Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung

WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist einer der bekanntesten politischen Gefangenen unserer Zeit. Seit elf Jahren interniert, feiert er am 3. Juli 2021 als »Untersuchungsgefangener« seinen 50. Geburtstag im britischen Hochsicherheitsgefängnis. Wer sich näher mit der Geschichte seiner Verfolgung befassen möchte, liest den spektakulären Report des UNO-Sonderberichterstatters für Folter, Nils Melzer, der jetzt in Buchform vorliegt.

Nils Melzer, Professor für Internationales Recht, wurde 2016 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Sonderberichterstatter für Folter bestellt. Er fasst seinen 346 Buchseiten starken ausführlichen Bericht so zusammen: »Wir müssen aufhören zu glauben, dass es bei Julian Assange wirklich um eine Strafuntersuchung wegen Sexualdelikten, Spionage und Hacking geht. Was WikiLeaks getan hat, bedroht die politischen und wirtschaftlichen Eliten gleichermaßen. Der Fall Assange zeigt, dass es den Regierungen heute nicht mehr um legitime Vertraulichkeit geht, sondern um die Unterdrückung der Wahrheit zum Schutz von unkontrollierter Macht, Korruption und Straflosigkeit.«

Im ersten Teil seiner Untersuchung erläutert der Autor seinen Auftrag als UNO-Sonderberichterstatter und den ersten Kontakt mit dem Fall Assange. Gefangen in eigenen Vorurteilen glaubte er, Wichtigeres zu tun zu haben, als sich mit einem »zwielichtigen Hacker mit Lederjacke und weißen Haaren« befassen zu müssen.

Das offizielle Narrativ funktionierte auch bei ihm, und es bedurfte geraumer Zeit, bis ihm klar wurde, dass Assange ein Paradebeispiel für sein Thema, den Zusammenhang zwischen Korruption und Folter, lieferte. Denn bei Assange geht es in erster Linie um Korruption, es werden rechtsstaatliche Institution und Verfahren für politische Zwecke missbraucht: »für die Unterdrückung der Presse- und Informationsfreiheit; für die Straflosigkeit von Folter und Kriegsverbrechen; für die politische Verfolgung von Dissidenten und für die Geheimhaltung von Machenschaften der Behörden, die in jedem demokratischen Rechtsstaat ans Licht der Öffentlichkeit gehören«.

Aufmerksam wurde Melzer durch das Video »Collateral Murder«, das Julian Assange am 5. April 2010 im Washingtoner National Press Club präsentierte. Darin wird aus der Sicht einer US-Helikopter-Besatzung gezeigt, wie wehrlose Männer, Frauen und Kinder brutal aus der Luft abgeknallt wurden, ohne dass auch nur ein Wort der Reue oder eine spätere gerichtliche Auseinandersetzung stattfand. In Echtzeit wird aus der Sicht der Bordkanonenschützen mitgeschnitten, mit welcher Freude und Aggressivität Zivilisten abgeschlachtet werden. Eines von vielen Kriegsverbrechen, das die Offiziellen der USA vertuscht hätten, wäre WikiLeaks nicht mit dieser und vielen weiteren Informationen an die Öffentlichkeit getreten.

Im zweiten Teil des Buches seziert der UNO-Sonderberichterstatter die Anatomie der Verfolgung von Julian Assange. Er schildert die Willkür der schwedischen Justiz, den britisch-schwedischen Auslieferungsprozess und das ecuadorianische Botschaftsasyl. Er blickt über den großen Teich, wo die USA alles dransetzen den »Hightech-Terroristen« Assange in die Finger zu bekommen, um ein abschreckendes Exempel zu statuieren.

Melzer verweist auf die spektakuläre Verurteilung der Whistleblowerin Chelsea Manning zu 35 Jahren Gefängnis und auf die Anwendung der als »Spezielle Verwaltungsmaßnahmen« getarnten Foltermethoden.

Hinter der aggressiven Verfolgung von Assange und anderen wahrheitsliebenden Journalisten steckt nach den Ermittlungen des Juristen immer derselbe Beweggrund: Angst. »Angst vor der Methode WikiLeaks. Angst vor Transparenz. Angst vor demokratischer Kontrolle. Angst vor Verantwortlichkeit. Angst vor Machtverlust. Angst vor Nachahmern.«

Der dritte Teil des Untersuchungsberichtes zeigt die Reaktionen der beteiligten Regierungen. Da konstatiert der Verfasser staatliche Realitätsverweigerung, bürokratisches Lavieren und zynisches Leugnen. Ein Schwerpunkt dieses Bereichs ist die Verstrickung zahlreicher deutscher Spitzenpolitiker in die amerikanische Politik, eine Partnerschaft, die Melzer als »Komplizenschaft« brandmarkt.

In London erreichte das bisherige Verfahren gegen Julian Assange nun seinen bisherigen Höhepunkt in einem makabren Schauprozess. Inzwischen geht es darum, das Leben des von der jahrelangen Isolationshaft geschwächten Investigativjournalisten zu retten. Ob es zu einem weiteren juristischen Tauziehen in Großbritannien kommt, ob US-Präsident Biden den Schneid hat, die Anklage fallen zu lassen oder Assange sich das Leben nimmt, kann Nils Melzer nur als offene Fragen skizzieren.

Die Veröffentlichung des unglaublichen Reports des UNO-Sonderberichterstatters ist jedenfalls eine Mutprobe, die sich der Piper-Verlag mit Bravour gestellt hat.

Unbedingt lesenswert!
WERBUNG


Genre: Politik und Gesellschaft, Sachbuch
Illustrated by Piper Verlag München

Ein Gedanke zu „Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert