Moon Knight. Aus dem Reich der Toten

Moon Knight: Aus dem Reich der Toten

Ein Sammelband mit den neuesten Stories über Moon Knight, Marvels Ritter des Mondes, den Helden der gleichnamigen Disney+-Serie mit Oscar Isaac zeigt wie Marc Spector zu dem wurde, was er ist: ein Avatar des ägyptischen Mondgottes Khonshu.

Superheld mit schlechtem Gewissen

In diesem Sammelband erfinden gleich mehrere moderne Comic-Meister Marvels Mondritter völlig neu. Die Zeichner Declan Shalvey, German Peralta, Greg Smallwood und die Autoren Brian Wood, Cullen Bunn, Warren Ellis zeigen den als knallharten Beschützer aller Nachtschwärmer bekannten Superhelden von verschiedenen Perspektiven. Der detektivische Mr. Knight stellt sich als in weiß getauchter Rächer Serienkillern, Geistern, Terroristen, Monstern und anderen Albträumen. Denn er ist von den Toten auferstanden, weil er als verletzter Söldner zu den Füßen des ägyptischen Mondgottes Khonshu zum Erliegen kam. Allerdings muss dazugesagt werden, dass es nur eine Statue des ägyptischen Gottes war und Marc Spector – so der zivile Name Moon Knights – vielleicht doch eher der Taxifahrer Jake Lockley oder der schwerreiche Steven Grant sein könnte. In jedem Fall hat er eine dissoziative Störung, die ihm als guter Grund gilt, das zu tun, was ihm wirklich Spaß macht: Verbrecher jagen! Als Moon Knight hatte er Marlene Alraune und Jean-Paul Duchamp zu Freunden, kämpfte vorübergehend für die Westcoast Avengers und die Secret Avengers, wo er auch Tigra kennenlernte.

Moon Knight: dunkler noch als Batman

Der knallharte Rächer im Zeichen des Mondes verfügt allerdings über keine nennenswerten sozialen Beziehungen. Erwähnenswert wäre da vielleicht seine Psychiaterin, aber wer würde schon seine Therapeutin als Freundin bezeichnen? Dann gibt es da noch den Commissionar Flint, mit dem Mr. Knight mehr oder weniger zusammenarbeitet. Denn natürlich ist das alles nicht offiziell, was zwischen den beiden passiert. Etwa wenn er jungen Rekruten dabei hilft, ein Profil eines Serienkillers zu erstellen, den er dann erst recht selbst zur Strecke bringt. Ein kleiner Halbmond als Wurfgerät hilft ihm dann, den Widersacher zur Strecke zu bringen. Denn so lautlos wie seine Wurfgeschosse sind, so hell ist sein Anzug und seine Maske. In manchen Kulturen ist weiß eben die Farbe der Unschuld, in anderen die Farbe des Todes oder Verlustes. Als Sohn Khonshus legt er jedenfalls regelmäßig seine Beichte bei seinem Gott ab. In einer anderen Story geht es um einen Heckenschützen, der es auf seien ehemaligen Arbeitgeber abgesehen hat, eine Firma die mit der Wall Street zusammenarbeitet. In der Geschichte “Spieldose” wird Moon Knight von echten Punk-Geistern herausgefordert, seine Fäuste sind machtlos und dringen durch sie hindurch. Ihre Fäusten hingegen hauen ihn zu Brei.

Das Besondere an Moon Knight ist nicht nur sein Hintergrund, sondern auch die Inszenierung. Denn Moon Knight ist kein gewöhnlicher Held. Seine unterschiedlichsten Facetten kann man nun in diesem neuen Sammelband erkunden und sich darüber freuen, wie viele Künstler sich dieser Figur schon angenommen haben. Sein trockener Humor kann dann schon mal ein paar Geister in die Wüste schicken, die er gerade befreit hat. Denn was er bestimmt nicht brauchen kann, ist Gesellschaft. Schließlich hat er ja seine Mitternachtsmission, wenn er Leute kennenlernen will. Sollten Sie also auch zu den Nachtschwärmern gehören, Moon Knight ist für alle da.

Warren Ellis
Moon Knight. Aus dem Reich der Toten
Moon Knight Collection
(Original Storys: Moon Knight (2014) 1–17)
2023, Hardcover, 380 Seiten
ISBN: 9783741626289
Panini Verlag
49,00 €


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

Moon Knight – Schwarz, Weiss und Blut

Moon Knight: “Schwarz, Weiss und Blut”

Schwarz, Weiss und Blut” ist eine Panini Reihe, die schon zu anderen Superhelden erschienen ist. Die vorliegende XL-Anthologie enthält knackige Kurzgeschichten mit Moon Knight in der Hauptrolle. Die Storys stammen von den unterschiedlichsten Autoren und Zeichnern. Mit dabei sind außerdem Spider-Man, der ägyptische Gott Anubis, Redblade, Dr. Strange, Vermin, Juggernaut, Blutfalter, Shesmu,

DIS: Vier in eins

Ich dachte der Rachedurst schwindet mit der Zeit.” Moon Knight ist der Avatar des ägyptischen Gottes Khonshu, der Monster, Räuber und Kultisten bis aufs Blut bekämpft. Als Mr. Knight ermittelt er manchmal auch im feinen Zwirn. Aber er tut sich auch mit Spider-Man zusammen, sucht Dr. Strange auf und reist ins All. Zudem treffen wir den Moon Knight der Zukunft. Aber wer genau ist dieser Moon Knight nun genau? Und wenn, wie viele? Marc Spector, die ursprüngliche Persönlichkeit von Moon Knight, ist ein Söldner, Steven Grant ein erfolgreicher Geschäftsmann und Jake Lockley, ein Taxifahrer mit guten Kontakten zur Unterwelt. In vorliegender Anthologie im Superformat XL kommen natürlich gleich aller drei Persönlichkeiten des Superhelden zum Einsatz. Besonders beeindruckend sind die Selbstzweifel, die ihn immer wieder plagen und ihm sogar Albträume bereiten.

Ägyptischer Priester auf Abwegen

Ich bin die Kur“, sagt eine Katze zu ihm im Traum. Katzen stehen in der ägyptischen Mythologie für die Göttin Bastet. Sie ist die Göttin der Liebe, der Fruchtbarkeit, der Freude, der Musik, des Tanzes und der Feste. Bastet wird gerne als Frau mit Katzenkopf dargestellt, aber Moon Knight bekommt es nur mit einer (roten) Katzenversion zu tun. In einem anderen Abenteuer bekommt er es mit einer geheimnisvollen russischen Söldnertruppe namens Volkov zu tun. Volkov macht die Drecksarbeit für einen Staat und setzt andere Regierungen unter Druck. Sie lagern am Ufer des Udambi und Moon Knight kann sie mühelos ausspionieren und ihnen das Handwerk legen. Aber auch bei einem Banküberfall kann Moon Knight aushelfen und den maskierten Räubern ins Handwerk pfuschen. Dieses Mal allerdings als Taxifahrer Jake Lockley. Selbstverständlich mit Backup seines Avatars.

Philosophie mit Fausthieben

Ich muss die Kontrolle über das letzte x von mir selbst gewinnen. Den Teil in mir, der verlieren möchte. Vielleicht sehnt sich dieser Teil nach der erlösenden Niederlage. Vielleicht will er, dass ich aufhöre. Aber wenn ich aufhöre…bin ich auf einem x. Und ein x bedeutet Tod. Spiel ist vorbei. Verloren.” Mr. Knight ist der Sieger, der nicht gewinnen will. Er kämpft die meiste Zeit mit sich selbst, mit seinen drei Persönlichkeiten und wünscht sich dass dieses Trilemma endlich ein Ende findet. So wünscht er sich einerseits eine Niederlage, um endlich gesund zu werden, aber andererseits kann er nicht verlieren. Denn gerade sein Defekt macht ihn ja so stark und unbesiegbar, dass er wohl für immer verflucht ist, diesen Ausnahmezustand aufrechtzuerhalten. Aber wie sagte schon Soren Kierkegaard: “Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es aber vorwärts“. Ein Dutzend Mondritter-Storys im riesigen Album-Überformat, die zeigen wie viel Kraft und Energie in einem Avatar stecken können. Einigkeit macht eben doch stark.

Ann Nocenti, Benjamin Percy, Jonathan Hickman, u. a.
Moon Knight – Schwarz, Weiss und Blut
(Original Storys: Moon Knight: Black, White and Blood 1-4)
Zeichner: Chris Bachalo, David Lopez, Jorge Fornés, u. a.
Autor: Ann Nocenti, Benjamin Percy, Jonathan Hickman, u. a.
202, XL-Hardcover, 140 Seiten
ISBN: 9783741629365
Panini
26,00 €


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

Human Target 2

Tom King: Human Target 2

Human Target. “Man kann nicht seine ganze Zeit damit vergeuden, so zu tun, als wäre man ein anderer.” Christopher Chance hat noch drei Tage zu leben. Als Human Target schlüpfte er in die Rolle eines seiner Klienten und wurde so zur menschlichen Zielscheibe (engl.: Human Target). In dem zweiten Teil des zeichnerisch und erzählerisch aufsehenerregende Comics des Ex-CIA-lers Tom King wird Chance anstelle von Lex Luthor vergiftet. Die wenigen Tage, die ihm noch bleiben, verbringt er zwischen Fire und Ice.

Leben auf Knien, sterben im Stehen

Life’s a Beach“, steht auf einer Tasse aus der Christopher Chance den ihm von Rocket Red angebotenen Wodka trinkt. Zugegeben: der Erzählstrang des vorliegenden Comics setzt schon zwölf Tage vor Christopher Chances Ablaufdatum ein. Aber in seinem besten Moment, an Tag 3 vor dem Ende, entführen uns die Zeichner Greg Smallwood, Mikel Janín, Rafael Albuquerque in die kalifornische Wüste, wo sich eine Atmosphäre entwickelt, die man ohne Zweifel mit Antonioni (Zabriskie Point) vergleichen kann. Die beiden Charaktere Chance und Ice kommen sich darin so nahe, dass man die Spannung zwischen den beiden Körpern förmlich spüren kann und das Ableben Chances wird angesichts der Trauer von Ice geradezu erlebbar, so dicht schmiegen sich die beigefarbenen Liebenden in den Sand einer unendlichen Wüste.

Kalter Krieg und heiße Drinks

Natürlich steht diese Wüste auch für das Nirvana in das sich jeder von uns einmal begeben wird. Aber nicht jeder erhält vorher noch so eine Offenbarung wie Christopher Chance. “Life’s a Beach”, steht auf einer Tasse aus der Christopher Chance den ihm von Rocket Red angebotenen Wodka trinkt.Ice legt eine Pistole in seine Hand und kniet sich vor ihn hin. Ein Finale dessen Ausgang hier natürlich nicht verraten wird, dafür ein bißchen wie es dazu kam, dass es so kommen musste. “Ich sehe das so: jedermann hat die Pflicht sein wahres Gesicht zu zeigen. Sonst spielen wir doch alle nur ‘n dummes Spiel.

Der Sog der Welt

Man kann auch ohne Familie scheitern“, resümiert Christopher. Denn er will nicht wie sein Vater enden. Nicht auf den Knien und nicht auf Gnade hoffend. Christopher will sich seinem Schicksal stellen und die letzten Stunden mit Ice verbringen. Aber zuerst muss er noch seinen eigenen Mordfall lösen. Davon handelt dieser außergewöhnliche Comic, der durchaus auch als existentialistische Reflexion in erstaunlichen Bildern durchgeht. Zeichnerisch ist “Human Target” tatsächlich ein wahrer Genuss und zeigt während Christopher Chances letzten Tagen durchaus auch, wer als Verdächtiger in Frage kommt. Da wären etwa die Mitglieder der Justice League International, aber auch auch Fire, die beste Freundin von Ice. Oder vielleicht doch wer anderer? “Man tut, was man tut und nicht, was man denkt“, heißt es einer Stelle nicht umsonst. Mit dabei sind diverse Green Lanterns (Guy Gardner, G’nort), der russische Rocket Red, Blue Beetle sowie Booster Gold. “Ich spüre den Sog der Welt“, sagt Christopher als er von Rocket Red auf die Erde in den Ozean hinabgestossen wird. Ein wundervoller Satz voller Poesie und Dramatik, den man sich unbedingt aufschreiben sollte.

Tom King
Human Target 2
(Original Storys: Human Target 7–12, Tales of the Human Target 1)
2023, Softcover, 236 Seiten
ISBN: 9783741633195
Panini
29,00 €


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

Lustiges Taschenbuch Sonderband Sommer 13

Urlaubsfeeling?

„Ferien mit Pipo“: Onkel Dagobert gibt Donald und Daisy den Stoffpinguin Pipo mit, ein Kuscheltier eines wichtigen Klienten, das auf Reisen gehen soll. Anfangs ist Donald nicht begeistert, aber er entwickelt sich schnell zu einem begeisterten Influencer. Aber dann wird der kleine Pinguin von einem Adler entführt!

„Am falschen Ende gespart …“: Donald hat wie immer kein Geld, will aber trotzdem in Urlaub fahren. Also gibt er seine wenigen Kröten dem günstigsten Unternehmen. Ob das wirklich eine gute Idee war?

„Heimliche Helden im Hotel“: Dussel und Donald sollen für Onkel Dagobert in einem seiner Luxushotels als „Bübchen für alles“ auf Probe arbeiten. Pleiten, Pech und Pannen begleiten seitdem die beiden Unglücksenten – aber als Glück im Unglück.

„Ein Meer an (Un-)Glücksfällen: Die Panzerknacker wollen Gustavs Glück ausnutzen. Also investieren sie viel Geld, damit Gustav am Strand bleibt und ihnen mit einem teuren Fund Reichtum beschert. Allerdings ist das Glück nicht so zuverlässig, wie die Panzerknacker es gern hätten.

„Verschwendete Ferien“: Steuerschulden bei gut gefüllten Konten veranlassen Onkel Dagobert zu drastischen Maßnahmen – Urlaub und dabei Geld verprassen. Mit beidem hat es der Geizhals aber ganz und gar nicht. So entwickelt sich der Urlaub anders als geplant.

Fragwürdiger Humor und wieder reine Manpower

8 Deutsche Erstveröffentlichungen von 16 Geschichten: 50% neue Geschichten sind eine ganz gute Ausbeute für den Band. Extras: Mit Reliefprägung auf dem Cover und Postkarte.

Das Thema Urlaub wird enger und weiter gefasst, sodass man Abwechslung beim Lesen hat. Spannung und Humor kommen gerade für jüngere Leser*innen nicht zu kurz. Allerdings beruht der Humor oft auf dem Prinzip der Schadenfreude: Donald und Dussel müssen mit dem nicht besonders sozialen Verhalten anderer Figuren und Pechsträhnen dafür herhalten, dass die Leser*innen etwas zu lachen haben. Mein Sohn (11) findet das „asozial“, Donald werde manipuliert und ausgenutzt, was ihn beim Lesen nicht froh stimmt. Ich finde, er hat Recht. Humor sollte eigentlich auf dem Prinzip beruhen, dass man freundschaftlich gemeinsam lacht und nicht darauf, dass andere über einen lachen. Da Geschichten bewusst wie unbewusst einen Lerneffekt erzeugen und Kinder aus Vorbildern lernen (auch bzgl. Medien, egal welcher Art) ist das m.E. der falsche Lerneffekt, der damit erzielt wird. Mein Sohn sieht das Ganze kritisch, weil er auch so erzogen worden ist, dass er Dinge hinterfragt. Aber es gibt genügend andere, die sich darüber keine Gedanken machen und unkritisch alles konsumieren, was ihnen vorgesetzt wird. Ob das Geschäftemachern gefällt oder nicht: Nicht nur das Geld darf beim Verkauf eine Rolle spielen. Die soziale Verantwortung ist mindestens ebenso wichtig!

Das Gleiche lässt sich auch über Rollenklischees sagen: Darüber habe ich in anderen Rezensionen zu den LTBs schon einiges geschrieben. Es geht (nicht nur) heutzutage einfach nicht mehr, dass die LTBs Frauen und Männer klischeehaft darstellen und Frauen fast immer nur eine Randerscheinung in der Story sind…


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa

Die Griechen. Eine Globalgeschichte

Die Griechen – 2000 Jahre Kultur

Die Griechen. Der englische Byzantinist Roderick Beaton legt in seinem mehr als 600-seitigen Werk eine Globalgeschichte über das Kulturvolk der Griechen vor, das schon mehr als 1000 Jahre existiert(e).

Nephelokokkygia – Wolkenkuckucksheim

Im Westen – unter den “Lateinern” oft vergessen – wird oft nicht bedacht, dass das Römische Reich nach seinem Untergang noch beinahe 1000 Jahre weiterlebte: in Konstantinopel, heute besser bekannt als “Istanbul”. Von den griechischen Polis Athen, Sparta, Theben bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen spannt sich der Bogen der vorliegenden Geschichte über die auch als Helenen, Achaier, Danaer, Argiver bekannten europäischen Stadtstaaten, die sich zuerst selbst bekriegten und dann doch gegen die Perser zusammenhielten, um sich später erneut untereinander zu bekriegen. Dabei machten weder die einen noch die anderen sich einen Hehl sich mit dem ehemaligen Erzfeind der Griechen gegen die jeweils anderen Griechen wieder zu verbünden.

Weltkriege – schon damals

Vielleicht deswegen gilt das alte Griechenland unbestritten als die eigentliche Wiege des Abendlandes, Päderast und Sklavenhaltung inbegriffen. Selbst die Olympische Idee geht auf das alte Griechenland zurück, denn die Olympischen Spiele seien schon im Jahr 776 v.Chr. ins Leben gerufen worden sein. Auch der Ostrakismos geht auf die Griechen zurück, abgesehen von unzähligen Philosophen, die noch heute unser Denken beeinflussen. Wie Roderick Beaton treffend beschreibt, wurden schon damals “Weltkriege” (Kapitel 4) ausgetragen, denn Perser gegen Griechen, Ost gegen West, das war ein Match, das noch mehrere Jahrhunderte oder Jahrtausende andauern sollte.

Romaioi, keine Romani

Alexander aus Makedonien gelang es schließlich den Spieß umzudrehen und erobert nicht nur Persien, sondern geleitete seine Truppen noch bis zum Indus. Das “psychopathische Genie” (O-Ton Beaton) hätte es ohne das ideologisch-kulturelle Rüstzeug der Griechen wohl nicht geschafft, so viele Völker zu unterwerfen und das – so schreibt Beaton – obwohl auf der Seite der Perser weit mehr Griechen gegen ihn kämpften als mit ihm. Aber schließlich schwebte ihm in Form des Hellenismus eine Vereinigung von West und Ost vor, ein “Imperium ohne Grenzen”. Konstantin der Große vermochte es mehr als ein halbes Jahrtausend später mit Hilfe einer neuen Religion, des Christentums, ein solches Imperium ohne Grenzen zu errichten, verkörpert seine Herrschaft doch beinahe die größte Ausdehnung der römischen Macht in der Geschichte Westroms. In hoc signo vinces. Allerdings ging das auch ohne Christentum. Denn die größte Ausdehnung war schon unter Trajan, 130 Jahre zuvor.

Ein griechisches Römisches Imperium

Die offizielle Teilung des Reichs erfolgte unter Theodosius I., 395 n.Chr., der die beiden Hälften an seine beiden Söhne weitergab. 476 endete der Westen allerdings und Konstantinopel wurde zur Hauptstadt eines Reiches, in dem immerhin 30 Millionen Menschen lebten. Aber diese Menschen waren Romaioi und keine Romani, wie Beaton betont, ihre Sprache war Griechisch, ihre Religion orthodox. Denn schon damals begann das Schisma. War das Wesen Christi homoousios (vorn derselben Substanz) oder homoioousios (von ähnlicher Substanz) gehörten zu den damaligen Disputen, die ganze Landesteile spalten konnten. 530 war Griechisch durch Justinian zur Staatssprache in Ostrom erklärt worden. Konstantinopel zur “Stadt der Sehnsucht der Welt” geworden.

Fu-lin, “Stadt der Sehnsucht der Welt”

Zu den weiteren Stationen der Spaltung der Welt in Ost und West zählt etwa auch der Ikonoklasmus, der Bilderstreit. Zu den Errungenschaften Ostroms kann aber die friedliche Konversion der Slawenvölker verstanden werden, so Beaton, was im Westteil Europas zur gleichen Zeit mit dem Schwert erzwungen wurde. Damals hätte es allein in der Hauptstadt eine Kirche für jeden Tag des Jahres gegeben, so ein Zeitgenosse. Die Pracht Konstantinopels wurde weit über seine Grenzen besungen und mag wohl auch deswegen den Ehrgeiz so mancher asiatischer Despoten erweckt haben, diese reife Frucht zu pflücken.

Dass es aber schlussendlich die Christen selbst waren, die sich dieser schönsten aller Städte beraubten, das verheimlicht uns auch Roderick Beaton nicht. Denn es war ein vereintes Heer aus Franzosen, Franken, Genuesen, Venezianern u.a., die im sog. Vierten Kreuzzug Konstantinopel plünderten und brandschatzten. Auch wenn es dann noch zweieinhalb Jahrhunderte Bestand hatte, war es seine Seele beraubt worden: von Christen.

Eine epochenübergreifende Erzählung sowie ein lehrreiches Lesevergnügen, das uns sogar mehrmals zeigt, dass der eigentliche Feind nicht der andere oder das Fremde sind, sondern uns zutiefst inmitten wohnt. Ebenfalls im Reclam Verlag erschienen ist eine zweibändige Prachtausgabe zu Homers Ilias und Odyssee. Übers. von Johann Heinrich Voß
Einleitung und Nachworte von Melanie Möller. 2 Bde. geb. im Schuber. Buchformat 12 × 19 cm. Insges. 1054 S.
ISBN: 978-3-15-030085-5

Roderick Beaton
Die Griechen. Eine Globalgeschichte
Deutsche Erstausgabe
Übers. von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit
von Janet Schüffel
Geb. mit Schutzumschlag, Fadenheftung, Lesebändchen
Format 13,5 × 21,5 cm
605 S. 43 Farbabb. 15 Karten
ISBN: 978-3-15-011007-2
Reclam Verlag
38,00 €


Genre: Geschichte, Globalgeschichte
Illustrated by Reclam Verlag

Der glückliche Horizont: Was uns Landschaft bedeutet

Dieses Buch Der glückliche Horizont: Was uns Landschaft bedeutet lese ich seit vielen Monaten mit wachsender Begeisterung: Es kommt mit einem breiten Wissen daher, mit vielschichtigen Beobachtungen und Reflexionen, immer neuen Aspekten, es ist kein Buch zum Auslesen. Die Kolumnen der Autorin über ihren Garten mit seinen vielen Gästen mag ich seit Langem. Nun kommt die Bewunderung für ihre Kenntnisse der Literatur zu Landschaften, in allen Epochen der Literatur, aber auch das naturwissenschaftliche und geschichtliche Wissen.

Wer hat alles zu Gärten geschrieben? Sorgfältig mit Textbeispielen zitiert werden antike Griechen, Shakespeare, Goethe, Schiller, Heine, auch Rosegger und viele mir Unbekannte. Schon im Vorwort werden wir, mit Hilfe von Tucholski auf den „Rhythmus der Landschaft“ hingewiesen, die die Dichter beobachtet, gefühlt und dann beschrieben haben. Und getröstet: „Allen Klagen, sogar allen menschlichen Zerstörungs-Anstrengungen zum Trotz hat die Landschaft um uns herum ihre Seele noch nicht verloren.“

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Genre: Garten, Landschaft
Illustrated by Kunstmann München

Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre.

 „Na? Wie würdest du die Mona Lisa stehlen?“ Eine Frage, die Vincenzo Peruggia, der Kunstdieb des Gemäldes, während seines Gefängnisaufenthalts 1913 einen Mitinsassen mit einem nicht minder verschmitzten Lächeln hätte stellen können. Wie wahrscheinlich wäre es außerdem, eine ‚Leihgabe‘ des Gemäldes genehmigt zu bekommen, wie im Falle des reichen Entrepreneurs Miles Bron im Film Glass Onion? Realistischer war da schon 2019 die Chance, im Rahmen eines Gewinnspiels mit Airbnb eine Nacht im Louvre zu verbringen. Eine Aktion, die sicherlich auch von Beyonces und Jay-Zs Video zu „Apeshit“ inspiriert wurde.

In „Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre“ von Jakuta Alikavazovic, einer in Paris aufgewachsenen Autorin mit jugoslawischen Wurzeln, ist die Frage nach einem potenziellen Raub der Mona Lisa eine viel komplexere, als Popkultur und Verschwörungstheorien vermuten lassen.

Kunst als Heimatverlust

Die (gestohlene) Mona Lisa wird bei Alikavazovic zum Sinnbild des Heimatverlusts. Nicht zufällig erwähnt die namenlose Ich-Erzählerin, dass Peruggia in seinem Bemühen, das Gemälde dem ‚rechtmäßigen‘ Land seiner Zugehörigkeit zurückzubringen, bis heute als italienischer Nationalheld gefeiert wird. Eine Art Restitution also?

Das Gefühl der verlorenen Heimat wird sowohl direkt durch die Ich-Erzählerin als auch indirekt durch deren Vorgeneration, ihren Vater, empfunden. Dieser spukt in Form von Erinnerungen und Mythen wie ein Phantasma durch das Narrativ der Tochter, während sie – unter dem Vorwand der Recherche für ein Buch – eine Nacht allein im Louvre verbringt. Nach der Flucht vor dem Jugoslawienkrieg nach Frankreich wird der Louvre hauptsächlich für den Vater nicht nur zum Ort der Erkenntnis, dass sich die Erinnerung an die Heimat – Titos kommunistische Utopie vom jugoslawischen ‚Einheitsstaat‘, ähnlich wie Stalins Sowjetunion – als künstliches Konstrukt entpuppt. Genauso verhält es sich mit den zahlreichen Besuchern am ‚Tatort‘ im Louvre, in deren Erinnerung die Mona Lisa während ihrer Abwesenheit 1911-1913 originellere Züge annimmt als in ihrer Anwesenheit. Die Erinnerung an etwas, das es nicht (mehr) gibt.

Kunst als ‚wahre‘ Heimat

Gleichzeitig kann der Vater seine Identität gerade im Louvre jenseits der gesprochenen Sprache mit seiner Affinität zu Kunst(geschichte) ‚neu‘ erfinden. Wenn er seine Tochter also immer wieder fragt „Na? Wie würdest du die Mona Lisa stehlen?“, dann interessieren ihn auch die Möglichkeiten und Grenzen ihrer eigenen Neuerfindung.

Ironischerweise hat auch der ehemalige französische Präsident François Mitterrand den Louvre 1989 ‚renoviert‘, weniger revolutioniert. Der Eindruck von einem ursprünglich aus dem 19. Jhdt. stammenden Adelspalast sollte unter anderem durch den Bau einer Glaspyramide, von der sich der chinesisch-amerikanische Architekt Ieoh Ming Pei absolute Transparenz erhoffte, getrübt werden. Auch wenn Mitterrand mit dieser zur spöttischen „Grabkammer der Sozialisten“ deklarierten Pyramide eine demokratische Geste für ein modernes Frankreich tätigen wollte, wurde der moderne Zusatz vom Volk lediglich geduldet. Selbst wenn die Pyramide mittlerweile bekannter ist als das eigentliche Museum.

Jenseits von Trauma und Exilliteratur. Die Untrennbarkeit von Ästhetik und Politik

In „Wie ein Himmel in uns“ untersucht Alikavazovic mit Fingerspitzengefühl, inwiefern der Akt der ‚Neuerfindung‘, sei es in Bezug auf Kunst, Geschichte oder persönliche Identität, auch mit Scham behaftet sowie eine spielerische Verleugnung der Vergangenheit und des Selbst sein kann. Auch, wie sich das auf Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen auswirkt. Damit knüpft sie teilweise an die Vorgängerromane Corps Volatils, Le Londres-Louxor oder Das Fortschreiten der Nacht an.

In der Manier des Magischen Realismus mit metafiktionalen Elementen lässt sie die Wahrnehmung, Erinnerungen und Erlebnisse der Ich-Erzählerin, des Vaters und anderer Bekannter ineinanderfließen. So gekonnt, dass man Vater und Tochter tatsächlich zutrauen könnte, einen Raubversuch im Louvre zu wagen. Autofiktion und Autobiographie, Ästhetik und Politik gehen somit nahtlos ineinander über.

Alikavazovic lässt sich literarischen Größen wie Vladimir Nabokov (Der Museumsbesuch), David Markson (Wittgensteins Mätresse) oder Annie Ernaux (Die Scham) zuordnen. Nicht nur, aber auch deswegen gebührt der Autorin, die auch David Foster Wallace ins Französische überträgt und von der gerade einmal zwei Romane ins Deutsche übersetzt wurden, mehr Aufmerksamkeit.

Jakuta Alikavazovic: Wie ein Himmel in uns. Meine Nacht allein im Louvre.

Übersetzt aus dem Französischen von Stephanie Singh.

Erschienen bei Hanser.


Genre: Autobiografie, Autofiktion, Kulturgeschichte, Kunst, Roman
Illustrated by Hanser

Gärten des Jahres 2023

Das Buch Gärten des Jahres 2023 ist das Ergebnis des jährlichen Wettbewerbes, fünfzig Gärten werden vorgestellt: der des Preisträgers, vier Gärten mit Anerkennungen und die restlichen 45 als Projekte. Die Texte sind von Frau Neubauer geschrieben, das Vorwort von Karl Ploberger, dem österreichischen Gartenjournalisten. Die Gärten kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Außerdem gibt es einen Preis für den Fotografen Herrn Ferdinand Graf von Luckner, dessen Arbeitsweise vorgestellt wird: er erkundet einen Garten und meldet sich dann für den nächsten Tag an: einmal morgens um sechs und dann noch einmal am späten Abend, um Gärten im besten Lichte erscheinen zu lassen.

Alle Fotos in diesem Beitrag sind im Juli in meinem Garten aufgenommen worden.

Im Vorwort berichtet Herr Ploberger von seiner Gartenbiografie: als Jugendlicher wurde er Fan von Marie-Luise Kreuter und experimentierte im elterlichen „Biogarten“, später wird England sein Vorbild. Als er anfing, als Journalist über Gärten zu schreiben, sprach er nur noch vom Garteln (das ist österreichisch!), denn das deutsche Wort Gartenarbeit bringt die Freude nicht zum Ausdruck, die uns in den Garten lockt. Damit steht er nicht allein!

Gärten des Jahres 2023

Im Englischen heißt es „gardening“. Er hat alle Gärten dort besucht, viele mehrfach, über den Bio-Mustergarten vom (damals noch) Prinz Charles hat er eine TV-Sendung gemacht. Die königliche Gartengesellschaft (RHS) hat sich ganz auf biologisches Arbeiten umgestellt. Und er beobachtet viele Umstellungen in dieser Richtung. Sein Lieblingsgarten dort bleibt Great-Dixter.

Corona hat das Gärtnern beliebter gemacht, gerade junge Menschen begännen nun, mit Nutzgärten Erfahrungen zu sammeln, aber öfter noch setzt sich ist der Hang zum Pool durch, dazu später mehr …

Von den vorgestellten Gärten lädt der Garten in Stemwede-Levern zum Träumen ein. Die Planerin, Petra Hirsch, hatte 25 Jahre Zeit, um auf einem Acker ein Paradies zu planen, das dann von der Familie in Eigenarbeit geschaffen wurde. Und die Maßgabe war „nicht pflegeleicht“! Wie ging die Planerin vor? „Es müssen Räume geschaffen und mit Wegen erschlossen werden. Die Gartenlandschaft braucht Ausblicke innerhalb des Geländes, verborgene Plätze, die Inszenierung der Jahreszeiten. Der Garten muss sich mit Leben füllen und Lebensräume für eine artenreiche Tierwelt bieten.“ Die Fotos zeigen, dass es gelungen ist.

Ein anderer mit einer Anerkennung geehrte Garten ist eine Dachbegrünung in Berlin, gefördert durch das Programm 1000 grüne Dächer. Die abwechslungsreiche Bepflanzung erinnert an einen Präriegarten. Die Laudatorin hat in ihrer Begeisterung folgenden Satz zusammengestellt: „Eine Anlage zur Bewässerung der Flächen, Licht und eine Plastik zeigen, dass in diesem Garten auf einem Dach über Berlin Ästhetik, Natur, Freizeit, aber auch technische und praktische Aspekte eine sehr harmonische Verbindung eingegangen sind.“ Kann man das toppen?

In vielen Gärten wird entsiegelt, einmal gar ein verfallender Pool entfernt, alter Baumbestand erhalten. Neue Nutzgärten kommen kaum vor. Aber, was ist mit den Wasserflächen? In der Einleitung steht noch: „Ja, wir haben umgestaltet, Pool raus, Schwimmteich rein, Thujahecke weg, Wildsträucherhecke gepflanzt.“ Danach hatte ich dann das Gefühl, im falschen Buch zu lesen: Das Wort Pool wird zwar gemieden, nun sind es „Wassergärten“, gerne naturnah.

Hier einige Namen der Projekte: „Wasser-Fiesta“, „Einladung zum Schwimmen unter alten Essigbäumen“, mal wird im Apfelgarten geschwommen, mal im Vorgarten. „Tiefenentspannung im Wassergarten“ verspricht ein anderes Projekt.

Auf die in der Coronazeit gewachsene Sehnsucht der Besserverdienenden wird mit geeigneten Produkten reagiert. Was könnte man sonst schon mit „drei Söhnen“ im Sommer machen? Aber, wer schwimmt im Winter, und dann, wenn die Söhne in das Fridays for Future Alter kommen?

Ein Projektplaner reflektiert immerhin die gewachsene Wasserknappheit, „Burgblick am Wasser“ in Stollberg. Im Bild sehen wir eine Wasserfläche, die aus „Schwimmteich, Quelle und Naturteich“ besteht. Hier besteht die Aufgabe daran, das viele Wasser so abzuleiten, dass es innerhalb des Grundstücks versickert – „ein wichtiges Thema im Hinblick auf die Zunahme von Starkregen-Ereignissen im Zuge des Klimawandels.“ Dazu werden Steinblöcke platziert, an denen das Wasser abfließen kann. In vielen der prämierten Gärten in Alpennähe ist das Material, aus dem die Steinblöcke sind, ein wichtiges Kriterium.

Im Serviceteil gibt es viele Adressen, auch ein Register der Pflanzen. Und viel um das geeignete Zubehör zum Pool. Allerdings gibt es auch etwas für normal Verdienende: eine Pflanzen-App von Petra Pelz, die es ermöglicht, Pflanzkombinationen digital zu planen, mit Hinweisen auf Blühzeiten und -dauer. Man kann sie auf der Webseite petra-pelz.com lesen, einen Tag kostenlos probieren und für Auszubildende kostet sie € 10 im halben Jahr!


Genre: Gartendesign, Gartengestaltung
Illustrated by Callwey

Schreiben mit ChatGPT für Autorinnen und Autoren: Von der Ideenfindung bis zur Vermarktung

Sandra Uschtrin hat sich ausführlich mit Chatgpt auseinandergesetzt und der KI Aufgaben gestellt. Und die Ergebnisse finden Sie in diesem Buch. Zahlreiche Beispiele zeigen, was die KI kann – und was eher nicht. Menschliche Hilfe und Nachkontrolle ist immer nötig, mal mehr, mal weniger. KI kann Autorinnen und Autoren auf neue Ideen bringen, sie kann Ihnen mit Klappentexten, Exposés und Pressetexten erheblich unterstützen, aber ist kein Wundermittel.
Das Buch ist gut geschrieben, liest sich leicht und wartet mit zahlreichen Beispielen auf. Obendrein gibt es zahlreiche Tipps, wie man das Beste aus der KI herausholen kann.
Die Autorin weiß, weiß, wovon sie spricht. Und hat mit den Zeitschriften „Federwelt“ und „Der Selfpublisher“ schon vielen aus dem Buchbusiness geholfen.
Danke, Sandra Uschtrin!

Hans Peter Roentgen

Leseprobe: https://www.uschtrin.de/buecher/uschtrin-schreiben-mit-chatgpt/


Illustrated by Uschtrin München

Geschichten aus dem Garten. Erlebnisse mit Eichhörnchen, Füchsen & Co.

Der durch die Corona-Pandemie erzwungene Wechsel von Büro- zur Heimarbeit hatte für Patricia Strunk eine positive Seite: Durch ihre tägliche Anwesenheit im eigenen Heim nahm sie ihre Umwelt, und das war in erster Linie ihr Garten, vollkommen neu wahr. Sie entdeckte Tiere, mit denen sie schon länger in enger Symbiose lebte: Spatzen, Amseln, Mäuse, Eichhörnchen, Füchse und Libellen. Mit all diesen freundlichen Gesellen teilte sie ihr Refugium und bemerkte doch erst allmählich, welchen Reichtum ihr die tierische Gesellschaft bescherte. Weiterlesen


Genre: Erzählungen, Tagebuch, Tiergeschichten
Illustrated by BoD Norderstedt

Seelenvermächtnis – Udo W.: Mein zweites Leben

“Nur” Träume oder doch mehr?

Seit seiner Kindheit plagen Udo Wieczorek Alpträume vom Ersten Weltkrieg. Als Erwachsener suchen ihn die Träume erneut heim und er beschließt, ihnen auf den Grund zu gehen. Zusammen mit seiner Freundin Daniela macht er Urlaub in der Region, in denen er den Ursprung seiner Träume vermutet: einem Tal in Südtirol, dessen Frontlinie durch Sexten verlief. Er selbst ist zum ersten Mal dort, trotzdem kommt ihm das Tal vertraut vor. Immer wieder stößt er während seiner Wanderungen auf vertraute Orte, die er im Traum schon einmal gesehen hat. Und immer wieder erlebt er an solchen Orten eine Art Flashback – er wird zurück in seine Träume versetzt, nur diesmal mit mehr Details. Außerdem bescheren sie ihm Fundstücke wie ein blechernes Kästchen mit einer halben Münze und zwei Briefe, da Wieczorek trotz Ortsunkenntnis genau weiß, wo er hingehen und suchen muss. Was er träumt, ist die Geschichte eines jungen Soldaten namens Vinz, der auf der italienischen Seite Südtirols aufgewachsen ist, später aber für die deutsche Seite kämpft. Sein bester Freund Josele kämpft weiterhin für Italien. Beide Männer sind in ein Mädchen namens Maria verliebt. Und beide erleiden ein tragisches Schicksal: Der Soldat erschießt aus Versehen seinen besten Freund, weil er ihn während des Krieges für einen Feind hält. Das ist der Auslöser der Träume, denn Vinz hat tiefe Schuldgefühle, die er auch im Sterben nicht loswird – er stirbt an seiner Kriegsverletzung. Während er stirbt hat er aber die Vision eines Mannes, der Jahrzehnte später seinen Brief finden wird. Und diesen Mann spricht er in seinem Brief an und bittet darum, dass diese Geschichte aufgeklärt wird.

Wieczorek fährt über die Jahre hinweg mehrmals nach Südtirol, versteht und spricht sogar den Dialekt, obwohl er kein Südtiroler ist. Später nimmt er Journalist Manfred Bomm mit, der seine Spurensuche weiter begleitet und dokumentiert. Dabei finden erst Wieczorek selbst und dann er zusammen mit Bomm weitere Hinweise auf Vinz und dessen Geschichte: Sie können Vinz‘ Familie ausmachen, von der dessen Nichte noch lebt, finden bei dieser Familie ein weiteres Kästchen, das der Sohn der Nichte sorgsam aufbewahrt hat, und entdecken des Weiteren eine Gedenkstätte mit den Namen der Gefallenen. Außerdem erkennt Wieczorek im Haus des Soldaten Dinge wieder und findet eine verblasste Zeichnung einer Sonnenuhr, von der er ebenfalls geträumt hat.

Das in sich abgeschlossene Buch schildert die Spurensuche des Autors Udo Wieczorek zu einem Leben, das er in der Gegenwart nicht selbst gelebt haben und von dem er nichts wissen kann. Wieczorek selbst ist sich unschlüssig, ob er dieses vergangene Leben selbst in einem anderen Körper erlebt hat oder ob er die Botschaften aus einer anderen Zeit sozusagen als Empfänger aufgefangen hat. Er ist in den Träumen und Flashbacks so sehr Vinz, dass er Mühe hat, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Wenn er aber erst einmal wieder zurück in der Realität ist, spricht er von dem Soldaten in der dritten Person. Allerdings neigt Wieczorek dazu, dass er selbst Vinz gewesen sein könnte. Die Theorie der Reinkarnation taucht aber erst gegen Ende des Buches als eine der Möglichkeiten auf, da beide Autoren rational denken und deshalb vorsichtig mit Vermutungen sind.

Das fällt im Buch immer wieder auf: Beide Autoren sind nicht darauf aus, das Ereignis aufzubauschen und Kapital daraus zu schlagen. Wieczorek hat lange Zeit nur seine Freundin eingeweiht, bevor er nach Überredung Bomms ein Buch dazu geschrieben hat. Er hat vorher nur einen fiktiven Roman verfasst, um seiner Erlebnisse zu verarbeiten. Dementsprechend schonungslos geht er die Sache an, indem er die Träume genau schildert und seine Emotionen und Gedanken dazu, sowie seine Überlegungen und die daraus erfolgten Konsequenzen in Form einer Spurensuche. Ebenso genau schildert er sein Leiden, wenn die Alpträume wiederkehren, und welche Belastung sie für ihn darstellen. Es ist keineswegs so, dass er sie als Gabe empfindet und damit hausieren geht, sondern er will im wahrsten Sinn des Wortes Seelenfrieden finden, indem er diese Träume wieder loswird. Und dieser Seelenfrieden wird ihm tatsächlich nach und nach zuteil, als sich die Puzzlestücke zusammenfügen, v.a. als das letzte große Puzzlestück an seinen Platz rückt.

Zwei Erfahrungsberichte in einem Buch zum selben Erlebnis

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Den ersten Teil seiner ersten Reisen erzählt Wieczorek selbst, den zweiten übernimmt v.a. aber nicht nur Bomm. Beide schildern die Erlebnisse Wieczoreks aus ihrer Perspektive und was die Erlebnisse mit ihnen anstellen. Beiden gemeinsam ist das tiefe Staunen darüber, wie zielgenau Wieczorek Gebiete aufsuchen und Dinge finden kann. Er wird sogar von Vinz‘ Familie als einer der ihren akzeptiert, weil er Dinge weiß und wiederfindet, die nur Vinz und die Familie wissen können.

Was Wieczorek beschreibt, ist etwas, was auch im asiatisch-indischen Raum vorkommt: Kindheitserinnerungen aus einem vergangenen Leben, meist einem mit einem traumatischen Ende, d.h. einem traumatischen, gewaltsamen Tod in einem früheren Leben. Gerade im indischen Raum werden solche Erinnerungen der Kinder nicht gern gesehen, weil die Familien Angst haben, ihre Kinder an die frühere Familie zu verlieren. Man versucht solche Erinnerungen z.T. mit Gewalt auszutreiben. Lässt sich eine Familie allerdings auf die Spurensuche ein, erlebt sie den Seelenfrieden und nicht unbedingt den Verlust des Kindes, wenn die Sache aufgeklärt werden kann. Auch im westlichen Raum gibt es immer wieder Kinder, die sich an frühere Leben erinnern können, oft solche mit einem gewaltsamen Ende, das nach Aufklärung schreit. Psychiater Ian Stevenson ist diesem Phänomen wissenschaftlich nachgegangen und konnte Indizien dafür finden, dass solche früheren Leben tatsächlich stattgefunden haben. Sein Nachfolger Jim B. Tucker setzt Stevensons Arbeit fort. https://de.wikipedia.org/wiki/Ian_Stevenson Auch andere Autor*innen gehen diesem Phänomen nach, z.B. in den Büchern „Mama, ich war schon einmal erwachsen“ von Carol Bowman und „Erinnerungen an den Himmel“ von Dee Garnes und Wayne W. Dyer.

Das Buch liest sich neben dem professionellen Schreibstil schon allein deshalb spannend, weil die Autoren chronologisch vorgehen – durch die Spurensuche und die Puzzleteile der Träume ergibt sich die Spannung quasi von selbst. Man fiebert und leidet beim Lesen förmlich mit, weil gerade Wieczorek sein Innenleben sehr genau beschreibt, aber auch analysiert und seine Zweifel verdeutlicht. Dass die Erlebnisse im Präsenz formuliert sind, lässt die/den Leser*in fast in Echtzeit daran teilhaben. Schwarz-Weiß-Fotos der Fundstücke und anderen Orten und Personen, die Wieczorek wiedererkannt hat, sind ebenfalls im Buch vorhanden. Außerdem gehen die Autoren den Hinweisen aus Wieczoreks Träumen nach, indem sie Zeitzeugen und Kenner der Ortsgeschichte kontaktieren, in Büchern und im Internet recherchieren, um mehr Licht in die Angelegenheit zu bringen – auch, um sich historisch auf sicheren Boden zu begeben, denn Träume allein, seien sie noch so aufwühlend, sind keine historische Absicherung. Gerade für Wieczorek bedeutet es eine große Erleichterung, wenn er sich nicht für verrückt erklären muss, weil die Ortgeschichte tatsächlich seine Träume bestätigt.

Für Wieczorek ist es in jedem Fall aber eine psychische Be- und später nach Lösung des Falls Entlastung: Die Träume sind verstörend, aber die allmähliche Auflösung der Geschehnisse bewirkt bei ihm immer mehr Frieden in der Seele bis hin zu tiefem Frieden. Egal ob er oder andere an Reinkarnation glauben oder nicht: Die psychischen Vorgänge sind in jedem Fall real. Auch das wird im Buch en detail beschrieben, denn W. hält wie oben schon geschrieben mit seinen Erlebnissen und Gefühlszuständen nicht hinterm Berg.

Fazit

Ein gut recherchiertes Buch mit eigenen, detailliert geschilderten Erlebnissen zum paranormalen Thema der Reinkarnation. Das Thema selbst kommt aber in so ziemlich allen Religionen vor, auch in den Neben- und Urströmungen der monotheistischen, sodass eine nähre Beschäftigung damit lohnt, zumal es erstaunliche Parallelen zum Phänomen der Nahtoderfahrungen gibt.


Genre: Erfahrungsbericht, Paranormales, Reinkarnation
Illustrated by Weltbild

GESCHICHTE DER ZÄRTLICHKEIT Die Erfindung des einvernehmlichen Sex und ihr zwiespältiges Erbe bei Rousseau, Kant, Hegel und Freud

Let’s talk about sex, sang die Band Salt n Pepa im Jahre 1990. Ein Appell an die Offenheit, sich über die individuellen Wünsche und körperlichen Bedürfnisse auszutauschen, diese zu berücksichtigen, ohne sie dem Gegenüber aufzudrängen. Kurz: Sex in Absprache und Übereinstimmung miteinander, aus freier Wahl.

Was für uns heute selbstverständlich klingt, nahm in Europa seine offiziellen Anfänge mit Napoleon Bonapartes Einführung des Code Civil Anfang des 19. Jahrhunderts. Sex sollte nicht mehr als Rechtspflicht in der bürgerlichen Ehe betrachtet werden – mit Betonung auf bürgerlich! Eine Frau konnte beispielsweise bei der Verweigerung von Sex nicht mehr schuldig gesprochen werden.

Aber wurden die sexuellen Machtstrukturen des Patriarchats dadurch tatsächlich gelockert oder einfach verschoben? Über welche Instanz, wenn nicht mehr über das Gesetz oder die Kirche, wurden diese geregelt? Inwiefern zerbrachen sich die Philosophen Rousseau, Kant, Hegel und Freud darüber den Kopf? Fragen, denen sich der deutsche Literaturwissenschaftler Johannes Kleinbeck in seinem neuen Sachbuch widmet.

Gemeinsamer Nenner Zärtlichkeit

Kleinbecks Hauptargument besagt, dass der Gedanke, Zärtlichkeit solle an die Stelle der Rechtspflicht des Ehevollzugs treten, zuerst von den oben genannten Philosophen formuliert wurde. Da wäre Rousseau, demzufolge sich Zärtlichkeit durch die Prägung der rohen körperlichen Triebe steuern ließe – die ‚Gebrauchsanleitung‘ dazu ist kein geringerer Roman als sein Emile. Immanuel Kant wiederum schwört – paradoxerweise in junggesellenhafter Gesinnung – während der Besatzung Königsbergs durch die Truppen der Zarin Elisabeth I. auf schöngeistig-höfische Galanterie und eine ästhetische Verfeinerung der Sinne.

Hegels Vorstellung fällt da weniger romantisch aus. Der Verlust der sinnlichen Begierde in der Ehe ist nicht beklagenswert, sondern eine Bereicherung in Sachen Zärtlichkeit. Das wusste Hegel als Verfechter der Nationalökonomie Adam Smiths auch aus eigener Erfahrung zu schätzen, seine um knapp 20 Jahre jüngere Frau Marie weniger. Freud wiederum hatte es mit der Zärtlichkeit wie mit dem Koks. Wenn seine Verlobte Martha Bernays beides zu häufig und zu schnell mit anderen teilte, verlor es den Reiz des Speziellen, des Außergewöhnlichen.

Ein Elefant im Raum

Kleinbeck gelingt es, die unterschiedlichen Lesarten der Zärtlichkeit und deren Widersprüchlichkeiten in ihren jeweiligen historischen Kontexten auszuloten und zu zeigen, dass Zärtlichkeit nicht gleich sexuelle Freiheit in der Ehe bedeutet. Die Analyse von Freuds Briefaustausch mit seiner Verlobten hätte vielleicht zugunsten einer intensiveren Beschäftigung mit Napoleons Rezeption der Schriften Kants vor der Erlassung des Code Civil ein wenig bescheidener ausfallen können. Immerhin hatte Napoleon den französischen Offizier Charles de Villers mit der Übersetzung von Kants Schriften beauftragt.

Die gegen Ende der Abhandlung geäußerten Thesen gehen dann schon expliziter in Richtung Kapitalismuskritik und feministische Kritik. Seit den 1960ern und 1970ern, wo sich gleichzeitig mit der sexuellen Revolution die Institution Ehe aufzulösen begann, sei es zunehmend schwieriger geworden, Zärtlichkeit unabhängig von kapitalistischen Bedürfnissen zu praktizieren. Dass diese fragmentierende Trennung von (außerehelicher) Sinnlichkeit als Warencharakter und (ehelicher) Zärtlichkeit von Männern ersehnt sei, verlinkt Kleinbeck wiederum mit feministischen Ansätzen wie Virginie Despentes King Kong Theorie. Diese Argumente fallen, gerade weil sie im Schlussteil der Arbeit platziert sind, knapp aus. Dabei sprechen sie genau die wunden Punkte an, die näher zu erörtern es sich in dieser Abhandlung noch ausgezahlt hätte.

Letztlich wird die Frage „Ist Zärtlichkeit heute – unabhängig von der sexuellen Neigungmit alternativen Beziehungsmodellen als der von politischen Aktivist*innen gefürchteten Monogamie bzw. monogamen Ehe langfristig praktizierbar?“ zum Elefanten im Raum.


Genre: Kulturgeschichte, Sachbuch
Illustrated by Matthes & Seitz

How do I tell them I love them?

Schmerzhafter Entwicklungsprozess

Lark Winter (17) ist in mehrfacher Hinsicht anders: transgender, neurodivers, people of colour, polyamor. Die Erfahrungen, die sier mit dieser Art des Andersseins macht, verarbeitet sier in einem Roman, dessen Hauptfigur passenderweise „Birdie“ heißt, denn sier möchte Schriftsteller*in werden. Aber kein Verlag ist an sierer Geschichte interessiert, es hagelt Absagen. Unter anderem sei sier zu jung, um über solche Themen und Probleme zu schreiben. Oder sier übertreibe mit dem, was sier schreibt. Dabei ist Larks Leben alles andere als einfach, u.a. durch den Rassismus, den sier immer wieder erlebt und das Mobbing sogar in der eigenen LGBTQ+-Bubble. Und Kasim, der beste Freund Larks, hat sich von Lark abgewendet. Dabei will Lark nur eins: Frieden und unendliche Liebe in der Welt. Denn dann gibt es keine Ungerechtigkeiten mehr. Über siere Gedanken schreibt sier im Internet. Auch da muss sier sich mit Hasskommentaren der LGBTQ-Community und people of colour über siere Einstellung auseinandersetzen. Eines Tages aber geht ein Tweet viral, indem es angeblich über siere unerwiderte Liebe geht. Der Haken an der Sache: Diesen Tweet hat nicht Lark, sondern Kasim geschrieben. Lark sieht eine Chance für sieren Erfolg als Autor*in und klärt den Irrtum nicht auf – mit vielen unangenehmen Konsequenzen, aber auch Wachstumschancen.

Sehr tiefgründiger Roman über ernste Themen

Themen insgesamt: nicht-binär, neurodivers, dunkle Hautfarbe, Social Media, Kritik an der eigenen Bubble, Polyamorie, Drogen, Depressionen, Angststörung, Traumata, Rassismus, (Cyber-)Mobbing, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Corona-Pandemie, schwierige Familienverhältnisse, Berufswunsch, Liebe in ihren Facetten, Spiritualität – um einmal die wichtigsten zu nennen, denn es sind nicht alle.

Vielfalt – eine Sache der Natur

Der in sich abgeschlossene Roman greift gleich mehrere Themen auf, die deutlich verbreiteter in die Mainstreamliteratur gehören würden: zunächst das Thema Anderssein generell, hier spezifiziert durch nicht-binäre und neurodiverse Menschen, sowie people of colour. Es mag vielleicht erst einmal als too much herüberkommen, dass die Hauptperson all diese Themen in sich vereint. Aber Autor*in Kacen Callender schreibt aus eigener Erfahrung und die Natur geht sowieso nicht nach Schema F vor, sondern hat als Überlebensprinzip ihre unendliche Vielfalt. So geht der Roman sehr in die Tiefe, was Leser*innen, die derartige Erlebnisse nicht teilen müssen, vielleicht als schwere Kost wahrnehmen. Aber Menschen, die anders sind, müssen vielfältige und immerwährende Anfeindungen stemmen können, wollen sie überleben. Das macht sie tiefsinniger und insgesamt stärker. Allerdings kann es auch, wie am Beispiel von zweien der Freunde Kasims gezeigt, zur Radikalisierung und beginnender Unmenschlichkeit führen, wenn alle anderen (außer sie selbst und ihre Meinung) als Feinde wahrgenommen werden und dabei die Realität völlig aus dem Blick gerät.

Larks Gedanken dazu fasst das Buch an einer Stelle folgendermaßen zusammen: „Derselbe Kummer. Dieselbe Wut. Und derselbe Schmerz. Zerreißt uns wieder und wieder. In einer Welt, die von uns verlangt, dass wir uns heilen. In einer Welt, die von uns Schwarzen Menschen verlangt, dass wir uns ändern, damit andere Leute sich sicher fühlen können. Leute, die vor unseren Körpern Angst haben, unsere Haut als bedrohlich empfinden. Genau diese Welt weigert sich, zu sehen, wie sie uns umbringt. Ich bin wütend. Das habe ich mir vermutlich nie wirklich eingestanden. Ich dachte immer, die Wut einer Person wie mir sei in dieser Welt sinnlos. Schwarz, queer, trans, neurodivers. Mir absolut unbekannte Menschen verwenden meine Identitäten gegen mich. Sie sagen, ich hätte nicht das gleiche Recht zu leben, zu existieren. Wenn ich wütend werde, tun sie so, als wäre ich es nicht wert, geliebt zu werden. Wenn ich frustriert bin und mich wehre und Fehler mache (ich bin trotz allem ein menschliches Wesen, das lernen und wachsen muss), werde ich zur unsympathischen Figur eines Buches gemacht. Naja. Vielleicht interessiert es mich nicht mehr so sehr, was andere von mir denken.“ (S. 339)

Lark: Lerche. So hat Larks Mutter sier genannt. Und sie gibt Lark mit, dass sier nicht an Protesten teilnehmen muss, wenn das nicht sierer Identität entspricht – es gibt andere Wege wie z.B. das Schriftstellertum, um der eigenen Stimme Gewicht zu verleihen. Jeder und jedem, wie sie/sier/er mag und kann und nicht, wie andere meinen, dass man kämpfen muss. „‘Ich glaube, unsere bloße Existenz ist genug. Einfach zu sein, zu atmen und uns selbst und einander zu lieben. Das ist auch eine Art Kampf. Findest du nicht auch?‘ Ja. In einer Gesellschaft, die mir Selbsthass und Selbstverachtung beibringt, kann Selbstliebe stattdessen eine völlige Revolution bedeuten.“ (S. 342)

(Selbst-)Reflexion als Grundvoraussetzung für Entwicklung

Das Buch ist sehr (selbst-)reflektiert und auch philosophisch. Auch das gehört dazu, wenn man anders und Anfeindungen ausgesetzt ist: Man denkt viel, eigentlich immerwährend, über sich und die Welt nach. Das Finden zu sich selbst und der eigenen Haltung ist ein fortlaufender, oft schmerzhafter Prozess – der aber gegangen werden muss, will man wachsen und zu einem erfüllteren Leben kommen. Intelligenz muss aber nicht automatisch bedeuten, dass man (selbst-)reflektiert ist, wie zwei von Kasims Freunden zeigen. Sie benutzen ihre Intelligenz als Waffe und drehen Lark immer wieder das Wort im Mund herum, um sier zu diffamieren und den Hass auf sier zu schüren, während sie selbst sich im Gegenzug als diejenigen präsentieren, die einen Feind der Community entlarvt haben und sich so als Held*innen darstellen. Das ist das Gegenteil von Wachstum, das ist Versteinerung. Und das schadet sich und anderen immens. Auch das stellt das Buch sehr schön heraus, ebenso, dass es schwer ist, diese perfide Troll-Strategie zu durchschauen und dagegen anzugehen. Und in Bezug auf Rassismus sollten alle, die rassistisch denken, sich vor Augen führen, dass dunkelhäutige Menschen nichts weniger als die Wiege der Menschheit darstellen – die hellhäutigen sind schlicht Mutationen des dunkelhäutigen Ursprungs. Vielleicht sollte man sich auch einmal das Szenario überlegen, dass alle Menschen von Natur aus blind wären. Würden dann solche Äußerlchkeiten wie die Hautfarbe überhaupt noch eine Rolle spielen?

Intoleranz in der Realität auch in eigentlich toleranten Communities

In der eigenen Bubble nicht ernst genommen zu werden, Intoleranz selbst dort, auch Anfeindungen kommen tatsächlich vor. Intoleranz mancher Homosexuellen gegenüber Bisexuellen ist keine Seltenheit. Auch anderweitige Intoleranz gibt es: Meine Freundin berichtete mir mehrfach von der Frau einer lesbischen Kollegin, die das transsexuelle Kind derselben nicht akzeptiert. Ich selbst wurde mit meinen Gedanken kurz und inhaltslos abgespeist, als ich versucht habe, mich in einer solchen Bubble mitzuteilen, obwohl diese sich als offen bekennt und Aufklärungsarbeit betreibt. Ein anderes Erlebnis hatte ich mit schwarzhäutigen Frauen, die meinen Kommentar zu schwarzhäutigen Göttinnen ein paar Minuten nach Erscheinen gelöscht haben. Ich bin für Verbindung und finde es gut, dass Göttinnen wieder erstarken und Frauen sich ihre eigenen göttlichen Ansprechpartnerinnen suchen – egal welcher Hautfarbe. Aber da ich weißhäutig bin, wurde der Kommentar gelöscht – Rassismus andersherum. Dieser Rassismus andersherum wird in einer anderen Art auch im Buch thematisiert, indem alle weißhäutigen Menschen über einen Kamm geschert und angefeindet werden. Die Wut der people of colour ist sehr verständlich, aber die Schlussfolgerung daraus Larks und meiner Meinung nach die falsche. Auch hier gilt: Pauschalisierung und Engstirnigkeit trennt, Offenheit verbindet.

Es wäre also meiner Meinung nach besser, dass in meinem o.g. Beispiel Frauen sich verbinden und sich nicht gegenseitig z.B. aufgrund der Hautfarbe anfeinden. Damit will ich nicht kleinreden, dass weiße Menschen gegenüber people of colour nicht einiges aufzuarbeiten hätten! Aufarbeitung ist dringend nötig. Allerdings schwächt ein Verhalten wie oben dargestellt die Frauenbewegung insgesamt und spielt patriarchalen Kräften in die Hände, wenn Frauen sich gegenseitig zerfleischen. Miteinander reden und Aufarbeitung bringt viel mehr als Zerfleischung, finde ich.

Oder dass während meiner Studienzeit in einem feministischen Buch stand, Männer seien nicht erwünscht, obwohl sich Männer ebenfalls für die Frauenbewegung einsetzen. Hier wird meiner Meinung nach der Fehler gemacht, dass alle Männer über einen Kamm geschoren werden. Aber es entsprechen eben nicht alle Männer dem patriarchalen Männerbild (Gottseidank!) – auch Männer leiden unter dem Patriarchat, denn es gibt mehr Männertypen, als das patriarchale Bild zulassen und wahrhaben will.

Das alles hat mich schockiert. Und da kommt automatisch die Frage auf, ob solche Leute denn nichts aus der eigenen Erfahrung gelernt haben? Sie wollen Akzeptanz für sich, gestehen sie aber anderen nicht zu? Ich finde es sehr gut und mutig, dass Callender auch diese Probleme in der Welt der people of colour und der LGBTQ+-Gemeinde anspricht. Denn solche Inakzeptanz in den eigenen Reihen schwächt und die Bubble verliert an Glaubwürdigkeit.

Selbstliebe und Selbstfindung

Das Buch strotzt insgesamt vor Themen und Tiefgang. Große Themen sind Selbstliebe und Selbstfindung, gepaart mit der Übernahme der Verantwortung für sich selbst und das eigene Handeln. An Lark sieht man sehr gut, dass das Übernehmen von Verantwortung wie ein Sprung ins kalte Wasser und schmerzhaft ist und man dabei auch viele Fehler machen kann. Aber die Mühe lohnt sich, denn es fördert die Selbstliebe. Es ist schmerzhaft, sich mit sich selbst und anderen auseinanderzusetzen und Grenzen zu ziehen, v.a. weil letztere oft genug nicht akzeptiert werden. Das bedeutet natürlich einen mühevollen Entwicklungsprozess, der letztlich aber lohnend ist. Lark stellt sich diesem Prozess, der alles andere als glatt verläuft, und findet sich am Schluss selbst, dazu neue (echte) Freunde und siere Liebe, denn jetzt ist sier authentisch.

Lark ist sehr spirituell, dabei aber in keiner Religion verhaftet. Sier macht sich ein eigenes Bild über die jenseitige und göttliche Welt, die viele Anklänge an die Reinkarnationstheorie hat. Dabei spielt bedingungslose Liebe eine sehr große Rolle: Liebe zu anderen (was Lark leichtfällt, selbst zu sieren Feinden) und Liebe zu sich selbst (was Lark sehr schwerfällt, da sier regelmäßig angefeindet wird). Sier wünscht sich (Selbst-)Akzeptanz, Harmonie, eine friedliche Welt und einfach sein zu dürfen, ohne Wenn und Aber.

Nicht perfekt sein ist das Ziel, sondern Wachstum. Dabei macht man häufig Umwege und damit Fehler, die aber als weiterer Entwicklungsanstoß dienen können. Den Wachstumsprozess mit all seinen Irrungen und Wirrungen, sowie dass das Leben nicht einfach, sondern komplex ist, stellt das Buch wunderbar dar. Nicht nur Lark durchläuft einen Entwicklungsprozess, sondern auch fast alle anderen Figuren im Buch – außer denjenigen, die nichts dazulernen wollen. Und die gibt es durchaus auch in der eigenen Bubble.

Fazit

Sehr tiefgründiges Buch mit vielen ernsten Themen, die endlich wahrgenommen und akzeptiert werden wollen. Sehr empfohlen!


Genre: Diversität, Entwicklungsroman, Neurodiversität, non-binär, people of colour, Sexismus, Traumata
Illustrated by LYX

Querwies Rezeptesammlung

Wildkräuter – wahre Vitamin- und Mineralstoffbomben!

„Traue nicht dem Ort, wo kein Unkraut wächst!“ (Zitat im Kochbüchlein)

Das kleine, schmale Kochbüchlein in passend grüner Aufmachung enthält 24 Rezepte, die von Getränken über Suppen, Dips, Butter, Brötchen, Knabberstangen, Salaten, Frikadellen, Pfannkuchen Kartoffelbrei, Quiche bis hin zu Süßspeisen alle eins gemeinsam haben: Sie enthalten Wildkräuter. Allein an dieser Spanne von Einsatzgebieten lässt sich schon ableiten, dass Wildkräuter durchaus jedes Gericht aufpeppen können, sofern sie vom Geschmack her richtig verwendet werden.

Veronika Kraus bezeichnet sie zurecht als „schmackhafte Nährstoffbomben“, denn Wildkräuter strotzen vor Vitaminen und Mineralien – und das alles umsonst und bio, denn sie wachsen wild und nicht auf gespritzten, überdüngten Feldern. Außerdem haben viele „Un“-Kräuter heilende oder lindernde Wirkung. Man denke nur an die allseits verschriene Brennnessel, die harntreibend, stoffwechselanregend, entzündungshemmend und durchblutungsfördernd wirkt und sich u.a. gut in einer Quiche mit Tomaten und Käse macht und als Spinat-Ersatz oder Beigabe zu Spinat Gerichten einen würzigen Geschmack verleiht. Noch weniger gut sind Gärtner*innen auf Giersch zu sprechen, aber dieses sogenannte Unkraut hat ebenfalls entzündungshemmende und harntreibende Wirkung und soll den Blutfluss stillen, sowie die Verdauung anregen. Aus beiden kann man Tee zubereiten, sie als Gemüse oder im Salat verwenden, ebenso in Smoothies. Und aus fast allen essbaren Wildkräutern lässt sich Kräutersalz herstellen oder ein Wildkräuterpesto.

Allerdings sollte man schon Kräuter sicher bestimmen können, bevor man sie sich ins Essen macht, denn viele Wildkräuter haben giftige Zwillinge. Bestimmungsbücher und (noch besser) Wildkräuterführungen in der freien Natur vor der Haustür machen nicht nur Spaß, sondern sind auch durch Bewegung, frische Luft und natürlich die (essbaren) Kräuter gesund. Außerdem gibt es bei vielen Kräuterwanderungen nicht nur nette Gesellschaft, sondern auch ein Büffet mit Wildkräuterleckereien zum Verkosten – die beste Werbung dafür, die kostenlosen Leckereien auch mal selbst zu sammeln, zu verarbeiten und damit einen „guten Einstieg in die Welt des natürlichen Geschmacks“ hinzulegen. Aber nicht vergessen: Nicht die ganze Pflanze ausreißen, sondern schonend sammeln – andere Sammler*innen und die Insekten wollen schließlich auch noch was abhaben!;) So lässt sich ein intensiveres Verhältnis zur Natur aufbauen, das zudem noch durch den Magen geht. „Ein Leben nicht neben oder gar gegen die Natur, sondern das Leben mit der Natur soll unser Ziel sein“, formuliert es die Autorin treffend.

Kraus bereitet z.B. aus Giersch eine Limonade zu: Sie verwendet dazu Mineralwasser, Apfelsaft, Giersch, Gundermann, Minze, Zitronenmelisse, Zitrone und serviert die daraus entstandene Limonade gekühlt – eine gelungene Erfrischung im Sommer. Aus der Brennsessel bereitet sie eine Creme-Suppe zu und aus den getrockneten Brennnesselsamen Knabberstangen. Auch in veganen Kräuterfrikadellen machen sich Giersch, Brennnessel, Gundermann, Knoblauchrauke und Co. gut. In bekannten Gerichten wie Pfannkuchen peppen Wildkräuter wie die Knoblauchrauke den Geschmack auf, ebenso im grünen Kartoffelbei und im grünen Kartoffelsalat. Schnell zubereitet ist ein Blüten-Obst-Kuchen mit den essbaren Blüten der Wildkräuter wie Gänseblümchen, Löwenzahn, Tagetes, Rosenblüten, Kamille, Veilchen, Rotklee, Lavendel oder Minze. Auch Waldmeistercreme lässt sich schnell selbst zubereiten.

Die Autorin achtet darauf, dass ihre Rezepte alltagstauglich und auch für Einsteiger*innen gut umsetzbar sind. Natürlich sollte man trotzdem etwas Zeit zum Kochen mitbringen, aber wer sich gesund ernähren will, kocht sowieso frisch. Wünschenswert wäre allerdings, dass diese sehr gesunden „Unkräuter“ (wie überhaupt gesundes Essen) auch Eingang in die Küchen und Mensen von Kitas, Schulen und Betrieben finden würden – der Volksgesundheit würde es sicher nicht schaden!

Fazit

Kurz und knapp: Empfohlen, auch wenn Fotos der Rezepte fehlen. Der Gesundheit zuträglich sind die (essbaren) Wildkräuter allemal.

Die Autorin bietet noch ein weiteres kleines Rezeptbüchlein in lila Aufmachung an, in dem sie v.a. Rezepte für ihre Führungen gesammelt hat.

Diese Rezeptsammlungen sind allerdings nur privat zu beziehen über Querwies@t-online.de


Genre: Kochbuch, Wildkräuter
Illustrated by Eigenverlag "Querwies"

Batman – Die Festung

Batman – Die Festung. “Kill your idols”, hieß es in den Siebzigern und Jahrzehnte später geht es auch Superman an den Kragen. Oder zumindest seiner Familie. Denn die Kryptonier waren alles andere als ein friedliebendes Volk. Der Heimatplanet von Superman war von einem imperialistischen Volk bewohnt, das andere Planeten eroberte und unterjochte. Nun kommen drei Überlebende und wollen ausgerechnet an Superman, dem wohl letzten Kryptonier Rache nehmen.

Batman in Supermans Festung der Einsamkeit

Ein Blackout hat die Erde lahmgelegt. Es gibt keine Energie mehr und der halben Planet scheint in ewige Dunkelheit getaucht zu sein. Der weltweite Stromausfall stürzt zwar die Menschheit in Finsternis, aber natürlich nicht Batman und seine neu gegründete Heldengemeinschaft aus neuen Justice-League Mitgliedern. Darunter übrigens auch der Präsident der Vereinigten Staaten Lex Luthor. Wie eingeweihte Fans wissen wurde der Erzfeind Supermans in einem anderen alternativen Paralleluniversum zum Hauptkanon, nämlich dem Hauptkanon zum US-Präsidenten. Außerdem sind mit im Team: D’ayl, eine Art Kuschelbär des intergalaktischen Green Lantern Corps (ein H’ivenite), Emiko Queen, die den Bogen ebenso wie Halbbruder Green Arrow zu spannen weiß, sowie Aqualad resp. Baldur.

Die Drei Weisen aus dem All

Die Aufgabe der illustren Heldenbande ist es nun, den drei Außerirdischen, die etwas an die Drei Heiligen aus dem Morgenland erinnern, zuvorzukommen und Superman aka Clark Kent vor ihnen aufzuspüren. Aber die drei Außerirdischen haben Kräfte die sogar jene Supermans übersteigen und so ist es für Batman & Co alles andere als einfach, den Kampf aufzunehmen, geschweige denn zu gewinnen. Aber was ein Einzelner nie schaffen konnte, schafft ein Team mit einem guten Teamgeist und so dringen sie gemeinsam in Supermans Festung der Einsamkeit vor. Allerdings auch kein leichtes Unterfangen, denn Superman hat einige wirkmächtige Fallen eingebaut, die sein letztes Stück Heimat vor Eindringlingen beschützen soll.

Superman: Kryptonischer Imperialist?

Ein munter erzähltes Abenteuer, das einige Überraschungen bereithält, die den Hauptkanon der Erzählung des Batman und Superman Mythos um ein interessantes Gedankenexperiment erweitern. Aber mehr kann hier selbstverständlich nicht verraten werden. Das Gesicht von Bruce Wayne trägt diesmal deutlich veränderte Charakterzüge, aber mit Maske sieht er so schick aus wie immer. Die betont düstere Atmosphäre der Bathöhle und des Abenteuers insgesamt wird durch komische Elemente konterkariert. So kommt auch der Humor nicht zu kurz und Lex Luthor bekommt am Ende ein würdiges Schicksal. Bei Superman ist man sich da allerdings nicht so sicher, ob diese Strafe wirklich eine ist.

Garry Whitta/Darick Robertson
Batman – Die Festung
(Original Storys: Batman: Fortress 1-8)
2023, 212 Seiten, Softcover
ISBN: 9783741633041
Panini Verlag
25,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics