130 Jahre Maria Lazar

130 Jahre Maria Lazar. 2025 wird der 130. Geburtstag von Maria Lazar (1895-1948) gefeiert. Die österreichische Journalistin, Schriftstellerin und Übersetzerin zahlreicher Romane erlebt dieser Tage aber schon eine Renaissance. Der Wiener Verlag “Das vergessene Buch” veröffentlicht erstmals den bislang nur in einer gekürzten englischen Exilausgabe erschienenen Roman “Leben verboten!” und das Wiener Akademietheater hat eine Bühnenfassung ihres Romans “Die Eingeborenen von Maria Blut in seinem Programm.

130 Jahre Maria Lazar: Vom Familienroman zum Politikum

Die Ausgabe “Leben verboten!” Stellt sogar die zum ersten Mal veröffentlichte deutsche Erstausgabe des Romans in der Originalfassung von 1932 dar. Das mag verwundern, verkehrte Maria Lazar doch durchwegs mit der Prominenz ihrer Tage, darunter Elias Canetti, Hermann Broch, Ernst Fischer u.a. Sie war außerdem mit Friedrich Strindberg verheiratet und wurde von Oskar Kokoschka in dem Gemälde “Dame mit Papagei” (1916) verewigt. Sie kannte Helene Weigel und legte sich auch mit deren Mann, Bert Brecht (siehe Peter Weiss’ “Ästhetik des Widerstands”), an. Ihre Schwester Auguste war eine bedeutende Kinder- und Jugendbuchautorin. Mit 1920 verfasste Maria Lazar ihren ersten 150-seitigen Roman, der 2020 ebenfalls beim Wiener Verlag “Das vergessene Buch” mit einem Nachwort des Wiener Universitätsprofessors Johann Sonnleitner erschienen ist. Dieser bezeichnet “Die Vergiftung” als Zeugnis einer untragbaren Familiensituation aus der Sicht des zwanzigjährigen Mädchens Ruth, das nicht unbedingt autobiographisch gelesen werden müsse. Die Autorin – zur Zeit des Schreibens ihres Romanerstlings selbst erst fünfundzwanzig – habe sich mit ihrer Mutter nämlich durchaus gut verstanden, ganz anders als die Protagonistin Ruth. Diese hat einen älteren Bruder Richard und eine Schwester Martha, die das Leben in dieser Familie, das als Kerker erfahren wird, unterschiedlich meistern.

Gutbürgerliche Familie und Doppelmoral

Aber auch die Mutter selbst ist trotz der gutbürgerlichen Fassade nicht ganz ohne Makel, pflegt sie doch ein Verhältnis mit einem Liebhaber. Das Familienleben ist geprägt von Statusdenken, Standesdünkel und -allüren sowie einer alles beherrschenden Doppelmoral. Zudem unterdrückt auch Martha, die als Lehrerin arbeitet, ihre artistische Ader zugunsten einer finanziellen Verbindung mit einem ungeliebten Mann – ein Schicksal das auch ihre Mutter hatte und nun ebenso Ruth droht. “Alle Mitglieder der Familie leiden an einem selbstverschuldeten Unglück, indem sie allesamt ihr eigentliches Leben verfehlen, das dem gesellschaftlichen Prestige und Status opfern”, schreibt Sonnleitner in seinem lesenswerten Nachwort, das auch die Biographie und anderen Werke Lazars zum Inhalt hat.

Vom Kosmopolitismus zum Nationalismus

Anders als das sehr expressionistisch geprägte Debüt Lazars wird in “Leben verboten!” ein vollständiger abenteuerlicher Plot angeboten, wie man ihn schon aus “Die Eingeborenen von Maria Blut” (1932) kennt. Der Berliner Bankier Ufermann, der ungeliebte zweite Sohn, ist auch in seiner Firma nur der zweite und wird von seinem Kompagnon ausgebootet. Als Ufermann sein Flugzeug versäumt und dieses sodann abstürzt halten ihn alle für tot und seine Frau kassiert einen Millionenbetrag seiner Lebensversicherung. Anfangs ist sich Ufermann unschlüssig, ob er das Missverständnis überhaupt aufdecken soll und übernimmt einen halbseidenen, wohl illegalen Auftrag zur Übermittlung eines Umschlags von Berlin nach Wien. In Wien angekommen verliebt sich die Tochter seiner Zimmerherrin in ihn und er baut sich Stück für Stück eine zweite Identität auf. Das für die Zwischenkriegszeit so typische transitorische Identitätskonstrukt, das schon von anderen Autoren so trefflich beschrieben wurde, kann auch als Parabel auf die politischen Krisen der frühen 30er Jahre in Österreich verstanden werden.

Seismographische Analyse der Zwischenkriegsgesellschaft in Österreich

Der Vielvölkerstaat, der nach dem Ersten Weltkrieg in mehrere Nationen zerfiel, hinterließ bestenfalls Identitätshybride, denn so einfach ließ sich die Seele eines Mitteleuropäers nicht auf seine nationale Identität reduzieren. An dieser Stelle sei auch auf das berühmte Robert Musil Zitat über die neun (!) Identitäten eines “Österreichers” verwiesen. In einem geschickt arrangierten Verwirrspiel thematisiert Maria Lazar in “Leben verboten!” den zunehmenden Hass auf Andersartige oder Fremde und die nationale Verhetzung der Zwischenkriegszeit, die ihr Ventil in einem schamlos ausgelebten Antisemitismus fand, sich aber durchwegs gegen alle richtete, die nicht stramm alpenländisch oder patriotisch waren. Aus dem Hochmut gegenüber Bettlern und Arbeitslosen wird schnell ein Hass auf Ausgesteuerte und Kriegsinvalide oder andere Verlierer des großen “Vaterländischen Krieges”. Österreichertum wird nunmehr klerikal, katholisch und kulturell und nicht mehr kosmopolitisch (also: über das Nationale hinausgehend) definiert.

Empfehlung einer Vergessenen

Maria Lazars Romane registrierten seismographisch genau jene Veränderungen in der österreichischen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit, die das Land alsbald zu einem willfährigen und willkommen “ersten Opfer” Hitlerdeutschlands machten. Aber als die deutsche Wehrmacht das Land überfiel, befand sich bereits die gesamte gesellschaftliche und kulturelle Opposition im Anhaltelager. Eine Wiederentdeckung der Autorin und ihrer Werke wird dringend empfohlen.

Verlag das vergessene buch

Akademietheater Die Eingeborenen von Maria Blut

 

Die Eingeborenen von Maria Blut

Die Eingeborenen von Maria Blut – Maria Lazar

“Die Eingeborenen wollen ihren Messias haben”, meint Meyer-Löw, prophetisch in Maria Lazars 1935 fertiggestellten Roman, der erst 1958 veröffentlicht wurde. Maria Lazar ist heute noch eine gänzlich Unbekannte in der österreichischen oder deutschsprachigen Literaturgeschichte und das obwohl sie nicht nur Oskar Kokoschka (“Dame mit Papagei“) porträtiert hatte, sondern sie sogar in Peter Weiss’ “Ästhetik des Widerstands” einem gewissen Bertolt Brecht die Stirn bietet. Ganz zu schweigen von ihrem eigenen Werk, das neben zwei Werken zum Herandäuen des Klerikalfaschismus und Nazismus in Österreich aus den Dreißigern, sich sogar bis Anfang der Zwanziger zurückverfolgen lässt und neben Prosa und Lyrik auch Theaterstücke umfasste.

Österreich zwischen Faschismus und Nazismus

In “Die Eingeborenen von Maria Blut” nimmt Maria Lazar, die Entwicklung, die ihr Heimatland Österreich in den Dreißigern nehmen wird, schon vorweg. Der Titel ist gut gewählt, verknüpft er doch die vermeintliche Landidylle eines provinziell geprägten Landes mit dem Katholizismus. Dass sich Marienkult und Geschäft schon immer gut verbinden ließen und für so manchen Wallfahrtsort, wo diverse Wunder geschehen, die Kasse (oder den Opferstock) klingelt, dürfte seit der österreichischen Satire “Braunschlag” kein Geheimnis mehr sein. Maria Blut wird im Roman sogar dreimal als “österreichisches Lourdes” bezeichnet, wo nicht nur Wunder geschehen, sondern damit auch einiges verdient wird. Auch ein Wunderheiler beteiligt sich am Schröpfen der Ahnungslosen von Maria Blut und trägt so zur Wundergläubigkeit der Bevölkerung bei. Aber natürlich gibt es auch in Maria Blut Ungläubige und Verräter, so zum Beispiel der Sozialdemokrat Lohmann, der Arzt des Dorfes, oder der bereits eingangs erwähnter Meyer-Löw, der Jurist des Dorfes.

Die Eingeborenen von Maria Blut

Beiden wird von den Eingeborenen allerhand angedichtet und nachgesagt, aber nichts davon ist wahr. Aber Gerüchte und Tratsch halten die Dorfgemeinschaft der Eingeborenen eben zusammen und schaffen Identität nach außen. Auch die Wipplingers oder die Marischka, Haushälterin und Köchin, gehören zum sympathischen Teil der Dorfbevölkerung, während der Rest entweder klerikal oder nazistisch geprägt ist. Die Prädispositionen der katholischen Provinz für den Faschismus werden in Maria Lazars Roman schonungslos und authentisch dargestellt und gipfeln in dem allgemein verbreiteten Hass auf das Rote Wien, das all das verkörperte, was wohl die Bibel als “Sodom und Gomorrha” bezeichnete. Maria Lazar antizipierte in ihrem Roman nichts weniger als den herannahenden Untergang der zivilisierten Welt oder wie es Meyer-Löw ausdrückt: “Es kommen grausame Jahre”.

Nationalsozialismus Made in Austria

Für all jene, die heute immer noch behaupten, man hätte nichts gewusst oder nichts wissen können, sei “Die Eingeborenen von Maria Blut” ins Stammbuch geschrieben, denn es legt bitteres Zeugnis darüber ab, dass der Nazismus kein preußisch-junkerisches Phänomen war oder gar auf Bismarck oder Friedrich den Großen zurückgeführt werden könne, sondern original “Made in Austria”. Der Antisemitismus und Slawenhass entstand nämlich in Böhmen und wurde von einem “böhmischen Gefreiten” zur Ideologie eines rassistischen Herrschaftssystems, das selbst die größten Despotien der Gegenwart und Vergangenheit im Ausmaß seiner Grausamkeit noch heute in den Schatten stellt stilisiert. Abschließend kann ich nur beipflichten, was Birgt Nielsen mit folgenden Worten ausdrückt: “Die zwei Romane über Österreich (Leben verboten! und Maria Blut, JW) verdienen es, dass sie heute im Zusammenhang mit den Reflexionen über die Vergangenheit in Österreich neu aufgelegt werden.”

Neuauflage des Gesamtwerks

Dies hat der Wiener DVB (“das vergessene buch”) Verlag dankenswerterweise in besonders schönen gebundenen Ausgaben 2020 gewagt und somit ist es auch ihm zu verdanken, dass 2022/23 vorliegender Roman von Maria Lazar am Wiener Akademietheater in einer Adaptation als Bühnenfassung von Lucia Bihler und Alexander Kerlin als Theaterstück gespielt wird. Diese Inszenierung wurde auch zum Berliner Theatertreffen 2023 eingeladen. Maria Lazars Gesamtwerk umfasst acht Romane, drei Dramen, eine Zitatensammlung, Gedichte, einige Essays und viele Artikel aus der Zeit als Publizistin und Journalistin für Der Tag, Das Wort u.a. Näheres zur Biographie erfährt man in dem lesenswerten Nachwort von Prof. Johann Sonnleitner zu Leben und Werk der wiederentdeckten Autorin.

Maria Lazar
Die Eingeborenen von Maria Blut
2., durchgesehene Auflage.
Mit einem umfangreichen Nachwort von Johann Sonnleitner
2020, hochwertiges Hardcover mit SU, Prägung und Lesebändchen, 313 Seiten
ISBN 978-3-903244-06-1
DVB (“das vergessene buch”) Verlag
24 Euro


Genre: Faschismus, Nationalsozialismus, Österreich, Roman
Illustrated by DVB Verlag

Marvel Comics Library. Fantastic Four.

Fantastic Four in XXL

Fantastic Four. Reed Richards, sein bester Freund Ben Grimm, seine Freundin Sue Storm sowie ihr kleiner Bruder Johnny Storm: eine echte “family affair“. Die Rede ist natürlich von den Fantastischen Vier oder auch Fantastic Four, “F4”. Seit 1961 begeistert die wohl “fun”-tastischste Familie des Marvel Universe Leserinnen und Leser rund um den Globus und in fernen
Galaxien und läutete damals sogar das “Silver Age” des Comics ein.

Achtung: Kosmische Strahlung!

Vorliegender Band im XXL-Format enthält Reproduktionen von makellosen Originalausgaben der ersten 20 Hefte, die in enger Zusammenarbeit mit Marvel und der Certified Guaranty Company (CGC) geöffnet und neu abfotografiert wurden. Darüberhinaus umfasst dieser Band einen ausführlichen Essay des bekannten Marvel-Autors Mark Waid, ein Vorwort des ehemaligen NASA-Astronauten Mike Massimino sowie Originalgrafiken, Fotografien und andere Raritäten. Darunter auch eine der ersten Geschichten der F4, in der die Richards und Grimm von den legendären kosmischen Strahlen getroffen werden, die sie nach einer Bruchlandung mit ihrer Rakete zu den Helden macht, als die man sie heute kennt.

Der “grimmige Mr. Grimm”

Stan Lee & Jack Kirby schufen damals ein Team aus Superhelden, das die Romantik-, Horror- und Kriegscomics wieder in den Hintergrund drängte und die “family values” wieder zurück an ihren angestammten Platz rückte. Im amerikanischen Original tragen die F4 übrigens die Namen Mr. Fantastic, Invisible Girl, The Thing und The Human Torch. Ob es sich bei ihrem “Unfall” um einen Fluch oder einen Segen handelt, stellen sie immer wieder erneut in Frage. Besonders “Das Ding”, Ben Grimm, hat es ja hart getroffen, kann er seine Verwandlung doch am wenigsten kaschieren oder gar rückverwandeln. Der “grimmige Mr. Grimm” ist deswegen besonders im deutschsprachigen Raum zur Kultlegende geworden.

Superhelden als family affair

Lee wollte damit „endlich einmal die Art von Story erzählen, die ich selbst gerne lesen würde“, so ein Originalzitat. Die Fantastic Four haben die Karrieren und Leben ihrer beiden Schöpfer sowie die gesamte Comic-Branche wohl für immer verändert, denn sie legten den Grundstein für das Superheld:innnen-Multiversum, das wir heute kennen. „Nach 20 Jahren in der Branche war Stan Lee 1960 bereit, das Schreiben von Comics aufzugeben. Doch seine Frau ermunterte ihn, es mit einem Comic zu versuchen, der ihm gefallen würde. Das Ergebnis war Fantastic Four.“, schrieb CNN über das Ersterscheinen der Fantastischen Vier.

Viele Extras und Zugaben

Der vorliegende Band der Serie bringt nicht nur die ersten 20 Abenteuer der Fantastic Four und präsentiert auf den ersten 11 Seiten Fantastic Four Comic-Motive in einem knalligen Rot-Weiß Druck, drei weitere Rot-Weiß-Drucke folgen dann noch am Ende des Bandes. Der Mitherausgeber und ehemalige US-Astronaut Mike Massimino hat das Vorwort verfasst und beschreibt darin u.a. seine Faszination vom Weltraum und welche Rolle die Fantastic Four dabei gespielt haben. Der Essay „The World’s Greatest Comic Magazine!“ stammt von Comic-Autor Marc Waid (Superman, Batman, Archie und die Fantastic Four). Originale Werbeseiten und Leserbriefe der Fantastic Four Fan Page ergänzen diese unglaubliche Publikation, die mindestens so “fun-tastisch” ist wie ihr Inhalt. Comicfans aller Galaxien vereinigen sich zu einem großen Dankeschön an den TASCHEN-Verlag, der der 9. Kunst (den “Comics”) einen so ehrenvollen Platz in solchen XXL Prachtausgaben einräumt.

Die Marvel Comics Bibliothek, Teil 3

Bald in TASCHEN shops in Berlin und Köln: 25-75% von 1.-4.2.2023

MARVEL COMICS LIBRARY ist eine exklusive, langfristige Zusammenarbeit zwischen TASCHEN Verlag und Marvel. Bisher erschienen schon seltene Comic-Klassiker-Ausgaben von Spider-Man, Avengers und Captain America in ihrer ursprünglichen Schönheit in einem extra-großem Format akribisch reproduziert. Die Marvel Comics Bibliothek bietet Sammlern rund um den Globus und in weiteren Galaxien des unendlichen Marvel Multiversums die einmalige Gelegenheit, die begehrtesten Comics der Welt in wahren Prachtausgaben zu erstehen. Zudem enthält jeder Band einen Essay eines Comic-Historikers sowie Hunderte von Fotos und Fundstücken, darunter seltene Original-Comiczeichnungen. In der Reihe sind bisher erschienenen: Spiderman. Vol. 1. 1962–1964, Avengers. Vol. 1. 1963–1965, Fantastic Four. Vol. 1. 1961–1963. Geplant ist ein eigener Band zu Captain America. Für alle Comics und Buchfans in Berlin hier ein Hinweis:

Mark Waid, Mike Massimino, Stan Lee, Jack Kirby
Marvel Comics Library. Fantastic Four.
Vol. 1. 1961–1963
Hardcover, 28 x 39,5 cm, 4,77 kg, 700 Seiten
€ 150 | CHF 150
ISBN 978-3-8365-8231-5 (Englisch)

Helden. Klassische Sagen der Antike

Stephen Fry Helden

Oh Ikarus, Ikarus, mein geliebter Junge. Warum hast du nicht auf mich gehört? Warum musstest du so nah an der Sonne fliegen?“, klagt der Erfinder Daidolos seinen Sohn und sein Schicksal. Viele Väter dürften dieses Lamento schon gehegt haben, denn zumeist ist der Jugend kein Rat der Alten teuer. Dabei könnte man so viel von ihnen lernen!

Götter: personifizierte  Gefühle, Ideen, Impulse

Stephen Fry, der britische Schriftsteller, Schauspieler, Moderator, Kolumnist und Regisseur, legt mit “Helden” die Fortsetzung seiner klassischen Sagen der Antike vor, sie gehört ebenso wie “Mythos” und “Troja” zur Trilogie des fleißigen Mythologen. Wie im Vorgängerwerk habe er darauf geachtet, “die Geschichten ohne Erklärungen oder Deutungen zu erzählen”, wie er im Nachwort schreibt. Denn gerade die Produkte des “kollektiven Unbewussten” bedürften keiner solcher. Schließlich habe der Euhemerismus, die rationalistische Deutung von Mythen, längst bewiesen, dass etwa Troja oder Mykene wirklich existierten. Aber auch die Götter selbst existieren, denn es ist letztendlich egal ob wir die beschriebenen Regungen als “Gott, Impuls oder fixe Idee” bezeichnen, die Griechen seien einfach schlauer gewesen: “Sie zu personifizieren ist ziemlich schlau – vielleicht nicht ausreichend um mit ihnen klarzukommen, aber doch gut genug, um den unkontrollierbaren und unergründlichen Kräften, die uns im Griff haben, Form, Dimension und Charakter zu geben.

Helden ohne Furcht und Tadel

Wenn also Ikaros vom Himmel fällt, weil er mit seinen mit Wachs geklebten Flügeln zu nahe nahe an die Sonne geraten ist, beschreibt dies treffend ein Bild und vermittelt der unter ihm ihn beobachtenden Schiffsmannschaft von Theseus zugleich Trost und Verheißung. Daidolos war es nämlich, der Theseus half, den Minotaurus zu besiegen worauf er von König Minos eingesperrt wurde. Aber dank seines Erfindungsreichtums konnten er und sein Sohn fliehen. Ariadne hingegen bleibt alleine auf Naxos zurück, ein Schicksal da an anderer Stelle weitererzählt werden sollte. Aber was soll man sagen? “Theseus interessierte sich nicht für die Vergangenheit, nur für die Zukunft. Das ist eines der Merkmale von Helden, das sie anziehend und abstoßend zugleich macht.

Die vorliegende Ausgabe ist mit Gemälden aus der Kunstgeschichte illustriert und hat im Anhang zudem ein Register mit Helden und solchen, die es gerne geworden wären. Weitere Geschichten in diesem Band drehen sich um Jason und die Argonauten, den smarten Ödipus und die Sphinx, Perseus und die Perser, Herakles und seine 10-12 Aufgaben, Bellerophon, der mit Hilfe des fliegenden Pferdes Pegasos die Chimäre tötete, Orpheus, der nicht nur singen konnte und Atalante, die sich nur von dem entjungfern ließe, der sie im Wettkampf besiegte.

Stephen Fry
Helden. Die klassischen Sagen der Antike neu erzählt
Übersetzer: Matthias Frings
Gehört zu Die Mythos-Trilogie Bandnummer 2
2020, Paperback, 461 Seiten
ISBN 978-3-351-03481-8
Aufbau Verlag
26,00 €

 


Genre: Geschichte, Heldensagen, Legenden, Mythen, Sagen
Illustrated by Aufbau Berlin

Unordnung im Himmel

“Der Große Vorsitzende” Slavoj Žižek

Unordnung im Himmel. Die Unordnung, die Slavoj Žižek in seinem neuen Buch meint, geht auf ein Zitat des Großen Vorsitzenden Mao Tse-tung zurück. Denn Krise (Unordnung) bedeutet bekannterweise nicht nur Chaos, sondern auch Chance. Der vorliegende Band enthält kurze Aufsätze zu den Themen, die uns seit Ausbruch der Krise (Pandemie) in Atem halten. So analysiert Žižek – kurzatmig und kurzweilig wie immer – etwa die Tatsache, dass die USA ihre moralische Führung verloren haben, warum Assange immer noch nicht frei ist und weswegen wir heutzutage mehr radikale Veränderungen statt Mitgefühl brauchen. Trägt er deswegen eine Mao-Uniform auf der Illustration am Cover?

Unordnung im Himmel

Freundlichkeit und Mitgefühl können sich in der Regel nur diejenigen leisten, die oben stehen“, meint Žižek etwa, wenn es um Migration geht und verlangt ausgerechnet mit einem Oscar Wilde (!) Zitat, unseren altruistischen Tugenden, die genau die Erreichung ihrer eigenen Ziele verhindern würden, enndlich abzuschwören. Genau das ist es wohl auch, was er ein paar Zeilen weiter als “liberalen Opportunismus in seiner schlimmsten Form” bezeichnet: “Aus Angst, die Mitte zu verschrecken, sagt man sich von den linken ‘Extremisten’ los.” Aber gerade in Zeiten des Trumpismus hätte man schon mit der Verteidigung der liberalen Demokratie alle Hände voll zu tun und es scheint wirklich zu viel verlangt zu sein, darüber hinaus noch eine Perspektive zu entwerfen. Schließlich wird das Feld der politischen Spannung, der hegemoniale Diskurs, längst von den Rechten bestimmt, und das nicht erst seit der Pandemie.

Lageberichte aus dem irdischen Chaos

Der letzte, 35. Aufsatz, in vorliegendem Band trägt denn auch den provokanten Titel “Warum ich immer noch Kommunist bin” und wird wohl viele Leser:innen allein deswegen schon abschrecken. “Tout ce qui bouge n’est pas rouge“, zitiert Žižek Alain Badiou und tatsächlich dominiert die politische Rechte der Gegenwart den hegemonialen Diskurs indem sie sich einer langen Tradition überwiegend linker Volksproteste bedient, gibt Žižek zu bedenken. Warum also klammert sich Žižek immer noch an den “verfluchten Namen des Kommunismus“, wie er schreibt, wenn er doch wisse, dass das kommunistische Projekt des 20. Jahrhunderts längst fehlgeschlagen ist und dabei nur “neue Formen mörderischen Terrors” hervorgebracht habe? Da wir uns dem Ende in Form einer apokalyptischen Katastrophe nähern, sei es umso klarer sich zur Freiheit als erkannte Notwendigkeit zu bekennen: “Das Ende der Zeit wird als die Unmöglichkeit des Endes erlebt“. Für Žižek bleibt die letzte Wahl immer noch der Kommunismus.

Slavoj Žižek
Unordnung im Himmel.
Lageberichte aus dem irdischen Chaos.
Aus dem Engl. von Axel Walter
2022, Broschur, 288 S. 13,5 x 21,5 cm
ISBN 978-3-8062-4487-8
wbg Theiss, Darmstadt


Genre: Philosophie, Politik
Illustrated by wbg theiss

Helmut Newton. A Gun for Hire

Helmut Newton. A Gun for Hire

Helmut Newton. A Gun for Hire. “Auftragskiller” („A Gun for Hire“) nannte sich Helmut Newton selbstironisch und meinte damit seine Auftragsarbeiten, Werke der kommerziellen Fotografie. Er selbst unterschied weder kompositorisch noch stilistisch zwischen seiner Arbeit für Zeitschriften und den Aufträgen von Werbekunden. In einer überarbeiteten Neuausgabe des legendären Buches von June Newton erscheint die von der Helmut Newton Stiftung Herausgegebene TASCHEN Ausgabe im Format 23 x 30,5 cm mit 1,85 kg und 240 Seiten.

Helmut Newton. A Gun for Hire

Die fotografische Arbeit mancher Menschen ist Kunst. Meine nicht. Wenn meine Fotos zufällig in einer Galerie oder einem Museum ausgestellt werden, soll es mir recht sein. Aber das ist nicht der Grund, warum ich sie mache. Ich bin ein `Auftragskiller´.“, so das vollständige Zitat eines der bekanntesten Fotografen der Moderne in einem Interview Newsweek mit 2004. Aber ganz im Gegensatz zu seinem ironischen Bonmot “killte” er seine “shooting beauties” nicht, sondern verlängerte ihnen ihr Leben sogar bis in die Ewigkeit. Denn die Fotografien von Helmut Newton werden nicht nur von seiner Stiftung gehütet wie ein Schatz, sondern vielmehr noch von internationalen Sammlern gesucht. Ein Grund mehr, sich dieses Großformat des TASCHEN Verlages zuzulegen, denn so günstig kommt kein anderer Newton. Helmut Newton (1920–2004) war sicherlich einer der einflussreichsten Fotografen unserer Zeit. Seine Modelle standen nicht im Studio, sondern in Alltagssituationen, Innenräumen und auf der Straße. Seine Inszenierungen waren oft provokant, eine Mischung aus widersprüchlichen Szenarien, kühler Beleuchtung und bemerkenswerter Bildkomposition.

Brandploitation: Helmut Newtons Modefotografie

Auf 240 Seiten werden in “Helmut Newton. A Gun for Hire” eine Auswahl von Newtons Auftrags- und Modefotografien der frühen 1960er-Jahre bis 2003, u.a. für BiBA (erster Modekatalog 1962), Chanel, Yves Saint Laurent, Versace, Thierry Mugler, Blumarine, Villeroy & Boch und Absolut Vodka, sowie seine letzten Bilder für die amerikanische und italienische Vogue im Format 23 x 30,5 cm gezeigt. Eine Einleitung von Matthias Harder und Statements von June Newton, Pierre Bergé, Tom Ford, Josephine Hart und Anna Wintour ergänzen die großformatigen Abbildungen seiner Fotografien, die er selbst nie als Kunst bezeichnet hätte. Zeitgleich zur Veröffentlichung von “Helmut Newton. A Gun for Hire.” findet in der Helmut Newton Stiftung, Berlin die Ausstellung HELMUT NEWTON. BRANDS vom 3. Dezember 2022 bis 14. Mai 2023 statt. In der Ausstellung werden über 200 Fotografien Helmut Newtons, darunter viele unbekannte Motive aus seinen Kooperationen mit international renommierten Marken wie u.a. Swarovski, Saint Laurent, Wolford, Blumarine, Chanel, Absolut Vodka und Lavazza präsentiert. Der Commandeur dans l’Ordre des Arts et des Lettres ist also nach wie vor präsent und kommt auch mehr als bald 20 Jahre nach seinem Tod zu großen Ehren. Mehr als die meisten anderen Auftragskiller jedenfalls.

Helmut Newton, June Newton, Matthias Harder
Helmut Newton. A Gun for Hire
2022, Hardcover, 23 x 30,5 cm, 1,85 kg, 240 Seiten
ISBN 978-3-8228-4643-8
(Deutsch, Englisch, Französisch)
TASCHEN Verlag
€ 50 | CHF 50


Genre: Fotografie, Kunst, Mode
Illustrated by Taschen Köln

Wien – Abenteuer

Dass Wien auch 2023 zu den ersten Reisezielen bundesdeutscher Besucher:innen zählt, beweist auch die Zweitauflage dieses Reiseführers, der in einer neuen Reihe des Michael Müller Verlages erscheint: “Abenteuer”.

Wien – Morbidität und Walzer Charme

Tatsächlich ist Wien immer noch für viele Reisende deutscher Zunge ein Abenteuer, sogar ein großes. Denn das Idiom der Einheimischen gilt immer noch als unverständlich und erheitert nicht nur Ohren, sondern auch Bauchmuskeln der aus dem Norden und Westen anreisenden Besucher:innen. Judith Weibrecht, studierte Literaturwissenschaftlerin und Psychologin (auch das schadet für Wien nicht), hat sich sogar einem Sprachkurs unterzogen, um besser in den Wiener Untergrund einsteigen zu können. Das tut sie tatsächlich: im zweiten Kapitel steigt sie für eine Tour in die düsteren Keller Wiens, wo sich einst die Särge turmhoch stapelten, so erzählt sie. “Hochkant wurden die Sorge durch ein Loch geschmissen”, erst später wurde eine Treppe nach unten gebaut und so kann man heute den lieben Herrn Franz oder die Aschenbrödel-Mumie (das Skelett trägt nur einen Schuh) in würdigem Abstand bewundern. Wien und der Tod – das passte immer schon gut zusammen, der Tod, das muss ein Wiener sein, sang schon Georg Kreisler oder besser noch brachte es der Helmut Qualtinger auf den Punkt: “Das einzige Lob, das es in Wien gibt, ist der Neid. Die einzige Zufriedenheit, die es in Wien gibt, ist der Tod.” Zentralfriedhof und Dritter Mann leisten heute noch einen großen Beitrag zur sprichwörtlichen Wiener Morbidität, die nur durch die süßen Zuckerlpakete vom Memel wieder aufgehoben werden können. Denn beides gehört in Wien eng zusammen, das Kaffeehaus und die Gruft.

Abenteuer im Untergrund und am Wasser

Schließlich logierte schon Graham Greene für seine Recherchen zum “Dritten Mann” ausgerechnet im Hotel Sacher, Heimat der weltberühmten Sacher-Torte. Das wohl am strengsten gehütete Kuchengeheimnis der Welt wurde x-fach imitiert und doch nie erreicht, aber vielleicht schmeckt die fake Sacher in einer der von Weibrecht besuchten Mensen sogar besser als das Original? Eine ihrer insgesamt acht Stadtführungen nennt sich “Mensaschmaus und Kantinenessen. Eine durchaus schmackhafte Stadtführung”, auch das offensichtlich eine Besonderheit Wiens. Hier findet sich auch das goldene Wiener Herz noch, denn für so manche Kantinenkraft ist ihr Job auch eine Mission. Schließlich stehen die Unimensen auch Nicht-Student:innen zur Verfügung und so kommt man recht preiswert zu einem Menü. Oder man geht ins Franziskanerkloster. Diesen Tip bekommt die Städtereisende auf einer Tour, die von einem Obdachlosen geführt wird. Neue Perspektiven auf das imperiale Wien bekommt man inzwischen aber auch vom Wasser aus. Etwa am Schwedenplatz wo viele Boote anlegen und manche auch vor Anker liegen.

Weitere Abenteuer in Europas Städten

Die Reihe “Abenteuer” des Michael Müller Verlages ist jung und spritzig geschrieben und versucht neue Wege des Städtetourismus zu gehen. Ebenfalls in dieser Reihe erschienen ist auch Prag, Berlin, Hamburg, etc…insgesamt 16 Städte, die aus einer einmal anderen Perspektive gezeigt werden.

Judith Weibrecht
Wien – Abenteuer
2022, 240 Seiten, farbig, 33 Stadtabenteuer zum Selbsterleben, 2. Auflage 2023
MM-Abenteuer
ISBN 978-3-96685-187-9
Michael Müller Verlag
17,90 € (D)18,40 € (A)26,90 CHF

 


Illustrated by Michael Müller Verlag Erlangen

Batman – Child of Dreams

Ein Batman aus Japan Kia Asamiya

Batman – Child of Dreams. Autor und Zeichner Kia Asamiya hat gemeinsam mit Texter Max Allan Collins ein erstes großes Manga über den Dunklen Ritter in Szene gesetzt. Der japanische Comic-Star Kia Asamiya, der moderne Manga-Klassiker wie Silent Möbius und Dark Angel schuf und sogar Star Wars: Episode I als Manga adaptierte, zeigt hier, dass Batman längst auch in Japan angekommen ist. Zumeist allerdings in Form der Filme, wie Kia Asamiya im ebenfalls in diesem Band abgedruckten Interview zu bedenken gibt. Der Comic, der zunächst für den japanischen Markt entstand, wurde später adaptiert und vom erfahrenen Batman-Comic-Autor und Krimi-Romancier Max Allan Collins mit den Dialogen für die westliche Ausgabe ergänzt. Dass der Band von hinten nach vorne gelesen wird, so wie in der japanischen Originalversion, wurde als besonderer Gag beibehalten.

Batman in Japan – Child of Dreams

Die denkwürdige Interpretation des Dunklen Ritters zeigt, wie Batman in Tokio gegen den Joker, Catwoman und den Riddler antritt. Jedoch sind nicht alle das, was sie zu sein scheinen. Manga-Legende Kia Asamiya fängt in seiner Vision für DCs Mitternachtsdetektiv die Ästhetik einer anderen Kultur sowie den Spirit der japanischen Comic-Welt ein. Ein einmaliges Leseerlebnis, das neue Perspektiven ermöglicht und zeigt, dass der Rahmen einer Vorgabe jederzeit auch innovativ gesprengt werden kann. Wie Kia Asamiya in einem Interview anmerkt wurde er von den amerikanischen Comickünstlern wie Frank Miller, Mike Mignola und Todd McFarlane beeinflusst. Er sei auch ein großer Batman-Memorabilien-Sammler, denn auch wenn er Superman bewundere, er würde lieber Batman sein, im wirklichen Leben!

Fanatic oder Fake Fur?

In seiner Batman-Interpretation bringt er eine neue Figur mit ein, die er Yuuko Yagi nennt und auf einer Person basiert, die er wirklich kennt. Aber es ist ein falscher Joker, der die Droge “Fanatic” im grossen Stil in Gotham verteilt und auch ein falscher Batman treibt sein Unwesen. Eine andere Droge, “Fake Fur” sorgt dafür, dass die DNA zerfällt und oft trifft es dann die, die andern eine Grube gruben. “Batman – Child of Dreams” warnt vor zu großem Fanatismus, denn allzu schnell kann aus Bewunderung und Fan-tum eine gefährliche Obsession werden, die schließlich auch dem Objekt der Begierde gefährlich wird. Gut, dass es den echten Batman auch noch gibt.

Die Arbeit an “Batman – Child of Dreams” dauerte über ein Jahr und erschien erstmals in dem Magazine Z, einem mehr als 700 Seiten starken Manga des Verlagshauses Kodansha, das monatlich erscheint. Der Ausgabe vom Panini-Verlag ist ein Interview und ein Making-Of beigefügt, das Zeugnis gibt von einem der gefragtesten japanischen Comickünstler der Gegenwart.

Kia Asamiya
Batman – Child of Dreams
(Original Storys: Batman: Child of Dreams)
Charaktere: Batman, Catwoman, Joker, Riddler
2022, 340 Seiten, Hardcover, Maße ca. 18,5 x 26,5 cm
ISBN: 9783741627705
Panini Verlag
39,00 €


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

Black Panther Anthologie

Black Panther Anthologie Panini Verlag

Dem unaufhaltsamen Aufstieg des erstaunlichsten Superhelden Afrikas wird in vorliegender Anthologie Tribut gezollt.
Die besten Black Panther-Storys aus nahezu sechs Jahrzehnten sind in diesem Hardcover-Band versammelt, darunter mit Geschichten von Zeichnern wie Jack Kirby, John Byrne, Mark Texeira, Rich Buckler, Sal Buscema, u.a. sowie Autoren wie Chris Claremont, Chris Priest, Don McGregor, J. Torres, Jack Kirby, Jason Aaron, Reginald Hudlin, Roy Thomas, Stan Lee, Ta-Nehisi Coates.

Vom Coal Tiger zu Black Panther

1966, am Höhepunkt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, betrat T’Challa aus Wakanda erstmals die Bühne der Welt. Zuerst sollt er noch den Namen Coal Tiger tragen, um Verwechslungen mit den militanten schwarzen Black Panther, einer Bürgerrechtsorganisation, die ein Ende des Rassismus in den USA einforderte, zu verhindern. Es gab aber auch schon ein paar andere schwarze Helden, Vorläufer sozusagen, die aber immer nur Hilfsdienste für andere (weiße) Superhelden leisteten. Lothar etwa, der Koch von Mandrake, oder Ebony White, das Mündel von Will Eisners Spirit oder Captain Marvels Sidekick Steamboat. In den 50igern schuf Stan Lee schließlich den Bantu-Prinzen Waku. 1963 zog der Afroamerikaner Gabe Jones mit Marvels Sgt. Fury sogar gegen die Nazis in den Krieg. Das Eis brach aber eindeutig Black Panther, dem dann auch weitere schwarze Helden wie etwa Falcon, Luke Cage, Blade oder Storm folgten. Ins Kino schaffte es allerdings bisher nur Black Panther. Erstmals 2018 und dieses Jahr mit der Fortsetzung “Wakanda Forever”.

Wakanda für immer!

Stan Lee und Jack Kirby hatten Black Panther ins MCU eingeführt, eine Geschichte die die wahren Ursprünge des Helden aus Wakanda erzählt, wurde aber von Sal Buscema und Roy Thomas in einer Avengers Geschichte erstmals erzählt. Wir erfahren, was Wakanda unter allen Nationen der Welt so besonders macht und dass es seinen Reichtum einem Metall verdankt, das Schall schlucken kann. Aber auch einige interne Intrigen am Hofstaate Wakandas werden offengelegt, denn als der Widersacher Klaw den Vater T’Challas tötet, entsteht ein Machtvakuum, das nicht so schnell wieder gefüllt werden kann. In einer anderen Geschichte kämpft Black Panther gegen Killmonger und seinen Jaguar, “Panther’s Rage” heißt das Abenteuer von Stan Lee, das von Don McGregor 1973 umgesetzt wurde. Jack Kirby zeichnete und schrieb “Kind Solomon’s Frog”, in der ein gewisser Mr. Little dem Helden aus Wakanda assistiert. Storm und Black Panther treffen in “Cry Vengeance” aufeinander. Eine Übersicht über die Freunde und Feinde Wakandas sowie die Autoren des Panthers ergänzen den vorliegenden Sammelband, der einen guten Einstieg in eine Welt ermöglicht, die zwar nur am Papier besteht, seine Realisierung aber in Ihren Träumen findet!

Stan Lee
Black Panther Anthologie.
Wakandas grösster Held.
(Original Storys: A + X (2012) 3, Avengers (1963) 87, Black Panther (1977) 1, Black Panther (1998) 1, 57–58, Black Panther (2005) 18, 39–41, Black Panther (2016) 1, Fantastic Four (1961) 52–53, Jungle Action (1972) 6, Marvel Team-Up (1972) 100)
2022, Hardcover, 324 Seiten
ISBN: 9783741629198
Panini Verlag
35,00 €


Genre: Comic
Illustrated by Panini Comics

The Secret Teachings of All Ages

Das faszinierende Cover von The Secret Teachings of All Ages

The Secret Teachings of All Ages. Dem Stein der Weisen dürfte wohl niemand je so nahe gekommen sein, wie Manly Palmer Hall, der 1928 erstmals diesen Klassiker publizierte. Der gelernte Philosoph aus Kanada behandelt darin
antike Symbole, verborgene Rituale und arkane Praktiken.

Das Wissen der Alten

Eine Enzyklopädie der verborgenen Lehren und das Wissen der Alten in einer luxuriösen Ausstattung mit vielen Abbildungen und zudem 4 hochwertigen Drucken in einem Portfolio. Die Ausgabe erscheint in zwei Bänden im sog. Baby Sumo Format mit kunstledergebundenem Rücken und Goldfolienprägung. Halls Werk war zu seiner Zeit auch als “Das Großes Buch” bekannt, weil es beinahe das gesamte Wissen der damaligen Welt beinhaltete. Anschauliche Illustrationen des Künstlers J. Augustus Knapp und zusätzliche Abbildungen von Mihran Serailian, die im Begleitband zu finden sind, lassen eine okkulte Welt auch in bunten Farben erstehen und bieten den Leser:innen einen einzigartigen Zugang zu fast 60 Kunstwerken. Qabbala, Alchemie, Tarot, Ceremonial Magic, Neo-Platonische Philosophie, Mystery Religions, und auch die Theorie des Rosicrucianism und der Freemasonry werden in vorliegender Prachtausgabe ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt.

Faith, Honesty, and Common Sense

Die ursprüngliche Idee entstand schon 1923, als der junge Redner aus Los Angeles eine monatelange Reise um die Welt unternahm. Damals noch mit dem Schiff. Hall umrundete Ägypten, China und Indien und vertiefte sich in philosophische und religiöse Geschichten und Praktiken dieser Länder. Sieben Jahre soll er dann an seinem Werk gearbeitet haben, das nun als minutiös restaurierte Version von Halls “Großem Buch” beim TASCHEN Verlag, rund 100 Jahre nach seinem Entstehen, vorgelegt wird. 1934 gründete Hall die Philosophical Research Society (PRS), deren Präsident er bis zu seinem Tod war. Die Philosophical Research Society verfolgt weiterhin seine Mission, die Quellen für all diejenigen zu erforschen, die grundlegendes und praktisches Wissen für das 21. Jahrhundert suchen. Laut ihren Statuten ist die PRS auch heute noch “dedicated to the ensoulment of all arts, sciences, and crafts”. Halls Vermächtnis wird von der PRS mit folgenden Worten zusammengefasst: “With faith, honesty, and common sense we can build a better world than any we have known.

The Secret Teachings of All Ages

Das Begleitbuch ergänzt das Werk mit Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel der Secret Teachings sowie neu entdeckten Kunstwerken, seltenen Fotografien aus Halls Archiven und Essays von den Journalisten Mitch Horowitz und Jessica Hundley.

Manly Palmer Hall
The Secret Teachings of All Ages
Hardcover mit Ausklappseiten im Schuber,
33,5 x 47,5 cm, 356 Seiten, mit Begleitbuch, 23,8 x 32,2 cm, 256 Seiten, beide mit
kunstledergebundenem Rücken und Goldfolienprägung;
4 Drucke in einem Portfolio, je 33,5 x 47,5 cm, Gesamtgewicht 13 kg
ISBN 978-3-8365-8576-7 (Englisch)
TASCHEN Verlag
€ 500 | CHF 500


Genre: Antike, Bildband, Geschichte, Philosophie
Illustrated by Taschen Köln

Corto Maltese – Nacht in Berlin

Corto Maltese – Nacht in Berlin

Corto Maltese, der Sohn eines britischen Seemannes und einer Zigeunerin aus Sevilla (nein, nicht Carmén!), wurde von Hugo Pratt in das Comicuniversum eingeführt. Die Serie wird in vorliegendem Band des Schreiber & Leser Verlages wieder von Ruben Pellejero (Zeichnungen) und Juan Diaz Canales (Szenario) fortgeführt. Sie gestalteten insgesamt schon vier Bände, zuletzt “Tarowean“, ebenfalls bei Schreiber & Leser. Band 16, Nacht in Berlin, führt nun an einen gänzlich neuen Schauplatz. Berlin und Prag, zwei Städte Mitteleuropas in der besorgniserregenden Zwischenkriegszeit, bilden den Hintergrund dieses außergewöhnlichen Abenteuers.

Mitteleuropa im Würgegriff der Bestie

Seine hervorrstechendste Eigenschaft und gleichzeitig sein grösster Fehler ist zweifellos seine Wissbegier und genau die begleitet uns in dieses Abenteuer im alten Mitteleuropa, das von einer menschlichen Bestie heimgesucht wird: dem Nazismus. Ob diese neue politische Gruppe auch hinter dem Mord an Cortos altem Freund steckt? Prof. Jeremiah Steiner, Cortos alter Freund, wird nämlich in Berlin tot aufgefunden und natürlich will Corto herausfinden, wer die Urheber dieser Schandtat waren. Eine Geheimorganisation, die in die höchsten Kreise führt und sich “Consul” nennt, könnte dahinterstecken. Diese Org Consul ist auch in das Verschwinden der Rathenau-Papiere verwickelt, die ihre Machenschaften aufgedeckt hätten. Bei seinen “Ermittlungen” hilft ihm kein Geringerer als der österreichischen Schriftsteller Joseph Roth, der auch das Vorwort zu vorliegender Ausgabe geschrieben hat.

Comic und Geschichte

Natürlich nicht wirklich, denn Roth ist schon seit 1939 tot, aber Juan Diaz Canales hat sich ihn eben als Begleiter und Assistenten für Corto in diesem Abenteuer ausgedacht. Tatsächlich lebte Roth aber in den Jahren 1920-23 in Berlin und arbeitete als Journalist für diverse Zeitungen. Auch die sehr positiv dargestellte Rolle von Friedrich Ebert, mag so manchen Leser:in überraschen. Aber schließlich ist ein Comic ein Comic und kein Geschichtsbuch. Ersteres ist den beiden jedenfalls gelungen: sie haben einen lesenswerten Comic über eines der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte verfasst und zudem noch den Prager Golem zur Mitwirkung eingeladen.

Champagner-Melancholie in der Weimarer Republik

Dass Corto Maltese im Berliner Untergrund der Weimarer Republik in einem berüchtigten Nachtclub die “Champagner-Melancholie” bekannt ist nur eine von vielen Überraschungen mit denen die beiden Autoren aufwarten. Auch eine Badeszene mit Liese im Berliner Nikolassee bestreitet Corto als alter Seewolf ohne Badehose, aber natürlich ist die Szene dennoch jugendfrei. Viel skandalöser als sein nackter Popo ist schließlich das Heraufdäuen der nazistischen Bestie, genau in der Zeit als in Babelsberg, dem Berliner Hollywood, ein genialer Regisseur einen düsteren, prophetischen Film mit dem Titel “Bestia Triumphans” dreht Aber auch Corto Maltese arbeitet kurz beim Film und springt als Teufel für eine Szene des vermissten Adolf Kraft ein. Dieser Adolf steht ideologisch allerdings auf der entgegengesetzten Seite wie der andere, leider berühmtere Adolf, der sein Unwesen in jenen Tagen in Mitteleuropa dreht. “Traurig, dass Glück nur um den Preis der Unwissenheit zu haben ist“, prophezeit Corto ein alter, es gutmeinender Freund. Was nicht bedeutet, dass nicht auch intelligente Menschen glücklich sein könnten…

Juan Diaz Canales/Ruben Pellejero
Corto Maltese
Nacht in Berlin. Band 16 der Reihe
2022, gebunden, Farbe, 88 Seiten
ISBN: 978-3-96582-088-3
€ 24,80
Schreiber & Leser Verlag


Genre: Comic, Graphic Novel
Illustrated by Schreiber & Leser

Cinema Speculation

Cinema Speculation

Cinema Speculation. Kinospekulationen. Quentin Tarantino’s zweites Buch bei Kiepenheuer&Witsch dreht sich um wichtigsten amerikanischen Filme der 1970er Jahre, also das, was gemeinhin als New Hollywood bekannt wurde.

Hollywood Sozialisation in den 70igern

Im “Tiffany” fand der damalige Pimpf (Jahrgang 1963) Tarantino seine geistige Heimat. Denn seine Eltern nahmen ihn schon im Alter von sieben, acht Jahren mit ins Kino und so erlebte er nicht nur die Filme, sondern wie sich Erwachsene beim Betrachten von Filmen in einem dunklen Raum benehmen. Bei einer Vorstellung von “Black Gunn” mit seinem Stiefvater Reggie kam ihm auch sein erstes “S… my D…” über die Lippen. Er war gerade mal zehn Jahre alt und hatte die anderen Zuschauer nachgemacht. Das Tiffany zeigte damals vor allem “gegenkulturelle Filme von 1968 bis 1971“, schreibt Tarantino himself, “sie waren nicht alle gut, aber sie waren alle aufregend“. So etwa “Joe“, eine “rabenschwarze Komödie über das amerikanische Klassensystem” (O-Ton), in der ein Vater so erbost ist über die neue Generation, die Hippies, dass er aufs Versehen sogar seine eigene Tochter erschießt. Wenn der kleine Quentin zu viele Fragen stellte, musste er allerdings beim nächsten Mal zuhause bleiben, so war das mit seinen Eltern ausgemacht.

Film-Diskurse im Auto

Die Autofahrten nach Hause, nach dem Kinobesuch, gehören heute noch zu seinen schönsten Kindheitserinnerungen, weil seien Eltern dabei über die Filme, die sie eben gesehen hatten, diskutierten. So wurde er früh Teil der Erwachsenenwelt und bildete ein bestimmtes kinematographisches Filmgespür heraus, von dem wir heute alle profitieren. Denn sein immenses Film-Wissen setzt Quentin Tarantino, der wohl größte Regisseur der Gegenwart auch bei seinen eigenen Filmen ein. Damals schon hielten seine Klassenkameraden ihn für “mondän“, denn er hatte schon filme gesehen, von denen die anderen Gleichaltrigen nur träumen konnten.

Film-Rezensionen eines Regisseurs

Ob die Filme ihn denn nicht traumatisiert hätten? Seine Mutter antwortete darauf stets, dass sie sich eher Sorgen mache, wenn er die Nachrichten schaue. “Ein Film wird dir nicht wehtun.” Am ehesten hätte ihn der Film “Bambi traumatisierte, schießt Quarantino ironiefrei nach. “Black Gunn” mit Jim Brown wurde schließlich zur Initialzündung für Tarantino. In dem Kino in der Größe des Metropolitan Opera House waren 850 Schwarze und er, 800 davon männlich. “Und ehrlich gesagt war ich danach nicht mehr derselbe.” Die “maskulinste Erfahrung” seines Lebens wurde leider vom Abschied seines Stiefvaters Reggie begleitet, der nach diesem Abend nicht mehr bei seiner Mutter aufgetaucht war. Der Erzähler Tarantino setzt seinen Reigen dann mit ausführlichen Rezensionen seiner Lieblingsfilme fort, die mit so viel Detailinformationen aufwarten, dass man es am besten selbst liest.

New Hollywood and beyond

Der Reigen beginnt mit einer Hymne auf Steve McQueen in “Bullit” (1968), Dirty Harry (1971), Deliverance (1972), The Getaway (1972), The Outfit (1973), Rolling Thunder (1977), Paradise Alley (1978), Escape from Alcatraz (1979), Hardcore (1979), The Funhouse (dt. Das Kabinett des Schreckens, 1981), Sisters (dt. Die Schwestern des Bösen, 1972), Taxi Driver (1976) und eine seiner für dieses Buch titelgebenden Kinospekulationen (“Cinema Speculation”) ist ein Kapitel, in dem er sich dem Funfact widmet, was denn aus Taxi Driver geworden, wenn er tatsächlich Brian de Palma gedreht worden wäre. (Das Drehbuch ging von ihm an Martin Scorsese).

Die Floyd-Fußnote

Weiters ein Kapitel an den “Samurai der zweiten Garde, eine Hommage an Kevin Thomas, das New Hollywood in den Siebzigern, sowie als letztes Kapitel seine “Floyd-Fussnote”. Floyd Ray Wilson war ein Freund der Mitbewohnerin seiner Mutter mit dem Quentin oft über Action- und Blaxploitation-Filme redete. Hier erfahren wir auch sehr viele persönliche Dinge über Quentin Tarantino und auch wem er den großen Erfolg von Django Unchained sowie viel andere seiner größten Erfolge (indirekt) verdankt. Ein freimütiges Bekenntnis, das lesenswert und unterhaltsam auch als weiterführende Lektüre für künftige Drehbuchautoren und Cineasten empfohlen werden kann.

Quentin Tarantino
Cinema Speculation
Übersetzt von: Stephan Kleiner
2022, Hardcover, 400 Seiten
ISBN: 978-3-462-00429-8
Kiepenheuer&Witsch


Genre: Biographie, Film, Hollywood, Kino
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Irland. Eine literarische Einladung

Irland. Eine literarische Einladung

Irland. Eine literarische Einladung. Im keltischen Kalender bezeichnet der Vollmond im November die Geburt eines neuen Jahres und symbolisiert einen Endpunkt, den Tod des alten Jahres. In der heidnischen Tradition ist er unter dem Namen “Klagemond” bekannt. In vielen Kulturen wird dieser Vollmond mit Tod und Verlust assoziiert, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Manche nennen ihn “Schneemond” oder “Nebelmond” und heute, da ich in einem Seenebel fröstele, der die Sonne verbirgt, kann ich beides nachvollziehen.”, schreibt Kerri Ní Dochartaigh in ihrem Beitrag, “Dünne Orte”, zu vorliegender Anthologie. Die Tage von Samhain, bei uns auch als Halloween bekannt, lüften die Schleier zwischen den Welten, der Mond ist der letzte vor der sog. Wintersonnenwende. Der Schilfmond wurde auch nach den Schilfgräsern, den Wächtern, benannt, die botanische Zeichen für Samhain sind. Ihre “dünnen Orte” erlauben uns, innezuhalten im Fluss der Zeit. So wie wir am Tag der Toten, Allerseelen, innehalten, um unseren Vorfahren zu gedenken und sie zu ehren.

Irland im Ausverkauf

Kevin Barry eröffnet in vorliegender von Paul McVeigh zusammengestellten Anthologie den Reigen irischer Literatur. In Ox Mountains Todeslied, das im Stile einer amerikanischen Pulp-Short Story verfasst ist, sind die Männer noch aus Hartholz geschnitzt und leiden unter den Frauen.”Ein Canavan kannte auch den größten Trost, der einem Mann zuteil werden kann – dass man ein Mädchen zum Lachen bringen konnte.” Barry stammt aus Limerick. Ox Mountains Todeslied erschien erstmals im New Yorker und in seiner Anthologie “That Old Country Music“. Einen ganzen Berg muss der Protagonist in Jan Carson’s Beitrag, “Nur ein besserer Hügel”, versetzt werden. Der Slemish Mountain in Ballymena wird abgetragen, um nach Japan verschifft zu werden. Darren’s Dad kriegt deswegen einiges zu hören, aber es hilft alles nichts, er braucht das Geld. Vom inzwischen kosmopolitischen Belfast berichtet Riley Johnston in “Gemeinsamkeiten”, wo sie eine Dating-Situation beschreibt, wie sie wohl nicht nur Englischlehrerinnen passiert. Herausgeber Paul McVeigh ist mit einem Auszug aus seinem Roman “Guter Junge”, der ebenfalls bei Wagenbach erschienen ist, vertreten. Sein Mickey Donnelly schafft es, freihändig auf Napoleon’s Nose zu stehen und das Gleichgewicht zu behalten.

Here Are the Young Men

Nach Derry, Londonderry oder Doire entführt uns Darran Anderson mit seinen “Kartographien“. Auch hier geht es um die Zeit: “Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr werden wir zu einer Art Fiktion, sogar für uns selbst.” Ein Spiegel könne das Verstreichen der Zeit nicht so verheerend offenbaren wie eine Fotografie. Und obwohl wir alle Exilierte, ja Kosmopoliten, seien, würde der Mittelpunkt des Universums stets jener Ort bleiben, an dem wir aufgewachsen sind. “Vielleicht ist Stolz nicht das richtige Gefühl, doch überlebt zu haben und dabei im Großen und Ganzen anständig geblieben zu sein – das ist nicht wenig.” Mit ganz anderen Problemen kämpft die Protagonistin in Evelyn Conlon’s “Verstörende Worte”. Binnen eines Tages sterben beide ihrer Eltern und anfangs ist es nicht so klar, wer aus Liebeskummer oder wer zuerst starb. Dave Lordan, ein Gen-X-Poet, erzählt vom Fall der Mauer und den Bomben in Bagdad, die fielen, während er in seiner Jugend in West Cork die “time of his life” hatte. Die Leute in Cork sind stolz darauf, dass sie den Unabhängigkeitskrieg gewannen, während ihn der Rest des Landes verlor. Auch huldigt Lordan den Cureheads, Grufties und New Romantics, die den Weg für die heute weit verbreitete Akzeptanz von Nicht-Cis-Menschen vorbereitet hätten. Auch der aus Dublin stammende Rob Doyle bläst in ein ähnliches Horn. Sein Beitrag “Matthew” stammt aus seinem zweiten Roman “Here Are the Young Men”.

Weitere Beiträge von Darran Anderson, Kevin Barry, Evelyn Conlon, Rob Doyle, Liam O’Flaherty, Riley Johnston, Dave Lordan, Frank O’Connor, Éilís Ní Dhuibhne, Jan Carson, Kerri Ní Dochartaigh und nicht zuletzt Paul McVeigh selbst.

Paul McVeigh (Hrsg.)
Irland
Eine literarische Einladung
Aus dem irischen Englisch von Hans-Christian Oeser u. a.
SALTO [268]. 17.3.2022
144 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet
ISBN 978-3-8031-1367-2
Wagenbach Verlag
20,– €


Genre: Anthologie, Irland, Literatur, Sammelband
Illustrated by Wagenbach

Tomás Nevinson

Der letzte Roman des Romanciers Javier Marías

Tomás Nevinson. Das auf Deutsch 2019 erschienene „Berta Isla“ bildet mit “Tomás Nevinson”, das im Todesjahr des spanischen Autors, 2022, erschien, quasi ein Roman-Diptychon über die beiden gleichnamigen Eheleute. Javier Marías nennt seine beiden Romane im Nachwort zu vorliegender Ausgabe ein “Paar”, kein Fortsetzung. In seiner schon zuvor unter Beweis gestellten “Poetik der Abschweifung” gibt sich Javier Marias wieder ganz seinem eigentlichen Leitmotiv hin: die Unmöglichkeit, den anderen wirklich zu kennen.

Tomás Nevinson: Don’t linger and delay!

Bertram “Bertie” Tupra, der Chef des Geheimdienstes wendet sich erneut an Tomás Nevinson, der eigentlich mit seinem alten Arbeitgeber schon abgeschlossen hat. Seine Ehe mit Berta Isla war aufgrund seiner Arbeit tief zerrüttet worden, wovon der quasi erste nach ihr benannte Teil des Roman-Diptychons ausführlich Beweis ablegt. Zwischen der spanischen ETA und der irischen IRA, beides zwei Terrororganisationen, die die Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts beherrschten, so wie es heute die Dschihadisten tun, musste Tomás mit seinem natürlichen Talent für beide Sprachen dem Geheimdienst stets zur Stelle sein. Auch dieses Mal, im quasi zweiten Teil, sind wieder seine Sprachkenntnisse gefragt, denn er soll für Tupra eine nordirische Terroristin namens Magdalena Orue O’Dea enttarnen.

Drei Frauen im Terrorverdacht

Als Deckidentitäten wurden vom Geheimdienst drei Frauen eingekreist, die als Magdalena in Frage kämen: Maria Viana, Celia Bayo und Inés Marzán. Alle drei leben im Nordosten von Madrid in dem Städtchen Ruan. Nevinsons Aufgabe ist es nun, die “richtige” der drei Frauen als Magdalena Orue O’Dea zu identifizieren und dann zu liquidieren. Er hatte in seiner Laufbahn beim Geheimdienst schon zwei Männer umgebracht. Nun tut er sich allerdings als Vertreter der alten Schule noch etwas schwer bei dem Gedanken, eine Frau umzubringen. Erst als ihm sein Arbeitgeber, Tupra, unter Druck setzt und meint, ansonsten alle drei zu füsilieren, wenn er sich nicht für eine entscheiden könne, beginnt Nevinson zu spuren und will die Mordtat umsetzen. So kann er wenigstens zwei der drei Frauen “retten”. Aber genauso gut kann es sein, dass er selbst zum Opfer der Terroristin wird, da diese längst Lunte von seinem Vorhaben gerochen hat. Wird als der Verfolger bald zum Verfolgten? Auch dadurch erreicht Javier Marías ein “Moment der letzten Spannung”, das die Handlung in der Peripetie des Romans jederzeit wieder herumreißen könnte.

Der rote Faden: (Un-)Schuld

Als roter Faden des Romans kann zweifellos die Frage gelten, ob es legitim sei, einen Menschen zu töten, um ein Blutbad an der Menschheit zu verhindern. Marias bringt dabei immer wieder das Beispiel eines vermeintlichen Hitler-Attentäters, der diesen vom Wald in Berchtesgaden zwar im Korn hatte, beim Laden einer echten Patrone aber erwischt und verhaftet wird. Dieses vereitelte Attentat ist quasi die Mise en abyme des Romans Tomás Nevinson und der Person Tomás Nevinson. Lassen sich Schuld und Unschuld eines Menschen zweifelsfrei erkennen und vor allem beweisen? Und darf man einen Menschen töten, um ein größeres Verbrechen zu verhindern? Im Falle Hitlers wäre diese Antwort zweifellos einfacher mit “Ja” zu beantworten, als im Falle von Magdalena Orue O’Dea. Denn die Terroristin ist ja seit einiger Zeit untergetaucht und bereut vielleicht ihre Taten bereits.

Reue nur durch Misserfolg

Aber ist diese Reue ausreichend für eine Entschuldung? Die Massaker der Vergangenheit wiegen schwer und auch die Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation, die vor allem zivile Opfer im Visier hat, wäre eigentlich schon Grund genug, sich mit Schuld zu beladen. Und überhaupt Reue! Der einzige Grund zur Reue sei nicht nur bei einem Mörder der Misserfolg. “Dass ein Spiel schiefgeht. Die gelungenen beklagt man nicht, auch nicht die ungestraften.” Wenn es die mangelnde Reue ist, die einen Menschen vom Unschuldigen zum Schuldigen stempelt, sind wir dann nicht alle verurteilenswert? Und noch eine Frage steht ganz deutlich im Raum dieses Jahrhundertromans: Machen wir uns alle nicht gegenseitig etwas vor?

Maxime des 21. Jahrhunderts

Ist die Lüge nicht längst zum geheimen Credo dieses so scheußlich gewordenen 21. Jahrhunderts geworden? Die Lüge und die Täuschung, ja. Javier Marías’ letzter Roman ist voller Anspielungen und Zitate, darunter auch eine Huldigung an die drei Musketiere von Alexandre Dumas u.v.a.m. Aber auch Beispiele aus der Geschichte holt der Autor aus dem Vergessen und flechtet sie ein in diesen Roman der Abschweifung. Der Sohn eines vom Franco-Regime verfolgten Philosophen zeigt auch in seinem letzten Roman, dass es der Zweifel und der Selbstzweifel sind, die uns eigentlich zu den Menschen machen, die wir sind. Seine Bücher wurden in über vierzig Sprachen übersetzt. Am 11. September 2022 ist Javier Marías in Madrid verstorben.

Javier Marías
Tomás Nevinson. Roman.
Übersetzt von: Susanne Lange
2022, Hardcover, 736 Seiten
ISBN: 978-3-10-397132-3
S. FISCHER Verlag


Genre: Krimi, Roman, Spanien
Illustrated by S.Fischer Frankfurt am Main

Glaube Hoffnung und Gemetzel

Glaube, Hoffnung und Gemetzel

Glaube, Hoffnung und Gemetzel. “Hoffnung ist ein Optimismus mit gebrochenem Herzen“, lautet einer der letzten Sätze dieser schonungslos offenen Beichte eines der herzlichsten Rockstars unserer Gegenwart. Erst gegen Ende des vorliegenden Interviewbuches gelingt es dem englischen Journalisten Sean O’Hagan (Guardian, Observer) das Gespräch mit seinem Interviewpartner, Nick Cave, auch auf das zweite Wort im Titel zu lenken. Von Glaube und Gemetzel ist nämlich weit ausführlicher die Rede. Nicht nur weil das vorläufig letzte Album von Nick Cave und Warren Ellis “Carnage” (dt.: Gemetzel) heißt.

Verlust, Trauer und Rastlosigkeit

Jeder Mensch, der es schafft, die magische Grenze der 50 zu überschreiten, wird spätestens dann mit Verlust und Trauer konfrontiert. Diese beiden Gespenster gehören zum Leben wie das Amen zum Gebet. Aber sie müssen nicht unbedingt das Ende bedeuten. Nick Cave, der im selben Jahr nicht nur einen Freund, seine Mutter, seinen Sohn und seine Freundin verlor, weiß am besten wie man damit umzugehen lernt. Kurz vor Drucklegung des Buches starb auch noch ein weiterer Sohn von Nick Cave, wie Sean O’Hagan im Epilog erschüttert vermerkt. Sein Verlust war ein jüngerer Bruder und vielleicht hat genau das die beiden so unterschiedlichen Männer einmal zusammengeführt: gemeinsam zu trauern. Über den Zeitraum des ersten Lockdowns ist durch einige Telefongespräche ein Buch entstanden, das jedem, der trauert, helfen wird, diese zu überwinden.

Arbeit als Antidepressivum

Nick Cave schaffte es sogar die Aufnahmen zu seinem “Skeleton Tree” Album fertigzustellen, da das einzige Antidepressivum das für ihn wirkte, Arbeit war. Das vorletzte Album mit den Bad Seeds enthält eine Menge Songs, die vor dem Tod seines Sohnes Arthur geschrieben wurden, aber dennoch genau auf die Situation nach seinem Tod passen. Es ist, als hätte Nick Cave das vorweggenommen, was später geschah. Andrew Dominik (“Blonde”) machte darüber den beeindruckenden Film “One More Time With Feeling”. Als dann auch noch “Ghosteen” erschien, das vorläufig letzte Album mit den Bad Seeds, kam die Pandemie und vereitelte die groß angelegte Tournee eines Albums, das die Welt so noch nie gehört hatte.

Man in Dark Black

Vor allem nicht von Nick Cave. Und so hatte Sean O’Hagan mehr Zeit den “Man in Dark Black” zu interviewen. Natürlich geht es auch um Kunst, Freiheit, Beziehung, Musik, die Red Hand Files, “In Conversations”, Australien und andere interessante Themen, die von Nick Cave stets mit dem gewohnten Schuss Selbstironie präsentiert werden. Sean O’Hagan, der Nick Cave schon über dreißig Jahre kennt, weiß auch, wie man den Egomanen in die Schranken verweist und so ist eine lesenswerte Lektüre entstanden, die einen Menschen zeigen, der seinen Weg zu Gott selbständig gefunden hat.

Glaube, Hoffnung und Gemetzel

Es ist ein erschütterndes und gleichzeitig sehr hoffnungsvolles Buch, denn es ist auch viel von Reue und Vergebung die Rede. Man kann den Schmerz den Eltern, die eines ihrer Kinder verlieren, haben, wohl kaum beschreiben, aber sehr wohl nachempfinden, wie es ist, wenn einem der Teppich unter den Füßen weggezogen wurde. Jedem ist es vielleicht schon einmal so gegangen, wenn eine Beziehung zu Ende ging, aber was der Verlust eines Kindes bedeutet ist wahrscheinlich unermesslich. Dennoch haben es Susi und Nick geschafft: “Wir haben überlebt, weil wir zusammengeblieben sind. So einfach ist das. Wenn einer hinfiel, hat der andere übernommen. Das war entscheidend.”

Gesunde Egomanie

Denn die meisten Paare die so etwas erleben zerbrechen, machen sich gegenseitig Schuldzuweisungen und Vorwürfe. Also auch das ist ein Wunder. Aber Nick Cave spricht noch von viel mehr Wundern, denn das Trauern kann sehr unterschiedliche und unvorhergesehene Formen annehmen. Bei ihm mündete sie in noch mehr Aktivität und Kreativität, rastlos und egomanisch bestimmt, ja, aber es hilft auch anderen Menschen, wenn einer zeigt, dass man es trotzdem schafft.Und so ist auch “Glaube, Hoffnung und Gemetzel” zu verstehen, als Ermunterung, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Leiden als menschliche Verbindung

Wir erkannten auf eine sehr tiergehende Weise, dass Menschen liebenswürdig waren. Die Menschen sorgten sich um uns. Ich weiß, dass das simplifizierend klingt, vielleicht sogar naiv, aber ich kam zu dem Schluss, dass die Welt am Ende doch nicht so schlecht war – dass letztlich das, was wir für böse halten oder als Sünde bezeichnen, eigentlich Leiden ist.” Und genau das verbindet uns Menschen, denn das Leiden haben wir alle gemeinsam. Man muss sich nur entscheiden, ob man sich auf diese liebende Kraft hinbewegt, die einem Trost spendet, oder lieber zugrunde gehen will. “Niemand hat Kontrolle über die Dinge, die einem zustoßen, aber wir haben die Wahl, wie wir darauf reagieren.”

Ein unvergleichliches, absolut empfehlenswertes Buch, das viel Weisheit enthält und nicht nur an Allerheiligen, dem Tag der Toten, viel Trost über die Verluste und Wunden, die das Leben eines jeden schlägt, bietet.

Nick Cave/Sean O’Hagan
Glaube, Hoffnung und Gemetzel
Übersetzt von: Christian Lux
2022, Hardcover, 336 Seiten
ISBN: 978-3-462-00331-4
Kiepenheuer&Witsch


Genre: Biographie, Interview
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln