Geschichte zweier Opportunisten
Eine schillernde Figur, Magda Goebbels, steht im Mittelpunkt des neuen Romans von Nora Bossong, Protagonist und Ich-Erzähler jedoch ist Hans Kesselbach, ein Homosexueller, mit dem sie in jungen Jahren kurzzeitig eine Affäre hat. Entlang der deutschen Geschichte von 1919 bis 1945 schreibt die Autorin über die «Vorzeigemutter» des Dritten Reichs, von der außer ihrem Abschiedsbrief an den ältesten Sohn aus erster Ehe nichts Schriftliches erhalten ist, Ganz im Gegensatz zu ihrem Mann, dem verbrecherischen Propaganda-Minister, der als einer der eifrigsten Tagebuch-Schreiber gilt, von seinen jedenfalls sind hunderte erhaltenen geblieben. Und ob sich hinter der Romanfigur des schwulen Liebhabers der Student Fritz Gerber verbirgt, das ist ebenfalls unsicher, reichlich Raum also für Fiktives in diesem Roman.
Eine Friedhofs-Inschrift, die dem Buch eine bedrohliche Grundstimmung unterlegt, ist als Motto vorangestellt: «Was Ihr seid – das waren wir; was wir sind – das werdet Ihr». Die junge Magda hat den aufstrebenden Industriellen Günther Quandt geheiratet, der mit Textilien für die Wehrmacht den Grundstein für sein industrielles Imperium gelegt hat. Helmut, der jüngste ihrer beiden Stiefsöhne, freundet sich mit seinem Klassenkameraden Hans an und lädt ihn über Jahre hinweg immer wieder in die pompöse Villa seines reichen Vaters ein. Seine junge Stiefmutter Magda, die er spöttisch nur Madame Quandt nennt, findet ebenfalls Gefallen an Hans. Als aber Hans sich seinem Freund eines Tages unsittlich zu nähern versucht, bricht Helmut den Kontakt für längere Zeit komplett ab. Später lebt ihre Freundschaft wieder auf, und Magda, die in ihrer Ehe sehr unglücklich ist, hat eine Liebesbeziehung mit Hans, der inzwischen studiert. Während sie Trost sucht, schützt ihn die Liaison vor Anfeindungen, denn Homosexualität ist nach §175 ein Straftatbestand zu jener Zeit.
Magda lässt sich scheiden und bezieht eine repräsentative Wohnung am titelgebenden «Reichkanzlerplatz», in deren Salon sich bald schon die Prominenz von Berlin zum geselligen Beisammensein trifft. Dort verkehrt auch der Österreicher, und als Hans eines Abends am Flügel sitzt und spielt, tritt jener näher und blickt ihm auf die Finger. «‹Schubert›, sage ich. ‹Es geht zu Herzen›, antwortet Hitler». Das war’s auch schon, dieser Name kommt im gesamten Roman nur dieses eine Mal vor, ein gekonnter literarischer Winkelzug der Autorin. Hans geht nach dem Jurastudium in den diplomatischen Dienst und arbeitet im Konsulat in Mailand, weit genug entfernt von den politischen Umtrieben und allem Militärischen, dem er nichts abgewinnen kann, obwohl ihn sein im Ersten Weltkrieg hochdekorierter Vater dafür vorgesehen hatte.
Könnte es sein, fragt man sich nach der Lektüre, dass entgegen der literarischen Absicht der Handlungsstrang mit Magda Goebbels in Umfang und Bedeutung hinter den mit Hans Kesselbach zurückfällt. Während Magda ziemlich farblos bleibt und entgegen ihres historischen Ranges im Roman keinerlei Anteil hat an den Verstrickungen des verbrecherischen Regimes, ist Hans in seiner diplomatischen Mission sehr vertraut damit, was die Nazis da gerade anrichten. Obwohl das damalige Geschehen äußerst komplex war, erscheint es im Buch leichtverständlich und leider auch leichtverdaulich. Man wird auch nicht durch das Wort KZ als Synonym für das Unfassbare belästigt, denn weder Magda noch Hans sind damit konfrontiert, was mit Juden und anderen Systemopfern tatsächlich passiert. Nicht nur die beiden Hauptfiguren bleiben blass, auch die Nebenfiguren sind ziemlich konturlos. Aber warum eigentlich muss Hans im Roman denn unbedingt schwul sein? Ist das etwa der Grund: ‹Wenn Hans ein richtiger, ein gestandener Mann gewesen wäre, der Magda hätte befriedigen können in ihren unerfüllten Sehnsüchten, dann wäre sie auch nicht Frau Goebbels geworden.› So einfach gestrickt ist diese Geschichte zweier Opportunisten!
Fazit: miserabel
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Polarisierendes Experiment
Hier also bin ich
Schon die Vorwörter dieses Briefwechsels sind lesenswert: Gekauft hatte ich es als Taschenbuch, 2021 in England erschienen, mit einem Vorwort von Fergus Garrett, dem Nachfolger Lloyds in Great Dixter, und natürlich auch mit denen der beiden Autoren von 1998.
Trauer ohne Larmoyanz



Staunend am Mammutbaum
Die Erstgeborenen. Wer (ältere) Geschwister hat, wird das weitverbreitete Klischee kennen, dass diese es schwerer gehabt hätten. Wegen der Zeit, der Gesellschaft, der Eltern. Sie hätten vorgekämpft, wovon die jüngeren nun profitieren würden. Aber oft ist genau das Gegenteil der Fall: die Jüngeren müssen das Kreuz der Älteren tragen.
Junge aus West-Berlin. Der Mauerfall ist auch schon wieder 35 Jahre her. Die Politik feierte sich selbst, aber wie war das damals eigentlich für die Menschen? Maxim Leo hat eine Liebesgeschichte geschrieben, die vor dem Systemwechsel beginnt und mit demselben endet. Marc und Nele erzählen abwechselnd
Die herzzerreißende Liebes-geschichte zwischen Marc aus Westberlin und Nele aus Ostberlin wird voller Liebe und Hingabe erzählt und zeigt, dass es oft nicht die Worte sind, die einen verbinden, sondern das, was man spürt. “Möglicherweise hätten wir dieses tiefe Verständnis, das wir füreinander hatten, sogar aufs Spiel gesetzt, wenn wir versucht hätten, es mit Worten zu ergründen.” Der Sommer 1989 war auch der Sommer der Liebe zwischen Marc und Nele. Rebellion und Aufbruch überall, fröhlich-bunte Anarchie im grauen Schattenland diesseits der Mauer. Autor Maxim Leo und Kat Menschik verarbeiten in ihrem gemeinsamen Buch auch ähnliche Erfahrugen, die sie damals gemacht hatten. Maxim Leo ist 1970 in Ostberlin geboren und dort aufgewachsen. Er ist Journalist und Autor. Er hat zahlreiche Bestseller geschrieben, darunter seine autobiografischen Romane. Kat Menschik hat ihre Jugend wie Maxim Leo in Ostberlin verbracht und den Sommer 1989 in der Ostberliner Künstler- und Punkszene miterlebt. Heute ist sie namhafte Illustratorin. Verblüffend, dass sich die beiden damals gar nicht kennengelernt haben, meint Menschik, denn sie verkehrten in denselben Freundeskreisen und hatten ähnliche Interessen. PS: Das Mauergrau ist Absicht!
Die Glückseligen. In insgesamt vier in ungleiche Längen unterteilte Kapitel erzählt Gustav Ernst die Geschichte von Ulrich und Rosanna, wobei letztere vielleicht gar nicht so heißt. Eine Satire voll bittersüßer Ironie, die die menschlichen Abgründe wie in Platons Höhlengleichnis hell ausleuchtet.
A Vicious Circle: Die neue Serie von Lee Bermejo (Batman Damned) im Album-Format und Autor Mattson Tomlin (“The Batman”) spielt in der Kreidezeit, im Tokio des 22. Jahrhunderts und dem New Orleans der 1950er, also auf verschiedenen Zeitebenen. Denn jedesmal wenn Shawn Thacker, eine Attentäter aus der Zukunft, jemanden tötet verschlägt es ihn in ein anderes Jahrhundert.
Unbegrenzte Gewalttätigkeit