Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs

Basquiat – das Buch zur Ausstellung in der Wiener Albertina

Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs. “BLAM BOOM BANG. Wo bin ich?” Heißt es auf einem Gemälde des leider zu früh verstorbenen haitianisch-puerto-ricanischen Künstlers aus New York auf Deutsch. Gerne benutzte Basquiat Symbole und Zeichen, vor allem eben auch Buchstaben und Worte in seinen Bildern. “Der Widerstreit zwischen gestisch-malerischen und figurativen Elementen, Buchstaben und Wörtern versus rinnende Acrylfarbe und aufgesprayte Linien resultierte in einem höchst dynamisierten Bilgeschehen, einem Netz aus Markierungen und Bedeutungen, einem Spiegel der vibrierenden Downtown Manhattan und ihrer Kunstszene”, schreibt der Herausgeber in seinem Vorwort.

Basquiat: Der “tanzende” Maler

Basquiat begann als junger Graffiti-Artist und kreierte mit seinem Samo© ein fiktives Künstlerkollektiv, das die Kunstwelt verändern wollte. Aber er speilte auch als Musiker in einer New Yorker Garage-Band im typischen Stil der Achtzigerjahre laut und kraklig, experimentell. New York war in dem Jahrzehnt durch Punk und Untergangsstimmung geprägt, das Stadtzentrum verwahrloste und wurde so zum Spielplatz vieler junger Kreativer. Basquiat war einer davon, der sich von Graffiti aus bald Richtung Art Brut und Minimalismus entwickelte. Dazu bediente er sich sowohl des reichen kulturellen Schatzes seiner Ahnen, als auch seinem Alltag im New York City der traurigen 80er. Die Zeichnung war die Grundlage der künstlerischen Praxis, aber er liebte auch Buchstaben, Wörter, die er “wie Pinselstriche” benutzte, schreibt Buchhart. Einen “tanzenden” Maler sah etwa ein Künstlerkollege, Fan 5 Freddy, in Basquiat, wenn er mit seinen Stiften über die Leinwand oder andere Materialien huschte. Die vorliegende Publikation folgt der derzeit in der Wiener Albertina zu sehenden Ausstellung mit dem Titel “Basquiat. Die Retrospektive”. Sie ist dort noch bis zum 8. Januar 2023 zu sehen.

Prometheus der Moderne

Sein Werk changiert zwischen Expressionismus, Pop- und Conceptual Art, nimmt Anleihen bei den Cartoons und Comics seiner Jugend und ist stets engagiert und immer politisch. Mit dem Pinsel als Waffe kämpfte er gegen Polizeigewalt, Rassismus und Unterdrückung oder sogar den Konsumkapitalismus. Francesco Pellizi zeigt Basquiat in seinem Beitrag in vorliegendem Band als Erbe der amerikanischen Tradition der Simplifizierung: Pop-Art, Minimal Art und Konzeptkunst hätten ihn beeinflusst, seine “Opfergaben” eher Selbstaufopferungen im Geiste Lautréamonts, Rimbauds oder Kafkas nicht “ex voto aus dem Verlangen, sondern von der Verlassenheit, ex desolatione“. Sein Verdienst liege vor allem in der Einführung einer ethnisch und kulturell marginalisierten Blackness in den Mainstream der westlichen Kunst. Ein Interview mit Ouattara Watts über Basquiat schließt sich an Exzerpte aus Basquiats malerischem Werk oder einigen fotografischen Aufnahmen an. Im Anschluss werden einige Werk in Großaufnahmen gezeigt, die dazwischen mit Zitaten von Jean-Michel Basquiat angereichert werden. Im Anhang befindet sich noch eine Chronologie des Lebens des Künstlers, den die Götter – vielleicht aus Neid – viel zu früh zu sich holten. Denn Basquiat war ein Brückenbauer und Prometheus der neuen Zeit: er brachte den Menschen das Feuer und musste dafür geopfert werden.

Dieter Buchhart (Hrsg.), Antonia Hoerschelmann (Hrsg.), Klaus Albrecht Schröder (Hrsg.)
Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs
2022, Hardcover, Pappband, 216 Seiten, 24,5 x 30,0 cm, 85 farbige Abbildungen, 12 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-7913-7956-2
€ 45,00 [D] inkl. MwSt.
€ 46,30 [A] | CHF 61,00 * (* empf. VK-Preis)
Prestel Verlag

 


Genre: Kunst, Kunstgeschichte, Malerei, Popkultur
Illustrated by Prestel

60 Jahre Winnetou-Film

60 Jahre Winnetou-Film. Vor 60 Jahren kam der erste Winnetou in die deutschen Kinos: Der Schatz im Silbersee. Michael Petzel hat aus aktuellem Anlass seine Ausgabe zum 50er nochmals neu überarbeitet und stellt auf 200 Seiten in 154 farbigen und 23 s/w Abbildungen die schönste Erfolgsgeschichte des deutschen Filmwunders dar. Aber nicht nur Pierre Brice oder Lex Barker stehen hier im Rampenlicht, sondern auch Marie Versink, Stewart Granger, Ralf Wolter oder Uschi Glas u.v.a.m.

Winnetou ideal besetzt

Die schönsten Ausschnitte und Szenen aus den Winnetou-Filmen stehen im Mittelpunkt dieser zweiten, neu überarbeiteten Auflage von “50 Jahre Winnetou-Film”. Dabei war es damals, vor 60 Jahren, als “Der Schatz im Silbersee” gar nicht so sicher, ob die Verfilmung des Karl May Klassikers ein Erfolg werden würde. Schließlich hatten sich schon Generationen von Jugendlichen (Jungs UND Mädchen) einen Fantasie-Winnetou ausgemalt, wie er von der Literaturvorlage (Erscheinungsdatum ca. 1891) zwar inspiriert aber niemals wirklich existiert hatte. Aber mit der Besetzung des Winnetou durch Pierre Brice gelang das, was nur in seltenen Fällen Realität wird.

Winnetou als Inspirator

Dabei lebte seine Darstellung eigentlich vor allem vom Understatement. Regisseur Harald Reinl erzählte, dass Brice sich darüber sogar bei ihm beschwert habe, nur herumstehen zu müssen. Aber bei Winnetou reichte eben gerade die bloße Präsenz. Dass Winnetou als Identifikationsfigur für die deutsche Jugend von anderen Vorbildern Ender Sechziger Jahre abgelöst worden sei, wie Petzel moniert, darf angesichts seiner Ideale doch angezweifelt werden. Denn war es nicht gerade “Mut, Aufrichtigkeit und Treue”, die von der aufbegehrenden 68er Jugend von ihrer Elterngeneration eingefordert wurde? Insofern könnte man also umgekehrt wie Petzen behaupten, dass gerade Winnetou die deutsche Jugend in ihrem Aufstand gegen ihre Eltern bestärkt hatte, in dem er an die wahren Tugenden in ihren Herzen appelliert hatte. Der 1968 erschienene und letzte Winnetou-Film, Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten, war zwar ein Flop und gibt insofern Petzen vielleicht recht. Jedoch gab es inzwischen einfach auch schon mehr Identifikationsangebote an die deutsche Jugend.

Winnetou in Wort, Bild und Sound

Wie dem auch sei, die vorliegende Publikation entführt in die eigene Jugend und zeigt die teilweise unter dramatischen Umständen geretteten Filmstills aus Grobnik polje bei Rijeka und anderen Drehorten in Kroatien. Die Fotos werden mit originalen Zitaten aus den Karl May Bestsellern ergänzt und auch mit Orten und Jahren beschriftet. Michael Petzel hat die Fotos chronologisch nach dem Erscheinen der elf Winnetou Filme geordnet und mit Kapitelüberschriften und -texten versehen. Wer sich dazu noch den Böttcher Soundtrack “Die große Karl May Soundtrack-Box“, 3 CDs digital remastert, Art-Nr.: 52089 beim Verlag, leistet, wird mit Sicherheit seinen Lesegenuss noch verstärken können. Unvergessliche Erlebnisse und Tagträume garantiert.

Michael Petzel
60 Jahre Winnetou-Film
Zweite, überarbeitete Auflage von “50 Jahre Winnetou-Film”
2022, Hardcover, 22,0 x 19,5 cm, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7802-3094-2
Karl-May-Verlag GmbH
34,- €


Genre: Film, Jugendliteratur, Romantik
Illustrated by Karl May Verlag

Ulysses zum 100.

100 Jahre Ulysses in einer Jubiläumsausgabe bei Suhrkamp

Das maßlose Buch” wurde der Ulysses schon genannt, wegen blasphemischer und pornographischer Inhalte war er am Index und er galt allgemein als schwer zu lesen. Zum 100. Geburtstag der Erstausgabe des Mammutwerks von JJ hat es der Suhrkamp Verlag in einer goldenen Taschenbuchausgabe neu aufgelegt. Wer will kann es aber auch in blau, rot, türkis oder gelb kaufen, bloß nicht in irish-green.

100. Jubiläum Ulysses

Am 2. Februar 1922, dem 40. Geburtstag von James Joyce, erschien in einer Auflage von nur 1000 Exemplaren die Erstausgabe des Ulysses. Verlegt wurde das Buch damals durch Sylvia Beach, der Besitzerin der Buchhandlung Shakespeare and Company in Paris. Der “einflussreichste Roman der Moderne” wurde wider Erwarten aber nicht nur in Joyce’s Heimat oder seiner Wahlheimat Triest geschrieben, sondern hauptsächlich in Zürich wohin JJ mit seiner Familie aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs 1918 gezogen war. In Auszügen wurde der Roman 1918-1920 in der amerikanischen Zeitschrift “The Little Review” abgedruckt und 1921 wurde er wegen “obszöner Inhalte” verboten.

Donnerstag, der 16. Juni 1904

“irish-green” fehlt

In zensierter Buchform erschien er dann dennoch in der bereits genannten Pariser Buchhandlung und erreicht heute bei Auktionen zum Beispiel den bescheidenen Preis von 460.500 Dollar (Versteigerung 2002, ein signiertes Exemplar der Erstausgabe). Der Hinweis worum es in dem im “stream-of-consciousness“-Stil verfassten Jahrhundertwerk wirklich geht, gibt eigentlich der Titel. Denn Ulysses ist niemand anderer als Odysseus, der nach 20 Jahren Irrfahrt schließlich zu seiner Penelope zurückfand, um diese zu freien. So lange braucht dem Joyce sein Odysseus nicht, um zu seiner Penelope zu finden. Ulysses der Roman, der in vorliegender Ausgabe 987 Seiten hat, spielt nämlich nur an einem einzigen Tag, dem legendären Donnerstag, den 16. Juni 1904. An diesem Tag lernt der Leopold Bloom nämlich seine Molly Bloom kennen, eine Verklausulierung aus dem tatsächlichen Leben des James Joyce, der an genau diesem Tag nämlich seine Nora kennengelernt hatte. In diesem Sinne ist der “Ulysses” als nichts anderes als eine Liebesgeschichte, eine endlose Hommage eines Mannes an die große Liebe seines Lebens.

Ulysses: Lesen und Leben

Für Kenner sei besonders die Re-Lektüre des letzten Kapitels des Ulysses empfohlen, der berühmte innere Monolog der Molly Bloom, in dem Joyce das für den Roman stilprägende Erlebnis aus Mollys (also Noras) Sicht noch einmal genauestens beschreibt. Mehr soll und darf hier aber nicht verraten werden, denn selbstverständlich liegt der wirkliche Genuss des Ulysses in dem langsamen Herantasten an das Ende eines langen Tages, der Literaturgeschichte und Weltliteratur wesentlich beeinflusst hat. Kostverächter diesen Roman nicht lesen wollen oder können, sei abschließend noch ein Bonmot von Joyce nahegelegt: “Wenn man den Ulysses nicht lesen kann, kann man das Leben nicht leben.” Marilyn Monroe – von der dieser Tage eine bahnbrechende Filmbiographie (R: Andrew Dominik) erscheint – hat übrigens beides getan.

James Joyce
Ulysses
Jubiläumsausgabe Gold
Aus dem Englischen von Hans Wollschläger
Bibliografische Angaben
2022, Broschur, 987 Seiten
ISBN: 978-3-518-47224-8
suhrkamp taschenbuch 5224

Suhrkamp Verlag

Banksy – Die illustrierte Geschichte

Banksy – Die illustrierte Geschichte. Banksy ist kein Unbekannter. Und dennoch ist er immer noch unbekannt. Unerkannt? Die vorliegende illustrierte Geschichte macht sich auf die Suche nach einer Antworten auf das größte Rätsel der Street Art. Im Stile eines Edutainment-Comics (also education und entertainment) wird im Stile eines Lehrerin-Schüler Gesprächs die Geschichte von Banksy aufgerollt. Aber natürlich nicht ohne Pointe am Ende.

Banksy, Synoym einer Bewegung

Weltbekannt und dennoch anonym hat der aus Bristol stammende Banksy die Kunstwelt aufgerollt und deren Mechanismen ad absurdum geführt. Wohl am bekanntesten ist die Selbstshredderaktion bei einer Auktion in London. 25,4 Millionen erzielte das “Gemälde”. Aber von dem Geld hat Banksy selbst wohl nie etwas gesehen. Am meisten verdienen nämlich Galerien und Kunsthändler an seinen Streetart Werken. Denn eigentlich begann Banksy klein: auf der Straße. Denn wie für alle Graffiti oder Streetart Künstler ist dort sein Zuhause, die Straße ist die größte Kunstgalerie zur Welt und für jede/n frei zugänglich. Eine seiner ersten Arbeiten war die Reproduktion des Gesichts von Andre, the Giant mit dem Schriftzug “obey” auf der Stirn. “Gehorchen” (engl.: obey) war genau das, gegen das sich Banksy richtete. Ein anderes Banksy-Motiv aus den frühen Jahren stellte einen Teddybär dar, der einen Molotowcocktail auf Polizisten warf.

Banksy – Die illustrierte Geschichte

Damals, 1999, waren Kapitalismuskritik, Antikriegsbewegung, Antiglobalisierung State of the Art einer neuen Generation von politisch organisierten Jugendlichen, die an die Sechziger erinnerte. Banksy muss auch als Teil dieser Bewegung verstanden werden, meint zumindest die sympathische Lehrerin im Comic. Kennst du zum Beispiel Kim Phúc? Sie war das Mädchen auf dem Bild aus den Sechzigern, deren Körper von Napalm verbrannt war. Jahrzehnte später verwendet Banksy das Foto von ihr und gibt ihr Micky Mouse und Ronald McDonald an die Hand. Für manche mag das Bild “niedlich” erscheinen, aber was Banksy meinte ist wohl klar: diese (amerikanischen) Konzerne haben Blut an ihren Fingern.

Banksy: Das Milleniums-Kunstphänomen

Die Macht der Konzerne zu brechen ist wohl Die Herausforderung des Milleniums. Vom ethischen Standpunkt werden die größten Verbrechen gegen die Menschheit nämlich genau von Konzernen begangen, die nur auf Profit schauen und Arbeiter:innen und Umwelt ohne Rücksicht ausbeuten. Sie sprechen von Nachhaltigkeit und entziehen der Mehrheit der Bevölkerung die Menschenwürde. Banksy war wohl einer der ersten (Ende der 90er Jahre) der mit viel Drama und Ironie genau diese Millenium-Herausforderung artikulierte. “Ich mag das…Dinge zu verdrehen, um tiefere Bedeutungen zu finden…Die Logik verschwinden zu lassen, um den Betrachter aus den gewohnten Denkmustern herauszulösen”, meint schließlich der Schüler im Comic und zeigt, dass schon so mancher Schüler seine Lehrer überflügeln kann. Denn letztlich ist es völlig egal, wer Banksy ist, weil jeder von uns es sein könnte, ebenso wie jeder von uns Lehrer und Schüler in einer Person ist. “Banksy – Die illustrierte Geschichte” von Francesco Matteuzzi und Marco Maraggi zeigen in sauber gearbeiteten Illustrationen nicht nur den Werdegang eines der grandiosesten Kunstphänomene des Milleniums, sondern auch deren eigentliche Agenda. Früher nannte man das Agitprop: Agitation und Propaganda. In diesem Falle ein klarer Denk-Mal!

Francesco Matteuzzi
Banksy – Die illustrierte Geschichte
Mit Illustrationen von Marco Maraggi
Banksy – Die illustrierte Geschichte
2022, Hardcover, 128 Seiten, 17,0 x 24,0 cm
ISBN: 978-3-7913-8882-3

Panini Comics
€ 18,00 [D] inkl. MwSt.
€ 18,50 [A] | CHF 25,90 * (* empf. VK-Preis)


Genre: Comic, Graphic Novel

Catwoman – Lonely City 1

Catwoman – Loneyl City 1 von Cliff Chiang

Catwoman – Lonely City 1. Das DC Black Label ermöglicht neue Perspektiven auf Geschichten, die einem bekannt erscheinen. Aber das sind sie nicht. Denn das Black Label improvisiert und überrascht immer wieder mit unvorhergesehen Situationen. So wird in vorliegendem Comic, geschrieben und gezeichnet von Cliff Chiang, auf die “Nacht der Narren” verwiesen, die alles im Batman-Comic-Universum veränderte: Batman starb in Catwomans Armen.

Batman tot, Catwoman im Knast

Danach war nichts mehr dasselbe. Catwoman musste für zehn Jahre in den Bau, weil man sie als erstes verdächtigte, an Batmans Tod schuld zu sein. Dabei waren sie Geliebte! Aber auch für die Bewohner:innen von Gotham änderte sich nach Batmans Tod einiges: Bürgermeister Harvey Dent (alias: Doppelgesicht) regiert die dystopische Stadt mit Hightech-Überwachung und Polizeipräsenz. Aber trotz zehn Jahren Gefängnis will Selina Kyle es noch einmal wissen. Denn die Erzählung des Comics legt genau nach ihrer Entlassung los. Als erstes braucht sie allerdings ein Dach über dem Kopf, Knie und Rücken sind schließlich auch nicht mehr das was sie mal waren.

Catwoman – Lonely City 1

Ihr altes Haus steht noch, die Mieter ausgebombt, das Penthouse unversehrt. Ihre Sicherheitscodes funktionieren auch nach zehn Jahren noch, wenigstens ein Vorteil der ansonsten deprimierenden Umgebung: niemand kam nachsehen. Selina Kyle ist inzwischen übrigens schon 55 Jahre alt, grauhaarig und vielleicht genauso sexy wie damals, nur etwas weniger beweglich. Kenner der Materie werden sich an Batmans Comeback in hohem Alter in “Die Rückkehr des Dunklen Ritters” erinnern. Frank Miller hatte eine dystopische Welt geschaffen, in der es auch Batman nochmals wissen will und ganz nebenbei eine Verschwörung aufdeckt.

Doppelgesicht wieder da!

Man verkleidet sich, um gesehen zu werden.” Die Zeichnungen von Cliff Chiang erinnern etwas an die frühen Batman-Abenteuer aus den Anfangstagen des Genres. Sie sind knallbunt und unkompliziert, reihen Panel an Panel in geradliniger Struktur. Die Story entwickelt sich gut und so kann man schon mit Spannung erwarten, was der zweite Band – übrigens im Großformat – wohl bringen wird. Denn Catwoman verbündet sich mit einigen ehemaligen Kriminellen, darunter auch Poison Ivy und es ist nicht sicher, ob sie die Geister die sie rief, unbeschadet wieder los wird. Der Aufritt von Doppelgesicht wurde jedenfalls schon sehnsüchtig erwartet und keinem ist eigentlich klar, warum dieser aus der Batman-Saga so schnell wieder verschwunden ist und Joker das Feld räumen musste. Erst die Batman-Verfilmungen von Christopher Nolan holten den ambivalenten Schurken/Helden wieder aus der Versenkung. Und jetzt endlich bekommt er von Cliff Chiang wieder ein Chance. Chiang schuf u.a. auch einige WONDER WOMAN-Serien der Moderne, den Comic GREENDALE von Musiker Neil Young sowie die Science-Fiction-Serie Paper Girls, die der nächste TV-Hit auf Augenhöhe von Stranger Things werden soll. Chiang ist auch Eisner Award-Gewinner, eine der höchsten Auszeichnungen in der Comic-Welt.

Cliff Chiang
Catwoman – Lonely City 1
Original Storys: Catwoman: Lonely City 1–2
2022, Hardcover, 108 Seiten
ISBN: 9783741627606
Panini
20,00 €


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Panini Comics

Batman Sonderband – Fear State

Batman Sonderband Fear State

Batman Sonderband – Fear State. Die Herkunftsgeschichten von Peacekeeper-01, Gardener und Miracle Molly werden in vorliegenden Abenteuern genauer unter die Lupe genommen. Denn auch Superschurken waren einmal Superhelden. Zumindest bevor sie um die Früchte ihrer Arbeit gebracht wurden.

Noradrenalin, Adrenalin und Dopamin

Dass in jedem Schurken auch ein potentieller Held steckt(e) zeigt etwa die Geschichte von Sean Mahoney alias Peacekeeper-01, der eigentlich von Batman so enttäuscht ist, dass er selbst ein besserer Batman werden möchte. “Noradrenalin, Adrenalin und Dopamin sind…” meint bestürzt einer der Controller von Peacekeepter zum anderen. Aber er ist längst außer Kontrolle geraten: “Sie sind nicht sie selbst. DAs Toxin verursacht Halluzinationen. Ihre Wahrnehmung ist verzerrt” schicken sie ihm in sein Gehirn, doch er hat den Kontakt zur Basis längst abgebrochen. Als Nachkomme einer der Erbauer der Brooklyn hat er eine besondere Aufgabe vom Schicksal zugedacht bekommen. So denkt jeder Paranoiker mit Sendungsbewusstsein. Die meisten davon landen in Arkham Asylum: “Wir haben verrückte Genies, psychopathische Clowns, fehlgeschlagene wissenschaftliche Experimente, ein Drittel der Besetzung von Alice in Wunderland, einen Zoo von Mensch-Tier-Hybriden und drei Dutzend Männlein und Weiblein, die sich einfach bloss gern als Tiere verkleiden. Wir haben Räuber, Entführer und Erpresser. Mordgierige Irre und soziopathische Superhirne. Hier ist für jeden Geschmack etwas dabei.”

Batman Sonderband: Fear State

Dass die meisten davon ein Vaterproblem haben, zeigt sich auch bei Peacekeeper-01. “Dass ich mal zu dir aufgeschaut habe! Dass ich Angst hatte, deine Erwartungen nicht zu erfüllen, gebet hab, eines Tages so gut zu sein wie du. Ich bin besser als Du! Denn Du… bist ein Nichts!” Gardener ist die zweite Geschichte in vorliegendem Batman Sonderband gewidmet. In psychedelische Farben getaucht zeigt die Wald und Wiesen Verteidigerin, wie sich Harley Quinn und Poison Ivy gefunden haben und was ihr Beitrag dazu war. Auch letztere tut letztendlich Böses, um dem Guten zu helfen, denn sie bestraft jene, die ihrer Meinung nach der Welt schaden. Garender erzählt ihre Geschichte dem Batman, der ihr nicht wirklich zuhören will. Aber wie sagte schon eine alte freundliche Dame einmal: Gärtner machen die Welt schöner. Weitere Abenteuer mit Miracle Molly und Clownhunter zeigen die neuesten Bewohner des “Fearstate”, die unter Umständen vielleicht ebenso zu Superhelden statt Superschurken werden hätten können. Zeichner: Christian Ward, Jason Howard und Autoren: Ed Brisson, James Tynion IV.

Christian Ward, Jason Howard/Ed Brisson, James Tynion IV
Batman Sonderband – Fear State
(Original Storys: Batman Secret Files: Peacekeeper 01, The Gardener, Miracle Molly, Material aus Batman 112–114 (II))
2022, Softcover, 132 Seiten
ISBN: 9783741628399
Panini
16,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Alien – Blutlinien

Alien – Blutlinien

Alien – Blutlinien. Das multinationale Unternehmen Weyland-Yutani schickt den Raumfrachter USCSS Nostromo auf den Mond LV-426, einen Mond, der den Planeten Calpamos umkreist. Dort lebt die außerirdische Rasse der Xenomorphe, besser bekannt als “Alien”.

Kein Licht im Dunkel des Alls

“Ich sehe ein Dunkel, das viel mehr ist als das Fehlen von Licht.” Einige Jahrzehnte später macht sich ein Vater auf die Suche nach seinem Sohn: im Weltall. Danny hatte ihm zuvor einen wertvollen Chip gestohlen und sich mit seiner Freundin Iris und ihrem Kollektiv daran gemacht, die Kolonie auf Calpamos zu überfallen. Aber diese “Mission” endet damit, dass die ganze Crew von den Xenomorphen als Brutstätte benutzt wird. Nun bekommt sein Vater, Gabriel Cruz, ein unwiderstehliches Angebot: er soll ins Weltall fliegen und seinen Sohn befreien, vor allem aber eine Probe eines Xenomorphen zu Forschungszwecken mitbringen. Weyland-Yutani will die Aliens für Kriegsführung nutzbar machen und will deswegen verschiedene Experimente an einem Exemplar durchführen. “Düsterer als wenn man nur die Hand vor die Augen legt. Solch ein Dunkel füllt dich aus. Durchdringt dich. Umklammert deinen Schädel. Drückt gegen deine Augenhöhlen, bis etwas zerplatzt und selbst die Erinnerung, das Konzept von Licht…sich dir entzieht.”

Spannend und actionreiche Fortführung des Filmstoffs

Eine durchwegs gelungene Neuinterpretation der von dem Schweizer H.R. Giger erfundenen Alien-Figur im Comic-Format, die auch die Filmfans begeistern wird. Schließlich spielt auch der KI-Robot Bishop wieder mit und rettet nicht nur Danny das Leben. “Im Dunkeln gibt es nichts, was man nicht auch sieht, wenn das Licht an ist.” Aber wie heißt es so schön im Nachwort von Franco Tedeschi: “Der wahr Schurke der Geschichte”, das sind nicht etwa die Aliens, sondern Korporationen, denen jedes Mittel recht ist erst den Weltmarkt und dann das Universum zu erobern. Dem Megakonzern Weyland-Yutani ist es nämlich herzlich egal, ob es einer der Besatzung des Raumschiffs nach Hause schafft. Hauptsache ein Exemplar des Xenomorph erreicht unbeschädigt die Erde. Die Fortsetzung darf mit Spannung erwartet werden, denn Zeichner Salvador Larroca und Autor Phillip Kennedy Johnson haben ein actionreiches Werk geschaffen, das durchaus gesellschaftskritisch und glaubwürdig vermittelt, wer im Weltall wirklich das Sagen hat.

Salvador Larroca/Phillip Kennedy Johnson
Alien – Blutlinien
(Original Storys: Alien: Bloodlines (2021) 1-6)
2022, Softcover, 164 Seiten
ISBN: 9783741628641
Panini
20,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Die Alpen. Ein Porträt.

Erfrischung gefällig? Die Alpen. Ein Porträt.

Die Alpen. Ein Porträt. Herren in Lederhosen und Damen in langen Röcken, das sieht man heute nur mehr auf Zunftbällen oder…richtig, in den Bergen! Um 1900 wurden die Alpen von eben so gekleideten Touristen, teilweise sogar auf Maultierrücken, besucht. Im ebenso bärigen wie riesigen Format (29 x 39,5 cm, 6,40 kg, 600 Seiten) zeigt der TASCHEN Verlag, wie es sich vor rund 100 Jahren bergstieg.

Die Alpen. Ein Porträt.

Die so hinreißend altmodische Zeit, in der die ersten Berg- und Zahnradbahnen Wanderer und solche die es werden wollten an den Rand der Gletscher brachten und Bergsteiger als Verrückte galten oder Skifahrer noch eine Kuriosität darstellten, handelt die vorliegende Erzählung, die anhand von bisher unveröffentlichten Fotografien dargestellt und dramatisiert ist. Die Photochrome aus der Zeit um 1900 zeigen aufregende Gletscher und Naturschönheiten, den Montblanc, die Jungfrau, das Matterhorn. “Nichts lässt sich mit den Alpen vergleichen“, wusste schon der berühmte französische Historiker Jules Michelet 1868. Gerade um diese Zeit wird das riesige Alpenmassiv im Herzen Europas vermehrt besucht. Der Tourismus, der schon im späten 18. Jahrhundert einsetzte, nimmt an Fahrt auf, insbesondere natürlich durch den unaufhaltsamen Aufschwung des Wintersports.

Eine Reise auf den Gipfeln durch Europa

© PhotoDiscovery / Former Walter Collection

Mittels Photochromen, Fotografien, kolorierten Postkarten, Plakaten und Reiseprospekten aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lassen die beiden Autorinnen eine beinah verschwundene Welt wieder auferstehen. Denn längst gehören Pässe und Berge wie der Mont Cenis, Simplon, Brenner und St. Gotthard, der Montblanc, der Eiger, das Wetterhorn und die Dolomiten zum Standardprogramm des kultivierten Europäers. Damals, vor mehr als 100 Jahren, waren es nur wenige, die den Blick auf kristallklare Seen in der Schweiz, Italien, Bayern und Slowenien wagten oder Tirol, die Via Mala oder das Engadin erkundeten. In den damals noch sehr exklusiven Wintersportorten stieg die betuchte Kundschaft in einem Grandhotel in Gstaad, Grindelwald, Davos, St. Moritz oder Cortina ab. Heute gibt es an den selben Orten auch Pensionen und Jugendherbergen.

Die Alpen im bärigen Riesenformat

© PhotoDiscovery / Former Walter Collection

Die wunderbare Reise in die Berge, als Schnee und Berge noch unberührt waren, wird von Zitaten von Reise-schriftstellern begleitet und zeigt, wie gut die beiden Herausgeberinnen recherchierten und über wie viel Erfahrung sie auf diesem Gebiet schon verfügen. Ein prächtiges Buch für Kenner und Erlebnishungrige, die die Alpen noch so unberührt sehen wollen, wie sie es jahrtausendelang auch waren.

Sabine Arqué, Agnès Couzy
The Alps 1900. A Portrait in Color
Hardcover, 29 x 39,5 cm, 6,40 kg, 600 Seiten
Deutsch, Englisch, Französisch
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
€ 150 | CHF 200
ISBN 978-3-8365-7355-9
TASCHEN Verlag
€ 150


Genre: Bildband, Reisen, Wandern
Illustrated by Taschen Köln

SILVER MARILYN

Silver Marilyn – neu aufgelegt zum 60. Todestag

Marilyn Monroe. Zum 60. Todestag präsentiert der Schirmer/Mosel Verlag die Film-Diva auf drei Ebenen: Von derEntstehung der Ikone des 20. Jahrhunderts; der Geschichte der internationalen Glamourphotographie der 1950er Jahre, und Marilyn als Mensch hinter dem Mythos erzählt der vorliegende Bildband mit 152 Tafeln in Farbe und Duotone.

Neuauflage mit Extra MM

Die Silver Marilyn erschien 1989 erstmals als Schirmer/Mosel-Produktion und avancierte zum weltweiten Bestseller avanciert. Es zeigt klassische Marilyn-Ikonen der berühmtesten Photographen der Welt – von Avedon bis Weegee – und dazu eine Fülle selten gesehener Aufnahmen versammelt. Für die vorliegende Neuauflage hat die Schauspiel-Kollegin Jane Russell das Vorwort verfasst. Zudem gibt es Marilyn in einem großen Interview, das sie dem befreundeten Journalisten Georges Belmont 1960 gab.

Gegen den Mythos: die echte MM

Hier spricht Marilyn Monroe persönlich und nicht als Kunstfigur und so erweist sich, dass sie durchaus – entgegen ihrem Mythos – als kluge, humorvolle und äußerst eloquente Gesprächspartnerin glänzen kann. Auch wenn sie als Pin-up-Girl anfing und in kurzen 17 Jahren zum Megastar avancierte, änderte sich doch alsbald ihre Eigenwahrnehmung. Auch wenn ihr ihr Publikum dabei erst sehr viel später folgen sollte, kann man sich auch in dieser Ausgabe der Silver Marilyn überzeugen, dass mehr hinter einem Mythos steckt, als man vermutet. Und gerade das macht es so interessant, auch 60 Jahre nach ihrem Abschied, diesen Mythos wieder aufs Neue aufleben zu lassen.

Ikone des alten Milleniums

Dass Marilyn auch im neuen Millennium, das sie nie erlebte, noch nichts von ihren Popularitätswerten eingebüsst hat, beweist nicht zuletzt die Rekordsumme von 195 Millionen Dollar, die Andy Warhols “Shot Sage Blue Marilyn“ kürzlich bei einer Auktion erzielte. Sammler wissen warum.

SILVER MARILYN
Marilyn und die Kamera
Photographien aus den Jahren 1945-1962
Mit einem Vorwort von Jane Russel
und einem Interview von Georges Belmont
248 Seiten, 152 Tafeln in Farbe und Duotone
ISBN 978-3-8296-0952-4
Schirmer/Mosel Verlag
€ 29,80 € (Ö) 30,70 CHF 34,30


Genre: Biographie, Film, Fotografie
Illustrated by schirmer/mosel

Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner

Der Gentleman-Gauner

Insgesamt vier Bücher von Arsène Lupin, dem Gentleman-Gauner, sind beim Matthes & Seitz Verlag erschienen. Insgesamt gibt es 20 Romane, zwei Theaterstücken und etlichen Kurzgeschichten. Die vorliegenden ersten acht Geschichten sind als Fortsetzungsgeschichten zwischen 1905 und 1935 in dem Magazin „Je Sais Tout“ erschienen. Jede einzelne Episode ist aber in sich abgeschlossen.

Neuübersetzung der ersten Abenteuer

In Frankreich ist der gentleman-cambrioleur ein Star. Als Gegenentwurf zum bekannten Meisterdetektiv Sherlock Holmes wurde er von Maurice Leblanc Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden. Einige Geschichten beziehen sich auch direkt auf Herlock Sholmes wie der englische Detektiv aus rechtlichen Gründen bei Leblanc genannt wird. Aber wer ist dieser Arsène Lupin und was macht ihn zum Gentleman-Gauner? Arsène Raoul Lupin wurde 1874 als Sohn von Henriette d’Andrésy und Théophraste Lupin geboren und genoss eine hervorragende Ausbildung in Jura und Medizin. Latein, Englisch und Griechisch sowie weitere moderne Sprachen beherrscht er fließend, sowie diverse Kampfsportarten.

Arsène Lupin, Meister der Illusionen

Als Meister der Verkleidungskunst und der Verstellung verwendet er gerne Pseudonyme: Raoul de Limézy, Vicomte d’Andrésy, Horace Velmont, Guillaume Berlat. Als vollendeter Gentleman zeigt er sich den Damen gegenüber galant und verabscheut Gewalt. So gibt er etwa erbeutete Juwelen einer Dame zurück, wenn er feststellt, dass sie sich (unbewusst) als loyal erwiesen hat. Am liebsten stiehlt er von den Reichen oder deckt politische Intrigen auf wozu er manchmal auch mit den Behörden zusammenarbeitet. Gerüchten zufolge soll der real existierende, humorvolle Anarchist Marius Jacob als Vorbild für Arsène Lupin gedient haben, was Maurice Leblanc stets negierte.

Netflix-Serie mit Omar Sy

Der Ziemlich-beste-Freunde-(Intouchables)-Star Omar Sy wählt in einer Adaptation der Romanvorlage, die bei Netflix unlängst erschienen ist, dezidiert Arsène Lupin als Vorbild. Dabei spielt das vorliegende Buch im französischen Original – also die ersten acht Abenteuer eine gewichtige Rolle. Der Vater von Assane Diop (Omar Sy) verwendet das Buch als Geheimcode für eine post mortem Mitteilung an seinen Sohn und dieser kann nach und nach eine politische Verschwörung aufdecken, die ganz Frankreich erschüttern wird. Dabei verwendet Assane Diop durchaus ähnliche Methoden wie sein literarisches Vorbild Arsène Lupin und bleibt doch stets Gentleman dabei. Oder er zitiert aus dem dritten Kapitel eine folgenreiche Stelle: “Bei den Künsten ist die Illusion zweifellos die subtilste. Sie fordert stets eine gewissen Fingerfertigkeit und manchmal eine gehörige Portion Mut. Die Art und Weise spielt letztendlich keine Rolle, nur das Ergebnis zählt. Und das Vergnügen die Welt getäuscht zu haben.

Lupin, dans l’ombre d’Arsène

“Lupin, dans l’ombre d’Arsène” (franz.:Lupin, im Schatten von Arsène) auf Netlix ist eine wirklich gelungene Adaption eines traditionellen Stoffes mit durchwegs modernen Mitteln. Die dritte Staffel soll in diesem Sommer erscheinen. Besonders toll dabei ist natürlich, dass die Macht des Buches, das übrigens auch auf Assanes Sohn großen Einfluss hat, hier richtiggehend zelebriert wird. Große Werke inspirieren eben auch große Künstler. Denn die Geschichte des Gentleman-Gauners wurde etwa auch vom Autoren-Kollektiv Boileau-Narcejac in fünf Romanen fortgeschrieben. Bei Matthes & Seitz Berlin sind außerdem erschienen: Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes, Arsène Lupin und der Schatz der Könige von Frankreich,
Die Gräfin Cagliostro oder die Jugend des Arsène Lupin.

Maurice Leblanc
Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner
Originaltitel: Arsène Lupin, gentleman-cambrioleur (Französisch)
Übersetzung: Erika Gebühr
2021, 238 Seiten, gebunden, auch erhältlich als Ebook
ISBN: 978-3-7518-0041-9
Matthes & Seitz Berlin
18,00 €


Genre: Krimi, Kurzgeschichten und Erzählungen, Roman
Illustrated by Matthes & Seitz

Ein Tag wird kommen

Giulia Caminito – Ein Tag wird kommen

 

Ein Tag wird kommen. Vergriffen, aber als WAT wieder erhältlich ist diese Geschichte der Römerin, die auch mit “Das Wasser des Sees ist niemals süß” (in 20 Sprachen übersetzt) bei Wagenbach vertreten ist. Caminito ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie arbeitet auch als Herausgeberin und Lektorin und lebt in Rom.

Italien zwischen Katholiken und Anarchisten

Ein Tag wird kommen” (Original: Un giorno verrà) ist eine italienische Familiengeschichte in Zeiten des aufkeimenden Faschismus. Einer Zeit in der mehr als die Hälfte der Ernte an den Padrone ging. Er entschied auch was Gesetz war, wer am Feld arbeitete, wer heiratete und welche der überzähligen Kinder bleiben durften. Bis eines Tages ein gewisser Lupo beschließt nicht mehr zu arbeiten, auch Petri und Paoletto sowie Gaspare schließen sich an. Bruno der Sozialist lächelt. “Sie lassen uns fürs Paradies bezahlen, sie verlangen Geld von denen die keins haben, für etwas, das nie jemand gesehen hat.” Anhand der beiden Bäckerssöhne Nicola und Lupo, die verschiedener nicht sein könnten, erzählt die Autorin die Lebenswelten zweier verschiedener Brüder, zwischen denen eine Lüge, verborgen hinter Klostermauern, steht. Lupo (ital.:Wolf) adoptiert übrigens einen Wolf, den er Cane (ital.: Hund) nennt. Aber was ihn wirklich an sein Dorf bindet, das er so gerne verlassen würde, ist sein Bruder, der “Krumenbub“, für den er sich verantwortlich fühlt.

Ein Tag wird kommen – als WAT noch erhältlich

Ein Tag wird kommen: un giorno verrà

In den Anmerkungen am Ende ihres Textes erzählt die Autorin auch von ihrem Urgroßvater, der Anarchist war. Er war irgendwo verschollen, aber sie hatte längst beschlossen ein Buch über die Anarchisten in den Marken zu schreiben, ein Buch über Nicola Ugolini und jene wie er, die an die Anarchie geglaubt und das Vorurteil von den Anarchisten als Bombenlegern, sinnlos Gewalttätigen und unheilbringenden Brisanten widerlegten. Aber gleichzeitig hat sie auch ein Buch über die Nonnen des Klosters von Serra und La Moretta (Maria Giuseppina Benvenuti, geboren als Zeinab Alif) geschrieben, den Protestakt des Augusto Masetti, die Settimana Rossi, den Ersten Weltkrieg und das Überlaufen der Sozialisten zur Fraktion der Kriegsbefürworter. Die Spanische Grippe, die revolutionären Bewegungen, die Zensur und auch die Auswanderung nach Amerika spielen ebenso eine Rolle, wie ihre Fantasie, die jene Lügen straft, die nur an die eine Wahrheit glauben. Wer lieber im Original liest, sei auf den Reclam Verlag verwiesen, wo “Caminito, Giulia: Un giorno verrà. Un romanzo di fede, speranza e anarchia” auf Italienisch erschienen ist. Der Untertitel lautet im Original: Ein Roman der Treue, Hoffnung und Anarchie.

Giulia Caminito: Ein Tag wird kommen. Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. Quartbuch. 2020 272 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-8031-3325-0
Vergriffen. Als WAT-Ausgabe erhältlich.
oder im Original: Un giorno verrà. Un romanzo di fede, speranza e anarchia.
Ital. Hrsg. von Sabrina Maag
Niveau B2 (GER) 347 S.
ISBN: 978-3-15-014122-9


Genre: Geschichte, Roman
Illustrated by Wagenbach

Der Traum vom Fremden

Der Traum vom Fremden. „Laufe Gefahr, mein Wort zu brechen und mich selbst zu verraten. Hatte ich nicht geschworen: Keine leeren Worte mehr! Überhaupt keine Worte mehr! Am besten verstummen; Taubstummensprache für die notwendigen Mitteilungen, Gesten, Gebärden – wie jeder Laut Übelkeit in mir hervorruft, ein ganzer Satz mich zum Erbrechen bringt und ein Gedicht – ein Gedicht ist der Tod!“ So hätten die Gedanken von Arthur Rimbaud in Ostafrika 1883 wohl lauten können, denn er hatte der Poesie und Europa abgeschworen und sich als Sklaven- und Waffenhändler bis in den Ogaden durchgeschlagen. Michael Roes nimmt einen ein authentischen Bericht (Rapport nur l’ogadine par M. Arthur Rimbaud), den Rimbaud 1883 über den Ogaden verfasste, als Grundlage für sein Rimbaud-Reflexion: ein fiktives Tagebuch, das durch die letzten Tage des französischen Dichterfürsten führt.

Der Traum vom Fremden

Ist das nicht die Freiheit, die Hölle, die ich gesucht habe? Jeder und niemand, ohne Familie, ohne Heimat oder Herkunft, ein Vagabund, Brisant, eine Wegelagerer, Halsabschneider, Meuchelmördder.” Der Plot handelt von seinem verschwundenen Geschäftspartner Sotiro, den Rimbaud durch eine Mission in den Ogaden retten will. Mit einer kleinen Mannschaft vertrauter Einheimischer dringt er in die noch unerforschte Wildnis vor und versucht, das Unternehmen möglichst nüchtern und wissenschaftlich zu protokollieren. Aber immer Gedanken und Gespenster aus der Vergangenheit drängen sich ihm auf: fiebrige Erinnerungen an die Amour fou mit Paul Verlaine, seine kaum erforschte Zeit bei der Fremdenlegion und seinen Neuanfang in Afrika. Aber auch die neu entdeckte Welt gemahnt ihn an seine Berufung: Die Ogadeni “verfassen über alles und jeden Lieder: sie unterscheiden nicht zwischen einer poetischen und einer nüchtern-sachlichen Sprache. Ihnen gilt Poesie als höchste Erkenntnis“.

Fiktives Tagebuch Arthur Rimbauds in Afrika

Vom 3.Oktober bis zum 11. November 1883 reichen die Eintragungen in das fiktive Tagebuch, das Michael Roes mit viel Einfühlsamkeit und Recherche geschrieben hat. Während sich Arthur Rimbaud in den Jahren 1875-1886 auf seine persönliche Odyssee begab und neben Europa auch Sumatra, Ägypten und Aden bereiste gibt sein verlorener Freund Verlaine eine Sammlung literarischer Studien unter dem Titel “Die verfemten Dichter” heraus. Dadurch erlangt Rimbaud noch zu Lebzeiten eine größere Bekanntheit. Der Handlungsreisende, Kaffeehändler, Teppichhändler und Freiwilliger der niederländischen Armee stirbt schließlich an Knochenkrebs. 1891 führt ihn die Heimreise nach Marseille wo er am 10. November im Alter von nur 37 Jahren stirbt. Der Autor Michael Roes, geboren 1960 in Rhede / Westfalen, ist Autor und Filmemacher, vor allem Dialoge mit nicht-europäischen Kulturen. Seine eigenen Reisen in den Jemen, nach Israel, Algerien, Afghanistan und Mali bilden den Hintergrund für viele seiner Werke.

 

Michael Roes
Der Traum vom Fremden
2021, Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 230 Seiten
ISBN: 978-3-86300-323-4
Albino Verlag
€22.00


Genre: Biographie, Reisen, Tagebuch
Illustrated by Albino

Über Gemälde von Segantini

Über Gemälde von Giovanni Segantini

Giovanni Segantini (1858–1899) wurde im damals österreichischen Arco am Gardasee geboren. Als Siebenjähriger verlor er nicht nur seine Mutter, sondern auch seine Staatsangehörigkeit. Eine Halbschwester war dafür verantwortlich und so blieb Segantini sein Leben lang staatenlos. Schon sein erstes größeres Gemälde sorgte für Aufsehen: der gewählte Lichteinfall richtete den Spot(t).

Verkannter, zu Unrecht vergessener, staatenloser Heimatmaler

Was in Frankreich gemeinhin als Pointilismus bezeichnet wurde, nennt man im Falle Giovanni Segantinis Divisionismus. Krüger nennt es “Flechttechnik”, die ein Ineinanderweben von unzähligen Einzelheiten, die dennoch differenziert und Schaft gesondert aber als Einheit dargestellt wurden. Das Faszinierende an Segantinis Gemälden sind für Krüger aber nicht nur die Farben und Lichteinfälle, sondern auch die Tatsache, dass er als einer der wenigen Maler seiner Zeit Landwirtschaft auch als harte Arbeit darstellte. Die idyllischen Bilder anderer Maler suggerierten stets, dass die Natur uns von selbst ernähre solange man sie respektvoll behandle und nicht malträtiere (Krüger). Gerade darin seien Segantinis Bilder moderner und nähmen Sujets vorweg, die erst nach seinem Tod populär wurden.

Über Gemälde von Giovanni Segantini

Segantini habe das Schicksal erlitten, zwei drei Jahrzehnte als Maler europäischen Ruhm zu ernten, danach aber weitgehend der Vergessenheit anheimzufallen und heute in der Kunstgeschichte nur mehr am Rande erwähnt werde, zitiert Krüger den marxistischen Kunstkritiker Konrad Farner. Mitte der Sechziger sei es zudem nicht “diskursfähig” gewesen, einem Maler zu huldigen, der sich ins Hochgebirge zurückgezogen hatte und hauptsächlich Tiere und Pflanzen malte. Selbst die Kuh wird heutzutage als Treibgasproduzent unter Generalverdacht gestellt, wie Krüger ironisch bemerkt. Aber es braucht keiner Rechtfertigung die Bilder Segantinis zu betrachten, denn was Kunst und Kitsch unterscheidet ist einzige der Lauf der Zeit.

Faszination des Verlorenen

„Voglio vedere le mie montagne“ („Ich will meine Berge sehen“) waren die letzten Worte Segantinis, die über 70 Jahre nach seinem Tod Joseph Beuys zu der gleichnamigen Rauminstallation inspirierten. In vorliegendem Bildband betrachtet man etwa die “Vanità” (Eitelkeit), “la fonte del male” (die Quelle des Übels), aus dem Jahr 1897, das eine nackte Frau vor einem Bergtümpel zeigt, in dem sie ein Bad zu nehmen gedenkt. Es zeigt eine einfache, gebirgige Landschaft in aller Schlichtheit und mit eher düsterer Farbwahl, die der Szenerie etwas Geheimnisvolles verleiht. Der Tümpel in dem sie zu baden gedenkt könnte nämlich ebenso der Abgang in den Hades sein, der Eingang zum Styx, der Fluss, der die Toten von den Lebenden trennt. Viele weitere Gemälde Segantinis werden von Michael Krüger vorgestellt und kommentiert und so der Vergessenheit entrissen. Denn seiner Bedeutung als Maler waren sich seine Zeitgenossen durchaus bewusst und stellten ihn sogar neben Rembrandt van Rijn (Kunsthistoriker Carl Brun). Die Fasznition für Giovanni Segantini fasst Michael Krüger am Ende mit einer profunden Antwort in Worte: “Wahrscheinlich schauen wir die Bilder an, weil sie das sind, was von uns übrig bleibt, und das zeigen, was wir für immer verloren haben.”

Michael Krüger
Über Gemälde von Segantini
2021, 208 Seiten, 47 Farbtafeln. Format: 18,5 x 26 cm, gebunden. Deutsche Ausgabe.
ISBN: 9783829609517
Schirmer/Mosel
€ 38,-


Genre: Bildband, Kunstgeschichte, Malerei
Illustrated by schirmer/mosel

Denken mit Oscar Wilde

Denken mit Oscar Wilde

Von Dublin über Oxford nach London. Dort wurde ihm eine Affäre zum Verhängnis und er musste ins Zuchthaus. Dem Alkohol verfallen lebte er danach in Italien und Frankreich und starb mit nur 46 Jahren in Paris. Es gab wohl nichts, was Oscar Wilde nicht in einem Bonmot auszudrücken wusste. Wolfgang Kraus hat davon die besten, verblüffendsten Aphorismen ausgewählt und stellt sie in einem handlichen Brevier für den Dandy, für den Wilde-Liebhaber, für jeden, der extravagant denkt oder sein möchte, vor.

Paradoxien und Sch(m)ockmomente

“Er schockierte und entzückte seine Zeitgenossen durch Paradoxien, die oft nichts anderes waren als verfrühte Wahrheiten der Zukunft und für uns heute weitaus näher und ernster als für die Gesellschaft, die sie belachte”, schreibt Kraus über Wilde im Vorwort zu vorliegender Taschenbuch deluxe Ausgabe des diogenes Verlages. Aber wie wusste schon Oscar Wilde selbst? “Ich habe mein ganzes Genie in mein Leben getan; in mein Werk nur mein Talent”. Aber beizeiten überkommt den “Dandy im Spiegelbild” auch Reue. Das Steuer seiner Seele habe er verloren, als das Vergnügen die Herrschaft über ihn gewann, wurde er sein Knecht, “Ich endete in Schande. Jetzt bleibt mir nur eines: völlige Demut”. Über die Aufgabe eines Jeden in dieser Welt ist sich Oscar Wilde aber sicher: “Jeder von uns hat nur eine Aufgabe zu lösen: sich selbst voll zum Ausdruck zu bringen.” Allerdings hätten heutzutage die meisten Angst vor sich selbst, dabei wäre “sich selbst zu lieben der Anfang einer lebenslangen Leidenschaft”. “Jedermann wird als König geboren. Und die meisten sterben im Exil – wie so viele Könige.”

Erfahrungen sind oft Irrtümer

Kaum jemand hat es wohl so gut verstanden Leben und Werk in Einklang zu bringen. Wer Oscar Wilde liest, hat das Gefühl, dem wohl einzigen authentischen Menschen gegenüberzusitzen, obwohl gerade ein Dandy alles dafür gibt, dass der Schein das Sein bei weitem übertrifft. “Die Natur hat gute Absichten, aber sie nicht ausführen. Die Kunst ist unser ritterlicher Versuch, der Natur den richtigen Platz anzuweisen.” Die Grundlage und die Energie des Lebens sei schließich das “Ringen nach Ausdruck”. Das Leben will nichts anderes als seine eigene Vielfältigkeit verwirklicht zu wissen. In allen Formen und Phasen. Weitere Gedanken und Aphorismen von Oscar Wilde finden Sie in dieser Auswahl auch zu folgenden Themen: Liebe, Schöpfung, Tragikomödie, Gleichnis, Magie der Schönheit, männliches Brevier. “Einen ethischen Wert besitzt die Erfahrung nicht, sie ist nur der Name, den wir unseren Irrtümern geben. Sie beweist, dass die Zukunft gleich der Vergangenheit ist.”

Denken mit Oscar Wilde
Extravagante Gedanken über die Magie der Schönheit und die allmächtige Kunst, Kritik als Schöpfung, das dekorative Geschlecht und die menschliche Tragikomödie
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Wolfgang Kraus. Aus dem Englischen von Candida Kraus
2021, Taschenbuch deluxe, Hardcover, 144 Seiten
ISBN: 978-3-257-26159-2
diogenes Verlag
€ 12.00


Genre: Aphorismen
Illustrated by Diogenes

Das Bildnis des Dorian Gray

Oscar Wilde – Das Bildnis des Dorian Gray

Die höchste wie die niedrigste Form von Kritik ist eine Art Autobiographie“, schreibt Oscar Wilde in seinem ersten und einzigen Roman “Das Bildnis des Dorian Gray” (1890). Das Buch, das auch vor Gericht gegen ihn verwendet wurde, hat schon viele Generationen von Dandys und Schöngeistern, besonders aber Liebhaber von Bonmots und Aphorismen, begeistert.

Ausschweifungen und Dekadenz

Dorian Gray ist ein junger Lebemann, der von einem gewissen Basil Hallward porträtiert wird. Das Bild soll eines seiner besten sein, aber dennoch schenkt er es dem Porträtierten. Dieser verbindet mit der Übergabe des Porträts ein Gebet zum Himmel, das sogleich Wirklichkeit wird: Statt Dorian altert von nun an sein Porträt, er selbst bleibt unverändert jung und schön. So kann sich der Bonvivant hemmungslos seinen Vergnügungen und Ausschweifungen hingeben, ohne Rücksicht auf Verluste. Hallward ist es auch, der Dorian Lord Henry Wotton vorstellt. Dieser rät ihm: “Ach! Nutzen Sie Ihre Jugend, solange Sie sie haben. Vergeuden Sie nicht das Gold Ihrer Tage, indem Sie langweiligem Geschwätz lauschen, den hoffnungsvollen Versager zu bessern trachten oder Ihr Leben an das Beschränkte, das Gewöhnliche und das Gemein wegwerfen.(…)Leben Sie! Leben Sie das wunderbare Leben, das in Ihnen ist. Lassen Sie sich nichts entgehen.” Diesen uneingeschränkten Hedonismus nimmt sich Dorian gerade dann zu Herzen, als er seinen beiden Freunden seine Angebetete, eine Schauspielerin, vorstellt. Diese gibt gerade Romeo & Julia am Theater und spielt nur leider grottenschlecht. Seine Freunde trösten ihn mit ihrer Schönheit, jedoch das Band zwischen ihr und ihm ist zerbrochen. Durch einige unglückliche Wendungen kommt es dann zu gleich drei (!) Todesfällen in dieser Geschichte, an denen Dorian nicht ganz unschuldig ist.

Spiegel seiner Zeit

Oscar Wilde hält mit Dorian Gray seiner Zeit einen Spiegel vor. Der “Prince Charming” (Märchenprinz) als der der Dorian gegenüber dem jungen Fräulein Sibyl Vane auftritt, entpuppt sich als grausame Maske, denn seine wahres Gesicht kennt nur das Gemälde, das sich bei jeder Verwerfung Dorians verzehrt und verzerrt. Ihr Tod wird zu einer ästhetischen Übung, in der sie gleich der Julia in das Reich der Kunst zurückkehrt, etwas von einer Märtyrerin umgebe sie. Der gefühllose Ästhet sieht in ihrem Tod nur eine “schönste Tragödie”, er entbindet sich jedweder Gefühlsregung indem er seine eigene Schuld an ihrem Tod ausklammert und ignoriert. “Devant une facade rose,/sur le marbre d’un escalier” zitiert er Theophile Gautier, als er seinen besten Freund, Basil Hallward, beseitigt hat und denkt dabei an Venedig. Eine dritte Person muss noch sterben, bis Dorian sich endgültig in eine der Opiumhöhlen Londons zurückzieht, um endlich das Vergessen zu finden, das er sein Leben lang suchte. “Du bist die Verkörperung dessen, was unsere Zeit sucht und was sie gefunden zu haben fürchtet“, ruft ihm Harry, sein letzter Freund zu und es stimmt. Denn seine Zeit hatte ein Monster erschaffen, das keiner besser inkarnierte als Mr. Dorian Gray. Ein rücksichtsloser Hedonist, der in der Anbetung der Jugend und Schönheit jede moralische Integrität verloren hat. “Die Jugend hatte ihn verdorben.”

Man könnte in dem Bildnis des Dorian Gray auch die Vorwegnahme des Idol-Kultes der heutigen Jugend sehen. Die Bilder und Fotos der Rockstars und die idealistische Anbetung dieser Ikonen der Moderne ähnelt sehr dem Personenkult um Dorian Gray, der als Symbol seiner Zeit sowohl den aufstrebenden Kapitalisten als auch den Rockstar vorwegnahm. Keiner verkörpert den Selfmademan der Moderne wohl besser als ein Rockstar, der nicht nur das Idealbild der Jugend verkörpert, sondern auch liebend gerne einen gleichsam religiösen Kult um seine eigene Person entfesselt. Im Anhang befindet sich ein Nachwort und eine kompakte Biographie des Autors.

 

Oscar Wilde
Das Bildnis des Dorian Gray
Übers. von Ingrid Rein
Nachw. von Ulrich Horstmann
2022, Paperback, 316 S.
ISBN: 978-3-15-020669-0
Reclam Verlag
10,00 €


Genre: Gesellschaftsroman, Roman
Illustrated by Reclam Verlag