Dear Friend and Gardener

Schon die Vorwörter dieses Briefwechsels sind lesenswert: Gekauft hatte ich es als Taschenbuch, 2021 in England erschienen, mit einem Vorwort von Fergus Garrett, dem Nachfolger Lloyds in Great Dixter, und natürlich auch mit denen der beiden Autoren von 1998.

Die deutsche Übersetzung erschien 2013 zu Beths Neunzigstem mit einem weiteren Vorwort von ihr, in dem sie die vielen Praktikant:innen aus Deutschland lobt und die Übersetzung von Maria Gurlitt-Sartori hervorhebt, (zu Recht, wie ich finde) deren Schwester bei ihr gearbeitet hatte. Sie betrachtet sie alle als ihre Kinder, teilte gerne die selbst gezogenen Gemüse mit ihnen. Die fast Neunzigjährige schreibt:

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Genre: Biographien, Briefe, Literatur, Memoiren
Illustrated by DVA München

Beth Chatto Mein Leben für den Garten

Bei unserem Besuch in den Gärten von Beth Chatto und Christopher Lloyd (Christo) entdeckte ich das Buch Dear Friend and Gardener, die Korrespondenz der beiden, die, wie sich dann herausstellte, nur von 1996 und 1997 währte. Darin schwärmten sie von ihrem gemeinsamen Reisen in den vergangenen Jahrzehnten. Darüber wollte ich mehr lesen. Und dann war da noch etwas:

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Genre: Biographie
Illustrated by Ulmer

Knife- Gedanken nach einem Mordversuch

Salman Rushdie sollte im Rahmen eines Projektes für in ihren Ländern verfolgte Autoren eine Rede halten, darüber „wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen.“ Er sieht den Mann aus dem Publikum im Staat New York aufstehen und auf ihn losrennen—ein Sicherheitsdienst war nicht vorgesehen.

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Genre: Literatur
Illustrated by Penguin

Bauern Sterben – wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört

Der Autor wurde 1954 als „Bauernbub“ in Bayern geboren, in seiner Kindheit erlebt er die Veränderungen der Landwirtschaft, die er dann in den Jahrzehnten seiner journalistischen Tätigkeiten durch investigative Reisen weltweit verfolgte.

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Genre: Politik und Gesellschaft
Illustrated by Siedler München

Zuleyka

Als Fan von Bernhardine Evaristo hatte ich die Erwartung, in diesem Buch etwas zu lesen, was originell und witzig ist, aber auch geprägt von der Lebenserfahrung einer Frau an der Schwelle zum Rentenalter. Vielleicht in Richtung Altersmilde?

Stattdessen lese ich von Zuleika, auf Arabisch: die Verführerin, einer strahlenden Schönheit mit den Gedanken eines meinungsstarken Teenagers. Sie macht sich über alle Erwachsenen lustig, die Eltern, aber vor allem über den reichen Römer, alt und fett, der sie, die Schwarze geheiratet hatte, als sie noch nicht einmal ein Teenager war. Und dann ist Alles noch in Versform geschrieben!

Sie lebt in Londinum, als die Stadt von den Römern besetzt war, ihre Eltern sind Migranten aus dem Sudan; der Vater ist ein inzwischen arrivierter Kaufmann, der stolz ist, seine Tochter so gut verheiratet zu haben.

Felix, der Gatte, ist meist geschäftlich unterwegs, sie langweilt sich in ihrem Palazzo, mit diesen ganzen Dienstboten. Sie lernt Latein, liest die Klassiker, die es 200 Jahre vor Christus gab—und macht gerne lateinische Einschiebsel in ihren Texten. Das Buch ist in Kapiteln geschrieben, die einzelne Gedanken ausführen, manchmal nur in der Länge eines Gedichtes. Den roten Faden muss die Leserin sich erspinnen.

In ihrem Netzwerk ist vor allem die Busenfreundin Alba, verheiratet und Mutter, und immer bereit zu Seitensprüngen, deren Schilderungen von Eroberungen sie gerne zuhört. Die findet:

„Ehrlich, kaum hat so‘n Mädchen bisschen Bildung,

wird gleich, das ganze Leben rasend kompliziert.

Du schürfst dermaßen tief, dabei ist die Lösung

ganz einfach: DU GEHÖRST MAL GUT GEFICKT!“

Das überzeugt Zuleika und sie sucht. Als sie sich in den Kaiser verliebt, der sie im Guildhall Theater lange und begehrend angeguckt hatte, wird darüber im „Dum vivimus, vivamus

(Solang wir leben, lasst uns leben)

ODER: GIRLS TALK

gesprochen, auch mit einer anderen Freundin, mit der älteren Venus, die sich gerne in Kneipen aufhält, in der „die Unterwelt“ verkehrt.

Derweil schickt der Kaiser ihr Blumen, die Tanio, der Diener, diskret überreicht. Sie hat bei Tanio etwas gut, hatte sie ihm doch die Frau vermittelt und ausgesucht, nach einer „Shortlist. meine Kriterien willkürlich angeordnet: Schönheit, Alter, Dispositio.“ Ein weiterer Vorzug von Mucia, der ausgesuchten Frau: „sie war schon so reif,

um die erkennbaren faschistischen Tendenzen

unseres versklavten Kleindiktators einzudämmen.“

Bei der Verliebten wird der Kaiser zum:

„Mein Legionarius: ich will dich auf zwei Weisen, leg den Lorbeerkranz ab, lass die lila Roben zu Boden und komm nackt zu mir als Mann…“

Sie lebt auf, gibt sich der Lust hin, in einem Gedicht gibt sie die Domina, die ihn fesselt und verlangt, dass er sie seine Herrscherin nennt, das bringt sie zum Höhepunkt.

Dabei weiß sie, dass Felix sie nun vergiften wird. Schon nach der Hochzeitsnacht spricht sie von Todessehnsucht. Und so kommt es, Tanio verabreicht ihr Arsen, und als Alba sie noch einmal besucht, ergibt sie sich dem Schicksal, als wäre sie eine griechische Tragödin. Und dann gibt es einen Epilog: Vivat Zuleika.

Obwohl ich nicht zur Zielgruppe zähle, fand ich es immer wieder, wie erwartet, originell und witzig.

Das Lesen in Versform bin ich nicht gewöhnt. Hat die Übersetzerin Tanja Handels es gut gelöst? Zufällig war ich in England und wollte das Buch „Zuleika“ einsehen, im gut sortierten Buchladen war es nicht bekannt.

Der Grund: Es ist 2001 unter dem Titel „The Emperor’s Babe“ erschienen und nicht mehr bekannt. Nun grübele ich über die Frage, was Frau Evaristo mit Vierzig dazu brachte, so einen Backfischroman mit Sehnsucht nach Männern zu schreiben, nachdem sie selbst viele Jahre lang weibliche Sexpartner hatte. Wie ein recycelter Teenager? Aber inzwischen weiß ich: die Übersetzung von Frau Handels ist wieder sehr gut!


Genre: Roman
Illustrated by Tropen Verlag

Einfach gärtnern! Naturnah und nachhaltig

Das Buch habe ich mit wachsender Freude gelesen: Erst kommt das Buch wie eine Liebeserklärung an seinen Garten daher: so, als wäre er seine Beziehungskiste, wie zu seinem Hund. Dann geht es um nichts weniger als die Liebe zur Natur, zu Pflanzen. Zu „Tiere(n) im Garten–Wie werde ich ein guter Gastgeber?“ heißt ein Kapitel. Und dass er sich als Junge zur Kommunion eine Magnolie gewünscht hatte—so etwas gefällt einer Oma.

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Genre: Garten, Sachbuch
Illustrated by Insel Frankfurt am Main

Die besten Weltuntergänge Was wird aus uns? Zwölf aufregende Zukunftsbilder

Das Cover spricht die Oma in mir an: im oberen Teil ein Wimmelbild in sanften Farben, mit fröhlichen Menschen, die sich, Generationen übergreifend, der sommerlichen Natur erfreuen. Die untere Hälfte dagegen surrealistisch und geheimnisvoll, das macht neugierig. Im Buch, mit Seiten, die größer als Din A 4 sind, nimmt der Text je ein Viertel ein, in den restlichen Flächen sind die wunderschön gemalten Bilder.

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Genre: Dystopie, Graphic Novel, Kinderbuch, Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Klett Kinderverlag

Iris Wolff- Lichtungen

Das Buch beginnt auf frischer Fahrt: mit einer Fähre reisen Lev und Kato. Lev heißt Löwe und ist der Name des jungen Mannes, der mit Kato auf einer großen Reise ist. Der Roman ist aus seiner Sicht geschrieben, wenn auch nicht in Ich-Form. Kato lebt seit Jahren in Westeuropa, verdient gut mit ihrer Straßenmalerei, gemalt hatte sie schon als Kind. Lev hatte mit Waldarbeitern gearbeitet. Nun ist er auch hierhergekommen, weil sie geschrieben hatte: „Wann kommst du?“ Und sie haben sich wiedergefunden, an ihre früheren Gemeinsamkeiten angeknüpft und es genossen.

Heute hat er ihr erklärt, dass er zurückkehren müsse, und sie antwortete, dass sie mitkommen wolle. Das war so unerwartet, dass er seinen Mut zusammennimmt, nachfragt. Und sie antwortet mit einem klaren „Ja.“ Wie es dann mit den beiden weitergeht, wenn sie gemeinsam in Rumänien, genauer in Siebenbürgen, leben würden? Die erhoffte Geschichte der gemeinsamen Rückkehr kommt nicht.

Dafür geht es schrittweise zurück in ihre gemeinsame Vergangenheit. Die einzelnen Stufen werden mit Denksprüchen in verschiedenen Sprachen, rumänisch, siebenbürgisch, einmal gar ungarisch oder mit einem hebräischen Bibelspruch eingeleitet. Deren Sinn blieb mir, trotz Übersetzungen, meist verschlossen.

Beide kamen aus schwierigen Familienverhältnissen. Ihre Verbindung begann, als Levs bettlägerig war, da seine Beine gelähmt waren, und sie, als gute Schülerin, ihn besuchte, um das in der Schule Versäumte zu bearbeiten. Zwei einsame Jugendliche finden sich. Alles wird in einer traumhaft schönen Sprache beschrieben: Beobachtungen der Natur, der Hügellandschaft, der Jahreszeiten. So schön, wie im vorangegangenen Buch „Die Unschärfe der Welt“. Oft wird auch geträumt.

Auch Politisches wird behandelt: Wie lebt es sich in einem Vielvölkerstaat? Was ist Zugehörigkeit? Die Frage wird schon im Alltäglichen vorbereitet, wenn Lev versucht, den Kater zu streicheln, und der sich abwendet. „Immer galt es Zeichen zu suchen, ab ein Tier einen liebt oder ob man sich diese Zugehörigkeit nur einredet.“ Der Großvater weiß, dass es nichts anderes ist als eine Entscheidung. Er hat dann entschieden, zu fliehen, Lev hatte ihn an die Grenze zu einem Schleuser gebracht, und hat ihn nun in Wien besucht, als er auf dem Weg zu war. Alle diese Beschreibungen gesellschaftlicher Verhältnisse sind in ihrer dichten Sprache abgebildet.

Gleichwohl wurde das Lesen durch die vielen Details zunehmend unschlüssig. Ohne Levs Beinlähmung als Auslöser hätte es die Beziehung nicht gegeben. Deren Ursache wird immer wieder angedeutet: Die Mutter meint, der Opa wäre verantwortlich, Lev beruhigt ihn, dass er ihm nichts vorwerfe, aber letztlich erfahren die Leser es nicht. Höchstens, dass es ganz unbestimmte Ursachen sein könnten, vielleicht so etwas Psychosomatisches?


Genre: Aufwachsen in einer Diktatur, Historischer Roman, Langjährige Beziehungen, Roman
Illustrated by Klett Verlag

Iowa Ein Ausflug nach Amerika

Als ich eine Rezension des Buches Iowa las, war Trump dort gerade bei den Präsidentschaftsvorwahlen als glorreicher Sieger hervorgegangen. Zwei Berlinerinnen auf einem „Ausflug“ ins ländliche Amerika: das lockte sehr. Stefanie Sargnagel und Christiane Rösinger sind als Gastdozentinnen an einer privaten Hochschule geladen, sie unterrichtet kreatives Schreiben und Frau Rösinger zum Singen. Ich kannte sie kaum, inzwischen bin ich Fan und höre ihre Lieder gerne. Sie hat „mit korrigierenden Fußnoten“ zu einigen Stellen ihren Senf dazu gegeben.

Besonders stört sie oft „das verinnerlichte ageistische Denken“. Sie könnte Stefanies Mutter sein, ist schon Großmutter. Vom Altwerden, besonders der Frauen, erhofft Stefanie nämlich nicht viel: “Es verlangte auch niemand von ihnen, in Würde zu altern. Man erwartet es von den Frauen und meint damit, dass sie sich ab fünfzig in Luft auflösen sollen.“

Sie werden in einem großen Haus untergebracht und Begrüßung von der sie betreuenden Professorin, wie Stefanie eine Österreicherin, zum Iowa Breakfast eingeladen. Mit kindlicher Neugier wird alles beobachtet: Die übergewichtigen Menschen, der Kaffee („dünne, bittere Suppe“), aber auch das Iowa Nice.

Dazu kommen zwischendurch selbstironische Bekenntnisse, über eigene Schwächen, das Rauchen, die Vorliebe für „Absturzkneipen.“ Als Christiane nach einem hochgelobten Auftritt als Sängerin zurückreist, sucht sie denn auch Trost bei bekennenden Trinkern. Und Tratschen ist „eine meiner größten Leidenschaften“ und Tratschen zu dämonisieren „antifeministisch,“ es ist ja geprägt vom Interesse an anderen Menschen.

Sie erobert die nähere Umgebung, erst mit Christiane und ohne Auto, kaufen bei Walmart Ungesundes ein, staunen über 75 Sorten Erdnussbutter. Nach Christianes Abreise dann mit der Professorin, sie besuchen ein Amish Dorf mit „50 shades of fromm.“ Entsetzt ist sie über den Besuch bei der Outdoor World, wo es T-Shirts und Poster mit Werbung für die National Rifle Association gibt. “American by Birth—NRA Member by choice.“ In der Säuglingsabteilung gibt es Strampler in Camouflage Musterung, für Mädchen mit rosa Tüllröckchen und Schleifchen.

Da sie keinen akademischen Abschluss hat, fremdelt sie etwas, sie spricht von Angst vor Akademikern. Sie nimmt an einer Dozentensitzung teil, wo es um den Umgang mit mehr Rechten der Studierenden geht, die sich über Dozenten beschweren.  Also: „Man möchte, dass Menschen, die Marginalisierung erleben, eine Stimme haben, aber man möchte nicht von frechen Fratzen emotional erpresst werden.“

Die Argumente in der Diskussion sind dann vielfältig und werden präzise aufgeführt: Dürfen Dozenten rechts oder links vom liberalen Spektrum stehen? Es sei immer schwieriger, nuanciert zu diskutieren. „Kapitalismus mit wokem Antlitz“ käme dabei ‚raus. Die Abstimmung ergibt dann, dass die Abstimmung verschoben wird.

Dann kommt ihre Mutter sie besuchen, die dritte Reisepartnerin. Sie mieten ein Auto und reisen Out West. Die Mutter ist rüstig und lustig, dazu noch ein Nerd und kann ihr die Benutzung von WhatsApp erklären. Unterwegs nach LA wird ein Zentrum für Transzendentale Meditation besucht. In LA sehen sie Zeltstädte mit Obdachlosen, kranke Menschen liegen auf den Straßen rum. Die Mutter, als Sozialarbeiterin aus Wien, hätte viele Anregungen, wie man mit den Menschen arbeiten müsste…


Genre: Frauenfreundschaften, Hochschuldebatten, Reisebericht aus dem ländlichen USA
Illustrated by Rowohlt

Die Kühe, mein Neffe und ich Mit großen Tieren aufwachsen, leben und arbeiten.

Frau Ruge kennt und verehrt Kühe, für dieses Buch hat sie breit recherchiert, besonders interessiert sie die Rolle, die Kühe in den Kulturen der verschiedenen Epochen für Menschen spielten. Dabei geht es ihr um die Beziehungen der Menschen zu ihren Rindern. Sie kennt sich mit Kühen aus: für die Laien werden anfangs alle Bezeichnungen, von Färse bis zur Kuh erklärt, auch, wofür der Stier gut ist, aber was der Ochse nicht kann.

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Genre: Entwicklung der Landwirtschaft, Geschichte von Mensch und Tier, Sachbuch, Tier und Mensch in der Kunst
Illustrated by Kunstmann

Der antiautoritäre Garten: Gärten, die sich selbst gestalten

Ein antiautoritär gestalteter Garten: Was kann das werden? Ich erinnere mich an die Siebziger und Achtziger Jahre, wo ich als Kinderärztin mit so erzogenen Kindern zu tun hatte. Sie waren von meiner Autorität eher überfordert, als dass sie selbstbewusst oder gar aufgeblüht erschienen wären. Mit neugierigen, etwas spitzen Fingern bestellte ich das Buch zur Rezension und lese den besten Ratgeber, den ich kenne!

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Genre: Erziehungstrends, Gartenplanung, Pflanzenkunde
Illustrated by Kosmos / Weltbild

Rund ums Freibad

Das Buch hatte Heinrich Zille 1926 mit einem Beitrag zum Freibad herausgegeben. Er war achtundsechzig Jahre alt, drei Jahre vor seinem Tode. Dazu hat er Zeichnungen aus allen seinen Schaffens Perioden zusammengetragen, die, so wie wir es von ihm kennen, mit treffenden Kommentaren versehen sind. Meist sind sie in direkter Rede der Dargestellten, Sprechblasen gibt es noch nicht bei ihm, und doch weiß ich genau, wer was sagt.

Mir gefielen verschiedene Aspekte, und ich werde sie der Reihe nach darstellen:

Da ist die Geschichte Berlins, die Stadt zog in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts viele Menschen an, für die Häuser mit Hinterhöfen gebaut wurden. Zille berichtet von den hygienischen Verhältnissen, wie wenig das Baden, ja überhaupt das Waschen, üblich war. Wenn der Arzt einen Patienten bat, die Socken auszuziehen, wird er vom Patienten darauf hingewiesen, dass er noch den „Winterfuß“ hat.

Im handgeschriebenen Text „Das Freibad“ berichtet er von Badestuben in Häusern, meist in der Nähe der Spree, in denen Menschen sich waschen konnten, manchmal wurden sie aber auch vom Magistrat geschlossen, wegen „allzufreien, ungenierten Badens.“

Erst 1907 wurden die Freibäder geöffnet und die Sehnsüchte der Menschen nach Bewegungsfreiheit und Körperlichkeit konnten sich im Freien erfüllen. Das erinnert mich an Peter Josef Lenné, der wusste, wie gut ein Aufenthalt in der Natur für das menschliche Gemüt ist und früh begann, Volksparks zu planen. Rezension: Peter Joseph Lenné: Eine Biographie von Heinz Ohff

Manchmal gibt es Sprüche, die auch ohne Zeichnungen wirken, etwa dieser: “Wie herrlich ist es nichts zu tun, und von dem Nichtstun auszuruh’n!“ Dazu gemalt wird dann eine Aktschönheit am Spreeufer.

Dann geht es um die Naturfreunde und ihre Bewegungen: „Zurück zur Natur“, zum Nacktsportverband, die „Wege zu Kraft und Schönheit“ werden aufgezeigt, das Luft- und Sonnenbad „Volkskraftbund.“ Eines meiner Lieblingsbilder zeigt eine Kleinfamilie am Strand: „Vata mir is iebel!“

„Dann stell‘ dir nich so bei mir,–geh bei Muttern!“

Nun zu den Kindern: es gab früher einfach mehr und sie werden alle gemalt! Vor allem sie und junge Erwachsene, gerne Verliebte, werden als Persönlichkeiten getroffen. Die Kinder sind oft etwas pummelig gemalt. Das erste Kind kommt nach dem achtseitigen Beitrag zum Freibad und sagt: „Hinter mir kommen noch eine Menge „Zille“-Kinder.“ Und dann kommt das Bild:


Genre: Badefreuden, Berliner Geschichte, Rund ums Freibad von Heinrich Zille
Illustrated by Bebug Verlag

Der Kurfürstendamm Geschichte des Berliner Boulevards

Dass der Ku’damm seine Glanzzeiten hinter sich hat, wusste die Autorin, als das Buch 2021 erschien, und hofft: „Die Mitte der City-West könnte wieder ein Zentrum des Berliner Lebens werden—anders vielleicht als einst, aber doch aufregend und liebenswert. Der Kurfürstendamm hätte es verdient.“

Davor geht es auf über 200 reichbebilderten Seiten um die Glanzzeiten, beginnend mit der Entstehung vor 150 Jahren. „Vom Knüppelpfad zum Prachtboulevard“, zum Treffpunkt der Berliner Bohème, und nach dem Abbau im Nationalsozialismus wieder zum Schaufenster des Westens.

Dazu gibt es viele Gemälde, zeitgenössische Postkarten, aber auch Fotos, etwa mit von Bismarck hoch zu Pferde: Er hatte sich brieflich an den König gewandt, er möge die Verbindung vom Schloss nach Potsdam verbessern, vielleicht auch, weil ihn seine täglichen Ausritte dahin führten.

Das Buch ist umfassend recherchiert mit Quellenangaben, flott geschrieben, immer wieder mit balinahten Einschüben. Neben den Abbildungen erfreuen auch die Zitate der Zeitgenossen: Mit den Gründerjahren kommen die „Geldsackgesinnung“ wie Fontane schreibt: “Die Stadt wächst und wächst, die Millionäre verzehnfachen sich…“

Damals war Paris das Vorbild, der Kurfürstendamm sollte die Pracht der Champs-Elysées bekommen, aber das Kaiserreich war nicht in der Lage, sich finanziell zu beteiligen, es reichte nur für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die dann 1895 mit Pomp und Gloria eröffnet wurde. Fortan ließ man sich dort trauen, bis zu sechs Trauungen pro Tag gab es. Die Häuser wurden von den Geldsäcken gebaut, jedes nach dem Geschmack des jeweiligen Bauherrn.

Im zwanzigsten Jahrhundert entwickelten sich die Stätten der Künste: Die Maler der Sezession hatten ihre Treffpunkte, die Künstler Bohème ihre Cafés: das Café des Westens, das Café Größenwahn und später das Romanische Café. Dazu empfehle ich das Büchlein von Geza von Cziffra, Das Romanische Café.

Nicht jeder Künstler der Bohème konnte sich die Cafébesuche leisten, vielen wurden von Sponsoren unterstützt, oft waren es jüdische Geschäftsleute. „Unser Hintern fährt dritte Klasse, unser Haupt ragt über die Wolken“ sagt einer von ihnen.

Die westlichen Teile des Kudamms, auch als „Neuer Westen“ bezeichnet, zogen andere Menschen an als der vom wilhelminischen Staat geprägte Boulevard Unter den Linden.

Mit dem Aufkommen der „Kultur als Massenwaren“ wurden die großen Lichtspielhäuser um die Gedächtniskirche herum gebaut. Die prominenten Schauspieler/innen kamen und konnten vom Publikum gesehen werden, auch Zarah Leander und Astrid Nielsen. Ein anderer Zweig blühte ebenfalls: die Kabaretts und kleine Bühnen.

Nach der russischen Revolution kamen ab 1919 über zwei Millionen Emigrant/innen nach Deutschland, davon 300 000 nach Berlin, man sprach von Charlottengrad, manche träumten weiter vom Zarentum, in andere Richtungen gingen die Pläne der Künstler.

Die träumten eher von New York, vor allem Brecht und Grosz. Dieser suchte dort sein Künstlerglück und ging schon 1932, also vor dem Nationalsozialismus. (Das steht zwar nicht im Buch!)

Bis zur Olympiade 1936, wurde der Berliner Westen geduldet, auch weil viele Diplomaten und ausländische Journalisten dort lebten, die alle namentlich aufgeführt werden. Danach kam dann der Totalitarismus, die Trefforte der Szene wurden geschlossen.

Als gebürtige Westberlinerin habe ich den Kudamm der Nachkriegszeit als „Schaufenster des Westens“ kennengelernt, die Kaffeehäuser waren nun gut bürgerlich, die Mode elegant und mondän, zwei Theater und jedes Jahr die Filmfestspiele. In den Sechzigern dann Studentenproteste mit Wasserschlachten.

Jetzt lese ich bei Frau Stürikow, dass es in den achtziger  Jahren eine Kommission unter Volker Hassemer gegeben hatte, die die verblassende Strahlkraft erhöhen sollte. Einen Höhepunkt gab es dann noch: 1989 beim Mauerfall, wo die Bürger aus der DDR sich die Konsumtempel angucken wollten. Zum Kaufen reichte das Begrüßungsgeld dann aber nicht. Inzwischen, nach Corona, noch mehr Leerstand, nur Ketten können bestehen. Und 2023 will der Senat die weihnachtliche Beleuchtung nicht mehr unterstützen…

Vieles Bekanntes liest man gerne noch einmal und auch Neues, nun weiß ich, warum ein Teil in Budapester umbenannt wurde. Und die Lebensgeschichte von Jeanne Mammen, von der auch zwei große Gemälde abgebildet sind.


Genre: Berlin Geschichte, Der Kurfürstendamm Geschichte des Berliner Boulevards, Unterhaltungskultur
Illustrated by Elsengold

Wir können auch anders Aufbruch in die Welt von morgen

Es geht um die anstehenden Veränderungen unseres Umgangs mit dem, was wir Umwelt nennen; die Autorin bevorzugt, Mitwelt zu sagen. Sie ermuntert dazu, sich zu beteiligen, selbst dann, wenn die Rahmenbedingungen dazu beschränkt sind. Jeder Satz, jede Geste zählt, sie ist dann ein „Wir“.

Die Leitfragen des Buches sind: Wie, wo, wer. Zum Wer fragt sie: „Die Politik? Die Wirtschaft? Die sogenannten Eliten? Wer ist mit diesem Wir gemeint?“

Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin ist seit Jahrzehnten Transformationsforscherin und kennt die (oft gescheiterten) Versuche, die Klimakrise zu verhindern, seitdem der Club of Rome schon 1972 forderte: Nie wieder Probleme isoliert betrachten!

Zu oft führen unerwartete Nebenwirkungen zum Scheitern. Dazu gibt es viele internationale Beispiele, ich greife die derzeit gehegte Hoffnung heraus, das Austauschen von Verbrenner Motoren gegen E-autos würde die Umwelt verbessern. Wie wird die Elektrizität erzeugt? Was machen neue schnelle Straßen mit der Landschaft, mit den Städten? Würden weniger Stehzeuge (der realistischere Name für Fahrzeuge) die Straßen verengen, oder, (das steht nicht im Buch!) in Grünheide bei Berlin eine große Fabrik im Trinkwasserschutzgebiet gebaut wird?

In einer Studie wurde in Dänemark gefunden, dass jeder mit einem Auto gefahrene km den Staat 27 Cent kostet, für Straßeninstandsetzung, Unfälle, Lärm und Luftverschmutzung, jeder geradelte km spart dem Staat 30 Cent. Bei der Transformation wären autofreie Zonen nicht nur schöner anzusehen, auch besser für Kinder und andere Fußgänger.

Im Buch werden Begriffe der Transformationsforschung erklärt und angewandt: Kipp-Punkte, „wie kommen Firmen vom big disconnect zum big reconnect? Was sind Key Performance Indicators?“ sind nur einige.

Es ist aufgebaut in drei Abschnitten:1.) Unser Betriebssystem, 2.) Wie wir den Betrieb ändern und 3.) Wer ist eigentlich wir? wird die Entwicklung der ökonomischen Lehren dargestellt und Schritte für deren notwendige Veränderungen angedacht. So wird am Beispiel von Keynes, aufgezeigt, dass Fortschritt nicht verbesserte Gesellschaften bedeutet. Vor neunzig Jahren mutmaßte er, aufgrund der Entwicklung neuer Technologien in der Zukunft, also in unserem Heute könnte die Gesellschaft „weise, angenehm und gut leben“. Auch der Glaube, nur wirtschaftliches Wachstum sei die Grundlage besseren Lebens wird hinterfragt, neben das BIP sollte ein Indikator stehen, der das Wohlleben (well-being) berücksichtigt.

Am Ende jedes Kapitels steht eine Zusammenfassung, die auch Anregungen gibt, wie das Gesagte verarbeitet oder weitergetragen werden kann. Das schätzte ich schon in ihrem Buch „Unsere Welt neu denken,“ das ich hier auch rezensiert habe Rezension: Unsere Welt neu denken: Eine Einladung von Maja Göpel Hier ein Beispiel: „Wichtig ist in diesen Zeiten, klare Prioritäten zu setzen und neue Geschichten zu erfinden, die uns Orientierung für das Wünschenswerte und Mögliche geben, Sinn verleihen und ansteckend sind. Richten wir den Rückspiegel nach vorn, ist das Loslassen nicht mehr so schwer. Merke: in Jedem Vergehen steckt ein Entstehen.“

Die weitere Entwicklung könne auch im Kapitalismus geschehen, hier gibt es das Beispiel vom Bielefelder Produzenten von Insektiziden, Hans Reckhaus, der über Jahrzehnte das Konzept, möglichst viel zu verkaufen, umwandelte in Aktivitäten, die dem Insektensterben Einhalt gebieten: Aufschriften auf den Giften, aber auch Insektenschutzräume auf dem Dach seines Betriebes.

Dazu müssen Spielregeln geändert werden: Eine meiner Lieblingsstellen war die Entwicklung von Monopoly, entwickelt von einer Sekretärin mit dem Ziel auf die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft hinzuweisen: „In kurzer Zeit, ich hoffe, in sehr kurzer Zeit, werden Männer und Frauen entdecken, dass sie arm sind, weil Carnegie und Rockefeller mehr haben, als sie ausgeben können. Das Spiel hieß The Landlord’s Game. Später entwickelte sie auch eine single tax, mit der Grundstücke besteuert wurden, wovon öffentliche Parks und Schulen errichtet wurden. Sie verkaufte die Rechte. Danach, in der Krise Ende der Zwanziger Jahre wurde es Monopoly genannt und die Regel so geändert, dass der/die Spieler/in lernt: Wer hat, dem wird gegeben. Und er/sie lernt, wenn ich nichts habe, muss ich verarmen und untergehen.

Neu war für mich die wundersame Geldvermehrung der Milliardäre in den USA. Wer dort spendet, spart Steuern.

Mir war schon vor Jahren aufgefallen, dass Bill Gates Impfungen in Entwicklungsländern förderte, und damit die Staaten zwang, Prioritäten dort zu setzen, wo vielleicht anderes nötiger wäre: Trinkwasser, Frauenbildung, Abwasserbeseitigung. Die dann eingesparten Steuern konnte er wieder investieren in: Impfstoffherstellende Firmen.

Eine weitere Stärke des Buches sind ihre Erfahrungen als Rednerin, wie sie die Zuhörer/innen motiviert, das Gehörte weiter zu tragen. Und sie fragt sich, warum die Fachleute der Firmen nicht selbst ihr Wissen in die Debatten einbringen, wie ein Betrieb „grüner“ wird. Keiner möchte die Hiobsbotschaften überbringen, was alles geändert werden muss. Dafür bucht man lieber eine Transformationsforscherin, die nur einmal einen Vortrag hält…

Das Buch wird dann mit über fünfzig Seiten mit Quellenangaben abgerundet.

 


Genre: Entwicklung ökonomischer Theorien, Klimakrise, Transformationsforschung
Illustrated by Ullstein