Wasserspiel

Dystopischer Klima-Roman

Der vor allem als Hörspielregisseur bekannte Tim Staffel hat neben diversen Theaterstücken auch fünf Romane geschrieben, der aktuelle erschien kürzlich unter dem Titel «Wasserspiele». Was im Titel euphemistisch klingt, ist im Plot dieses visionären Romans eine knallharte und katastrophal endende Auseinandersetzung um die örtliche Mineralquelle und das bisher ungenutzte Tiefenwasser eines fiktiven Städtchens namens Lüren in Ostwestfalen. Dort kämpfen die zwei ungleichen Protagonisten des Romans gegen die Absicht der Stadtverwaltung, dem wasser-wirtschaftlich tätigen Großkonzern Dell’Aqua die lukrative Konzession für die gesamte Wasserversorgung zu verkaufen.

Pikanter Weise ist die Bürgermeisterin von Lüren, die diesen Deal wegen der chronisch knappen Finanzen der Gemeinde unbeirrt vorantreibt, die Mutter eines der Aktivisten, des 15jährigen Außenseiters Humprey, der zusammen mit dem zwanzig Jahre älteren Roberto Böger erbittert gegen dieses Vorhaben ankämpft. Roberto dokumentiert, gesponsert von der NGO World Water Ltd., in seinem Vlog weltweit die Folgen verbrecherischer Geschäfte mit der zusehends knapper werdenden Ressource Wasser. Ausgerechnet er hat eine veritable Wasserphobie, was ihn aber nicht hindert, vehement für das Menschenrecht auf Wasser zu kämpfen. «Ich interessiere mich nicht für meine Angst oder ihre Ursache, sondern für das Element, um das sie kreist, das uns alle und alles bestimmt. Ich fürchte mich vor etwas, das existenziell ist, aus dem ich mehrheitlich bestehe, vor etwas, das allen selbstverständlich ist».

Und so reist er gleich zu Beginn der turbulenten Geschichte von Berlin aus nach Athen, um alarmiert von örtlichen Aktivisten zu dokumentieren, wie einem jungen Paar dort mit Polizeigewalt das Baby weggenommen wird, weil es in ihrer Wohnung in einem Slumviertel der Metropole kein fließendes Wasser mehr gibt, also unhaltbare hygienische Zustände herrschen würden. Als ihn schließlich dann ein Hilferuf aus seiner Heimatstadt Lüren erreicht, kehrt er nach langer Zeit in seine alte Heimat zurück, er will sich endlich auch den Schatten seiner Vergangenheit stellen. Entschlossen nimmt er dort zusammen mit dem jungen Humphrey, Sohn eines ehemaligen guten Freundes, und anderen Mitstreitern den hoffnungslos scheinenden Kampf gegen den übermächtigen Konzert Dell’Aqua auf. Aus wechselnder Perspektive berichten die beiden Protagonisten als Ich-Erzähler von diesem ungleichen Kampf um das Allgemeingut Wasser, eines der schon von den griechischen Philosophen definierten «Vier Elemente» allen Seins.

Mit seiner Thematik liegt der visionäre Roman voll im Trend der aktuellen Klimadebatten, die hier zu einer spannenden, zeitnah erzählten und in eine dystopische Zukunft weisenden Geschichte kompiliert sind. Dem unterschiedlichen Alter der beiden Ich-Erzähler geschuldet, führt denn auch die sprachliche Umsetzung zu zwei stilistisch abweichenden Diktionen, bei denen der altersbedingte Jugendsprech von Humphrey für ältere Semester unter den Lesern zuweilen etwas irritierend sein dürfte. Wem zum Beispiel das Wort «Vlog» noch nie begegnet ist, der wird im Internet fündig: Eine tagbuchartig Video-Aufnahmen verbreitende Plattform im Netz, – also das, was Roberto so emsig betreibt. Denn er hat schon früh gelernt: «Wasser ist nicht selbstverständlich», und jetzt erlebt er hautnah, wie eine ganze Gemeinde genau das auf äußerst schmerzhafte Weise auch lernen muss. Wobei einige wenige Einwohner sogar profitieren von den abrupt veränderten Wertschöpfungsketten der Lürener Wasserwirtschaft, vom mit allerlei Lügenmärchen propagierten Aufschwung des Städtchens, das stattdessen eine böse Naturkatastrophe erlebt hat. All das ist nicht immer angenehm zu lesen und stilistisch zudem ziemlich uninspiriert, man fühlt sich weder gut unterhalten noch gar bereichert, – es sei denn, man ist dezidiert ein Fan von dystopischen Romanen!

Fazit:   mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Kanon Verlag Berlin

Südstern

Kreuzberg ist überall

Nach fünfzehn Jahren kehrt der vielseitig schreibende Tim Staffel mit «Südstern» zum Genre Roman zurück, und zwar so überzeugend, dass seine Prosa für die Longlist des Deutschen Buchpreises nominiert wurde. Es ist ein Berlin-Roman, der im Problem-Stadtteil Kreuzberg angesiedelt ist, worauf schon der Titel hinweist, ein Platz in der Hasenheide mit einer U-Bahn-Station. Der Roman bringt dank seines in Berlin lebenden Autors jede Menge Lokalkolorit mit, und zwar aus dem prekären Teil dieser Metropole, nicht aus dem schicken Berlin, wie es die Touristen zu sehen bekommen. Zudem ist er in der Gegenwart, im Hier und Jetzt angesiedelt und spiegelt den ganz normalen Wahnsinn einer aus den Fugen geratenen, überforderten sozialen Schicht wieder.

Der männliche Protagonist dieser Geschichte ist Deniz, ein junger Streifen-Polizist mit türkischen Wurzeln, der aufopferungsvoll seinen an Parkinson erkrankten Vater pflegt. Wegen seiner Geldnöte muss er häufig Doppelschichten machen. Als abgeklärter Streifenführer hat er oft Probleme mit seiner übereifrigen Kollegin, die bei den Einsätzen stur alle Vorschriften befolgt, wo Deniz schon mal ein Auge zudrückt. Weibliche Protagonistin ist die Barfrau Vanessa, die nebenbei als angebliche «Pharmakologin» ihre dankbaren Stammkunden mit Psychopharmaka beliefert, also für ‹Erfolg und Glück› sorgt. Als diese Beiden erstmals aufeinander treffen, springt der berühmte Funke über, sie fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Ein Liebesroman à la ‹Romeo und Julia› ist «Südstern» deshalb aber nicht, auch wenn diese Beziehung im Roman wie ein schwach sichtbarer, roter Faden wirkt. In erster Linie haben wir es hier mit einem Gesellschafts-Roman zu tun, der die Frage stellt: Wollen wir, müssen wir wirklich so leben?

Vanessa ist schon länger mit Olli zusammen, einem Bundestags-Abgeordneten, sie teilen sich die Wohnung und sind ein gut harmonierendes Paar. Während sich Olli als Politiker zu profilieren sucht, um aus dem Hinterbänkler-Dasein heraus zu kommen, bewegt sich Vanessa in ihrem eigenen Netzwerk. Dem gehört der Barbesitzer an, für den sie arbeitet, viele der urigen Stammgäste ihrer Bar, natürlich auch ihr meist in Amsterdam lebender Lieferant für die Psychopharmaka. Mit denen versorgt sie Sportler, Politiker, Geschäftsleute, Künstler, kurz Menschen, die dem alltäglichen Druck, dem hastigen Leben der Großstadt, nicht standhalten können. Außerdem begegnet man in diesem literarischen Sittengemälde den typischen Themen im Kiez, berufliche Ausbeutung, Wohnungsnot, häusliche Gewalt, Überforderung, Armut, Drogensucht. Zu dieser Tristesse prekärer Lebensumstände gehören aber auch der Pflegenotstand, der Deniz vor kaum zu bewältigende Probleme mit seinem Vater stellt.

Dieser hochaktuelle Roman berichtet aus der doppelten Ich-Perspektive mit dem jeweiligen Umfeld der beiden Protagonisten. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, alltäglich mit prekären Lebens-Umständen konfrontiert zu sein. Vanessa mit dem karriere-bedingten Druck der leistungs-orientierten Gesellschaft, Deniz mit alltäglichem Zoff und seiner manchmal auch kriminellen Klientel im Kiez. Der Autor hat erkennbar intensive Recherchen betrieben, sein schonungsloser Blick offenbart stimmig die schwierigen Schicksale und alltäglichen Probleme seiner Romanfiguren. Trotz aller Härte, trotz der Dissonanzen seiner Thematik ist immer auch Menschlichkeit spürbar. Und selbst wenn die Liebe zwischen seinen beiden Haupt-Figuren eher ein zartes Pflänzchen bleibt, scheint sie doch tief verankert zu sein, so ganz ohne den üblichen Seelen-Kitsch. Die ständigen Perspektiv-Wechsel irritieren häufiger mal, denn das erzählende Ich ist oft nur schwer erkennbar. Erzählt wird in einer intensiven, vorantreibenden Sprache, die Dialoge kommen ohne Satzzeichen aus. Man ist ganz nah dran am Geschehen, und man erkennt: Kreuzberg ist überall!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Kanon Verlag Berlin