
Daniel Schreiber: Allein
Allein. Der Susan-Sontag-Biograph (Geist und Glamour, 2007) und Autor vieler Beiträge für die Zeit, Deutschlandradio Kultur und die taz war auch in der Pandemie nicht untätig. Nach “Nüchtern” (2014) und “Zuhause” (2017) erscheint nun ein weiteres sehr persönliches Buch. Dessen Thema erfüllt immer noch viele Menschen mit Unbehagen. Dabei muss sich jede/r ihm stellen. Nicht nur einmal im Leben.
Allein: Einsamkeit als Chance
Das Thema Allein-Sein ist so alt wie die Menschheit und sicherlich kein Phänomen der Moderne oder allein von Krisenzeiten wie eben Pandemien, Kriegen oder anderen Apokalypsen: “Niemand von uns kann der Einsamkeit entkommen. Sie ist eine unabwendbare, eine existentielle Erfahrung. Vielleicht auch eine notwendige.” In seinem Bestseller (SPIEGEL, FOCUS, stern und Börsenblatt) erzählt Schreiber, wie er sich gerade in der paradoxen Situation der Einsamkeit auf eine Insel (Fuerteventura) flüchtete, um dort zu schreiben und schließlich zu sich selbst zu finden. Schreiber zeigt, dass gerade Menschen in Einsamkeit ihren Egoismus schließlich besiegen lernen, sich reorganisieren und damit zu neuem Wachstum finden. “Das Erleben von Einsamkeit bringt, mit andren Worten, eine Form der Selbstwahrnehmung mit sich, die wir anders nicht erlangen können. Gerade der Schmerz, der der mit ihr einhergeht, sorgt dafür, dass wir eine neue Art des Mitgefühls in uns entdecken, für uns selbst und andere Menschen. Uns neue Lebenswege erschließen und innere Auseinandersetzungen zulassen, die sonst ausblieben.”
Allein: Praktiken der Selbstreparatur
Mit seinen Gedanken über das Allein-Sein befindet Schreiber sich übrigens in bester Gesellschaft, schon Roland Barthes, Hannah Arendt, Sartre oder andere Choryphän des abendländischen Denkens haben sich in ihrem Schreiben damit beschäftigt. Oft hätte er sich unvollkommen gefühlt, weil er keine Zweierbeziehungen führen hätte können, jedenfalls keine auf Lebenszeit. Vor allem die Rituale, die den Alltag, das Leben zusammenhalten, würden einem abgehen, wenn man alleine ist, gerade in Zeiten einer Pandemie. Ähnlich wie die traditionellen kollektiven Rituale in westlichen Gesellschaften (Hochzeit, Taufe Beerdigungen, etc.) als rites de passage in neue Lebensabschnitte führen, habe nun aber auch die Pandemie einen solchen Schwellenzustand, eine Liminialität, geschaffen, die, wie zu befürchten ist, zu einem permanenten zu werden droht.
Das Narrativ von der Apokalypse
Denn die Welt ist nicht erst seit der Pandemie aus den Fugen geraten und die Apokalypse wieder in aller Munde. Aber selbst das ist nur Teil der ewigen Wiederkehr des Gleichen, denn die Menschheit hat immer schon von ihrem Untergang geschwärmt, seit Anbeginn der Zeit. Schreiber bezieht sich auf viele Autorinnen und Autoren der Gegenwart oder Antike und stellt einen Zusammenhang her mit seinem eigenen persönlichen Leben als homosexueller Mann, dem sich herkömmliche Glücksversprechen von Eigenheim und Kleinfamilie vorerst verwehren, er sich dann aber bewusste dafür entscheidet, eben nicht dazuzugehören: “Ich gehörte nicht mehr zu diesen Menschen, und wollte auch nicht mehr zu ihnen gehören.” Er entscheidet sich dafür, “uneindeutige Verluste” als eben solche stehen zu lassen und mit der Ambivalenz zu leben, da manche Fragen eben unbeantwortet blieben. So wie Derek Jarman auf seinem Prospekt Cottage: “Er nahm ein paar Samen, Stecklinge und etwas Treibholz und begann dieses Gefühl vom Ende der Welt in Kunst zu verwandeln und so dessen Schrecken zu lindern.”
Liminalität: der neue Schwellenzustand
Aber mehr noch als das, ist “Allein” vor allem auch ein äußerst lesenswertes Buch über die Segnungen von Freundschaft und das eigentliche Wesen dieser wohl größten menschlichen Tugend. Wer sich nämlich nicht in einer von der Gesellschaft vorgegebenen patriarchalisch-normativen Kleinfamiliensituation in der Mitte seines Lebens wiederfindet, wird ebenfalls dankbar sein für dieses so wertvolle Buch, das Einblicke gewährt, mit dessen Abgründen sich jeder einmal in seinem Leben wird auseinandersetzen müssen. Spätestens nach einer Scheidung, einem Verlust oder wenn die Kinder erwachsen sind und das Haus verlassen. Die wohl prägendste Erfahrung im Leben eines Menschen ist nämlich gerade diese Einsamkeit, deren Potential und heilsamer Charakter erst noch entdeckt werden muss. “Paare” gälten oft als dominantes Lebensmodell, während sie doch eigentlich oft “patriarchale Horrofilme” ähnelten, wie Hannah Black etwa meint. Black beschreibt Paare als “reduktionistischste, ausgrenzendste und prekärste Methode, um das wahrscheinlich universale Bedürfnis nach Nähe zu stillen”.
Liebe vs. Freundschaft
Auch queere Paare würden dies oft nur reproduzieren, dabei liege das wahre Glück doch in der Freundschaft und der Auflösung jedweder Arten von Herrschaft und Macht. Freundschaft beruhe ja gerade auf Freiwilligkeit und sei deswegen losgelöst von Verpflichtungen und Normierungen wie etwa Familie, Verwandtschaft oder Ehe. Aber oft würden sich Freunde oder Freundinnen dann doch in eine Zweierkiste verabschieden und man bliebe alleine zurück. Dabei sei Liebe ohnehin nur eine Illusion, die für einige Jahre vielleicht “die Angst vor dem Sterblichen und dem Tode” zu bannen vermöge. Es ist kein Geheimnis, dass Liebe tatsächlich sehr viel der Kraft unserer Fantasten bedarf. “Erst unsere Vorstellungskraft schenkt uns die Magie der Hingabe“, zitiert Schreiber Lauren Berlants “Desire/Love“. In der Einsamkeit lässt sich die Nähe zu Gott und zu seiner/m Nächsten. erfahren. Die Liebe kommt dann von ganz allein. Denn sie genügt sich selbst.
Ein beflügelndes, inspirierendes Essay, das nicht nur über die Pandemie, sondern noch so manchen anderen Schmerz hinwegtrösten kann. Das Buch zur Apokalypse.
Daniel Schreiber
Allein. Essay
2023, Broschur, 160 Seiten
ISBN: 978-3-518-47318-4
suhrkamp taschenbuch 5318
12,00 € (D), 12,40 € (A), 17,90 Fr. (CH)




Am 19. März 1998, vor 25 Jahren, fand in Deutschland die Premiere zu dem wohl besten Film der Coen Brüder statt. In der Hauptrolle der unvergleichliche Jeff Bridges, aber auch eine Menge anderer Stars in den Nebenrollen eines Plots, der irgendwie dem Big Sleep von Raymond Chandler nachempfunden ist und dann wieder doch nicht.
Freunden Walter und Donny bowlen geht und hin und wieder einen durchzieht. Am liebsten in seiner Badewanne – wie in Amerika üblich – mit der Pinzette in der Hand. Doch eines Tages bekommt er genau dort Besuch von einem Frettchen.
Die Besitzer des lieben buschigen Schwanztieres halten ihn für einen gewissen Jeffrey Lebowski (The Big Lebowski), der mit seinem Butler Brandt (Philip Seymour Hoffman) stark an Mr. Burns und Waylon Smithers Junior der Cartoonserie The Simpsons erinnern, so überzeichnet sind die beiden Charaktere. Aber die Nihilistenbande (in einer Nebenrolle: Flea von den RHCP), die His Dudeness, unseren Lebowski, bedrohen sind einfach zu dumm, zu begreifen, dass er unmöglich der Vater der vermeintlich entführten Frau von The Big Lebowski, Bunny (Tara Reid), sein kann und ziehen wieder ab, nachdem sie auf seinen Teppich gepisst haben. Für alle die es bisher nicht glauben konnten: “The Big Lebowski” ist nämlich nicht nach Jeffrey “Dude” Lebowski benannt, sondern nach Jeffrey Lebowski, dem Millionär. Ersterer hat aber nicht nur eine junge Frau, Bunny, die vermeintlich Entführte, sondern auch eine Tochter, Maude (Julianne Moore), eine Walküre, die im Leben des zweiteren noch eine Rolle spielen wird.
Seit 25 Jahren also treffen sich die Dudeists der ganzen Welt auf gewissen Look-A-Like Parties, hören den fabelhafte und einzigartigen Soundtrack des Films (keine Eagles!) oder huldigen sogar eine Religion, die sich 2005 als Church of the Latter-Day Dude gegründet hat. John Turturro, der als Jesus Quintana eine der stilprägendsten Szenen im Film bekam, dreht 2019 sogar ein Remake mit dem Titel The Jesus Rolls. In der Titelrolle natürlich John Turturro selbst. Auch der Trip auf den der Pornofilmproduzent Jackie Treehorn den Dude schickt hat, natürlich eine Reihe von Nachahmern gefunden. Außerdem gab es immer wieder Gerüchte, dass eine Fortsetzung von The Big Lebowski von den Coen-Brüdern gedreht werden würde, denn der Film hatte anfangs zwar nur das Doppelte seiner Produktionskosten eingespielt, sich aber über die Jahre zu einem echten Kultfilm entwickelt und das wirft natürlich jedes Jahr auch wieder Tantiemen an Merch ab.







Lebensschicksalen normaler Menschen in Briefen und Selbstzeugnissen, wie die Wege des Wiederholungszwangs verlassen werden können und was getan werden kann, um die innere Freiheit wiederzuerlangen. “Was meine Seele nicht wissen wollte, hat sich mein Körper gut gemerkt“, scheint der rote Faden zu sein, den Alice Millers “Geschichten” in diesem Band verbindet. In ihrer Zusammenfassung am Ende ihrer Ausführungen bringt sie nochmals ihre wichtigsten Thesen auf den Punkt. So erzählt sie etwa von der Feeling-Sekte und erklärt wie Führungsstrukturen mit Gurus funktionieren und wie man Menschen dank der Regression beherrschen kann. Genau wie ein Führer bietet sich auch der Guru als väterliche Rettungsfigur an, der die Frustrationen der Kindheit wieder gut machen könne. Miller erklärt es auch mit Hilfe des sog. Wiederholungszwangs: Unbewusste Erinnerungen würden Menschen dazu treiben, “die verdrängten Szenen immer wieder aufs neue zu reproduzieren, um sich so von Ängsten zu befreien, welche die frühen Misshandlung zurückgelassen haben“. Der Betreffende schaffe mit Vorliebe immer wieder solche Situationen, in denen er den aktiven Teil übernehme, “um der Ohnmacht des Kindes Herr zu werden und den unbewussten Ängsten zu entfliehen“.
The Shining. Der Roman von Stephen King, der 1977 erstmals in den USA erschien, habe in Bret Easton Ellis den Wunsch geweckt, Schriftsteller zu werden, wie er in seinem neuen Roman, “The Shards“, der 1981 spielt, freimütig bekennt. Seine Beschreibung seines ersten Shining-Kinobesuchs liest sich so spannend, wie das Meisterwerk von Stanley Kubrick schon im Auftakt ist. “Nie zuvor hatte ein Film mit so wenig Blutvergießen einen derartigen Gruselfaktor“, wissen die Herausgeber.
selbst, dem Hausverwalter und ehemaligen Lehrer Jack Torrance (Jack Nicholson) ab. Auch er möchte nämlich gerne Schriftsteller werden, aber den einzigen Satz, den er auf seiner deutschen Adler-Schreibmaschine zustande bringt lautet: “All work and no play makes Jack a dull boy“. In der deutschen Version wiederum „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“, was man ohne weiteres als nicht ganz so treffend bezeichnen könnte. Kubrick habe den Satz eigenhändig mehrmals auf mehrere Seiten Papier geschrieben, erzählen damals einige Insider. Der Film kommt zwar ohne Blutvergießen aus, aber natürlich nicht ohne Blut, wie eine der eindringlichsten Szenen erinnert: der Blutaufzug.
Die vorliegende exklusive XXL Publikation des TASCHEN Verlages eröffnet ungeahnt tiefgründige Einblicke in den Entstehungsprozess eines filmischen Meisterwerks, das Kubrick selbst allerdings gehasst haben soll. Das und noch viel mehr erfährt man aus Hunderten von Stunden an exklusiven Interviews mit den Darstellern und der Crew, aus denen für diesen Band die spannendsten Passagen ausgewählt wurden. Manche werden den Kultklassiker von 1980 nun in einem völlig neuem Licht sehen, etwa wenn man die Details über die mysteriösen Feuer, die während der Dreharbeiten in den Elstree Studios ausbrachen, erfährt oder mehr über die Technik des berüchtigten „Blutaufzugs“ erfährt. Kubricks bahnbrechender Einsatz der Steadicam machte ebenso Schule wie die endlosen Drehbuchänderungen und die unzähligen Takes, die der Perfektionist Kubrick seiner Crew abverlangte. Auch heutige Schauspieler:innen könnten ein Lied davon singen.
130 Jahre Maria Lazar. 2025 wird der 130. Geburtstag von Maria Lazar (1895-1948) gefeiert. Die österreichische Journalistin, Schriftstellerin und Übersetzerin zahlreicher Romane erlebt dieser Tage aber schon eine Renaissance. Der Wiener Verlag “Das vergessene Buch” veröffentlicht erstmals den bislang nur in einer gekürzten englischen Exilausgabe erschienenen Roman “Leben verboten!” und das Wiener Akademietheater hat eine Bühnenfassung ihres Romans “
kennt. Der Berliner Bankier Ufermann, der ungeliebte zweite Sohn, ist auch in seiner Firma nur der zweite und wird von seinem Kompagnon ausgebootet. Als Ufermann sein Flugzeug versäumt und dieses sodann abstürzt halten ihn alle für tot und seine Frau kassiert einen Millionenbetrag seiner Lebensversicherung. Anfangs ist sich Ufermann unschlüssig, ob er das Missverständnis überhaupt aufdecken soll und übernimmt einen halbseidenen, wohl illegalen Auftrag zur Übermittlung eines Umschlags von Berlin nach Wien. In Wien angekommen verliebt sich die Tochter seiner Zimmerherrin in ihn und er baut sich Stück für Stück eine zweite Identität auf. Das für die Zwischenkriegszeit so typische transitorische Identitätskonstrukt, das schon von anderen Autoren so trefflich beschrieben wurde, kann auch als Parabel auf die politischen Krisen der frühen 30er Jahre in Österreich verstanden werden.
In einem geschickt arrangierten Verwirrspiel thematisiert Maria Lazar in “Leben verboten!” den zunehmenden Hass auf Andersartige oder Fremde und die nationale Verhetzung der Zwischenkriegszeit, die ihr Ventil in einem schamlos ausgelebten Antisemitismus fand, sich aber durchwegs gegen alle richtete, die nicht stramm alpenländisch oder patriotisch waren. Aus dem Hochmut gegenüber Bettlern und Arbeitslosen wird schnell ein Hass auf Ausgesteuerte und Kriegsinvalide oder andere Verlierer des großen “Vaterländischen Krieges”. Österreichertum wird nunmehr klerikal, katholisch und kulturell und nicht mehr kosmopolitisch (also: über das Nationale hinausgehend) definiert.


Der Essay „The World’s Greatest Comic Magazine!“ stammt von Comic-Autor Marc Waid (Superman, Batman, Archie und die Fantastic Four). Originale Werbeseiten und Leserbriefe der Fantastic Four Fan Page ergänzen diese unglaubliche Publikation, die mindestens so “fun-tastisch” ist wie ihr Inhalt. Comicfans aller Galaxien vereinigen sich zu einem großen Dankeschön an den TASCHEN-Verlag, der der 9. Kunst (den “Comics”) einen so ehrenvollen Platz in solchen XXL Prachtausgaben einräumt.




scheint wirklich zu viel verlangt zu sein, darüber hinaus noch eine Perspektive zu entwerfen. Schließlich wird das Feld der politischen Spannung, der hegemoniale Diskurs, längst von den Rechten bestimmt, und das nicht erst seit der Pandemie.


Dass Wien auch 2023 zu den ersten Reisezielen bundesdeutscher Besucher:innen zählt, beweist auch die Zweitauflage dieses Reiseführers, der in einer neuen Reihe des Michael Müller Verlages erscheint: “Abenteuer”.