Die Glückseligen. In insgesamt vier in ungleiche Längen unterteilte Kapitel erzählt Gustav Ernst die Geschichte von Ulrich und Rosanna, wobei letztere vielleicht gar nicht so heißt. Eine Satire voll bittersüßer Ironie, die die menschlichen Abgründe wie in Platons Höhlengleichnis hell ausleuchtet.
Surreale Groteske in Wiener Vorstadtvilla
Ulrich bekommt Freitag abends eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier eines ehemaligen Schulfreundes. Aber da sie sich schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben ist er so unschlüssig, dass er erst im Taxi bemerkt, sein Handy vergessen zu haben. So kann er seine Frau Emma nicht informieren, aber es wird ja auch nicht so lange dauern, denkt er sich noch. Außerdem ist sie ja sowieso auf Kur. Nach Jahrzehnten als Angestellter rechnet er ohnehin mit seiner Kündigung und da kommt es ihm gerade recht, sich einfach mal so treiben zu lassen. Bei strömendem Regen steigt er in einem Wiener Randbezirk aus dem Taxi und betritt das Wohnhaus an der genannten Adresse. Schon beim Eingang verwickelt ihn ein Herr in ein Gespräch, der den Herrn Kohout, den Gastgeber gar nicht zu kennen scheint. Am Buffet sind auch andere Gäste sehr geschwätzig und Ulrich wundert sich über das üppig ausgefallene pompöse Fest, das er seinem alten Mitschüler gar nicht zugetraut hätte. “Denn sie müssen wissen, weinende Männer sind das Letzte” haucht ihm eine Dame zu und bevor es richtig hitzig wird, siedelt der “harte Kern” der Party in ein Hotel um. Oder ist es eine Villa? Ulrich versucht dort seine Rosanna wiederzufinden, die ihm jäh während eines Dialoges entrissen wurde. Vielleicht war da auch die Zunge im Spiel? “80 Millionen Bakterien werden beim Küssen getauscht, stäbchenförmige, kugelförmige, spiralförmige sowie alle möglichen Herpesviren, Myzel- und Hefepilze“, klärte Rosanna ihn zuvor noch auf. Ob er sie jetzt deswegen suchte? Oder wegen seiner Maxime: Nie Terrain aufgeben. (Eigentlich der Tipp eines 92-jährigen in der Villa.)
Eine Party mit den Glückseligen
Und dann gibt es da noch die Dame mit Korallenhalskette, den Herr Knobloch und am Ende den Eric. Alle schweifen sie ziellos auf den Gängen dieser Villa umher, wo sie sich doch eigentlich schon stapeln. Ein Gast vergibt sogar Wartenummern, weil sich vor der Villa eine Warteschlange bildet. Nicht einmal bei Peter Sellars “Partyschreck“-Party ging es so zu. Aber wie sagt Rosanna so schön: “Nur als lebenslanger Künstler kann man wirklich ein Künstler sein.” Auch wenn der Gastgeber sich nicht blicken lässt, wird die Pointe am Ende doch überraschend und mit Understatement serviert. Gustav Ernst hat einen unterhaltsamen Roman voller pointierter Dialoge und Schlüpfrigkeiten geschrieben, der einerseits abstrus verwirrend, andererseits die menschliche Tragikomödie so treffend abbildet, dass es über 250 Seiten beinahe keine Verschnaufpause gibt, wären da nicht die leeren Seiten der Kapitelunterteilungen. Es wird nicht jedem gefallen wie der Autor seine männlichen Protagonisten über die Frauen sprechen lässt oder sexuelle Vorlieben ausplaudern, aber auch die Frauen sind ähnlich vulgär, schließlich bleiben sie sich nichts schuldig. Die dekadente Gesellschaft der “Glückseligen” hat nichts zu verlieren, denn sie haben bereits alles gewonnen. Das Leben ist ein unendlicher Monolog in dem sie ihren Ennui auf Partys zudröhnen, wo keiner dem anderen zuhört. Ulrich mag da eine Ausnahme sein. Denn er hört Rosanna sehr gerne zu. Vielleicht sogar etwas zu gerne, für einen verheirateten Mann.
Unentbehrlich ehrlich
Der Autor spricht von einer “inneren Dystopie“, wen er über seinen rasanten und doch sehr schonungslos erzählten Roman resümiert. Drastik und Realitätstreue sind nicht unbedingt widersprüchliche Stilmittel, wenn sie genau den Zweck erreichen. Die Glückseligen tanzen ihren Tango, ohne Umarmungen. Denn jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt. Oder mit seiner Selbstdarstellung. Ulrich wirkt dabei wie der Elefant in der zitierten Blake Edwards Party-Komödie, fehl am Platz, aber unentbehrlich ehrlich.
Gustav Ernst
Die Glückseligen
2024, 240 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-85449-659-5
Sonderzahl Verlag
€25,00