mit Oliver Kobold – Autobiographie
»… und was in der Gegenwart einzelne Momente sind, ordnet sich in der Erinnerung zu einer Geschichte, die unerschütterlich behauptet: Das bist du, das ist dein Leben«
Wolfgang Niedecken (im folgenden W.N.), Frontmann, Gründungsmitglied der legendären, seit Jahrzehnten bestehenden Kölsch-Rock-Band BAP erzählt. Von diesen Momenten. Momentaufnahmen einer Kindheit zwischen Trümmern und dem Lebensmittelgeschäft der Familie unter dem heiligen Severin im Nachkriegs-Köln. Von Jahren in einem katholischen Konvikt und der Rebellion gegen Autoritäten und auch seinem Vater. Von seiner Liebe zur Kunst und Malerei, den ersten Ausstellungen und der 70erJahre Kunstszene, schon damals begleitet von späteren auch musikalischen Weggefährten. Von den ersten unbeholfenen musikalischen Gehversuchen und der bei allem Dilettantismus daraus resultierenden fast schon religiös anmutenden Befriedigung. Von den Anfängen der Kölsch-Rockern und den späteren Erfolgen mit BAP. Von Unruhe in der Seele, dem ständigen Getriebensein zwischen Start und Ziel. Von Wendepunkten und Zufällen, von Liebe und Verantwortung. Von Heinrich Böll und Wim Wenders. Von den geplatzten Konzerten in der DDR und den Auftritten in China und Nicaragua. Von Afrikareisen und den aus dem Mut der Verzweiflung von Noh Gulu entstandenen Hilfsprojekten.
W.N. erzählt all dies, so wie er spricht. So wie er eben auf der Bühne seine Geschichten und Hintergründe zu den Songs erklärt. Oft genug findet der aufmerksame Leser und geübte Bap-Hörer auch Zitate aus seinen Songs, so daß man erfreut auch diese Stücke in einen Zusammenhang bringen kann. Die SongZitate sind nicht gekennzeichnet, wozu auch. Sind ja seine, brauch er sich um Urheberrechte keine Gedanken zu machen, ganz in der Tradition der in Amerika so geliebten Eastereggs.
W.N. erzählt nur bedingt chronologisch, mehr ist es so, als wenn er vom Höcksken aufs Stöcksken kommt. Für den Leser manchmal anstrengend, aber immer voller Poesie, voller Zuneigung zu denen, die ihn begleitet haben und denen, mit denen er heute seinen Weg weitergeht. Es ist ein liebevoller Blick zurück auf ein erstaunliches Leben, welches er selbst sich eigentlich ganz anders vorgestellt hatte, brotloser befürchtet wohl auch. Der Leser, der sich ein Nachkarten über den damals vieldiskutieren Ausstieg von Klaus “Major” Heuser und anderen langjährigen Bandmitgliedern erhofft hatte, bleibt unbedient. Er spricht über diese Zeit, ebenso wie über seine erste Frau Carmen. Et ess evven so, wie et ess. Man lebt sich auseinander, entwickelt sich in verschiedene Richtungen und geht den Weg in diese alleine weiter. So einfach, so schwierig.
Ich gebe zu, als langjähriger BAP-Fan hätte ich schon ganz gerne gewusst, was aus Schmal Boecker und Effendi Büchel wurde, aber gut – ist respektiert. Auch über die musikalische Zusammenarbeit mit Anne de Wolff hätte ich gerne mehr als eine halbe Seite gelesen, doch im Großen und Ganzen war es schön, dieses Buch zu lesen. Der geneigte Fan, der auch schon seit Jahren W.N.’s Logbuch liest (und sich dadurch auch selbst zum Bloggen hat inspirieren lassen ) erfährt zwar wenig Neues, aber er begibt sich mit diesem Buch auf eine Art Zeitreise. Oft genug waren es in den vergangenen Jahrzehnten auch meine Gedanken, die ich in seinen Worten wiederfand, oft genug war ich auf den Konzerten oder Premieren, die er beschreibt, oft genug war auch ich auf den beschriebenen Demonstrationen, hörte diesselbe Musik und las dieselben Bücher, fühlte mich von der Politik und der Entwicklung dieser Jahre ebenso beeinflusst. Von daher – für den Fan sicher ein unbedingtes Muß, aber auch zu empfehlen für die, die gerne die Geschichte eines so spannenden Lebens im Nachkriegsdeutschland lesen mögen.
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift