Arthrose: Die besten Heilmethoden

Arthrose

Arthrose – chronische Krankheit, deren Verlauf gemildert werden kann

“In Deutschland leiden etwa fünf bis sechs Millionen Menschen an Arthrose, mit steigender Tendenz.”Arthrose ist ein Verschleiß der Gelenke. Er tritt auf, wenn sich der schützende Knorpel mit der Zeit abnutzt. Die Knochenenden werden nicht mehr gepolstert und die Knochen reiben aneinander, was Schmerzen verursacht. Ab dem 60. Lebensjahr sind rund 50% der Frauen und 30% der Männer betroffen. Arthrose ist eine chronische Erkrankung, die nicht geheilt, aber gelindert werden kann. Das Buch gibt einige Tipps, wie das gelingen kann. Des Weiteren erklärt es Aufbau und Funktion der Gelenke, weitere Bestandteile des Bewegungsapparats, wie es zum Verschleiß kommt und welche weiteren Krankheiten der Gelenke es gibt.

Tipps:

–  Arthrose vorbeugen: gute Körperhaltung für eine gleichmäßige Belastung der Gelenke, regelmäßige Bewegung

– Arthrose mildern:

  • körperliche Aktivitäten im Alltag
  • Entlastung der Gelenke (Gelenke gezielt warm halten, Vermeidung schwerer Lasten und einseitiger Belastung, richtige Arbeitshöhen, nicht zu lange bewegungslos bleiben, gleichmäßige Belastung)
  • Physiotherapie
  • medikamentöse Behandlung mit schmerzstillenden Tabletten, Salben, Cremes, Gels
  • Operationen
  • Naturheilmittel und Pflanzen (Ingwer, Kurkuma, Weidenrinde, Brennessel, Teufelskralle, Pfefferminzöl, Kraut- und Kohlwickel…)
  • regelmäßige Bewegung mit Bewegungsarten, die einem guttun (geeignete Sportarten: Radfahren, Nordic Walking, Wandern, Schwimmen, Aqua-Jogging, sanfte Gymnastik, Tai Chi, Yoga)
  • Gewichtsreduktion auf ein gesundes Maß durch möglichst kohlenhydrat- und fettarme Ernährung
  • richtige Ernährung: ausreichend Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe; Omega-3-Fettsäuren; viel frisches Obst und Gemüse; gesunde, pflanzliche Fette und Öle; Antioxidatien in Kräutern und Gewürzen; Eier und Milch nur in Maßen; Fleisch nur in Maßen, kein Schweinefleisch; möglichst viele entzündungshemmende Lebensmittel essen

Informations- und Rezepteteil

Auch dieses Buch vertritt den Ansatz, dass Ernährung nicht nur schaden, sondern auch heilen oder zumindest helfen kann. Nach einem gut verständlichen und übersichtlich gegliederten Informationsteil folgt ein gut bebilderter Rezepteteil. Der Informationsteil gliedert sich in: Unsere Gelenke, Krankheiten der Gelenke, Arthrose genau erklärt, Mit Arthrose leben, Die richtige Bewegung bei Arthrose, Die richtige Ernährung bei Arthrose. Das Buch fängt also mit dem Wichtigsten – nämlich der Erklärung, was Arthrose ist und wie sie sich von anderen Gelenkkrankheiten unterscheidet – an, um dann Tipps zur Vorbeugung und zum Leben mit Arthrose zu geben.

Der Rezeptteil gibt unter dem jeweiligen Rezept Infos und Tipps zu den verwendeten Nahrungsmitteln. Nährwertangaben und die Zubereitungszeit, die etwas optimistisch bemessen ist, vervollständigen das Bild. Am Ende des Buches bilden Fotos der Gerichte und die dazugehörige Seitenzahl eine Art Register, um ein bestimmtes Rezept schnell finden zu können. Das alles trägt zur Übersichtlichkeit bei, sowie die Unterteilung der Rezepte in Suppen, Salate, Gemüsegerichte, leichte Fleischgerichte, Fisch und Meeresfrüchte, Brote, Belag und Öle, Snacks, Desserts und Smoothies. Die Rezepte sind vielfältig, aber trotzdem Geschmackssache. Ich suche mir die für mich in Frage kommenden Gerichte aus, die mir auch meist schmecken. Aber gerade meinem Kind schmecken viele der Rezepte nicht. Familienfreundliche Gerichte wären also auch hier gut. Auf der anderen Seite: Da Arthrose vorwiegend Senior*innen zu betreffen scheint, passt es ja wieder.

Fazit

Übersichtliches, gut verständliches Buch über Arthrose und den Umgang mit der Krankheit. Auch der Rezepteteil ist übersichtlich gehalten. Die Rezepte selbst sind, wie meist, Geschmackssache. Offenheit lohnt sich der Gesundheit zuliebe trotzdem, zumal die Gerichte vielfältig sind.


Illustrated by Weltbild

LTB Classic Edition! 11: Die Comics von Carl Barks

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Entenhausens größter Pechvogel

In Entenhausen rumpelt es bedenklich. Als Die Duck-Familie dem für Onkel Dagoberts Geldspeicher gefährlichen Rumpeln nachgehen will, entdeckt sie im Erdinnern die Kullern. Und die will bald ihre Meisterschaft “Kuller-Cup” austragen – auf dass die Erde mächtig bebe!

Onkel Donald will beweisen, dass auch er olympiatauglich ist. Deshalb bewirbt er sich bei den Ausscheidungswettkämpfen in Entenhausen. Tatsächlich gewinnt er einige Disziplinen – aber nicht wegen seiner Sportlichkeit.

Als Onkel Dagobert von einem Hypnotiseur die Miete eintreiben will, bietet der ihm eine Rückführung in ein früheres Leben an. Onkel Dagobert lehnt ab – bis er erfährt, dass andere Entenhausener mit Erinnerungen an vergrabene Schätze reich geworden sind.

Als Donald eine Walschule sieht, kommt ihm die Idee, mit einem gefangenen Wal Geld zu verdienen. Eine Bucht scheint ihm für diesen Zweck wie geschaffen. Also treiben er und seine Neffen einen Wal in die Bucht. Aber damit ist es nicht getan und die Probleme fangen erst richtig an.

Daniel Düsentrieb will Urlaub von seinem Erfindergeist machen. Um nur ja nicht in Versuchung zu geraten, geht er für eine Weile zu Oma Duck auf’s Land, da das Landleben beschaulich und geruhsam sein soll. Aber selbst dort kommt der umtriebige Erfindergeist nicht zur Ruhe.

Um mit wenig Aufwand Geld zu verdienen, meldet sich Onkel Dagobert bei einer Quizsendung für Dumme an. Aber er hat nicht mit dem Finanzamt gerechnet, das bei einer gewissen Geldsumme Strafen verhängt.

Auf einem Kostümfest will Donald als Ritter erscheinen, weil er die ritterlichen Ideale schätzt. Aber Ritter sind momentan in Entenhausen alles andere als angesagt. So erntet er für sein Kostüm v.a. Hohn und Spott – bis Löwen ausbrechen.

Als Onkel Dagobert erfährt, dass er nur der zweitreichste Mann der Welt sein soll, will er das nicht auf sich sitzen lassen. Also macht er sich auf den Weg zu seinem Gegner Mac Moneysac, um zu beweisen, dass er der reichste Mann der Welt ist.

Donald will seine schwimmbegeisterten Neffen Kultur beibringen, indem sie Klavier spielen lernen sollen. Die drei Jungen sind davon aber alles andere als begeistert. Deshalb beschließt Donald, sie zum Schwimmwettkampf herauszufordern. Aber entgegen seines Versprechens sind seine Schwimmmethoden alles andere als fair play.

“120 Jahre Carl Barks – Der Mann, der Entenhausen schuf” (Verlag)

318 Seiten vollgepackt mit 10- und 1-Seitern des Erfinders des Duck’schen Universums Carl Barks: Einfach gehaltene Comics, die auch heute noch mit Witz, Humor, Ideenreichtum und Charme begeistern. Die vorliegenden Geschichten stammen aus den Jahren 1955 und 1956. Der Verlag veröffentlicht Carl Barks Werk chronologisch. Ungewohnt ist evtl. die Kürze der Comics, da in den meisten anderen Bänden die Storys meist deutlich über 10 Seiten lang sind.

Für weibliche Fans fällt die Abwesenheit der Frauen auf: Noch erscheinen sie höchstens als Rand- oder Nebenfiguren, und dann – dem Rollenklischee der 50er getreulich folgend – in den entsprechenden “Frauen”-rollen. Daran hat sich in Entenhausen bis heute bedauerlicherweise wenig geändert.

Anbei noch ein paar Infos des Verlags zu Carl Barks, dem wir den Entenhausener Kosmos verdanken: “Carl Barks wurde 1901 in Oregon, USA geboren. Als junger Mann arbeitete er als Farmer und Drucker. Sein Traum war aber ein anderer: Er wollte Cartoonist werden und 1935 ging dieser Traum in Erfüllung. Disney engagiert ihn anfangs als Zeichner in der Trickfilmabteilung. Dort wurden seine Qualitäten als Gaglieferant und und Story-Board-Schreiber schnell erkannt. Donald Duck hatte zwar bereits ein Jahr zuvor als “Wise Little Hen” sein Filmdebüt gegeben, doch Barks entwickelte die Figur weiter, gab Donald den berühmten Matrosenanug, kürzte seinen Schnabel und ließ ihn menschlicher aussehen. Von April bis 1943 bis September 1965 schrieb und zeichnete er fast alle 10-seitigen Duck-Geschichten in “Walt Disney’s Comics und Stories”. Carl Barks schuf rund 6400 amerikanische Disney-Comicseiten, die meisten davon handelten von der Duck-Familie. So entwickelte Barks schrittweise den gesamten Entenhausener Kosmos. 1947 gelang es Barks eine ganz besondere weltberühmte Ente zu erschaffen. Für eine Weihnachtsgeschichte brauchte er einen griesgrämigen Erbonkel: Dagobert Duck, die reichste Ente der Welt, die gern im Geldbad schwimmt, war geboren. Nach den Kurzgeschichten folgten lange Abenteuer der Entenfamlie. Barks schickte Donald, die drei Neffen und Dagobert um die ganze Welt. Sogar auf anderen Planeten und auf dem Meeresgrund sind sie unterwegs gewesen. Oft bediente sich Barks der griechischen Mythologie und Legenden vergessener Kulturen. So hatten die waghalsigen Enten oft verrückte Abenteuer zu bestehen, in denen sie “Das goldene Vlies” suchten oder El Dorado und Atlantis entdeckten. Am 25. August 2000 starb die Legende Carl Barks.”

Im vorliegenden Band gibt es Infos zu Carl Barks und Übersetzerin Dr. Erika Fuchs, die den Inflektiv und heute gebräuchliche Sprüche wie “Dem Ingeniör ist nichts zu schwör” erfand.

Ich persönlich hätte mir mehr Hintergrundinfos zur Entstehung der Comics gewünscht und zum Betriebsklima innerhalb des Disney-Imperiums. Das soll ja entgegen der fortschrittlichen Animationskunst nicht besonders arbeiterfreundlich (v.a. gegenüber Frauen) und hierarchisch dominiert gewesen sein.

 

Fazit

Die frühen Comics des Entenhausener Erfinders Carl Barks sind einfach, aber abwechslungsreich und humorvoll gehalten, dabei aber männlich dominiert. Frauen kommen nur am Rand und nur in den 1950er-typischen Geschlechterrollen vor. Daran hat sich bis heute bedauerlicherweise (zu) wenig geändert.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa Media

My Roommate is a Cat 1-4

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Bild 1 - My Roommate is a Cat Band 2 (Deutsche Ausgabe) Carlsen MangaArtikelbild-0My Roommate is a Cat 4 als Taschenbuch

Haustiere als Therapie und Schlüssel zur Welt

Schriftsteller Subaru ist alles andere als ein Gesellschaftsmensch. Er lebt nur für sein Schreiben und vergisst darüber gern mal zu essen und zu schlafen. Das ändert sich, als ihm Straßenkatze Haru zuläuft. Auf einmal steht Subarus Leben Kopf: Nicht nur, dass er sich jetzt umgehend über die Bedürfnisse einer Katze informieren muss, wenn er kein verwüstetes Heim riskieren will.

Auch das gesellschaftliche Leben Subarus ändert sich nach und nach. Subarus Verleger ist fast jeden Tag bei ihm, weil er Haru so niedlich findet. Außerdem zieht ein Freund bei ihm ein und veranstaltet Chaos. Davon nicht genug muss sich Subaru mit dem weiblichen Geschlecht auseinandersetzen, wenn Haru etwas zu fressen haben soll: Nana, die nette Verkäuferin aus der Tierhandlung, ist selbst Katzenbesitzerin und versorgt ihn nicht nur mit Katzennahrung, sondern auch mit vielen hilfreichen Tipps rund um die neue Mitbewohnerin. Außerdem ist sie ein großer Fan des Mystery-Schriftstellers, ahnt aber nicht, dass ihr Idol der neue Kunde ist.

Das ändert sich, als Subarus Verleger ihn endlich zu einer Signierstunde überreden kann. Dort treffen sich die beiden und es kommt zu einem peinlichen, aber auch niedlichen Moment der Zweisamkeit. Als Subaru sich danach für sein Verhalten bei Nana entschuldigen und ihr ihren verlorenen Schlüssel wiedergeben will, trifft Haru auf ihr Brüderchen, das inzwischen bei Nana eine neue Bleibe gefunden hat. Haru trifft aber auch die Tochter einer netten Famulie wieder, die sie als Straßenkatze durchgefüttert hatte. Das kleine Mädchen und ihre Freundin sind ab jetzt öfter zu Besuch bei Subaru, auch weil sie ihm zeigen soll, wie man Katzenfutter selbst kocht.

Zwei Perspektiven

Die vorliegende Reihe wird aus zwei Perspektiven erzählt: Aus der Perspektive des Schriftstellers Subaru und der der Katze Haru. Dabei wird dieselbe Szene zweimal beleuchtet. Die Geschichte Harus fließt auf diese Art und Weise ins Geschehen mit ein: Sie hat als Straßenkatze gelernt, misstrauisch zu sein, sich durchzuschlagen und sich um ihre beiden Geschwister zu kümmern. Die seelische Verletzung, dass eines ihrer Geschwister trotzdem gestorben und das andere verschwunden ist, prägt sie. Ihr Drang, sich um andere zu kümmern, lebt sie an Subaru aus, von dem sie befürchtet, dass er wie ihre Gewschwister nicht genug isst und stirbt. Das führt zu einer Reihe von Missverständnissen zwischen Mensch und Katze, die als hintersinnige Situationskomik verwertet wird.

Allerdings wird Haru sehr vermenschlicht. Sie handelt und denkt wie ein Mensch in Katzengetalt. Katzenbesitzer*innen könnten diese Vermenschlichung durchaus kritisch sehen.

Die Idee, eine Situation aus mehreren Perspektiven zu erzählen, ist nicht neu, aber gut. Sie veranschaulicht, dass ein und diesselbe Situation immer mehrdeutig sein kann. Eine solche Erzählweise öffnet und erweitert den Horizont.

Soziales Miteinander

Diese Reihe macht deutlich, dass Menschen Herdentiere sind und andere brauchen, um sich wohlzufühlen. Allerdings macht sie auch deutlich, dass man, wenn man länger allein gelebt hat, sich erst einmal an den Trubel mit anderen gewöhnen muss. Auszeiten sind auch nötig, um sich zu erholen. Subaru scheint hochsensibel zu sein, denn er ist kreativ, tiefsinnig, empfindsam und braucht viel Ruhe, um Erlebnisse zu verdauen. Diese und seine Gedanken verarbeitet er in Büchern, die andere berühren und ihnen Lebensmut geben. Damit wird ein weiterer Aspekt angesprochen: Um sozial zu sein, muss man nicht unbedingt face to face mit anderen kommunizieren. Subaru ist ein von Grund auf guter Charakter, kann keiner Fliege etwas zuleide tun und versucht sich in andere (auch in seine Katze) einzufühlen. Dass er allein lebt, heißt also nicht, dass er nicht sozial ist. Soziales Denken und Fühlen ist eine Sache des Charakters und nicht der tatsächlichen sozialen Kontakte. Denn es kann genauso gut sein, dass jemand, der vordergründig mit aller Welt befreundet ist, diese Kontakte in hinterhältiger Weise ausnutzt.

Subaru hat sich nach dem Tod seiner Eltern, den er anscheinend nicht richtig verarbeitet hat, in ein Schneckenhaus zurückgezogen, wohl, um nicht wieder verletzt zu werden. Dabei ist er innerlich eingeforen. Haru holt ihn allein durch ihre Anwesenheit nach und nach aus seinem Schneckenhaus heraus. Jetzt muss Subaru nicht nur für sich, sondern auch für andere Verantwortung übernehmen. Durch die Katze nehmen seine sozialen Kontakte allmählich zu, sodass er lernt, nicht nur sozial zu denken, sondern sich auch im realen Kontakt zu anderen sozial zu verhalten. Das reduziert seine Einsamkeit und er erhält neue Anregungen für seine Bücher. Außerdem erhält er so die Chance, eine Freundin zu finden.

Ein wenig erinnert die Geschichte an heutiges soziales Verhalten, das oft per Handy oder Internet stattfindet, also in einer distanzierten und reduzierten Form, weil so Körper- und andere wichtige gestische und mimische Signale nicht oder nur schwer wahrgenommen in die Kommunikation einbezogen werden können. Kontakt über ein Medium wie Telefon, Handy, Internet ist nicht so (bedeutungs-)reich wie ein direkter Kontakt mit anderen Menschen.

Subaru bekommt durch den direkten Kontakt (positive) Rückmeldung, die vorher in der Art nicht möglich waren. Er bekommt Rückmeldung von seiner Katze und den Menschen seiner Umgebung, die ihm verdeutlichen, dass sie ihn nett finden oder seine Werke sehr schätzen. Das vermittelt Selbstbewusstsein und ermöglicht eine weitere Öffnung nach außen.

Fazit

Die Reihe ist ein Plädoyer für positive Mensch-Tier und Mensch-Mensch-Beziehungen. Jede*r darf so sein, wie sie oder er ist. Außerdem vermitteln positive Beziehungen Selbstbewusstsein, Verantwortungsbewusstsein und eine generelle Öffnung zur Welt hin. Wichtig ist dabei der unmittelbare Kontakt zu anderen (nichrt bloß der mittelbare), auch um neuen Input zu erhalten – alles Nahrung für die Seele. Ruhige, aber trotzdem spannende Manga-Reihe, die aus der Sicht des Menschen und aus der Sicht der Katze erzählt wird: Mehrere Perspektiven derselben Situation ermöglichen einen erweiterten Horizont und vertiefen das Verständnis für sich und andere.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Wondrak für alle Lebenslagen

Einen Wondrak für alle Lebenslagen: Mit 88 Jahren verkündete Janosch in der deutschen Wochenzeitschrift ZEIT, dass er keine Wondraks mehr publizieren werde. Über 350 Wondrak-Zeichnungen waren bis dahin schon erschienen. Über 300 Bücher hatte Janosch zeit seines Lebens publiziert, viele seiner Geschichten waren in 40 Sprachen übersetzt worden. Mit „Wondrak für alle Lebenslagen“ kann man nochmals zurückblicken und sich erinnern. Der Reclam Verlag macht’s möglich.

Janosch’s Wondrak als Lebenshilfe

Die deutsche Literaturwissenschaft habe sich vielleicht zu wenig mit Janosch beschäftigt, weil Bildergeschichten keine Literatur darstellten, so Tillmann Prüfer in seinem Nachwort zur vorliegenden Ausgabe. Ähnlich wie Wilhelm Busch würde man Janosch fälschlicherweise für einen Kinderbuchautor halten. Aber jeder der Janosch kennt, weiß natürlich, dass dem überhaupt nicht so ist. Mit „Oh, wie schön ist Panama“ bekam Janosch um 1978 aber endliche die Aufmerksamkeit, die er verdiente. Die zeichnerische Arbeit des gelernten Schmieds wurde von Erfolg gekrönt und Janosch konnte sich nun ganz seinen kleinen Helden des Alltags widmen. Aber der Wondrak ist natürlich kein alter ego Janoschs. Werk und Autor muss man immer trennen. Die eigentliche Fiktion ist die Autobiographie. Auch wenn Wondrak natürlich etwas mit Janosch zu tun hat. Denn der Held Wondrak ist ein Anti-Held. Aber er meistert das älter werden ebenso gut, wie sein Schöpfer Janosch, der seit einigen Jahren eine Finca in Teneriffa besitzt und es sich dort gut gehen lässt. Was ist Heimat? Frägt der Herr Wondrak an einer Stelle und steht dabei vor einem Dorf. „Die Heimat ist ein Ort, wo das Herz auf ewig wohnt, egal, ob es dort stinkt.“ Eine profunde Antwort für jemanden, den es eigentlich nur in der Fantasie gibt, der aber durchaus reale Gedanken hat. Etwa wenn es um’s Arbeiten geht. Wie motiviert sich Wondrak? Immer wenn er eine Eins würfelt, dann muss er nicht arbeiten. Nachsatz: Manchmal dauert es Stunden, bis eine Eins kommt.

Wondrak und Co.

Die Zusammenstellung in vorliegendem, liebevoll mit den Zeichnungen Janoschs gestalteten Band folgt Themen, die für uns alle wichtig sind. Wie lässt es sich gut leben, wie klappt es mit der Liebe, wie kommt man gut durchs Jahr, wie geht man die kleinen Probleme des Alltags an und wie steht es mit den großen Fragen des Lebens. Wer noch mehr lesen will, der denke bei Janosch auch an seine unvergesslichen Figuren Tigerente, Tiger und Bär, Schnuddel oder Günter Kastenfrosch, beliebte Figuren in Geschichten wie Post für den Tiger oder Ich mach dich gesund, sagte der Bär.

Janosch

Wondrak für alle Lebenslagen

Nachw. von Tillmann Prüfer

127 S. 98 Farbabb.

Wieder lieferbar ab 25.03.2021

ISBN: 978-3-15-014176-2

Reclam Verlag

6,00 €

 


Genre: Cartoons, Comics, Kinder und Erwachsene, Komik
Illustrated by Reclam Verlag

Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit.

Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit: Wien vor 40 Jahren. In den Achtzigern. Die Stadt war damals grau und verlassen und eine Menge Seniorinnen mit ihren Hunden bevölkerten die ansonsten leeren Straßenbahnen. Meist trugen sie Pelzmäntel und waren grantig. Der typische Wiener Grant, den es damals auch noch an den Häuserfassaden gab. Ein nostalgischer Rückblick „auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit“ anhand von Fotografien und kurzen Texten zeigt in vorliegender Publikation, dass der goldene Westen auch einmal grau war. Dafür aber voller Charme.

Wien – Stadt an der Peripherie Europas

Was die Innenstädte von heute kennzeichnet, ist die Tatsache, dass sie zumeist von ausländischen Multikonzernen mit ihren Werbetafel und Aufschriften zugekleistert sind. Das war damals – in den Achtzigern – noch anders. Eine vor der Wende aus der DDR geflüchtete Freundin meinte, als sie über Ungarn nach Wien kam sei es ihr noch nicht bewusst gewesen, bereits im Westen angekommen zu sein. Wien war damals nicht im Herzen Europas, sondern an der Peripherie. Dieses Lebensgefühl fing auch der junge Fotograf (*1963) Harald A. Jahn mit seiner Kamera ein. Damals wie heute.  Was er zeigt, sind verfallene Häuserzeilen und Vorstädte, Geschäfte und Greissler des kleinen Mannes, aber auch alte Kinos oder den böhmischen Prater und die Flaniermeile Mariahilferstraße. Alle Bilder haben eines gemeinsam: sie zeigen ein Wien, das es heute nicht mehr gibt und so könnte man Jahn geradezu als Archäologen bezeichnen, auch wenn sich zwischen die Häuserfronten ein paar Porträts mischen. So etwa den 80-jährigen Schuster, der von Favoriten im Süden immer noch jeden Tag in den Westen in seine Werkstatt fährt.

Spurensuche in den Achtzigern und neuer Aufbruch

Spuren des Weltkriegs findet er im ersten Kapitel seiner „Randschaften“ genannten Bestandsaufnahme in Buchform, darauf folgen Villen, Durchhäuser und Bilder vom alten Nordbahnhof oder AKH. Im Cafè Theater an der Wien hatte er sich damals einen Scherz erlaubt und dem schlecht laufenden Café durch ein Kontaktinserat in einer Zeitung unter die Arme gegriffen. Es kamen lauter alte Herren und Frau Maria rettete dieser eine Abend pro Woche das Überleben. Später wurde daraus die Donauwelle, ein Ort, wo sich Laien und Dilettanten alte Operettenlieder vortrugen. Natürlich fehlen auch die Wirtshäuser nicht, Jahn hat sowohl die Tschocherl als auch die Brandineser aufgesucht und sie in seinem Fotalbum des Alten Wien verewigt. Eines davon liegt in der Moissigasse, in der Donaustadt, weit vom Zentrum entfernt. Dort wundern sich die Gäste, dass sich einer so ein Fotobuch antut. Aber Harald A. Jahn freut sich, die Orte seiner Kindheit wieder zu entdecken. Darunter auch das Fahrradgeschäft „Rih“ auf der Praterstraße, das nach dem Hengst Kara Ben Emsis benannt wurde. In Margareten, dem fünften Bezirk Wiens, findet er sogar noch ein Hutgeschäft, das von der damaligen Besitzerin betrieben wird.

Randschaften: Das Wien unserer Kindheit

Ein Glück für das Lokal und die Gäste, denn zumeist werden solche Geschäfte wenn es keine Nachkommen gibt geschlossen. Die neuen Mietverträge wären für Neuübernahmen zu teuer und so steht wieder ein Erdgeschosslokal leer. Harald A. Jahn leistet mit „Randschaften“ einen wichtigen Beitrag wider das Vergessen, denn gerade diese kleinen Geschäfte, die Gassenlokale, sind Teil der Identität Wiens und machen die Stadt unverwechselbar und unvergleichlich. Bis die Pandemie vorbei ist, warten wir alle auf eine neue Gründerzeit. Eine neue Renaissance dieser außergewöhnlichen Plätze. Mit den Greisslern hat es bereits begonnen und wer weiß, ob nicht bald wieder die Bäume blühen. Nicht nur im Prater.

Harald A. Jahn

Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit

Wien 2021, 256 S., 390 Farbabb. im Text, 29,7 x 21 cm; broschiert

ISBN 978-3-85161-246-2

Phoibos Verlag

34,90 € *

 

 

 


Genre: Bilderbuch, Fotobuch, Reiseführer
Illustrated by Phoibos Wien

Stein der Geduld

Vom Ende der Geduld

Der in Kabul geborene Schriftsteller Atiq Rahimi hat für seinen dritten Roman «Stein der Geduld» 2008 den Prix Goncour bekommen. «Sein erschütterndes Buch berührt unser Herz» hat die Buchpreis-Jury dazu angemerkt. Wie schon in anderen seiner Werke thematisiert auch dieser inzwischen verfilmte, schmale Band die unterwürfige Rolle der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans. Dieses Land, hatte der Autor bei der Preis-Verleihung erklärt, symbolisiere für ihn den ganzen Terror der Welt. Durch den gerade gestern erst verkündeten Abzug der Nato ist zu befürchten, dass der Taliban-Terror dort sehr schnell wieder die Oberhand gewinnt. Insoweit ist der Roman hochaktuell, verdeutlich er doch die archaischen gesellschaftlichen Verhältnisse des Landes ebenso wie die Schrecken des nicht enden wollenden, verheerenden Bürgerkrieges.

Eine Frau pflegt mitten im Bürgerkriegs-Geschehen eines kleinen Ortes in Afghanistan ihren vor zwei Wochen durch einen Schuss in den Hals schwer verletzten, im Koma liegenden Mann. Die Verletzung des als Kriegshelden gefeierten Mannes stammt jedoch nicht von den Kampf-Handlungen, sondern von einem banalen Streit unter Männern. Obwohl seine Augen offen sind, reagiert er nicht, sie glaubt jedoch, dass der wie ein Stein reglos Daliegende sie hören kann und spricht ihn deshalb immer wieder an. Allmählich werden dann ihre inbrünstigen, endlosen Gebete durch immer unfangreicher werdende Monologe der Frau ersetzt, die sich damit zunehmend die Probleme ihrer zehnjährigen Ehe mit dem Tyrannen von der Seele redet. Sie wurde nämlich, nach Landessitte ungefragt, mit dem sehr viel älteren Partisanen verheiratet, den sie nie gesehen hatte, und das auch noch in dessen Abwesenheit. Erst nach fünf Jahren kam er dann zum ersten Mal nach Hause und hat die Ehe mit seiner ihm unbekannten Frau ‹vollzogen›. Wie unbeholfen er dabei war, wurde ihr erst später klar, als ihre als Prostituierte arbeitende Tante sie wegen des ausbleibenden Kinder-Segens, an dem sie keine Schuld traf, einem Mann zugeführt hat, der dann auch prompt zwei Kinder mit ihr gezeugt hatte. Und was Lust bedeutet wird ihr sogar erst jetzt, Jahre später klar, als ein blutjunger, durchs Dorf streunender Kämpfer in dem Glauben, sie sein eine Hure, mehrmals mit ihr Sex hat.

In einem bühnenreifen, kammerspielartigen Szenario erzählt der Autor von einem islamischen Ehe-Alptraum, von dem die Frau sich nach afghanischer Mythologie durch den magischen «Stein der Geduld» zu befreien sucht. Die drehbuchartig kurzen Szene-Beschreibungen und anfangs sehr kurzen Sätze, die die Frau an ihren im Koma liegenden Mann richtet, entwickeln zunehmend eine beklemmende Dramatik. Was sie dem Bewusstlosen erzählt, könnte sie ihm sonst niemals sagen, es wäre ihr sicherer Tod, aber gerade darin liegt ja wohl auch der Reiz für ihre Geständnisse. Wie der magische «Stein der Geduld» muss er jetzt aber alles ertragen oder er wird platzen, wenn es nämlich zuviel wird für Gott, der sich in Wahrheit in dem Stein verbirgt.

Die Frau erzählt, zunächst sehr zögerlich, dann aber immer selbstbewusster werdend, in Rückblenden von ihrem schweren Leben unter der Fuchtel der Schwiegermutter, oder vom gewalttätigen Vater, der mit der Zucht von Kampf-Wachteln Geld zu verdienen sucht. Schließlich fügt sie sogar scheherazadeartig eine märchenhafte Königs-Geschichte ein, in der es um ein an Ödipus gemahnendes Dilemma geht. Immer beteiligt sind bei alldem ihr Koran mit der noch aus dem Paradies stammenden Vogelfeder als Lesezeichen, ferner ihre geduldig mit den 99 Namen Allahs herunter gebetete schwarze Kette. In der poetischen Prosa von Atiq Rahimi bilden Ameisen, eine Fliege und eine Spinne das Personal für raffiniert eingeschleuste Szenen von signifikant Insignifikantem, mit dem das Geschilderte eine erstaunlich authentische Note bekommt. Der Befreiungsakt der nicht mehr so ganz geduldigen Frau endet hochdramatisch mit dem Zerspringen des titelgebenden Steins.

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Ullstein

Drei starke Frauen

Fanal der Selbstbehauptung

Die erfolgreiche französische Schriftstellerin Marie NDiaye hat mit «Drei starke Frauen» ganz offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen, das als Roman deklarierte Buch wurde 2009 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. In Frankreich war es, trotz seiner eher deprimierenden, feministischen Thematik, ein auch politisch aufgeladener Bestseller. Gemeinsam ist den Frauen in den nur sehr lose verbundenen drei Erzählungen ihre unbeirrbare Würde, mit der sie scheinbar stoisch ihr Schicksal ertragen. Keine Wohlfühl-Lektüre also, aber als feministischer Weckruf ein wichtiger Beitrag zur nach wie vor nicht realisierten Emanzipation des vorgeblich schwachen Geschlechts.

Im ersten Teil besucht die vierzigjährige Anwältin Norah widerstrebend ihren herrischen Vater in Dakar. Der Patriarch hat sie eilends herbeigerufen, damit sie seinen über alles geliebten Sohn aus dem Gefängnis hole, er habe nach seiner desaströsen Firmenpleite kein Geld mehr für einen Verteidiger. Norahs Bruder soll seine Stiefmutter erwürgt haben, mit der er eine Liebesaffäre hatte. Im Mittelteil geht es um Fanta, die mit Rudy, ihrem französischen Mann, von Dakar nach Frankreich in die Provinz gezogen ist, sie langweilt sich dort und scheint aus ihrer kaputten Ehe ausbrechen zu wollen. Im letzten, äußerst dramatischen Teil versucht die 25jährige Khady, deren Mann plötzlich verstorben ist und die nun bei den Schwiegereltern wie eine Sklavin gehalten wird, illegal nach Frankreich einzuwandern.

Den drei ganz unterschiedlichen Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, stehen drei gewalttätige, völlig gefühllose Männer gegenüber, die sich letztendlich dann eher doch als ziemlich schwach erweisen. Die Anwältin Norah muss zuhause einen ebenso liebenswürdigen wie parasitären Partner mit durchfüttern. Ihr einst erfolgreicher Vater und auch ihr nichtsnutziger, vom Vater verhätschelter Bruder widern sie an, sie würde am liebsten sofort wieder zurückreisen. Der Total-Versager Rudy, aus dessen Perspektive anschließend erzählt wird, ist ein aus dem Schuldienst entlassener Lehrer, der nun als Küchenverkäufer schon wieder einer Kündigung entgegensieht. Er versinkt in einen alles vernichtenden Exzess aus Selbstmitleid, in den auch mystische Symbolik hineinspielt. Seine völlig desillusionierte Frau Fanta, die vor den Scherben ihrer Ehe steht, erträgt all das mit einer trügerischen Gelassenheit. Und auch in der Flucht-Geschichte fällt einem jungen Mann eine eher schäbige Rolle zu. Er steht Khady zwar bei der Flucht hilfreich zur Seite, stiehlt ihr letztendlich aber dann doch all ihr durch Prostitution für die Flucht aufgespartes Geld. Sie bleibt in ihrem Elend zurück, während er sich rücksichtslos allein nach Frankreich durchschlägt.

Marie NDiaye erzählt ihre drei archaisch anmutenden Geschichten in einem nicht gerade angenehm lesbaren, hypotaktischen Stil, wobei sie das Geschehen allerdings sehr bildhaft zu schildern versteht. Sie taucht dabei tief in die Psyche ihrer Figuren ein und legt eindrucksvoll die komplizierten Macht-Strukturen im Verhältnis der Geschlechter ebenso bloß wie auch die verzwickten Familien-Verhältnisse. Einen nicht unwesentlichen Anteil am Narrativ haben Dämonen und Engel, die wie selbstverständlich in das Geschehen eingebaut sind. So steigt beispielsweise Norahs despotischer Vater allabendlich in den Flammenbaum, wozu auch immer. Oder der Versagertyp Rudy wird mehrfach von einem Bussard angegriffen und einmal sogar verletzt. Und in Visionen aus der Kindheit sitzen dann auch schon mal Dämonen auf jemandes Bauch, was mutmaßlich als pädophile Anspielung zu deuten ist. Die Autorin hat ihr Buch, das eher als Erzählband denn als Roman zu bezeichnen ist, ihr «hellstes» genannt, was angesichts seiner düsteren Thematik doch sehr verwundern muss. Aber auch wenn zuweilen langatmig erzählt wird, ist dieses Fanal der Selbstbehauptung als Lektüre durchaus lohnend und mit seiner Flüchtlings-Problematik nach wie vor sogar hochaktuell.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Berlin

Fürst Lahovary. Mein abenteuerliches Leben als Hochstapler

Thomas Mann erkannte im Kriminellen vielfach Künstlerisch-Eigenstes wieder. Sein Werk »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull« fußt auf den Memoiren von Georges Manolescu, der als »Fürst Lahovary« ein ebenso abwechslungsreiches wie abenteuerliches Leben als Hochstapler führte. Diese Memoiren aus dem Jahr 1905 liegen jetzt wieder vor. Weiterlesen


Genre: Biographien, Briefe, Memoiren
Illustrated by Manesse Verlag München

Ob wir wollen oder nicht

Alles eine Frage der Sprache

Karl-Heinz Ott hat für seinen dritten Roman «Ob wir wollen oder nicht» eine stilistisch eigenständige Form gefunden, die er im Interview als « Gedankenmusik» bezeichnet hat. Er benutzt sie, um mit Hilfe von Rhythmus und Wortklang die Seelenzustände seines Protagonisten wahrnehmbar zu machen, sie regelrecht anklingen zu lassen. In einem geradezu manisch wirkenden, inneren Monolog offenbart sein Protagonist letztendlich die Leere seiner Seele. Der am Leben Gescheiterte hat sich selbst in eine Misere hinein manövriert, in der die Frage nach Schuld ebenso im Dunkeln bleibt wie das Geschehen im Ungewissen.

Was zunächst wie ein Krimi in der Untersuchungshaft beginnt, erweist sich beim Lesen sehr schnell als ein nur rudimentäres Handlungsgerüst, der Leser erfährt bis zum Ende nicht, was da genau passiert ist. Häppchenweise lässt der etwa fünfzigjährige Ich-Erzähler immer wieder mal beiläufig ein neues Detail in seinen Monolog einfließen, während er in der Zelle auf seine Vernehmung durch den Untersuchungs-Richter wartet. Als ehemaliger Tankstellen-Pächter hatte Richard T. seine Geschäfts-Grundlage in einem Dorf im Südschwarzwald verloren, denn nach dem Bau einer Talbrücke fließt der Verkehr jetzt nicht mehr durch den Ort. Er war lange mit Lisa, der Wirtin des örtlichen Gasthofes liiert, deren Mann sie verlassen hat, nachdem das Dorf in eine Art Dornröschen-Schlaf gefallen war. Richards bester und auch einziger Freund, der ehemalige Dorfpfarrer Johannes, wurde vor sieben Jahren wegen Pädophilie angeklagt. Er wurde zwar freigesprochen, hat den Dienst damals aber quittiert und sich in ein ehemaliges Bahnwärter-Häuschen zurückgezogen. Dort beschäftigt er sich als Privatgelehrter mit vergleichenden Bibelstudien und hört sich immer wieder Haydns Oratorium «Die Schöpfung» an. Seit einiger Zeit hat er ein Verhältnis mit Lisa, die sich allmählich von Richard gelöst hat, ohne dass die Beiden je offen darüber gesprochen hätten. Für Richard war weder die Liaison mit Lisa noch die Freundschaft mit Johannes seelisch wirklich tief gründend. Der notorische Eigenbrödler und ehemalige 68er mit abgebrochenem Studium schlägt sich mit fragwürdigen Geschäften durchs Leben, aber auch das wird wie vieles nur sehr vage angedeutet.

Kann er schuldig sein, wenn er doch gar nichts getan hat? Das an Kafka gemahnende, nebulöse Geschehen wird in einem an Thomas Bernhard erinnernden Stil erzählt, nur dass hier der innere Monolog nicht als Hasstirade nach außen gerichtet ist, sondern als Selbstreflexion nach innen. Der überwiegend monologisch geprägte Roman wird nur im Mittelteil durch einen köstlichen Dialog des Häftlings mit dem jungen Richter unterbrochen. Die schon fast slapstickartige Befragung führt schließlich zu seiner sofortigen Entlassung. War der Ich-Erzähler einst aufgebrochen, die Welt zu verändern, steht er nun nicht nur materiell vor den Trümmern seiner Existenz, Lisa und Johannes haben sich aus dem Staub gemacht, er ist auch seelisch ganz allein.

Richard T. lebt absichtslos vor sich hin und sinniert nur pausenlos über das eigene Versagen und den Sinn seines Lebens. «Venceremos» hatte einer seiner Vorgänger in der Gefängnis-Zelle in die Wand geritzt, ‹wir werden siegen›, und zehn Ausrufezeichen dahinter gesetzt. Richard kennt das spanische Verb noch als Aufkleber aus seiner ehemaligen WG-Küche, von Sieg aber kann bei ihm nun wirklich keine Rede sein. Diese nur knapp vier Tage umfassende Geschichte wird in bandwurmartig langen, kunstvoll miteinander verketteten Sätzen erzählt, womit scheinbar die Verschrobenheit des Protagonisten verdeutlicht werden soll. «Alles ist eine Frage der Sprache», hatte Johannes ganz im Sinne von Wittgenstein behauptet, das wäre auch bei seiner Gerichtsverhandlung damals so gewesen. Und so dominiert denn auch in diesem Roman über einen Sonderling in einer Ausnahme-Situation die Sprache über das mysteriöse Geschehen, das sich dann erst im Kopf des Lesers zu einem Ganzen formen muss.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by dtv München

Kimi ni Nare – Finde dich selbst

 

https://www.carlsen.de/sites/default/files/produkt/cover/kimi-ni-nare---finde-dich-selbst_0.jpgFinde dich selbst

Oberschüler Taiyo spielt mehr schlecht als recht Gitarre – diese aber mit Leib und Seele. Als sich der Musikclub der Schule aufzulösen droht, will er seinen verschlossenen Klassenkameraden Hikari mit ins Boot holen. Hikari wurde früher eine große Karriere als Pianist bescheinigt, da er als Wunderkind galt. Aber aus einem Grund, den er niemanden wissen lassen will, hat er plötzlich mit dem Klavierspielen aufgehört. Auch für Taiyo will er keine Ausnahme machen. Dieser aber bleibt hartnäckig. Deshalb konfrontiert Hikari Tayio schließlich mit seiner Vergangenheit.

 

“Und egal wie schmerzhaft, qualvoll und frustrierend es auch sein mag … eines Tages kannst du zu deinem wahren Selbst werden.” (Taiyo)

Der Einzelband behandelt das Thema der Selbstfindung in der Phase der Pubertät. Er geht auch auf die seelischen Verletzungen ein, die die Jugendlichen bis zu diesem Zeitpunkt erlitten haben. Wie so viele will Taiyo seine seelischen Verletzungen, die schon traumatische Ausmaße erreichen, unter einer fröhlichen Fassade und unter dem Slogan “Schau nach vorne!” verstecken und verdrängen. Aber durch Ausweichen heilt man keine Traumata, man muss sich ihnen stellen. Das geschieht (wenn auch nicht unbedingt in sensibler Form) durch seinen Klassenkameraden Hikari. Er konfrontiert Taiyo mit seiner Vergangenheit. Durch diese Konfrontation kommt ein Denkprozess in Gang, in dem sich Taiyo immer mehr darüber klar wird, was er wirklich will. Der Manga gehört also, obwohl kein Roman, in die Kategorie des Entwicklungsromans. Taiyo macht sich (wenn auch nicht örtlich wie bei solchen) auf den Weg, und zwar auf den Weg in sein Inneres. Dieser Weg ist hart, schmerz-und leidvoll, gibt ihm aber letztlich den Mut, zu sich selbst zu finden und zu stehen.

Auch Hikari wird, wenn auch eher indirekt, durch Taiyo dazu gebracht, sich seiner Vergangenheit zu stellen, die ebenso schmerzhaft ist. Er bewundert Taiyos Eifer, Durchhaltevermögen und dessen Mut auch unangenehme Situationen bewusst in Kauf zu nehmen, um Menschen mit dem, was er tut, zu berühren. Die beiden sind sich gegenseitig Vorbilder und beide trauen sich – was Männer im Allgemeinen nicht gerne tun – in die Tiefen ihrer Seele abzutauchen, sich den Ungeheuern, die dort lauern, zu stellen und die Schatzkiste, die ebenfalls dort unten versteckt ist, zu heben. Damit sind sie Vorbilder! Dabei wird aber auch immer wieder deutlich, dass beide keineswegs vollkommen, sondern ganz normale Menschen sind, die gerne mal wegen mancher ihrer Eigenschaften bei anderen anecken.

Durch den Mut, seine Psyche zu ergründen, kommt es u.a. für Taiyo zu solchen Augenblicken der Erkenntnis wie diesen: “Es wäre schön, wenn traurige Dinge einfach aus der Welt verschwinden würden. Aber ohne traurige Momente würde man die schönen Augenblicke vielleicht gar nicht bemerken.” Wäre Taiyo in seinem oben beschriebenen Fluchtschema erstarrt, käme keine positive Entwicklung in Gang.

 

Fazit

Der Manga behandelt Selbstfindungsprozesse, die (wie im wahren Leben) schmerzhaft, aber letztlich lohnend sind. Beide männlichen Hauptfiguren stellen sich – im wahren Leben gerade von Männern gern verdrängt – ihren psychischen Verletzungen und lernen sich dadurch besser selbst kennen und annehmen, sodass eine positivere Zukunft möglich wird. Der Manga verarbeitet also tiefenpsychologische und philosophische Themen, die ihn trotz der Kürze tiefgründig machen.

Das ist die Stärke so manch einen guten Comics oder Mangas wie diesem, dass sie tiefgründige Themen angehen und verständlich an die Leser*innen bringen können. Das ist definitiv eine Kunst, die aber leider kaum gewürdigt wird. So mancher Roman wird bei ähnlichen Themen (und unnötig komplizierter Schreibweise) in den Himmel gelobt, obwohl er keinesfalls besser als ein dergestaltiger Comic oder Manga ist. Aber Qualität ist überall zu finden, wenn man sich nur darauf einlassen will. Auch – und vielleicht sogar v.a. – in der oftmals verachteten und belächelten “neuten Kunst” (die nicht umsonst so heißt).


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Die französische Kunst des Krieges

Illusionistische Multikulti-Euphorie

Als ‹Sonntagsschreiber›, wie er sich selbst bezeichnet hat, ist dem französischen Schriftsteller Alexis Jenni nach mehreren erfolglosen Versuchen mit seinem 2011 veröffentlichten Romandebüt «Die französische Kunst des Krieges» ein Bestseller gelungen. Das imposante Epos gewann den Prix Goncourt und wurde wegen seiner Täterperspektive mit »Die Wohlgesinnten» von Littel verglichen. Ein Vergleich, den Jenni vehement abgelehnt hat, weil sein Kollege eher eine Doku-Fiktion geschrieben habe, während bei ihm eindeutig das Romanhafte im Vordergrund stehe.

Der namenlose Ich-Erzähler ist ein im bürgerlichen Leben gescheiterter, junger Mann. Den Beginn des Golfkriegs 1991 erlebt er unbeteiligt am Bildschirm mit, der so weit entfernte Krieg bedeutet ihm rein gar nichts. Bis er in einem Bistro auf Victor Saragon trifft, einen alten Haudegen, dessen Leben zwei Jahrzehnte lang von Kriegen geprägt war, die Frankreich alle verloren hat. Seine Karriere begann einst bei den ‹Chantiers de Jeunesse›, einer die Résistance unterstützenden, paramilitärischen Jugend-Organisation. Anschließend hatte er im Indochina-Krieg gekämpft und danach im Algerien-Krieg, der dann 1962 mit der Unabhängigkeit des Landes endete, beides schmutzige, asymmetrische Kolonial-Kriege. Seine Eindrücke aus dieser Zeit hat Saragon, der ein begnadeter Zeichner ist, einst in unzähligen Bildern festgehalten. Die Beiden vereinbaren, dass Saragon dem faszinierten jungen Mann das Zeichnen beibringt, im Gegenzug würde jener die abenteuerlichen Geschichten seiner Kriegseinsätze aufschreiben, von denen ihm der alte Kämpe berichtet.

In dreizehn Kapiteln erzählt Alexis Jenni im ständigen Wechsel einerseits aus der Perspektive des Ich-Erzählers, als ‹Kommentare› betitelt, von dessen bewegtem Leben in Lyon, als auktorialer Erzähler andererseits unter den ebenfalls durchnummerierten Überschriften ‹Roman› die Geschichte des Kriegs-Veteranen. Dabei rührt er als Nest-Beschmutzer gleich an mehreren Tabus der französischen Gesellschaft. Im Interview hat er dazu angemerkt, er wolle Frankreich verstehen: «Was heißt es heute, Franzose zu sein? Gibt es eine französische Nationalität, eine französische Besonderheit?». Und daraus leitet er auch die Frage nach den sozialen Unruhen in den Banlieues ab, nach Problemen mit den Arabern, und stellt die Hypothese auf: «Unsere heutigen Probleme haben ihre Wurzeln in der Zeit der Kolonial-Kriege».

Die gelungenste Episode des Romans, mit der eindrucksvoll die verlogene Verdrängung des Tötens verdeutlich wird, ist der Umgang der modernen Gesellschaft mit Fleisch. Bei Einkauf für ein Abendessen mit Freunden kommt dem Ich-Erzähler angesichts akkurat zubereiteter und klinisch verpackter, dem Schlachttier nicht mehr zuzuordnender Fleischstücke die Idee, statt dem geplanten Bœuf bourguignon bei chinesischen und arabischen Händlern auf dem Markt das dort feilgebotene Fleisch zu kaufen. Mit Kaldaunen, drei ganzen Hammelköpfen, jede Menge Hahnenkämmen und drei Metern Blutwurst am Stück vertreibt er als Koch dann abends nicht nur die entsetzten Freunde für immer, sondern verliert auch seine Frau, – ein Clash of Civilisations der besonderen Art. Im anderen Handlungsstrang gesteht der Kriegsveteran seinem Chronisten: «Wir haben uns alle wie Schlachter aufgeführt», eine zutiefst verstörende Wahrheit für die an schamhaftes Verdrängen gewöhnte ‹Grand Nation›. Auch der eher verharmlosende Satz des Heraklit vom «Krieg als Vater aller Dinge» erweist sich damit als haltlose Schönfärberei eines barbarischen Handwerks, heute in Zeiten asymmetrischer Kriege mehr denn je. Insoweit ist dieses Epos nicht nur ein Fanal gegen den überall weitverbreiteten Rassismus, es entlarvt auch die naive Multikulti-Euphorie als grandios an der Realität scheiternde Illusion, aller Vernunft zum Trotz! Diese angenehm lesbare Diagnose nationaler Befindlichkeit dürfte für manche Leser deutlich zu lang geraten sein, aufschlussreich ist sie allemal!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Luchterhand

My Genderless Boyfriend 1

Weiblich? Divers? Männlich?

Meguru ist ein typischer Influencer – sollte man meinen. Tatsächlich interessiert er sich für Dinge, die man klischeemäßig eher dem weiblichen Geschlecht zurordnet: Schminken, süß aussehende Sachen und schicke, farbenfrohe Kleidung. Und das alles teilt er täglich mit seinen vielen Followern. Die finden ihn toll und nehmen ihn sich zum Vorbild. Und sie wissen, dass er (ebenfalls entgegen aller Klischees) nicht schwul ist. Allerdings wissen sie nicht, dass Meguru schon seit langem mit seiner großen Liebe, der Manga-Redakteurin Wako, zusammen ist. Sie befürchtet, dass das seinem Immage schaden könnte. Da Wako ihn schon seit Schulzeiten managt, hält sie sich bei seinen Instagramm-Auftritten im Hintergrund. Wako selbst hält in der Öffentlichkeit ebenfalls geheim, dass sie einen Freund hat. Als eine neue Kollegin zufällig sie und Meguru zusammen sieht, zieht diese die falschen Schlüsse: Megurus weibliches Aussehen und Wakos Körpergröße verleiten sie zu der Annahme, dass Wako lesbisch ist.

 

“Ein stylischer Fellgood-Manga, der sich über alle Geschlechterklischees hinwegsetzt!” (Verlag)

Der erste Band macht sich einen Spaß daraus, die Rollenerwartungen an Frau und Mann komplett über den Haufen zu werfen und (fast diabolisch) durcheinanderzuwirbeln. Und das ist auch gut so! Es fängt an mit einen kleinen Mann, der sich für gutes Aussehen und Schminken interessiert und dabei nicht schwul ist, geht weiter mit seiner Freundin, die das genaue Gegenteil von ihm ist (groß, Aussehen egal) über Megurus Freund Kira, der ein gefragtes androgynes Model ist und sich darüber beklagt, dass wegen seiner Art niemand mit ihm befreundet sein will, bis hin zu einem Umfeld, das generell neugierig auf Neues ist und somit mehr oder weniger vorurteilsfrei. Aber auch mit diesem Umfeld wird gespielt, wenn Meguru ganz selbstverständlich als Frau und damit als Freundin von Wako gehalten wird und Wako somit als lebsisch gilt, auch wenn beide (ganz konventionell) stramm hetero sind.

Das ist genug Spielwiese, um für viel Situationskomik zu sorgen und so auf humorvolle Art und Weise den Blick zu weiten für Diversität, die auch auf ihre eigene Art manchmal ganz konventionell ist. Die Natur legt es generell nicht auf Gleichmacherei an, sondern eher auf Diversität – Möglichkeiten, die ausgeschöpft werden können oder auch nicht. Wie sonst lässt sich die Artenvielfalt auf der Erde und Homosexualität im Tierreich erklären?

Süß an dieser Manga-Reihe sind nicht nur die Figuren, das Styling und die Extras, sondern auch die Gefühle der Hauptfiguren, wenn z.B. Mako völlig fertig sagt, sie müsse kurz nach Luft schnappen, weil an Megurus androgynem Freund einfach alles phantastisch aussieht.

Aber es werden auch ernste Themen angesprochen. Kira leidet darunter, außer Meguru keine Freunde zu haben, weil auch die Leute in der Modewelt ihn sofort für arrogant halten, obwohl er das gar nicht sein und niemanden verletzen will.

Fazit

Insgesamt gesehen ist es es tatsächlich vordergründig ein Romance-Feelgood-Manga wegen seines Humors und der stylischen Elemente. Im Hintergrund aber schwingen Themen wie eine stabile Liebesbeziehung, Freundschaften mit Menschen, die anders sind, hartes Arbeitsleben und das Leben in einer immer mehr technisierten und gläsernen Welt mit.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen / Hayabusa

Ghostly Things 1

Übersinnliche Wahrnehmung

Oberschülerin Yachiho Takahara musste aufgrund ihres ständig abwesenden Vaters schon früh selbstständig werden. Wieder auf Forschungsreise hat dieser vorher für sich und seine Tochter ein Haus gekauft, das in der Umgebung als Geisterhaus verschrien ist. Yachiho merkt auch schon bald warum: In ihm wimmelt es von Natur- und anderen Geistern. Um sich in der Anderswelt besser zurecht zu finden und um ihre verschollene Mutter zu finden, stimmt sie zu, die Gehilfin des Grenzgeistes Moro zu werden. Außerdem sucht sie in dem Haus, das vorher einem Mann gehört hat, der ebenfalls Geister sehen konnte und zu ihnen geforscht hatte, nach der “Schrift des Totenreiches”. Denn auch diese Schrift könnte Hinweise zum Verbleib ihrer Mutter geben.

Mensch, Natur und Technik

Wie in Irland, aber auch in Deutschland, sind Geister und Naturwesen wesentlicher Bestandteil von Sagen und Mythen. So auch in Japan, das einen reichen Mythenschatz zu besitzen scheint. Und dieser wird auch gern für Mangas und Animes angezapft und verarbeitet. Man denke nur z.B. an Studio Ghiblis Animes “Prinzessin Mononoke” oder “Pompoko”, in denen es vorwiegend um den Streit zwischen den (technisierten) Menschen und der Natur geht. Auch dieser wird in dem vorliegenden Manga in Form des Herrn Kamo angesprochen. Er vertritt im Gegensatz zu Yachiho die Auffassung, dass man mit Naturgeistern nicht einträchtig zusammenleben kann. Er hält sie für gefährlich und v.a. will er deren Fähigkeiten kontrollieren und für die Technik zunutze machen. Seine Einstellung gegenüber Natur(geistern) ist feindselig, die von Yashiho offen und freundlich, obwohl sie sich auch fürchtet.

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Geschlechterverteilung. Die naturfreundliche Einstellung wird von der Frau vertreten, die naturfeindliche vom Mann. Bezieht man das auf die Literatur über Matriarchat und Patriarchat, so scheinen erstere mit der Natur und zweitere gegen die Natur zu leben. V.a. das Patriarchat hat eine Neigung dazu, die Natur unterordnen und beherrschen zu wollen, sich über die Natur zu erheben und sich von ihr unabhängig machen zu wollen – koste es, was es wolle. Im Manga wird das durch folgenden Dialog zwischen Herrn Kamo und Yashiho deutlich: “Du verstehst da offenbar etwas falsch! Naturgeister besitzen Kräfte, die den Menschenverstand übersteigen. Das sind keine Wesen, mit denen man einträchtig zusammenleben kann. Doch wenn man ihre Kräfte auf diese Weise kontrolliert, dann werden sie zu Werkzeugen, die mit großartigen Technologien ausgestattet sind.” (Kamo) “Naturgeister sind vielleicht furchteinflößend, aber das heißt doch nicht, dass man mit ihnen nicht auskommen kann. Bitte lassen Sie die beiden frei!” (Yashiho)

Yashiho ist hier vorbildhaft. Sie steht für das Gewissen, für die Verbundenheit mit der Natur, und sie stellt sich gegen eine Herrschermentalität, die keinen Raum für ein friedliches Miteinander lässt und deswegen Schaden in allen Bereichen anrichtet. Auch das wird im Manga weiter ausgeführt: Sehr behutsam lässt der Baumgeistlehrer sich seine kleinen Baumgeisterschützlinge in ihrem eigenen Tempo entwickeln und leitet sie an, anstatt sie mit Wissen vollzustopfen (man denke z.B. an die Montessouri-Pädagogik oder die des offenen Konzepts in Kitas) und schiebt deshalb seinen Tod auf, während Herr Kamo den Baumgeist, der sich vordergründig am langsamsten entwickelt, hintergründig aber eine Tiefe beweist, die den anderen noch fehlt, vorsätzlich mit seinem Schuh zertritt.

Da schwingt Kritik mit, wie der (patriarchale) Mensch mit der Natur umgeht, die die Heimat und nährende Mutter für alle Lebewesen ist – auch für den Menschen. Das lateinische “mater” für “Mutter” steckt wie auch “materies” für u.a. “Holz” in dem Begriff “Materie”…

Offen sein für Dinge, die die Wissenschaft (noch) nicht nachweisen kann

Ein weiteres Thema ist das des Mediums, das in der Lage ist, eine Welt wahrzunehmen, die für die meisten anderen verschlossen ist. Da kommen einen fernsehaffine Medien wie Ira Wolff, Theresa Caputo, Tyler (Hollywood-Medium) oder Thomas John in den Sinn – wobei man hier kritisch anmerken könnte, dass diese ihre Gabe (sofern tatsächlich vorhanden) hochpreisig verkaufen. Ich würde behaupten, dass bei Medien, die tatsächlich mit ihrer Umwelt verbunden sind, auch die Preise für jederfrau/-man erschwinglich sind.

Eine grundsätzliche Offenheit für ein Mehr als die Wissenschaft bisher bestätigen kann, ist aber wohl von Vorteil. Denn die Technik scheint bzgl. aller (Natur-)Phänomene hinterherzuhinken. Allerdings muss man sich hier (wie sonst auch) vor Scharlatanen hüten.

Der Manga greift das Thema Medium auf, aber auch die Angst solcher medial begabter Menschen vor einer Welt, die sie aus o.g. Gründen nicht zu verstehen gelernt haben. Auch Yashiho hat Angst, aber sie stellt sich ihrer Angst und ist bereit dazuzulernen.

Der spannende Manga ist der 1. Band einer Reihe, die von den gut auf den Inhalt abgestimmten Zeichnungen mehr verspricht.

Fazit

Die Themen der medialen Begabung und des Konflikts “(patriarchaler) Mensch versus Natur” werden im ersten Band der Reihe stimmig und spannend umgesetzt.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Die Tagesordnung

Desavouierendes Hohngelächter

Der französische Schriftsteller Éric Vuillard hat mit der Erzählung «Die Tagesordnung» den erzwungenen Anschluss Österreichs thematisiert, wobei er, wie schon in anderen seiner Werke, auch hier ein geschichtliches Ereignis und seine Folgen in extrem verknappter Form neu erzählt. Insoweit kann er als legitimer Nachfolger von Stefan Zweig angesehen werden, der dieses Genre mit seiner Sammlung «Sternstunden der Menschheit» äußerst erfolgreich kreiert hat. Im Unterschied zu ihm jedoch benutzt Vuillard nicht die strenge, auf ein ‹unerhörtes Ereignis› gerichtete Novellenform, er fächert seinen Stoff vielmehr deutlich weiter auf. Hier beginnend mit einem geheimen Treffen der deutschen Großindustriellen bei Göring am 20. Februar 1933 und endend bei der läppischen Entschädigungs-Zahlung Alfried Krupps an die Zwangsarbeiter 1958.

In den 16 Kapiteln der Erzählung entwickelt der Autor seine Version der historischen Ereignisse, indem er sie, fiktional ergänzt, aus einer ironischen Distanz schildert. Sein Schwerpunkt ist dabei die emotionale Ebene, die den oft lächerlich profanen Hintergrund bildet. «Die Literatur erlaubt alles», sagt Vuillard und macht sich in diesem Sinne, mit deutlich erkennbarer Wonne, gleich am Anfang über den Geldadel lustig. Vierundzwanzig Herren steigen im Treppenhaus eines pompösen Palais nach oben zu den Nazigrößen, die sie herbeigerufen haben und sie auch gleich abkassieren werden für den bevorstehenden Wahlkampf. «Demnach könnte ich sie endlos über die Penrose-Treppe schicken» macht der Autor sich über sie lustig, Geben und Nehmen liege ja dicht beieinander in Politik und Geldadel. Ähnlich spöttisch berichtet er auch über einen Besuch von Lord Halifax, entschiedener Verfechter der britischen Impeasement-Politik, bei Göring in der Schorfheide. Auch das demütigende Treffen Schuschniggs mit dem Führer auf dem Berghof wird in mehreren Kapiteln geschildert als Vorstufe zur längst beschlossenen Annektierung Österreichs. Ribbentropps Abschiedsbesuch in Downing Street ist eine ebenso amüsante Episode wie das mit ‹Blitzkrieg› überschriebene Kapitel des deutschen Einmarsches, der dann im blamablen ‹Panzerstau› am 12. März 1938 steckenblieb. Vor die Proklamation des Führers vom Balkon der Wiener Hofburg fügt der Autor noch ein Kapitel ein, in dem er das Theatralische der ‹großen Politik› durch ein riesiges Requisiten-Lager in Hollywood demonstriert, wo zeitgleich mit den Ereignissen bereits sämtliche Nazikostüme für Spielfilme verfügbar waren, Chaplin lässt grüßen! In den letzten beiden Kapiteln thematisiert er das Grauen, indem er von gleich vier Selbstmorden am Tag der Annexion berichtet. Am Ende schließlich holen den senilen Gustav Krupp die toten Zwangsarbeiter ein, die ihn in der Villa Hügel aus dem Dunkeln anklagend anstarren.

Diese 2017 mit dem Prix Goncourt prämierte Erzählung zeichnet sich durch eine irritierende Leichtigkeit aus, in der da ganz unbefangen über das mit Abstand Düsterste in der Menschheits-Geschichte berichtet wird. Sie erinnert damit entfernt auch an «Die Wohlgesinnten» von Jonathan Littel, ein aus der Täter-Perspektive erzählter französischer Holocaust-Roman, der, wen wundert’s, überaus kontrovers diskutiert wurde. Muss man nichtdeutscher Autor sein, um so unbeschwert und beiläufig über die Nazis erzählen zu können?

Wer bei Vuillard sauertöpfisch nach historischer Seriosität fragt, hat dessen Hintertreppen-Methode nicht verstanden. Es sei ihm um das Profane hinter den großen Ereignissen gegangen, um die grotesken Witzfiguren, die als historische Akteure so oft großspurig am Werke seien. Denn vieles erweist sich ja im Nachhinein tatsächlich als reine Farce, und genau das wiederholt sich auch noch ständig bis in die Gegenwart hinein, man denke nur an das Erstarken der Populisten in Europa. Insoweit ist es durchaus legitim, fragwürdige Politiker genüsslich zu desavouieren, sie also sarkastisch mit Hohn zu überschütten zur unverhohlenen Freude des Lesers.

Fazit: lesenswert

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Genre: Erzählung
Illustrated by Matthes & Seitz

Weine nicht

Holzschnittartige Erzählweise

Der Roman «Weine nicht» der französischen Schriftstellerin Lydie Salvayre hat den Spanischen Bürgerkrieg zum Thema. Als Tochter nach Frankreich geflüchteter Spanier erzählt sie in diesem 2014 mit dem Prix Goncourt prämierten Roman aus der anarchistischen Anfangsphase dieser brutalen Kämpfe im Sommer 1936, basierend auf den mündlichen Überlieferungen ihrer katalanischen Mutter. Eng verflochten in ihre Geschichte und häufig zitiert ist außerdem die von Georges Bernanos in seinem Buch «Die großen Friedhöfe unter dem Mond» sehr eindringlich geschilderte Verfolgung der Kommunisten auf Mallorca.

Die hochbetagte Mutter der Ich-Erzählerin berichtet im Jahre 2011 aus der einzigen Phase ihres langen Lebens, an die sie sich noch lebhaft erinnern kann. Als 15jähriges Mädchen hat Montserrat, genannt Montse, in einem hinterwäldlerischen katalanischen Dorf erlebt, wie plötzlich die Unruhen des beginnenden Bürgerkriegs auch dessen Bewohner erfasst haben. Ihr älterer Bruder José, der sich begeistert den Anarchisten anschließt, nimmt sie mit nach Barcelona, wo sich die verschiedensten politischen Kräfte versammeln und erste Milizen gebildet werden, um in den Krieg zu ziehen. Das einfältige Bauernmädchen ist überwältigt von der freiheitlichen, mondänen Welt, die sie in der großen Stadt wie ein Wunder ungläubig bestaunt, sie erlebt die intensivste Zeit ihres ganzen Lebens. Und sie lernt einen jungen Mann kennen, mit dem sie wie im Rausch die Nacht verbringt, bevor er am nächsten Morgen als Kriegsfreiwilliger zur Front abrückt, sie weiß nicht mal seinen Namen. José aber erkennt schon bald ernüchtert die Widersprüche und Unwahrheiten seiner Kampfgefährten und beschließt, nicht in den Krieg zu ziehen, sondern mit seiner Schwester in sein Dorf zurückzukehren. Montse jedoch ist schwanger, aber die Mutter verkuppelt sie flugs ausgerechnet mit Diego, der als Stalinist schärfster politischer Widersacher von José ist.

Durch die intensive Einbeziehung der Berichte von George Bernanos enthält dieser Roman eine scharfe antiklerikale Kritik, die unheilvolle Allianz der Franco-Anhänger mit dem Klerus verschlägt einem noch heute die Sprache. Man will es einfach nicht glauben, dass damals Kirchen-Vertreter die Opfer von Lynch-Aktionen der Falangisten vor dem Mord noch mit den Sterbe-Sakramenten versehen haben, um dann den in ihren Augen völlig gerechtfertigten Massakern im Namen Christi ungerührt beizuwohnen. Die Inquisition konnte kaum schlimmer gewesen sein. Erstaunlich ist, wie schnell das Aufbegehren der Kleinbauern gegen die scheinbar unverrückbaren Privilegien der Großgrund-Besitzer wieder abbricht. Man ist konservativ bis in die Knochen, auch was die prekäre eigene Rolle im sozialen Gefüge anbelangt. Eigentlich mag man ja gar keine Veränderungen, schon gar keine Revolution.

Dieser Roman wirkt formal ziemlich holzschnittartig mit seinen stark überzeichneten Figuren, derer bäuerlich einfältige Prägungen mit ihrer derben Ausdrucksweise zusammenpasst. Die wird dann immer wieder von den theologisch durchdrungenen Schriften eines Intellektuellen wie Georges Bernanos konterkariert. Die mündliche Rede schwankt permanent zwischen primitiver Grobheit und intellektuellem Feingefühl. Zusätzlich wechseln auch noch ständig die Erzähl-Perspektiven, was dann, nicht nur wegen der fehlenden Zeichensetzung, oft schwer durchschaubar wird. Da spricht einerseits ja die senile Mutter, also die mehr als neunzigjährige Montse, dann die ihr zuhörende und sie (in Klammern eingefügt) zuweilen korrigierende Tochter als Bericht-Erstatterin, und ferner auch noch der in langen, grafisch abgesetzten Zitaten ebenfalls mit einbezogene, katholizismus-kritische Schriftsteller mit seiner unverhohlenen Wut auf die bigotte Amtskirche. Störend sind zudem die vielen Einsprengsel in spanischer Sprache, die zwar im Glossar übersetzt werden, die aber den Lesefluss erheblich stören. Bleibt also als Benefit eine Geschichts-Stunde über den Spanischen Bürgerkrieg.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Blessing München