Cutter und Bone

Cutter_und_Bone_300Vom ersten bis zum allerletzten Satz liefert Newton Thornburg (1929-2011) mit »Cutter und Bone« einen Roman, der sowohl hinsichtlich seiner sprachlichen Eleganz wie in der Auswahl seiner morbiden Protagonisten weit aus dem Meer der Kriminalliteratur herausragt. Der im Freestyle geschriebene Krimi fasziniert und verstört gleichermaßen und zeigt, was in dem Genre abseits des Mainstreams schriftstellerisch möglich ist. Weiterlesen


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Polar Verlag

Basar der bösen Träume

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Ein Auto, das Leute frisst, ein Strand, an dem wie von Geisterhand Namen von bald Sterbenden geschrieben werden und ein Kindle mit magischen Qualitäten. Das sind nur einige der Protagonisten in »The Bazaar of Bad Dreams«; willkommen in der Welt von Stephen King! In dieser neuen Sammlung von Kurzgeschichten zeigt der Meister, dass er auch dieses Metier perfekt beherrscht. Er wird ja von Kritikern oft für seine angeblich allzu ausschweifenden Romane kritisiert (eine Einschätzung, die ich ganz und gar nicht teile), aber hier ist er zur Selbstdisziplinierung gezwungen und das funktioniert, die Pointen sitzen und treffen zielsicher.

»Basar der bösen Träume« enthält neben dem Hardcore-Fan bereits bekannten Stories wie »Mile 81«, »Bad Little Kid«, »Ur«, »Under the Weather« und »Blockade Billy« jede Menge neues Material und auch das ist richtig gut, der Leser wird immer wieder aufs Neue überrascht vom Einfallsreichtum und der Erzählkunst des Autors. Zu jeder Geschichte gibt es eine sorgfältige Einleitung über die Entstehung, die ebenso lesenswert ist wie die Story selbst. Enthalten ist übrigens auch »That Bus is Another World«, die Idee dafür hatte King, als er im November 2013 auf Europa-Tournee war, bei der Lesung in München erzählte er davon.

Für Fans ist das Buch sowieso ein Muss, für Neulinge ein prima Einstieg in das Alptraum-Universum von Mister King. Vergleichen lässt sich diese Geschichtensammlung (wie so vieles) mit einer Schachtel Pralinen, man kann sie nach und nach genießen, oder alles möglichst schnell hinunter schlingen. Ich habe mich für die zweite Variante entschieden, die erste lässt sich ja nachholen.

P.S.: Ich habe das Buch im amerikanischen Original gelesen und kann daher die Qualität der Übersetzung nicht beurteilen.


Genre: Horror
Illustrated by Heyne München

Warum bist du nur so heiß?!

9783551733559Ryu ist ein wilder Teenager und prügelt sich gern, obwohl er aus gutem Hause stammt und später einmal das Hotel seiner Eltern übernehmen soll. Sein Kumpel Hinatsu ist das genaue Gegenteil: Er ist ruhig, handelt überlegt und wurde von Ryus großem Bruder Tsubame dazu überredet, auf Ryu aufzupassen. Das passt Ryu gar nicht, denn insgeheim ist er von zuhause ausgezogen, um nicht mehr in der Nähe Hinatsus zu sein – denn in den ist er heimlich verliebt. Und Hinatsu scheint nur Tsubames wegen Ryus Nähe zu suchen. Oder doch nicht? Tsubame dagegen hat andere Probleme. Eigentlich ist er als erster Sohn verpflichtet, das Hotel später zu übernehmen und er macht seinen Job als Nachfolger nach außen hin sehr gut. Keiner weiß, dass er auch eine andere Seite hat, die er heimlich am Strand auslebt: Da lässt er sich mithilfe des Alkohols und der Zigaretten gern gehen. Dabei erwischt ihn ein Gast. Atori aber sieht das locker und so treffen sich die beiden immer dann am Strand, wenn Atori zu Gast im Hotel weilt. Nach und nach verliebt sich Tsubame in Atori. Aber dann eröffnet Atori ihm, dass er ins Ausland gehen muss. Tora ist schon lange in den acht Jahre älteren Kellner Maya verliebt. Aber der interessiert sich leider nur als eine Art großer Bruder für ihn. Trotzdem gibt Tora nicht auf. Seine Chance kommt, als Mayas Beziehung in die Brüche geht.

Wie man am Inhalt schon ersehen kann, geht es hier um homosexuelle Liebe zwischen jungen Männern. In Japan und unter hiesigen Fans nennt man dieses Genre „Shonen Ai“ (Shonen = Junge, Ai = Liebe). Bei weiblichen Manga-Fans ist dieses Genre sehr beliebt, sicher auch wegen der hübschen Jungs. Überhaupt sind gezeichnete männliche und weibliche Figuren in Mangas (wunder)schön anzuschauen, was einen großen Teil der Anziehungskraft dieser Art der Comics ausmacht. Gerade die männlichen Figuren, die ein weibliches Publikum ansprechen sollen, sind vielschichtiger und schöner als die der Mangas für Jungen (Shonen Mangas). Da macht auch das Shonen-Ai-Genre keine Ausnahme. In Deutschland fing das Interesse der weiblichen Fans (wohl auch der männlichen Homosexuellen) in den späteren 90ern des vergangenen Jahrhunderts mit den Serien „Zetsuai 1989“ und „Bronze Zetsuai“ an, die damals in der AnimaniA (einer Fachzeitschrift für Mangas, Animes und japanische Kultur) vorgestellt wurde und in Japan Kultstatus genießt. Ursprünglich war dieser Manga ein Doshinji (Fan-Manga) zur Fußballserie „Captain Tsubasa“ (auch hier als Manga in den frühen 2000ern erschienen; als Anime kam er in Deutschland erstmals 1995 ins Fernsehen). Daraus entwickelte die Autorin Minami Ozaki eine Geschichte über die homosexuelle Liebe zwischen zwei Männern. Die Serie wurde in den 2000ern auch in Deutschland veröffentlicht. Seitdem hat Shonen Ai einen festen Platz in den Herzen der Fans. Die Spannbereite geht von romantischer Liebe bis hin zu Sex-Szenen. Kritisiert wird allerdings oft, dass die Ausgrenzung Homosexueller (gerade auch in Japan) wenig bis gar nicht thematisiert wird. Manchmal gibt es Mangas, die das explizit in die Geschichte einbauen, manche Mangas streifen das Thema, aber oft hat man als LeserIn das Gefühl, die Geschichten spielen in einer abgeschlossenen/abgeschotteten Welt, in der sich die Figuren „nur“ über ihre eigenen Gefühle klarwerden sollen, ohne die Reaktionen der Umwelt dabei beachten zu müssen. In diesem Manga ist es ähnlich: Die jungen Männer sind zwar verwirrt über ihre Gefühle, aber sie machen sich um eine Außenwirkung wenig Gedanken. Die Figuren sind gewohnt hübsch, aber im Gegensatz zu anderen Shonen-Ai-Mangas nicht außergewöhnlich schön, sondern eher individuell. Das ist für mich ein Pluspunkt, weil hier vom Stereotyp abgewichen wird. Für LeserInnen ist es in Anbetracht der Realität nicht immer so ganz einfach nachzuvollziehen, dass die „Homos“, wie in diesem Manga, gern geballt auf einem Haufen vorkommen – alle sind miteinander verwandt, befreundet oder bekannt. Normalerweise muss man sich als Homo erst einmal Gleichgesinnte suchen. Trotzdem sind die Geschichten für einen Einzelband in Ordnung; die Entwicklung der Story und der Gefühle geht in Anbetracht des wenigen Platzes nicht zu schnell voran und auch die Charakterentfaltung ist okay. Da eine Sexszene vorkommt, empfiehlt Carlsen den Manga für eine LeserInnenschaft ab 16 Jahren, was ich in Ordnung finde. Gut auch, dass zumindest die Geschichte von Tora und Maya aus zwei Perspektiven erzählt wird, nämlich die beider Hauptpersonen, sodass man Einblicke in ihre jeweils eigene Gefühls- und Gedankenwelt erhält. Die anderen Geschichten sind eher klassisch aufgebaut und berichten aus der Erzählerperspektive, wobei immer ein Charakter und dessen Gefühlswelt im Vordergrund steht. Die Hintergründe sind eher minimalistisch gehalten und dienen meist der Intensivierung und Verdeutlichung der Innenwelt der Figuren.

Fazit: Solider Shonen-Ai-Manga, der zwar kaum neue Impulse setzt, aber angenehm zu lesen ist.

 


Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Warum französische Frauen nicht dick werden

41fER4JJGwL._SX309_BO1,204,203,200_Die Autorin Mireille Guiliano ist eine extrem schlanke, extrem erfolgreiche französische Frau. Präsidentin in New York für Louis Vuitton und die Luxuslabels, die noch dazu gehören. Sie schildert in ihrem Buch “Das Geheimnis genussvollen Essens” und die Überschrift des Klappentextes lautet: “Dieses Buch wird Ihr Leben verändern”. Dermaßen provoziert, musste ich dieses Buch, über das ich beim Stöbern in einer Buchhandlung gestolpert bin, natürlich kaufen. Welche Frau wüsste nicht gerne, wie man genussvoll isst und dabei noch klapperdürr bleibt? Und wenn ein einfaches Büchlein mein ganzes Leben verändern würde, mit dem ich doch sehr zufrieden bin? Der Kaufzwang war mit diesem Satz garantiert, denn es kann ja nur noch besser werden.

Mit einiger Skepsis machte ich mich an das Buch, immer meine französischen Freundinnen vor Augen. Deren Essverhalten hatte ich bisher nicht weiter beachtet, muss aber dazu sagen, dass eine wirklich gertenschlank ist und die andere  schöne natürliche Rundungen hat und sehr gerne auch mal zu viel futtert.

Madame Guiliano schildert auf sehr vielen Seiten ein äußerst luxuriöses Leben, das wir Normalfrauen gar nicht in der Lage sind, zu führen. Sie lebt in New York und in der Provence. Pendelt natürlich erster Klasse zwischen beiden Ländern hin und her und muss, ach die Ärmste, ständig in Sterne-Restaurants essen. Dort gibt es immerzu Champagner und erlesene Weine, vom guten Essen ganz zu schweigen. Selbstverständlich werden nur Designerstücke in der kleinsten Größe am Körper getragen und das soll auch so bleiben.

Beim Lesen werden die Augen größer und größer und man ist geneigt, der Dame gehörig in den knochigen Hintern zu treten, ob so vieler Beschwerden über dieses harte Leben.

Bei aller Empörung bin ich aber irgendwann ihrem Plauderton erlegen und habe tiefe Einblicke in das Essverhalten “der Französinnen” bekommen und vieles davon leuchtet ein. Plötzlich sehe ich meine schlanke französische Freundin mit anderen Augen. Auch sie schiebt gerne ihr Essen auf dem Teller hin und her, lässt grundsätzlich etwas liegen und gleicht ständig Mahlzeiten mit Salätchen aus.

Madame Guiliano gibt viele Tipps, die sich auch hier in die Realität umsetzen lassen und es macht Spaß, ihr zu folgen.

Am Ende muss aber das eigene Versagen stehen, denn es ist in Deutschland nicht möglich, wenn man Frau Normalverbraucher ist, ein Leben wie die Autorin zu führen.Trotzdem kann man gut ein paar Ernährungstipps übernehmen, die wirklich simpel sind und den Umgang mit Lebensmitteln erleichtern.

Wer einen Einblick in die französsische Lebensart wagen möchte und staunend erfahren möchte, mit welchen Wehwechen die Schönen und die Reichen und die ganz schön Reichen zu kämpfen haben, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt.

Leicht zu lesen, mit einem Augenzwinkern zu genießen.

Unterhaltsam.


Genre: Biographien, Ratgeber
Illustrated by Piper München, Zürich

Kitchen Princess 3

kitchen princess 3Inhalt Band 1 bis 3: Najika backt und kocht für ihr Leben gern. Als Kind hat ihr ein unbekannter Junge geholfen, den Verlust ihrer Eltern zu überwinden, indem er ihr einen leckeren Pudding geschenkt hat. Diesen Jungen will Najika wiederfinden. Deshalb hat sie alles darangesetzt, in der Schule ein Stipendium zu ergattern, die auch dieser Junge besucht. Das klappt zwar, aber Najika wird von ihren neuen Mitschülern gemobbt, weil sie angeblich nichts Besonderes kann. Vor allem Akane und ihre Freundinnen machen ihr das Leben schwer. Aber nach einem Backwettbewerb kann Najika die meisten von ihrem Talent überzeugen. Nur Akane macht weiter, weil sie eifersüchtig auf Najika und deren guter Beziehung zu dem mürrischen und stürmischen Taichi ist. Mit den Attacken hört sie erst auf, als es Najika gelingt, Akane mithilfe ihres Lieblingskuchens von ihrer Magersucht zu befreien. Aber selbst jetzt ist der geschlossene Friede eher wackelig, weil Akane immer noch eifersüchtig ist. Und Akanes Freundinnen mobben Najika weiter. Najika meint indessen, dass Taichis Bruder Sora der gesuchte Junge sein könnte, aber sie kann es nicht beweisen. Allmählich verliebt sie sich in ihn. Allerdings hat sie momentan noch andere Sorgen, denn die kleine Schulmensa, die sie mit viel Liebe wieder zum Leben erweckt hat, soll geschlossen werden. Und dann ist auch noch Tante Hagio – die Leiterin des Waisenhauses, in dem Najika aufgewachsen ist – zusammengebrochen. Im Waisenhaus angekommen hilft nicht nur Najika der Leiterin und den Kindern, sondern auch Taichi und Sora. Und Najika gelingt es sogar, den aggressiven Waisenjungen Fuuta wieder ins Lot zu bringen. Aber wieder zuhause gehen die Probleme weiter.

Eigentlich ist „Kitchen Princess“ vom Grundaufbau her eine simple Dreiecksstory: Zwei (komplett unterschiedliche) Jungen bemühen sich um die Gunst eines Mädchens. Aus diesem Grundstock gewinnt die romantische Seite des Mangas ihre Spannung, denn Najika rätselt hin und her, wer denn ihr Puddingprinz sein könnte. Aber auch andere Themen machen den Manga interessant und sogar ein wenig tiefgründig: Kochen, Mobbing, Selbstbewusstsein (v.a. bei Mädchen), Freundschaft, Magersucht. Akane, ein gefragtes Model, isst nicht, weil sie gut aussehen will. Das beschert ihr eine Essstörung. Damit werden gleich mehrere gesellschaftliche Gegebenheiten mehr oder weniger direkt kritisiert: die Modelbranche, die immer wieder Schlagzeilen wegen zu dünner Models macht, die angebliche Vorbildfunktion der Mager-Models, die auf Psyche und Körper von Mädchen zerstörerisch wirkt, und die Gesellschaft allgemein, die v.a. von Mädchen und Frauen jeden Alters verlangt, gut, schlank und sexy auszusehen. Diesen zerstörerischen alleinigen Bezug auf das Äußere und den Wert von guter und schmackhafter Nahrung will der Manga durch Najika deutlich machen. Er vertritt durchaus die chinesische Philosophie, dass Essen auch Medizin ist. Und dass mit Essen Liebe durch den Magen geht, dass mit Essen schöne Erinnerungen verbunden sind, dass gutes Essen insgesamt Leib und Seele nährt. Einzuwenden wäre freilich, dass auch Najika schlank und hübsch ist. Leider trauen sich nur wenige Comic- und Manga-ZeichernInnen, unansehnliche Frauenfiguren zu zeigen und sie gar zur Hauptfigur zu machen (bei männlichen Figuren sieht das anders aus…). Allerdings weist Najika einige Eigenschaften auf, die sie zum Vorbild für Mädchen macht: Sie ist selbstständig, optimistisch, beißt sich durch schwierige Situationen durch (ohne zu verschweigen, dass sie manchmal fast aufgegeben hätte), ist fröhlich, empathisch und hilfsbereit. Bleibt nur zu hoffen, dass sie, wenn sie ihren Puddingprinzen gefunden hat, diese Selbstständigkeit bewahrt. Denn das ist leider nicht selbstverständlich: Viele ehemals selbstständige Heldinnen gehen quasi im Helden auf, sobald sie mit ihm zusammen sind, und verschwinden in den Hintergrund. Dass das gerade für Leserinnen nicht vorbildhaft sein kann und zudem sehr ärgerlich ist, brauche ich nicht extra zu erwähnen. Außerdem kann frau sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Najika etwas (?) naiv ist. Auch diese Naivität wird gern in Zusammenhang mit weiblichen Charakteren benutzt, denn diese lässt sie kontrollierbar und schwach erscheinen. Ebenfalls eine Zuordnung, die für das weibliche Geschlecht nicht gerade erstrebenswert ist. Interessanterweise werden auch Jungen, die in Shonen-Ai-Mangas (Mangas, in denen es um homosexuelle Liebe zwischen Jungen geht) den weiblichen Part darstellen, eher naiv und ‚weiblich zart‘ dargestellt. Schließlich will der ‚Mann‘ was zum Beschützen (und damit eine Plattform zum sich Präsentieren) haben. Dass mit dieser angeblichen ‚Beschützerei‘ die Frau in Abhängigkeit gehalten wird, braucht ebenfalls nicht extra erwähnt zu werden. Allerdings ist dieses Motiv in den meisten Comics und Mangas – leider – sehr beliebt. Damit werden auch Rollenklischees zementiert und in die Köpfe junger Mädchen (und Jungen) eingepflanzt. Rühmliche Ausnahme in fast jeder Hinsicht ist der Manga „Obaka-chan“. Die Heldin ist zwar auch nicht gerade intelligent, aber eine Koryphäe im Kampfsport. Jegliche Versuche ihrer beiden Verehrer, sie beschützen zu wollen, arten in Lächerlichkeit aus und gipfeln in der Szene, in der das Mädchen einen der beiden Jungen aus den Händen einer Gang befreit. Und das letztlich im Alleingang. Das wird der Stärke der Frauen schon eher gerecht, die auch ohne Kampfsport längst nicht so schwach sind wie das Rollenklischee hartnäckig glauben machen will. Dazu braucht man sich nur Frauen in Kriegs- und Nachkriegssituationen anzusehen oder Frauen im normalen Alltag, die – immer noch – ihre Mehrfachbelastung stemmen müssen. Und wer schon mal regelmäßig sein (zappelndes und strampelndes) Baby/Kind mit sich herumschleppen musste, der weiß, dass man sich das teure Fitnessstudio sparen kann. Schon die vorausgehende Schwangerschaft und Geburt ist eine Belastungsprobe für Körper und Seele, die ein Mann so nie durchleben (und durchleiden) muss. Auch das zeigt die Stärke der Frauen – die nicht umsonst älter werden als die Männer, wenn sie dank Verhütungsmittel aus dem Rad der ständigen Schwangerschaften und möglicherweise tödlich verlaufenden (Fehl-)Geburten befreit sind. Ergo: Ihr Körper und ihre Psyche müssen allein schon wegen der Fähigkeit zu gebären mehr aushalten können als die der Männer. Die Situation bei Najika stellt sich momentan so dar: Sie erhält zwar Hilfe von ihren beiden Verehrern, aber sie hilft im Gegenzug auch ihnen. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen, so wie es sein soll. Möge es so bleiben. Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt allerdings Soma: Wie in so vielen anderen Mangas auch belehrt der (selbstsichere, über allem stehende) Junge das (unwissende, sich gerade schwach zeigende) Mädchen. Warum ist es nicht mal umgekehrt?

Nomen est Omen: Oft sind die Namen in Mangas sprechend. So auch hier. „Najika“ bedeutet „die 7 Aromen/Farben des Regenbogens“, „Sora“ bedeutet „Himmel“ und „Taichi“ Erde. Dass der Regenbogen Himmel und Erde miteinander verbindet, drängt sich hier geradezu auf. Najika spielt eine Mittlerrolle zwischen den zerstrittenen Brüdern. Kulinarisch wird das im Kapitel „Najika und das Regenbogengelee“ verarbeitet (Band 1). Überhaupt dreht sich alles um Essen, nicht nur in der Geschichte selbst, sondern auch im Anhang. Der präsentiert nämlich alle Gerichte als Rezepte zum Nachkochen. Wer Spaß am Kochen und Backen hat, darf sich gern mal an den Rezepten versuchen, sollte allerdings für manche Rezepte Zeit mitbringen.

Auch das Thema Mobbing (verbunden mit Rufmord) kommt oft in Mangas vor. Dazu muss man wissen, dass in Japan Außenseiter aufgrund der Gruppenmentalität noch weniger angesehen sind als in Deutschland. Aber hier wie dort gibt es in jeder Klasse Außenseiter. Und die werden auch gemobbt. Neben dem klassischen Mobbing gibt es mittlerweile auch das Cyber-Mobbing, das durch die rasante Verbreitung mithilfe der sozialen Netzwerke ungeahnte Ausmaße annimmt. Auch Najika wird gemobbt, im Manga noch auf klassische Art. Trotzdem ist es auch für sie schwer, ohne Hilfe dagegen anzugehen. Tatsächlich schafft sie es nur mit Rückendeckung durch beliebte Schüler. Im Manga wird durch den Direktoren-Sohn Sora, der in Abwesenheit seines Vaters dessen Posten vertritt, angedeutet, dass Mobbing auch ein Fall für die Schule ist. In der Realität gibt es in Schulen inzwischen Lerneinheiten und Theaterstücke, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen.

Fazit: Schöner Romantic-Koch-Manga, der allerdings nicht frei von Rollenklischees ist.

 


Illustrated by Carlsen Verlag Hamburg

Breakout

breakoutCassies Stiefvater Rick ist Psychiater. Drei seiner jugendlichen Patienten nahmen sich unter mysteriösen Umständen das Leben. Kein Zufall, glaubt Cassie, und durchsucht heimlich die Patientenakten. Alle drei Verstorbenen erhielten die Verhaltensdroge Socom – ohne Erlaubnis von Eltern oder Behörden. Doch ehe Cassie Ricks illegale Experimente an eine Journalistin verraten kann, lässt er die Stieftochter in das Erziehungscamp “Peaceful Cove” einweisen. Dort beginnt die Hölle: eiserner Drill, Beruhigungsmittel und ständige Überwachung. Aber Cassies Willen kann niemand brechen. Schnell gewinnt sie eine Verbündete und zusammen planen die Mädchen den Ausbruch…

Cassie ist 16 Jahre alt, hat gute Noten und versteht sich blendend mit Ihrer Mutter. Doch Ihrem neuen Stiefvater Rick ist Cassie ein Dorn im Auge und erst Recht seit Cassie herausgefunden hat, dass Rick in illegale Machenschaften verstrickt ist…!

Die Geschichte beginnt direkt sehr dramatisch, nämlich als Cassie von der Schule nach Hause kommt und von zwei Männern in einen weißen Lieferwagen gezerrt wird. Cassie denkt zuerst dass sie entführt wird, aber dann erscheinen Rick und Ihre Mutter und geben den beiden Männern einen Koffer mit Cassies Sachen mit. Rick versteckte Drogen in Cassies Zimmer und überredete Ihre Mutter, Cassie in ein spezielles Erziehungscamp in der mexikanischen Wüste bringen zu lassen damit Cassie nicht völlig auf die “schiefe Bahn” gerät…!

In Mexiko angekommen, muss Cassie feststellen, dass dieses Erziehungscamp so gar nicht dem entspricht was die Hochglanzbroschüre verspricht! Die Jugendlichen dort dürfen lediglich alte Klamotten und Schlappen tragen, die sie einmal wöchentlich in einem Eimer auswaschen dürfen, einmal pro Woche darf für 3 Minuten kalt geduscht werden, es gibt viel zu wenig und zu schlecht zu essen und man schläft auf harten Holzpritschen ohne Kissen und Decke! Darüber hinaus ist es strengstens verboten mit anderem Jugendlichen zu reden oder auch nur Blickkontakt mit einander auf zu nehmen! Man darf nur hochblicken oder reden wenn man von den „Betreuern“ etwas gefragt wird und auch dann sollte man sich seine Antwort gut überlegen. Die kleinsten Vergehen werden direkt bestraft und große Vergehen wie z.b weinen, werden mit einem Aufenthalt im BR-Raum bestraft, in dem man oft tagelang mit dem Gesicht nach unten auf kaltem Betonboden liegen muss…!

„In Peaceful Cove“ gibt es sechs verschiedene Level die die Jugendlichen durchlaufen müssen und man startet als Neuankömmling in Level eins. Durch Gehorsamkeit soll man sich bis Level sechs hocharbeiten und bekommt von Level zu Level ein paar Privilegien zugesprochen (z.b Augenkontakt zu anderen Jugendlichen). Nach erfolgreicher Absolvierung des sechsen Levels, ist die Resozialisierung angeblich abgeschlossen und die Jugendlichen dürfen wieder nach Hause, allerdings findet sich immer ein Grund die Jugendlichen wieder um ein paar Level zurückzustufen…!

Also mir hat das Buch super gefallen, ich bin total begeistert und konnte es kaum aus den Händen legen! Es ist sehr spannend und man leidet und fiebert förmlich mit Cassie und den anderen Jugendlichen mit.

Gut gefallen hat mir auch, dass das Buch am Anfang in zwei verschiedenen Zeiten erzählt wird. Es beginnt damit dass Cassie ins Camp gebracht wird, zwischendurch gibt es aber immer wieder Kapitel, in denen rückblickend erzählt wird, was vorher passierte und wie Cassie, gemeinsam mit einem Freund, hinter die Machenschaften Ihres Stiefvaters gekommen ist und wie gefährlich sie somit für ihn wurde…!

Und ich möchte an dieser Stelle noch sagen, dass es doch möglich ist eine spannende und detaillierte Geschichte auf gerade einmal 190 Seiten zu erschaffen! Für ein so dünnes Buch wirklich außerordentlich gut gelungen und sehr zu empfehlen…!

April Henry lebt mit Ihrem Mann und Ihrer Tochter in Portland und hat zahlreiche Thriller und Krimis verfasst. Bereits im Alter von 11 Jahren wurde Ihre erste Kurzgeschichte veröffentlicht. Sie studierte an der Oregon University und verbrachte ein Austauschjahr in Stuttgart.


Genre: Kinder- und Jugendbuch
Illustrated by Beltz und Gelberg

Juliana Cass – Der Killer in mir

51UZ5tMPYlL._SX311_BO1,204,203,200_JULIANA CASS – DER KILLER IN MIR ist ein packender Psychothriller, der unter die Haut geht und dem Leser bis zur letzten Seite kaum einmal Gelegenheit zum Durchatmen gibt; gnadenlos spannend und voller überraschender Wendungen.
Juliana Cass ist Scharfschützin beim FBI Los Angeles. Vor fünf Monaten war sie bei einem Einsatz gezwungen, ein junges Mädchen zu erschießen. Nur so ließ sich die Zündung einer Bombe verhindern, die sonst hundert oder mehr Kinder in den Tod gerissen hätte. Trotzdem kann sie sich selbst nicht vergeben.
Ein psychopathischer Mörder sieht das ganz anders. Er erhebt Juliana Cass zu seiner persönlichen Heldin und versucht, sie mit grausam-bizarren Inszenierungen zu beeindrucken. Als das nicht fruchtet, entführt er Julianas Kinder und zwingt sie damit, erneut eine furchtbare Entscheidung zu treffen.

Rezension

Also zuerst habe ich mich geärgert, denn die ersten 3o Seiten des neuen Thrillers von Boris Maggioni, einem meiner Lieblingsautoren, der Plots und Figuren entwickelt, die so erfrischend neu und originell sind, erzählen von Geiselnahme, Bombenattentat, einer schwer traumatisierten Polizistin, die im Grunde am Ende ist, einem äußerst grausamen, psychopathischen Serienkiller. Mainstream! Der Boris Maggioni schreibt auf einmal Mainstream? Für alle? Irgendwie war ich frustriert, aber dann wurde ja doch noch alles anders.
Die Story schlug mir die Reißzähne in den Nacken und schüttelte mich. Atemlos folgte ich dem Geschehen, es ließ mich nicht mehr los. Ich träumte nachts davon.
Boris Maggioni hat mich also wieder nicht enttäuscht, wie auch bei den Vorgängern dieses Buches kam ich voll auf meine Rechnung. Daher kann ich das Buch den Freunden von 1A Psychothrillern sehr empfehlen.
Es ist brutal, es ist erschreckend, es ist abartig – und es ist großartig!
Und jetzt hole ich mir den 2. Band.


Genre: Thriller
Illustrated by Kindle Edition

Das Labor

LaborIn Las Vegas geht die Angst um: Detektoren greifen sich obdachlose Männer und verschleppen sie in ein unterirdisches Geheimlabor, wo sie für grausame Versuche missbraucht werden. Auch Jacks jüngerer Bruder wird entführt. Als Jack ihn retten will, gerät er in tödliche Gefahr…

 

Las Vegas im Jahr 2061: Die einst so glitzernde Stadt ist nicht mehr das was sie einmal war. Chemiefabriken verpesten die Luft und das Trinkwasser und Las Vegas gleicht mittlerweile eher einer Müllkippe in der zum größten Teil Obdachlose hausen. Jack ist 20 Jahre alt und haust mit seinem 18 jährigen Bruder Hector in der oberen Etage eines alten Hotels. Um zu überleben muss sich jeder selbst der Nächste sein und Perspektiven gibt es nicht. Es gibt aber das Gerücht, dass „Detektoren“ (Männer in Robotor ähnlichen Anzügen) durch die Straßen streifen und immer wieder junge Männer verschleppen…!

Als Jack eines Tages in sein Versteck zurückkehrt, muss er feststellen, dass es keine Gerüchte sind denn diese Detektoren haben sich nun seinen Bruder gegriffen. Jack ist fest entschlossen ihn zu finden und zu retten und lässt sich deshalb selbst von den Detektoren gefangen nehmen und Sie bringen ihn ein riesiges, unterirdisches Labor…!

Zuerst muss ich sagen, dass ich mich nicht vernünftig informiert hatte als ich mir dieses Buch im Internet bestellte. Hätte ich auf die Seitenzahl geachtet (gerade mal 150 Seiten) dann hätte ich bestimmt direkt die Finger davon gelassen. Denn wie soll auf so wenigen Seiten eine ausführliche und packende Geschichte entstehen? Die Antwort lautet leider: Gar nicht!

Die Idee an sich ist schon gut, hat mich sehr interessiert und man hätte wirklich viel daraus machen können, hat die Autorin aber leider nicht. Die Geschichte ist leider sehr oberflächig. Ich hätte gern mehr über Las Vegas und Amerika im Jahr 2061 erfahren aber das bleibt einem verwehrt. Ich hätte auch gern eine engere „Bindung“ zum Protagonisten Jack aufgebaut und mit ihm mitgefiebert aber auf so wenig Seiten wird man ja kaum warm mit einander und erfährt leider auch nicht wirklich viel über ihn…! Auch über die Experimente und das Labor an sich erfährt man leider nicht so viel wie man es eigentlich möchte…! Irgendwie wird man nur „angefüttert“ und kommt nicht auf seine Kosten…!

Es tröstet mich auch nicht, dass dies erst der erste Teil einer Trilogie ist, denn ich bezweifle stark dass Band zwei und drei mehr Tiefgang haben werden. Ich hatte auch gar nicht mitbekommen dass es sich überhaupt um eine Trilogie handelt, denn auch dann hätte ich das Buch nicht gekauft (Bei der Kindle Version wurde darauf hingewiesen, beim Taschenbuch leider nicht). Mir geht es nämlich ziemlich auf die Nerven, dass Trilogien zur Zeit so extrem in Mode sind und man dann oftmals endlos warten muss bis der nächste Band auf den Markt geworfen wird…! Und es scheint auch hier so zu sein dass der zweite Band noch gar nicht geschrieben wurde, obwohl Band eins bereits im Jahr 2013 erschienen ist…!

Aus diesem Grund meide ich nämlich seit einigen Jahren Trilogien (es sei denn es handelt sich um ältere Bücher, die bereits komplett erschienen sind).

Die Geschichte ist schon nett und kurzweilig, man kann sie gut lesen, man verpasst aber Nichts wenn man es nicht tut…!

Dee Hunter arbeitet und lebt in Innsbruck. Früher hat Sie Bilanzen analysiert, Männerbünde wissenschaftlich untersucht und als Modefotografin gearbeitet. Heute schreibt sie Thriller, die vor allem düster und beklemmend sind.


Genre: Dystopie, Endzeitgeschichten, Thriller
Illustrated by CreateSpace Independent Publishing Platform

Bilder Deiner großen Liebe

Bilder Deiner großen Liebe „Verrückt sein heißt ja auch nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert.“ Es kommt in Schüben, gegen die man sich nicht wehren kann – „wie Hunger oder Durst, oder wenn man ficken will“. Mit solcher Art Betrachtungen beginnen die „Bilder deiner großen Liebe“.

Ein junges Mädchen stellt diese Betrachtungen an. Sie steht im Hof einer Anstalt, betrachtet die blühenden Blumen, die Sonne am Himmel – das Klischee ist ihr bewusst. Mit dem Daumennagel berührt sie die Sonne, schiebt sie Millimeter um Millimeter zurück. Langsam verschiebt sich auch das Eisentor, welches die Anstalt vom Rest der Welt trennt. Das Mächden, welches eben noch die Sonne berührt hat, huscht hinaus.
Sie hat keine Schuhe an, egal.

Sie zieht die Socken auch noch aus und beginnt barfuß ihre Wanderung. An der Autobahn entlang, durch Dörfer, Wiesen und immer wieder durch den Wald, der ihr, seit sie denken kann, ein Freund, ein Trost war. Mehr Freund als die meisten Menschen, denen sie begegnet ist in ihrem Leben oder die sie auf ihrer Wanderung noch treffen wird: Den Binnenschiffer, der mal ein Bankräuber war oder auch nicht, einen verdrucksten Schriftsteller, einen lüsternen Fernfahrer, auf dem Friedhof einen wohlwollenden Mann in grüner Trainingsjacke, ihr und uns bekannt.* Und auf einer Müllkippe trifft sie zwei Jungen, mit denen sie eine Zeitlang zusammenbleibt. Eine kurze, aber eine wahrhaftige, eine fast schon glückliche Zeitlang. Das wandernde Mädchen – wir kennen sie. Es ist Isa, die hinreißende, grandiose Isa aus Wolfgang Herrndorfs nicht weniger hinreißendem Jugendroman „Tschick“.

Der unvollendete Roman „Bilder deiner großen Liebe“ ist der letzte veröffentlichte Text des viel zu früh verstorbenen Wolfgang Herrndorf. Wolfgang Herrndorf war Schriftsteller, Maler, Illustrator und Blogger, der seinen hoch verdienten, berechtigten Erfolg erst erfuhr, als er schon unheilbar an einem Gehirntumor erkrankt war. In Konsequenz dieser unheilbaren, ihn zerstörenden Krankheit nahm er sich im August 2013 das Leben. Sein Leben mit der Krankheit und seine Vorbereitungen auf den Freitod teilte er in seinem tief berührenden, auch verstörenden Blog Arbeit und Struktur mit der Öffentlichkeit, posthum als Buch herausgegeben.

Der Veröffentlichung des fragmentarischen Isa-Textes stimmte er erst wenige Tage vor seinem Freitod zu. Zum Glück für uns, die Leser, die ihn und seine Texte schon länger begleitet haben. Ja, es ist unfassbar traurig, zum letzten Mal etwas Neues von Wolfgang Herrndorf lesen zu dürfen, aber es ist schön, es ist eine große Freude, dass es ein Text über Isa ist.

Wolfgang Herrndorfs Jugendroman „Tschick“, der Überraschungserfolg des Jahres 2010, ist ein großartiges Buch. Die Figur Tschick war grandios, die Figur Maik Klingenberg war grandios, aber seien wir ehrlich, die Grandioseste von allen war Isa. Die Figur, die auch Jahre nach der Lektüre am präsentesten in der Erinnerung ist. Isa, die Unbezähmbare, die Lebenskluge, so wild entschlossen, dem Leben wenigstens ein bißchen etwas abzutrotzden. Nicht nur die Protagonisten in Tschick liebten sie, nicht nur der Leser, sondern wohl auch Wolfgang Herrndorf.

Möglicherweise war Isa sogar diejenige von Herrndorfs Romanfiguren, die ihm am meisten bedeutete. Isa ist wohl die Romanfigur der letzten Jahre mit dem größten Potential. Es ist (bei aller Tragik des Schicksals von Herrndorf) eine weitere Tragik in sich, dass diese Figur mit ihm unvollendet gehen musste. Mit den letzten Zeilen der „Bilder“ kommt der Gedanke auf, dass Isa seine imaginäre Gefährtin war, die ihn in den Tod begleiten und doch zurückbleiben sollte, um für ihn noch etwas zu Ende zu bringen.

Den Titel „Bilder deiner großen Liebe “ hat Herrndorf selbst noch bestimmt, irgendwie ist er untypisch für ihn. Die Romanfigur Isa hat ein reales Vorbild aus dem Leben Wolfgang Herrndorfs. Ines, eine Frau, die mitten im Wald in einer Hütte wohnte, die barfuß durch den Wald streifte und über Katarakte kletterte, die ihm zum Einschlafen Musils „Fliegenpapier“ vorlas. Sie gab schon der Hauptfigur in den „Plüschgewittern“ ihren Namen, der Autor bezeichnete sie als „naturkindhaft“ und die Tage mit Ines, mit der ihn eine platonische Beziehung verband, nennt er die glücklichsten seines Lebens. (Nachzulesen im oben verlinkten Blog, Kapitel 6, 22.07.2010, 5:33h ) So betrachtet, passt der Titel dann doch wieder ganz gut. Ein weiteres schönes, berührendes Detail am Rande: Das Landschaftsgemälde auf dem Schutzumschlag ist ein Gemälde von Wolfgang Herrndorf selbst. Wie einem Hinweis im Buch zu entnehmen ist, hing es lange Zeit schief und ungerahmt und mit der Zeile „macht einem manchmal Angst: Die Natur“ an der Wand über seinem Schreibtisch.

„Bilder deiner großen Liebe“ ist keine Fortsetzung von „Tschick“. Es sind gerade mal sechs Seiten, die sich in den „Bildern“ mit der „Tschick“-Handlung überschneiden. Das mag manchen enttäuschen, zumal sich nach der Lektüre der Gedanke aufdrängt, dass die beiden Jungs für Isa bei weitem nicht das waren, was sie umgekehrt für die Jungs war. Für die „Bilder“ ist das aber völlig in Ordnung, „Tschick“ braucht keine Fortsetzung. „Tschick“ ist genauso wie es ist richtig.

Aber – so weiß der Leser schon vor der Lektüre ungefähr, was ihn erwartet. Ein Text aus der Sicht einer unzuverlässigen Erzählerin. Unter allen unzuverlässigen Erzählern, die es je gegeben hat, ist Isa wohl die unzuverlässigste. Sie mäandert durch Zeit und Raum und das liegt nicht nur daran, dass der Text den Herausgebern als Fragment vorlag. Aber gerade deswegen funktionieren die Bilder als Road Novel außerordentlich gut, gerade deswegen wirkt der Roman weit weniger unvollendet und fragmentarisch, als vor Lektüre erwartet. Es ist wirklich weniger der Roman, der unvollendet bleibt, als vielmehr Isa selbst, deren viel zu kurzes Gastspiel in der literarischen Welt man nur außerordentlich bedauern kann.

Die Herausgeber Kathrin Passig und Marcus Gärtner waren enge Freunde des Autors und zeichneten auch schon verantwortlich für die Veröffentlichung des Blogs als Buch. Man kann es nicht anders sagen, als dass sie es auch mit den „Bildern“ gut, sogar sehr gemacht haben. Man merkt (auch im erkärenden Nachwort der Beiden), dass sie sich den Entscheidungen, die sie zu treffen hatten und die eigentlich nur einem Autor zustehen, mit tiefem Respekt genähert haben. Sie haben sehr sorgfältig gearbeitet, leichtgefallen ist es ihnen auch nach eigener Aussage nicht. Sie verbergen vorhandene Lücken nicht, dennoch ist der Text zusammenhängend. Vor allem aber bewahren sie Wolfgang Herrndorfs ganz eigene Sprache und würdigen so die Einzigartigkeit des Autors.

Worte waren seine Bilder, je plastischer, desto lieber. Die gelegentlich etwas schief sitzende Grammatik – sie ist gewollt und die Herausgeber haben sie unverändert gelassen. So hat Wolfgang Herrndorf es sich gewünscht, so haben Passig und Gärtner es gemacht. Bloß keinen „Germanistenscheiß“ an den Text ranlassen, das war Herrndorf wichtig. Er wäre stolz auf das Ergebnis gewesen.

Auch wenn der Roman noch so oft unvollendet genannt werden wird, für mich als Leserin, die alle Werke Herrndorfs chronologisch zum jeweiligen Zeitpunkt ihres Erscheinens – angefangen mit den Erzählungen „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ bis hin zum Blog – gelesen hat, für mich sind die „Bilder Deiner großen Liebe“ ein versöhnliches, wenn auch für immer traurig bleibendes Ende.

Erstveröffentlichung dieser Rezension in den Revierpassagen.de am 20.März 2015


Genre: Fragmente, Roman, unvollendeter Roman
Illustrated by Rowohlt

Über Arbeiten und Fertigsein

ScanSebastian Lehmann ist ein paar Jahrzehnte zu spät ins wilde SO 36 geschleudert worden. Dieser nach dem Postleitsystem benannte ungezähmte Teil von Berlin-Kreuzberg hat sich mit dem Mauerfall 1989 von einem Lebensraum der Berliner Subkultur zu einem hippen Partybezirk verändert. Daher war er nicht dabei, als am 1. Mai Steine flogen, Sven Regener Schweinebraten in der Markthalle speiste und die »Einstürzenden Neubauten« live auf Mülltonnen trommelten. Lehmann mag sein Kreuzberg trotzdem und gewinnt dem legendären Szenebezirk neue Themen für lustige Kolumnen ab. Weiterlesen


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Voland & Quist

So fängt das Schlimme an

javier mariasSchuld und Verstrickung sind ohne Zweifel geeignete Themen für einen Längen-, Breiten- und Tiefenroman von 650 Seiten und wenn die Handlung unmittelbar nach dem Ende einer Diktatur angesiedelt ist erst recht. Dann lässt sich  genug aus dem Vollen schöpfen, um mit einer politischen und privaten Schiene sogar zweigleisig zu fahren.

Da gibt es das traurige Geheimnis zwischen den Eheleuten, dem Filmemacher Eduardo und seiner Frau Beatriz und die aus der Franco-Diktatur her rührende düstere Vergangenheit des Hausfreundes Dr. Vechten. Es wird aus der Sicht von Eduardos jungem Privatsekretär de Vere erzählt.

Man könnte das Ding eigentlich als einen klassischen Bildungsroman begreifen. Über den jungen Erzähler stürzt gar heftig die Bedeutungsschwere seiner Eindrücke und Beobachtungen herein, so sehr dass sie sich für ihn regelrecht zum  postjugendlichen Reifungsprozess auswachsen. Dennoch ist mit  Filmproduzent Eduardo die Hauptfigur eine andere. Sein  Werdegang vom privaten Haupt- und politischen Nebenkläger zum Vergeber und Vergesser darf wohl als der facettenreichste Entwicklungsstrang in dem Roman angesehen werden. Die beiden anderen wichtigen Figuren bleiben indes zur relativen Schablonenhaftigkeit verurteilt. Das gilt für den einfach nur triebhaft dauerschlechten Diktaturgewinnler Dr. Vechten ebenso wie für Eduardos Ehefrau Beatriz, die aus der Melancholie ihrer großbourgeoisen Dauergelangweiltheit kaum heraus kommt.

Immerhin versteht es Marias früh- und rechtzeitige Andeutungsmarken zu setzen, wer so seine tiefen Geheimnisse mit sich herum trägt und wer was mit sich aus zu machen hat, was dann auch zum Ende hin gekonnt aufgelöst wird. Das Lesevergnügen bis dorthin ist allerdings nicht gerade billig erkauft. Der Roman hat eine Ausschweiferitis, die einen Thomas-Mann dagegen noch zum Thriller-Autor gereichen würde. Es wird  weitaus mehr reflektiert und beschrieben als erzählt. Immer wieder spinnen sich Details und Vorkommnisse und seien sie auch vergleichsweise nebensächlich in zum Teil seitenlange Kokons des Augenblicks-Philosophierens ein. Die Betrachtungen über die Franco-Diktatur und vor allem ihrer nachträglichen gesellschaftlichen Verwerfungen, die ja einen wichtigen Kontext darstellen, gehören da noch zu den beeindruckenderen  Passagen. Ansonsten gebiert eine Fortabstrahierung die nächste. So wie auch nur Anflüge von Handlung Dramatik erkennbar werden, spült der nächste seitenlange Gedankenstrom sie wieder fort. Endlose, zum Teil halbseitenlange Relativ- und Schachtelsätze und der fehlende Verzicht auf Binsenweisheitlichkeit tun ihr übriges. So bleiben auch Doppelungen nicht aus, wenn die eigentlich dem Leser obliegende Verarbeitung der Erzählmasse noch einmal zusätzlich beschrieben und erklärt wird.

Fazit: Wer sich auf der Meta-Ebene gerne viel vorreflektieren und vorphilosophieren lässt, der ist mit dem Roman gut bedient, wer aber nicht nur vom Fortgang der Überlegungen sondern auch der Ereignisse getragen werden möchte, der bekommt so seine Probleme.

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Genre: Romane
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Tanz der Kakerlaken

tanz der kakerlakenEs gibt Romane, die mitunter auch von fernen Landen und Leuten erzählen. Man hat es in einem solchen Fall mit einer Art von prosaischem Reiseführer zu tun, die freilich anders als diese der Fiktion sei Dank nicht an die Werbetauglichkeit von Worten und Inhalten gebunden sind. Vielmehr kann sich ein Roman den Mut zur Ungeschminktheit leisten und das tut „Tanz der Kakerlaken“ beträchtlich.

Der Protagonist Dusman Gonzaga lebt in einem Mietshaus in einem ärmlichen Stadtviertel von Nairobi, dem „Dacca-Haus“. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich als Parkuhrenableser für die Stadtverwaltung und ist anders als seine Mitbewohner mit einem Minimum von intellektuellen Fähigkeiten und Veränderungswillen gesegnet. Gerade zerlegt  sich sein vor dem Haus geparktes Auto in seine sich verselbständigenden Einzelteile und die Kakerlaken laufen in seiner Behausung zur tänzerischen Höchstform auf, als er beschließt, sein Leben zu ändern. Er revoltiert gegen seinen durchgeknallten Chef aus dem Rathaus, will eine andere, gehaltvollere Arbeit tun, aber der Chef schreibt ihn krank und vermittelt ihm eine Psychotherapie. Hin und herpendelnd zwischen entrücktem Therapeutenblabla und dem Alltag im Dacca-Haus kommt ihm die Idee, eine Mieterinitiative gegen den skrupellosen Hausherrn anzuzetteln. Das Ausrichten seiner Mitbewohner auf ein und dasselbe Ziel entpuppt sich aber als schwerer als gedacht. Ein jeder ist mit sich selbst und seinem Pariadasein beschäftigt, der brutale Daseinskampf zwingt in die unterschiedlichsten Formen der Ökonomisierung, die nur eins miteinander gemein haben: von jedweder Form von Bürgerlichkeit weit weg zu sein.  Das hauptkommunikative Anliegen der Einwohner von Dacca-Haus untereinander ist neben dem Nachbarschaftsstreit der ausschließliche Blick für die eigenen Belange. Es mehren sich Kakerlaken und Ungeziefer aber anstelle einer Schädlingsbekämpfung kommt ein Polizeikommando und hebt wegen einer kriminellen Bande das ganze Haus aus. Nachdem die meisten der Bewohner wie auch Dusman wieder zurückkehren dürfen, beginnt sich ganz schwach am Ende des Erzählertunnels ein Lichtblick zum Besseren hin abzuzeichnen.

Der Autor Meja Mwangi ist selbst Kenianer und weiß wohl, welche Art von Lindenstrasse er da beschreibt. Es ist ein Termitenhügel der Groteske, das ganze Haus pulsiert, stoffwechselt laut und schmerzhaft vor sich hin, scheidet aus. Aber empörungstaugliche Sozialkritik ist es dennoch nur bedingt, stellt sich doch immer wieder die Frage, ob nun die Menschen unter den Verhältnissen leiden oder umgekehrt.  Das Ganze ist gut geschrieben, die Dialoge sind lebhaft, temperamentvoll, der Erzählstil ist bis hin zur Zackigkeit kompakt und die Charaktere sind, auch dialogrhetorisch trennscharf sortiert. Mwangis eigener Blick ist sarkastisch aber ehrlich.

Hätte ein Europäer diesen Roman geschrieben, der Mindestvorwurf eines kolonialen Chauvinismus wie etwa in den afrikanischen Reisebeschreibungen von Evelyn Waugh wäre ihm gewiss.

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Genre: Humor und Satire
Illustrated by Peter Hammer

Miranda – Das Klon-Projekt

MirandaMiranda führt ein Bilderbuchleben: Sie ist hübsch und erfolgreich, klug und selbstsicher, das einzige Kind wohlhabender Eltern. Aber dann bricht von einem Tag auf den anderen ihre heile Welt zusammen. Miranda erfährt, dass sie eine seltene, lebensgefährliche Erbkrankheit hat. Vor allem ihre Leber ist bereits so geschädigt, dass sie sofort gegen eine neue ausgetauscht werden muss. Miranda ist verzweifelt, denn woher soll so schnell ein Organ kommen, das ihr Körper nicht wieder abstoßen wird?

Miranda ist fast 14 Jahre alt und führt mit Ihren wohlhabenden Eltern ein perfektes Leben. Sie hat gute Schulnoten, ist eine begabte Tänzerin, hübsch und versteht sich mit Ihren Eltern hervorragend. Am Tag vor einer wichtigen Tanzaufführung, bekommt Miranda plötzlich Probleme mit den Augen und wird direkt in eine Spezialklink gebracht die Ihrem Vater gehört.

Miranda wird von Kopf bis Fuß durchgecheckt und schnell stellt sich heraus, dass Sie schwer erkrankt ist und nur eine Organtransplantation Sie retten kann. Miranda ist verzweifelt und gleichzeitig aber auch sehr verwundert denn warum sind Ihre Eltern so zuversichtlich, geradezu überzeugt davon dass das benötigte Organ sehr schnell gefunden werden kann? Sie kann sich darauf keinen Reim machen und dann belauscht Sie heimlich mehrere Gespräche Ihrer Eltern und Ihres Arztes die keinen Sinn zu ergeben scheinen und Sie sehr neugierig und auch misstrauisch werden lassen! Als Sie zwei Tage vor der Lebertransplantation heimlich nachts durch das Krankenhaus streift, schnüffelt Sie auf der Forschungsstation herum und macht dabei ein paar erschreckende Entdeckungen…!

Die Geschichte ist aus Mirandas Ich-Erzählperspektive geschrieben und äußerst kurzweilig, so dass ich das Buch an nur einem Nachmittag durch hatte. Natürlich kann man sich direkt denken was Miranda auf der Forschungsstation findet (den “Untertitel” “Das Klon-Projekt” hätte ich persönlich ja weggelassen denn er verrät ja schon extrem viel) und dieses Thema ist ja auch schon oft in Büchern behandelt worden. Als Jugendbuch kannte ich eine solche Geschichte aber noch nicht und finde die Idee sehr gut. Außerdem das Buch nicht so vorhersehbar wie man es annimmt denn es gibt auch ein paar Überraschungen die mir gut gefallen haben. Außerdem finde ich es sehr erfrischend, ein solche Geschichte mal aus der Sicht eines jungen Mädchens zu erleben.

Ein sehr gutes Buch über Ethik, Verzweiflung, Vertrauen zwischen Eltern und ihren Kindern und die Frage wie weit der Mensch/die Forschung gehen darf um geliebte Menschen zu schützen und Krankheiten zu heilen. Was macht den Menschen wirklich zum Menschen?

Ich kann dieses Buch sehr empfehlen!

Die Jugendbuchautorin Carol Matas wurde 1949 in Winnipeg, Kanada geboren und hat bisher 45 Bücher für Kinder und Jugendliche veröffentlicht, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden.


Genre: Dystopie, Kinder- und Jugendbuch
Illustrated by Sauerländer

Fürchte die Nacht

51x90LKs8QL._SX331_BO1,204,203,200_Ein neuer, wirklich erschütternder Fall beschäftigt die beiden Komissare Brandt und Aydin in Köln. Ein Psychopath, der in seinem ganzen Leben bisher nur Ablehnung erfahren hat, fühlt sich zu Höherem berufen. Um zu erreichen, was er sich vorgenommen hat, bedarf es einiger junger engelsgleicher blonder Frauen. Er ermordet sie auf eine bestialische Weise, die selbst das hartgesottene Team der Kölner Mordkommission erschüttert. Fieberhaft ermittelt das ganze Team im vorweihnachtlichen Köln, doch der Täter ist ihnen immer einen Schritt voraus. 

Als das Team zum ersten Tatort gerufen wird, dreht sich ihnen kollektiv der Magen um. Liegt doch wahrhaftig in einer Tonne eine Leiche, die nicht zu identifizieren ist, denn sie wurde skalpiert und gehäutet. Natürlich hat der Täter keine Spuren hinterlassen. So glaubt die Polizei zuerst. Die Gerichtsmedizin findet später ein einzelnes Haar, dessen Analyse schnell zu einem Mann führt, der bereits in der Datenbank gespeichert ist. Ein Exhibitionist, der vehement den Mord bestreitet. Selbstverständlich wird er in U-Haft gesteckt und ordentlich durch die Mangel gedreht.  Sein Umfeld wird durchleuchtet und die Polizei stößt auf einige “Kollegen” des Verdächtigen, fndet aber kein Mordmotiv. Bis ein zweiter Mord geschieht. Offensichtlich hat sich der Täter nur mit dem Skalp begnügt, denn die angefangene Häutung des Opfers hat er nicht vollendet. Ist er unterbrochen oder gestört worden? Oder gibt es einen anderen Grund?

Während der Leser aufmerksam und atemlos die Ermittlungen verfolgt, lässt ihn der Autor parallel dazu in einem weiteren Erzählstrang am Leben des Täters teilhaben. Sehr detailliert schildert er die Verhaltensweisen dieses kranken Typen, besucht ihn mit dem Leser zusammen auf seinem Arbeitsplatz, lässt jeden teilhaben, wie der Mörder von seiner Umwelt gehänselt und von seiner Familie tyrannisiert wurde. Grausig. Fast möchte man  Mitleid bekommen mit ihm, aber dann siegt doch der Ruf nach Gerechtigkeit.

Salim Güler versteht es wieder in höchster Vollendung, den Leser glauben zu lassen, er wisse mehr als die Polizei und könne in die Handlung eingreifen. Stattdessen führt der Autor ihn gewaltig auf falsche Spuren. Jedesmal, wenn man sich entspannt, weil man glaubt, nun den richtigen Täter gefunden zu haben und der Polizei einen Tipp geben zu müssen, zerschlägt sich die Spur. Und wieder tappt man vollkommen im Dunkeln. Dass der Autor am Ende einen Täter aus dem Hut zaubert, den der Leser zu kennen glaubt, aber von dem er bis zur letzten Minute nicht weiß, wer es ist, macht die Story wirklich grandios.

Trotz aller Düsternis ist dieser Thriller wunderbar kurzweilig und lebensnah gehalten. Die Plänkeleien zwischen Brandt und Aydin, die aufzeigen, dass sie sich erst noch zusammenraufen müssen, die Schilderung des kölschen Lokalkolorits und die Hahnenkämpfe innerhalb des Teams sind sehr real und menschlich geschildert. Man fühlt sich als Mitglied des Teams, allerdings als ein etwas klügeres, da man die Abartigkeiten des Täters kennt.

Auch diesen Thriller von Salim Güler kann ich jedem Fan von düsteren Geschichten nur empfehlen.

Fulminant.

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Genre: Krimi, Thriller
Illustrated by Kindle Edition

Der Bücherprinz

Dem ers51d4Wiy0R1Lten Teil seines Buches „Der Bücherprinz“ vorangestellt hat der Autor Ruprecht Frieling ein kurzes Gedicht von Tschingis Aitmatow. Zusammengefasst schreibt Aitmatow – nichts aus der Kindheit wird je vergessen, es begleitet uns bis ans Ende unserer Tage. Es war sicher Ruprecht Frielings Kindheit und Jugend, die aus ihm das machten, was er wurde – ein Revoluzzer, der er bis heute geblieben ist. Auch die langen Haare, das Wahrzeichen aller Widerständler der damaligen Zeit, trägt er heute noch.

Als Ruprecht 1952 in Oelde / Westfalen, das trübe Licht dieser Welt erblickte, gab es den Kaiser nicht mehr, auch Adolf Hitler war von der Weltbühne abgetreten, aber sie hatten in den Köpfen der Deutschen unauslöschliche Spuren hinterlassen, die – wenn man es genau betrachtet – bis heute nachwirken. Furzen in der Öffentlichkeit kostete zur Kaiserzeit 5 Mark Strafe, ersatzweise 1 Tag Haft. Conny Froboess packte damals gerade ihre Badehose ein, denn Nacktheit war untersagt, und ich kann mir vorstellen, dass die Hose, heruntergezogen am falschen Ort, mehr kostete, als 5 Nachkriegs-Mark und dass die Ersatzhaft, wenn man nicht zahlen konnte oder wollte, nicht in Tagen, sondern Monaten bemessen war.

noch angepasst mit fünf …

Noch angepasst mit fünf …

Ruprecht kam in ein – für damalige Verhältnisse – wohlgeordnetes Elternhaus. Sein Vater war streng, schließlich sollte aus dem kleinen Ruprecht ja mal was werden, ein angepasster Befehlsempfänger in den Fußstapfen seines Vaters. Und die Mutter, ebenfalls an die damaligen Vorstellungen von Familie, Recht und Ordnung angepasst (KKK – Kirche/Kinder/Küche), war ganz auf der Linie des Herrn Gemahls.

Strenge bedeutete das, Prügelstrafe, Ordnung. Gegessen wurde zu festen Zeiten, am zentralen Treffpunkt der Familie, einem ausziehbaren (wenn Gäste kamen) Holztisch im Esszimmer. Wenn ich das einfließen lassen darf – ich kenne diese Rituale auch. Wer bei uns abends um 7 Uhr nicht wartend mit gewaschenen Händen hinter seinem Stuhl stand, durfte gleich weiter ins Bett marschieren. Mit leerem Magen.

Menschliche Nähe? Dafür hatte man bei den Frielings Personal: Kinderfräulein, Zimmermädchen und für jegliche Arbeit, bei der man sich die Finger schmutzig machen konnte, gab es den Gärtner und hinter dem Lenkrad eines Autos sitzen war für den Herrn des Hauses nicht opportun; der Chauffeur war dafür zuständig. Das Kinderfräulein (das Fräulein war noch nicht aus der deutschen Sprache verbannt), hat mit einem aufgeschminkten Leberfleck zu Ruprechts ersten sexuellen Fantasien beigetragen und man darf annehmen, dass sie deshalb nur kurze Zeit im Hause Frieling arbeitete.

… mit 14 suchte er sich einen eigenen Weg …

Mit 14 bereits auf einem eigenen Weg …

Zu allen Negativpunkten gab es mindestens einen positiven, das waren die vielen Bücher, verstaubte Folianten in gut riechenden ledernen Einbänden. Ruprecht griff wie ein Ertrinkender nach allem, was in irgendeiner Form mit Buchstaben bedruckt war. Wie sagte Tschingis Aitmatow? Nichts aus der Kindheit wird vergessen! Die Bücher, auf Papier gedruckt, inzwischen auch auf elektronischem Papier, verfolgen Ruprecht bis heute, denn er wurde ein bekannter und zu Recht gefeierter Verleger. Auch der Siegeszug des eBooks in Deutschland und der Selfpublisher gehen – mindestens teilweise – auf ihn zurück.

Als ich das las, habe ich im ersten Moment gestutzt, weil ich glaubte, das eBook habe doch mit der elektronischen Vernetzung zwangsläufig in der Luft gelegen. Bis mir klar wurde, dass auch dafür Revoluzzer gefragt waren, die nicht bis in alle Ewigkeit auf der Mainstream-Welle der Verlage mitschwimmen wollten.

… mit 19 hatte er noch Träume …

Mit 19 hatte er noch Träume …

Wenn man es genau betrachtet, dann muss Ruprecht wohl schon als Nicht-Angepasster auf die Welt gekommen sein, denn bei aller Strenge der sich liebevoll gebenden Eltern, muckte er immer wieder auf. Nachhaltig kann man auf Neu-Deutsch ohne Übertreibung sagen. Nicht einmal Messdiener wollte er werden, obwohl das durchaus in der Tradition der Familie gelegen hätte. Allerdings – das muss man schon sagen – er hatte sich spitzbübisch, wie er nun mal ist, eines Helfershelfer bedient. Er hatte IHN da OBEN um ein Zeichen gebeten, dann hätte er ja gewollt. Dieses Zeichen kam nicht, womit sich Ruprecht sagte: nun denn – wenn es so sein soll …

Beinahe zwangsläufig führte sein aufmüpfiges Verhalten zu unerfreulichen Maßnahmen, aber es musste sein, schließlich sollte aus dem Jungen ja mal „was“ werden, was Respektable, wie der Herr Vater. Als dem prügelnden Vater und der geduldig dem brutalen Treiben zuschauende Mutter nichts mehr einfiel, wanderte Ruprecht in eine Jugendpsychiatrie. Treibende Kraft war die Mutter, aber man muss das verstehen, sie wollte ja nur das Beste für den Jungen und von den abfälligen Bemerkungen ihrer Freundinnen über Ruprechts Fehlverhalten hatte sie auch genug! Damit das alles auch Recht und Ordnung hatte, gab es auf Basis eines Gefälligkeitsgutachtens eines Kinderarztes (der ohne jegliche psychologische Erfahrung war) auch einen richterlichen Beschluss. Ein Chauffeur seines Vaters sammelte ihn ein und fuhr ihn im familieneigenen hochherrschaftlichen Mercedes in einer filmreifen Aktion in die Psychiatrie.

… mit 21 arbeitete er bereits im Steinbruch der Worte …

Mit 21 arbeitete er bereits im Steinbruch der Worte …

Der junge Ruprecht, gerade 15 Jahre alt, hatte Probleme mit den dunklen Nächten in der Irrenanstalt, dem nächtlichen Geheule inhaftierter Triebtäter, Mörder und sonstiger Unholde. Nicht gänzlich unerwartet, wie man zugeben muss. Die Pfleger verabreichten ihm viele grüne, blaue und gelbe Pillen, die ihm Schlaf verschaffen sollten. Das taten sie nicht, denn Ruprecht kotzte sie in unbeobachteten Momenten in die Toilette. Wen wundert’s, dass sein bester Freund und Beschützer während dieser Zeit ein noch junger Triebtäter wurde, der mehrere Verwandte mit einem Küchenmesser abgeschlachtet hatte.

Nach einigen Wochen kam es zu einer Revolte in der Anstalt, an der Ruprecht nicht beteiligt war, die aber wohl mit zu seiner Freilassung beitrug. Mindestens fielen den Ärzten keine weiteren Gründe mehr ein, ihn weiter festzuhalten und wohl oder übel musste man ihn freilassen.

Ruprecht ließ sich nicht kleinkriegen, Vater und Mutter schafften es nicht, die Psychiatrie nicht und auch nicht die Prügelstrafen der Lehrer in einigen darauf folgenden Gymnasien. Irgendwann wurde es ihm zu viel, vielleicht war er es auch satt, weiter seinen Eltern „Schande“ zu bereiten, und er ging auf Wanderschaft. Nach der ersten Station London, und dort ersten Kontakten zur Hippieszene, ging es weiter über Amsterdam, Paris, Dubrovnik und Kurdistan. Endlich trat das ein, was er sich wohl während seiner ganzen Kindheit und Jugend gewünscht hatte – Oelde, seine Heimatstadt, verschwand immer tiefer hinter dem Horizont.

Beinahe zwangsläufig setzte Ruprecht sich nach West-Berlin ab, denn der vom Kreiswehrersatzamt angekündigte Wehrdienst war nicht nach seinem Geschmack. Gemäß Berlin-Statut der Siegermächte war er dort sicher. In Berlin traf er auf alles, was damals im mehr oder weniger illegalen Untergrund Rang und Namen hatte, angefangen bei Fritz Teufel und vielen anderen. Auch normalisierte sich hier seine vom Oelder Elternhaus nachhaltig gestörte Beziehung zum anderen Geschlecht. In den dunklen Schlafräumen der WGs fand er bald heraus, dass es nicht so wichtig ist, mit wem man „es macht“, sondern, „dass“ man „es macht“.

Trotz aller Freiheiten in Westberlin, des links geprägten Denkens, merkte er bald, dass das Leben durchaus Schattenseiten haben kann, wenn man als eine Art Tagelöhner in aller Herr-Gott’s-Früh anstehen muss, um wenig Arbeit und noch weniger Geld zu bekommen. Diese Erkenntnis hatte ganz sicher nichts mit Anpassung zu tun, sondern schlicht damit, dass zu einigen Annehmlichkeiten des Lebens Geld gehört. Der Joint kostet Geld, das Bier, schmackhaftes Essen auch, und dafür muss man arbeiten.

Weil ihm der frühmorgendliche „Sklavenmarkt“ nicht behagte, sprich Anstehen nach Arbeit, wurde Ruprecht Fotograf. So ein richtiger mit Lehre, sprich fotografischer Ausbildung. Bis er endlich dort landete, was seiner eigentlichen Berufung entsprach – er wurde Journalist. Es waren wohl die dicken verstaubten Folianten seines Elternhauses, in Kalbsleder gebunden, die sich letztendlich bei ihm durchsetzten.

… wo er 40 Jahre später immer noch aktiv war …

… in dem er mehr als 40 Jahre später immer noch aktiv ist …

Es folgten prägende Episoden als Journalist in der DDR (damals durchaus keine Selbstverständlichkeit!), auf Kuba (auch nicht üblich) und in einigen Westberliner Redaktionen. Während dieser Zeit traf er auf viele Menschen, die sich wie das Who is Who der deutschen Nachkriegsära lesen. In der langen Liste seines Bekanntenkreises der darstellenden und bildenden Künste fehlen weder Fassbinder, noch Hanna Schygulla, um nur zwei zu nennen, mit denen er beruflich und freundschaftlich, schreibend oder als Fotograf, verbunden war.

Man kann sagen, der Sprung ins Verlagswesen und zum eigenen Verlag erfolgte wie unter Zwang. Er veröffentlichte nicht nur viele Autoren, sondern verfasste auch selbst Bücher. Und das mit viel Erfolg, denn trotz allen Revoluzzertums hat Ruprecht bis heute eine untrügliche Nase für das Geschäft. Dazu gehörten dann, einem Trend folgend, Sachbücher wie „Berlin okkult“, „Rock-City Berlin“ oder ein Stadtführer für Behinderte.

… um von seinen Freunden als »E-Book-Papst« apostrophiert zu werden

… um von Freunden liebevoll als »E-Book-Papst« bezeichnet zu werden

Mit zu seinem Erfolg gehört sicher auch, dass er sich sehr frühzeitig moderner Technik bediente. Das war ein Computer mit dem hübschen Namen “Lisa”, so benannt nach Steve Jobs Tochter, des Apple-Gründers. Vielleicht war es auch dieser in jenen Jahren gar nicht so selbstverständliche Umgang mit Technik, der ihn frühzeitig das Potential der eBooks erkennen ließ.

Das Buch „Der Bücherprinz“ ist eine Autobiografie, es ist darüber hinaus aber noch viel mehr. Es beschreibt die Zeit des Aufbruchs in Westdeutschland und in Westberlin. In diese Zeit fällt das Aufmucken der Jugend, die Proteste gegen den Besuch Schah Mohammad Reza Pahlavi, der diese Epoche der neueren deutschen Geschichte einläutete. Die Jugend hatte genug vom autoritären Staat, sie wollte frei sein und Ruprecht Frieling war einer von ihnen. Es ist gut, dass er mich, uns alle, daran erinnert, wie das damals war, was die Jugend in die Hippieszene, in den Widerstand getrieben hat.

Mit seinem »Bücherprinz« wirft Frieling einen Blick hinter die Kulissen

Mit seinem »Bücherprinz« wirft Frieling einen Blick hinter die Kulissen

Ich habe das Buch mit großer Begeisterung und vielen Erinnerungen und des Nachdenkens gelesen, denn mir scheint, Rupi, Du beschreibst auch etwas, was inzwischen so vielen Menschen abhanden gekommen ist. Weniger „Ja“ brüllen, weniger „Nicken“, mehr Revoluzzertum. Ein wenig nur wäre schon hilfreich, sonst landen wir alle noch in einer Ecke, die wir glaubten, 1945 hinter uns gelassen zu haben.

Abgesehen vom geschichtlichen Hintergrund dieser Autobiografie ist es auch die Sprache, die Rupis Buch überaus lesenswert macht. Es ist dieser nett klingende, zwischen den Buchstaben herausspringende Sarkasmus, der selbst unangenehme Erinnerungen, wie die Erlebnisse in der Psychiatrie, erträglicher erscheinen lassen.

Rupi, ich danke Dir für dieses Buch. Aus vielerlei Gründen hat es mir gut getan, denn ich bin auch nicht „angepasst“, wie Du weißt, bin auch abgehauen. Hurra schreien konnte ich auch nie, genauso wenig wie Du.

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Genre: Biographien, Memoiren, Zeitgeschichte
Illustrated by Internet-Buchverlag Berlin