Ghostly Things 1

Übersinnliche Wahrnehmung

Oberschülerin Yachiho Takahara musste aufgrund ihres ständig abwesenden Vaters schon früh selbstständig werden. Wieder auf Forschungsreise hat dieser vorher für sich und seine Tochter ein Haus gekauft, das in der Umgebung als Geisterhaus verschrien ist. Yachiho merkt auch schon bald warum: In ihm wimmelt es von Natur- und anderen Geistern. Um sich in der Anderswelt besser zurecht zu finden und um ihre verschollene Mutter zu finden, stimmt sie zu, die Gehilfin des Grenzgeistes Moro zu werden. Außerdem sucht sie in dem Haus, das vorher einem Mann gehört hat, der ebenfalls Geister sehen konnte und zu ihnen geforscht hatte, nach der “Schrift des Totenreiches”. Denn auch diese Schrift könnte Hinweise zum Verbleib ihrer Mutter geben.

Mensch, Natur und Technik

Wie in Irland, aber auch in Deutschland, sind Geister und Naturwesen wesentlicher Bestandteil von Sagen und Mythen. So auch in Japan, das einen reichen Mythenschatz zu besitzen scheint. Und dieser wird auch gern für Mangas und Animes angezapft und verarbeitet. Man denke nur z.B. an Studio Ghiblis Animes “Prinzessin Mononoke” oder “Pompoko”, in denen es vorwiegend um den Streit zwischen den (technisierten) Menschen und der Natur geht. Auch dieser wird in dem vorliegenden Manga in Form des Herrn Kamo angesprochen. Er vertritt im Gegensatz zu Yachiho die Auffassung, dass man mit Naturgeistern nicht einträchtig zusammenleben kann. Er hält sie für gefährlich und v.a. will er deren Fähigkeiten kontrollieren und für die Technik zunutze machen. Seine Einstellung gegenüber Natur(geistern) ist feindselig, die von Yashiho offen und freundlich, obwohl sie sich auch fürchtet.

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Geschlechterverteilung. Die naturfreundliche Einstellung wird von der Frau vertreten, die naturfeindliche vom Mann. Bezieht man das auf die Literatur über Matriarchat und Patriarchat, so scheinen erstere mit der Natur und zweitere gegen die Natur zu leben. V.a. das Patriarchat hat eine Neigung dazu, die Natur unterordnen und beherrschen zu wollen, sich über die Natur zu erheben und sich von ihr unabhängig machen zu wollen – koste es, was es wolle. Im Manga wird das durch folgenden Dialog zwischen Herrn Kamo und Yashiho deutlich: “Du verstehst da offenbar etwas falsch! Naturgeister besitzen Kräfte, die den Menschenverstand übersteigen. Das sind keine Wesen, mit denen man einträchtig zusammenleben kann. Doch wenn man ihre Kräfte auf diese Weise kontrolliert, dann werden sie zu Werkzeugen, die mit großartigen Technologien ausgestattet sind.” (Kamo) “Naturgeister sind vielleicht furchteinflößend, aber das heißt doch nicht, dass man mit ihnen nicht auskommen kann. Bitte lassen Sie die beiden frei!” (Yashiho)

Yashiho ist hier vorbildhaft. Sie steht für das Gewissen, für die Verbundenheit mit der Natur, und sie stellt sich gegen eine Herrschermentalität, die keinen Raum für ein friedliches Miteinander lässt und deswegen Schaden in allen Bereichen anrichtet. Auch das wird im Manga weiter ausgeführt: Sehr behutsam lässt der Baumgeistlehrer sich seine kleinen Baumgeisterschützlinge in ihrem eigenen Tempo entwickeln und leitet sie an, anstatt sie mit Wissen vollzustopfen (man denke z.B. an die Montessouri-Pädagogik oder die des offenen Konzepts in Kitas) und schiebt deshalb seinen Tod auf, während Herr Kamo den Baumgeist, der sich vordergründig am langsamsten entwickelt, hintergründig aber eine Tiefe beweist, die den anderen noch fehlt, vorsätzlich mit seinem Schuh zertritt.

Da schwingt Kritik mit, wie der (patriarchale) Mensch mit der Natur umgeht, die die Heimat und nährende Mutter für alle Lebewesen ist – auch für den Menschen. Das lateinische “mater” für “Mutter” steckt wie auch “materies” für u.a. “Holz” in dem Begriff “Materie”…

Offen sein für Dinge, die die Wissenschaft (noch) nicht nachweisen kann

Ein weiteres Thema ist das des Mediums, das in der Lage ist, eine Welt wahrzunehmen, die für die meisten anderen verschlossen ist. Da kommen einen fernsehaffine Medien wie Ira Wolff, Theresa Caputo, Tyler (Hollywood-Medium) oder Thomas John in den Sinn – wobei man hier kritisch anmerken könnte, dass diese ihre Gabe (sofern tatsächlich vorhanden) hochpreisig verkaufen. Ich würde behaupten, dass bei Medien, die tatsächlich mit ihrer Umwelt verbunden sind, auch die Preise für jederfrau/-man erschwinglich sind.

Eine grundsätzliche Offenheit für ein Mehr als die Wissenschaft bisher bestätigen kann, ist aber wohl von Vorteil. Denn die Technik scheint bzgl. aller (Natur-)Phänomene hinterherzuhinken. Allerdings muss man sich hier (wie sonst auch) vor Scharlatanen hüten.

Der Manga greift das Thema Medium auf, aber auch die Angst solcher medial begabter Menschen vor einer Welt, die sie aus o.g. Gründen nicht zu verstehen gelernt haben. Auch Yashiho hat Angst, aber sie stellt sich ihrer Angst und ist bereit dazuzulernen.

Der spannende Manga ist der 1. Band einer Reihe, die von den gut auf den Inhalt abgestimmten Zeichnungen mehr verspricht.

Fazit

Die Themen der medialen Begabung und des Konflikts “(patriarchaler) Mensch versus Natur” werden im ersten Band der Reihe stimmig und spannend umgesetzt.


Genre: Manga
Illustrated by Carlsen Manga!

Die Tagesordnung

Desavouierendes Hohngelächter

Der französische Schriftsteller Éric Vuillard hat mit der Erzählung «Die Tagesordnung» den erzwungenen Anschluss Österreichs thematisiert, wobei er, wie schon in anderen seiner Werke, auch hier ein geschichtliches Ereignis und seine Folgen in extrem verknappter Form neu erzählt. Insoweit kann er als legitimer Nachfolger von Stefan Zweig angesehen werden, der dieses Genre mit seiner Sammlung «Sternstunden der Menschheit» äußerst erfolgreich kreiert hat. Im Unterschied zu ihm jedoch benutzt Vuillard nicht die strenge, auf ein ‹unerhörtes Ereignis› gerichtete Novellenform, er fächert seinen Stoff vielmehr deutlich weiter auf. Hier beginnend mit einem geheimen Treffen der deutschen Großindustriellen bei Göring am 20. Februar 1933 und endend bei der läppischen Entschädigungs-Zahlung Alfried Krupps an die Zwangsarbeiter 1958.

In den 16 Kapiteln der Erzählung entwickelt der Autor seine Version der historischen Ereignisse, indem er sie, fiktional ergänzt, aus einer ironischen Distanz schildert. Sein Schwerpunkt ist dabei die emotionale Ebene, die den oft lächerlich profanen Hintergrund bildet. «Die Literatur erlaubt alles», sagt Vuillard und macht sich in diesem Sinne, mit deutlich erkennbarer Wonne, gleich am Anfang über den Geldadel lustig. Vierundzwanzig Herren steigen im Treppenhaus eines pompösen Palais nach oben zu den Nazigrößen, die sie herbeigerufen haben und sie auch gleich abkassieren werden für den bevorstehenden Wahlkampf. «Demnach könnte ich sie endlos über die Penrose-Treppe schicken» macht der Autor sich über sie lustig, Geben und Nehmen liege ja dicht beieinander in Politik und Geldadel. Ähnlich spöttisch berichtet er auch über einen Besuch von Lord Halifax, entschiedener Verfechter der britischen Impeasement-Politik, bei Göring in der Schorfheide. Auch das demütigende Treffen Schuschniggs mit dem Führer auf dem Berghof wird in mehreren Kapiteln geschildert als Vorstufe zur längst beschlossenen Annektierung Österreichs. Ribbentropps Abschiedsbesuch in Downing Street ist eine ebenso amüsante Episode wie das mit ‹Blitzkrieg› überschriebene Kapitel des deutschen Einmarsches, der dann im blamablen ‹Panzerstau› am 12. März 1938 steckenblieb. Vor die Proklamation des Führers vom Balkon der Wiener Hofburg fügt der Autor noch ein Kapitel ein, in dem er das Theatralische der ‹großen Politik› durch ein riesiges Requisiten-Lager in Hollywood demonstriert, wo zeitgleich mit den Ereignissen bereits sämtliche Nazikostüme für Spielfilme verfügbar waren, Chaplin lässt grüßen! In den letzten beiden Kapiteln thematisiert er das Grauen, indem er von gleich vier Selbstmorden am Tag der Annexion berichtet. Am Ende schließlich holen den senilen Gustav Krupp die toten Zwangsarbeiter ein, die ihn in der Villa Hügel aus dem Dunkeln anklagend anstarren.

Diese 2017 mit dem Prix Goncourt prämierte Erzählung zeichnet sich durch eine irritierende Leichtigkeit aus, in der da ganz unbefangen über das mit Abstand Düsterste in der Menschheits-Geschichte berichtet wird. Sie erinnert damit entfernt auch an «Die Wohlgesinnten» von Jonathan Littel, ein aus der Täter-Perspektive erzählter französischer Holocaust-Roman, der, wen wundert’s, überaus kontrovers diskutiert wurde. Muss man nichtdeutscher Autor sein, um so unbeschwert und beiläufig über die Nazis erzählen zu können?

Wer bei Vuillard sauertöpfisch nach historischer Seriosität fragt, hat dessen Hintertreppen-Methode nicht verstanden. Es sei ihm um das Profane hinter den großen Ereignissen gegangen, um die grotesken Witzfiguren, die als historische Akteure so oft großspurig am Werke seien. Denn vieles erweist sich ja im Nachhinein tatsächlich als reine Farce, und genau das wiederholt sich auch noch ständig bis in die Gegenwart hinein, man denke nur an das Erstarken der Populisten in Europa. Insoweit ist es durchaus legitim, fragwürdige Politiker genüsslich zu desavouieren, sie also sarkastisch mit Hohn zu überschütten zur unverhohlenen Freude des Lesers.

Fazit: lesenswert

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Genre: Erzählung
Illustrated by Matthes & Seitz

Weine nicht

Holzschnittartige Erzählweise

Der Roman «Weine nicht» der französischen Schriftstellerin Lydie Salvayre hat den Spanischen Bürgerkrieg zum Thema. Als Tochter nach Frankreich geflüchteter Spanier erzählt sie in diesem 2014 mit dem Prix Goncourt prämierten Roman aus der anarchistischen Anfangsphase dieser brutalen Kämpfe im Sommer 1936, basierend auf den mündlichen Überlieferungen ihrer katalanischen Mutter. Eng verflochten in ihre Geschichte und häufig zitiert ist außerdem die von Georges Bernanos in seinem Buch «Die großen Friedhöfe unter dem Mond» sehr eindringlich geschilderte Verfolgung der Kommunisten auf Mallorca.

Die hochbetagte Mutter der Ich-Erzählerin berichtet im Jahre 2011 aus der einzigen Phase ihres langen Lebens, an die sie sich noch lebhaft erinnern kann. Als 15jähriges Mädchen hat Montserrat, genannt Montse, in einem hinterwäldlerischen katalanischen Dorf erlebt, wie plötzlich die Unruhen des beginnenden Bürgerkriegs auch dessen Bewohner erfasst haben. Ihr älterer Bruder José, der sich begeistert den Anarchisten anschließt, nimmt sie mit nach Barcelona, wo sich die verschiedensten politischen Kräfte versammeln und erste Milizen gebildet werden, um in den Krieg zu ziehen. Das einfältige Bauernmädchen ist überwältigt von der freiheitlichen, mondänen Welt, die sie in der großen Stadt wie ein Wunder ungläubig bestaunt, sie erlebt die intensivste Zeit ihres ganzen Lebens. Und sie lernt einen jungen Mann kennen, mit dem sie wie im Rausch die Nacht verbringt, bevor er am nächsten Morgen als Kriegsfreiwilliger zur Front abrückt, sie weiß nicht mal seinen Namen. José aber erkennt schon bald ernüchtert die Widersprüche und Unwahrheiten seiner Kampfgefährten und beschließt, nicht in den Krieg zu ziehen, sondern mit seiner Schwester in sein Dorf zurückzukehren. Montse jedoch ist schwanger, aber die Mutter verkuppelt sie flugs ausgerechnet mit Diego, der als Stalinist schärfster politischer Widersacher von José ist.

Durch die intensive Einbeziehung der Berichte von George Bernanos enthält dieser Roman eine scharfe antiklerikale Kritik, die unheilvolle Allianz der Franco-Anhänger mit dem Klerus verschlägt einem noch heute die Sprache. Man will es einfach nicht glauben, dass damals Kirchen-Vertreter die Opfer von Lynch-Aktionen der Falangisten vor dem Mord noch mit den Sterbe-Sakramenten versehen haben, um dann den in ihren Augen völlig gerechtfertigten Massakern im Namen Christi ungerührt beizuwohnen. Die Inquisition konnte kaum schlimmer gewesen sein. Erstaunlich ist, wie schnell das Aufbegehren der Kleinbauern gegen die scheinbar unverrückbaren Privilegien der Großgrund-Besitzer wieder abbricht. Man ist konservativ bis in die Knochen, auch was die prekäre eigene Rolle im sozialen Gefüge anbelangt. Eigentlich mag man ja gar keine Veränderungen, schon gar keine Revolution.

Dieser Roman wirkt formal ziemlich holzschnittartig mit seinen stark überzeichneten Figuren, derer bäuerlich einfältige Prägungen mit ihrer derben Ausdrucksweise zusammenpasst. Die wird dann immer wieder von den theologisch durchdrungenen Schriften eines Intellektuellen wie Georges Bernanos konterkariert. Die mündliche Rede schwankt permanent zwischen primitiver Grobheit und intellektuellem Feingefühl. Zusätzlich wechseln auch noch ständig die Erzähl-Perspektiven, was dann, nicht nur wegen der fehlenden Zeichensetzung, oft schwer durchschaubar wird. Da spricht einerseits ja die senile Mutter, also die mehr als neunzigjährige Montse, dann die ihr zuhörende und sie (in Klammern eingefügt) zuweilen korrigierende Tochter als Bericht-Erstatterin, und ferner auch noch der in langen, grafisch abgesetzten Zitaten ebenfalls mit einbezogene, katholizismus-kritische Schriftsteller mit seiner unverhohlenen Wut auf die bigotte Amtskirche. Störend sind zudem die vielen Einsprengsel in spanischer Sprache, die zwar im Glossar übersetzt werden, die aber den Lesefluss erheblich stören. Bleibt also als Benefit eine Geschichts-Stunde über den Spanischen Bürgerkrieg.

Fazit: mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Blessing München

K-Pop Confidential

Der Traum, ein Star zu sein

“Candace kann singen – und zwar richtig gut. Nur weiß kaum jemand davon. Genauso wenig wie von ihrer Begeisterung für K-Pop. Heimlich nimmt die 15-Jährige an einem Casting teil – und ergattert prompt einen Trainee-Platz bei der weltgrößten K-Pop-Schmiede in Seoul. Eine Riesenchance!

Doch die Ausbildung ist hart, mit strengen Regeln und unerbittlichen Trainern, die Candance an ihre Grenzen bringen. Und als sie YoungBae kennenlernt, den sie wegen des strikten Dating-Verbotes eigentlich nicht treffen darf, beginnt sie zu zweifeln. Kann sie sich selbst treu bleiben und gleichzeitig ein K-Pop-Star werden?” (Inhaltsangabe des Verlags)

Unmenschlicher Drill

Die in sich abgeschlossene deutsche Erstausgabe hat es in sich, und zwar in mehrerlei Hinsicht. Das Cover deutet es schon an: Das, was man in der Öffentlichkeit zu sehen bekommt, ist leichtfüßig und soll gute Laune verbreiten – damit die Kasse klingelt. Wie das Pink und helle Blau im Cover ist es aber nur ein Bruchstück dessen, was K-Pop ausmacht: Der größte Teil (im Cover dunkel bis schwarz) ist der harte Teil des Trainings eines Trainees und später des unter (Knebel-)Verträgen stehenden Pop-Stars, dem letztlich keine Rechte zugesprochen werden. Er gehört buchstäblich seinem Label und seinen Fans.

Die Trainingsmethoden kann man ungeschminkt als Folter bezeichnen: permanenter Schlaf- und Essensentzug sollen vordergründig fitte und schlanke Tänzer*innen hervorbringen, hintergründig sorgen sie aber durch den permanenten Hunger und die Erschöpfung für ein Verhalten, das Aufbegehren unmöglich macht. Ebenso das konsequente Anbrüllen und Entwerten der Trainees, das ihnen das Selbstbewusstsein rauben und sie zu widerstandslosen Puppen machen soll. Der Schlaf- und Essensentzug ist perfide und gesundheitsschädlich: Nur 4 Stunden Schlaf pro Nacht wird den Jugendlichen zugestanden! Den Rest des Tages (und der Nacht) verbringen sie mit Unterricht und stundenlangem harten Training. Und das angeblich gesunde Essen besteht (v.a. für die Mädchen) aus Ei und Süßkartoffeln zum Frühstück, in der harten Variante nur aus einer Süßkartoffel, weil gerade die Mädchen angeblich zu fett sind!

Das muss man sich mal vorstellen: Die sich im Wachstum befindlichen Jugendlichen (v.a. die Mädchen, die sich entwickeln und ihre Periode bekommen) verhungern wegen Mangelernährung vor aller Augen bei den wenigen Kalorien, die sie zu sich nehmen dürfen und die sofort durch das extrem harte Training wieder verbraucht werden! Die Jungen werden zwar auch nicht mit Samthandschuhen angefasst, scheinen aber trotzdem mehr Privilegien zu genießen als die Mädchen. Diskiminierung ist anscheinend Alltag in der K-Pop-Schmiede. Der Psychoterror, dem die Trainees permanent unterliegen, tut sein Übriges zu der alles andere als gesunden Arbeitsatmosphäre, bei der jedes Menschen- und Kinderrecht, allen voran das der Würde, gebrochen wird. Mir kamen beim Lesen unwillkürlich Vergleiche mit den Arbeitslagern der diversen Ideologien.

Dazu ein paar Zitate aus dem Buch:

“Obwohl ich in meiner ersten Woche bestimmt nicht mehr als drei Stunden pro Nacht geschlafen habe, kann ich eigentlich nicht behaupten, dass ich müde bin. Ein Gefühl der Panik versetzt mich ständig in höchste Alarmbereitschaft.”

“Mr Choi gibt uns das Gefühl, Puppen zu sein, mit denen er spielt.”

“Ich fühle mich so beurteilt. Grelle, heiße Scheinwerfer sind auf mich gerichtet, ein berühmter Modefotograf verweist auf meine Makel, mustert jede meiner Bewegungen und Gesichtsausdrücke. Keines der anderen Mädchen macht den Mund auf und Managerin Kong ebensowenig: Sie tippt auf ihrem Handy herum. Doch der Hauptgrund: Ich bin verdammt hungrig und erschöpft. Diese ganze Schönheitssession hat so lange gedauert, dass wir Mittag- und Abendessen haben ausfallen lassen, und ich bin kurz davor umzukippen.”

“Niemals würde sie sich anmerken lassen, dass ihr vom vielen Bleichen die Kopfhaut brennt, ihr von den Kontaktlinsen die Augen jucken und sie unter den vielen Schichten ‘Natural Look’-K-Beauty-Makeup aussieht, als hätte sie seit Wochen nicht geschlafen – denn das hat sie nicht.”

“Dann dämmert es mir: K-Pop ist kein bisschen anders als Hollywood; es ist immer die Frau, die die Konsequenzen tragen muss. One.Js Namen wird nicht von Hatern skandiert, aber QueenGirl musste sich auflösen. Für HyunTaek und RubiKon läuft alles weiter wie bisher, während Iseuls Kariere ruiniert ist und WooWee nur verzweifelte Versuche unternehmen kann, um zu überleben.”

Erinnern an die Menschenrechte

Candace’ Mutter, von der ihre Tochter anfangs wenig hält, die sich aber im Laufe des Romans als starke Frau entpuppt, gibt ihr die entscheidenen Worte mit auf den Weg:

“Wenn dich hier irgendjemand schikaniert oder verletzt, dann finde bitte einen Weg, es mir zu sagen.”

“Vergewissere dich, dass sie dich wie jemanden behandeln, der das Wichtigste in jemandes Leben ist. Denn das bist du.”

Daran hält sich Candace. Sie beobachtet das Ganze, macht es bis zu einen gewissen Grad auch mit, bis sie erkennt, dass man  andere Menschen so nicht behandeln darf und beschließt, ein solch menschenverachtendes System nicht mehr zu stützen. Damit ist sie Vorbild, um den Teufelskreislauf der “Hoffnungsfolter” (Hwemang Gomun) zu durchbrechen. Dieser Begriff meint, “dass die Hoffnung auf Erfolg aufrecht erhalten wird, einem aber immer mehr und mehr abverlangt wird, und man am Ende dennoch nicht weiß, ob man sein Ziel erreicht.” Auf dieser Hoffnungsfolter gründet das ganze ausbeuterische System der K-Pop-Industrie, das der Roman wunderbar offenlegt.

Durch die Figur von Candace verfolgen die Leser*innen bis ins Detail, wie die menschenverachtende K-Pop-Maschinerie funktioniert, wie sie am Laufen gehalten wird  – und wie sie gebrochen werden kann. Denn auch die Fans sind Teil der Maschinerie, die das System am Laufen halten.

Fazit

Der Verdienst dieses Buches: Es macht den dunklen Sumpf, die üblen Missstände (im Buch bildlich dargestellt durch die von der Außenwelt abgesperrte Trainee-Etage, die einem trostlosen Bunker gleicht) sichtbar, dem die Trainees und Idole (v.a  die weiblichen) permanent hilflos ausgesetzt sind. Die Hauptfigur Candace macht es vor, wie man sich verhalten sollte, wenn einem alle Rechte geraubt werden: Sie begehrt dagegen auf, prangert in aller Öffentlichkeit die Missstände an und steigt genauso öffentlichkeitswirksam aus.  Sie nutzt ihre Beliebtheit, die sie sich schon erworben hat, um für Menschlichkeit zu kämpfen. Candace’ Mutter ist ebenso mutig: Sie stellt sich wie eine kampfbereite Bärin vor ihre Tochter, als der wütende CEO ihr an den Kragen will. Die Branche verhält sich gegenüber Frauen und Mädchen diskriminierend und im Buch sind es (wie im wahren Leben) die Frauen, die Stärke beweisen.


Genre: Jugendroman
Illustrated by Carlsen Hamburg

Bauern, Land: Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang

Der Untertitel des Buches Bauern, Land: Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang von Uta Ruge verspricht viel, aber, um es gleich zu sagen, nach der Lektüre der 470 Seiten weiß ich wirklich mehr über Land, Leute und globale Zusammenhänge in der Landwirtschaft. Es gibt auch ein Glossar.

Uta Ruge wurde als Tochter eines gut bestellten Bauern auf Rügen geboren, die Familie floh, als die Höfe zu LPGs vergesellschaftet wurden. So bald wie möglich bewarb sich der Vater um einen freiwerdenden Hof in der Nähe der Nordsee und wurde Moorbauer. Es wird detailliert vom Aufwachsen auf dem Lande gesprochen, von langen Arbeitstagen und von Armut bei den Bauern. Zu den Berichten aus ihrer Kindheit heißt es im Klappentext: „Aber auch davon, wie man sich gegenseitig unterstützt und hilft und zusammen feiert, von dem Eifer der kleinen Kinder, die den Eltern zur Hand gehen und lernen, dass gegen Arbeit nichts hilft, außer sie zu tun.“

Dazwischen gibt es zeitgenössische Texte von den Zeiten, als Ackerland mühselig der Natur abgerungen wurde, in denen manche Bauern Leibeigene waren. Einzelschicksale aus allen Jahrhunderten werden dargestellt. Es gibt nicht nur Dokumente, auch Goethe kommt zu Wort. Und dazu gibt es eine Zitierweise, so als wäre dies eine wissenschaftliche Arbeit.

Der Aufbau ist so: nach einigen Kapiteln Erfahrungen kommen historische Details. Hier macht Geschichte Spaß: In der Schule hatte ich einen langweiligen Unterricht; es ging um Männer und Zahlen, hier geht es um Menschen und Zusammenhänge, also: wie sie lebten.

Nach etlichen Kapiteln im Wechsel zwischen Erfahrungen und Historie kommt ein „Zwischenspiel“, es werden vier: Mit ihrem Freund Krischan, der mit ihr aufgewachsen war, trifft sie sich und sie besprechen, wie die jeweiligen Epochen die Kunst prägten. Für Kunstausstellungen ist ihnen kein Weg zu weit und wir erfahren, dass auf Brueghels Bildern die Gemetzel der Kriegszeiten, in denen er lebte, zu erkennen sind. Am meisten beeindruckt sie Van Gogh, dessen Bilder muss ich mir daraufhin nun nochmal angucken …

Bruder Waldemar hat den väterlichen Hof geerbt, obwohl er jünger ist, ein bisschen gewurmt hat sie das schon, aber dafür hat und hatte sie ein bunteres Leben. Waldemar bewirtschaftet den Hof mit Anna und Sohn Hannes. Uta Ruge fährt mehrmals im Jahr hin und verfolgt so die Entwicklung. Natürlich führen verschiedene Lebensentwürfe zu  Wahrnehmungsunterschieden zwischen Städtern und Landwirten etwa zum Vermaisierungs-oder zum Wolfsblick.

Als Städterin und Leserin grün/ökologischer Schriften bin ich (die Rezensentin) gut informiert, wie wichtig die Rückkehr der Wölfe auf deutschen Landen wäre. Und dass Geschädigte Ausgleichzahlungen erhalten. Nun weiß ich, aus Gesprächen, die Frau Ruge mit Betroffenen führte, dass Bauern es anders sehen: Sie müssen Zäune errichten, dann beweisen (mit DNA Analysen), dass das gerissene Tier nicht etwa vom bäuerlichen Hofhund angegriffen wurde, und nur wenn der Zaun hoch genug ist, gäbe es Zahlungen. Zunehmend werden nicht nur Schafe und Ziegen, sondern auch Rinder gerissen, für sie wird es bald keine Weidehaltung mehr geben.

Zurück in die Vergangenheit: Eine weitere gute Quelle sind Jahresberichte der Dorflehrer, die über Jahrhunderte gesammelt wurden. Anfangs hielten die Bauern, so wie Krischans Vater, Lesen für Zeitverschwendung. Während des 2. Weltkriegs wurde die Schule geschlossen, und danach, als viele Flüchtlinge in den Dörfern untergebracht wurden, zeitweise über 60 Personen, gibt es als Beruf der Mütter: Witwe, oder auch Flüchtling. Irgendwann gibt es keine Chroniken mehr, 1957 hört der Lehrer auf, in dem Jahr, als es den ersten Trecker gab. Und dann wird auch die Zwergschule aufgelöst und die Kinder werden mit Bussen zur Schule gefahren, manche von weit her.

Wir lesen von den Reformen vergangener Zeiten, auch gescheiterten, etwa von den Bauernkriegen, bei denen Martin Luther auffordert, Bauern totzuschlagen „wie einen tollen Hund.“ Erstmalig habe ich verstanden, dass die napoleonische Besetzung obskure Macht- und Abhängigkeitsstrukturen der Bauern beendet hatte. Oder dass es Albrecht Philipp Thaer war, der in Preußen in Ansätzen die Landwirtschaft auf wissenschaftliche Basis gestellt hatte, die auch Reformen im russischen Zarenreich beeinflusst hatten. Auch was unter Lenin für Bauern geschah und wie Stalin das wieder zunichte gemacht hatte. Nicht so unbekannt waren mir die Weizenfelder im Mittleren Westen der USA, deren Ackerboden so ausgelaugt war, dass die Erde wegwehte und es zum Dustbowl wurde.

Nicht immer ist es mit diesen Plänen für größere Betriebe und großen Maschinenparks gelungen, die Erträge zu erhöhen, auf den Prärien im Midwest werden jetzt wieder Büffel eingeführt, in Russland ist der Aralsee versandet, mit dessen Wasser bewässert worden war.

Auch die GAP (Gemeinsame Europäische Agrarpolitik) versucht, Landwirtschaft möglichst groß zu machen, wir lesen über Sicco Mansholt, der sie betrieben hatte, später erkannte er, dass kleinere Betriebe eher eine Zukunft hätten.

Das 48. Kapitel 1970er Jahre
Mansholt ist gegen seinen eigenen Plan.
Die Bauern werden weniger, die Kühe mehr

ist das Ahaerlebnis: Nachdem Mansholt auf Steigerung der Produktion landwirtschaftlicher Produkte gedrängt hatte, gab es nun subventionierte Überproduktionen (Butterberg), die Mansholt von nun an verhindern wollte. Seine Vorschläge wurden verwässert, eine Zeit lang gab es Quoten, inzwischen müssen auch EU-Bauern versuchen, zu Weltmarktpreisen zu produzieren. Denn nur die zahlen die Lebensmittelketten.

Heute kann nur der Bauer überleben, der sich die neuesten Geräte anschafft, wahrscheinlich auf Kredit. Googeln Sie mal Melkroboter! Damit kann man etwa 60 Kühe täglich zweimal melken. Preis für neue auf Anfrage, ein fünf Jahre alter bringt es immerhin auf fast €140 000. Und das mit Erzeugerpreisen für Milchbauern, die schwanken, aber nie die 30 Cent pro Liter erreichen, die nach Hannes‘ Meinung den Bauern Sicherheit brächten.

Während ca. 100 Kühe, so wie Hannes sie hält, vor 10 Jahren noch ein Großbetrieb gewesen wären, spricht man heute von Großbetrieb bei mindestens 500 Kühen, die zweimal am Tage vier Stunden lang gemolken werden. Im Beispiel von rumänischen Gastarbeitern, die inzwischen ihre eigenen Stiefel und Schürzen bringen müssen, da sie sie gerne mitgenommen hätten, das wäre dem Besitzer zu teuer gekommen …

Beim letzten Zwischenspiel geht sie mit Krischan in die Domäne Dahlem, wo Städtern und vor allem deren Kindern gezeigt wird, wie schön es auf dem Land sein kann. In einem Saal, gesponsert von Lebensmittelkonzernen (!), erfahren sie, wie schön die Lebensmittel im Laden aussehen. Von den Mühen der Arbeit, oder auch nur von leidenden Tieren ist nichts zu sehen …

Wie sähe der Traummilchbauernhof aus, der nachhaltig Zufriedenheit schaffte? Frau Ruge und Krischan denken an etwa 50 Kühe, die könnte man ohne Hilfskräfte und ohne sich zu erschöpfen, als Bauernfamilie betreiben, wenn dann der Milchpreis stimmte.

Ich würde gerne mal zu so einem Zwischenspiel mitkommen, selbst wenn ich nichts sagen dürfte, nur Zuhören wäre sicher interessant …


Genre: Landwirtschaft, Politik und Gesellschaft, Umwelt
Illustrated by Verlag Antje Kunstmann

James Bond. 100 Seiten

25 James Bond wurden bisher abgedreht. Einer davon dem Publikum noch nicht gezeigt. Die Pandemie sorgte schon für eine zweimalige Verschiebung. Um das Warten auf die Veröffentlichung so angenehm wie möglich zu machen, hat der Reclam Verlag vorliegende 100 Seiten Fibel zum Agenten im Geheimauftrag seiner Majestät auflegen lassen. Der Autor, Wieland Schwanebeck, ist anglistischer Literatur- und Kulturwissenschaftler an der TU Dresden und lehrt und forscht u.a. zu Männlichkeit, Hochstapelei, Humor und britischer Filmgeschichte.

Skyfall und Fireball

Willing Suspension of Disbelief” nennt sich die Formel von Samuel Taylor Coleridge, der sich jeder Bond-Fan freiwillig ausliefert, denn nur wer seine Skepsis zurücksteckt wird den vollen Genuss haben. Die von Ian Fleming erfundene Kunstfigur bestreitet teilweise ja haarsträubende Abenteuer, das tut seiner Beliebtheit aber keinen Abbruch. Sogar ein literaturwissenschaftliches Prinzip komme bei Bond zur Anwendung: Tschechows Gewehr. Wenn im 1. Akt ein Gewehr über dem Kamin hängt, wird es spätestens im 3. Akt abgefeuert werden. Was aber nicht bedeutet, dass jeder Bond vorhersehbar wäre. Er folgt nur einer bestimmten Formel. Als größter bisheriger Bond-Blockbuster führt übrigens Daniel Craig die Liste mit „Skyfall“ (2012) an, gefolgt von „Fireball“ (1965) und „Spectre“ (2015). Was uns zu den Bond-Darstellern führt, die allesamt ja schon bekannt sein dürften. Neben dem eben Genannten und – wider Erwarten – wohl Erfolgreichsten waren dies Barry Nelson, Sean Connery, George Lazenby, Roger Moore, Pierce Brosnan, Timothy Dalton. Schwanebeck erzählt von jedem dieser Bonds die Höhe- und Tiefpunkte und verrät einige der bestgehüteten Geheimnisse von 007.

Eye-Candy oder doch Kunst?

Eine Liste aller kuriosen Premieren und Momente in der Bond-Reihe hat Schwanebeck ebenso unter seinen Text gemischt, wie viele weitere andere interessante Infografiken. Dass Bond auch etwas von dem antiken Helden Odysseus hat und Moneypenny seine Penelope sein könnte ist aber nur eine von vielen Erklärungen seines Erfolgs. Die Bond-Formel ist in jedem Fall ohnehin unverwüstlich. Der Autor bezeichnet sie auch als Baukastenprinzip. „Die Bond-Filme müssen nämlich nicht nur das Kunststück vollbringen, eine zumeist vorhersehbare Geschichte auf spannende Art und Weise zu erzählen, sondern auch noch den Markenfimmel der literarischen Vorlagen in eine malerische Galerie der Schauplätze und Luxusgüter übersetzen“, Eye Candy würden das die Anglophilen nennen, also „Naschkram fürs Auge“, wie der Übersetzer es nennt. Was uns dann auch zum vermittelten Frauenbild der Bonds bringt, denn bis Eva Green als Vesper Lynd, gab es noch keine wirklich starke Frau in einem Bond, die nicht den herkömmlichen Frauenidealen (Stichwort: Eye-Candy) entsprach. Ganz zu schweigen vom vermittelten Rassismus natürlich.

Aber auch James Bond hat sich mit den Jahren verändert. Bald schon wird ohnehin der neue Bond erscheinen. Sein Titel: No time to die. Bis dahin haben wir aber wohl noch More time to die, wie Spötter schon bei der zweiten Verschiebung verlauten ließen.

Wieland Schwanebeck

James Bond. 100 Seiten

Broschiert. Format 11,4 x 17 cm

100 S. 15 Abb. und Infografiken

ISBN: 978-3-15-020577-8

10,00 €

Reclam  Verlag


Genre: Krimi, Thriller
Illustrated by Reclam Verlag

Stilles Venedig

Stilles Venedig. Ein seltenes Privileg wurde den beiden französischen Publizisten Luc und Danielle Carton, die seit 2005 in der Serenissima leben, zuteil. Sie erlebten die schönste Stadt der Welt ohne Touristen. Und beinahe auch ohne Bewohner.

Venedig: Fotos wie Illusionen

Während der Ausgangsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie im März, April und Mai 2020 war Venedig wie viele andere Städte menschenleer. Vermutlich das erste Mal in seiner langen Geschichte, die 2021 übrigens mit der 1600 Jahr Feier gewürdigt wird. Luc und Danielle Carton haben die Stadt in ihren Sestieri (Sechstel) besucht und bei langen Spaziergängen und einem herrlichen Licht für die Nachwelt festgehalten. Denn eines ist klar: dass man Venedig einmal so menschenleer sieht, das würde einem später, in der Zukunft, niemand mehr glauben. Die Fotografien, die sie in vorliegender Ausgabe im Format 21.5 x 28 cm mit ihren Leserinnen und Lesern teilen, sind für die Ewigkeit. Das Licht ist so wie es an einem Frühlingstag nur in Venedig sein kann: strahlend blauer Himmel und starke Konturen bei den Gebäuden, die das Dreidimensionale sogar noch betonen und scheinbar extra stark (aus dem Wasser) hervorholen. Venedig war ja schon seit jeher eine Augenweide, aber in vorliegendem Fotoband betritt man einen Märchenpalast, dessen einzig der Himmel würdig ist ein Dach zu geben.

Momente des Glücks im Stillen Venedig

Die Ausflüge führen uns also nach San Marco, Dorsoduro, Santa Croce, San Polo, Castello und Cannareggio. Die Giudecca, die zu Dorsoduro gehört, aber auch andere Inseln wurden allerdings ausgelassen, das heißt es geht wirklich ausschließlich um das, was Venedig ausmacht. „Wertvolle Momente des Glücks“, schreiben die beiden in ihrem Vorwort, „in denen das Unmögliche und das Unvorstellbare Wirklichkeit wurden: Venedig ganz für sich allein sehen und haben, wie in unseren verrücktesten Träumen. Venedig, wie wir es uns nie vorzustellen gewagt hätten“. Wer Venedig also schon länger einmal besuchen wollte, der kann es während der Pandemie mit vorliegendem Bildband tun. Denn so viel Venedig war noch nie in einem Venedig-Buch, schließlich sieht man auf den Bildern ausschließlich Gebäude und das Wasser, keine Menschen oder Tiere und vor allem keine einzige Taube. Venedig – wie Sie es noch nie gesehen haben! Eine einzigartige Reportage.

Luc & Danielle Carton

Stilles Venedig

2021, Hardcover, 192 Seiten, Maße: 21.5 x 28 cm

ISBN: 978-2-36195-485-7

€ 35,00 [D] € 36,00 [A] 47.90 CHF

Jonglez Verlag


Genre: Städte
Illustrated by Jonglez Verlag

DAVE

In ihrem zweiten Roman «DAVE» entwickelt die österreichische Schriftstellerin Raphaela Edelbauer eine verstörende Dystopie, bei der es um Künstliche Intelligenz geht. Die gigantisch angewachsene Menschheit erhofft sich mit Hilfe eines Supercomputers, der technisch alles Dagewesene bei weitem übertrifft, den selbst verursachten Zusammenbruch aller Lebens-Grundlagen zu überwinden. Was diesen Roman aus der Masse von Science-Fiction heraushebt, ist eine in jeder Hinsicht eigenwillige, alle narrativen Konventionen sprengende Sprache, in der da erzählt wird. Damit wird eine hohe Hürde aufgebaut, an der viele Leser scheitern dürften.

DAVE also soll’s richten, und zwar mit Hilfe der KI. Tausende von Nerds schuften in einem streng von der verwüsteten Außenwelt abgeschirmten Entwicklungs-Zentrum wie Sklaven. Auch Syz, 28jähriger Ich-Erzähler der Geschichte, produziert als kleines Rädchen im Getriebe Scripts am laufenden Band. Er schläft nur wenige Stunden, den Rest seiner Zeit sitzt er vor dem Computer. Oder redet mit seinen Freunden, und zwar immer wieder nur über technologische Probleme. In dieser elitären Denkfabrik nun bildet DAVE den Mittelpunkt, eine gottähnliche Maschine, die demnächst den Menschen an Intelligenz weit übertreffen wird und in ihrer Allmacht alles steuern kann, sogar bis tief ins Universum hinein. Man ist in einer Entwicklungsphase angelangt, wo die noch vorhandene Limitierung des Superhirns durch das Einspeisen von menschlichen Emotionen überwunden werden soll. Die muss DAVE sich nach und nach in einem Selbstlern-Prozess einverleiben, um nach diesem Muster sein eigenes Bewusstsein zu entwickeln. Und Syz ist der Auserwählte, dessen Ego in diesen Computer integriert werden soll. Er berichtet nun in endlosen Nacht-Sitzungen von seinen Erfahrungen, Erlebnissen, Ängsten, Empfindungen, – quasi von allem, was mit dem Menschsein korreliert, und all das wird der Maschine unentwegt einprogrammiert. Es gibt aber zwei Störfälle, die das Ganze ins Wanken bringen. Syz verliebt sich, was in dieser aberwitzigen Techno-Welt nicht vorgesehen ist, und ihm kommen Zweifel an den Hintergründen für das gigantische Projekt und an seinen unbekannten Nutznießern.

Die Autorin baut viele existenzielle Fragen ein in ihre surreale Geschichte, sie arbeitet mit literarischen Verweisen, es gibt aber auch diverse popkulturelle Anspielungen, die allenfalls Eingeweihte verstehen. Besonders krass stürmt das gleich am Anfang auf den Leser ein, er wird mit Neologismen, absurdem Fachjargon und akademisch abgehobenem Vokabular regelrecht zugeschüttet, alles völlig sinnfrei. Die narrative Form des unzuverlässigen Erzählers trägt zusätzlich zur Verwirrung bei, es ist eiserner Wille erforderlich, um da weiter durchzuhalten. Denn auch eine Handlung, die einen gewissen Lesesog erzeugen könnte, ist nicht mal ansatzweise vorhanden. In dieser durchgeknallten Nerd-Welt begegnet man fast ausnahmslos zombiehaften Figuren, die keinerlei Empathie zu wecken vermögen mit ihrem an Roboter erinnernden Habitus. Überlagert ist dem allen eine Tristesse, die in einer allmächtigen digitalen Klassengesellschaft begründet ist, deren diktatorischen Triebkräften der Romanheld irgendwann nicht mehr traut.

Raphaela Edelbauer, die in Wien Sprachkunst studiert hat, arbeitete mehr als zehn Jahre an diesem Roman, wie sie im Interview erklärt hat, zweimal habe sie ihn umgeschrieben. Bei ihr sind dann auch schon mal «belatzhoste» Arbeiter am Werke, für Sprachkunst ja durchaus exemplarisch! Was da als Science-Fiction geboten wird, überwindet nicht nur mühelos die Grenzen von Zeit und Raum, sondern auch die der Erzählinstanzen, man ist immer wieder im Zweifel, ob da noch ein Erzähler spricht oder schon der Computer selbst. Denn bald, wird behauptet, könnten ja die Computer schon ganze Romane schreiben. Spätestens dann aber muss ich mir ein neues Steckenpferd suchen, die Literatur also an den Nagel hängen und eine Computersprache lernen, – zum Beispiel.

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Klett-Cotta Stuttgart

Artgerechte Ernährung – Das Kochbuch

Artgerechte Ernährung Kochbuch

Essen als Medizin

Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl schreibt (nach jahrzentelanger Erfahrung und auf zahlreiche Studien gestützt), dass “die meisten Krankheiten verhindert, gelindert oder geheilt werden können, wenn wir die Ernährung als Schlüsselelement in der Therapie begreifen. In dem Moment, in dem sie artgerecht und auf die Bedürfnisse unseres Stoffwechsels angepasst sind, wird unser Essen zur Medizin[…] Es lohnt sich! Selbst im mittleren Alter können durchaus 10-15 Jahre längeres Leben im besseren Gesundheitszustand für Sie hinzukommen.”

Falsche Ernährung begreift er nach Hippokrates als Hauptursache von Krankheiten. Fast jede*r dritte Deutsche sei zu dick. Fast 80% aller Krankheiten seien durch ein Verhalten erworben, dass den Bedürfnissen des  Stoffwechsels widerspricht. Bei Krebs seien es schon fast 40%. Industriegefertigte Nahrung ist mit den Suchtstoffen Zucker und Salz viel zu stark versetzt. Zu viele ungünstige Fette und Zusatzstoffe machen die Sache nicht besser, ebenso das Snacken von Ungesundem, Diäten mit Jojo-Effekt, Bewegungsmangel und vieles Sitzen. Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebserkrankungen sind die Folge.

Empfohlene Maßnahmen:

  • (Grobe) Orientierung am BMI
  • sichere Eigendiagnose: Bauchumfang und Hüftumfang
  • Lernen von den gesündesten Ländern der Welt (hochwertige Lebensmittel, darmfreundliches Essen, wenig Fleisch am besten von Weidetieren, gesunde Fette, gemüsereiches Essen, viel Bewegung, Fisch aus nachhaltigem Fang, Bildung, saubere Umwelt, gemeinsame Mahlzeiten, bestens ausgestattetes Gesundheitssystem…)
  • “Die Grundlage aller Mahlzeiten bilden neben viel gesunden Ölen überall Gemüse und eher zuckerarmes Obst mit einer geringen Energiedichte, dafür aber einer hohen Nährstoffdichte.” => Beurteilung von Lebensmitteln nach ihrer Wirkung auf den Blutzuckerspiegel
  • langsam und genussvoll essen => Sättigungsgefühl nach ca. 20 Minuten
  • viel Wasser trinken
  • Grundregel Kohlenhydrate: “Gemüse muss, Kartoffeln und Co. können gegessen werden, denn sie sind zum Verbrennen da. Wer sich also wenig bewegt, braucht sie nicht, denn Gemüse, Obst und sogar Fleisch enthalten genug Kohlenhydrate.”
  • regelmäßige Entspannung
  • Hülsenfrüchte als Grundnahrungsmittel

Das Buch bietet viele weitere Tipps und Zusatzinfos zum gesunden Essen.

 

Infoteil und Kochbuch

Das Buch ist aufgeteilt in einen Informationsteil, in dem der Autor ausgehend von seinem anderen Buch “Artgerechte Ernährung”, das die vorgestellten Tipps ausführlicher behandelt, Ursachen und Krankheitsbilder erklärt und wie man ihnen mit einer gesunden Lebensweise und v.a. gesundem Essen entgegenwirkt oder schon vorhandene Krankheiten abmildert.  Der Infoteil ist aufgrund des schon erschienenen Buches kurz gehalten, vemittelt aber trotzdem anschaulich und verständlich die wichtigsten Ernährungsfallen und Ernährungstipps.

Mir kam beim Lesen des Buches immer wieder der Gedanke, den evtl. auch andere Haustierbesitzer*innen haben: Es gibt so viele Tipps für die artgerechte Haltung und Ernährung unserer Haustiere, aber wir selbst halten uns aufgrund von Bequemlichkeit oder Zeitmangel selbst wenig an unsere eigene artgerechte Ernährung… Andererseits machen viele das nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können. Zeitmangel, Erschöpfung wegen Überlastung, wenig Geld und damit der Griff zum günstigen “Dosenfutter” oder der Gang zur mittäglichen Kantine (weil keine Zeit, in der halbstündigen Mittagspause zu kochen) torpedieren gesundes Essen nachhaltig.

Trotzdem gilt: Essen kann nicht nur krank, sondern auch gesund machen.

Der Rezepteteil nimmt den größten Umfang des Buches ein. Er ist aufgegliedert in “Artgerecht frühstücken”, “Artgerechte Hauptgerichte”, “Artgerechte Desserts und Snacks” und “Artgerecht trinken”. Die Rezepte enthalten immer Infos zum heilenden Gehalt bestimmter Zutaten. Die Rezepte sehen schmackhaft aus, für mich sind sie es im Großen und Ganzen auch (allerdings bin ich auch offen für Neues), meinem 9-jährigen Sohn schmecken sie eher nicht. Da habe ich zum Glück andere gesunde Rezepte, die ihm eher munden. Familiengerechte Rezepte, die auch Kindern schmecken, wären für dieses Buch empfehlenswert.

Um ehrlich zu sein müsste sich jemand, der bisher v.a. von Fertigessen und Fast Food gelebt hat, radikal umstellen, auch von seinen Geschmacksnerven her. D.h. es gibt eine Gewöhnungsphase an das neue Essen, die erst einmal durchgehalten werden muss. Ich persönlich würde empfehlen, das alte mit dem neuen Essen übergangsweise zu vermischen und immer mehr auf gesunde Alternativen umzusteigen, um den Übergang sanfter zu gestalten. Es gibt auch andere Kochbücher und Kochkurse für gesundes und schmackhaftes Essen, die einem vielleicht mehr zusagen.

Die Rezepte selbst sind ausgelegt für 2 Personen, wobei große Leute wie ich schon fast das 2-Personen-Rezept allein packen. Die Zubereitungszeit ist etwas optimistisch, man sollte schon ein paar Minuten mehr dazurechnen, denn die Zutaten müssen erst einmal rausgesucht und geschnitten werden. Natürlich wird bio empfohlen; wer es sich leisten kann, sollte auch bio kaufen. Da liegt aber wieder der Hund begraben: Für die Menschen, die es wohl am meisten betrifft, ist gesundes Essen nicht gerade günstig…

 

Fazit

Übersichtliches, anschauliches, informatives Buch mit zwei Teilen: Infoteil und Rezepteteil, wobei Letzteres den Großteil des Buches ausmacht. Die Rezepte sind Geschmackssache. Eine gewisse Offenheit für neue Geschmackserlebnisse wird vorausgesetzt, ebenso wie ein Geldbeutel, der sich die Zutaten leisten kann, und die Zeit, die man zum Kochen benötigt.

Hauptbotschaft: Essen kann nicht nur krank machen, sondern auch heilen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das stimmt. Von daher ist ein Umstieg auf gesunde Ernährung und das Wissen dazu, das auch in diesem Buch vermittelt wird, in jedem Fall empfehlenswert.


Illustrated by Weltbild

Vom Schwimmen in freien Gewässern

Wie das Leben halt so spielt

Der zweite Roman von Katia Bohlander-Sahner betont mit seinem auf dem Cover wunderbar treffend illustrierten Titel «Vom Schwimmen in freien Gewässern» auf das Uneingeengte hin, das einen richtigen See vom Schwimmbad unterscheidet. Diese Thematik ist hier angewandt auf die Geschichte eines Mannes, der nach einigen familiären Schicksals-Schlägen seine große Liebe trifft und damit plötzlich und unfreiwillig aus seinem bis dato eingeengten Alltagstrott gerissen wird. Als Neuerscheinung birgt dieser Roman einiges an Unterhaltungs-Potential und müsste eigentlich schon auf der Spiegel-Bestsellerliste stehen.

Rolf Naumann, 59jähriger, verwitweter Lehrer aus Hirzweiler, lernt eine faszinierende Studentin kennen, beide fühlen sich magisch zueinander hingezogen. Sie landen schon bald im Bett und erleben rauschhaften Sex. Elaine ist 25 Jahre jünger als er, und nach der ersten Nacht stellt er verwundert fest, dass er noch nicht mal ihren Nachnamen weiß. Sie gibt nur wenig von sich preis, ein Geheimnis umgibt sie. Rolf ist eher ein langweiliger Typ, der ein eintöniges Leben führt. Als beliebter Lehrer ist er zwar ortsbekannt, CDU-Mitglied, emsiger Gärtner, ehrenamtlicher Bademeister im örtlichen Schwimmbad und Mitglied der Wasserball-Mannschaft, familiär aber ist er sehr einsam. Sohn Jerome ist zum Entsetzen der Eltern als 16Jähriger einfach aus dem Elternhaus verschwunden und seither unauffindbar. Vor zwei Jahren hat Rolf dann seine Frau bei einem tragischen Verkehrsunfall verloren. Und auch Tochter Anni wohnt nicht mehr bei ihm, sie arbeitet in Paris und kommt selten zu Besuch.

Elaine wirbelt nun alles durcheinander, die ehemalige Hamburgerin lebt unter falschem Namen in einem Zeugenschutz-Programm, sie musste abrupt sämtliche Brücken hinter sich abbrechen. Rolf wird voll mit in die turbulenten und gefährlichen Ereignisse um Elaine hineingezogen. Sie muss, kaum dass sie sich kennengelernt haben, für zwei Monate wieder nach Hamburg zurück, um dort ihre Scheidung durchzufechten und dann auch als Kronzeugin im Mordprozess gegen eine osteuropäische Schlepperbande auszusagen. Man trachtet ihr nach dem Leben, sie wird in der Stadt vom Auto angefahren und soll auf Anraten der Polizei mit neuer Identität im Ausland erneut untertauchen. Jerome hat sich in Italien durchgeboxt und dort sein Glück gefunden. Er hat seinen Traumberuf als Schreiner ergriffen, ist inzwischen selbst Vater und arbeitet als Restaurator im eigenen Betrieb. Seine Geschichte ist sehr abenteuerlich, sie erinnert an ähnliche Ausreißer-Figuren in der Literatur, die unbeirrt, allem Widrigkeiten zum Trotz, ihrem unbändigen Freiheitsdrang gefolgt sind.

Mit einer angenehm lesbaren Sprache und in vielen stimmigen Dialogen werden in diesem Roman zwei Lebensgeschichten gegenübergestellt. Während der angepasste Normalbürger Rolf in ungeahnte Turbulenzen gerät und sein Leben nie für möglich gehaltene Wendungen nimmt, hat sich sein Sohn Jerome dem Diktat der Eltern für ein Akademikerleben durch Flucht entzogen und sein Schicksal selbst in die Hand genommen. Der genügsame Rolf ist der Getriebene, auf den die Dinge zulaufen, Jerome hingegen weiß, was er will, und erkämpft sich hartnäckig sein Glück. Der Leser erlebt eine facettenreich erzählte, manchmal fast schon zu vielschichtige Zeitreise, die durch ihre Realitätsnähe besticht. Die Figuren sind lebensecht und einfühlsam beschrieben, sie sind glaubwürdig, aber psychologisch nicht gerade tiefschürfend charakterisiert. Nach einem leider etwas zu süßlichen Happy End im Jahre 2019 eröffnet sich in den letzten beiden Kapiteln unter der Überschrift «In den folgenden Jahren» überraschend eine Zukunfts-Perspektive. Man stolpert zuerst über die Jahreszahl 2022, als in Hirzweiler Rolfs bester Freund und Helfer stirbt, und schaut dann auch in eine sogar noch fernere Zukunft, wo sich am Ende für die nunmehr fünfzigjährige Elaine unerwartet eine neue Liebe andeutet, – wie das Leben halt so spielt!

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by Edition Schaumberg

Dann schlaf auch du

Keine einfachen Wahrheiten

Die gebürtige Marokkanerin Leïla Slimani hat mit ihren zweiten Roman «Dann schlaf auch du» – als jüngste Preisträgerin bisher – 2016 den in Frankreich hoch angesehenen Prix Goncourt gewonnen. Es dreht sich, wie schon in ihrem ersten, ebenfalls erfolgreichen Roman, um das Thema Frausein und Muttersein in der modernen Gesellschaft. Mit ihrem knallhart an den Beginn gesetzten ersten Satz «Das Baby ist tot» nimmt sie das Unerhörte vorweg, ein an Musils «Strudelhofstiege» erinnernder, dramaturgischer Kniff, der dann auf den folgenden knapp drei Seiten einen Lesesog erzeugt, dem man sich bis zum Ende kaum noch entziehen kann.

Erzählt wird die Geschichte eines Paares Anfang dreißig in Paris, das nach dem zweiten Kind versucht, Karriere und Familie gleichermaßen zu optimieren. Paul ist als Musikproduzent häufig auf Reisen, Myriam hat der Kinder zuliebe bisher auf eine Karriere als Juristin verzichtet. Als ein ehemaliger Studienfreund ihr eine Stellung in seiner Kanzlei anbietet, ergreift sie die einmalige Gelegenheit, dem Alltagstrott als Mutter zu entkommen, nachdem sie eine perfekt scheinende Kinderfrau engagieren konnte, die Mitte vierzigjährige Louise. Und in der Tat hat sie das große Los gezogen, die Kinder sind begeistert von der neuen Nanny, die sich als Inkarnation von Mary Poppins erweist. Zudem bringt Louise bienenfleißig auch die chaotische Wohnung der jungen Eltern auf Vordermann und kann wunderbar kochen, eine geradezu ideale Konstellation, alle sind zufrieden. Sie hält schon bald die Fäden in der Hand und macht sich unentbehrlich für die kleine Familie, nicht lange, dann fahren sie sogar gemeinsam in den Urlaub mit ihrer inzwischen auch zur Haushälterin gewordenen ‹Perle›. Besser kann es gar nicht laufen, scheint es ihnen, – nur der Leser weiß es besser!

Nach und nach erst erfährt man dann in einigen Rückblenden von der Vorgeschichte der Nanny. Deren nichtsnutziger Mann ließ sich jahrelang von ihr durchfüttern und hat ihr bei seinem frühen Tod auch noch einen Berg von Schulden hinterlassen. Die missratene Tochter hat sich im Streit früh aus dem Staub gemacht und den Kontakt zur Mutter völlig abgebrochen. Louise vegetiert nun in einer winzigen, möblierten Wohnung dahin, ihre nur noch Rechnungen und Mahnungen enthaltende Post öffnet sie nicht mehr, auch die Miete ist schon lange rückständig. Die immer adrett und pieksauber auftretende Frau, die alles perfekt im Griff hat, verbirgt geschickt ihre prekäre Situation vor ihren familiären Arbeitgebern. Die einsame Frau offenbart sich auch niemand anderem in ihrer Not, und das Ehepaar ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auch nur das Geringste zu merken von der Verzweiflung ihrer Nanny.

Der Roman, für den es gleich mehrere authentische Vorlagen gibt, beschreibt sehr eindringlich, wie sich die Verzweiflung von Louise immer mehr steigert, weil sie kommen sieht, dass sie mit dem Älterwerden der Kinder schon bald entbehrlich sein wird. Ein von ihr erträumtes drittes Kind will sich nicht einstellen, eine Zeitlang hat sie sich an diese Hoffung geklammert wie eine Ertrinkende an den Strohhalm. Ihre Angst nimmt wahrhaft groteske Züge an, die soziale Kluft zwischen ihrer zutiefst prekären Lage und dem wohlgefälligen Leben als geliebte Nanny ist aberwitzig, innerlich zerrissen sieht sie irgendwann keinen Ausweg mehr. Leïla Slimani enthält sich jedweder psychologischen Deutung des Geschehens und seiner Vorbedingungen. Ihre holzschnittartige Figuren-Zeichnung trägt zum Verständnis leider wenig bei, die emotionale Tiefe fehlt, und auch der Plot erscheint in mancherlei Hinsicht kaum plausibel. Die Autorin bleibt vielmehr als Berichterstatterin diskret im Hintergrund und lässt die Fakten für sich sprechen. Das im Buchtitel anklingende, sanfte Wiegenlied jedenfalls mutiert in diesem bedrückenden Roman zum reinen Horror. Kein Wunder also, dass der brisante Stoff, in dem es einfache Wahrheiten nicht gibt, inzwischen auch verfilmt wurde.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Luchterhand

Die Wahrheit über Eva: Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern

Abbildung von Schaik / Michel | Die Wahrheit über Eva | 2. Auflage | 2020 | beck-shop.de

“Evalution” und Beginn der toxischen “Patrix”

Die Autoren Carel van Schaik (Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe) und Kai Michel (Historiker und Literaturwissenschaftler) haben sich zusammengetan, um den Ursachen der mittlerweile jahrtausendealten Genderungerechtigkeit auf die Spur zu kommen. Herausgekommen sind – kurz zusammengefasst – folgende Erkenntnisse des 701 Seiten starken Buches:

  • in 99% der Evolutionsgeschichte der Menschen gab es keine Diskriminierung der Frau (ganz im Gegenteil!) – die bildete sich trotz erbitterter Widerstände erst in den letzten Jahrtausenden heraus (was in der Geschichte der Menschheit einen Wimpernschlag bedeutet)
  • die Jäger- und Sammlerkulturen waren auf das lebensnotwendige Zusammenarbeiten der Geschlechter angewiesen; sie konnten sich Diskriminierung nicht leisten => egalitäres System mit großer Wertschätzung der Frauen
  • die Frauen sorgten in den Jäger- und Sammlergesellschaften für die Basisernährung: Essbares sammeln und Jagen mindestens kleiner Tiere; die Männer sorgten für das Großwild, das sie erbeuteten (oder auch nicht) => wenn sie es erbeuteten, erwarben sie Reputation; um die Reputation aufrecht zu erhalten, mussten sie ihr Erjagtes großzügig mit dem Stamm teilen (Horten von Eigentum war unmöglich)
  • Männer vom Schlage der vergangenen und gegenwärtigen Diktatoren, Despoten und Machos waren in den Stammesgesellschaften nicht gern gesehen, sie wurden diszipliniert; wenn das nicht reichte, wurden sie ausgeschlossen oder getötet => solche Männer schadeten dem Wohl des Stammes und waren damit untragbar
  • sozial gesinnte Männer wurden von den Frauen für die Paarung gern genommen => die Männer halfen den Frauen im Gegenzug bei der Erziehung der Kinder und teilten mit ihnen ihre erbeutete Nahrung, was sehr gute Voraussetzungen waren für die Versorgung der Kinder und damit der Entwicklung des menschlichen Hirns (wären die Menschenaffenfrauen alleinerziehend gewesen wie bei den heutigen Menschenaffen, würde es heute aufgrund der fehlenden Hirnentwicklung keine Menschen geben!); heute wird fehlende Hilfe bei der Versorgung der Kinder und die daraus resultierende Erschöpfung der Frau ungerechtfertigt pathologisiert
  • Frauen, die das soziale Netzwerk der Hilfe des Mannes und ihrer Verwandten nicht hatten, zogen das geborene Kind nicht auf => Ressourcen der Frauen waren dafür zu knapp und wurden anderweitig gebraucht
  • die ganzheitliche, inklusive Religion der Frauen nützte allen – sowohl Frauen als auch Männern – in ihrem (schwierigen) Alltag; Frauen waren gesellschaftlich und spirituell hoch angesehen, auch als Heilerinnen (Religion von unten)
  • die Religion der Männer wurde exklusiv und damit eine Religion von oben (Herrschaftsreligion): Göbekli Tepe bildete den Anfang mit seinen aggressiven Darstellungen von tierischen Waffen und erigierten Penissen; Ausschluss der Frauen => Anfänge der “toxischen Männlichkeit”
  • Sesshaftwerdung als umfassende Katastrophe für das egalitäre System: um die Gemeinschaft in Hungerzeiten zu ernähren, griffen die Frauen auf die arbeitsintensive und mühsame Verarbeitung von Grassamen zu Nahrung zurück und sicherten so das Überleben – zu ihrem eigenen Nachteil
  • diese o.g. Überlebensstrategie in Verbindung mit der Sesshaftwerdung bezahlten die Frauen bitter: mehr Arbeit, erhöhte Geburten- und damit Sterberate der Frauen => intensive Arbeitsbelastung durch Nahrungsanbau und -verarbeitung und Kindererziehung, sowie ständige Schwangerschaften und Geburten schwächten die Frauen; geringere Lebenserwartung der Frauen um ca. 2 Jahre, während die der Männer um ca. 2 Jahre stieg
  • die Männer verloren mit der Sesshaftwerdung ihre Reputation als Großwildjäger (s.o.) => neue Reputationsmöglichkeit: Umschwenken auf Raubzüge und das Jagen von Menschen => Krieg und Herausbildung des toxischen Kriegerethos, Ausbildung exklusiver (= alle anderen ausschließender) Männerbünde
  • durch das Sesshaftwerden konnte Besitz angehäuft werden => Verteidigung des Besitzes wurde notwendig => Männer schienen für diese Aufgabe besser geeignet
  • Beginn der ungerechten Besitzverteilung => Herausbildung von Hierarchien mit despotischen Herrschern, die ihre Macht mit riesigen Frauenharems unterstrichen => Frauenmangel bei der übrigen Bevölkerung => Frauenraub
  • das frühere System, dass der Mann zur Frau zog, wurde ersetzt durch das System, dass die Frau zum Mann zieht (s.o. Verteidigung des Besitzes) => Ausgleich der fehlenden Arbeitskraft der Frau durch einen Brautpreis und damit einher gehend die allmähliche Verdinglichung und Entwertung der Frau als Mensch; außerdem wurde sie so ihrer sozialen Netzwerke und insgesamt ihrer sexuellen Freiheit beraubt, um die männliche Erblinie sicherzustellen
  • die Religion von oben (v.a. die monotheistischen Religionen) bekämpft erbittert die Religion von unten und trägt bis heute zum Patriarchat entscheidend bei
  • Jesus war ein Frauenfreund und von Frauen Gesalbter (christos = Gesalbter) und trat (im Sinne der Jäger und Sammler) für Egalität und Diversität ein => das Christentum paulinischer Ausprägung wurde seines Ursprungs entfremdet, an patriarchale Systeme angepasst (Griechen, Römer) und hatte somit nicht mehr viel mit den von Jesus gepredigten Werten gemein (Vermutung der Autoren, dass das ursprüngliche Christentum ausgestorben ist) => Dämonisierung der Religion von unten und damit übelste Dämonisierung der Frau und der Sexualität der Frau bis hin zu den Hexenverfolgungen; Übertragung der männlichen sexuellen Triebhaftigkeit auf die Frau, die damit zum unverschuldeten Sündenbock für mangelnde männliche Kontrolle über deren eigene männliche Sexualität wird (Auswüchse des Zölibats)
  • Eva muss jahrtausendelang als Sündenbock für die angebliche Sündhaftigkeit der Frau und deren damit einhergehende Unterdrückung und Entwertung bis hin zur Entmenschlichung herhalten => ugaritischer Ausgangsmythos, den die biblische Paradiesgeschichte für patriarchalische Zwecke umdeutete und zweckentfremdete, schrieb der Frau eine menschenrettende Rolle zu; Eva stammt exegetisch gesehen von “hawwah” (Titel, der bereits für Göttinnen wie Aschera benutzt wurde)
  • “Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen: Wir haben es mit keiner schlagartigen Revolution zu tun, sondern mit einem langen, sich selbst verstärkenden Prozess.” Und diesen Prozess nennen die Autoren “Patrix”, abgleitet von dem Film “Matrix”, um die vielen Schleier zu verdeutlichen, hinter denen das Patriarchat die egalitären und frauenfreundlichen Ursprünge versteckt und seine eigene Ideologie als die einzig Wahre und angeblich von Gott oder der Biologie gewollte Ordnung darstellt; der Ursprung aber sind weibliche Gottheiten und die Biologie ist nur als Anlage von Möglichkeiten zu begreifen, die nicht genutzt werden müssen; Kultur dagegen ist – mithilfe der Schrift und vorher durch Göbekli Tepe im wahrsten Sinn des Wortes – zum Vorteil der Patrix in Stein gemeißelt und damit Ungerechtigkeiten dauerhaft festgeschrieben worden
  • Kultur kann aber verändert und damit der Patrix die Basis entzogen werden!

Reden, diskutieren, Ungerechtigkeiten ans Tagesicht holen – nicht schweigen!

Diese Zusammenfassung kann nur ganz grob die Ergebnisse der Forschung wiedergeben, die die beiden Autoren in ihrem Buch ebenfalls nur zusammenfassen und andeuten können. Es lohnt sich, die mittlerweile wachsende Literatur zu dem Thema zu sichten!

Die Autoren bezeichnen die Patrix immer wieder als katastrophale Verirrung, da es eigentlich genügend menschen- und umweltfreundlichere Angebote gab, mit denen alle Lebewesen des Planeten deutlich besser gefahren wären. Ihnen ist es ein Anliegen, die Strukturen der Patrix aufzudecken, um sie zu entschleiern und ihr den Boden unter den Füßen wegziehen zu können. Und das ist ihnen auf jeden Fall gelungen! Ich hatte beim Lesen immer wieder ein “Aha!”-Erlebnis in der Form “So ist das also!”

Ich hoffe, dass dieses Buch eine breite Verbreitung findet, denn es ist extrem wertvoll! Aber auch hier wird wieder die Patrix greifen: Wenn es schon in seiner Veröffentlichung nicht verhindert werden kann, versucht man es zu ignorieren und totzuschweigen. Schweigen und verschweigen darf frau und mann aber auf keinen Fall, wenn es tatsächlich zu einem für alle Menschen und Lebewesen besseren Zukunft kommen soll. Denn das Bild, das die Patrix sowohl von der Frau als auch vom Mann zeichnet, ist eindimensional und für beide Geschlechter extrem toxisch. Weder mit dem feindlichen Frauenbild noch mit dem toxischen Männerbild lässt sich gesund leben, für keine der Geschlechter. Es schließt Diversität aus und damit den Großteil der weiblichen und männlichen Menschheit. Geschlechter, die dazwischenstehen, sowieso, ebenso diverse Formen der Sexualität. Gerade die negativen Seiten des Patriarchats für die Männer hätte ich gern in dem Buch nicht nur angedeutet, sondern ausformuliert, um zu verdeutlichen, dass die Patrix eben auch dem Großteil der Männer schadet. Die menschenverachtende Dimension der Patrix für die Frau bis in unsere Zeit hinein ist dagegen ausführlich dargestellt worden.

Fazit

Das Buch zeigt verständlich, systematisch und unterstützt durch wiederkehrende Wiederholungen der wichtigsten Ergebnisse einprägsam und heilsam auf, wie die Verirrung des Patriarchats entstand, welche Schäden sie anrichtete und immer noch anrichtet und wie man die Schleier, die das Patriarchat entgegen erbitterten Widerständen weben musste, um sich an der Macht zu halten, lüften kann – hin zu einem besseren, gerechteren Leben für alle!


Illustrated by Rowohlt

Batman – Die drei Joker

Batman – Die Drei Joker

Batman: Die drei Joker ist eine neue Batman-Geschichte, passenderweise in drei Teilen in drei Luxus-Hardcover-Bänden. Mit dabei sind im ersten Teil nicht nur Jason Todd, sondern auch die Tochter von Commissioner Gorden, Barbara, als Batgirl im gelb-schwarzen Bat-Kostüm. Wer BATMAN: THE KILLING JOKE und REBIRTH oder EIN TODESFALL IN DER FAMILIE (alle bei Panini) mochte, wird auch von BATMAN – DIE DREI JOKER begeistert sein.

Batman: Die Drei Joker

In seinem Buch vertrat Dr. Huntoon die These, dass Masken Männer und Frauen von ihrem Gewissen trennen und ihnen erlauben, straflos ihr dunkleres Ich zu entfalten.“ Die Spur der Leichen, die sich durch Gotham City zieht, wurde vor allem von einem Verbrecher verursacht. Und genau da liegt der Hund begraben: gibt es wirklich nur einen Joker? Oder waren es die ganz Zeit über vielmehr drei Joker, die sich gegenseitig abwechselten? Die bisherige „Erzählung“ ging davon aus, dass Joker ein glückloser Comedian gewesen sein könnte, der als vermeintlicher Anführer der Red Hood Gang in kriminelle Machenschaften verstrickt wurde. Er stürzte – von Batman verfolgt – in einen Chemiebottich und verwandelte sich so in den gefürchteten Joker, den meistgesuchten Verbrecher Gothams. Schon in „Rebirth“ ließ Geoff Johns Batman in seiner Bathöhle über das Rätsel der drei Joker sinnieren. Aber auch Jason Todd, der ehemalige Robin aus „Todesfall in der Familie“ hat sich verwandelt. Durch ein Bad in den Lazarusgruben wurde er wieder zum Leben erweckt, jedoch arbeitet er nun unter dem Alias Red Hood als brutaler Antiheld. Eine weitere Herausforderung also für Batman, ganz zu schweigen von seiner neuen Konkurrenz, dem Batgirl, das wohl noch nie so sexy gezeichnet wurde, wie von Jason Fabok, der sie in ein hautenges Lederkostüm zwängt als wäre sie eine Fledermausvariante der gefürchteten Catwoman. Stimmt das obige Zitat von Dr. Huntoon also, Jason Todd alias Red Hood ins Treffen führt?

Die Drei Joker – Hybris der Moderne

Die Zeichnungen in vorliegendem außergewöhnlichen Batman-Abenteuer sind bestechend schön. Sie entführen den Betrachter in eine düster-dunkle Welt, in der die Karten neu gemischt sind und sich nur jene zurechtfinden, die sich ein Herz nehmen, statt zu lamentieren. Der Joker, der nicht nur das Leben von Batgirl und Jason Todd zerstört hat, bekommt unerwartete Unterstützung durch zwei Aliasse. Aber vielleicht sind sie auch alle echt? Der durchwegs realistische Zeichenstil lässt einen beinahe daran glauben, dass – selbst wenn einer beseitigt wird – an seiner Stelle gleich zwei weitere nachweisen, wie bei der antiken Hybris. Wird es Batman gelingen, seinem wohl schlimmsten Widersacher endlich das Handwerk zu legen? Auf der Jagd nach dem wahnsinnigen Mörder sind sich Batman, Batgirl und Red Hood über den Zweck einig, jedoch trennt sie die Frage nach den Mitteln.

Batman – die drei Joker Vorschau auf Teil 2

Ein unglaublich schön gezeichneter Auftakt, der einen um die Fortsetzung mit staunenden Augen und nervösem Restless Leg Syndrom bangen lässt: die folgt aber erst im Mai 2021 mit Teil 2. Und noch länger müssen wir auf das Finale mit Teil 3 warten. Der kommt erst im Juli 2021. Aber bis dahin gibt es ja noch die Paninishop-Seite mit weiteren Empfehlungen.

Geoff Johns/Jason Fabok

Batman – Die drei Joker 1/3

2021, Hardcover, 21 x 32 cm, 60 Seiten

ISBN: 9783741622434

Panini

13,00 €


Genre: Comics
Illustrated by Panini Comics

Krass

Sic transit gloria mundi

Im neuen Roman von Martin Mosebach mit dem deskriptiven Titel «Krass» steht ein Machtmensch gleichen Namens auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Krass ist aber auch, adjektivisch wohlgemerkt, der aberwitzige Plot des umstrittenen Büchner-Preisträgers, in dem der Zufall fröhliche Urständ feiert. Wie oft bei diesem Autor ist es eine Geschichte vom Scheitern, hier als Psychogramm eines narzisstischen Machertypen mit einer dominanten physischen Präsenz, ein skrupelloser Waffenhändler. «Er arrangiert die Welt, so wie sie ihm gefällt», hat der Autor seinen Protagonisten charakterisiert.

In Neapel besucht 1988 eine siebenköpfige Reisegruppe eine Zauberschau und trifft später in einem Restaurant auf die als Assistentin beteiligte Lidewine. Ralph Krass, Spritus rector und großzügiger Finanzier der Gruppe, lässt sie von seinem Adlatus Dr. Jüngel an ihren Tisch bitten. Die junge Frau, Inkarnation des «Ewig Weiblichen», wie es im Roman anbiedernd heißt, ist Krass sofort sympathisch. Er weist den assistierenden Kunsthistoriker spontan an, sie als Begleiterin für diese Reise zu engagieren. Alles rein platonisch, Sex ist für die Dauer der Reise – auch für sie – tabu, er braucht sie nur für sein Ego, als dekorative Begleitung. Man besichtigt das berühmte Alexander-Mosaik, in dem sich auch das Motiv des Buchumschlags mit der in ihr Spiegelbild verliebten Bachstelze findet. Anschließend geht es nach Capri, um dort eine zum  Verkauf stehende schlossartige Villa anzusehen. Lidewine wird ständig mit teuren Geschenken überhäuft, bis Jüngel zufällig mitbekommt, dass sie einen adonisartigen Hotel-Kellner nachts in ihrer Suite empfängt. Ein eindeutiger Vertragsbruch, sie wird entlassen, die Gruppe zerfällt schlagartig.

Dieser erste Teil des Romans mit dem Titel «Allegro imbarazzante» weist auf das Peinliche des großspurigen Gehabes von Krass hin. Es folgt mit «Andante pensieroso» ein melancholischer zweiter Teil, in dem der arbeitslos gewordene Jüngel vorübergehend Unterschlupf in der französischen Provinz sucht. Dort rekapituliert er die Neapel-Reise und nebenbei auch das Scheitern seiner Ehe. Mit «Marcia funebre» wird im letzten Teil zwanzig Jahre später eine Art finaler Trauermarsch angestimmt. Die Protagonisten treffen in unterschiedlicher Mission in Kairo wieder aufeinander, welch ein Zufall! Krass ist völlig mittellos, er liegt buchstäblich auf der Straße. Jüngel, inzwischen Professor für Urbanistik und nach einer zweiten Ehe wieder geschieden, ist als Forscher in der ägyptischen Metropole. Lidewine wiederum ist dort unterwegs, um eine Galerie zu gründen, in der Superreiche aus den Emiraten ihr überflüssiges Geld in moderne Kunst investieren können.

Martin Mosebach erzählt seine mephistophelische Geschichte in einem altväterlichen Duktus mit Sätzen wie diesem: «Dass sein Körper, so wie er nun einmal war, als Wohnstatt seines Willens höchste Beachtung verdiente, das stand für ihn außer Frage». Die auktoriale Erzählweise wechselt im Mittelteil zur personalen, mit Jüngel als Ich-Erzähler, abwechselnd im Brief oder Tagebuch. Es bleibt offen, ob Krass mit seinen Allmachts-Fantasien unternehmerisch ein Genie ist oder ein Hochstapler. Außer einer nur telefonisch in Erscheinung tretenden Sekretärin gibt es offensichtlich keine weiteren Mitarbeiter. Alle Geschäfte werden rund um den Erdball nur papierlos in Hotels und Restaurants abgewickelt. Der atmosphärisch dichte, bildstarke Roman verdeutlich in seinem spannenden Plot, der letztendlich aber nirgendwo hinführt, das Wesen und die Wirkungen der vergehenden Zeit. Das geschieht in einer eigenwilligen Form, die unübersehbar ironisch gefärbt ist und unterschwellig zuweilen sogar Humor erahnen lässt. Erstaunlich ist jedenfalls, dass dieser ambivalente Roman, in dem sich zwar vieles ereignet, aber nicht wirklich auch etwas passiert, es mit seiner Schadenfroh-Thematik ‹sic transit gloria mundi› auf Anhieb in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Lucky Luke 100: Die Ursprünge – Western von Gestern
by Morris

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Tom und sein Vater haben reichlich Gold gefunden und wollen ihren Fund in der Bank deponieren. Cheat und seine Bande haben Wind davon bekommen und überfallen die Kutsche, die den Schatz transportieren soll. Tom holt Lucky Luke zu Hilfe. Der rettet nicht nur Toms Vater aus einer lebensgefährlichen Situaton, sondern bleibt auch in einer abenteuerlichen Jagd Cheats Gehilfen Big Belly und Mestizo auf den Fersen.

Die Goldmine von Dick Digger

Lucky Lukes Freund Dick Digger, der Goldgräber, verrät in Saloon, dass er Gold gefunden hat. Das bekommen Big Belly und Mestizo mit. Sie beschließen, Dick die Nuggets zu stehlen. Nach einer deftigen Prügelei mit dem alten Dick gelingt ihnen der Raub. Später entdecken sie, dass sie nicht nur die Nuggets, sondern auch die Wegbeschreibung zur Goldmine gestohlen haben. Lucky Luke macht sich auf, die beiden Räuber zu stellen und damit den Ruin von Dicks Familie abzuwenden.

75 Jahre Lucky Luke

Pünktlich zum 75-jährigen Jubiläum der Comicserie Lucky Luke wartet Ehapa mit vielen Schmankerln für Fans auf: Im März macht den Auftakt das vorliegende 100. Album mit den beiden allerersten Lucky-Luke-Comics. Das Cover wurde vom aktuellen Zeichner Achdé entworfen und zeigt schön, wie sich der Held entwickelt hat. Parallel dazu präsentiert die erste Seite Jolly Jumpers Entwicklung. Der 100. Band kommt mit einer Goldprägung im Titel daher. Das Album ist sowohl als Soft- als auch als Hardcover zu den üblichen Preisen erhältlich. Als Extra ist im Band ein kurzer Lebenslauf des Künstlers Morris abgeduckt. Allerdings hätte ich mir etwas mehr Extras im Album erhofft, auch bzgl. der Hintergründe zu den Ursprüngen.

Die Zeichnungen sind noch weit entfernt von dem, was man heute als Lucky Luke kennt. Sie sind typisch für die Entstehungszeit und fallen durch sehr einfache v.a. runde/ovale Formen der Figuren auf. Außerdem sind die Zeichnungen sowohl von den Figuren als auch von den Hintergründen und Farben einfach gehalten und nicht so detailliert wie später üblich. Der Held selbst ist kleiner als heute. Aber schon von der ersten zur zweiten Geschichte stellt man zeichnerische Unterschiede fest: Der Held bekommt etwas mehr Konturen, wirkt nicht mehr ganz so rund, obwohl sein Kinn sehr ausladend ist. Auch Jolly Jumper wirkt ausgestalteter. Insgesamt kommen mehr Details und mehr Formen in die Zeichnungen, sodass nicht mehr nur die geometrischen Grundformen genutzt werden.

So einfach gestrickt wie die Zeichnungen sind auch die ersten Abenteuer, die anstatt der Daltons eine Banditenbande rund um den Chef Cheat als Gegenspieler Lukes in den Fokus rückt. Trotzdem funktioniet der einfache Storyaufbau mit Spannungskurve durch die Gegenspieler und durch die Actionszenen gut.

Fazit

Die ersten Abenteuer Lucky Lukes sind aufgrund des für heutige Augen ungewohnten Zeichenstils etwas gewöhnungsbedürftig, aber die insgesamt einfachen Zeichnungen und Geschichten funktionieren aufgrund des Gut-Böse-Schemas und der Action. Für Fans auf jeden Fall eine Bereicherung der Sammlung, denn Ursprünge zu kennen und die Entwicklung zu verfolgen ist an sich schon spannend. Etwas mehr Extras wären aber schön gewesen.


Genre: Comic
Illustrated by Egmont Ehapa