Golanhöhen

BischoffMan muss nur tief genug in der Vergangenheit des Kriminalkommissars wühlen, dann findet man schon den Mörder. So scheint seit einiger Zeit ein unumstößliches Krimi-Gesetz zu lauten. Egal, ob man „Tatort“ einschaltet oder einen Kriminalroman aufschlägt – ohne persönliche Verwicklungen der ermittelnden Personen geht es anscheinend nicht mehr. Der unbeteiligt ermittelnde Kommissar wurde wohl in Rente geschickt. Da macht auch der neue Roman „Golanhöhen“ von Marc-Oliver Bischoff aus der bewährten Dortmunder-Krimi-Schmiede (Grafit Verlag) keine Ausnahme. Aber soviel vorab: Dies ist auch schon der einzige zu bemängelnde Punkt und zugegebenermaßen auch persönlichem Überdruss geschuldet. Davon abgesehen ist das Buch ein außerordentlich gut gemachter Krimi, angemessen düster, intelligent aufgebaut und erzählt.

„Golanhöhen“ ist der dritte Teil von Bischoffs Frankfurt-Trilogie. Während in den ersten beiden Teilen noch Kriminalpsychologin Nora Winter ermittelte, steht aufgrund ihres Erziehungsurlaubs diesmal ihr Mann Gideon an der Spitze der Ermittlungen – zumindest so lange, bis er degradiert und suspendiert wird. Der Plot ist zum größten Teil angesiedelt in den heruntergekommenen Sozialbauten am Frankfurter Ben-Gurion-Ring, welche den unglücklichen „Spitznamen“ Golanhöhen tragen. Dieses Viertel gleicht in Frankfurt „einem schwarzen Loch. Armut zieht Armut an. Probleme bringen weitere Probleme mit sich“. Der noch positivste Lerneffekt, den ein Bewohner dort mitnehmen kann, ist Selbstmitleid. Selbstmorde sind alltäglich. So geht auch Gideon Richters Team zunächst von einer Selbsttötung aus, als sie zu einem Todesfall in den Sozialbauten gerufen werden. Doch Gideon hat Zweifel. Die Tote ist erst vor kurzem aus der Haft entlassen worden, warum sollte sie sich ausgerechnet jetzt vom Dach stürzen? Und was ist mit dem toten Baby, dass in der Mülldeponie gefunden wurde? Hängen die beiden Fälle zusammen?

Gideon allerdings tut sich ausnehmend schwer, sich auf die Ermittlungen zu konzentrieren. Den frischgebackenen Vater lassen Ermittlungen um ein totes Baby und eine Frau, die als Kindsmörderin inhaftiert war, ganz und gar nicht kalt. Dazu kommt eklatanter Schlafmangel, denn das Baby lässt Nora und ihm nicht viel Ruhe. Deshalb leidet er unter unerklärlichen Blackouts, von denen er befürchtet, dass sie nicht nur aus den schlaflosen Nächten resultieren. Und dann muss er sich auch noch besagten ungeklärten Dingen aus seiner Vergangenheit stellen, die plötzlich den Fall unerwartet tangieren. Gideon verliert Distanz und Objektivität und trifft einmal zu oft eine unhaltbare Entscheidung.

Bischoff beginnt den Roman zwar mit einem rasanten Prolog, läßt sich dann aber Zeit, den eigentlichen Fall ganz ruhig und detailliert, dabei aber an jeder Stelle spannend zu beginnen. Im weiteren Verlauf steigert er sein Tempo, die Brechstange bleibt dabei dankenswerterweise weggeschlossen. An jeder Stelle lässt er sich Zeit, alle Aspekte des Falls und der Ermittlungen in einem wohltuend unaufgeregten Schreibstil auszuleuchten. Ausführlichen Platz bekommt dabei auch die Betrachtung heutiger Arbeitsbedingungen. Unterbesetzte Teams, Stress, die Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, die stillschweigend vorausgesetzte Bereitschaft, auch über vertragliche Arbeitszeit hinaus bereitwillig parat zu stehen, auch und gerade bei Teilzeitkräften – Themen, die sicher nicht nur, aber eben auch Polizei-Teams beschäftigen. Bischoff zeigt am Beispiel von Gideons Team explizit und kritisch, wie sehr das so oft gehörte ungute „Sei froh, dass Du noch einen Job hast“ bereits gesellschaftlich akzeptiert ist. Dass dem Leser auch bei solchen Exkursen nicht langweilig wird, liegt nicht nur am Wiedererkennungswert, sondern sicher auch an der Fähigkeit des Autors, nicht nur geschliffen zu formulieren, sondern sich auch ohne Anbiederung in seinen Dialogen den jeweiligen Schichten gut und glaubwürdig anzupassen. Spannend zum Schluss der Mut des Autors, ausgerechnet eine Trilogie mit einem offenen Ende zu beschließen.

Marc-Oliver Bischoff kam über das Bloggen zum Schreiben, sein erster Krimi „Tödliche Fortsetzung“ wurde gleich mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Ludwigsburg und arbeitet dort als Technologieberater.

Erstveröffentlichung dieser Rezension in den Revierpassagen.de


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Grafit Dortmund

Mehr als Worte

Mehr als Worte original Cover komprimiertCarlotta versinkt in Depressionen, nachdem ihr Idol, der Schriftsteller Damiano Mantovani, sie abserviert hat.

Da hält das Schicksal in Gestalt des Verlegers Federico Sangiorgi eine dramatische, aber positive Wendung bereit.

Als Carlotta dann endlich wieder bereit ist, einem Mann ihr Herz und ihre Seele zu öffnen, sich neuen Möglichkeiten der Liebe zuzuwenden, da trifft sie der nächste Tiefschlag: Ist der Traummann Federico etwa schwul?

Aber auch Damiano Mantovani hat den Kampf um sein Glück noch nicht vollkommen aufgegeben, erneut umwirbt er Carlotta, und so bleibt bis zum Ende alles offen …

Dies ist keine reine Fortsetzung von »Ungesagte Worte«, sondern beginnt vor dessen Ende.

Es erzählt viele der gemeinsamen Erlebnisse mit Carlotta diesmal aus Federicos Sicht, und gibt darüber hinaus Einblicke in Damianos Seelenleben.
Und – so wie von vielen Leserinnen angemahnt – es verspricht ein »echtes« Happyend

Es ist erstaunlich, wie es Laura Gambrinus gelingt mich, also den Leser, schon nach kurzer Zeit so in die Geschichte hinein zu reißen. Ich konnte mich nicht mehr von Frederico lösen. Einen ganzen Tag lang bin ich mit seinen Gefühlen undLaura Gedanken mitgeschwommen. Habe seine erste Verwirrung in mir gespürt, den Wunsch, einer am Abgrund der Gefühle stehenden Frau wieder den Weg ins Leben zu erleichtern.
Ich habe mich köstlich amüsiert über die Ideen im Kopf einer Frau, die, so kennt Mann das eigentlich nicht, nicht darüber redet, oder nur mit der Freundin.
Gefühlsverwirrungen sind so vorprogrammiert.
Der Gedanke, seinen großen Seelenschmerz innerlich einzupacken, um ihn dann in einem tiefen Abgrund für immer zu begraben, wunderschön. Davon hätte ich eher etwas erfahren müssen.
Wer gerne eine Liebesgeschichte mit allen Facetten des normalen Lebens liest, ist bei der Autorin sehr gut aufgehoben.
Aber schaut selbst ins Buch und gebt mir nach dem Lesen recht.
Ich habe es in eins gelesen und zum Mittagessen nur eine Tüte Chips aufgerissen.

Ich wünsche Laura Gambrinus alles Gute für diesen wunderbaren Roman. Wir werden bestimmt noch einiges von ihr zu lesen bekommen. Interesse? Hier geht es zum Buch.

Hier einige Werke von ihr, die schon erschienen sind.

ungesagte worte SeesternliebeZauber der Lagune


Genre: Liebesroman
Illustrated by Kindle Edition

Still – Chronik eines Mörders

Ein leises, märchenhaftes Buch über ein zu lautes Leben

stillGleich vorweg: dieses Buch einem bestimmten Genre zuzuordnen fällt mir schwer. Ein bisschen Thriller, ein bisschen Krimi, ganz viel Familiengeschichte aber hauptsächlich ein Drama, so sehe ich diese anrührende Geschichte.
Wer einen Roman ohne Tod und Unheil erwartet ist hier falsch, wer einen blutrünstigen Thriller möchte, ebenfalls.
Blut fließt trotzdem, reichlich sogar, aber der Reihe nach.

Der Protagonist Karl wird in einem kleinen, verschlafenen Nest geboren und hält von Anfang an seine Eltern in Atem. Nicht, weil sich hier schon seine Bösartigkeit zeigen würde, sondern weil er schreit. Laut. Immer. Ohne Pause, so dass ein ganzes Dorf in Mitleidenschaft gezogen wird.
Als alle Beteiligten schon fast mit ihren Nerven am Ende sind, findet sein Vater den Grund für das Gebrüll heraus: Der kleine Karl hat ein hypersensibles Gehör, besser als jeder andere Mensch hört er selbst die leisesten Töne, entferntesten Gespräche und Lebensgeräusche. Eine für Andere normale Lautstärke bereitet ihm körperliche und seelische Schmerzen, weswegen ihm seine Eltern schließlich ein isoliertes Zimmer im Keller einrichten. Hier lebt er vor sich hin, findet schnell Freude an Büchern und zeigt eine hohe Intelligenz. Einen Zugang zu seiner Mutter findet er jedoch nicht, ebenso wenig, wie sie zu ihm. Sie ist mit einer derartig hohen, quakigen Stimme gesegnet, dass er sie schon im Mutterleib nicht ertragen konnte.
Die Jahre gehen ins Land, Karl im Keller, das restliche Leben oberhalb. Was niemand bedenkt: Karl kann selbst geflüsterte Gespräche hören, immer mehr erkennt er, wie anders er ist, wie er abgelehnt wird. Er beginnt zu fühlen, was Unrecht ist, als seine Mutter ein Verhältnis mit dem Dorfarzt beginnt. Nach einem tragischen Ereignis erkennt er schließlich, dass das einzig Schöne, Stille der Tod ist. Nur hierin erkennt er Liebe, versteht nicht, warum die Menschen am Leben festhalten, wenn der Tod doch so viel besser ist. Er beschließt, den Menschen zu helfen, in der Annahme, wirklich Gutes zu tun und ab hier beginnt die blutige Spur, die auf dem Klappentext des Buches vermerkt ist.
Karls Leben nimmt viele Wendungen, nur wenig Schönes passiert ihm, mit einer Ausnahme: Er begegnet einem ganz besonderen Menschen, der ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr loslassen wird. Das Ende ist konsequent und emotional, nicht wirklich unerwartet, aber richtig.

Wie so oft, wird einen kurze Inhaltsangabe dem eigentlichen Text nicht gerecht, das Buch ist so unglaublich großartig geschrieben, so märchenhaft und zeitlos, dass mir nur ein passender Vergleich eingefallen ist: „Das Parfum“ von Patrick Süßkind. Dieser Roman gehört für mich zu den ganz Großen und Thomas Raabs „Still“ kann hier meiner Meinung nach problemlos mithalten.
Im Anfangssatz hatte ich geschrieben, dass dies ein leises Buch sei. Das meine ich absolut positiv. Der Autor hat es verstanden, das Leben Karls aufzuzeigen und mich daran teilhaben zu lassen, ohne „laute“ Worte zu verlieren. Es sterben so viele Menschen, und trotzdem wirkt der Tod immer leise und friedlich, wie von Karl beabsichtigt. Immer wieder überzog mich ein leises Gruseln, insbesondere im Mittelteil, weil Karl wahrscheinlich als größter Massenmörder in die Geschichte eingehen könnte, wäre er nicht fiktiv. Trotzdem artet das ganze niemals in ein in ein Splatter-Gemetzel-Buch aus.
Alle Figuren sind sehr anschaulich beschrieben, keine klischeehaft oder langweilig. Die Hauptfiguren sind etwas Besonderes. Keine ist eindeutig gut oder böse, die ganze Geschichte an keiner Stelle einfach schwarz-weiß. Offensichtlich ist hier natürlich Karl, der nach den Maßstäben unserer Gesellschaft Böses tut, aber in der Annahme, den Menschen zu helfen.
Auch einige der anderen Figuren sind durchaus ambivalent zu sehen und diese Geschichte wird mir noch sehr lange im Kopf bleiben.

Der Sprachstil ist unheimlich bildreich, metaphorisch und einfühlsam, nicht nur inhaltlich ist dieses Buch lesenwert, sondern auch, weil Thomas Raab sich hier als wunderbarer Sprachkünstler präsentiert.

Für mich ist dies eines der bemerkenswertesten Bücher dieses Jahres, ich werde es sicher noch ein zweites Mal lesen.


Genre: Romane, Thriller
Illustrated by Droemer Knaur München

Einfach nur ich … ich habe überlebt

51h8Z9SyPML._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Ein Buch über ein abenteuerliches Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Schonungslos offen und ehrlich erzählt. Erfahrungen, auf die ich teilweise liebend gerne verzichtet hätte, aber sie gehören nun mal zu meinem Leben. Nicht immer leicht, keine schöne Geschichte, keine schönen Erfahrungen, einfach nur ICH, mit allen Ecken, Kanten, Fehlern und guten Seiten. Keiner hat dieses Leben für mich gelebt und keiner wird es mir abnehmen und für mich weiterleben.

Daggi Geiselmann schildert in einer verstörend sachlichen Form die Umstände ihres Lebens. Aus einem verschüchterten, fast unsichtbarem Kind wird ein junges Mädchen, naiv und auf der Suche nach Aufmerksamkeit und Liebe. Dass sie in der Stadt, in der sie aufwächst, leichte Beute für zwielichtige Gestalten wird, ergibt sich fast von selbst. Tiefer und tiefer wird sie in den Abgrund gezogen und arbeitet am Schluss als Prostituierte, um ihre Heroinsucht zu finanzieren. Dass irgendwann am Ende, als es wirklich nicht mehr weitergehen kann, ein rettender Engel auftaucht, ist erlösend und doch weit entfernt von einem Happy-End.

Wer sich vom Cover und dem nicht gerade aussagfähigem Klappentext nicht abschrecken lässt, erhält Einblick in ein Leben, das es einem unmöglich macht, nach Ende des Buches von Daggi Geiselmann loszukommen. Man muss bereit sein, sich mit all seinen Emotionen auf die Autorin einzulassen. Schonungslos und fast sachlich schildert sie, wie ihr Leben von Anfang an schief gelaufen ist. Während man beim Lesen des Buches wohlbehütet im heimatlichen Wohnzimmer sitzt, steigen Bilder auf, die den Leser nach Luft schnappen lassen. Wie tief sich dieses Elend in die Seele der Autorin gefressen hat, erkennt man am Schreibstil. Sie verheimlicht nichts, beschreibt ihre Arbeit als Prostituierte, schildert, wie sie Heroinsüchtig immer auf der Jagd nach dem nächsten Schuss ist und beschreibt auch den Mann, der sie aus dem Schlamassel herausholt. Das alles geschieht ohne große Emotionen und literarische Tiefe. Genau diese “Oberflächlichkeit” löst aber das Entsetzen im Leser aus. Während des Lesens habe ich ohne Unterlass auf ein Happy-End gehofft, aber auch dieses Aufatmen findet nicht statt.

Eine Biografie, die dem Leser kraftvoll vor Augen hält, wie gut es ihm geht.

Erschütternd. Gerade deshalb lesenswert.


Genre: Biographien
Illustrated by Kindle Edition

Mein Nachbar und ich

51AkPYU60xL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Vicky kommt mit ihrem fünfjährigen Sohn prima allein zurecht und pfeift  auf Männer. Sie fühlt sich wohl mit Kind, Job und Wohnung – doch das ändert sich schlagartig, als der attraktive Simon samt Tochter ins Haus zieht. Irgendetwas an ihm bringt Vicky auf die Palme und Simon geht es mit ihr nicht anders. Als eines Tages die Kita-Erzieher für eine Woche streiken, müssen sich die beiden notgedrungen gegenseitig aus der Patsche helfen. Dabei stellen sie fest, dass der erste Eindruck manchmal gewaltig täuscht.

Alleinerziehende Mutter mit Sohn, alleinerziehender Vater mit Tochter. Er ist freiberuflicher Architekt und arbeitet zuhause, sie jedoch fährt jeden Morgen ins Büro. Beide Kinder bleiben in der Kita und freunden sich an. Die Antipathie der Eltern ist greifbar, doch dies wird von den Kindern pflichtschuldigst ignoriert. Als beide Eltern vor einer wichtigen beruflichen Heruasforderung stehen, streikt natürlich das Personal in der Kita und die alleinerziehenden, erfolgreich berufstätigen Eltern müssen sich zusammenraufen, um die Kinder irgendwie unterzubringen und zu betreuen. Was passiert, wird dem Leser schnell klar: sie tasten sich aneinander heran, umschleichen sich, verwerfen ihre Gefühle, nerven sich, kurz, sie tun all das, was zwei Menschen tun, die feststellen, dass ihre anfängliche Antipathie in etwas anderes umschlägt.

Wer gerne Liebesromane liest und Screwball-Komödien schaut, wird von diesem Buch begeistert sein. Kirsten Wendt und Marcus Hünnebeck beschreiben diese Liebesgeschichte überaus kurzweilig und amüsant. Neu an der Geschichte ist, dass es ein Wechselspiel der Sichtweisen gibt. Hat man sich gerade auf die Seite von Vicky geschlagen, erfährt man, wie Simon die Situation sieht und welche Ziele er verfolgt. So möchte man lieber ihn herzen und unterstützen. Wie beide Autoren abwechselnd aus Männleins und Weibleins Sicht die Entstehung einer Liebe schildern, habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Zwei Menschen wie du und ich mögen sich nicht, mögen sich doch, gestehen es nicht ein, entfernen sich wieder, taktieren und am Ende sind auch die Kinder nicht ganz unbeteiligt daran, dass es kommt wie es kommen muss. Ein Schlagabtausch der Emotionen, sehr wortgewandt und spritzig geschrieben. Ein paar skurrile Typen beteiligen sich an der Paar-Werdung und auch diese sind warmherzig und mit viel Sinn für Humor gezeichnet. Die beginnende Romanze der beiden Protagonisten wird fortwährend unterbrochen durch die wunderbar verdrehte Wortwahl der Kinder, sodass man diese Menschen einfach mögen muss.Wunderbar und leicht zu lesen.


Genre: Liebesroman
Illustrated by Kindle Edition

Die Stillen müsst ihr fürchten – Tatort Köln

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Ein psychopathischer Killer vergewaltigt und ermordet junge Frauen in Köln auf brutale Weise. Nach dem Mord stellt er Bilder der toten Frauen in die Facebook-Profile der Toten. Die Kripo Köln um Lasse Brandt ermittelt auf Hochtouren, da der Mörder bereits seine nächste Tat angekündigt hat. Zu allem Überfluss bekommt Brandt einen neuen, unerfahrenen Partner an seine Seite gestellt. Kann die Kripo Köln den Täter schnappen, bevor die nächste junge Frau ihm zum Opfer fällt oder wird Brandt selbst zur Zielscheibe des Psychopathen?

Nach zwei Frauenleichen, deren Fotos im social media auftauchen und die Kölner in einen Zustand der Schockstarre versetzen, scheint es für Kommissar Lasse Brandt und seinen neuen  Kollegen, als sei der Täter immer einen Schritt voraus. Der Täter jedoch lässt den Leser an seiner kranken Handlungsweise teilhaben und führt die Polizei weiterhin an der Nase herum. Fieberhaft versucht das Team der Ermittler eine Gemeinsamkeit herzustellen zwischen den Opfern. Bis dies gelingt, landet die Polizei immer wieder in Sackgassen. Selbst als Brandt dem Täter gegenüber steht, gelingt es ihm nicht, ihn zu verhaften.

Der Klappentext klang wie ein beliebiger Krimi, erschien typisch: ein Psychopath, junge Frauen, die ermordet werden und ein Bulle, der irgendwie nicht genug Abstand hat. So weit schon einige Male geschrieben und nicht wirklich spektakulär. Weit gefehlt. Je weiter man eindringt in die Psyche des Mörders, umso größer wird die Spannung. Salim Güler versteht es, den Leser ins tiefste Innere des Mörders zu führen. Am liebsten möchte man der Polizei zurufen, was der Psychopath als nächstes plant. Tatsächlich tappt der Leser im Dunkeln, um wen es sich handelt. Dies offenbart sich erst zum Ende. Der Spannungsbogen wird von der ersten bis zur letzten Seite gehalten, auch weil die agierenden Figuren sehr gut charakterisiert sind. Man hat das Gefühl, jeden einzelnen zu kennen und fiebert deshalb mit. Der Täter ist ein zutiefst krankhafter und brutaler Mensch, den man im Verlauf der Geschichte am liebsten selbst massakrieren möchte. Der Autor erweckt im Leser gleichsam dunkle Seiten zum Leben, die ihn selbst erschrecken.  Andererseits möchte man dem Täter zustimmen, wenn er über die Dummheit seiner Opfer philosophiert. Bis zum Ende habe ich versucht, Abstand vom Täter und allen beteiligten Personen zu bekommen. Es ist mir nicht gelungen. Kein Krimi der üblichen Sorte sondern außergewöhnlich und überaus bestürzend.

Großartig.


Genre: Kriminalromane
Illustrated by Kindle Edition

Der törichte Engel

“Wie ein schleimiges Ungeheuer schleppte sich Weihnachten durch Pine Cove, zog eine Spur von Lametta, Girlanden und Schlittenglöckchen durch den Ort, triefte vor Eierpunsch, stank nach Tannenbaum und festlichem Verhängnis, wie Herpes unter einem Mistelzweig.“

Ein Buch, das so beginnt kann nicht gänzlich unbrauchbar sein und dieses ist im Gegenteil höchst vergnüglich, auch wenn man es stilgerecht eigentlich in der Adventszeit lesen müsste. Wir befinden uns in dem kalifornischen Kaff Pine Cove, nicht zum ersten Mal Schauplatz eines Romans von Christopher Moore, wo die Vorbereitungen für das Fest der Liebe auf Hochtouren laufen. Durch ein Missgeschick kommt der dabei der als Weihnachtsmann verkleidete Rabauke Dale Pearson nach einem Gerangel mit seiner Ex-Frau zu Tode un ein kleiner Junge droht ob des zufällig beobachteten Ablebens des heiligen Mannes traumatisiert zu werden. Wie praktisch, dass der törichte Erzengel Raziel (bekannt aus „Die Bibel nach Biff“) gerade in der Nähe und auf der Suche nach dem alljährlich fälligen Wunder ist: Flugs macht er das Geschehene rückgängig; allerdings werden durch einen Flüchtigkeitsfehler auch gleich noch alle anderen Bewohner des Friedhofs wiederbelebt. Und wie man es aus zahlreichen einschlägigen Filmen kennt, ist mit den lebenden Toten nicht gut Kirschen essen…

Christopher Moore hat mit „Der törichte Engel“ wiederum einen Roman geschrieben, der richtig Spaß macht und den dankbaren Leser verzaubert. Mit viel Liebe zum Detail brennt er ein Feuerwerk des Humors ab und lässt seine skurillen Protagonisten mächtig aufdrehen: Sheriff Crowe, der meistens bekifft ist und seine Frau Molly, die etwas aus dem Ruder läuft, seit sie eigenmächtig ihre Medikamente abgesetzt hat, nehmen an der Seite der übrigen Dorfbewohner den Kampf auf gegen blutrünstige Zombies, die zunächst Gehirne verspeisen und anschließend zu IKEA gehen wollen. In kleinen aber feinen Nebenrollen dürfen wir auch ein Wiedersehen mit dem Piloten Tucker Case und seinem sprechenden Flughund Roberto aus „Himmelsgöttin“ feiern und dabei bleibt kein Auge trocken.

Ich staune über die unerschöpfliche Fantasie des Autors und bewundere seinen herrlich trockenen Schreibstil, der im Genre der intelligenten Unterhaltung nicht leicht zu finden ist. Zu Recht wird Moore von den Kritikern immer wieder in die Nähe von Terry Pratchett und Douglas Adams gerückt und er braucht diesen Vergleich beileibe nicht zu scheuen. Ich wünschte, es gäbe mehr Bücher dieser Qualität, dann wären auch die Prüfungen, die die Deutsche Bahn täglich ihren (an Kummer gewohnten) Kunden auferlegt leichter zu ertragen.


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Himmelsgöttin

412vWWEUq0L._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Der junge Tuck ist Pilot, als solcher aber nicht sehr verantwortungsbewusst, und so geschieht es, dass er eines Tages den Jet eines Kosmetikkonzerns, für den er tätig ist, in sämtliche Bestandteile zerlegt. Es drohen der Verlust seiner Fluglizenz sowie strafrechtliche Konsequenzen und so ist Tuck mehr als froh, als er ein obskures aber prächtig dotiertes Angebot erhält: Transportflüge für einen Arzt/Missionar auf einer winzigen mikronesischen Insel. Allerdings gestaltet sich schon die Anreise dorthin mehr als abenteuerlich, denn das Boot ist in der Obhut eines wenig erfahrenen Navigators (ein Transvestit mit einem sprechenden Flughund!) und kentert. Die beiden Schiffbrüchigen retten sich mit letzter Kraft ans Ufer, wo sie sogleich von einem greisen Kannibalen in Empfang genommen werden.

Nach Klärung einiger Missverständnisse lernt Tuck dann seinen neuen Arbeitgeber und dessen Frau kennen, die eine Klinik auf der Insel der Haifischmenschen betreiben. Von Missionierung ist jedoch nicht viel zu sehen, die Eingeborenen hängen vielmehr einem „Cargo-Kult“ an und verehren ein altes Kriegsflugzeug mit einem aufgemalten Pin-up-Girl. Und es gibt noch mehr Merkwürdigkeiten: Geld scheint für den guten Doktor keine Rolle zu spielen, das Krankenhaus ist bestens ausgerüstet und wird streng bewacht, der Strand ist vermint und Tuck ist es untersagt, das Gelände zu verlassen. Klar, dass der draufgängerische Abenteurer jetzt erst recht neugierig wird und Erkundigungen anstellt…

Nach meiner ersten, eher zwiespältig verlaufenen Begegnung mit Christopher Moore in „Die Bibel nach Biff“ beschloss ich, dem Autor eine zweite Chance zu geben und siehe da, es hat sich mehr als gelohnt! „Himmelsgöttin“ sprüht nur so vor Witz und Erzählfreude und der Leser verfolgt das bunte Treiben der liebevoll ausgestalteten Protagonisten mit großem Vergnügen. Trotzdem ist der Roman mehr als nur eine Komödie, denn auch medizinisch brisante Themen stehen auf der Tagesordnung und werden ebenso souverän abgehandelt wie Religionswahn oder der Evergreen zwischenmenschliche Beziehungen. Moore bleibt dabei stets voller Humor, aber nicht ironisch distanziert, sondern er fühlt und leidet mit seinen herrlich skurrilen Figuren und das wirkt ansteckend. So entsteht ein wunderbarer Lesespaß, den ich allen Freunden intelligenter Unterhaltung guten Gewissens empfehlen kann.


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Die Bibel nach Biff

51WFGZrIdxL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Wir schreiben das Jahr 1999, der zweitausendste Geburtstag Jesu Christi steht kurz bevor und die himmlischen Mächte beschließen, an ihrer Außendarstellung zu arbeiten. Sie schicken den – nicht sonderlich intelligenten und zuverlässigen – Engel Raziel zur Erde, um Jesus’ besten Freund Biff wieder zum Leben zu erwecken, damit dieser die wahre Geschichte der Jahre des jungen Messias aufschreibt; ein neues Evangelium muss her. Die beiden mieten sich in einem Hotel in New Orleans ein, und während der Engel sich mit TV-Seifenopern und Wrestling-Kämpfen die Zeit vertreibt, erzählt Biff, was damals wirklich geschehen ist.

Es beginnt mit den Kindheitstagen der beiden Freunde, Jesus (oder Josua, wie er im Buch heißt) lässt tote Eidechsen auferstehen; er weiß zwar, dass er Gottes Sohn ist, aber nicht recht,was von ihm genau erwartet wird. Biff und Josua treffen Maria Magdalena („Maggie“), verlieben sich beide in das Mädchen, aber der Sohn des Herrn sich nicht mit fleischlichen Gelüsten beschäftigen darf, ist er auf seinen Freund angewiesen und lässt sich alles haarklein schildern. Als Maggie jedoch einem Pharisäer zur Frau versprochen wird, brechen die Freunde zu einer langen Reise nach China und Indien auf; sie suchen die drei Weisen aus dem Morgenland, die zu Josuas Geburt erschienen waren, denn von ihnen erhoffen sie sich Aufschluss über seine Mission…

Der Roman nutzt geschickt den Umstand, dass in der Bibel in der Biographie von Jesus ca. 30 Jahre fehlen, berichtet wird lediglich über die Geburt und die letzten Wochen vor seinem Tod. Auch die Spekulation, dass er sich im fernen Osten aufgehalten haben könnte, ist ja so neu nicht. Christopher Moore schreibt durchaus humorvoll, sehr gelungen sind beispielsweise die Passagen, in denen der dämliche Engel durch die TV-Kanäle zappt und auch Jesus weist bisweilen allzu menschliche Eigenschaften auf. Allerdings legt der Autor nie den (zu) großen Respekt vor seinem Protagonisten ab, gerade gegen Ende geht es dann schon ziemlich christlich zu. Eigentlich ist das schade, denn man hätte mehr aus dem Stoff machen können, ich denke zum Beispiel an den Film „Das Leben des Brian“. So ist es aber nicht mehr als ein vergnügliches Buch, das wohl auch Papst Ratzinger ohne schlechtes Gewissen lesen könnte.


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Rock-and-Roll-Zombies aus der Besserungsanstalt

51GKK9Ig6bL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_USA 1987: Die reaktionäre Reagan-Regierung versucht mit allen Mitteln ihre Vorstellungen einer christlichen und moralisch integren Gesellschaft umzusetzen und hat für jugendliche Rebellen (Punk- und Heavy Metal-Fans) Gehirnwaschanlagen eingerichtet, um diese Delinquenten auf den rechten Weg der Bigotterie zurück zu führen. In einer dieser Anstalten ist Melissa gefangen und als sie die Folter nicht mehr erträgt ruft sie ihre Freunde Wayne und Steve zu Hilfe. Die Befreier machen sich auf den Weg, doch dann schlägt ein Meteor in der Nähe des Jugendknasts ein und die dort verscharrten Toten erwachen zum Leben, um als Zombies blutrünstige Rache an ihren Peinigern zu nehmen…

Bryan Smith hat mit dieser flott geschriebenen Geschichte wieder einmal gezeigt, dass er alles liefern kann, was sich Horror-Fans vom Genre wünschen und erwarten: Eine originelle Story, Tempo, jede Menge Action und das gewürzt mit einer ordentlichen Prise Sex, Gore und Rock ‘n Roll. Bei seinen Zombies hält er sich eng an die Vorgaben der Romero-Klassiker (wer gebissen wird, verwandelt sich und das Gehirn muss zerstört werden um sie zu töten) und erweist dem Altmeister damit Referenz und Respekt. Dass er nebenbei auch noch ätzende Kritik an der Bigotterie und Heuchelei in Teilen der US-Gesellschaft äußert, erhöht den Unterhaltungswert durchaus. Ein Riesenspaß, allein der Titel des Buchs ist schon preiswürdig!


Genre: Horror
Illustrated by Festa

Kayla and the Devil

51xYGrKA1vL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Kayla ist 19, gut betucht, sieht umwerfend aus und hat dennoch ein Problem: Seit einiger Zeit wird sie von ihren Mitmenschen wie eine Aussätzige behandelt, auch Freunde und verflossene Liebhaber wollen partout nichts mit ihr zu tun haben. Des Rätsels Lösung erfährt sie bei einem Treffen mit dem Teufel, der höchstpersönlich verantwortlich ist für den Fluch, aber natürlich auch gerne bereit ist, ihr altes Leben wieder herzustellen. Allerdings gibt es bekanntlich nichts umsonst und der Preis in diesem Fall ist nicht nur Kaylas Seele, sondern auch ein Menschenopfer, das binnen einer Woche zu erbringen ist…

Bryan Smith schreibt erfrischend flott und lässt zu keiner Zeit Langeweile aufkommen, sein Stil erinnert an Edward Lee und Richard Laymon. Witzige Ideen (in diesem Roman wird Jack the Ripper wieder lebendig und sorgt für allerlei Aufregung) und viel schwarzer Humor bescheren ein höchst unterhaltsames Lesevergnügen; für Horrorfans lohnt es sich definitiv, diesen Autor zu entdecken, zumal etliche seiner Werke mittlerweile auch auf Deutsch vorliegen.


Genre: Horror
Illustrated by Bitter Ale Press

Das Spiel

51BVyQaZV6L._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_In dem kleinen Ort Donnerville, USA passiert eigentlich nicht viel, zumindest nicht in der Leihbücherei, wo die junge Jane Kerry arbeitet. Sie ist also umso überraschter, als sie dort eines Tages einen Umschlag mit 50 Dollar und einer Einladung zu einem Spiel findet. Der geheimnisvolle Unbekannte, der den Brief hinterlegt hat, nennt sich selbst „Master of Games“. Schnell findet Jane in der Bücherei einen zweiten Umschlag, diesmal enthält er 100 Dollar und weitere Instruktionen. Das Spiel geht weiter und die junge Frau ist fasziniert davon, nicht nur wegen der Belohnung, die bei jedem Fund verdoppelt wird. Allerdings steigen auch die Einsätze, die ihr abverlangt werden, denn die Orte, wo die Umschläge versteckt sind, werden für Jane immer gefährlicher. Und was hat es eigentlich mit Englischprofessor Brace Paxton auf sich, den sie gleich nach dem Auffinden des ersten Umschlags kennen lernt? Vielleicht weiß er ja mehr über das Spiel, als er zugeben will …

Bitte anschnallen und gut festhalten! Wie alle Bücher von Richard Laymon gleicht auch „Das Spiel“ einer rasanten Achterbahnfahrt in einem atemberaubenden Höllentempo. Von der ersten Seite an wird der Leser mitgerissen vom Strudel der Ereignisse, Zeit zum Luftholen bleibt kaum. Der Autor verzichtet auf langwierige Beschreibungen, die Sprache ist einfach und die kurzen Sätze verfolgen einzig und allein das Ziel, die Story zu entwickeln. Diese beschränkt sich auf den ersten 320 Seiten des Romans auf Janes Jagd nach den Geldumschlägen, bevor es dann richtig zur Sache geht und ein blutiger Albtraum beginnt.

Der Heyne-Verlag hat nun offenbar Richard Laymon für seine Hardcore-Reihe entdeckt und dort ist er bestens aufgehoben. In seinen Romanen wimmelt es von Monstern, Vampiren, Kannibalen, Psychopathen und sadistischen Triebverbrechern aller Art; ein Mix aus Sex und Gewalt. Es sind insofern schmutzige Bücher ohne großen literarischen Anspruch, aber sie sind auch phantasievoll und die durch das wahnwitzige Tempo entsehende Spannung hat durchaus ihren Reiz. Freunde der harten Horrorliteratur kommen hier voll auf ihre Kosten; für zart besaitete Gemüter gilt jedoch: Hände weg!


Genre: Horror
Illustrated by Heyne Hardcore München

Verderben

51hxr0DzagL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Juniper ist ein winziges Kaff in der Wüste von Arizona und entsprechend groß ist die Begeisterung unter den Eingeborenen als die Kaufhauskette The Store verkündet, eben dort eine Filiale zu eröffnen. Die Stadtväter räumen dem Konzern ohne zu zögern lästige Steinchen wie Gewerbesteuer oder Bauvorschriften aus dem Weg, gilt es doch, die Wirtschaft zu stärken, die ja bekanntlich selbstlos Arbeitsplätze und somit Wohlstand für alle schafft. Einige mysteriöse Todesfälle schon während der Bauarbeiten werden folgerichtig als bedauerliche aber unvermeidliche Kollateralschäden des Konsumkapitalismus eingestuft und sind auch schon vergessen, als endlich der heiß ersehnte Tag der Eröffnung da ist.

Das Warenangebot in dem riesigen Laden ist sensationell und muss keinen Vergleich mit den berühmten Einkaufstempeln der Metropolen zu scheuen; selbst Kunden mit exotischen Vorlieben für Nazi-Spiele oder Snuff-Movies kommen im Store voll auf ihre Kosten. Dazu gibt es reichlich Billig-Jobs für die dankbare Bevölkerung, Kleinstadtherz, was willst du mehr?

Bill Davis, Software-Autor und Familienvater, verfolgt die Euphorie um den Store mit Skepsis und Sorge, zumal auch seine beiden Teenie-Töchter dort beschäftigt sind, die von allerlei seltsamen Ritualen berichten. Bald bestätigen sich seine Befürchtungen, denn der Store zeigt schnell sein wahres Gesicht: Inhaber kleiner Läden werden mit Geld oder Gewalt außer Konkurrenz gesetzt, während man selbst die Produktvielfalt reduziert, die Preise erhöht und die Löhne senkt. Die Stadt, die sich bereitwillig in Abhängigkeit des Konzerns begab, geht dafür Pleite und der Store übernimmt auch diese Aufgaben, selbstredend zu seinen Bedingungen. Bill sammelt verzweifelt Material gegen den Moloch, stößt aber überall an Grenzen und so ist er umso überraschter, als er eines Tages eine Einladung nach Dallas erhält, zum legendären Konzernchef persönlich…

Auf Buch und Autor bin ich durch die Amazon-Empfehlungen gestoßen, bisweilen findet man dort echte Perlen. „The Store“ ist natürlich nur vordergründig ein Horror-Roman und Bentley Little streut die genre-üblichen Zutaten eher pflichtschuldig als überzeugt ein. Er nutzt vielmehr die Stilmittel der Gattung für eine herzerfrischend bitterböse Kapitalismuskritik reinsten Wassers, indem er die dort systemimmanenten Prozesse pointiert überspitzt und die Verantwortlichen zu Monstern mutieren lässt. Souverän räumt er mit auch hierzulande oft nachgebrabbelten Mythen der Neoliberalen auf, die alles dem Primat der Ökonomie unterordnen möchten.

Der Roman ist flott und stringent geschrieben, die Handlung verläuft weitgehend linear und weist etliche kleine Höhepunkte auf, wie z.B. die Tatsache, dass das perfekte all-american-girl Samantha im Store eine fast skrupellose Blitzkarriere hinlegt, während Bills andere, eher unangepasste Tochter Shannon wesentlich weniger empfänglich für derartigen Blödsinn ist. Ich habe inzwischen weitere Bücher von Bentley Little gelesen und bin sehr angetan nicht nur von deren Spannungsgehalt, sondern auch von der Vielseitigkeit des Autors. Etliche Werke sind bereits in Deutsch erschienen bzw. folgen noch, ich kann sie reinen Gewissens und wärmsten Herzens empfehlen.


Genre: Horror
Illustrated by Bastei Lübbe

Der kleine Bruder

5179YKr-kEL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-v3-big,TopRight,0,-55_SX324_SY324_PIkin4,BottomRight,1,22_AA346_SH20_OU03_Nach der erfolgreichen Verbannung aus der Bundeswehr setzt sich Frank Lehmann mit einem Kumpel ins Auto und brettert von Bremen nach Berlin um sich in der WG seines Bruders, der dort als Künstler arbeitet, häuslich niederzulassen. Dort findet er zwar keine Spur von Manni bzw. Freddie, dafür aber jede Menge skurriler Gestalten, die ihn sogleich unter ihre Fittiche nehmen.

Es beginnt eine lange Nacht, in deren Verlauf sich Frank mit den seltsamen Gebräuchen der Hauptstadt anno 1980 vertraut zu machen beginnt; tatkräftig unterstützt von seinen neuen Kumpanen. Als aber am nächsten Tag der verschollene große Bruder immer noch nicht auftaucht und zu allem Überdruss auch noch die Mutter aus Bremen telefonisch nervt, beginnt Frank mit der Suche, die sich allerdings schwieriger gestaltet als erwartet, denn Mannis Freunde scheinen ihm etwas zu verheimlichen…

Mit „Der kleine Bruder“ liegt nun auch der dritte Band der Lehmann-Trilogie des Bremer Erfolgsautors und Multitalents (er ist ja auch noch Sänger der Band Element of Crime) Sven Regener vor. Obwohl, ganz so einfach ist es auch wieder nicht, denn der zuletzt veröffentlichte Roman ist eigentlich der Mittelteil der Trilogie. Für Neueinsteiger, die jetzt die Chance haben, die Bücher in der korrekten chronologischen Reihenfolge zu lesen, empfiehlt sich diese Lektüre:

1. Neue Vahr Süd
2. Der kleine Bruder
3. Herr Lehmann

Nach den beiden bisherigen Werken war ich nun etwas enttäuscht. Der Roman beginnt zwar stark, schwächelt aber bald, da der Plot einfach zu flach ist, um über mehr als 300 Seiten zu tragen. Daraus resultiert eine Dialoglastigkeit der immer selben Protagonisten, die sich auch noch in den verschiedenen Kneipen permanent über den Weg laufen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das Buch ist gewohnt gut geschrieben, durchaus lesenswert, für Lehmann-Fans sowieso unverzichtbar und überzeugt auch als nostalgisches Zeitdokument, das das Chaos aus Punks, Hausbesetzern und K-Gruppen in der Mauerstadt trefflich beschreibt. Wirklich nicht schlecht, dennoch hatte ich mir insgesamt mehr davon versprochen.


Genre: Romane
Illustrated by Bastei Lübbe

Dead Zone – Das Attentat

51BiafspSsL._SX312_BO1,204,203,200_Johnny Smith ist glücklich an diesem letzten Oktobertag 1970 und er hat allen Grund dazu: Er ist jung, voller Ideale, frisch verliebt und arbeitet mit seiner Freundin Sarah in einer High School als Lehrer; den beiden steht die Welt offen. Als Johny bei einem Jahrmarktbesuch am Glücksrad eine geradezu unheimliche Glückssträhne hat, ahnen sie nicht, dass dies ein Vorbote nahenden Unheils ist, denn auf dem Heimweg erleidet Johnny bei einem bizarren Autounfall schwere Kopfverletzungen und fällt ins Koma.

Es passiert viel in dieser Zeit: Der Vietnamkrieg eskaliert noch einmal bevor er endet, Nixon muss das Präsidentenamt aufgeben und ein skrupellos psychopathischer Provinzpolitiker namens Greg Stillson schickt sich an, nach höheren Weihen zu streben. Als Johnny Smith 1975 aus seinem langen Schlaf erwacht, hat sich auch seine private Welt ein Stückchen weiter gedreht: Seine alte Liebe Sarah ist inzwischen verheiratet und hat einen Sohn, während seine eigene Mutter dem religiösen Wahnsinn anheim gefallen ist. Er hat viel verloren, aber dafür etwas gewonnen, allerdings ein eher fragwürdiges Geschenk: Die Gabe, durch Berühren oder Gegenstände bestimmte Ereignisse aus deren Vergangenheit oder Zukunft zu erblicken. Johnny ist zunächst nicht glücklich darüber, er setzt seine Fähigkeit äußerst zögerlich und unwillig ein, bis er erkennt, dass sie auch Verantwortung und Verpflichtung bedeutet, besonders als er eine Vision erhält, wie die Welt unter einem Präsidenten Stillson aussehen könnte…

Stephen King hat mit diesem frühen Meisterwerk (Erstveröffentlichung 1979) die Messlatte für sich selbst sehr hoch gelegt: „Dead Zone“ gehört zu seinen besten Büchern. Die Geschichte des all-American guy John Smith (der Name spricht Bände), der zum Helden wider Willen wird, ist packend und einfühlsam erzählt und berührt den Leser zutiefst, da er sich der Faszination des Geschehens kaum entziehen kann. Auch die übersinnlichen Aspekte kommen überzeugend daher und jagen einem – etwa bei Johnnys Visionen während der Suche nach einem Frauenmörder – schon mal kalte Schauer über den Rücken.

Der Roman ist außerdem vielleicht Kings politischstes Buch überhaupt; neben einer Abrechnung mit dem Vietnamkrieg und der Nixon-Ära wird darin die uralte Frage nach der Rechtfertigung des Tyrannenmordes thematisiert und am Ende vom Autor höchst elegant gelöst. Ebenso reizvoll ist die Verquickung fiktiver und realer Personen, so begegnet Johnny zum Beispiel Jimmy Carter. Fans des Schriftstellers lernen hier auch zum ersten Mal das Städtchen Castle Rock kennen, das in späteren Werken Schauplatz und Katastrophen ist, sowie den dortigen Sheriff, der allerdings bereits in „Cujo“ wieder aus dem Verkehr gezogen wird. „Dead Zone“ wurde unter der Regie von David Cronenberg erfolgreich verfilmt, der Streifen mit Christopher Walken (Johnny) und Martin Sheen (Stillson) ist absolut sehenswert, was bei King-Adaptionen ja nicht ganz selbstverständlich ist.

Denkt man an Politiker wie Donald Trump, könnte der Roman bald erschreckende Aktualität erlangen…


Genre: Horror
Illustrated by Heyne München