Surreale Parabel
Mit ihrem dritten Roman hat die irische Schriftstellerin Anna Burns 2018 den Durchbruch geschafft, das Buch erhielt den Booker Price. Die in Belfast geborene Autorin thematisiert darin den Nordirland-Konflikt in Form einer surrealen Parabel, in der eine junge Frau ihren Weg sucht in der schwierigen politisch-religiösen Gemenge-Lage. Während in Deutschland das Feuilleton den Roman überwiegend positiv beurteilt, sind hierzulande die Leser-Kritiken auffallend verhalten. Zu Recht?
«An dem Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.» Wer das Buch liest, ohne sich vorab über seine Thematik oder die Autorin informiert zu haben, wird nur den Kopf schütteln über das, was er da liest. Eine namenlose 18Jährige erzählt aus der Ich-Perspektive, oft in Form des inneren Monologs, wie sie von einem älteren Mann gestalkt wird. Der Stalker nähert sich der jungen Frau, die ältere und jüngere Schwestern hat und im Roman nur ‹Mittlere Schwester› genannt wird, ohne sie jedoch körperlich zu bedrängen. Sie hat seit einem Jahr eine eher zerbrechliche Beziehung mit ‹Vielleicht-Freund›, einem autobesessenen Messi. Der will unbedingt mit ihr zusammenziehen, sie aber ist sich ihrer Beziehung nicht sicher. Um den lästigen ‹Milchmann› zu vergraulen, der sich ständig beim täglichen Jogging an sie ranhängt, überredet sie den sportbesessenen ‹Schwager 3›, mit ihr zusammen zu trainieren. Das Versteckspiel der Autorin treibt seltsame Blüten, weder benennt sie den Ort ihrer Handlung noch die feindlichen Parteien, die sich hier unversöhnlich gegenüber stehen, es wird nur von Wir und Die gesprochen. ‹Wir› sind dabei die Staatsverweigerer, die als Paramilitärs den Stadtteil beherrschen, ‹Die› sind die ‹Feinde aus dem Land auf der anderen Seite der See›. Es geht um Nordirland, wird dem unvorbereiteten Leser irgendwann klar, ohne dass es explizit benannt wird, auch der Klappentext schweigt sich dazu aus. Damit soll mutmaßlich der bürgerkriegsartigen Situation eine exemplarische Bedeutung zugewiesen werden.
Aberwitzig in dieser kafkaesken Gesellschaft ist auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander, ‹Ich Mann, Du Frau› sind klar definierte Rollenbilder, denen zu folgen hat, wer sich viel Ärger ersparen will. Die Mutter von ‹Mittlere Schwester› redet deshalb auf sie ein, doch endlich zu heiraten, das sei schließlich ja der Lebenszweck einer jeden Frau, sie sei kein gutes Vorbild für ihre drei jüngeren Schwestern. Es gibt viele Tote in dieser Geschichte, ‹Älteste Freundin› gehört ebenso dazu wie ‹Tablettenmädchen›, auch ‹Chefkoch› muss sterben und am Ende dann ‹Milchmann›, der Terroristen-Anführer.
Die nur rudimentär vorhandene Handlung wird in einer seltsam codierten, monotonen Sprache mit häufig mäandernden Satzkonstruktionen erzählt. Deren Umschreibungen wirken ebenso verstörend wie die unbeholfenen Bezeichnungen der namenlosen Figuren, die hier als Namens-Ersatz dienen. Wie in dieser verfremdeten Schilderung die Verhältnisse im Nordirland-Konflikt geschildert werden, das erfordert beim Lesen schon einige Phantasie, zumal Zeit- und Lokalkolorit weitgehend fehlen. In einem proletarischen Milieu, das sich im permanenten Ausnahme-Zustand befindet und anscheinend auch unregierbar geworden ist, wird hier die Angst thematisiert, was doch ziemlich irreal wirkt in seiner Parabelartigkeit. Zur Paranoia zählt dann auch ein spektakuläres Massaker unter den Hunden des Stadtviertels, die in einer barbarischen Aktion restlos alle umgebracht werden, indem man ihnen den Hals durchschneidet. Durch ihr Gebell, heißt es, würden heimlich anschleichende Kämpfer zu früh entdeckt werden. Bei all der Symbolik und Geheimnistuerei wird die durch stilistisch ständig wiederholte, hölzern formulierte Phrasen allmählich nervende Geschichte vom Psycho-Terror dann auch noch zunehmend langweilig. Wofür eigentlich der Preis, fragt man sich!
Fazit: miserabel
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