Der goldene Handschuh

Strunck, HandschuhHamburger Berg Nr. 2. Goldener Handschuh. Eine Kneipe der untersten Art. In der schrundigen Spelunke trifft sich der Bodensatz des Abschaums. Ex-Knackis, Obdachlose, Spritter geben sich ein Stelldichein in dem Laden nahe der Reeperbahn. Rund um die Uhr ist geöffnet. Die Stammgäste tragen Namen wie Soldaten-Norbert, Fanta-Rolf und Samba-Eddy. Sie trinken nicht, sie saufen sich vom Delirium ins Tremens. Weiterlesen


Genre: Tatsachenroman
Illustrated by Rowohlt

Palast der Winde

kayeDatura heißt eine Pflanze, die vor allem im Süden Indiens wild wächst. Die weiße Blüte ähnelt der der Lilie; sie duftet süß und ist wunderschön. Die runden grünen Samen der Pflanze allerdings tragen den Namen »Todesäpfel«. Sie sind ungemein giftig und dienen seit Jahrhunderten als Mittel, unliebsame Zeitgenossen auszuschalten. Das tödliche Gift wird gewonnen, indem die Samen zu Pulver zerstampft und Speisen – vornehmlich Brot – beigemischt wird. Je nach verabreichter Menge stirbt der Vergiftete schnell oder langsam. Weiterlesen


Blutiges Afrika

afrikaHarry Kowalski ist ein ehemaliger Bundeswehr-Soldat, der in zahlreichen Afghanistan-Einsätzen zerschlissen wurde und mit 54 Lenzen bereits Frührentner ist. Posttraumatisches Belastungssyndrom, kurz PTBS, nennt sich seine Erkrankung. Er leidet darunter, zu einer bösartigen Waffe erzogen worden zu sein, zu einem Roboter aus Fleisch und Blut, programmiert zum Töten. Dabei war er ausschließlich des Geldes wegen Richtung Kabul gezogen, nicht, um den Helden zu spielen oder den Menschen in der Ödnis Demokratie bringen zu wollen; und das Leben am Hindukusch war besonders lukrativ, weil es als gefährlich galt. Weiterlesen


Genre: Romane
Illustrated by Kindle Edition

Cutter und Bone

Cutter_und_Bone_300Vom ersten bis zum allerletzten Satz liefert Newton Thornburg (1929-2011) mit »Cutter und Bone« einen Roman, der sowohl hinsichtlich seiner sprachlichen Eleganz wie in der Auswahl seiner morbiden Protagonisten weit aus dem Meer der Kriminalliteratur herausragt. Der im Freestyle geschriebene Krimi fasziniert und verstört gleichermaßen und zeigt, was in dem Genre abseits des Mainstreams schriftstellerisch möglich ist. Weiterlesen


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Polar Verlag

Über Arbeiten und Fertigsein

ScanSebastian Lehmann ist ein paar Jahrzehnte zu spät ins wilde SO 36 geschleudert worden. Dieser nach dem Postleitsystem benannte ungezähmte Teil von Berlin-Kreuzberg hat sich mit dem Mauerfall 1989 von einem Lebensraum der Berliner Subkultur zu einem hippen Partybezirk verändert. Daher war er nicht dabei, als am 1. Mai Steine flogen, Sven Regener Schweinebraten in der Markthalle speiste und die »Einstürzenden Neubauten« live auf Mülltonnen trommelten. Lehmann mag sein Kreuzberg trotzdem und gewinnt dem legendären Szenebezirk neue Themen für lustige Kolumnen ab. Weiterlesen


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Voland & Quist

Dralle Drachen

prachettDer am 12. März 2015 im Alter von 66 Jahren viel zu früh verstorbene britische Fantasy-Autor Terry Pratchett wurde als Schöpfer der »Scheibenwelt« berühmt. In seinen Romanen erfand er eine vollkommen flache Welt, die auf dem Rücken von vier Elefanten und einer Riesenschildkröte ruht, die durch den Weltraum rudert. Weiterlesen


Genre: Fantasy
Illustrated by Piper Verlag München

Solange es Schmetterlinge gibt

3D_muenzerWer Hanni Münzers Erfolgsroman »Honigtot« kennt, der freut sich in diesem Roman über ein kurzes Wiedersehen mit der Widerstandskämpferin Marlene Kalten. Dennoch ist »Solange es Schmetterlinge gibt« ein eigenständiges Werk, das auch ohne Vorkenntnisse gelesen werden kann, obwohl die Autorin damit einen Brückenschlag zwischen ihren Büchern unternehmen möchte. Weiterlesen


Genre: Belletristik, Frauenliteratur
Illustrated by Eisele Verlag

Wie schreibt man eine Rezension?

Book of knowledge growing out of book

Meinungen über Bücher kann man im Unterschied zu fertigen Büchern schwerlich kaufen.
  Foto: ©Depositphoto

Wie schreibt man eine Rezension? Das Besprechen von Büchern ist ein bewusster Schritt, mehr Aufmerksamkeit für die Literatur zu wecken und eine Brücke zwischen Autor und Leser zu schlagen. Das Anfertigen einer Rezension folgt einfachen Mustern: Im Grunde wird aufgeschrieben, was man beim Lesen entdeckt und empfunden hat.
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Der Maulwurf aus Moskau

Vladimir Ivanovich Serkov alias Martin Landau wollte eigentlich Kosmonaut werden. Dann entwickelte er Toiletten für die Schwerelosigkeit und weltraumtaugliches Klopapier samt in Raumanzügen eingebauter Toiletten an der TU Dresden. Um in den Westen zu kommen, verdingt er sich als Spion beim britischen Geheimdienst MI6.

Der Autor schildert das Leben des Computerspezialisten und beginnt dessen Odyssee durch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Systeme in einer Verhörzelle von Stasi und KGB, wo man ihn gefügig macht. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus und der Maueröffnung entfällt seine Existenzgrundlage. Er geht nach Wien, wo er sich als Kellner verdingt, dann jedoch mittels gefälschter Papier einen Spitzenjob für ein bundesdeutsches Rüstungsunternehmen bekommt, für die er eine Software zur Steuerung militärischer Drohnen entwickelt.

Doch seine alten Auftraggeber spüren ihn auf und schieben ihm einen Quellcode unter. Mit dem frisch programmierten Trojaner wollen die Russen bei jedem Drohnenflug mit von der Partie sein. Martin wehrt sich, aber er hat eine Schwachstelle: seine frisch angetraute Frau. Geheimdienste mögen Menschen mit Schwachstellen, weil sie diese leichter manipulieren und erpressen können.

Die ehemaligen KGB-Mitarbeiter, die unverändert im Geheimen tätig sind, spielen Landau Software zu, die er auf die Entwicklungsrechner seines Auftraggebers überspielt. Allerdings wird ein Kollege aufmerksam, der schnell merkt, dass ein Einzelner nicht derart umfangreich programmieren kann. Er spricht Martin an, wenige Tage darauf stirbt er nach einem Treffen mit einem russischen Lockvogel an einer Überdosis Crystal Meth.

Landau begreift endgültig, dass er nur ein Spielball in den Händen seiner Auftraggeber ist und dass sein Leben keinen roten Heller mehr wert sein wird, wenn er den Job erst einmal pflichtgemäß erledigt hat. Im Gegenteil: Als Mitwisser wird er vermutlich Opfer eines geheimnisvollen Verkehrsunfalls oder erliegt aus heiterem Himmel einem plötzlichen Herzstillstand. Er hängt wie eine Marionette an der dünnen Strippe unbekannter Puppenspieler, die die Fäden durchschneiden können, wann immer es ihnen passt.

Er setzt alles auf eine Karte und plant den großen Befreiungsschlag, um sich und die Seinen für immer aus der Abhängigkeit der Schlapphüte zu befreien. Dabei bedient er sich alter Seilschaften, trifft aber auch auf einen Bundesgenossen, an den er nie zuvor gedacht hatte.

Autor Detlev Crusius, der unter dem Pseudonym Eddy Zack schreibt, legt einen hochkomplexen Agentenroman vor, der regelrecht nach Verfllmung schreit. Er schafft es, das perfide Spiel der Geheimdienste gegen- und miteinander zu schildern, und so wundert es zum Schluss nicht, dass es die Amis sind, die an Trojanern interessiert sind, mit denen sie ihre NATO-Bündnispartner kontrollieren. In Zeichen von Wikileaks und NSA ist dieser packende Kriminalroman eine hochpolitisch, absolut zeitgemäße Geschichte, die vermutlich nur noch von der Wirklichkeit überholt werden kann.

Der Leser gewinnt auch Verständnis, warum immer wieder fiktive Bedrohungen produziert werden, für deren Beseitigung man unbedingt neue Waffensysteme wie die hier behandelten Drohnen benötigt. Wie jede Kirche aus der Angst der Gläubigen vor dem Jenseits ihre Daseinsberechtigung ableitet, so leben auch die Geheimdienste nur von der Angst ihrer Regierungen, man könne ihnen auf die Schliche kommen.

Ein packendes Buch mit großem Potential.


Genre: Agentenroman, Romane, Spionageroman
Illustrated by Kindle Edition

Alibi für ein Todesspiel

Wenn jemand neue Münster-Krimis ersinnen kann, dann ist es Bela Bolten. Der gebürtige Westfale fuhr jahrelang Taxi in der Metropole und kennt jeden Winkel rund um den Prinzipalmarkt. Entsprechend authentisch sind seine Tatorte, sei es das »Hotel Krautkrämer« oder das »Café Klatsch«.

Bolten erschafft in dem Piloten seiner Münster-Reihe ein Ermittlerpärchen aus einem vorbestraften und leicht verkommenen Jungunternehmer und einer brillant aussehenden Schauspielerin, die nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmt ist. Die beiden betreiben eine Alibi-Agentur, deren Sinn und Zweck darin besteht, Fremdgängern ein hieb- und stichfestes Alibi für ihre Auszeit zu beschaffen. Dummerweise wird gleich der erste Doppelgänger erstochen, und da stellt sich die Frage, ob es sich um eine Verwechselung oder um Absicht handelte.

Der Autor erzählt flüssig und schafft es, den Leser in seinen Erzählstrang einzubinden. Hinsichtlich der Personenentwicklung überzeugt er mich – ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Krimis – nicht vollends. Auf der einen Seite kommt anfangs ein Herr Tom ins Spiel, der sich regelmäßig um das Liebesleben der behinderten Schauspielerin kümmert, dann aber bald vergessen wird und keine Rolle im Geschehen spielt.

Auf der anderen Seite entwickelt die arbeitssuchende Dame schon beim Vorstellungsgespräch eine derartige Dominanz, dass man sich sofort fragt, welcher Unternehmer sich das wohl bieten lässt. Und warum spricht die engagierte Arbeitssuchende nicht mit der gleichen Frechheit im Theater vor, denn auch dort gibt es viele Rollen, die Rollstuhlfahrern auf den Leib geschnitten sind, oder wendet sich gleich an eines der blühenden Inklusionstheater?

In der Diktion erzählt Bolten nüchtern und sachlich. Leidiglich bei Position 1075 wird er direkt leidenschaftlich, als er sich zur »Diktatur der Gourmets« äussert und gegen die »Schreckensherrschaft der Caffé-Latte-Despoten« wettert. Da spürt der Leser, dass der Autor sehr viel mehr kann.

Insgesamt ist »Alibi für ein Todesspiel« ein gut lesbarer Kriminalroman, der unbedingt in den Münsteraner Buchhandel gehört.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Himmelreich mit kleinen Fehlern

Emma_Wagner_HimmelreichDurchaus unterhaltsam liest sich Emma Wagners spritziger Roman um die Großstadttussi Valentina Leumund, ein verwöhntes Kind stinkreicher Eltern.

Mit einem feuerroten Mercedes SL, Gucci-Sonnenbrille, Hermès-Vintagebag, sauteuren Louboutins (laut Google sind das luxuriöse französische Schuhe) und einer Auswahl sexy Sommerkleider fährt sie in das Dorf ihrer Kindheit, um eine überraschend verstorbene Jugendfreundin auf dem letzten Weg zu begleiten und gleichzeitig einen Job zu erledigen.

Gleich zu Beginn des Romans legt sich die junge Dame mit einem Bäuerlein an, der ihr mit seinem schwerfälligen Traktor den Weg versperrt. Als sich dieser jedoch als jung und muskulös darstellt und ihr am nächsten Morgen im Bad nackt mit ansehnlicher Morgenlatte begegnet, beginnt ihr bislang unterfordertes Becken zu kreisen. Dabei ist der Typ in der Region, in der Kühe definitiv die intelligenteste Lebensform sind, natürlich völlig daneben.

Selbst der in diesem Genre weitgehend unerfahrene Leser ahnt nun, wie die Story weitergeht, und darf lediglich spekulieren, ob sie konventionell auf weißem Linnen, im duftenden Heu oder auf einem Acker im Mondlicht endet. Für den männlichen Leser interessant ist die weibliche Betrachtungsweise, wonach offenbar doch die körperliche Ausstattung sowie die ausgefahrene Männlichkeit Schwerpunkte des Interesses der Damenwelt sind. Wobei sich die Weiblichkeit offenbar nie die Frage stellt, ob denn ein Mann Interesse an ihnen hat. Im Gegenteil: Die Typen nehmen eo ispe alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist und dürfen sich freuen, an derart tollen Tussen zu knabbern.

Die Autorin versteht es allerdings, ihre Story geschickt zu verpacken und allerlei andere Herren, die ebenfalls gut gebaut und zudem nett sind, auftreten zu lassen. Der Einbau einer kleinen Kriminalhandlung um den Bruder des störrischen Bauern, der in den Unfalltod der Freundin verwickelt ist, macht die Sache durchaus spannend. Und schließlich geht es auch um das Gutshaus ihrer Eltern, das Valentina gewinnbringend vermarkten will. Das wiederum wird von Mister Morgenlatte und seinem Clan bewirtschaftet und nun sei nicht zu viel verraten, was aus dieser Konstellation erwächst …

Rasant geschrieben schafft Emma Wagner es mit ihrem Werk, den Leser durchaus gefangen zu nehmen. Sie umschifft durchaus gekonnt die allerschlimmsten Fettnäpfchen des Genres und tupft die Klischees sanft. In erster Linie leichte Kost von Frauen für Frauen, aber (sic!) auch Männer können der Lektüre durchaus Erkenntnisse abgewinnen.

Nachtrag

Ob der sächsische Genitiv in einem deutschen Buchtitel (»Amor´s Five«) akzeptabel ist, bestreite ich mit Nachdruck. Es handelt sich um ein deutschsprachiges Buch, wir reden nicht über die englische Übersetzung. »Amor« ist  auch kein englischer Begriff, man würde »Amors Five« mit »Cupid´s Five« übersetzen. Lektorin Susanne Pavlovic, die ich auf der BuchBerlin auf den Schnitzer persönlich ansprach, reagierte aggressiv und erklärte mir, sie diskutiere nicht »mit jedem« über ihre Arbeit. – Na denn …


Genre: ChicLit, Frauenliteratur, Liebesroman
Illustrated by Kindle Edition

Männer, die in Schränken sitzen

christoph_kesslerBei Titel und Genre des Buches musste ich spontan an Oliver Sacks wundervolles Buch »Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte« denken. Und tatsächlich ist Sacks Werk über die dunklen Seiten der menschlichen Seele durchaus vergleichbar mit den Geschichten, die Christof Kessler erzählt.

Kessler, ein Neurologe, schildert mehrheitlich Fälle aus dem angrenzenden Fachgebiet, der Psychiatrie. Als Chef einer Greifswalder Klinik begegnete er beispielsweise einem Lokomotivführer, den seine Kollegen anfangs für einen Schlaganfallpatienten hielten, der jedoch durch einen blutigen Unfall traumatisiert und daraufhin eines Teils seiner Erinnerung beraubt wurde.

In einem weiteren Fallbeispiel präsentiert er den zwangsgestörten Nachbarn, der seine Frau verliert, weil er sich gegen die Behndlung seines Ordnungswahns wehrt. Einem vermögenden Ossi, dessen raffgieriger Sohn den Vater lieber tot als lebendig sähe, konnte er indes nicht helfen; der Filius verhinderte dies und bedrohte den Kliniker.

In der titelgebenden Story beschreibt Kessler einen Patienten, der Erstickungsanfälle in Aufzügen, Flugzeugen, Restaurants und Sälen bekommt und nach langem Widerstand durch eine Therapie geheilt wird, bei der der Patient kontrolliert in einen Schrank gesperrt wird.

Überhaupt scheinen die psychisch Erkrankten eine panische Angst davor zu haben, für »verrückt« erklärt zu werdenu und hoffen geradezu auf eine organische Erklärung ihrer Leiden. Nach der Devise, lieber ein Schlaganfall als ein »Dachschaden«, geben sie sich größte Mühe, eine »richtige« Krankheit diagnostiziert zu bekommen. Und Patienten mit einer ernsthaften neurologischen Erkrankung wie Hirntumor oder Multiple Sklerose würden am liebsten hören, es liege eine psychische Störung vor.

Immer wieder erinnert die Lektüre der Kesslerschen Erinnerungen daran, wie gut es Patienten hatten, die in seine Klinik kamen. Ganz offensichtlich arbeitete der Neurologe mit einem Team hochqualifizierter, motivierter Kollegen. Typisch ist das eher nicht, das Elend von Neurologie und Psychiatrie in deutschen Praxen und Krankenhäuser ist weithin bekannt. Monatelange Wartezeiten auf einen Gesprächstermin bei vielfach überforderten Therapeuten wetteifern mit einem Streit der Schulen und Lehrmeinungen von der klassischen Psychoanalyse über die Verhaltens-, Gestalt- bis hin zur Schematherapie. Bevorzugt wird derjenige, der sich hilfesuchend an einen Seelenklempner wendet, mit Psychopharmaka vollgestopft, deren Nebenwirkungen die Persönlichkeit teilweis bizarr verändert, ihm aber scheinbar »hilft«. Diese Aspekte spart Christof Kessler aus, obwohl sie ihm zweifellos bekannt sein dürften.

Bei einigen Geschichten drängt sich das literarische Bestreben des Autors in den Vordergrund. In »MRSA« beispielsweise baut er eine mehr oder weniger wilde Kriminalgeschichte um eine Hähnchenmastanlage auf, die er laut polizeilichen Ermittlungen angeblich in Brand gesteckt haben soll, weil seine Visitienkarte am Tatort gefunden wurde. Kesslers Versuche, Kurzgeschichten zu schreiben, treten hinter den spannend geschriebenen Fallschilderungen zurück.

Christof Kesslers Buch bietet jedem, der an den Grenzbereichen zwischen Neurologie und Psychiatrie interessiert ist, vielfältige Ansätze, seine Umwelt wie auch das eigene Sein zu betrachten und verfügt dabei über einen hohen Unterhaltungswert.


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen, Neurologie, Psychologie
Illustrated by Eichborn Verlag

Vom Geschmack des Publikums

1117578_3fb627f0db_mEine Stewardess schreibt ein Buch, veröffentlicht es mangels anderer Gelegenheit als E-Book und erobert damit in ultrakurzer Zeit Kohorten weiblicher Fans, die sie bald wie die Mücken das Licht umschwärmen. Ein grandioser Erfolg ist diesem ungewöhnlichen Talent, das aus dem Nichts die Bühne der Buchwelt betritt, beschieden. Alle jubeln. Alle sind froh und umarmen sich!

Von Ruprecht Frieling

Ein Musterbeispiel für den Mut, selbst aktiv zu werden und das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, sei die Erfolgsautorin, heißt es landauf, landab. Küsschen, Küsschen, jubeln die Leser – und so heißen denn auch die Romane des frisch gebackenen Schreibstars »Holunderküsschen«, »Champagnerküsschen«. Allseits wird kräftig geknutscht.

Schon schießt die frisch gebackene Bestsellerin auf Platz Eins der Verkaufslisten. Selbst etablierte Holzverlage springen auf den fahrenden Zug. Ein besonders geschäftstüchtiges Unternehmen veröffentlicht die Werke des neuen Superstars innerhalb weniger Wochen auf Papier, um am Boom teilzuhaben. Sanft fällt Goldstaub vom Himmel und pudert die Gemeinde. Bussi, Bussi, Bussi!

Die mehrheitlich weiblichen Fans sind inzwischen kaum noch zu halten, es regnet »Likes« und »Gefällt mir«. Amateur-Rezensenten bei Amazon und auf anderen Plattformen überschlagen sich und steigern sich gegenseitig in ihren Rausch vom neuen Superstar. Jede(r) möchte ein Stückchen vom Ruhm und hofft, er färbt ab. Die Erfolgsautorin sieht zudem recht attraktiv aus mit ihren langen blonden Haaren und macht sich gut in den zahllosen Fernsehinterviews, die mit ihr ausgestrahlt werden. Ein Teufelsweib! Leserinnen, die von Sex, Romantik und Abenteuer träumen, während sie im Büro wichtige Papiere bewegen, haben endlich ein Sprachrohr gefunden. Schnell wird ein neues literarisches Genre geboren, um alles auch wissenschaftlich zu untermauern: »Chic-lit« heißt die Küsschen-Literatur.

So liebten sich alle, und würden, wenn sie nicht gestorben sind, noch heute miteinander kuscheln … wäre da nicht eine gewisse Ungeschicklichkeit der schreibenden Flughostess ruchbar geworden: Denn ein Teil der Küsschen-Botschaften ist schlicht und einfach geklaut, abgeschrieben aus den Romanen gestandener Autorinnen, die seit Jahren im Geschäft sind. Zwar bestreitet die Plagiatorin anfangs alles, doch schnell wird ihr das Gegenteil nachgewiesen. Ist sie lediglich blond oder gar eine perfide Lügnerin? Sie versucht es mit Ausflüchten, die fremden Texte seien lediglich »Platzhalter« gewesen, die sie vergessen habe, mit eigenem Wohllaut zu füllen. Doch alle Ausreden werden von Kritikern schnell widerlegt. Und über Nacht wendet sich das Blatt: Blondchens Bestseller platzen wie Seifenblasen. Die bislang treuen Gefolgsleute reagieren sauer. Sie wurden getäuscht! Vorbei ist es mit dem Ruhm der Starautorin.

Das Publikum tobt. Es schreit nach Rache. Ein beispielloser Shitstorm bricht los. Während im Hintergrund findige Anwälte Schadenersatz fordern, wüten im Vordergrund die sich getäuscht fühlenden LeserInnen und machen ihrem Herzen Luft. Die Küsschen-Verteilerin, gestern noch die größte, beste und herzallerliebste Hoffnungsträgerin unerfüllter Sehnsüchte und Träume, wird mit Schlamm und Scheiße beworfen, dass sich die Zeilen biegen. Aus den lieben Liebenden werden harte Hasser, die schlicht vergessen haben, dass sie kurz zuvor noch das Objekt ihrer aktuellen Empörung als Erfolgsgöttin angebetet hatten und sie umtanzten wie die Israeliten das goldene Kalb.

Drang monatelang unreflektiert Weihegesang und Lobpreisung aus allen Ecken, so schäumt aus dem scheinbaren Nichts Unrat über die Charterschlampe. Die macht sich schnell vom Acker und verschwindet über Nacht vom Markt. Ihre Bücher werden virtuell geschreddert, die Hitlisten gesäubert, kein Finger rührt sich mehr für die Saftschubse, die zu bescheuert war, einen eigenen Text zu verfassen. Gnadenlos reagiert das Publikum: Die Königin wird vom Thron gestoßen, mit großem Trara hingerichtet und in so kleine Einzelteile zerfetzt, dass keine Spur mehr von ihr übrigbleibt.

Ob sie wenigstens weiterhin hoch oben über den Wolken Kaffee servieren darf? Kein Schwein fragt nach. Denn schon betritt der nächste Superstar die Bühne, an den sich die Meute klammert, um von Selbstverwirklichung und einem Leben in Saus und Braus zu träumen, bis er in Ungnade fällt.

Der Geschmack des Publikums ist flüchtig. Sicher ist nur, dass Hassgefühle heute schneller als Liebe aus den Synapsen der Masse strömen. Fast unweigerlich muss sich jeder Prominente damit abfinden, beim kleinsten Fehltritt oder Ungeschick von den eigenen Fans ausgebuht, mit faulen Eiern beworfen oder einem Shitstorm ausgesetzt zu sein.

Das ständige Twittern und Posten von jeder noch so kleinen Regung im 24-Stunden-Takt macht Prominenz nicht nur möglich sondern auch angreifbar und verletzlich. Denn wehe, die neidische Volksseele kocht über und lechzt nach Rache. Dann wird jedes »Like« vielfach zurückverlangt, während die Haut des Delinquenten in Streifen vom Leib gezogen und gegrillt wird.

Der Preis des Ruhms ist in kurzlebigen Zeiten höher denn je. Die (ab)schreibende Stewardess hat ihn gezahlt und könnte nun ein Buch darüber schreiben. Oder sie wartet einfach ein paar Wochen ab, bis Gras über die Sache gewachsen ist und veröffentlicht munter weiter … quod erat demonstrandum.

Nur wer wagt, gewinnt

Peter_BuchenauPeter Buchenau mag ein guter »Redner, Ratgeber und Kabarettist« (Eigenwerbung) sein, ein brillanter Autor ist er nicht. Sein Buch »Nur wer wagt, gewinnt« ist in erster Linie eine labyrinthische Predigt, die apodiktisch angelegt ist unter dem Mantra »Nur wer dies und jenes tut oder lässt, der …«

200 Seiten lang verkündet der Autor in immer neuen Schleifen, dass es besser sei, Entscheidungen zu treffen als im Nichtstun zu verharren. Unser Leben sei vom Zwang bestimmt, permanent neu entscheiden zu müssen. Davon dürfe man sich aber nicht unter Druck setzen lassen, auch eine falsche Entscheidung könne in den allermeisten Fälllen noch korrigiert werden. Ziel seines Buches sei es aufzuzeigen, wie man Risiko bewertet und welche Chancen sich aus »risikointelligentem Handeln« ergeben können.

Stilistisch bedient sich Buchenau dabei immer wiederkehrender rhetorischer Fragen. Mag dies bei öffentlichen Vorträgen dienlich sein, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu steigern, so ist es beim Lesen einfach nur hinderlich, zumal es bei dieser Art der persuasiven Kommunikation nicht um Informationsvermittlung sondern um Zustimmung oder Ablehnung geht.

Es kann durchaus sein, dass der Autor einiges zu sagen hat. Seine Art des schriftlichen Vortrags jedenfalls verbaut den Zugang zum Leser, und das ist schade.


Genre: Ratgeber
Illustrated by Linde