Ros Taylor erwacht nach einer durchfeierten Nacht in blutigen Laken, kann sich an nichts erinnern und findet zu allem Überfluss auch noch ihre Mitbewohnerin tot im Bad auf. Auf Ros Rücken findet sich das Datum des Tattages eingeritzt. Bill Thomson übernimmt die Ermittlungen des Falls und kümmert sich sehr intensiv um Ros. Es stellt sich heraus, dass beide Frauen vergewaltigt worden sind, nur wer der Täter war, ist aufgrund des Gedächtnisverlustes zunächst nicht zu ermitteln. Die Indizien der Polizei sprechen für den Freund der Toten und Ros lässt sich durch Bill zu einer Falschaussage überreden. Der mutmaßliche Täter wird verurteilt, alles scheint geregelt, doch dann findet Ros täglich mysteriöse Briefe vor ihrer Tür, die darauf schließen lassen, dass der wahre Täter noch auf freiem Fuß ist, was Ros und Bill in Erklärungsnot gelangen lässt.
Die Geschichte wird immer abwechselnd aus der Sicht von Ros oder Bill erzählt, wodurch sich vieles wiederholt, trotzdem aber nicht langweilt, weil immer neue Details dazukommen, die dem Leser die Lösung des Falls näher bringen. Der Roman beruht auf wahren Begebenheiten, was schon nachdenklich stimmt, wenn man bedenkt, wie schnell ein Mensch aufgrund eines Meineids verurteilt werden kann. Insgesamt spannend zu lesen, mit einem überraschenden und blutigen Ende.
Genre: ThrillerIllustrated by Rowohlt
Buchmessen sind immer wieder inspirierend. In diesem Jahr aber habe ich den wichtigsten Buchtipp erst bekommen, als die quirlige Leipziger Messe gerade hinter mir lag. Eher zufällig — oder doch schicksalhaft? — fiel mir das Buch einer Frau in die Hände, die ebenso wie ich sorbische Wurzeln hat. Erstes Interesse war geweckt, aber dann: Vom ersten Satz an entfaltet sich ein Feuerwerk an Worten, Bildern und Gedanken. Ein lakonischer Sturmwind fegt durch die Seiten, überfliegt das Leben der eigenwilligen Heldin, das tragisch zu nennen wäre, trüge seine Eigentümerin nicht ein hieb- und stichfestes Fell, das sie vor einem Teil der ihr zugefügten Verletzungen schützt. Als Tochter einer überforderten dreizehnjährigen Mutter im Auffanglager für danebengegangene Kinder aufgewachsen, absolviert sie diverse chaotische Stationen zwischen Ostsee und Niederlausitz, bringt mit ihrer ungebärdigen Art ihre sorbische Großmutter aus der Ruhe und versetzt die jeweiligen Entwicklungshelfer regelmäßig in Aufregung. Wo sie ist, bleibt sie Außenseiterin, behauptet sich tapfer gegen alle Anfechtungen von Gruppenzwang und öffentlicher Meinung. Fieberhaft sucht sie nach Halt. Nervös setzt sie die Segel, kaum dass der Anker ausgeworfen ist. Ruhelos strebt sie in die Ferne. Beharrlich reizt sie die Grenzen der allzu engen DDR aus. Auf dem Rad erobert sie sich sorbisches Minderheitenland, froh, endlich ein Stück Identität errungen zu haben. Doch sie bleibt zerrissen, sucht die Liebe und stößt sie weg, findet hie und da Anschluss bei anderen Außenseitern, die sich in den Nischen der sozialistischen Realität eingerichtet haben. Immer wieder bricht sie auf, auch wenn sich Wetter und allgemeine Lage erkältet haben. Die Wende eröffnet ihr Unglaubliches, aber die vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten bleiben ihr verwehrt, denn auch die Haut, in der sie steckt, ist von Vorurteilen gesprödet. Die atemlosen Leser in irdischeren Gefilden zurücklassend, gelingt der Ausbruch am Ende auf eine irrsinnig konsequente Art …
»Drachentochter« — ein großartiger, verstörender Roman einer bemerkenswerten Debütantin, die über einen unerschöpflichen Fundus an Sarkasmus, Wortwitz und Sprachspielen zu verfügen scheint und hoffentlich aufs neue zu Atem und Schöpferkraft kommen wird, um weitere literarische Werke hervorzubringen. Wir dürfen gespannt sein.
Genre: RomaneIllustrated by Rowohlt
Dieses für jeden, der schreibt, nützliche Buch will dreierlei erreichen: erstens, die Autoren für die Einsicht gewinnen, dass sie sich mit der Technik des Schreibens plagen müssen, um den Leser zu fesseln; zweitens, ihnen klarzumachen, dass dies im Wettlauf mit elektronisch bewegen Bildern immer mehr Mühe, Grips und Phantasie erfordert; drittens, ihnen Werkzeuge für jene Art des Formulierens zu liefern, die das Lesen attraktiver macht.
Schneider erwartet von Journalisten, Lektoren und Schriftstellern ebenso wie von Verfassern komplexer Gebrauchsanweisungen, präzise, konkret und anschaulich zu schreiben. Auf 50 Regeln verdichtet er den Umgang mit der Sprache unter Berücksichtigung neuester Erkenntnisse der Verständlichkeitsforschung und aktueller Richtlinien für eingängiges Deutsch! Dazu zählen das Anstechen von Wortballons, das Zertrümmern von Hülsen, das Vermeiden von Klischees und Floskeln sowie der bewusste Umgang mit Nebensätzen, Schachtelungen, Attributen und Präpositionen. Er behandelt Lesehilfen (Satzzeichen, Zahlen, Kursiva), das Spiel mit Metaphern und die hohe Kunst, den richtigen Einstieg zu finden.
Wer gelesen werden möchte, findet in Schneider einen Ratgeber, der ohne Rohrstock und Peitsche hilft, den Texter wieder stärker an den Leser zu binden. Sein Lehrbuch ist gleichzeitig ein Plädoyer für eine »Stiftung Schreiben«, die der umtriebigen »Stiftung Lesen« viel Aufwand ersparen könnte.
Genre: SpracheIllustrated by Rowohlt
Seine Kindheit und Jugend als »OH-Sub«, ein »Ost-Holstein-Punk«, beschreibt Rocko Schamoni in seinem autobiographischen Roman »Dorfpunks«. In lakonisch unbehauenem Stil und uninteressiert an filigraner Sprache erzählt der 1966 geborene Autor von der Trostlosigkeit und tödlichen Langeweile des 5000-Seelen-Ortes Schmalenstedt an der Ostsee, die seinen Hang zu Suff und Gewalt förderte. Dort erhält er die ideale Grundausbildung für seine Punkwerdung, die sich im Bemühen um Anderssein und ein schmutziges und zerfetztes Äußeres zeigt. Zusammengehalten aus einem Kitt von Alkohol, Drogen, Nikotin, Video und Gewalt gründet Schamoni »Die Amigos«, eine Zwei-Mann-Truppe, die sich mit Schlagern und Saufliedern interessant macht und meist den Auftakt für eine vollständige Zerstörung der Saaleinrichtung liefert. Daneben bestimmen Schulstress, Liebeskummer, der Traum von der großen Stadt und eine Töpferlehre das Leben des jungen Mannes, der sich heute als »Musiker, Lebemann und Autor« bezeichnet, verschiedene Alben veröffentlichte und Musiksendungen moderierte.
Die Lektüre von „Dorfpunks“ hinterlässt einen seltsamen Geschmack. Im Text wächst keine Persönlichkeit, die ein künstlerisches Ziel vor Augen hat und intensiv daran arbeitet. Es geht ausschließlich darum, aus Enge und Langeweile auszubrechen, um nach Hamburg oder Berlin zu kommen, wo ein selbst bestimmtes Leben lockt. Gleichwohl ist es ein einfühlsamer Rückblick mit Sinn für Komik und Tragik. »Entschuldigung, es ging nicht anders«, schreibt der Autor zu seinem ungeschminkten Bericht und erklärt damit seine Punk-Haltung mit einer gewissen Zwangsläufigkeit.
Genre: ErinnerungenIllustrated by Rowohlt
Zwei Männer erforschen die Welt. Sie tun dies auf völlig verschiedene Weise: Während der eine seine Studierstube nur unfreiwillig und seine Region fast gar nicht verlässt und dennoch die weltumgreifendsten Erkenntnisse gewinnt, bereist der andere tatsächlich die entferntesten Kontinente, steigt unter Gefahr für Leib und Leben auf jeden Berg, durchquert Dschungel, Wüsten und Höhlen und bleibt doch eher weltfremd.
Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt werden als wunderliche Gesellen betrachtet, weil sie ihrer Zeit allzu weit voraus sind. Viel später erlangen sie öffentliche Anerkennung, und dies nicht unbedingt für das, was ihnen am meisten am Herzen liegt. Erst im hohen Alter kommt es in Berlin zu einem Zusammentreffen der beiden inzwischen berühmten Naturwissenschaftler. Humboldt hat dies seit langem angestrebt, Gauß sich stets hartnäckig widersetzt.
Wie die zwei Forscher die Welt im Großen wie im Kleinen vermessen, wie sie am langsamen Denken und an der Trägheit ihrer Mitmenschen schier verzweifeln, beschreibt der 30 Jahre junge Autor mit originellem Witz und lebendiger Frische. Statt eines verstaubten Historienromans erwartet die Leser eine gleichermaßen intelligente wie kurzweilige Geschichte über zwei Weltvermesser, die sich — jeder auf seine Weise — ihre eigene Welt errichteten.
Genre: RomaneIllustrated by Rowohlt
Über Menschen, Orte, Ereignisse und immer wieder über Bücher schreibt Elke Heidenreich seit mehr als drei Jahrzehnten. Dreißig ihr wichtige Geschichten fasst sie in diesem Band zusammen. Einige sind zuvor in der Frauenzeitschrift Brigitte erschienen, für die Elke Heidenreich siebzehn Jahre lang als Kolumnistin schrieb. Der Band ist insofern eine Zweitverwertung eines durch die Medien bekannten Autorennamens. Methodisch erzählt Heidenreich gern persönliche Dinge aus ihrer Kindheit und Jugend, sie erinnert an Bücher, Lieder, Radiostimmen und stellt Bezüge zu ihrer Jetztzeit her. Dabei wirkt sie stets moralisch, es fehlt ihr eine Prise Leichtigkeit.
Das Buch ist bereits makuliert. Erstaunlich, dass selbst eine relativ bekannte Autorin schon ein Jahr nach Herausgabe auf den Wühltischen der Buchmärkte landet.
Die in dem leider vergriffenen Buch versammelten Geschichten und Reportagen sind für alle Freunde des ausgefeilten Stils und der bildhaften Sprache Leckerbissen. Veröffentlicht wurden sie zwischen 1976 und 1982 im Hamburger Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«. Meist handelt es sich um intime Porträts von Leuten wie du und ich sowie von Wichtigtuern, Berühmtheiten und Politikern.
Wir lernen Biggi kennen, »eine kinderblonde Scheidungswitwe, die einen tiefen finanziellen Frieden verströmt und durch ihren schmalen Kiefer wie ein Lamm aussieht.« Wir begleiten den englischen Schauspieler Jeremy Irons, »der von so empfindlicher Schönheit ist, dass er auf dem Satinpolster eines dicht schließenden Etuis zu Hause sein könnte.« Der Leser erlebt aber auch den rasanten sozialen Abstieg der Sophie Häusler mit, »die eine Schussfahrt durch eine zielgenaue Schneide macht, deren Markierungen ein Saboteur hätte stecken können.«