter Nissan Sunny, in dem sie in ihre eigene Fantasiewelt abtauchen und so Kraft für den Alltag schöpfen können. Weiterlesen


Genre: Graphic Novel, Manga
Illustrated by Carlsen graphic novel

BL Metamorphosen – Geheimnis einer Freundschaft 1

BL-Otaku – man muss nicht immer jung sein!

Die 75-jährige Witwe Yuki Ichinoi hat sich in ihrem ruhigen, überschaubaren Leben eingerichtet. Aber das ändert sich, als sie eines Tages entdeckt, dass ihr Lieblingscafé geschlossen hat. Das erste Mal seit langer Zeit sucht sie stattdessen eine Buchhandlung auf. Aber anstatt der dort vermuteten Kochbücher landet sie in der Abteilung für Manga. Aus einem Impuls heraus sieht sie sich einen romantischen BL-Manga (Boys Love Manga = Manga, der sich mit der gleichgeschlechtlichen Liebe zwischen jungen Männern beschäftigt) an. Und beschließt spontan, ihn zu kaufen. Der jungen Verkäuferin und Oberschülerin Urara Sayama fallen fast die Augen aus dem Kopf, als sie den Manga sieht. Denn Urara hat ein Geheimnis: Sie ist bekennende BL-Otaku (Fan von BL) und wünscht sich schon seit langem jemanden, mit dem sie über ihr Hobby reden kann. Dass es ausgerechnet eine alte Oma sein würde, wäre ihr aber im Traum nicht eingefallen. Und doch entsteht zwischen den beiden Frauen aus so unterschiedlichen Generationen und ebenso unterschiedlichen Charakteren eine zarte Freundschaft, die beide gewissenhaft zum Erblühen bringen.

Meta-Manga

Immer noch zu wenig, aber dennoch gibt es sie – die Manga über Manga (und deren Fans). Eine ähnliche Richtung schlug schon der 2009 in deutscher Übersetzung erschienene Manga “Akihabara Shojo” von Rize Shinba und Pentabu ein, eine Geschichte über die Liebesbeziehung eines jungen Mannes zu einer Frau, die BL liebt. Dort liegt der Fokus der im Übrigen auf einer wahren Begebenheit beruhenden Geschichte eher auf dem Humor, während in “BL-Metamorphosen” großer Wert auf einen ruhigen Storyaufbau und auf die unterschiedlichen, immer liebenswerten Charaktere gelegt wird, die ein schönes Hobby eint. Das spiegelt sich schon im Cover wider.

Dabei wird auch gleich mit dem Vorurteil aufgeräumt, dass Senioren zum alten Eisen gehören und damit veraltete Ansichten haben. Tatsächlich ist die ruhige Yuki der treibende Pol hinter dieser Freundschaft, denn v.a. von ihr gehen die Impulse aus, Fragen zu stellen und sich zu treffen. Und sie ist sich nicht zu schade, ein altes Hobby von ihr, nämlich die Lektüre von Mangas in Jugendtagen, wieder aufleben zu lassen. Auch wenn ihr das BL-Genre anfangs gänzlich fremd ist. Da zeigt sich eine Offenheit und Flexibilität, die junge Leute Älteren oft nicht mehr zutrauen. Yuki betritt im wahrsten Sinne des Wortes Neuland, als sie mit Urara auf eine Manga-Messe geht.

Metamorphosen

Das altgriechische Wort “metamorphosis” bedeutet übersetzt “Umgestaltung”. Und tatsächlich gestaltet sich sowohl das Leben von Yuki als auch das von Urara um – und zwar zum Positiven. Die ältere allein lebende Dame erhält Gesellschaft und die einsame, schüchterne Urara eine Gesprächspartnerin. Eine Win-Win-Situation also. Schon im ersten Band wird deutlich, dass beide Frauen ihre Komfortzone verlassen und dafür mit neuen, schönen Erlebnissen belohnt werden, die ihr Leben wieder lebenswert machen. Dabei verändert sich auch allmählich der Charakter der beiden, indem dieser sich öffnet und weitet. Und dabei wird mit noch einem Vorurteil aufgeräumt: Der bzw. die Otaku, die/der sich im Zimmer ein- und die Welt ausschießt. In diesem Manga öffnet sich durch ihr gemeinsames Hobby die Welt wieder, anstatt dass sie außen vor gelassen wird. Und: Die Sozialkompetenz der beiden Frauen steigt. Gerade weibliche Otakus können nämlich sehr gesellig sein, wenn sie die richtigen Menschen kennenlernen. Und kreativ sind sie allemal.

Fazit

Es kommt nicht oft vor, dass ich Mangas mehrmals lese. Aber dieser ruhige, empathische Manga, der einen zarten, offenen und trotzdem bodenständigen Optimismus verströmt, gehört definitiv zu meinen Lieblingen, die auch nach mehrmaligem Lesen nicht langweilig werden. Ich bin schon sehr gespannt auf Band 2!


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Schachnovelle

Zeitloses Lesevergnügen

Als typisches Werk der Exilliteratur wurde die «Schachnovelle» von Stefan Zweig 1942 posthum erstmals in Kleinstauflage in Buenos Aires veröffentlicht. Im argentinischen Exil geschrieben, gilt sie heute als bekanntestes Buch dieses Schriftstellers, das inzwischen weit über eine Millionen Mal verkauft wurde. Anfang der siebziger Jahre wurde diese Novelle auch in Deutschland wiederentdeckt, sie gilt seitdem als zeitloser Bestseller. Als geradezu exemplarisches Werk gehört sie mit ihrem ausgefeilten Plot inzwischen nicht nur zum literarischen Kanon, sie wird immer wieder auch als Schullektüre herangezogen, wie die vielen angebotenen Lektüreschlüssel belegen.

Auf einem Passagierdampfer nach Buenos Aires erfährt der Ich-Erzähler, ein österreichischer Emigrant, dass sich der amtierende Schachweltmeister Czentovic ebenfalls an Bord befindet. Der aus einfachen Verhältnissen stammender Waise war von einem Pfarrer großgezogen worden, blieb trotz aller Bemühungen jedoch ein ungebildeter, verstockter Bursche. Bis er sich durch Zufall als Schachgenie erweist, in kurzer Zeit bis in die Profiwelt aufsteigt und als Zwanzigjähriger sogar Weltmeister wird. Dabei zeigt er sich als besonders geldgierig, zudem ist er als Mensch schroff und unsympathisch. Ein mitreisender amerikanischer Millionär fordert den Weltmeister spontan zu einem von ihm fürstlich honorierten Spiel heraus und verliert natürlich. Es kommt zu einer Revanche, bei der jetzt jeder mit dem Millionär zusammen als Gruppe gegen den Champion antreten darf, eine große Zahl an Zuschauern verfolgt gebannt das Spiel. Nach einigen Zügen greift, als die Gruppe sich auf einen Zug geeinigt hat, unvermittelt einer der Zuschauer ein und empfiehlt einen ganz anderen Zug, der wenigstens ein Remis erzwingen würde, – und so kommt es auch! Eine weitere Partie lehnt der Unbekannte aber ab, er habe ja seit seiner Zeit als Pennäler vor keinem Schachbrett mehr gesessen.

Dem neugierig gewordenen Ich-Erzähler berichtet Dr. B. nun davon, wie er nach dem Anschluss Österreichs von den Nazis in Isolationshaft genommen wurde, um Informationen über seine anwaltliche Tätigkeit für den Klerus aus ihm herauszupressen. Um der immer unerträglicher werdenden psychischen Folter des absoluten Alleinseins und Nichtstuns zu entgehen, nutzt Dr. B. eine Gelegenheit und entwendet ein Buch, das sich als Sammlung meisterlicher Schachpartien erweist. Zunächst mit improvisiertem Brett und aus Teig gekneteten Figuren füllt er nun seine Zeit mit Schach, wobei das Spiel schon bald nur noch in seinem Kopf stattfindet. Er tritt als Ich-Schwarz gegen sich selbst als Ich-Weiß an. Mit der Zeit gerät er in einen wahnhaften Zustand, den er selbst als ‹Schachvergiftung› bezeichnet. Er erleidet durch die permanente Aufspaltung seiner Persönlichkeit schließlich einen Tobsuchtsanfall, wird wegen Unzurechnungsfähigkeit entlassen und zur Ausreise ins Exil gezwungen.

Stefan Zweig lässt in seiner spannenden Geschichte zwei Figuren aufeinander treffen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Da ist der einseitig begabte, ungehobelte, maulfaule Czentovic, der seine Tourneen als Schach-Weltmeister lediglich des Geldes wegen unternimmt, teilnahmslos am Brett sitzt und äußerst rücksichtslos und brutal seinen Vorteil sucht. Er ist ein Naturtalent, das mit seiner Inselbegabung bei gleichzeitig autistischer Unbeholfenheit typische Merkmale eines Savant aufweist. Dr. B. hingegen ist ein intelligenter, eloquenter Jurist, der sich als Anwalt des Klerus bei der Rettung von Vermögen vor den Nazis selbst in große Gefahr begibt. Die Isolationsfolter, der er ausgesetzt wird, war damals noch eher ungewöhnlich, der Autor hat damit prophetisch in die Zukunft gedeutet. Diese nach goethescher Definition geradezu archetypische Novelle ist in einer angenehm lesbaren, nüchternen Sprache geschrieben, die geschickt zwei Innengeschichten über die Figuren in die maritime Rahmenhandlung integriert. Ein zeitloses Lesevergnügen!

Fazit: erstklassig

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Genre: Novelle
Illustrated by Fischer Verlag

Faserland

Pop-Trash

Der 1995 erschienene Debütroman «Faserland» des Schweizer Schriftstellers Christian Kracht hat damals nicht nur ein kontroverses mediales Echo ausgelöst, er hat auch eine ausufernde Debatte um seine Interpretation angestoßen. Vordergründig eine Roadnovel, im Kern allerdings ein kultur-pessimistisches Werk der Pop-Literatur. Auch wenn sein Autor diesen Begriff für sein Buch ablehnt, wurde es euphorisch als vermeintliches Gründungs-Phänomen einer sich abzeichnenden Renaissance genau dieser Literaturgattung bezeichnet.

Die zentrale Thematik der Selbstzerstörung in diesem Roman lässt verschiedene Interpretationen zu, man kann sie als pathologisch deuten oder aber als zynisch entlarvend. Der namenlose Ich-Erzähler ist ein etwa dreißigjähriger, ebenso arroganter wie dümmlicher Schnösel mit scheinbar unerschöpflichen Geldmitteln, der von einer Party in die nächste taumelt. Er verkörpert eine Sonderform des nichtsnutzigen Flaneurs, dessen Dasein von Sex, Drugs and Rock `n` Roll geprägt ist. Seine Reise von Sylt nach Zürich ist ziellos und von spontanen Launen bestimmt. Bekannte und Freunde, die er dabei trifft, sind ebenso skurrile Figuren wie er selbst. Es vergeht kein Tag ohne Alkohol- und Drogenexzesse, und wenn er nicht selber kotzt, dann kotzt einer seiner Freunde, das Kotzen gehört nun einfach mal dazu in diesem Roman.

Die Rolle des Protagonisten beschränkt sich auf das Zuschauen, er wird hineingezogen in das obskure Geschehen, ohne je dessen Initiator zu sein. Eine erzählwürdige Handlung existiert nicht wirklich in diesem langweiligen Zeitgeist-Roman. Das Wenige, das geschieht, wird in einer einfältigen, fast kindlichen Sprache geschildert und hat in seiner Absurdität Ähnlichkeit mit der spätrömischen Dekadenz. Wie die antike Oberschicht, die sich auf ihren Fressgelagen per Gänsefeder zum Kotzen gebracht hat, um danach munter weiter völlern zu können, so dröhnt sich hier der Antiheld aus dem gleichem Grund mit Alkohol voll. Er verkörpert quasi eine Art ‹Lustkotzer›, dem genau das Spaß zu machen scheint, er legt es jedenfalls bewusst darauf an. Die Freundschaften, die er pflegt, sind brüchig, mit Mädchen kann er scheinbar gar nichts anfangen, er weicht ihnen aus, den Sex haben immer die anderen, wenn sie nicht zu besoffen dafür sind. «Faserland» ist zudem das Fanal eines Konsum-Fetischismus, bei dem besonders Kleidung im Vordergrund steht als ästhetische Trivialität. Unzählige Produkt- und Markennamen wie auch angesagte Bars, Hotels und andere Locations ‹bereichern› den Erzählfluss des jugendlichen Müßiggängers. Dieser Markenwahn ist ein beredter Hinweis auf die sich Anfang der 90er Jahre bereits abzeichnende Entwicklung Deutschlands hin zu einer wohlstands-verwahrlosten Spaßgesellschaft. Während all dieser geschilderten Nichtigkeiten sinniert der Protagonist immer wieder über banale Kindheits-Erlebnisse und äußert zu allem und jedem seine naiv-dümmliche Meinung fernab jedweder intellektueller Reflektion.

Als Leiden an einer zur Kommunikation unfähigen Welt versinkt der Antiheld in einem bedrohlichen Sinnvakuum. Die aus seiner Identitätskrise resultierende Verzweiflung kann er nur unzureichend durch sein betont lässiges Verhalten kaschieren. Schließlich eskaliert seine lethargische Teilnahmslosigkeit am Zürichsee in einem Strudel von Selbstmitleid, das in keiner Weise gerechtfertigt ist. Vom teuersten Hotel der Stadt, in dem er Logis genommen hat, lässt er sich im Taxi nach Kilchberg zum Friedhof fahren. Dort befindet sich bekanntlich das Grab von Thomas Mann, das er aus einer Laune heraus besuchen will. In der Dämmerung findet er es aber nicht und geht zu Fuß zurück an den See. Für zweihundert Franken bringt er dort jemanden dazu, ihn im Dunkeln mit dem Ruderboot auf die andere Seite des Sees zu rudern. «Bald sind wir in der Mitte des Sees. Schon bald.» heißt es weihevoll am Schluss. Diesem Kultbuch soll nächstes Jahr eine Fortsetzung unter dem Titel «Eurotrash» folgen, allen Kracht-Fans sei es gegönnt!

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Fischer Verlag

Mein Kompass ist der Eigensinn

Eigensinn – was ist das eigentlich, fragt Autorin Maria Almana. Gelegentlich hören wir von eigensinnigen Kindern, auch eigensinnige Jugendliche sind vor allem in der Pubertät keine Seltenheit. Der »Trotzkopf« galt lange als Standardbegriff für aufbegehrende junge Menschen, die erst geformt und dann gebrochen werden sollten. Erwachsene, die eigensinnig sind, werden hingegen weit seltener erwähnt. In der Altersgruppe der Senioren spricht man dann wohl eher abwertend von »seltsam« oder »verschroben«. Weiterlesen


Genre: Literatur, Psychologie, Sachbuch
Illustrated by Edition Texthandwerk

Fabian

Symbiose von Moral und Wortwitz

Im vielseitigen Œuvre von Erich Kästner nimmt der Roman «Fabian» eine Sonderrolle ein, die schon durch den Untertitel «Roman eines Moralisten» verdeutlicht wird. Das 1931 erschienene, gesellschaftskritische Werk ist neben den überaus erfolgreichen Kinderbüchern des Autors sein bekanntester Roman mit intellektuellem Anspruch. Ein elegischer Großstadtroman, der literarisch der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wird und sich auf Erfahrungen seines Verfassers stützt. Von den Nationalsozialisten als Asphaltliterat diffamiert, war er zwei Jahre später der einzige Schriftsteller, der auf dem Münchner Odeonsplatz bei der Verbrennung seiner Bücher persönlich zugegen war.

Dr. phil. Jakob Fabian ist ein Germanist, der mangels anspruchsvollerer Stellen notgedrungen als schlechtbezahlter Werbetexter arbeitet. Der aus Dresden stammende, lethargische 32Jährige wird in der Metropole Berlin mit einem wilden Nachtleben konfrontiert, dem er als skeptisch distanzierter Beobachter ironisch gegenübersteht. Sein alter Freund und Studienkollege Labude nimmt ihn mit in das Atelier einer lesbischen Künstlerin, wo er mit der Juristin Dr. Cornelia Battenberg eine junge Frau kennenlernt, die sich ebenfalls mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Die Beiden finden schnell zueinander, und in dem resignativen Fabian erwacht neuer Lebensmut, er will sich endlich ernsthaft um bessere Arbeit bemühen. Am nächsten Tag erzählt ihm Cornelia, dass sie zu einem Casting als Filmschauspielerin eingeladen ist. Sie wird auch tatsächlich angenommen, der Weg zur Filmkarriere führt aber über die Besetzungscouch, – Harvey Weinstein ist fürwahr kein Einzelfall. Der Karriere zuliebe ist sie jedoch wild entschlossen, dieses Angebot keineswegs auszuschlagen. Gleichzeitig verliert Fabian auch noch seinen Job. Bitter enttäuscht stürzt er sich in kurze Affären, moralische Bedenken beim One-Night-Stand haben die Frauen alle nicht, glaubt man dem Macho Erich Kästner. Anders als Fabians idealistischer Freund Labude, der die Hoffnung auf ethische Besserung der Menschheit nicht aufgibt, entwickelt er selbst sich in Folge immer mehr zum zynischen Realisten.

Der Optimist, so hat es Schopenhauer postuliert, habe mehr Unglück zu ertragen als der Pessimist. Gegen Ende der Geschichte wird diese These durch das Schicksal seines Freundes Labude auf grausame Art bestätigt, und inwieweit emotionales Handeln verhängnisvoll sein kann, erfahren wir dann im letzten Satz des Romans. Des Autors Glaube an die ethischen Prinzipien wird bei den Streifzügen des Flaneurs Fabian durch den Großstadt-Dschungel Berlins eindrucksvoll widerlegt. Er beobachtet den moralischen Verfall mit deutlicher Ironie, eine Besserung zu erwarten wäre wirklich utopisch. Kurz vor dem endgültigen Niedergang der Weimarer Republik weist Kästners politische und soziale Kritik prophetisch auf eine schlimme Zukunft hin, die sich für ihn schon abzuzeichnen scheint. Er selbst hat von einem Zerrspiegel gesprochen, den er als Moralist der Gesellschaft mit seiner Geschichte vorhalten wolle. Kein Wunder, dass die Nationalsozialisten diesen zutiefst skeptischen Autor mit einem Veröffentlichungs-Verbot belegt und seine Bücher als entartet verbrannt haben.

Fabian ist als Figur eher passiver Beobachter als aktiv Handelnder, er verblüfft zudem ständig mit seiner Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit. Etwas zu ändern jedoch, dazu fehlt ihm Mut und Entschlossenheit. Das Geschehen wird in einer journalistisch knappen, präzisen Sprache geschildert, wobei sich die Handlung in weiten Teilen aus geschliffenen Dialogen heraus entwickelt, die auszugsweise eine veritable philosophische Zitatensammlung ergeben würden. Neben dem üppigem Wortwitz, der da allenthalben aufblitzt, ist es besonders die verblüffende Schlagfertigkeit, mit der hier munter parliert wird, ans Kabarett erinnernd. Ob Satire wie diese zu neuen Einsichten führen kann, die öffentliche Moral betreffend, darf bezweifelt werden, damals wie heute!

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by dtv München

Ada

Berkel erzählt die Geschichte seiner großen Schwester in Ichform. Bald nach ihrer Geburt, bei Kriegsende in Leipzig, verlässt die Mutter Deutschland mit ihr, sie wandern aus nach Argentinien. Der Vater ist, wenn er überhaupt noch lebt, in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Sie wächst bei einer Gutsbesitzerfamilie auf, die Mutter ist Nanny für deren Kinder und diese schikanieren die kleinere Ada. Die ersten Jahre verweigert sie die Sprache, dann aber, als sie neunjährig wieder zurück nach Deutschland kommt, spricht sie fließend Spanisch, aber kaum Deutsch. Auch hier bleibt sie Außenseiterin.

Und geträumt wird viel, zusammen mit der Freundin Uschka, die auch anderes als die anderen Kinder ist, an liebsten träumen sie von Reisen, ins westliche Ausland—bloß weg von hier.

Die Mutter versucht, sich in Deutschland eine Heimat zu schaffen. Sie war als Jüdin im Lager Gurs interniert und als Schwangere vom Transport in ein Vernichtungslager geflohen. Zwei Männer könnten Ada Vater sein, beide lernt Ada als etwa Zehnjährige kennen, einen Hannes, der schöne Hände hat, aber ein Parfum, das kitzelt, und Otto, der HNO-Arzt aus Berlin. Ada darf wählen, wer der Papa sein soll und entscheidet sich, ohne zu zögern, für Otto, da er das gewünschte Kinderfahrrad schenkt.

In den fünfziger Jahren etabliert sich die kleine Familie in Berlin. Für Ada stabilisiert sich eine Zeit des Nichtverstandenwerdens. Kinder werden dumm gehalten und dann, wenn etwas sie interessiert, ins Bett geschickt. Niemand in der Familie spricht über die Vergangenheit, deren Schwere die Eltern beide, jeden auf seine Art, belasten. Die Mutter kämpft mit der ihren, auch damit, dass ihre eigene Mutter sie als Siebenjährige verlassen hatte, um in Spanien gegen den Faschismus zu kämpfen. Auch sie hatte als Kleinkind das Sprechen verweigert.

Der Vater, ein Arbeiterkind, spricht nicht über seine Zeit als Kriegsgefangener. In den Dialogen werden die vielen belastenden Erfahrungen eben nicht ausgesprochenen, manches gezielt verschwiegen. Ada ahnt vieles, kann aber nur mit ihrer Freundin Uschka darüber sprechen, deren Anderssein besteht darin, dass sie eine adlige Tochter eines Widerstandkämpfers ist, der nach dem Attentat auf Hitler umgebracht wurde. Einige Mitschüler sehen das als Verrat.

Berkel, der 1957 geborene, schafft wunderbare Szenen der hilflosen Auseinandersetzung mit der Geschichte und mit dieser Zeit. In Berlin-Frohnau, wird ein Haus gekauft, der beginnende Wohlstand genossen. Hier muss ich, die Rezensentin, mich als katholische Arzttochter outen, die, zwei Jahre jünger als Ada, auch in Frohnau aufgewachsen ist. Regelmäßig trifft sich die Familie zu Diskussionen mit anderen Arztfamilien (nein, meine zählte nicht dazu!) aber der katholische Priester Krajewski, der auch mir in Erinnerung geblieben ist, kommt gerne. Bei diesen Diskussionen wird etwa das Buch „Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von einer der Mütter als wichtiger Ratgeber vorgestellt, nur ein Teilnehmer weist darauf hin, dass es schon in der Nazizeit hochgelobt wurde.

Wir erleben in diesen Runden die Kubakrise, die Mutter glaubt, man müsse nun weg von Berlin, das Haus wird verkauft, man wohnt erstmal zur Miete. Es kommt das erste Auto, ein Mercedes, Pfarrer Krajewski weiß zu berichten, dass auch der Papst in einem solchen gefahren wird, und dann passiert der Mauerbau.

Als junge Erwachsene geht Ada ihrer Wege und lässt wenig aus. Sie ist beim Konzert der Stones in der Waldbühne, wo 1965 Randale gemacht wurde, geht in einer WG ein und aus, wir werden mit ihr zu Drogenerfahrenen, sie wird sogar kompetente Dealerin. Aber sie geht auch immer wieder nach Hause, und hört sich bekifft die bildungsbürgerlichen Diskussionen der Spießer an. Dabei wird ihr der Vater zum Löwen, die Mutter zum Schwan und der Pfarrer zur Schildkröte. Übrigens eine meiner Lieblingsszenen.

Später hört sie Rudi Dutschke in der FU, ist beim 2. Juni beim Schahbesuch dabei und noch viel später auch in Woodstock, da erfahren wir, wie es ihr beim ersten Mal mit LSD geht. Und als sie die mütterliche Tante, Modedesignerin in Paris, besuchen fährt, ist es im Mai 68. Bei diesem Besuch findet sie ihre jüdischen Wurzeln, katholisch getauft worden war sie in Argentinien, um die Staatsbürgerschaft erhalten zu können. Nachdem sie über Jahre den Kontakt zu der Familie gemieden hat, macht sie Jahre später eine Analyse und kann sich den Ihren wieder annähern.

Und der kleine Christian? Er wurde geboren, als sie 12 war, und danach wurde für sie alles noch schlimmer: Er wurde nicht so streng erzogen, durfte sein Spielzeug im Wohnzimmer liegenlassen, ihres wurde weggeworfen, hatte sie es nicht selbst aufgeräumt. Er ist nicht nur jünger und dem Vater näher, auch als Stammhalter hat er Privilegien. Aber er bewundert sie, liebt, wie sie, die Stones und als sie sich von der WG löst und wie die verlorene Tochter wieder zu Hause einzieht, wird Champagner getrunken.

Bisher habe ich diese Rezension bewusst so geschrieben, dass die geneigten Leser/innen sich der Erzähllust Berkels hingeben können über die Geschichte Westberlin aus der Sicht einer jungen Frau. Für mich war das Lesen ungleich schwieriger, da ich vor einiger Zeit das Buch Der Apfelbaum gelesen hatte, in dem Brendel als der Sohn der Familie spricht. Hier, in Ada, werden Fakten, wenn auch aus anderer Sicht, wiederholt. Im Vorspann lesen wir: “Dennoch sind es Kunstfiguren. Ihre Beschreibungen sind ebenso wie das Handlungsgeflecht, das sie bilden, und die Ereignisse und Situationen, die sich dabei ergeben, fiktiv.“ Die Frage: Warum schreibt Ada das Buch nicht selbst? Ist damit beantwortet, aber es ist an manchen Stellen schwierig, das über die Familie schon Gewusste auszublenden.

Es ist wie eine umgekehrte Verfremdung: Das Publikum, also der Leser, weiß schon vieles, über das sich die Akteure noch nicht im Klaren sind. Während Berkel sich im Apfelbaum mit viel Liebe und Respekt den Eltern nähert und sie bis zu ihrem Tod begleitet, ist Ada eher die gekränkte, ungehobelte, die die psychische Krankheit der Mutter, den Jähzorn des Vaters schonungslos auf- und anzeigt. Vielleicht hatte sie dazu eher Recht?

Beide Bücher sind lesenswert. Meine Empfehlung: Wenn sie beide Bücher lesen wollen, dann fangen Sie mit Ada an! Wenn sie nur eines lesen wollen, dann lieber den Apfelbaum. Eigentlich muss ich den nun auch noch rezensieren.


Genre: Politik und Gesellschaft, Zeitgeschichte
Illustrated by Ullstein

Santa Maria Heartland

Verbotene LiebeArtikelbild-0

Herzliches, liebevolles, gütiges Verhalten – für all das stand Maria, die Gründerin des Staates Santa Maria Heartland. Aber ihre Nachfahren wurden zunehmend selbstsüchtig und dem Volk gegenüber tyrannisch. Schließlich beendete ein Militärputsch die Monarchie blutig. Nur der kleine Prinz Lyon und sein persönlicher Leibgardist Olivier konnten entkommen. Einige Jahre später dienen beide beim Militär. Lyon kann sich an seine Vergangenheit nicht mehr erinnern und Olivier möchte die schmerzlichen Erinnerungen und die damit verbundenen Gefahren von seinem Schützling fernhalten. Allerdings hat er die Rechnung ohne seinen Vorgesetzten gemacht, der in den Unterlagen recherchiert und einige Unstimmigkeiten bzgl. der Herkunft der beiden herausgefunden hat. Als sei das noch nicht genug, schlagen sich beide mit der unheilvollen Liebe füreinander herum. Denn die homosexuelle Liebe war schon unter der Gründerin verboten.

Staaten und Homosexualität

… diese Paarung war immer schon ein schwieriger Fall. Sieht man sich Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak, Saudi-Arabien, Katar, Sudan, Mauretanien und Jemen steht die Todesstrafe auf (männliche) Homosexualität. In Nigeria, Somalia und Syrien müssen Homosexuelle ebenfalls in einigen Teilen der Länder mit der Todesstrafe rechnen. Bestraft wird sie u.a. in Russland und Litauen. Und auch in Deutschland standen homosexuelle Handlungen zwischen Männern bis zum 11. Juni 1994 unter Strafe. Frauen scheinen in manchen Ländern besser dazustehen – aber nur vordergründig. Denn der Frau wurde z.B. in Deutschland lange Zeit keine eigenständige Sexualität außerhalb des Mannes zugebilligt. So erhielt auch ihre sexuelle Orientierung weniger Aufmerksamkeit.

Auf diese Zusammenhänge spielt der Manga an, führt sie aber nicht weiter aus. Man erfährt z.B. nicht, warum die Homosexualität bestraft wird und wie diese Strafe aussieht. Zumindest ist die Homophobie, und die damit verbundene Schwierigkeit sich zu outen, ein Thema dieses Mangas, was oft in Shonen-Ai-Mangas mit dem äußeren Rahmen eines Fantasiestaates fehlt oder höchstens angedeutet wird. Die unterschwellige Bedrohung für die Protagonisten ist immer fühlbar. Ihre Liebe müssen sie also unterdrücken oder heimlich ausleben. Beides probieren die Protagonisten aus, aber beides ist nicht wirklich gangbar für sie.

Maria

Die Anspielung auf die Gottesmutter Maria in dem Manga ist offensichtlich. Allerdings wird in der christlichen Religion diese göttliche Frau, in der die prähistorische Göttin in sehr beschnittener Form überlebt hat, der “normalen” Frau enthoben und so für sie unerreichbar. Denn die Frau im Katholizismus wird vor die für sie unmögliche Wahl gestellt, entweder eine Hure zu sein oder ein asexuelles Wesen in Form der Gottesmutter. Dazwischen gibt es nichts, was nicht nur extrem frauenfeindlich, sondern auch für das Selbstbewusstsein und die Identität einer Frau äußerst schädlich ist. Was auch so gewollt ist, denn die Frau soll sich ja unterwerfen.

Die Maria in dem Manga wird zwar als Heilige verehrt, ist dem normalen Menschen aber nicht enthoben. Sie war eine normale Frau, die allerdings als heilig empfundene Werte wie Mildtätigkeit und Barmherzigkeit verkörpert hat. Diese weitete sie aber nicht auf alle Menschen aus. Sie taucht wieder in Form der Mutter Lyons auf, die – im Gegensatz zur restlichen königlichen Familie – offene Ansichten vertritt.

Fazit

Insgesamt gesehen ein netter, romantischer Manga über männliche Homosexualität, der tiefgreifendere Probleme dieser sexuellen Richtung zwar deutlicher ausführt als andere Manga, es da aber immer noch Luft nach oben gibt. Zumindest wirbt er indirekt für mehr Toleranz, was auch im Herzkreuz des Titels dargestellt wird. Wahre Liebe sollte sich frei entfalten dürfen und nicht gekreuzigt werden.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Walt Disneys wundervolles Weihnachtsfest

Friedliche Weihnachten? Denkste! Nicht in Entenhausen.

Zur schönsten Zeit des Jahres geht es nicht nur bei Donald Duck chaotisch zu. Aber eben auch bei ihm ist eine “Wilde Weihnacht” angesagt. Weil sich seine Neffen so brav benommen haben, will Donald ihnen als Weihnachtsmann eine schöne Weihnacht bescheren. Aber durch einen dummen Zufall finden die Kinder heraus, dass Donald der Weihnachtsmann ist. Da verlieren sie jeden Glauben an Weihnachten. Derweil hat Dagobert Duck mit ganz anderen Sorgen zu kämpfen: Die Panzerknacker rauben als Weihnachtsmänner verkleidet seinen Geldspeicher aus.

“Karl Käfer” rettet Weihnachten”, indem er eine Idee hat, wie er seinen unter Schnee begrabenen Freunden helfen kann.

“Der Lohn der guten Tat” zeigt Onkel Dagobert in einem ganz anderen Licht: Er will dem Weihnachtsmann wenigstens von einer guten Tat im Jahr berichten können. Auf der Suche nach der guten Tat ist er – ohne es zu merken – ein hilfreicher Engel für andere.

Um ein “Geplatztes Geschäft” geht es bei Mickey Maus und Goofy. Da platzen nicht nur Goofys heißgeliebte Kaugummiblasen, sondern auch ein Spielzeugweihnachtsmann – mit ungeahnten Folgen.

“Viel zu brav” dagegen findet Donald seine Neffen, deren endlos lange Wunschliste der ewig pleite Pechvogel nicht erfüllen kann. Da muss unbedingt eine Provokaktion her, damit sich seine Neffen doch noch daneben benehmen und sein Geldbeutel geschont wird.

“Zwei Hörnchen im Geschenkesack” erleben unfreiwillig turbulente Weihnachten.

“Wasser fürs Weihnachtsfest” muss her – koste es, was es wolle! Denn Donald kann keine Sekunde länger seine deprimierten Neffen ertragen, die sich sehnlichst eine weiße Weihnacht wünschen. Das beschert ihm eine Menge überraschender Abenteuer.

José und Manuel sind bei der armen Witwe Lopéz zum Weihnachtsessen eingeladen. Da aber beide alles andere als mit Geld gesegnet sind, muss eine Idee her. Und José findet: Auch “Gebrachte Geschenke” können Freude bringen!

“Schurken in der Bank” dagegen bringen den Filialleiter in Bedrängnis, sind aber für Donald ein Glücksfall.

“Die Rückkehr des Weihnachtsmannes” ist ein dringendes Anliegen von Mickey, der dem “Jahr 2000 Hype” überhaupt nichts abgewinnen kann. Also greift er dem Weihnachtsmann tatkräftig unter die Arme.

“Gut verpackt ist halb gefunden”, aber eben nur halb, wie Donald auf seiner Geschenkeodysee feststellen muss.

Auf ein “Prima Programm” hofft Rudi am Weihnachtsabend. Er will mit seiner Klarabella einen Horrorfilm anschauen. Aber die ist nicht begeistert.

Um “Das verschwundene Erz” in einer seiner Fabriken macht sich Dagobert große Sorgen. Um den Gaunern auf die Schliche zu kommen, schickt er Donald und dessen Neffen nach Lappland.

“Ein Geschenk für den Weihnachtsmann” ist eigentlich eine nette Idee – aber nicht, wenn sie von Kapitain Hook stammt.

“Besser spät als nie” denkt sich Donald, der kurz vor dem Jahreswechsel noch etwas Besonderes vollbringen will. Aber das ist leichter gesagt als getan.

Humor, Action und der Geist der Weihnacht

Die Sonderausgabe von Weltbild punktet nicht nur mit dem Preis, der um ganze 17 Euro günstiger als der der deutschen Erstausgabe ist, sondern kommt auch noch als Hardcover daher.

Die einzelnen unterschiedlich langen Geschichten selbst versprechen nicht nur Spannung, Action und Humor, sondern transportieren durchaus auch den Geist der Weihnacht: Für andere da sein, selbstlos und hilfsbereit sein, ein Herz für die Armen haben, einen anderen Blickwinkel einnehmen, eine schöne Tradition in Ehren halten, nachhaltig denken.

Aber sie werfen auch die Frage auf: Wie gehe ich damit um, wenn die Kinder entdecken, dass es keinen Weihnachtsmann gibt? Leider wird diese Frage nur aufgeworfen und dann platt damit beantwortet, dass es ihn doch gibt.  Aus der Geschichte hätte man definitiv mehr machen können. Das ist aber der einzige Wehrmutstropfen, denn ansonsten sind die in sich abgeschlossenen Storys amüsant zu lesen. Schön auch, dass ein paar bekannte und ein paar weniger bekannte Figuren des disney’schen Universums ihren Weihnachtsauftritt haben. Das darf ruhig öfter vorkommen.

Fazit

Netter weihnachtlicher Zeitvertreib für Familien.


Genre: Comic
Illustrated by Weltbild GmbH

Der Halbbart

Ein Mythos wird entlarvt

Mit seinem historischen Roman «Der Halbbart» kratzt der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky am Gründungs-Mythos seines Vaterlandes. In Folge der siegreichen ‹Schlacht bei Morgarten› gegen die Österreicher am 15. November 1315 schlossen sich die Kantone Schwyz, Uri und Unterwalden zu einem Bündnis zusammen. Im Roman unterläuft der Autor geschickt die mystische Überhöhung dieses historischen Ereignisses, indem er sie von einem fantasiebegabten Jungen aus dem Dorf erzählen lässt. Dessen maßlose Übertreibungen aber werden von den einfältigen Dörflern geglaubt, ein Mythos wird geboren. Kein Wunder also, dass man dem Autor seine durch diesen narrativen Trick geschickt kaschierte, ironische Sichtweise heute als historische Nestbeschmutzung ankreidet.

Eusebius, ein dreizehnjähriger Bub aus einem armseligen Schwyzer Dorf, den alle nur Sebi nennen, ist zart besaitet und nicht für harte, bäuerliche Arbeiten zu gebrauchen. Als ‹Finöggel› verspottet man ihn, weil er eher mädchenhaft wirkt. Eines Tages, so heißt es, wird er wohl ins Kloster von Einsiedel gehen. Der vaterlos aufwachsende Bub freundet sich mit einem Fremden an, der plötzlich ins Dorf kommt, keiner weiß woher. Er hat auf einer Körperhälfte schwere Verbrennungen, so dass auch sein Bart nur auf einer Seite wächst, weshalb er von allen nur «Halbbart» genannt wird. Der weise, auch als Medicus Rat wissende Mann erzählt dem Sebi viel von den Schrecken draußen in der Welt, aus der er kommt, verschweigt aber aus gutem Grund sein Judentum. Mit Onkel Alessi, einem Haudegen durch und durch, dem im Kampf die halbe Gesichtshälfte verloren ging, erscheint ein Unruhestifter im Dorf. Von dem sich der Halbbart aber nicht anstecken lässt, er erweist sich als äußerst besonnen. Und erfindet ganz nebenbei eine neue Waffe, die als Hieb- und Stichwaffe gleichermaßen verwendbar ist.

Die wird von Sebi dann, aus Halbbart abgeleitet, als Hellebarde bezeichnet. Womit diese aus der Ich-Perspektive von Säbi erzählte, auf historischen Geschehnissen basierende Geschichte endgültig ins Reich der Fabeln abgleitet. «Eine Geschichte hört man immer gern, wenn die Nächte lang sind», heißt es im Roman. Und so wurden sie denn auch damals von übers Land ziehenden, professionellen Geschichten-Erzählern wie der Teufels-Annelie überall verbreitet. Nach getaner Arbeit waren die Dörfler abends nur allzu gerne bereit, den Moritaten zu lauschen und den Gerüchten zu glauben, die mit der Zeit, phantasievoll angereichert, inhaltlich eher Märchen als wahre Nachrichten waren. Auch Säbi zeigt ein großes erzählerisches Talent. Er erzählt begeistert eine blutrünstige Geschichte nach der anderen und träumt davon, später ebenfalls mal damit umherzureisen. In dieser uralten Kultur mündlicher Überlieferungen erweisen sich sogar Geschichten als Waffe, denn sie können einen guten oder schlechten Einfluss ausüben, je nachdem, wie sie erzählt werden. Man kann mit ihnen Wahrheiten verdrehen und Bedeutungen umkehren, heute spricht man von Fake-News und, dümmer noch, auch von alternativen Fakten.

Unwillkürlich wird man beim Lesen dieses viel zu breit ausgewalzten Entwicklungs-Romans aus dem Mittelalter an Umberto Ecos «Der Name der Rose» erinnert wird, – und maßlos enttäuscht. Im Wesentlichen wird im Opus magnum von Charles Lewinsky die durch Sprache ermöglichte Manipulation thematisiert. Nachdenklich werden hier auch religiöse Dogmen in Zweifel gezogen, ohne jedoch ins Moralisieren zu verfallen. Mittelalterlich authentisch aber geht es nicht zu bei alldem, die Figuren scheinen mit ihrer Psyche eher der Jetztzeit zu entstammen. Auch das brutale historische Geschehen wird manchmal einfach passend zurechtgebogen für den langweiligen Plot. Die mit vielen Schweizer Begriffen angereicherte, ebenso naive wie nüchterne Erzählsprache des dicken Buches wirkt mit der Zeit dann nur noch nervig. Sie versucht in gestelztem Tonfall mittelalterliche Unbedarftheit mit modernem Denken zu verschmelzen und scheitert daran.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Diogenes Zürich

Vater und Sohn unterwegs

Eine literarische Nische

Als Jahrhundertroman wird «Vater und Sohn unterwegs» des Schriftstellers Heðin Brú im Heimatland seines Autors angesehen, dem politisch zu Dänemark gehörendem Archipel Färöer im Nordatlantik. Als einer der ersten in Landessprache geschrieben, war der 1940 im Original erschienene Roman identitätsstiftend für die Inselbevölkerung. Erst 1962 wurde er ins Dänische übersetzt, erschien später unter verschiedenen Titeln in den beiden Deutschlands und wurde als erster überhaupt auch ins Englische übersetzt. Wohl hauptsächlich dem ZDF ist es zu verdanken, dass wir ihn nun in neuer Übersetzung direkt aus dem färöischen Original lesen können. Denn Sebastian Guggolz nutzte die 250.000 Euro Preisgeld aus einer Quizshow als willkommenes Startkapital für seinen zu gründenden, ambitionierten Verlag, der sich dann auf Wiederentdeckungen wie diese spezialisiert hat. Bereits sein Titel verrät das Thema des Romans, über das schon Sokrates sagte: «Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern und ärgern ihre Lehrer».

Im Roman haben Ketil, ein archaischen Traditionen verhafteter, siebzigjähriger Fischer, und sein pubertärer, noch zuhause lebender Sohn Kálvur, jüngstes seiner elf Kinder, ihre Probleme miteinander. «Es liegt eine Schule von Grindwalen im Seyrvásfjord» beginnt es gleich furios, die Wale haben sich dorthin verirrt und befinden sich nun in der Falle. Denn die herbeieilenden Fischer versperren ihnen mit ihren Booten den Rückweg ins offene Meer und schlachten sie brutal ab. Ketil und Kálvur helfen kräftig mit bei dieser traditionellen Jagd aller Dorfbewohner, deren gemeinsame Beute danach zu Versteigerung kommt. Der Alte bietet, übermütig und angetrunken nach dem dörflichen Freudenfest, viel zu viel für ein deutlich zu großes Stück Walfleisch. Wieder nüchtern geworden stellt er entsetzt fest, dass er die einige Monate später fällige Rechnung nicht wird zahlen können. Die in ärmlichsten Verhältnissen lebenden Eheleute versuchen nun alles, um bis dahin das benötigte Geld doch noch irgendwie aufzutreiben. So plagt Ketil sich mit Treibholzsammeln, fährt mit seinem längst stillgelegten, uralten Ruderboot nach langer Zeit erstmals wieder zum Fischfang hinaus, spinnt Wolle, aus der seine Frau Pullover strickt und verkauft. Der eher verweichlichte Kálvur hilft ihm aber nur widerwillig, viel lieber schmust er mit der Nachbarstochter. Als er von seinem ältesten Bruder mit ihr im Bett erwischt wird und die Alten fürchterlich schimpfen, lacht der großer Bruder sie nur aus und erinnert sie daran, dass es doch schon immer so war mit den jungen Leuten.

Nichts aber fürchtet Ketil mehr als die Blamage vor den Dorfbewohnern, wenn er nicht zahlen kann. Seine Ehrbegriffe lassen das einfach nicht zu, er betet und hofft auf ein Wunder. Ganz anders seine Söhne, die bis auf Kálvur alle schon verheiratet sind, in festen Häusern wohnen und sich nicht scheuen, Schulden zu haben, sie wollen einfach nur gut leben. Der in den 1930er Jahren angesiedelte Roman spielt sich vor der Kulisse des technischen Umbruchs in die Neuzeit ab. Während Ketil in seinem vermoderten, kaum noch seetüchtigen Ruderboot hinausfährt, brausen die andern längst mit dem Motorboot an ihm vorbei, und wo er mühsam zu Fuß hinläuft, fahren andere bequem mit dem Auto hin.

Heðin Brú spiegelt den Umbruch zur Moderne im Konflikt seiner Protagonisten und gewährt einen ungeschönten Einblick in die längst vergangene Welt auf der kargen, sturmumtosten Schafsinsel im Nordatlantik. In seinem liebevoll erzählten Roman schildert er in einer einfach strukturierten, an Märchen erinnernden Sprache anschaulich das archaische, entbehrungsreiche Leben seiner robusten Figuren. Mit einem hilfreichen Glossar und einem sachkundigen Nachwort liefert das Buch viele nützliche Informationen, die man verständnisfördernd schon vorab lesen sollte. Eine erfreuliche Wiederentdeckung aus einer extrem kleinen literarischen Nische wartet da auf wissbegierige Leser.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Guggolz-Verlag Berlin

Grimms Wörter

Ambivalentes Spätwerk

Es war nicht sein letztes Buch, wie er befürchtet hatte, es folgten noch zwei weitere, mit «Grimms Wörter» hat Günter Grass seinem belletristischen Œuvre noch eine ambivalente «Liebeserklärung» hinzugefügt. Der überbordenden Liebe zum geschriebenen Wort, die hier wortmächtig und sprachverliebt zum Ausdruck kommt, steht erneut eine seiner peinlichen Selbstdarstellungen gegenüber. Eine unverhüllte Eitelkeit, die dem Literatur-Nobelpreisträger und künstlerischem Multitalent wahrlich nicht zur Ehre gereicht. Lange galt er als führender Intellektueller Deutschlands, seine Stimme hatte Gewicht, er hat sich politisch eingemischt wie kein zweiter und oft den Nagel auf den Kopf getroffen. Dieser Roman über die Gebrüder Grimm wäre ohne die selbstverliebten autobiografischen Einschübe ein amüsanter und lehrreicher linguistischer Parforceritt für sprachlich Interessierte. Wäre!

Die Geschichte um das Jahrhundertwerk der begnadeten Philologen Jakob und Wilhelm Grimm beginnt mit dem Rauswurf der «Göttinger Sieben» aus der berühmten niedersächsischen Universität, Jakob wurde sogar des Landes verwiesen. Nachdem Berufungen an andere deutsche Universitäten ausgeblieben waren, bietet sich mit dem Auftrag für ein Deutsches Wörterbuch ein Jahr später endlich für beide die Chance, ihrer inzwischen entstandenen finanziellen Misere zu entrinnen. Von Buchstabe zu Buchstabe und Wort zu Wort hangelt sich Günter Grass durch die deutsche Sprache, deren Ursprüngen und linguistischen Varietäten die gelehrten Brüder mit höchstem wissenschaftlichem Anspruch nachspürten. Eine Mammutaufgabe, wie sich schon bald erweist, es vergehen sechzehn Jahre, bis 1854 der erste Band erscheinen kann. Aus der Feder der beiden Grimms stammen dann noch die Bände bis zum Buchstaben F, den Jakob erarbeitet hat, bevor der Tod auch seinem Fleiß ein Ende setzte. Der große Rest wurde von vielen anderen Wissenschaftlern erstellt, der 32te und letzte Band erschien dann erst 1961. Die Taschenbuch-Ausgabe des dtv von 1999 enthält 320.000 Stichwörter auf 34.824 Seiten.

Mit erkennbarer Lust breitet Günter Grass linguistische Varianten ausgesuchter Wörter und diverse, von den Grimms als Belege angeführte Zitate aus der Literatur vor dem Leser aus. Er ergänzt sie um heutige, neu hinzu gekommene Worte und weist auf die Dynamik hin, der Sprache permanent unterworfen ist. Seine erkennbare Freude an barocken, altertümelnden Sprachformen findet sich auch in anderen Werken von ihm, «Das Treffen in Teltge» nennt er selbst als Beispiel. Aber er weist auch völlig unnötig auf viele andere seiner Werke hin, obwohl er solch plumpe Eigenwerbung als weitaus erfolgreichster deutscher Schriftsteller gar nicht mehr nötig hatte. Noch peinlicher aber sind die vielen einfließenden Reden, Begegnungen, politischen Aktivitäten und verbalen Scharmützel mit der Springer-Presse, durch die er sich in diesem Buch selbst inszeniert. So sehr man seinen Ansichten zu politischen und sozialen Problemen auch heute noch nur zustimmen kann, so sehr sind sie in diesem Roman fehl am Platze, es fehlt nämlich jedweder Zusammenhang mit dem Grimm-Thema. Und anders als bei den Gebrüdern hat seine Aufmüpfigkeit auch nie gravierende Folgen für ihn gehabt, sie hat ihn im Gegenteil auflagesteigernd nur bekannter gemacht.

Größte Stärke des Buches ist sicherlich der virtuose Umgang mit Sprache, hinzu kommt der interessante Einblick in die Entstehungsgeschichte des kolossalen Grimmschen Werkes. Aber auch der historische Kontext mit den vielen prominenten Zeitgenossen jener Epoche, über die da munter fabuliert wird, ist bereichernd. Es gelingt Grass aber nicht, kurzweilig zu plaudern, wie das der von ihm zitierte und bewunderte Theodor Fontane so perfekt konnte, insoweit hat der Roman auch wenig Unterhaltungswert aufzuweisen. Das posthume Herbeizitieren der Grimms zu fiktiven Gesprächen im Berliner Tiergarten, zur gemeinsamen Bootsfahrt gar am Ende, wirkt zudem eher deplatziert als mystisch bereichernd.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Steidl Göttingen