Memento mori
Der 2023 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Roman von Jean-Baptiste Andrea ist jüngst unter dem Titel «Alles was ich von ihr weiß» auf Deutsch erschienen. Die Jury lobte das Buch als «ein typisches Fresco, eine Meditation über Präsenz und Abwesenheit». Schon vor der Preisverleihung war der Roman in Frankreich ein Bestseller, die Aufnahme hierzulande ist dagegen bisher eher verhalten, das Feuilleton ignoriert ihn weitgehend. Als ein «massentaugliches, professionell inszeniertes Historien-Spektakel» ist der Roman trotz solcherart Kritik eine spannende und bereichernde Lektüre, die den Zeitraum zwischen Erstem Weltkrieg, dem Aufstieg des Faschismus in Italien, Zweitem Weltkrieg und dem politischen Wandel danach umspannt.
Von wenigen auktorialen Einsprengseln abgesehen wird die Geschichte des kleinwüchsigen Bildhauers Michelangelo Vitaliani genannt Mimo von ihm selbst erzählt. Er wurde als Sohn eines Bildhauers in Frankreich 1904 in Armut geboren und nach dem frühen Tod seines Vaters im Weltkrieg von der Mutter zu einem Onkel nach Italien geschickt, weil sie ihn kaum ernähren kann. Dort soll er das Handwerk des Steinbildhauers erlernen, wird aber erbarmungslos ausgenutzt. In dem kleinen ligurischen Dorf Pietra d’Alba lernt er schon bald die auf den Tag genau gleichaltrige Viola kennen, Tochter aus der angesehenen Adelsfamilie der Orsinis. Nicht nur der identische Geburtstag verbindet die beiden Dreizehnjährigen, sie sind auf ihre jeweilige Art auch Außenseiter der Gesellschaft. Mimo wird als Zwerg gehänselt und ist allgemein nur der ‹Franchese›, der nirgendwo so richtig dazugehört. Viola ist ein Freigeist, blitzgescheit, sehr belesen, unkonventionell und voller verrückter Ideen. Sie findet in Mimo einen Gleichgesinnten, der ihr gerne folgt bei ihren Kapriolen und dem sie bildungsmäßig auf die Sprünge hilft, indem sie ihm heimlich Bücher aus der Bibliothek des Vaters zum Lesen bringt. Unermüdlich sorgt sie dafür, dass er geistig aus seinem Milieu herausfindet, diskutiert viel mit ihm, wodurch zwar ihre geistige Verbundenheit immer enger wird, – aber eben auch auf das Geistige reduziert bleibt.
Mit der Zeit entwickelt sich Mimo zu einem gefeierten Künstler, die Auftraggeber stehen Schlange bei ihm. Er wird ein wohlhabender Mann, geht nach Florenz und später auch nach Rom. Immer enger werden seine Verbindungen mit der Familie Orsini, deren ältester Sohn Karriere in der Kirche macht und am Ende sogar Kardinal wird. Durch ihn bekommt Mimo dann auch lukrative Aufträge aus dem Vatikan, während der andere Bruder sich den Faschisten anschließt. Viola animiert Mimo zu nächtlichen Ausflügen auf den Friedhof, um auf einem Grabstein liegend den Stimmen der Toten zu lauschen. Sie ist mit einer Bärin befreundet und besucht sie in deren Höhle, realisiert schließlich an ihrem sechzehnten Geburtstag den Traum vom Fliegen mit einem selbstgebauten Flugobjekt, was fatal endet. Im Gegensatz zum Ich-Erzähler Mimo ist sie eher eine Randfigur, von der man wenig erfährt, auch wenn die Beiden ein Leben lang eng verbunden bleiben, von gelegentlichen Auszeiten unterbrochen, in denen sie sich jahrelang nicht mehr begegnen, weil Mimos Leben sich in Florenz oder Rom abspielt.
Der Roman endet mit dem Tod des 82jährigen Mimo in einem Kloster, in dem auch seine von der Kirche für die Öffentlichkeit verborgene Pieta seit langem schon lagert, sie war für den Klerus mit ihrer selbstbewussten Ausstrahlung ein Ärgernis gewesen und wurde nie gezeigt. Die vom Plot her raffiniert aufgebaute Geschichte eines Bildhauers bildet über den Zeitraum von 82 Jahren hinweg die Höhen und Tiefen eines ungewöhnlichen Menschen ab, dabei zwischen Traum und Realität oszillierend. Alle Figuren sind anschaulich beschrieben, ohne dass ihr Wesen allerdings in die Tiefe gehend ausgeleuchtet wird, vieles bleibt im Dunkeln. Gleichwohl ist die Lektüre dieses nie langweiligen Romans lohnend, auch wenn er, Buchpreis hin oder her, mit seiner Thematik des ‹Memento mori› nicht gerade gute Laune erzeugt, -muss er ja auch nicht!
Fazit: lesenswert
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Woher ich kam. Ausgehend von ihrer Urururururgroßmutter Elizabeth Scott, die 1766 geboren wurde, rollt die Schriftstellerin Joan Didion (1934-2021) die Geschichte ihrer Familie – vor allem aber die Kaliforniens – neu auf. Zumeist ging der vielgerühmte “Pioniergeist” der Erschließung des amerikanischen Kontinents bis in den äußersten Westen allerdings auf Kosten der amerikanischen Regierung, wie Didion ernüchternd feststellt.
In der Reihe Modern Classics erschien dieses Jahr, 2025, die vorliegende Neuausgabe des großen Romans des Jazz Age. Tatsächlich sind es genau 100 Jahre her, dass The Great Gatsby erstmals erschien. Die Handlung spielt im New York des Jahres 1922.
Die Autorin, deren Namen auf dem Titel vergrößert geschrieben ist, hat in einem flotten Stil von ihrer Arbeit als geschäftsführende Vorständin von Viva con Agua e.v. berichtet und alle Fragen, die auf dem Titel gestellt werden, beantwortet; gerne mit Ich-Botschaften.
Selbstzerstörerische Liebesblödigkeit
Unterhaltungs-Literatur im besten Sinne
Amüsante Arzt/Patienten-Umkehr
In der Woche zwier
Konfuse innere Monologe
