Die Nickel Boys

Unbegrenzte Gewalttätigkeit

Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead hat mit «Die Nickelboys» zum zweiten Mal diesen begehrten Literaturpreis verliehen bekommen, was in der mehr als hundertjährigen Geschichte dieses Preises vor ihm erst dreimal geschehen ist. Er gehört damit zu den wichtigsten Schriftstellern der US-amerikanischen Literatur. Das große Vorbild ist für ihn Martin Luther King, den er in seinem Roman häufig zitiert mit seinen Schriften für den gewaltfreien Kampf gegen die Rassentrennung. Inspiriert sei der fiktive Roman mit seinen frei erfundenen Charakteren «durch die Geschichte der Dozier School for Boys in Marianna, Florida», wie er im Nachwort schreibt, er habe davon 2014 zum ersten Mal in der «Tampa Bay Times» gelesen. Es gäbe inzwischen sogar eine «Website der Überlebenden» und viele weitere Publikationen, auf die er bei seinen Recherchen gestoßen sei.

«Sogar als Tote machen die Jungs noch Ärger», lautet der erste Satz im Prolog, der davon berichtet, wie eine Gruppe von Archäologinnen bei Untersuchungen auf dem für einen Bürokomplex vorgesehenen Gelände der längst verschwundenen, ehemaligen Besserungsanstalt etliche Tote finden. Elwood, der fünfzehnjährige, farbige Protagonist des Romans, lebt bei seiner Großmutter, die als Putzfrau arbeitet. Der in sich gekehrte Junge liest gerne Bücher, sein wertvollster Besitz ist eine Langspielplatte mit der Rede Martin Luther Kings auf dem Zion Hill. Elwood wird von seinem Lehrer gefördert und bekommt durch dessen Protektion sogar einen Studienplatz am College. Auf dem Weg zur Einschulung nimmt ihn ein farbiger Mann in einem schicken Auto mit. Sie werden von der Polizei gestoppt, das tolle Auto ist gestohlen, und Elwood wird völlig willkürlich als Mittäter in die Besserungs-Anstalt eingewiesen, – schließlich ist er ja  auch ein Farbiger, ergo muss er ebenfalls ein Autodieb sein! Und damit beginnt für ihn eine lange Leidensgeschichte.

Unermüdlich spürt der Autor den Demütigungen nach, denen die Insassen dieser Hölle namens «Besserungsanstalt» ausgesetzt sind. Die ist geradezu eine Garantie dafür, dass die weißen und farbigen Delinquenten ebenfalls zu Monstern werden, ganz so wie ihre sadistischen Aufseher und Betreuer in dieser vermeintlichen «School for Boys.» Die Teenager werden zu allerlei Arbeiten in der Anstalt herangezogen. Die Sadisten kommen meist aus prekären Verhältnissen und haben oft ihrerseits Schlimmes hinter sich, sie fühlen sich quasi im Besitz eines Freibriefs zur Quälerei. Selbst bei den geringsten Vergehen der Zöglinge werden drakonische Strafen verhängt und auch gnadenlos exekutiert. Dabei geht es so grausam zu, dass manche der Opfer die Torturen nicht überleben. Korrupte Ärzte sorgen dann dafür, dass eine unverdächtige Todesursache angegeben wird, es gibt aber auch Fälle, in denen die Jungs einfach spurlos verschwinden und heimlich irgendwo auf dem weitläufigen Areal verscharrt werden. Die bis hoch zum Direktor durchgängig korrupte Belegschaft dieser Stätte des Grauens verleiht die Jungen für die verschiedensten Arbeiten an Geschäftsleute oder auch Privatpersonen, wobei die Erlöse untereinander aufgeteilt werden und nicht etwa der «School for Boys» zugute kommen. Das Gleiche passiert mit den Lebensmitteln oder mit Kleidung, die in dunkle Kanäle verschwinden. Leidtragenden sind die inhaftierten Teenager, die einen immergleichen, ekligen Fraß vorgesetzt bekommen oder in längst verschlissener Kleidung herumlaufen müssen.

Colson Whitehead erweist sich als unermüdlicher Chronist dieser dunklen Geschichte der USA, die Anfang der sechziger Jahre noch ebenso real war wie die Skandale in Internaten und kirchlichen Einrichtungen in Deutschland, die bis heute ebenfalls nicht gesühnt sind. In einer unprätentiösen Sprache erzählt, ist dieser Roman eine flammende Anklage gegen den auch heute noch vorhandenen Rassismus im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, zu denen traditionell auch unbegrenzte Gewalttätigkeit gehört.

Fazit:   lesenswert

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Genre: Roman
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