Detektiv Conan, Vol. 2, Folgen 35-68

Detektiv Conan - Box 2 (Episoden 35-68) [6 DVDs]Über Allgemeines zu der Serie und die ersten Folgen habe ich hier schon berichtet und rezensiert, weshalb ich das jetzt nicht mehr wiederhole: https://literaturzeitschrift.de/book-review/detektiv-conan/

Neue Fälle und ein altes Ich

Shin’ichi muss weiterhin heimlich Fälle lösen, indem er als Conan Privatdetektiv Kogoro Mori bei der Aufklärung hilft und ihn dazu in Schlaf versetzt – der „schlafende Kogoro Mori“ ist mittlerweile aufgrund dieser Besonderheit berühmt geworden. Auch in diesen Folgen löst Conan eine Reihe von Fällen, wobei die Detektive Boys nicht so oft zum Zug kommen wie in den Folgen davor, was mein Sohn schade findet – kommen hier doch Kinder wie er zum Zug. Unter anderem passiert ein Mord in einem Tempel, den die Moris mit Conan besuchen. Ein anderes Mal wird ein Professor ermordet und ein Firmenchef. Ebenso müssen u.a. ein professioneller Turmspringer, ein Ehemann, eine Regisseurin, ein Geldgeber für einen Film und eine Kunststudentin dran glauben. Als Besonderheit dieser Ausgabe bekommt Conan seinen 17-jährigen Körper als Shin’ichi wieder zurück – aber nur für kurze Zeit. Das stellt den Schülerdetektiv allerdings vor neue Herausforderungen. Azßerdem wird neue Spannung in die Serie durch einen neuen Schülerdetektiv namens Heiji Hattori gebracht, der in Konkurrenz zu Shin’ichi steht.

Rollenklischees, Diskriminierung, Ethik im Allgemeinen

Langweilig wird es auch mit den neuen Folgen nicht und die Folge, in der Shin’ichi kurzzeitig sein altes Ich zurückgewinnt, bringt frischen Wind in die Serie. Allerdings sind ein paar der Folgen bzgl. der Gewalt, die den Opfern angetan wurde, grenzwertig, gerade für Kinder, die ebenso eine Zielgruppe der Serie sind wie ältere Fans. Manche Folgen kommen wieder als Doppelfolgen mit Cliffhanger daher.

Bzgl. Männer- und Frauenbild gibt es kaum Neues zu sagen, v.a. nicht in positiver Hinsicht. Rollenklischees werden munter und unkritisch weitertransportiert, allerdings auch manchmal durchbrochen, wenn sich eine Frau dem Klischee entgegenstemmt. Angedeutet wird in diesen Folgen eine weitere Dimension der Misogynie: Die Frau darf nicht erfolgreicher sein als der Mann – das kann gefährlich für sie werden, wie in der Folge mit der ermordeten Kunststudentin deutlich wird. Sie war ihrem Professor zu erfolgreich und er bediente sich ihrer Zeichnungen, was nicht herauskommen durfte. Ein ähnliches Muster taucht in der Folge auf, in der ein Professor ermordet wird, der sich der Ideen seiner weiblichen Mitarbeiter bedient hat. Dieses Muster gibt es in der Realität tatsächlich: Männer haben sich gerade in der Wissenschaft und im Beruf im Allgemeinen sehr oft der Ideen der weiblichen Mitarbeiter bedient, ohne dass Frauen für ihre Intelligenz gewürdigt wurden: Ideenklau.

Weiterführende Links zu dem Thema (es gibt leider wegen der Häufigkeit dieses Phänomens zahlreiche Links):

https://www.woman.at/a/frauen-wissenschaft-vergessen

https://www.deutschlandfunk.de/gleichstellung-in-der-wissenschaft-frauen-erhalten-weniger-anerkennung-100.html

https://zeitgeschichte-online.de/themen/frauen-der-wissenschaft

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.leonberg-wenn-maenner-weibliche-ideen-klauen.d79d700e-3a66-4c13-b70c-70190cbd67d5.html

https://www.spiegel.de/karriere/kollege-klaut-ideen-wie-verschafft-man-sich-gehoer-tipps-von-der-karriereberaterin-a-ff5c4786-c95b-4ed3-8bd6-99bb49236c4a

https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Wissenschaft-Technologie-digitaleGesellschaft/FrauenanteilForschung.html

https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/20210101

https://www.academics.de/ratgeber/frauen-in-der-wissenschaft

https://www.deutschlandfunk.de/fraueninderwissenschaft-100.html

 

Abgeschiedenheit ist oft ein Thema – die Menschen sitzen irgendwo, z.B. im Wald, in einem Kloster, auf einem Schiff, fest- und dass Ran öfter in Gefahr gerät, aus der sie sich entweder selbst rettet oder von Conan gerettet wird.

Bei den meisten Fällen kann man die Motivation der Täter*innen nachvollziehen, denn oft sind sie Opfer von Diskriminierung oder anderen Ungerechtigkeiten bzw. von Menschen mit schlechtem Charakter. Die Opfer-Täter*innen-Rolle ist also nicht schwarz-weiß, sondern vielschichtig. Das beugt einer pauschalen Verurteilung vor – was nicht heißt, dass ein Mord in der Serie gutgeheißen wird! Es sind zum Glück auch nicht immer die Frauen, die Opfer werden, wie leider oft in v.a. älteren Krimis. Denn weibliche Opfer werden oft auch mit Passivität und Schwäche gleichgesetzt – man(n) kann mit ihnen machen, was man will. Wie gesagt, das ist hier nicht so, sondern einigermaßen gut durchmischt.


Genre: Krimi
Illustrated by Kazé

LTB Crime 13: Die dritte Staffel

Allerlei Verbrechen

Das Wüten der Wächter: Donald und Dussel treten ihren Dienst als Nachtwächter eines Museums an. Dabei erschrecken sie vor ihrem eigenen Schatten, treiben aber nebenbei echte Diebe in den Wahnsinn.

Die Rache des Hannibal Haderlomp: Inspektor Hunter hat seit Jahrzehnten eine Rechnung mit dem einflussreichen Bürger Hannibal Haderlomp offen, denn der lässt sein Geld für sich sprechen und achtet das Gesetz nicht. Außerdem wird noch Micky Maus entführt. Ob das etwas mit der Fehde zwischen Hunter und Haverlomp zu tun hat?

Kampf dem Karriereknick: Momentan laufen die Geschäfte nicht so gut für Kater Karlo. Ob eine neue Bande ihn aus der Misere retten kann?

Das Wahlversprechen: Entenhausen hat nicht nur einen offiziellen Bürgermeister, sondern auch einen Bürgermeister der Unterwelt. Und der plant einen außergewöhnlichen Cup.

Das kulinarische Komplott: Privatdetektiv Hubert Bogart und Dussel haben einen neuen Fall zu lösen. Sie sollen das Rezept eines berühmten Gourmet-Kochs bewachen, während dieser an einem Wettbewerb teilnimmt. Dabei geht aber einiges schief.

Die Herausforderung: Trudi, Karlos Freundin, und Petunia, die Frau von Hunter, haben es beide satt, dass ihre Männer nie Zeit für sie haben – weil sie damit beschäftigt sind, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Also beschließen die beiden Frauen, gemeinsam etwas zu unternehmen.

Humorvoll, aber bzgl. Frauen- und Männerbild veraltet

15 Geschichten rund um vielerlei Arten von Verbrechen bietet die Sonderserie, davon 7 als Erstveröffentlichungen, was eine gute Ausbeute an neuen Stories ist. Am 23.3. ist eine weiterer Band im Handel erhältlich. Die Geschichten sind kurzweilig und humorvoll. Allerdings spielen auch hier die Frauen wieder nur eine Nebenrolle; die meisten Geschichten drehen sich um die männlichen Protagonisten. Es wird also wieder missachtet, dass es auch Leserinnen gibt, die die LTBs mögen. Das LTB-Universum ist noch in veralteten Rollenklischees verhaftet und nimmt kaum neue Einflüsse der Gegenwart bzgl. Rollenfindung von Mann und Frau auf. Das ist schade und nicht mehr zeitgemäß.


Genre: Comic, Crime
Illustrated by Egmont Ehapa

Die Transgender-Frage: Ein Aufruf zu mehr Gerechtigkeit

Nach Lektüre (und Rezension bei Literaturzeitschrift.de) des Buches Material Girls von Kathleen Stock, der Transphobie nachgesagt wurde, wollte ich „Transphiles“ lesen, um meinen Horizont zu erweitern.

Das Buch verschafft einen Einblick in die Schwierigkeiten von Transmenschen und in die Debatten dazu, mit dem Schwerpunkt im UK, der Heimat der Autorin. In zehn Kapiteln werden verschiedene Aspekte abgearbeitet, die Quellenangaben sind eher Zeitungsberichte, kaum theoretische Beiträge. Das Patriarchat und der Kapitalismus werden durchgehend als Ursache des gemeinsamen Leids vieler Menschen benannt.

Auf über 300 Seiten werden Ereignisse und Begegnungen beschrieben. Beim Lesen lernen wir den Werdegang der Autorin kennen, die sich als privilegiert bezeichnet, da sie weiß ist, studieren konnte und von ihrer Familie in ihrem Wunsch, zu transitionieren, unterstützt wurde.

Im Kapitel Klassenkampf berichtet die Autorin über die Medien, und von ihren eigenen Anfängen als Journalistin: Sie hätte lieber längere Hintergrundartikel geschrieben, aber von ihr als geoutete Transfrau wollte man lieber persönliche Statements, von Banalem, etwa wie sie sich schminkt, so wie es auch anderen Frauen geht, auf deren Aufmachung mehr Wert gelegt wird, als auf Taten. So machte sie eher Interviews mit Betroffenen, was ihr den Zugang zu einer Fülle von Biografien verschaffte, die das Buch bereichern.

In Der Staat beschreibt sie den Zusammenhang zwischen Diktaturen und gezielter Diskriminierung, hier am Beispiel USA unter Trump und Ungarn. Trump hatte die gesundheitliche Versorgung von Transmenschen in der Armee ausgesetzt. Und fundamentalistische christliche Glaubensgemeinschaften erfreute er mit seinen Besuchen. Ein anderer Aspekt ist der hohe Anteil von Sexarbeitern unter Transmenschen, das Kapitel dazu heißt plakativ „Sex Sells“, es wird aber auch beschrieben, dass Prostitution für viele von ihnen zu den wenigen Möglichkeiten gehört, Geld zu verdienen.

Bei den anderen Gruppierungen, die unter dem Patriarchat leiden, hätte ich mir Konkreteres über ihre Lage, über ihre Klagen, oder Konzepte gewünscht, so las man nur, dass deren Positionen (meist aus moralischen Gründen) abzulehnen seien.

Um das Ausmaß der Leiden von Transmenschen zu ermessen, empfehle ich das Buch, als politische Strategieempfehlung oder „Aufruf zur Gerechtigkeit“ weniger, es fordert diese gezielt für Transmenschen, die anderen Minderheiten, die das Patriarchat unterdrückt, werden in Untergruppen sortiert.

So lese ich von einer Maya Forstater, der gekündigt worden sei, weil sie einen „transfeindlichen Tweet“ geschrieben hätte, den Frau Rowling unterstützt hätte. Was die beiden Transphobisches geschrieben haben, wird nicht benannt, ich muss im Internet nachlesen. Sie hatte in einem Tweet gemeint, das biologische Geschlecht sei eine Realität, und Frau Rowling, hatte sie unterstützt. Ist das ein Kündigungsgrund? Und weiter lese ich, dass sie in 2. Instanz den Prozess gegen den Arbeitgeber gewonnen hatte.

Wir Alt Achtundsechziger sind dafür, dass Freiheit die Freiheit der Andersdenkenden ist, wem gewähren woke Menschen Meinungsfreiheit?

Allerdings sehe ich, dass die Biografien der Transmenschen sehr vielfältig und divers sind, und sie, zu Recht, in ihrem Sosein verstanden werden wollen. Und warum sollte ich einer äußerlich männlich erscheinenden Transfrau nicht am Waschbecken beim Damenklo begegnen? Dann begegne ich auch endlich mal einem Transmenschen persönlich …


Genre: Gesellschaft, Transgender
Illustrated by ‎ hanserblau

Das Romanische Café

Dieses kleine Büchlein von knapp 150 Seiten hat es in sich: Géza von Cziffra hielt sich von 1923 bis 1933 regelmäßig im Romanischen Café auf, traf Gott und die Welt und sammelte Anekdoten. Das Namensregister umfasst bald 300 Einträge und die Seitenzahlen sind aufgelistet, wann die Personen auftraten, oder auch nur zitiert wurden: Shakespeare und Goethe sind dabei. Es erschien 1981, als der Autor über achtzig war und die Geschichte über diese Zeit hinweggegangen war, unter dem Titel „Die Kuh im Kaffeehaus“. So kann er Vergleiche mit der damaligen Jetztzeit anstellen, als es schon Groupies und Hippies gab.

Viele der Prominenten wurden vom Stammgast Emil Orlik porträtiert und bebildern das Büchlein. Ein Nachwort von Ingrid Feix rundet es ab.

Im R.C. gab es feste Tische, was der 23 Jahre alte von Cziffra nicht wusste, als er das erste Mal an einem leeren Tisch Platz nahm. Der Gast, der sich dazu setzte, fragte ihn, wessen Sohn er sei, und der aufgebrachte Kellner klärte ihn auf: „Das hier ist ein höchst reservierter Tisch! Setzen Sie sich bitte anderswohin.“ Später erfahren wir, dass der Stammgast des Malertisches Max Liebermann war. Und ich glaube nun, dass dieser richtig gut berlinern konnte, das hatte ich einem Spross aus großbürgerlichem Haus nie zugetraut. Von Cziffra wurde ja später Drehbuchautor und kann Dialoge. Die noch nicht arrivierten Maler saßen am Nichtschwimmertisch.

Am Tisch der Männer der Feder saßen Schriftsteller, tauschten sich aus, mal auch mit Wissenschaftlern, Einstein verkehrte hier, flirtete heftig, was ihm den Spitznamen „der relative Ehemann“ einbrachte. Mal bot er Zauberkunststücke dar, oder er erklärte die Relativitätstheorie: „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen neben einer hübschen und geistreichen Frau, dann wird Ihnen diese Stunde wie eine Minute vorkommen. Sitzen sie aber mit dem nackten Hintern nur eine Sekunde auf einem heißen Ofen, so wird Ihnen die Zeit sicher wie eine Stunde vorkommen.“

Es geht um Freundschaften und Feindschaften, Bewunderung, Eitelkeiten, Eifersucht und Neid. Einmal droht ein Duell: Es ging um die Schauspielerin Elisabeth Bergner, von der alle Männer schwärmten. Ein stattlicher Bursche sagte etwas Abfälliges über sie, woraufhin „ihr Lieblingskameramann Adolf Schlazy“, ein kleiner Schmächtiger, ihn ohrfeigte. Als der Riese ihn angriff, wurde er zurückgehalten, fordert dann aber ein Duell. Als er erfuhr, dass Schlazy Jude war, sagte er, mit Untermenschen duelliere er sich nicht. Der war erleichtert: „Der erste sympathische Nazi, den ich kenne.“ Wir verfolgen die Biografien von vielen der Protagonisten, auch wie sie sich später, während und nach der Nazizeit, entwickelten.

Die Frauen hatten auch ihren Tisch und es gibt auch einiges an Zickenzoff. Für einen alten Herrn, der 1900 geboren wurde, berichtet von Cziffra darüber erfreulich sachlich, etwa so wie über die Männer. Nur einmal kommt ein Herrenwitz, nicht vom Frauentisch, vor dem fürchteten sich die Männer, aber vom Kükentisch: „Hier saßen laute junge Mädchen, die … mit den grimmigsten Gesichtern der Welt verkündeten, dass sie fest entschlossen wären, sich von keinem Mann verführen zu lassen. Kurz nach Mitternacht änderten sie fast immer ihren Entschluss.“

Am meisten war am Tisch der Mimen los, wir erfahren viel, etwa, wie es zur Dreigroschenoper gekommen war. Und wie erfolgreich sie war.

Eine Marke für sich waren auch die selbstbewussten Kellner, und so schließt das Buch mit dem Lied von Friedrich Holländer über die „Romanischen Kellner“, rund um die Gedächtniskirche herum.


Genre: Film, Kultur, Kunst, Unterhaltung
Illustrated by be.bra Verlag Berlin

Berühre mich. Nicht. Die Graphic Novel: Teil 1

Berühre mich. Nicht. / Berühre mich nicht - Graphic Novel Bd.1 - Kneidl, LauraNeuanfang

Sage hat nach traumatischen Erlebnissen beschlossen, ein neues Leben fernab ihrer Heimat zu beginnen. Mit nichts als ihrem wenigen Besitz und ihrem Auto kommt sie in Nevada an. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bekommt sie einen Job in einer Bibliothek, wo sie im Archiv arbeiten soll. Dort lernt sie Luca kennen, der ebenfalls für das Archiv eingeteilt worden ist. Für Sage blanker Horror, denn Luca erinnert sie an ihren ehemaligen Peiniger, dem sie eigentlich entkommen wollte. Auch sonst begleitet sie ihre traumatische Erfahrung auf Schritt und Tritt, denn sie hat Panik vor jedem Mann – und die sind nunmal nicht nur im Archiv, sondern auch in der Uni und in allen anderen Alltagssituationen zu finden. Zum Glück helfen ihr ihre langjährige Freundin Megan und ihre neu gefundene Freundin April über das Schlimmste hinweg – bis Sage entdeckt, dass April die Schwester von Luca ist.

Ein New-Adult-Roman in einer Graphic Novel umgesetzt

Die New-Adult Graphic Novel fußt auf dem gleichnamigen Roman von Kneidl. Diesen kenne ich nicht, dafür aber andere New-Adult-Romane, die ähnlich aufgebaut sind. Momentan gibt die Mainstream-Strömung vor, dass romantische Romane Tiefgang haben sollen, deshalb werden die Protagonist*innen mit allen möglichen Traumata und sonstigen Schwierigkeiten ausgestattet. Das ist eine sehr gute Sache, denn oft verkommen Liebesromane zur Seichtigkeit und damit Flachheit, was dieser neuen Strömung so nicht passieren wird. Hin und wieder meinen es aber die Autorinnen zu „gut“ und statten ihre Held*innen mit zu vielen Schwierigkeiten aus. Das scheint bei dieser Graphic Novel zumindest im ersten Teil nicht der Fall zu sein; das Verhältnis stimmt und die Autorin kann sich ganz der Ausgestaltung eines einzelnen Traumas widmen. Das tut sie sehr gut, einfühlsam und plausibel. Und obwohl ich den Roman nicht kenne, habe ich beim Lesen nicht das Gefühl gehabt, dass die Handlung zu sehr gestrafft worden ist und zu schnell vonstatten geht; das Tempo ist meiner Meinung nach genau richtig. Die in Farbe gehaltenen Zeichnungen unterstützen die Story gut, das Verhältnis Text-Zeichnungen ist in Ordnung. Die Farben spiegeln z.T. auch die Gefühle von Sage wider. Zudem gibt es am Ende des Bandes einen Steckbrief mit den Hauptcharakteren. Was mir bei den ansonsten guten Zeichnungen aufgefallen ist: Die Gefühle werden bei allen Figuren sehr verhalten dargestellt und manchmal stimmen Proportionen und Winkel nicht so ganz.

Traumatische Erfahrungen

Kneidl und der Comic stellen sehr schön dar, was passiert, wenn man mit Missbrauch leben muss, was das mit einem anstellt und wie sehr eine solche Erfahrung das Leben beeinträchtigt. Vor den Erinnerungen kann man nicht weglaufen, man muss sie verarbeiten, um wieder ein halbwegs normales Leben führen zu können. Sage erfährt das und wird zudem noch durch einen Einbruch retraumatisiert. Aber die sich anbahnende Beziehung mit Luca, der nur äußerlich Sages Peiniger gleicht, innerlich aber ein hilfsbereiter empathischer junger Mann ist, hilft ihr langsam über ihr Trauma hinweg. Dazu muss man aber sagen, dass es in der Realität oft so ist, dass man sich unterbewusst ähnliche Menschen und/oder Situationen sucht, die der schlechten Erfahrung ähneln. Deshalb kommt es oft vor, dass z.B. Frauen nach einem gewalttätigen Kerl wieder an einen solchen geraten. Da muss schon eine gewisse (Selbst-)Reflexionsfähigkeit und/oder therapeutische Begleitung vorhanden sein, damit man nicht wieder retraumatisiert wird. Dass es bei Sage anders ist, ist wohl dem romantischen Impetus des Romans geschuldet.

Einen Traum zu haben, den man umsetzen kann oder schon zumindest teilweise umsetzt, hilft auch. Bei Sage ist das der Traum, Schmuck herzustellen und zu verkaufen, was sie schon mit einem gewissen Erfolg begonnen hat. Auch Freundschaften helfen, obwohl Sage z.B. April, der neuen Freundin, (noch) nichts erzählen kann. Aber sie erfährt in einer Notlage viel Unterstützung durch April und Luca, was ihr wieder ein Stück mehr Vertrauen in die Menschheit gibt. Weitere Themen: Obdachlosigkeit, Kampf ums Überleben. Sage hat keine Wohnung; sie wohnt in ihrem Auto. Als in dieses eingebrochen wird, steht sie ohne alles da. Auch vorher schon hat sie Geldnot und Hunger kennengelernt, da der Verkauf ihres Schmucks nicht alle Kosten deckt. Auch das stellt der Comic dar, aber ebenso der unbedingte Wille trotz Schüchternheit und schlechten Erlebnissen, etwas aus dem eigenen Leben zu machen und sich seine Träume zu bewahren und zu erfüllen. Damit ist Sage Vorbild für Leserinnen.

Empfohlen.


Genre: Missbrauch, New Adult
Illustrated by LYX

Die Eingeborenen von Maria Blut

Die Eingeborenen von Maria Blut – Maria Lazar

“Die Eingeborenen wollen ihren Messias haben”, meint Meyer-Löw, prophetisch in Maria Lazars 1935 fertiggestellten Roman, der erst 1958 veröffentlicht wurde. Maria Lazar ist heute noch eine gänzlich Unbekannte in der österreichischen oder deutschsprachigen Literaturgeschichte und das obwohl sie nicht nur Oskar Kokoschka (“Dame mit Papagei“) porträtiert hatte, sondern sie sogar in Peter Weiss’ “Ästhetik des Widerstands” einem gewissen Bertolt Brecht die Stirn bietet. Ganz zu schweigen von ihrem eigenen Werk, das neben zwei Werken zum Herandäuen des Klerikalfaschismus und Nazismus in Österreich aus den Dreißigern, sich sogar bis Anfang der Zwanziger zurückverfolgen lässt und neben Prosa und Lyrik auch Theaterstücke umfasste.

Österreich zwischen Faschismus und Nazismus

In “Die Eingeborenen von Maria Blut” nimmt Maria Lazar, die Entwicklung, die ihr Heimatland Österreich in den Dreißigern nehmen wird, schon vorweg. Der Titel ist gut gewählt, verknüpft er doch die vermeintliche Landidylle eines provinziell geprägten Landes mit dem Katholizismus. Dass sich Marienkult und Geschäft schon immer gut verbinden ließen und für so manchen Wallfahrtsort, wo diverse Wunder geschehen, die Kasse (oder den Opferstock) klingelt, dürfte seit der österreichischen Satire “Braunschlag” kein Geheimnis mehr sein. Maria Blut wird im Roman sogar dreimal als “österreichisches Lourdes” bezeichnet, wo nicht nur Wunder geschehen, sondern damit auch einiges verdient wird. Auch ein Wunderheiler beteiligt sich am Schröpfen der Ahnungslosen von Maria Blut und trägt so zur Wundergläubigkeit der Bevölkerung bei. Aber natürlich gibt es auch in Maria Blut Ungläubige und Verräter, so zum Beispiel der Sozialdemokrat Lohmann, der Arzt des Dorfes, oder der bereits eingangs erwähnter Meyer-Löw, der Jurist des Dorfes.

Die Eingeborenen von Maria Blut

Beiden wird von den Eingeborenen allerhand angedichtet und nachgesagt, aber nichts davon ist wahr. Aber Gerüchte und Tratsch halten die Dorfgemeinschaft der Eingeborenen eben zusammen und schaffen Identität nach außen. Auch die Wipplingers oder die Marischka, Haushälterin und Köchin, gehören zum sympathischen Teil der Dorfbevölkerung, während der Rest entweder klerikal oder nazistisch geprägt ist. Die Prädispositionen der katholischen Provinz für den Faschismus werden in Maria Lazars Roman schonungslos und authentisch dargestellt und gipfeln in dem allgemein verbreiteten Hass auf das Rote Wien, das all das verkörperte, was wohl die Bibel als “Sodom und Gomorrha” bezeichnete. Maria Lazar antizipierte in ihrem Roman nichts weniger als den herannahenden Untergang der zivilisierten Welt oder wie es Meyer-Löw ausdrückt: “Es kommen grausame Jahre”.

Nationalsozialismus Made in Austria

Für all jene, die heute immer noch behaupten, man hätte nichts gewusst oder nichts wissen können, sei “Die Eingeborenen von Maria Blut” ins Stammbuch geschrieben, denn es legt bitteres Zeugnis darüber ab, dass der Nazismus kein preußisch-junkerisches Phänomen war oder gar auf Bismarck oder Friedrich den Großen zurückgeführt werden könne, sondern original “Made in Austria”. Der Antisemitismus und Slawenhass entstand nämlich in Böhmen und wurde von einem “böhmischen Gefreiten” zur Ideologie eines rassistischen Herrschaftssystems, das selbst die größten Despotien der Gegenwart und Vergangenheit im Ausmaß seiner Grausamkeit noch heute in den Schatten stellt stilisiert. Abschließend kann ich nur beipflichten, was Birgt Nielsen mit folgenden Worten ausdrückt: “Die zwei Romane über Österreich (Leben verboten! und Maria Blut, JW) verdienen es, dass sie heute im Zusammenhang mit den Reflexionen über die Vergangenheit in Österreich neu aufgelegt werden.”

Neuauflage des Gesamtwerks

Dies hat der Wiener DVB (“das vergessene buch”) Verlag dankenswerterweise in besonders schönen gebundenen Ausgaben 2020 gewagt und somit ist es auch ihm zu verdanken, dass 2022/23 vorliegender Roman von Maria Lazar am Wiener Akademietheater in einer Adaptation als Bühnenfassung von Lucia Bihler und Alexander Kerlin als Theaterstück gespielt wird. Diese Inszenierung wurde auch zum Berliner Theatertreffen 2023 eingeladen. Maria Lazars Gesamtwerk umfasst acht Romane, drei Dramen, eine Zitatensammlung, Gedichte, einige Essays und viele Artikel aus der Zeit als Publizistin und Journalistin für Der Tag, Das Wort u.a. Näheres zur Biographie erfährt man in dem lesenswerten Nachwort von Prof. Johann Sonnleitner zu Leben und Werk der wiederentdeckten Autorin.

Maria Lazar
Die Eingeborenen von Maria Blut
2., durchgesehene Auflage.
Mit einem umfangreichen Nachwort von Johann Sonnleitner
2020, hochwertiges Hardcover mit SU, Prägung und Lesebändchen, 313 Seiten
ISBN 978-3-903244-06-1
DVB (“das vergessene buch”) Verlag
24 Euro


Genre: Faschismus, Nationalsozialismus, Österreich, Roman
Illustrated by DVB Verlag

Schöne Aussichten – oder?

Wirft der in Paris lebende Literat Rudolf Pernusch bereits im Titel seiner poetischen Texte und Betrachtungen die Frage auf, ob die Menschheit schönen Aussichten entgegensieht, dann impliziert seine Erkundigung schon eine gewisse kritische Distanz, einen inneren Widerspruch, der sich in ihm regt und den lackierten Fassaden entgegenreckt. Pernusch betrachtet unsere Welt als unheil, er blickt mit schreckgeweiteten Augen fassungslos und teilweise entsetzt auf all das, was in der Masse erstickt. Weiterlesen


Genre: Lyrik, Poesie
Illustrated by Vindobona

Die Maschine steht still

Eine der frühesten Visionen der Macht des Internets liefert E. M. Forster mit der kurzen Erzählung »Die Maschine steht still«. Vashti und ihr Sohn Kuno leben an entgegengesetzten Enden einer fiktionalen unterirdischen Welt. Ihre Kommunikation erfolgt über interaktive Maschinen. Kuno ist ein Rebell und überredet die zögernde Vashti, ihn zu besuchen, obwohl die Menschen eigentlich keine persönlichen Beziehungen mehr zueinander aufnehmen. Er erzählt ihr von seiner Ernüchterung mit der mechanisierten, keimfreien Welt, die er bereits für kurze Zeit verlassen hat, indem er an die Erdoberfläche gelangte, wo er andere Aussteiger traf. Weiterlesen


Genre: Novelle, Science-fiction
Illustrated by Hoffmann und Campe

Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zum Ende der Welt

Der schwedische Autor Jonas Jonasson gehört zu den Autoren, die aus jedem Buchtitel eine Kurzgeschichte machen. „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ war sein Erstlingswerk, das den Journalisten auf einen Schlag weltberühmt und reich machte, da es sich nicht nur millionenfach verkaufte, sondern auch in 45 Sprachen übersetzt und verfilmt wurde. Weiterlesen


Genre: Belletristik, Erzählung, Roman, Romane
Illustrated by C. Bertelsmann München

Was Männer kosten: Der hohe Preis des Patriarchats

Was Männer kostenSchon immer waren Ihnen Männer lieb und teuer? Aber wie viel sie unsere Gesellschaft wirklich kosten, ahnt niemand und man staunt beim Lesen des Buches. Der Autor ist Volkswirt und hat seit Jahrzehnten in der Jugendarbeit Erfahrungen gesammelt, zunehmend berät er Männer, die ihre Rolle in der Gesellschaft nicht gefunden haben.

Das Buch enthält zu jeder Feststellung Tabellen, die den Geldwert aufzeigen dessen, was Männer kosten. Seine Quellen sind allen zugänglich, oft das Statistische Bundesamt. Auf den über 300 Seiten sind neben vielen Grafiken 370 Quellen aufgeführt.

Was das Buch besonders lesenswert macht, sind die jahrzehntelangen Beobachtungen, die Gedanken dazu oder auch Gespräche, sowohl im dienstlichen, als auch im privaten Freundeskreis.

Es gibt originelle Thesen, etwa beim Alkoholmissbrauch (kostet 57 Milliarden Euro jährlich, verursacht zu 73 % von Männern), wo er vorschlägt, die Alkohol produzierende Industrie in Haftung zu nehmen.

Oder, wenn er aufzeigt, dass der Unterschied der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern (sechs Jahre) am risikoreicheren Männerleben liegt; Mönche leben fast so lange wie Nonnen. Hier bleiben die Forderungen allgemein …

Bei seiner Beratung fiel ihm auf, dass Männer mit geringerer Bildung nicht wussten, was die Me too Debatte war (Me-was?). Sie findet in einer Akademikerblase statt, was über die Bedingungen des Patriarchats in großen Teilen der Bevölkerung rückschließen lässt.

Das Buch ist ein drei Teile aufgeteilt: In Teil I die messbaren Kosten (elf Kapitel enthält u. a. Häusliche Gewalt, Wirtschaftskriminalität, Fußballromantik, wo es um Hooligans geht, Verkehrsunfälle, überschrieben mit „Männer mit eingebauter Vorfahrt“.)

Teil II behandelt nicht messbare Nebenwirkungen (sechs Kapitel als Beispiele: Lebenserwartung und Suizid, Rechtsextremismus, Sportverbände).

In Teil III Wege aus der Krise (zehn Kapitel. Hier fordert er Veränderungen in der Bildungspolitik, überhaupt der Politik, zur Männergesundheit)

Zwei Bereiche will ich herausstellen: Rechtsextremismus und Männergesundheit:

Im Jahr 2020 erschien, unter Minister Seehofer, der Verfassungsschutzbericht mit 420 Seiten, auf denen je einmal die Wörter Mann und männlich auftauchen. Das Wort Geschlecht nicht einmal. Dagegen stellt er eine Tabelle der rechten Straftaten in Berlin, bei denen 90,4 % der Tatverdächtigen männlich waren.

Zur Männergesundheit lernen wir in den ersten Teilen, dass Männer sich schlechter ernähren, mehr saufen, übergewichtiger sind, seltener zum Arzt gehen. Sie können Depressionen nicht als solche annehmen und deshalb auch keine Therapien für sich nutzen. Mehrmals weist er darauf hin, dass es in Beziehungen nicht nur Gewalt gegen Frauen gibt, aber dass Männer dies nicht zugeben können.

Die Rollen, die Männern zugeschrieben werden: stark sein, keine Schwäche zeigen (wer wagt, gewinnt), werden in unserer Gesellschaft nicht mehr gebraucht. Schon im Kindergarten, in der Bildung, vor allem aber in den Familien kann hier die Zuschreibung einer einzuhaltenden Rolle vermieden werden, dafür gibt es Beispiele und Hinweise auf Organisationen, die Männer bei der Reflexion und Überwindung ihrer Rolle unterstützen.

Diese Rezension schreibe ich während der Debatte über die Ausschreitungen junger Männer in der Silvesternacht 2022/23. In der Grafik, die ich abfotografiert habe, ist die Entwicklung der Bildungsabschlüsse der letzten Jahrzehnte zu sehen. Bei den jetzt 15-25-jährigen Männern haben 48 % keinen Schulabschluss. Mädchen können in unserem System weiterkommen, inzwischen haben 19 % mehr ein Abitur, als Jungen, diese werden zunehmend abgehängt. Und nicht nur die mit Migrationshintergrund!


Genre: Geschlechter, Gesellschaft
Illustrated by Heyne München

Boys run the Riot 2

Boys Run the Riot 2: Ein persönlicher, aufrichtiger und inspirierender Coming-of-Age-Manga (2)„Aus tiefster Seele sträubt sich alles in mir gegen den Anblick meiner selbst“ (Ryo)

Nachdem trans Junge Ryo und seine Freunde Jin und Itsuka eine klare Absage bei einem großen Verkäufer für ihre selbst kreierte Mode erhalten haben, beschließen sie, das Geld für deren Vermarktung selbst zu verdienen. Ryo will in seiner Trans-Identität einen Job bekommen, scheitert aber. Schließlich findet er eine Arbeit in einem Lokal, das als Arbeitskleidung unisex-Kleidung anbietet. Gleich am ersten Tag durchschaut ihn seine Kollegin Mitsuki sofort – sie spürt, dass Ryo äußerlich zwar ein Mädchen, aber innerlich ein Junge ist. Von da an scheint es für Ryo gut zu laufen, denn Mitsukis spielerische Art, mit diesem Faktum umzugehen, hilft ihm auch bei seinen Arbeitskollegen. Dann aber verliebt sich einer der Kollegen in Ryo – und zwar in Ryo als Mädchen. Ryo ist zunächst verzweifelt und gibt dem Mann einen Korb, aber nach einem Gespräch mit Mitsuki entwickelt er eine Strategie, um wieder unbefangen mit seinem Kollegen umgehen zu können. Außerdem lernt er die Trangender-Frau Tsubasa kennen, die im Gegensatz zu ihm offen mit ihrer Identität umgeht. Tsubasa will den drei Freunden helfen, ihr Modelabel bekannter zu machen – und stößt unerwartet an Ryos Grenzen.

Anderssein verlangt Mut und (Selbst-)Reflexion – tagtäglich

Der 2. Band geht wieder einfühlsam auf die inneren und äußeren Turbulenzen ein, die Ryo durchmachen muss, und wie mühsam und (zu) oft frustrierend das Leben tagtäglich ist, wenn man anders ist als andere. Ryo hat große Selbstwertprobleme, weil sein Erscheinungsbild nicht mit seinem inneren Geschlecht übereinstimmt und seine Umgebung ihm normalerweise spiegelt, dass er ein Mädchen ist und sich dementsprechend anzuziehen und zu verhalten hat. Wie Shimada, der Ryo ganz deutlich sagt, dass er ihn nur als Mädchen sieht und zudem unkritisch Rollenklischees transportiert. Nur ganz wenige Menschen nehmen Ryo so, wie er ist – und das ebenso selbstverständlich wie alle anderen ihn leider nicht so nehmen, wie er ist. Durch seine Art und den Zuspruch seiner Freunde erweitert Ryo aber allmählich seinen Radius und findet langsam mehr Zugang zur Welt und die Welt Zugang zu ihm.

Zu den fundamentalen Identitätsproblemen kommen noch Liebeswirren. Dass Ryo ein Liebesgeständnis von einem Mann, Shimada, erhält – der in ihm aber nur die Frau sieht – verwirrt und verletzt ihn. Er hatte sich auf eine gute neue Freundschaft eingestellt und nicht auf eine Liebesbeziehung. Dass dieser Mann nach Ryos Zurückweisung nicht mehr normal mit Ryo umgeht, verletzt den Transgender-Jungen. Aber da macht der Manga Mut, seinen eigenen Weg des Umgangs mit einer solchen Situation zu finden und sich u.a. Rat bei anderen zu holen, die einem wohlgesinnt sind. In diesem Fall sind das sowohl Mitsuki als auch Tsubasa. Mitsuki macht Ryo klar, dass dessen Herz für Frauen schlägt. Außerdem stellt sie ihm die Frage, ob Ryo auch äußerlich ein Mann sein muss, um Frauen zu lieben. Tsubasa stellt Ryo die Frage, was so schlimm daran wäre, sich in Männer zu verlieben. Allerdings sagt sie dann etwas, was wohl kein*e Trangender über das eigene biologische Geschlecht sagen würde: „Ich bin ein Mann und ich stehe auf Männer!“ Das irritiert, denn dann würde sich die Transgenderfrau in ihrem männlichen Körper wohlfühlen, was normalerweise nicht der Fall ist.

Aber abgesehen von diesem nicht unwesentlichen Fauxpas ist das ein gelungener Manga über das Thema Transgender, verbunden mit den Themen Mode und Kunst als Selbstverwirklichung, Freundschaft und Liebe


Genre: Manga, Mode, Selbstverwirklichung, Transgender
Illustrated by Carlsen Manga!

Helden. Klassische Sagen der Antike

Stephen Fry Helden

Oh Ikarus, Ikarus, mein geliebter Junge. Warum hast du nicht auf mich gehört? Warum musstest du so nah an der Sonne fliegen?“, klagt der Erfinder Daidolos seinen Sohn und sein Schicksal. Viele Väter dürften dieses Lamento schon gehegt haben, denn zumeist ist der Jugend kein Rat der Alten teuer. Dabei könnte man so viel von ihnen lernen!

Götter: personifizierte  Gefühle, Ideen, Impulse

Stephen Fry, der britische Schriftsteller, Schauspieler, Moderator, Kolumnist und Regisseur, legt mit “Helden” die Fortsetzung seiner klassischen Sagen der Antike vor, sie gehört ebenso wie “Mythos” und “Troja” zur Trilogie des fleißigen Mythologen. Wie im Vorgängerwerk habe er darauf geachtet, “die Geschichten ohne Erklärungen oder Deutungen zu erzählen”, wie er im Nachwort schreibt. Denn gerade die Produkte des “kollektiven Unbewussten” bedürften keiner solcher. Schließlich habe der Euhemerismus, die rationalistische Deutung von Mythen, längst bewiesen, dass etwa Troja oder Mykene wirklich existierten. Aber auch die Götter selbst existieren, denn es ist letztendlich egal ob wir die beschriebenen Regungen als “Gott, Impuls oder fixe Idee” bezeichnen, die Griechen seien einfach schlauer gewesen: “Sie zu personifizieren ist ziemlich schlau – vielleicht nicht ausreichend um mit ihnen klarzukommen, aber doch gut genug, um den unkontrollierbaren und unergründlichen Kräften, die uns im Griff haben, Form, Dimension und Charakter zu geben.

Helden ohne Furcht und Tadel

Wenn also Ikaros vom Himmel fällt, weil er mit seinen mit Wachs geklebten Flügeln zu nahe nahe an die Sonne geraten ist, beschreibt dies treffend ein Bild und vermittelt der unter ihm ihn beobachtenden Schiffsmannschaft von Theseus zugleich Trost und Verheißung. Daidolos war es nämlich, der Theseus half, den Minotaurus zu besiegen worauf er von König Minos eingesperrt wurde. Aber dank seines Erfindungsreichtums konnten er und sein Sohn fliehen. Ariadne hingegen bleibt alleine auf Naxos zurück, ein Schicksal da an anderer Stelle weitererzählt werden sollte. Aber was soll man sagen? “Theseus interessierte sich nicht für die Vergangenheit, nur für die Zukunft. Das ist eines der Merkmale von Helden, das sie anziehend und abstoßend zugleich macht.

Die vorliegende Ausgabe ist mit Gemälden aus der Kunstgeschichte illustriert und hat im Anhang zudem ein Register mit Helden und solchen, die es gerne geworden wären. Weitere Geschichten in diesem Band drehen sich um Jason und die Argonauten, den smarten Ödipus und die Sphinx, Perseus und die Perser, Herakles und seine 10-12 Aufgaben, Bellerophon, der mit Hilfe des fliegenden Pferdes Pegasos die Chimäre tötete, Orpheus, der nicht nur singen konnte und Atalante, die sich nur von dem entjungfern ließe, der sie im Wettkampf besiegte.

Stephen Fry
Helden. Die klassischen Sagen der Antike neu erzählt
Übersetzer: Matthias Frings
Gehört zu Die Mythos-Trilogie Bandnummer 2
2020, Paperback, 461 Seiten
ISBN 978-3-351-03481-8
Aufbau Verlag
26,00 €

 


Genre: Geschichte, Heldensagen, Legenden, Mythen, Sagen
Illustrated by Aufbau Berlin

Unordnung im Himmel

“Der Große Vorsitzende” Slavoj Žižek

Unordnung im Himmel. Die Unordnung, die Slavoj Žižek in seinem neuen Buch meint, geht auf ein Zitat des Großen Vorsitzenden Mao Tse-tung zurück. Denn Krise (Unordnung) bedeutet bekannterweise nicht nur Chaos, sondern auch Chance. Der vorliegende Band enthält kurze Aufsätze zu den Themen, die uns seit Ausbruch der Krise (Pandemie) in Atem halten. So analysiert Žižek – kurzatmig und kurzweilig wie immer – etwa die Tatsache, dass die USA ihre moralische Führung verloren haben, warum Assange immer noch nicht frei ist und weswegen wir heutzutage mehr radikale Veränderungen statt Mitgefühl brauchen. Trägt er deswegen eine Mao-Uniform auf der Illustration am Cover?

Unordnung im Himmel

Freundlichkeit und Mitgefühl können sich in der Regel nur diejenigen leisten, die oben stehen“, meint Žižek etwa, wenn es um Migration geht und verlangt ausgerechnet mit einem Oscar Wilde (!) Zitat, unseren altruistischen Tugenden, die genau die Erreichung ihrer eigenen Ziele verhindern würden, enndlich abzuschwören. Genau das ist es wohl auch, was er ein paar Zeilen weiter als “liberalen Opportunismus in seiner schlimmsten Form” bezeichnet: “Aus Angst, die Mitte zu verschrecken, sagt man sich von den linken ‘Extremisten’ los.” Aber gerade in Zeiten des Trumpismus hätte man schon mit der Verteidigung der liberalen Demokratie alle Hände voll zu tun und es scheint wirklich zu viel verlangt zu sein, darüber hinaus noch eine Perspektive zu entwerfen. Schließlich wird das Feld der politischen Spannung, der hegemoniale Diskurs, längst von den Rechten bestimmt, und das nicht erst seit der Pandemie.

Lageberichte aus dem irdischen Chaos

Der letzte, 35. Aufsatz, in vorliegendem Band trägt denn auch den provokanten Titel “Warum ich immer noch Kommunist bin” und wird wohl viele Leser:innen allein deswegen schon abschrecken. “Tout ce qui bouge n’est pas rouge“, zitiert Žižek Alain Badiou und tatsächlich dominiert die politische Rechte der Gegenwart den hegemonialen Diskurs indem sie sich einer langen Tradition überwiegend linker Volksproteste bedient, gibt Žižek zu bedenken. Warum also klammert sich Žižek immer noch an den “verfluchten Namen des Kommunismus“, wie er schreibt, wenn er doch wisse, dass das kommunistische Projekt des 20. Jahrhunderts längst fehlgeschlagen ist und dabei nur “neue Formen mörderischen Terrors” hervorgebracht habe? Da wir uns dem Ende in Form einer apokalyptischen Katastrophe nähern, sei es umso klarer sich zur Freiheit als erkannte Notwendigkeit zu bekennen: “Das Ende der Zeit wird als die Unmöglichkeit des Endes erlebt“. Für Žižek bleibt die letzte Wahl immer noch der Kommunismus.

Slavoj Žižek
Unordnung im Himmel.
Lageberichte aus dem irdischen Chaos.
Aus dem Engl. von Axel Walter
2022, Broschur, 288 S. 13,5 x 21,5 cm
ISBN 978-3-8062-4487-8
wbg Theiss, Darmstadt


Genre: Philosophie, Politik
Illustrated by wbg theiss

The Moment I fell for you

The Moment I Fell For YouDie Macht der Kunst

Weder Bay noch Dare haben ein einfaches Leben. Bay ist nach dem Verlust des Vaters vor drei Jahren umgezogen. Ihre alleinerziehende Mutter rackert sich nachts als Krankenschwester ab. Und Bay gilt in ihrer Schule immer noch als „Die Neue“, mit der niemand etwas zu tun haben will. Dare hat seine Mutter früh verloren und wächst, seit er 12 Jahre alt ist, praktisch allein auf – was er gut findet, denn sein alkoholkranker Vater verprügelt ihn, wenn er zuhause ist. Um über die Runden zu kommen, repariert Dare die Autos seiner Mitschüler.

Aber beide sind mit ungewöhnlichen Talenten gesegnet: Bay ist durch ihren musikalischen Vater die Musik in die Wiege gelegt worden. Sie kann nicht nur sehr gut Gitarre spielen, sondern auch wunderschön und ausdrucksstark singen. Dare spielt auf hohem Level Football und hofft, in eine Profi-Mannschaft aufgenommen zu werden. Aber durch eine Schlägerei, bei der ein anderer Mitspieler durch ihn verletzt wurde, steht diese letzte Chance auf ein besseres Leben auf der Kippe. Außerdem kann Dare sehr gut zeichnen, was er aber vor allen anderen versteckt, um seinen Ruf als Footballer nicht zu gefährden.

Eines Tages hört Dare Bay im Garten singen und ist von ihrem Gesang derart berührt, dass er beschließt, ihr näher zu kommen. Aber Bay ist misstrauisch: Warum will dieser gutaussehende und an der Schule beliebte Junge plötzlich mit einer Außenseiterin Kontakt aufnehmen, wo er Bay doch zuvor jahrelang wie Luft behandelt hat?

Der romantische Roman ist augenscheinlich der Auftakt einer Trilogie. Wie schon an anderer Stelle geschrieben bieten die New-Adult-Romane nicht nur eine nette Liebesgeschichte, sondern auch Tiefe in Form von schwerwiegenden Problemen, die die jungen Leute mit sich herumschleppen und mit denen sie irgendwie zurechtkommen müssen. Dies kann an Lebenssituationen von Leserinnen andocken und Lösungswege aufzeigen (die wie im „echten“ Leben sehr kurvig verlaufen können). Allerdings habe ich festgestellt, dass die Romane es in der Summe mit den schwierigen Lebenssituationen übertreiben, indem sie einem einzelnen Charakter doch sehr viel zumuten – und damit den Leserinnen.

Sind zweite Chancen immer sinnvoll?

Außerdem finde ich speziell in diesem Buch manche Situationen, die einschneidend auf den weiteren Verlauf wirken, nicht so gut vorbereitet. Manche Wendungen kommen derart abrupt, dass man auch als Leserin verwirrt ist. Die Erklärungen dafür sind eher punktuell, knapp und damit nicht so ganz plausibel. Sie wirken eher wie der Versuch, ein retardierendes Moment um jeden Preis einzubauen, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Die Wirkung soll zwar mit dem indirekten Hinweis abgedämpft werden, dass es der jeweiligen betroffenen Figur ähnlich geht, aber durch zu wenig Erklärung verpufft dieser Effekt. Soll das alles erst in den folgenden Bänden gelüftet werden?

Dare ist zudem ein schwieriger Fall für eine gesunde Beziehung, denn er reagiert sehr aggressiv auf Situationen und Menschen, die ihm aus seiner Sicht nicht guttun. Bay blockt deswegen zu Recht ab, denn auch im wahren Leben endet es für die Frauen schlecht, wenn sie bei einem solchen Mann bleiben (wie Frauenhäuser leider zur Genüge zeigen). Es mag angehen, dass hier evtl. zweite Chancen vertreten werden – aber ich halte es für einen gefährlichen Weg, das bei aggressiven, destruktiven Männern zu propagieren, denn es würde Frauen nur weiter ermutigen, sich von solchen Männern nicht zu befreien und damit einen leidvollen Teufelskreis weiterzugehen!

Ansonsten ist dieser Roman wie die anderen ähnlicher Art so aufgebaut, dass sowohl die weibliche wie auch die männliche Hauptfigur in der Ich-Erzählung abwechselnd zu Wort kommen, um die jeweiligen Perspektiven zu veranschaulichen. Spannung ist ebenfalls durchgängig gegeben. Der Roman endet mit einer Art Cliffhanger. Außerdem wird die sich anbahnende Beziehung der beiden gut aufgebaut, sodass man mitfiebern kann.


Genre: New Adult, Romantik, schwierige Lebenssituationen
Illustrated by LYX