Das Herz des Jägers

Thobela Mpayipheli ist ein großer und starker Mann. Er arbeitet als „Mädchen für alles“ in einer BMW-Motorrad-Vertretung in Kapstadt. Thobela Mpayipheli hat eine Freundin, die er liebt und deren kleiner Sohn hat an ihm einen Narren gefressen.
Thobela Mpayipheli führte einmal ein ganz und gar nicht so friedliches Leben. Während der letzten Jahre des rassistischen Apartheidregimes war er „Umzingeli“ – was in der Sprache seines Volkes, der Xhosa, Jäger bedeutet. Dieser Riese war ein Soldat des bewaffneten Arms der südafrikanischen Befreiungsbewegung African National Congress von Nelson Mandela.
Als eines Tages ein alter Freund von Thobela die Begleichung einer Ehrenschuld einfordert, bricht dieses vorherige Leben in sein Jetziges hinein und verändert von einem Tag auf den anderen Alles.

Thobela soll eine Festplatte mit Datenmaterial für seinen Freund nach Mozambique bringen. Dort halten Unbekannte diesen Freund gefangen und drohen ihn umzubringen, falls diese Festplatte nicht binnen 48 Stunden ausgeliefert wird. Mit einer schweren BMW, einem Geländegängigen Motorrad macht sich Thobela auf den Weg. Dabei wird er vom südafrikanischen Geheimdienst verfolgt, der die Auslieferung der Daten verhindern möchte. Die Reise, die wir lesend mitverfolgen ist zugleich eine Reise zurück in die jüngere Geschichte Südafrikas. Der Befreiungskampf gegen die Rassisten, die Ausbildung Thobelas zum Agenten der Befreiungsarmee und dessen Leben als „Tötungsmaschine der Befreiung“ wird ebenso Thema, wie die Wehen, unter denen die südafrikanische Demokratie seit dem Ende des Apartheidregimes geboren wird.

Dieser Thriller ist sowohl eine spannende Geschichtslektüre als auch ein mitreißender Roman, den man nur schwer aus der Hand legen kann. Prädikat: Hochspannend.

Deon Meyer wurde 1958 in Südafrika geboren. Als Reporter arbeitete er lange Zeit, bevor er 1994 seinen ersten Roman vorlegte. Heute gilt er als der erfolgreichste Krimiautor Südafrikas. Deon Meyer schreibt seine Bücher in Afrikaans und lässt sie dann ins Englische übersetzen.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Unbekannter Verlag

Das Mädchen, das sterben sollte

Auf dem Filmset von Megastar Thomas Bayne in der libyschen Wüste geht eine Bombe hoch und tötet fast hundert Leute. Die Welt hält 99 Minuten lang den Atem an, bis feststeht, dass Bayne nicht zu den Getöteten zählt. Während dessen sucht die 28jährige Fremdenführerin Susan Mantle eine Wahrsagerin, Dawn Sage, auf, mit der sie in einem Haus wohnt. Von ihr will sie wissen, ob ihr neuer Freund der Richtige für sie ist. Doch die Prophezeiung der geheimnisvollen Seherin wirft sie aus der Bahn. »Sie werden berühmt. Sie werden reich. Sie werden über Erde und Wasser reisen. Sie werden einem großen dunklen Fremden begegnen. Sie werden Nein zu ihm sagen bis zu dem Tag, an dem Sie Ja sagen. Am Tag darauf werden Sie sterben.«

Völlig verwirrt stolpert Susan aus der Höhle der Wahrsagerin und läuft tränenüberströmt einem Fernsehteam in die Arme, das Stellungnahmen zu dem Attentat sammelt. »Dem Tod wird kein Reich mehr bleiben«, stammelt sie unter dem Eindruck der Nachricht vom bevor stehenden eigenen Tod weinend in die Kamera, ohne zu wissen, worum es den Interviewern überhaupt geht. Die mysteriöse Stellungnahme gelangt in die Nachrichten und wird dort immer wieder gezeigt. Bald ist Susan »das geheimnisvolle Mädchen« und wird über Nacht berühmt. Die erste Prophezeiung der Wahrsagerin geht damit in Erfüllung.

Schon am nächsten Tag ist das geheimnisvolle Mädchen in aller Munde. Zeitungen drucken ihr Konterfei und PR-Berater belagern sie am Telefon. Von einem Unbekannten wird eine Million Dollar auf ihr Konto überwiesen, und damit trifft auch der zweite Teil der Weissagung ein. Susan bekommt Angst und würde am liebsten der Wahrsagerin die anonyme Million überweisen, damit keine weiteren Voraussagen in Erfüllung gehen. Ehe sie sich versieht, haben jedoch die Medien Besitz von ihr ergriffen. Filmstars, Rockgenies und die Shakespeare Company wollen mit ihr gemeinsam auf Sendung gehen, doch sie verkriecht sich in ihrem Bett, um dem verkündeten Schicksal zu entgehen. Clevere Fernsehleute machen daraus die Reality-Show »The Babe in Bed Forever«.

Susan Mantle will einfach nicht berühmt werden und wehrt sich gegen das Liebeswerben quotengieriger TV-Typen, spirituell erleuchteter Hollywood-Stars, Ex-Lover und angeblicher Freundinnen, die sich um sie versammeln. Je mehr sie sich dem Trubel zu entziehen versucht, desto mehr wird sie in den Mahlstrom hinein gezogen. Selbst verliebte Zyniker, Depressive und voll verblödete Typen geben sich die Tür in die Hand und lassen ein Bild vom Narrenhaus entstehen, das sich Fernsehen nennt.

Das Buch, dessen Titel im ersten Augenblick wie ein Kriminalroman wirkt, ist tatsächlich ein höchst verschachtelter Dialogroman mit Anspruch. Der gesamte Text besteht ausschließlich aus ständigen Telefonaten und Gesprächen mit Eltern, Freundinnen, Freunden, Managern und anderen Figuren. Abgesehen von der Kunstfertigkeit, mit der die Handlung entwickelt und erzählt wird, verlangt der Text vom Leser höchste Konzentration, um der Satire folgen zu können.


Genre: Romane
Illustrated by Kunstmann München

November 1918 – Eine Deutsche Revolution

Band 1: Bürger und Soldaten

Es sind die ersten Novembertage des Jahres 1918, der Kaiser ist nach Holland geflüchtet, der Krieg für Deutschland verloren. In einem elsässischen Städtchen warten Soldaten und Zivilisten gleichermaßen gebannt auf Neuigkeiten in diesen unruhigen Zeiten der Irrungen und Wirrungen, sie hören die Kunde einer Revolution, ausgehend von Matrosen in Wilhelmshaven und von dort weiter getragen in das ganze deutsche Reich. Wir begleiten – unter anderen – den verwundeten Oberleutnant Becker, einen Gymnasiallehrer auf der Suche nach neuen Werten und dürfen miterleben, wie die tief gespaltene Bevölkerung sich auf die Besetzung durch französische Truppen vorbereitet.

Band 2: Verratenes Volk

Zerrissenheit herrscht auch in der Reichshauptstadt Berlin: Die regierenden Sozialdemokraten Ebert und Scheidemann paktieren im Geheimen mit den alten Mächten, die sich um General Hindenburg scharen; hart bedrängt von den Spartakisten Karl Liebknecht und Kurt Eisner, dem bayerischen Ministerpräsidenten, die nicht bereit sind, ihre Ideale zu verraten und deshalb auf eine echte sozialistische Revolution pochen. Doch wiederum folgen wir ebenso den einfachen Leuten auf ihren verschlungenen Wegen, treffen elegante Kriegsgewinnler und dekadente Schieber, versprengte Deserteure und lustige Witwen. Auch Becker ist wieder in Berlin bei seiner Mutter, wo er sich von den Verletzungen an Körper und Seele erholt. Die politische Krise eskaliert, als am 6. Dezember Gardesoldaten unbewaffnete Spartakus-Demonstranten angreifen und dabei etliche töten.

Band 3: Heimkehr der Fronttruppen

US-Präsident Wilson reist per Schiff nach Europa um seine humanistischen Vorstellungen einer neuen Weltordnung zu präsentieren, aber seine Vision eines gerechten und dauerhaften Friedens und der Aufbau eines Völkerbundes scheitern in der Konferenz von Versailles am Kleingeist und Egoismus der europäischen Staaten. Währenddessen kehren in Deutschland die Soldaten aus dem Krieg heim, ermüdet und desillusioniert zerfällt die einst so gefürchtete Armee. Die Reichsregierung gerät zunehmend zwischen die Fronten der Generale und Spartakisten; der Kleinbürger Ebert verliert dabei immer mehr den Überblick und auch seine letzten Ideale. Becker dagegen findet in der Krankenschwester Hilde eine neue Liebe und kämpft zusammen mit ihr gegen dunkle Dämonen der Depression und Kriegsbilder, die ihn immer wieder quälen. Schließlich gelangt er zum christlichen Glauben, allerdings zu der radikalen Variante des Neuen Testaments; eine Wandlung, die ihn Freunde und Weggefährten kostet.

Band 4: Karl und Rosa

Becker kehrt für kurze Zeit in den Schuldienst zurück, doch er bemerkt schnell, dass das nicht mehr seine Welt ist. Er verliert seine Liebste und wird auf eine harte Probe gestellt: Seine Güte und Menschlichkeit führen ihn in das von Spartakisten besetzte Polizeipräsidium, als es von Regierungstruppen angegriffen wird. Schnell erkennt er, wohin er gehört und kämpft Seite an Seite mit seinen neuen Genossen. Er wird verwundet und festgenommen, lehnt aber eine Begnadigung ab und geht für 3 Jahre ins Gefängnis. Unfähig, sich danach wieder in die ihm fremd gewordene bürgerliche Gesellschaft einzufügen, zieht er als Landstreicher und Rebell durch die Gegend, um schließlich einsam, doch mit geretteter Seele zu sterben.

Rückblende auf die Kriegsjahre: Die revolutionäre Freiheitskämpferin Rosa Luxemburg sitzt in einem Breslauer Kerker und leidet unter der ihr aufgezwungenen Tatenlosigkeit. Endlich ist der Krieg zu Ende und sie – wie auch Karl Liebknecht – wird entlassen. Die beiden gehen nach Berlin, wo sie dringend gebraucht werden, denn Reichskanzler Ebert tut dort alles, um die Revolution zu stoppen. Die Stunde scheint günstig für die Aufständischen, Liebknecht mobilisiert die Massen, doch anstatt gemeinsam dieses Potenzial zu nützen, ergehen sich die übrigen Parteiführer in endlosen Diskussionen und Theoriedebatten; es sind eben sehr deutsche Revolutionäre. Die Regierung wird von derartigen Skrupeln nicht geplagt, Ebert überlässt es seinem Bluthund Noske, die Gegenrevolution zu organisieren und der fackelt nicht lange. Inzwischen in Berlin eingetroffene Offizierstruppen jagen Karl und Rosa, fassen sie schließlich mit Hilfe von Verrätern und erschlagen die beiden auf der Stelle man schreibt den 15. Januar 1919. Die feigen Mörder gehen mit Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung straffrei aus, die deutsche Revolution ist zu Ende.

Alfred Döblin ist den meisten Literaturfreunden wohl hauptsächlich durch „Berlin Alexanderplatz“ bekannt, ein Buch, das mich ehrlich gesagt nie sonderlich begeistert hat. In seiner Revolutionstetralogie dagegen zeigt er, dass er sein Handwerk wirklich versteht: Ohne falsches Pathos verknüpft der Autor die historische Entwicklung mit den Geschicken zahlreicher fiktiver Romanfiguren, dabei entsteht ein wunderbar schlüssiges Gesamtbild, ein Sittengemälde dieser spannenden Zeit. Trotz etlicher Nebenhandlungen verzettelt er sich nicht, der Fokus bleibt stets streng erhalten. Die Bücher sind in überschauliche Kapitel gegliedert, die sich in Stil und Inhalt bisweilen erheblich unterscheiden. Mystischen Begegnungen der Protagonisten mit Geistern, Engeln und Dämonen folgen nüchterne Beschreibungen von Truppenverschiebungen, allzu menschliche Liebesaffären werden abgelöst durch tagebuchähnliche Gedanken der Spree in Berlin und wenn es nötig ist, meldet sich der Verfasser auch selbst zu Wort.

„November 1918“ ist weitaus mehr als die Verarbeitung historischer Ereignisse, Döblin erteilt eine Geschichtslektion und bezieht Stellung: Deutlich zutage tritt seine kritische Sympathie für die Revolutionäre des Spartakusbundes (nicht umsonst trägt Band 4 den Titel „Karl und Rosa“), ebenso wie seine Verachtung für die Sozialdemokratie der Genossen Ebert und Noske, die für ihren Verrat am Volk und der Sache mit sorgfältig ausgesuchten Worten voller Zynismus und Sarkasmus bedacht werden. Aber auch die andere Seite bekommt ihr Fett weg; für eine echte Revolution waren sie wohl doch zu deutsch, Respekt vor den Symbolen des Staates, aber auch vor den Theorien ihrer geistigen Lehrer verhinderten die notwendige Spontaneität und Skrupellosigkeit.

Die vier Romane schrieb Döblin in einem Zeitraum von mehr als 15 Jahren auf der Flucht vor den Nazis im Exil. Eine der Hauptfiguren, Studienrat Dr. Friedrich Becker, trägt autobiographische Züge, denn wie der Autor findet er schließlich zum christlichen Glauben in einer radikalen Prägung, die ihm ein Verbleiben in der bürgerlichen Gesellschaft unmöglich macht. Auch Döblin sah sich mit verschiedenen Problemen konfrontiert, als er nach dem zweiten Weltkrieg sein Manuskript anbot; erst in den 70er-Jahren wurde das Werk in kompletter Form veröffentlicht. Nicht nur denen, die sich für diesen Abschnitt deutscher Geschichte interessieren, sondern auch allen anderen, die einfach Freude an gepflegter Literatur empfinden lege ich es wärmstens ans Herz.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Politik und Gesellschaft
Illustrated by dtv München

Pornostern

PornosternNamenlos jobbt ohne Erfolg und Anspruch in einer Versicherungsagentur und fristet ein eher erbärmliches Junggesellendasein. Lediglich Ex-Freundin Andrea dringt gelegentlich telefonisch zu ihm durch und erkundigt sich nach seinem Zustand. Ansonsten ist sein einziger Gesprächspartner ein kleiner braungrüner Kaktus, der aus einem Müllhaufen stammt. Diesen stacheligen Mitbewohner tauft er »Rod«, weil dies auf einem Etikett an dessen Unterseite steht.

Seine Zeit verbringt der Ich-Erzähler am liebsten vor dem Fernseher oder in seiner Stammkneipe »Peaches«. Dort verpasst er sich die tägliche Dröhnung. Eines eintönigen Tages lernt er einen Goldkettchenträger kennen, der ihm wie eine Mischung aus Zuhälter und Ramschkönig vorkommt. Der neue Bekannte entpuppt sich als Betreiber eines Pornolabels und bietet ihm einen Job an. Nach einem kurzen Disput zwischen seiner ständigen Trägheit und einer beklemmenden Ebbe des Kontostandes nimmt er das Angebot an und tritt seinen Dienst als Deckhengst des Filmchenmachers an. Künftig darf er willige Novizinnen vor der Kamera vögeln und wird dafür sogar noch gut bezahlt.

Skrupel sind ihm fremd, und über Geschmack macht er sich keine Gedanken. Besonderen Genuss bietet ihm lediglich ein Wiedersehen mit einer Beraterin einer Arbeitsvermittlung, der er nach Vollzug ins Gesicht spritzen und sagen darf, er habe jetzt den seiner Qualifikation entsprechenden Job gefunden.

In seiner neuen Tätigkeit geht er voll auf und findet dabei sogar zu einer eigenen Identität. Als Hommage an seinen Kaktus wählt er den Künstlernamen Rod Reptile. Regelmäßige Nasen Koks, die ihm seine neuen Arbeitsgeber versorgen, tragen dazu bei, sein Selbstbewusstsein zu stärken. Sein Geld trägt er weiterhin in seine Stammkneipe, in der er eines schönen Tages sogar seine Traumfrau kennen lernt. Mit der knackigen Jasmin ist er bald fest zusammen und genießt die Zweisamkeit.

Da er ahnt, dass seine neue Liebe wenig erbaut auf seine Erwerbstätigkeit reagieren würde, täuscht er sie mit Lügengeschichten. Wenn das Telefon klingelt, steht er weiterhin stets zur Verfügung, um neue Damen, wie die 24jährige Fitnesstrainerin Claudia, die »neue Herausforderungen« sucht und sich als Filmsternchen bewirbt, einem gründlichen Leistungstest zu unterziehen. So kommt es, wie es kommen muss: eines bösen Tages wirft Jasmin ihrem geliebten Rod eine DVD mit dem prosaischen Titel »Ehehuren«, in der er als Hauptdarsteller wirkt, vor die Füße und verlässt ihn tief enttäuscht.

Rod Reptile ist wieder mutterseelenallein und steigt noch tiefer ins Pornobusiness ein. Er träumt von einer Solokarriere mit professionellen Darstellerinnen und entwickelt sich allzeit bereit, immer bereit, zum Pornostern. Koks, Aufputschmittel, Alkohol und Potenzpillen helfen ihm, in jeder Situation als Mann zu bestehen. Dabei bricht er charakterlich immer tiefer ein und führt bald nur noch ein Leben auf Speed. Seine Auftraggeber lassen ihn fallen. Als eines schlimmen Tages zu allem Übel auch noch sein einziger Freund, der Kaktus Rod, wegen mangelnder Aufmerksamkeit sein Leben aushaucht, will er endgültig alles ändern. Er springt in einen Zug und folgt Jasmin. Ein Happy-End bleibt aus.

Strasser baut die Geschichte von Rod Reptile geschickt und nachvollziehbar auf. Im Dialog mit dem Kaktus bedient der 34-jährige Düsseldorfer Autor sich eines Kunstmittels, das literarische Qualität hat. Er erzählt seine Story in lakonisch-distanziertem Stil und verzichtet auf die klebrige Ausschmückung eines Soft-Pornos. Damit enttäuscht er vermutlich die Hoffnungen der Voyeure, die zu dem Buch greifen, weil sie hinter dem Titel eine saftige Sexstory wittern. »Pornostern« lüftet hingegen einen Zipfel des Vorhangs der Sexindustrie und liest sich als eigenwilliger und durchaus nachvollziehbarer Bericht.


Genre: Romane
Illustrated by Ubooks Diedorf

Sense

Kristof Kryszinksi erwacht nach durchzechter Nacht mit dröhnendem Schädel in seiner Matratzengruft neben einer Leiche. Der Tote ist der Automatenkönig Sascha, den der Privatdetektiv eigentlich gesund und munter ausfindig machen sollte. Die attraktive Gattin des Spielhöllenbetreibers hatte den Schnüffler angeheuert, weil Männe die Einnahmen nicht wie gewohnt brav daheim abgeliefert hatte sondern spurlos verschwand. Nun ist der Mann mausetot und liegt in seinem Blut. Kryzinski hat den lukrativen Auftrag ergo voll vor die Wand gefahren, und seine »Freunde« von der Bulleria halten ihn zu allem Überfluss auch noch für den Mörder.

Vor diesem Hintergrund geht der vollkommen heruntergekommene Detektiv in den düstersten Ecken zwischen Essen, Bochum und Gelsenkirchen auf die Suche nach seinem Alibi und dem Hergang des Geschehens. Kryszinski geht nicht wirklich auf die Suche. Was er unter Suche versteht, ist ein chaotisches Herumstöbern mit dem Ziel, etwas aufzuspüren oder aufzuscheuchen, das ihn seiner Sache näher bringt. Er schwört dabei auf seinen »Instinkt«. Hat er aber erst einmal eine Fährte aufgenommen, dann verstärkt er den Druck durch sofortiges Hinterherhetzen. Bleibt das ohne Erfolg, kehrt er zurück zum Ausgangspunkt und spickt das Terrain mit Lockmitteln, Ködern und Fallen. Seine Technik nennt er »Jagd«.

Das »private eye« bewegt sich bevorzugt im Rotlichtmilieu zwischen seiner Stammkneipe »Endstation«, Abwrackplätzen und Lasterhöhlen. Dabei versucht er, eines der letzten Abenteuer des Alltags zu bestehen und 24 Stunden ohne Alkohol und Koks zu bleiben. Das fällt ihm spürbar schwer, und so sieht er wie etwas aus, das ein Hund im Wald gefunden, runter geschlungen und dann daheim aufs Kanapee gewürgt hat. Bevorzugt schleudert er in betagten japanischen Spritfressern durch die Landschaft und schafft es durch seine Auftritte, eine gehörige Portion Unruhe in die Halbwelt des Pütts zu bringen. Farbenprächtige Schlägereien in Kneipen und Clubs, wilde Verfolgungsjagden über Stock und Stein in gestohlenen Autos sowie wüste Sauf- und Drogenexzesse reihen sich wie Perlen auf eine Schnur und liefern alles, was ein Krimi bieten sollte.

Juretzka serviert eine brillante Kombination von Wortwitz und Sprachgewalt Die furztrockene, mit schwarzem Humor gewürzte Sprache des Kohlenpott-Chandlers macht es zu einem großen Vergnügen, diesen chaotischen Krimi zu lesen. Es handelt sich dabei um den Auftakt einer kantigen Detektiv-Reihe um den Mühlheimer Antihelden Kryszinski, die zwischenzeitlich eine Reihe Preise bunkern konnte und eine wachsende Zahl von Fans findet. Dieser Roman ist großes Kino!

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Bernemann wird alt. Inzwischen hat er die 30 deutlich überschritten und ist immer noch auf der Suche nach sich selbst. Als Autor möchte er weder schubladisierbar noch schubladesk sein und behauptet, seine Literatur führe eine Art Angriffskrieg. Davon ist in seiner nunmehr vierten Buchveröffentlichung leider wenig zu spüren.

Ubooks hat seinen bisher einzigen Bestseller-Autor dazu verdammt, Neues auf den Markt zu werfen. So greift der geforderte Autor in die Ablage und zaubert einige halbgare Texte hervor, um sein Publikum zu beglücken. Er nennt sie »persönlich«. Alle, die seine Texte kennen, meint Bernemann, hielten ihn für einen Depressiven, manisch Fingernägel kauenden und ewig beunruhigten Alptraumtänzer, einen weit draußen Stehenden, der so far out of space zu sein scheint, dass er »nur an Weltraumbahnhöfen verweltreist«. Tatsächlich will er ein »Kopfkrieg-Youth« sein. »Ich bin ein Modeschmuckgeschäft, in dem es lediglich Assoziationsketten gibt«, brüllt er die Alleen entlang, wenn er zwischen Leipzig, Herne und Trier auf die Suche nach dem Leser geht.

Zum Beweis publiziert er einige kurze Geschichten im Genre Fuckrockblutkotzeliteratur. Das Material füllt kein Buch, Bernemann greift zur Technik, die er schon in seinem Erstling »Ich hab die Unschuld kotzen sehen« anwandte: er schiebt dreißig Seiten Gedichte und Songtexte ein, die er »lyrische Manifeste« nennt. Und tatsächlich: mehr als Assoziationsketten bietet er nicht.

Seiner Zielgruppe, der »schwarzen« Subkultur im Rahmen der Post-Punk- und Dark-Wave-Bewegung, mag das vielleicht genügen. Mit Hilfe eines Lektors, der sein Potential fordert, könnte aus ihm jedoch deutlich mehr werden. Geschichten wie »Der Campingstuhl« jedenfalls zeigen das literarische Vermögen des Autors: ein 18jähriges Mädchen zieht mit einem frisch erworbenen Sitzmöbel auf ein wildes Rockfestival und definiert sich darüber. Auf diesem Klappstuhl sitzt sie als ultimativ Gerockte und betrachtet das Universum, das sich ihr bald in Form von Bier, Schnaps, Haschisch und fröhlichen Freiern vorstellt und findet sich dabei maximal cool und extravagant.

Die eindrucksvolle Beschreibung der Fete rund um das Klappmöbel beweist auch, dass sich im Selbstverständnis junger Leute und ihrer Erlebniswelt in den zurück liegenden 30 Jahren wenig geändert hat und auch die Subkultur immer noch in ihrem Wesen beständig ist. Insofern ist die Lektüre dieses literarischen Kleinods auch für die Altersgruppe 30+ durchaus geeignet. Ob eine Story allerdings genügt, das Buch zu kaufen, mag jeder selbst entscheiden.


Genre: Underground
Illustrated by Ubooks Diedorf

Codex Regius

Der Nordistik-Student Valdemar kommt 1955 an die Universität Kopenhagen um dort die isländischen mittelalterlichen Handschriften zu studieren. Sein Professor an der Uni Kopenhagen gilt als die Koryphäe in seinem Fach. Mit dem erhofften vertiefenden Studium wird es allerdings nichts. Stattdessen wird Valdemar mit seinem Professor in Indiana-Jones-Manier aus Kopenhagen über Berlin und Schwerin nach Island durch allerlei turbulente und durchaus abenteuerliche Szenen getrieben. Was sich so liest, als handele es sich bei diesem Buch um einen vielleicht kurzweiligen aber ansonsten banalen Abenteuerroman mit historischem Hintergrund, täuscht. In Wirklichkeit hat der isländische Schriftsteller Arnaldur Indridason einen überaus spannenden Roman vorgelegt, in dem es um die Bedeutung der historischen Handschriften für die kulturelle Identität der Isländischen Nation und den persönlichen Mut gegenüber Tyrannei und Völkerhass geht.

„In keinem anderen Land des Nordens sind im Mittelalter so viele Pergamentmanuskripte entstanden wie ausgerechnet im kleinsten von ihnen, Island“ schreibt die Übersetzerin der Bücher von Arnaldur Indridason in ihrer informativen Nachbemerkung über isländische Handschriften, die dem neuesten Roman Indridasons folgt.
Der Roman trägt den Titel „Codex Regius“ und tatsächlich spielen nicht eigentlich die beiden Protagonisten, der Student Valdemar und sein Professor die Hauptrolle, sondern diese mittelalterliche Handschrift, die auch unter dem Namen „Lieder-Edda“ bekannt ist.
Die Suche nach ihr eröffnet das Buch, dessen erstes Kapitel im Jahre 1863 beginnt und mit einem Mord endet. Tote hinterlässt auch die weitere Handlung im Buch, die mit einem Prolog im Jahre 1971 endet: Der Heimkehr des frisch gebackenen Literatur-Nobelpreisträgers Haldor Laxness mit dem Schiff aus Kopenhagen nach Island. Der Hauptteil der Handlung aber spielt im Jahre 1955 und erzählt nicht nur von Valdemar, seinen Versuchen ein Experte für isländische Handschriften mithilfe eines Professors zu werden, der allerdings eher dem Alkohol zugeneigt zu sein scheint, als der Wissenschaft. Lesend begegnen wir auch einer Gruppe von Nazis, die den Codex Regius für ihre rassistischen Wahnvorstellungen instrumentalisieren wollen und im Buch nur „die Wagneriten“ genannt werden: Eine Anspielung auf den „Ring der Nibelungen“ von Richard Wagner und der Instrumentalisierung dieser Musik durch die Nazis.
Arnaldur Indridason gelingt es in „Codex Regius“, Fragen um die Bedeutung von Literatur für das Individuum, die kulturelle Identität einer Nation und nach persönlichem Mut gegenüber Brutalität und Tyrannei mit einer spannenden Handlung zu verbinden, die die Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite trägt. Viel mehr kann man kaum verlangen.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Kleiner Genialer Weinführer 2009

Weinführer, auch die fachlich sehr guten Werke, haben zumeist ein Manko: Die Autoren frönen einer Sprache, die es allen uneingeweihten Weintrinkern schwer macht, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und zu verstehen, was die Autoren eigentlich mitteilen wollen. Man kann Weine aber auch so beschreiben und bewerten, dass man nicht nur verstanden wird, sondern dass die Lektüre sogar Spaß macht. Einer der ganz wenigen Weinautoren, denen dies gelingt, ist Stuart Pigott.
Mit seinem nunmehr im fünften Jahr erscheinenden „Kleiner Genialer Weinführer“ ebnet Pigott den Weg zu interessanten und guten Weinen auf einem längst unüberschaubar gewordenen Markt.
Der „Kleine Geniale Weinführer“ ist anders aufgebaut, als üblicherweise Weinführer gegliedert sind. Vergeblich wird man im Inhaltsverzeichnis eine Unterteilung der besprochenen Weine nach Anbaugebieten und Ländern suchen. Pigott geht bewusst und konsequent subjektiv vor. Zunächst werden die Leserinnen und Leser über wichtige Grundregeln des Umgangs mit Wein á la Stuart Pigott aufgeklärt. Wer allerdings glaubt, damit endlich einen Wein-Kanon gefunden zu haben, täuscht sich. Pigotts Regelwerk negiert jegliche Schemata im Umgang mit Wein: „Gesetz 1: Der Wein ist genauso gut oder schlecht, wie er für Sie jetzt riecht und schmeckt (…). Gesetz 2: Beim Wein gibt es keine Relation zwischen Preis und Qualität. (…) Gesetz 3: Wein ist nicht annähernd so kompliziert oder empfindlich, wie allgemein angenommen wird. (…) Gesetz 4: Es gibt keine falschen Worte, um Wein zu beschreiben. (…) Gesetz 5: Es gibt nur einen Fehler, den man beim Wein machen kann – den anderen den Spaß zu verderben. (…)“

Hat man sich mit diesen „Gesetzen“ angefreundet, erfährt man noch, welches die seiner Meinung nach zehn „größten, dümmsten und schlimmsten Wein-Irrtümer“ sind und wie man sie überwinden kann. Man lernt die Lieblings-Rebsorten für Rotweine und Weißweine des renommierten Journalisten kennen und erfährt manches darüber, welche Weine und Weingüter seine besondere Aufmerksamkeit erregen konnten.
Der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit den Beschreibungen und Bewertungen der einzelnen Weine. Diese werden in folgenden Kapiteln beschrieben: Trockene Rotweine; Süße Rotweine (Port & Co); Trockene Roséweine; Trockene Weißweine; Süße Weißweine; Weiße Schaumweine.
Pigotts Texte sind alles andere als technokratisch oder wolkig. Pigott hat einen literarischen Stil entwickelt, der seine subjektiven Bewertungen für andere Weinfreundinnen und Weinfreunde nachvollziehbar macht – und die Neugierde wecken. Als Beispiel sei die Beschreibung des süßen Weißweines der beiden Pfälzer Weingüter Hensel und Schneider, „Übermut“ (Rebsorten Muskat – Ottonel) zitiert (Seite 133):
„Wer einen deutschen Süßwein im üblichen Stil erwartet, wird ins Wein-All geschleudert! Wer Quittengelee, bittere Orangenmarmelade oder weißen Port mag, wird diese radikale Innovation mögen. Vorsicht beim Andocken!“

Ein Orts- und Produzentenregister sowie eine Liste von empfehlenswerten Weinhändlern rundet dieses kurzweilige und nützliche Buch ab.


Genre: Lexika und Nachschlagewerke
Illustrated by Scherz Frankfurt am Main

Hä??

Eine aufgebitchte Atze mit Achselkatze, Arschkordel und Arschvignette säuft Dackelwichse am Glutamat-Palast, während ihr Bonsaikeimling vor einem Komposthaufen herum bounct, statt zum Brettergymnasium zu gehen. Da überreicht ihr ein bratziger Hunger-Harry im Asselanzug mit Butterkopf, der frisch aus der Fantafarm kommt, einen Heuchlerbesen …

Keine Peilung, Alter?

Wieder mal nix gerafft?

Dann wird es Zeit für die Anschaffung eines Lexikons der Jugendsprache, das der Verlag Langenscheidt soeben heraus gebracht hat.

500 Wörter und Sprüche aus der deutschen Jugendsprache wurden zusammen getragen und gleich noch ins britische und amerikanische Englisch, ins Italienische, Spanische und Französische übersetzt. Nachdem gerade die »Gammelfleischparty« als Vergnügung der Über-30jährigen zum Jugendwort des Jahres 2008 ernannt wurde, kommt dieses kleine Büchlein gerade recht.

Wer es braucht? Nun, vielleicht derjenige, der das obige Textbeispiel übersetzen möchte.

Und das bedeuten die mit Hilfe des Lexikons verfassten Eingangszeilen auf Hochdeutsch:

Eine aufgetakelte Frau mit starker Achselbehaarung, Stringtanga und Steisstattoo trinkt Eierlikör am Schnellimbiss, während ihr Kind vor einem Bioladen herum springt, statt die Sonderschule zu besuchen. Da überreicht ihr ein dümmlich wirkender magerer Mann im Trainingsanzug mit angeklatschten Haaren, der gerade aus der Entziehungsklinik kommt, einen Blumenstrauß …


Genre: Wörterbücher
Illustrated by Langenscheidt Berlin

Das Teubner Handbuch Saucen

Wie schön, wenn man ein wirklich gutes Kochbuch in den Händen hält. Im „Handbuch Saucen“ aus dem Teubner Verlag stimmen nicht nur die Fotographien und die Texte, sie harmonieren auch noch wunderbar miteinander. Die Texte sind verständlich und hilfreich und die Fotos unterstützen deren Aussagen. Eine Wohltat.

Das Buch erklärt die Grundlagen der Saucenherstellung. Es erzählt von Kräutern, Gewürzen und den anderen Zutaten, die für eine gute Sauce wichtig sind. Wie Fonds, Jus und Glace gemacht werden, bleibt ebenso wenig unbeantwortet wie die Frage nach den Rezepten für wichtige Grundsaucen. Auf den 448 Seiten wird die Welt der Saucen in Verbindung zum eigentlichen Gericht dargestellt: Welche Saucen passen zu Geflügel? Was schmeckt gut zu Fleisch und Wild? Was verlangt guter Fisch, was Salat, Gemüse, Teigwaren und womit „rückt“ man Süßwaren zu Leibe?
Die Antworten sind so formuliert, dass man das Buch nicht sehr lange in Händen hält. Aber nicht etwa, weil es etwas zu kritisieren gäbe, sondern weil der Inhalt im Gegenteil derart appetitlich ist, dass man sich zwangläufig und möglichst schnell in die eigene Küche begeben will, um etwas aus diesem wirklich hilfreichen Buch zuzubereiten. Wie wäre es beispielsweise mit einer Holundersauce zur gefüllten Wildhasenkeule? Oder kennen Sie Safran-Aioli? Schmeckt sehr gut zu Kartoffel-Lamm-Spießen.

Um an den Anfang dieser Buchbesprechung zurückzukehren: Ein gutes Kochbuch in den Händen zu halten, ist leider eher selten. Bei der Unmenge an Kochbüchern, die in den Buchhandlungen einen nicht unwesentlichen Teil der Regale bevölkern, klingt dies merkwürdig.
Was also macht ein gutes Kochbuch aus? Bevor wir einen Glaubenskrieg auslösen, bekennen wir: Auf diese Frage gibt es mehr als eine Antwort. Fangen wir also neu an: Was kann jedes gute Kochbuch entbehren? Vorworte der blumigen Art, die seitenlang nichts über die Materie, dafür umso mehr über die Autorin oder den Autor des Vorwortes verraten. Ebenso sinnlos sind Bilderstrecken, die mit den sie umgebenden Rezepten nichts gemein haben und allenfalls dazu dienen, der geneigten Betrachterin und dem staunenden Betrachter (Leserin bzw. Leser kann man in diesem Zusammenhang nicht schreiben, da es bei gemeinten Werken praktisch nichts zu lesen gibt) vor allem eines zu verdeutlichen: „Strengt Euch gar nicht erst an, so schön, wie unser Food-Fotograph bekommt ihr das sowieso niemals hin!“
Leider lässt sich solcherlei Kritik mittlerweile auf die Mehrzahl der auf dem Büchermarkt befindlichen Werke anwenden. Dies alles gilt ausdrücklich nicht für das hier vorgestellte Buch. Im „Handbuch Sausen“ sind die Fotographien tatsächlich in der Lage Zusammenhänge deutlich zu machen und notwendige Arbeitsschritte in der Küche zu illustrieren. Die Texte erklären Zusammenhänge und sind hilfreich.
In der Unterzeile zum Titel verspricht der Verlag: „Von Aioli bis Zitronensauce“. Natürlich stimmt das erst einmal – da das Alphabet ganz durchdekliniert wird. Der enzyklopädische Anspruch, den ein solcher Titel evoziert, ist vielleicht noch das kritikwürdigste an diesem Buch. Wer glaubt schon ernsthaft, er könne die kulinarische Welt – und sei es, die der Saucen – in einem Buch abbilden? Ein gutes Stück davon haben die Leute von Teubner aber doch eingefangen. Und das haben sie wirklich gut gemacht.


Genre: Lexika und Nachschlagewerke
Illustrated by Teubner Hamburg

Der Reiher

Dieser Roman schildert den letzten Tag im Leben von Edgardo Limentani, einem jüdischen Rechtsanwalt und Landbesitzer aus der oberitalienischen Stadt Ferrara. Limentani beschließt an diesem Tag endlich einmal wieder in die Valle, einer südlich des Po-Deltas gelegenen Sumpflandschaft, auf Jagd zu gehen. Limentani fährt in die Sümpfe, legt dabei einen Stopp ein, führt ein Gespräch mit dem Gasthauswirt Bellagamba und unternimmt einen Versuch, sich mit seinem Cousin Ulderico zu verabreden. Auf der Rückfahrt verschenkt Limentani die gesamte Jagdbeute, die obendrein gänzlich von seinem Jagdhelfer erlegt wurde. Er ruht sich im Gasthaus von Bellagamba aus, bevor er in sein Haus zurückkehrt, um sich dort in sein Zimmer zurückzuziehen. Für immer.

So wenig in „Der Reiher“ äußerlich geschieht, so intensiv wird die Lektüre durch das, was sich in Edgardo Limentani und durch das, was mit ihm geschieht. An das Ende dieses 152 Seiten umfassenden Romans angelangt, weiß der Leser, dass Edgardo Limentani beschlossen hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Im Alter von 45 Jahren. So wenig, wie offensichtlich an diesem Tag geschehen ist und den der Autor Giorgio Bassani so eindringlich zu schildern vermag, so schwer wiegt für Limentani diese Gleichförmigkeit und von Banalitäten strotzende Handlung. Neben der Hauptfigur Limentani wird Bassanis Geschichte von wenigen Personen bevölkert. Der Inhaber eines Gasthauses mit Zimmern, namens Bellagamba, der Jagdhelfer, der in den Sümpfen Edgardo Limentani nicht nur führt und hilft, sondern eigentlich allein für die Jagdausbeute sorgt sowie Ulderico, der Cousin des Landbesitzers spielen eine Rolle. Und die Zeit, in der diese Geschichte spielt: Wenige Monate nach dem Ende des italienischen Faschismus und der Kapitulation Nazi-Deutschlands.
Bellagamba ist ein Faschist der ersten Stunde und begegnet Limentani fast unbefangen. Sein Cousin hatte Mussolini ebenso begeistert zugejubelt, wie er sich nun mit dem neuen, demokratischen System, arrangiert. Sein Jagdhelfer zeigt ihm eine Zielstrebigkeit in der Jagd, die ihm vor lauter grüblerischer Selbstbefragung abgeht. Kurz nach dem Ende des Faschismus, nach Krieg und Holocaust kann ein Tag so banal sein, als ob eigentlich nichts geschehen wäre. Giorgio Bassani, einer der Großen der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts, wurde oft als einer der „leisesten Schriftsteller Europas“ bezeichnet. Tatsächlich erzählt Bassani in seinen Romanen und Erzählungen in einer Beiläufigkeit vom Leben der Menschen in seiner Heimatstadt Ferrara, die durchaus etwas atemberaubendes hat. Bassani beschreibt eine über jahrhunderte entstandene, einmalige, scheinbar voll assimilierte Kultur des Judentums in Ferrara. Das Wissen darüber, dass es wenig bedurfte, um das zu Negieren und dass diese Kultur mit dem Holocaust unwiederbringlich untergegangen ist, bewirkt eine Intensität dieser Erzählungen, die literarisch ihresgleichen sucht.
Alfred Andersch formulierte schon 1968: „Die Größe Bassanis kann daran erkannt werden, dass der Leser seiner Bücher sich der Stadt Ferrara nicht mehr als Tourist nähern kann, weder als naiver noch als kenntnisreicher. Ferrara wird ihn in erster Linie als Schauplatz der Erzählungen Bassanis interessieren.“


Genre: Belletristik
Illustrated by Klaus Wagenbach Berlin

Die Aprilhexe

Ihre Schwestern können alles – laufen, sprechen, schreiben, singen, arbeiten, streicheln -, sie kann nichts davon. Desirée ist schwer behindert, ans Bett gefesselt, abgeschoben. Und doch ist sie freier als ihre Stiefschwestern, von denen sie erst spät erfährt. Sie kann das Universum und die Menschen durchschauen. Sie kann sie sogar manipulieren, kann in den Köpfen von Tieren und Menschen spazierengehen und so das Leben erleben. Freilich ist der Preis hoch. Desirée büßt weitere Funktionen ihres gepeinigten Körpers ein. Doch sie erreicht, daß ihre drei ungleichen Schwestern aufmerken und innehalten müssen in ihrem ausgefüllten Alltag. Christina, die einst so verängstigt und brav war und sich nun für ihre Familie und ihre Patienten aufopfert und doch weiter auf ihr eigenes Quäntchen Glück hofft. Margareta, das fröhliche, lesesüchtige Mädchen, das zu einer liebeshungrigen, nach außen starken Frau und wegen eines überwältigenden Sonnenaufgangs in einsamer Natur Physikerin geworden ist. Und Birgitta, die wilde, ungebärdige, weißblonde Schönheit, die den gefährlichsten Jungen der Stadt bezirzt hat und jetzt nur noch eine alte, kranke Alkoholikerin ist. Was ist geschehen? Drei Briefe bringen die Schwestern zusammen und in Aufruhr, rufen das Leben bei Ellen in Erinnerung, die für alle gesorgt hat.
Desirée will es wissen. Wie haben die anderen gelebt? Wer hat ihr Leben weggenommen? Sie befreit sich aus ihrem beengten Leib und taucht ein in des Dasein der anderen. Und: Sie gibt sich der Liebe hin, ihrer einzigen, ein einziges Mal.
Majgull Axelsson hat einen eindringlichen Roman voller Beklemmung und Überschwang geschrieben. Mit ihrer Kunst des Erzählens läßt sie magische Geschichten entstehen, die zwischen gestern und heute, Dichtung und Wahrheit schwingen. Sie zeichnet ein präzises und kritisches Bild ihrer schwedischen Heimat und geht doch weit über ein modernes Sittengemälde hinaus. Sie hebt die Grenzen zwischen Individuum und Gesellschaft auf und eröffnet ihren Lesern neue Räume jenseits der Realität.


Genre: Romane
Illustrated by C. Bertelsmann München

Häuptling Eigener Herd Nr. 36

Lärm & Gestank. Das ist zwar nicht Programm, wohl aber Titel und Thema der neuen Ausgabe der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift „Häuptling Eigener Herd“. Diese Sammlung von Texten und Zeichnungen zu allen wesentlichen kulturell-kulinarischen Themen, die die Menschheit bewegen, wird seit nunmehr 36 Quartalen von Vincent Klink und Wiglaf Droste herausgegeben. Und die Kombination der beiden Herausgeber ist dann doch Programm für diese mehr als nur vergnügliche Zeitschrift. Professionell in Küche und an der Tastatur oder dem Schreibstift sind sie, der Musik- und Textbegabte Profikoch aus Stuttgart und der genusssüchtige Wortkünstler aus Ostwestfalen.

In der neuen Ausgabe beschäftigen sich wieder eine ganze Reihe bekannter Autoren, wie beispielsweise Fritz Eckenga und noch nicht so bekannte, gleichwohl begabte Autorinnen und Autoren mit der Themenvorgabe der beiden Herausgeber. „Lärm & Gestank“ sind natürlich etwas, was in allen Küchen so oder so schon mal seinen Platz “findet”. Dass aus der literarischen Beschäftigung damit im “Häuptling” keine wissenschaftliche Abhandlung wird, dürfte klar sein.

In seinem Beitrag mit dem Titel „Milch, Käse und Köttel. Ansichtskarte aus der Tessiner Bergwelt“ beweist Eckenga einmal mehr Meisterschaft, wenn er fast romantisch anmutende Naturbeschreibungen für den Einstieg wählt, um dann aber – gar nicht im Widerspruch dazu – das beschreibt, was auf einer Alm geschehen kann, aber auf ähnlichen Ansichtskarten fehlt: „(…)Eine Ziege geht auch nicht weg, wenn ich versuche, sie zu verscheuchen. Hebt entweder kurz den Kopf, aus dem mich ein Paar gelber Augen mit mitleidloser Verachtung ankuckt, oder dreht mir gleich das Hinterteil zu, um mir einen weiteren Haufen stinkendes Elend vor die Fuße zu legen. Gleich werde ich mit brettharter Lässigkeit den kurzen Weg zur Alphütte gehen. Ich werde nicht versuchen, den herumliegenden Hindernissen auszuweichen. Das geht gar nicht. Ganz gleich, wo man hergeht, die Ziegen waren schon alle da. (…)

Zu guter Letzt wird das vorliegende Heft mit einem Special „NAPOLI“ abgerundet und abgeschlossen. Ganz unpassend zum Heftthema jedenfalls berichtet Vincent Klink aus der Metropole Kampaniens. Von Ruhe und Duft Neapels, natürlich von Pizza aber auch ganz anderen kulinarischen Freuden und Besonderheiten.

Wer den „Häuptling Eigener Herd“ noch nicht kennt, sollte dies ändern – die Lektüre bereitet einfach zu viel Freude, um auf sie zu verzichten.

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Genre: Humor und Satire
Illustrated by Unbekannter Verlag

Die Loge der Unschuldigen

Der Leiter der Mordkommission von Florenz, Kommissar Ferrare, ermittelt im zweiten Band der mittlerweile auf drei Bücher angewachsenen Krimireihe von Michele Giuttari parallel an zwei Fällen. Der erste Fall scheint zunächst nicht auf ein Verbrechen hinzudeuten. Ein sechzehn Jahre altes Mädchen wird von der Polizei am Straßenrand außerhalb Florenz aufgefunden. Sie liegt im Koma und stirbt wenige Stunden später in der Klinik der Arnometropole, wohin sie die Polizisten bringen lassen. Kommissar Ferrara allerdings traut der Diagnose der Krankenhausärzte nicht, die von einem Selbstmord oder einem Tod durch eine Überdosis Heroin ausgehen. Er lässt weiter ermitteln und sticht damit in ein Wespennest. Als dann im Verlaufe der Geschichte in einem zweiten Fall sein bester Freund als mutmaßlicher Mörder auf die Fahndungsliste der Carabinieri gesetzt wird, gerät die Welt des Commissario Ferrara fast aus den Fugen.

Die Ermittlungen bringen Ferrara erst in Konflikt mit dem Chefarzt, der den Totenschein für die junge Herointote ausgestellt hat und in Folge mit einem nicht unbedeutenden Teil des Establishment von Polizei und Justiz. Ein Zusammenhang mit Freimaurerlogen deutet sich im Verlaufe der Ermittlungen an. Diese stehen spätestens seit dem italienischen Korruptionsskandal, der das gesamte politische System Italiens aus den Angeln gehoben hat, in keinem besonders rosigen Licht: Die Loge P2 stand im Mittelpunkt von Ermittlungen, die bis hin zum Verdacht von Vorbereitungen für einen Staatsstreich reichten.
Ferrara aber bohrt. weiter Als er im zweiten Fall, in dem sein bester Freund als Mörder gesucht wird, dessen Unschuld beweisen will und auf Mafiaverbindungen stößt, wird er vom Dienst suspendiert. Alles scheint darauf hinzudeuten, dass diese Geschichte in einer beruflichen und persönlichen Katastrophe endet.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Wir schnallen den Gürtel weiter

Wiglaf Droste & Vincent Klink: Das ist mal ein Gespann. Der eine führt eine der schärfsten und bösesten Federn im deutschen Literaturgestrüpp. Der andere führt ein formidables Restaurant und thront über den Hügeln Stuttgarts. Beide zusammen geben seit 1999 eine Zeitschrift mit dem eingängigen Titel „Häuptling Eigener Herd“ heraus. Nun ist im Reclam Verlag „Eine Essenz aus Häuptling Eigener Herd“ unter dem Titel erschienen, der zugleich das Motto jener Zeitschrift ist: „Wir schnallen den Gürtel weiter“. Weiterlesen


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Reclam Stuttgart/Dietzenbach