Tagebuch II

Eine Rezension über Tagebücher zu schreiben mutet heute höchst bizarr an. Ich verfasse seit 3o Jahren Rezensionen, und noch niemals kamen mir Tagebücher unter. Welcher Verleger würde das Risiko eingehen, Gedanken, Spinnereien, Schwärmereien eines Autors zu veröffentlichen, wo die Romanform die Mindestanforderung an den jungen Dichter ist, jemals publiziert zu werden. (Besser wäre natürlich gleich ein Krimi). Und Wald? Ha – dass wir nicht lachen. Der eignet sich bestenfalls als Fundstätte für eine Leiche…
Matthes & Seitz gebührt Lob für die Veröffentlichung der Tagebücher II mit Abschriften aus den Jahren 184o -185o anlässlich des 2oo jährigen Geburtstag Thoreaus im Juli 2o17. (Tagebuch I erschien 2o16; geplant ist die Herausgabe von insgesamt 12 Bänden).
Wahrlich: welch großes Vergnügen bereitete es mir, diese Tagebücher durchzublättern. Manches zu überfliegen, einiges zweimal, anderes öfter zu lesen – speziell wo Stellen zu finden waren, die mit dem späteren Hauptwerk von Thoreau „Walden – Leben in den Wäldern“ ident waren. Da las ich nach, achtete auf Unterschiede zum später herausgegeben „Walden“ und freute mich, manches in breiterer, ungeschliffenerer, oft wilder, wäldischer Form anzufinden als im bekanntesten Buch des Dichters.
Ich möchte Thoreau einen Dichter nennen. Seine Naturschilderungen reichen an Poesie, seine Vergleiche mit der Antike an hohe stilistische Fertigkeit, gepaart mit aus Interesse erworben Wissen: deutsche, englische Romantik, Goethe, Kant, die Klassiker von Marlow über Shakespeare hin zu den Lake Poets – alles kennt er sehr genau. Und weiß es vortrefflich miteinander zu verbinden. Wie ein Wald stehen die Buchstaben, die Werke jener Großen, grün stark, oft dicht und undurchlässig – aber Thoreau kennt Pfade, Wildsteige durch Geäst und Gestrüpp – und findet genau dorthin, wo er anzukommen gedenkt. In der Mitte der Natur.
„Ich denke gern an Siebenschläfer…“ lautet ein rührender Beginn einer Notiz. Oder: „Mein Tagebuch soll die Aufzeichnung meiner Liebe sein.“ Oder man liest. „Der Liebende ist der einzige Wissenschaftler – der den Wert von Großherzigkeit und Wahrheit kennt.“ Thoreaus Wahrheit und Liebe ist die Natur: „Alle Teile der Natur gehören zu einem Kopf wie die Locken zu einem Mädchenschopf. Wie schön fließen die Jahreszeiten, als wären sie ein einziges Jahr, und alle Flüsse ein einziger Ozean. In all ihren verschiedenen Erzeugnissen entwickelt sie nur ihre eigenen Keime – der Habicht, der jetzt über die Wipfel der Bäume fliegt, war vielleicht zuerst nur ein Blatt, das zu ihren Füßen flatterte. Aus den raschelnden Blättern wurden im Lauf der Jahrhunderte der stolze Flug und der helle Jubelgesang des Vogels.“ Wer sonst nimmt sich die Zeit, hat die Gelegenheit ausführliche Gedanken über die Natur anzustellen, bzw. sie gar höchst akribisch zu beschreiben, wie er es mit einigen Fischarten der Concord umgebenden Flüsse und Seen macht. Zu Erzählen ist insofern eine Zumutung. Die Handlung einer Geschichte, eines Romans treibt den Leser vorwärts. Kann günstigenfalls einige Naturabschnitte zeigen, in der das wesentliche: die Story sich abspielt. Meist verkommt die Natur als Kulisse für die Menschenbekümmernisse, aber ja selbst die Welt der Menschen wird als Kulisse missbraucht für die Entwicklung eines Spannungsbogens. Solche findet man naturgemäß in Tagebüchern nicht. Dafür Thoreuas Aufforderung: „Anstatt die ohne hin trägen Bauern an ihrem Ruhetag am Wochenende … mit einer weiteren schlurfigen, ellenlangen Predigt zu verdrießen, sollte der Prediger mit Donnerstimme sie Innehalten und Einfachheit lehren. Macht halt! Warum die Hast!“
Thoreau predigt, wie in Walden die Einfachheit, doch auch die Übertreibung. Dabei jedoch unterliegt er keinem Widerspruch. Denn in der Übertreibung versteht er ein ästhetisches Mittel auf die Schönheit, auf die Liebe aufmerksam zu machen. Er fürchtet nicht als Romantiker belächelt zu werden. Er ist einer. Dementsprechend lieber noch mehr Übertreibung. „Der Wert dessen, was wirklich wertvoll ist, kann nie übertrieben werden. Dem Schwerhörigen gegenüber muss man laut sprechen. Um irgendeinen, selbst den einfachsten Menschen schätzen zu können, muss man ihn nicht nur verstehen, sondern muss ihn zuerst lieben; und nie gab es eine größere Übertreibung als die Liebe.“
Thoreau verführt mit einfacher Beschreibung der Natur. Wenn ich in Thoreaus Tagebüchern blättere, erlebe ich es wie Wörtersammeln, schöne, natürlich gebaute Sätze, die ich ins Album einer Rezension kleben mag, – analog dazu, wie er die Dichtung versteht. Dichtung ist das was Natur ist. Alles andere, darüber hinaus sei Eitelkeit, Unvermögen oder bestenfalls Pfad zum Wahren. Man darf Thoreaus Weisheit mitnichten unterschätzen, wo er mit Yogameistern auf einer Baumwurzel inmitten eines Kiefernwaldes sitzen könnte. „Einen schönen Nachmittag, einen himmlischen Nachmittag, kann es nur geben, wenn wir unser Vergnügen dadurch mindern, dass wir nicht all unsere Tage verschönern. Der Gedanke an das, was ich bin, an mein beklagenswertes Verhalten, hindert mich daran, mich über die herrlichen Tage zu freuen, die mich besuchen. … Ich denke oft, ich könnte meine Tage zufrieden in einem abgelegenen Landhaus, das ich gerade sehe, verbringen; denn ich sehe es jetzt als eine günstige Gelegenheit und nicht als Belastung: ich habe meine öden Gedanken, meine prosaischen Gewohnheiten noch nicht hineingeschleppt, die mir die Landschaft vergällen. Was ist diese Schönheit in der Landschaft denn anderes als eine gewisse Fruchtbarkeit in mir selbst? Ich erwarte vergeblich, sie anderswo als in meinem eigenen Leben verwirklicht zu sehen. Wenn ich ganz aufhören könnte, über mich beschämt zu sein, dann wären alle meine Tage schön.“
Wenn unsere Gesellschaft endlich bereit ist, intelligente Selbstbeschränkung zu üben, nur das zu begehren, was sie unbedingt braucht, wie Thoreau in Walden bemerkenswert aktuell schildert, wenn diese Selbstbescheidung die Naturzerstörung, den Klimawandel, und die Ausbeutung dritter für unseren überflüssigen Wohlstandsglauben zu kappen beginnt, dann wird man Thoreau als den Prediger der Wälder ehren, und seine Schriften wie edle Gewürze und getrocknete Heilkräuter behandeln.
Manfred Stangl
Henry D. Thoreau: „Tagebuch II (Wasser und Feuer)“, Matthes & Seitz, Berlin, 2o17, geb., 378 S


Genre: Tagebücher
Illustrated by Matthes & Seitz

Ljubljana

Ljubljana: 5 Routen durch die Hauptstadt Sloweniens, Ljubljana, die „Geliebte“, bietet dieser Falter Reiseführer aus der Reihe City Walks. Neben den gut durchdachten Spaziergängen durch die Geschichte Ljubljanas wird aber auch eine Menge an praktischen Tipps geboten: Kultur, Sightseeing, Shoppingtipps und Öffnungszeiten von Museen sowie Nightlife.

„Geliebte“ und Grüne Hauptstadt Europas

Ljubljana bietet neben der stadteigenen Burg auch idyllische Altstadtgassen, quirlige Hotspots, ruhige Grünoasen sowie viele empfehlenswerte Restaurants und Cafés. Der slowenische Architekt Jože Plecnik, der auch in Wien und anderen Städten der ehemaligen Monarchie seine Spuren hinterlassen hat, wird ebenso näher betrachtet, wie Jugendstilbauten und die Parks der grünsten Hauptstadt Europas (Auszeichnung durch die Europäische Kommission 2016). Aber auch das Nachtleben hat es in sich, wie die ansehnliche Menge an Ausgehtipps dieses Reiseführers zeigt. Wie viele andere Städte auch hat Ljubljana, was man mit „Geliebte“ übersetzen könnte, auch einen Fluss, den Ljubljanica, aber wohl kaum woanders findet man so viele Cafés und Geschäfte entlang einer Uferpromenade wie in Ljubljana, das Deutschsprechenden auch als Laibach bekannt ist. Auch dafür bekam die Stadt übrigens einen Preis, den European Urban Public Space: die verkehrsreichste Straße der Innenstadt, die Slovenska cesta, wurde kurzerhand zu Fußgängerzone erklärt.

Drachen, Plecnik und die Antike

Wer schon einmal in Slowenien war, wird sicherlich auch das bekannteste dortige Bier, das Union (gegründet: 1864), getrunken haben. Auf dessen Bierdosen findet sich ein Drache, der nicht nur ein Emblem des Bieres ist, sondern natürlich das Wappentier der Stadt. Es gibt im Zentrum auch eine eindrucksvolle Drachenbrücke, die daran erinnert, dass Jason in den Sümpfen der Stadt einen Drachen getötet haben soll, als er mit seinen Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Flies war. Die vier Drachen der Zmajski most (Drachenbrücke) stammen von Jurij Zaninovic, einem Schüler Otto Wagners und wer diese Route fortsetzt, kann bald in der Slascicarna pri (Konditorei zum Brunnen) einkehren, bevor er den Aufstieg zur Burg wagt. Aber auch dort wird man kulinarisch verwöhnt, wie der Reiseführer erwähnt. Die zweite Route geht auf den Spuren Joze Plecniks bis zum Plecnik-Haus, das heute ein Museum ist. Route3 erklärt, was die griechische Antike für die Slovenska cesta und Ljubljana für eine Rolle spielt(e) und Route 4 bringt genügend Argumente vor, warum die Stadt zur European Green Capital gekürt wurde: Von „Park zu Park durch die grüne Hauptstadt Europas“ heißt diese Tour. Zuletzt wird in Route 5 auch das Nachtleben erleuchtet: etwa „Zoo“, eine ehemalige Tabakfabrik oder Klub Tiffany im Künstlerviertel Metelkova. Natürlich kommen auch kulinarische Genüsse nicht zu kurz, im Anhang befindet sich auch ein Verzeichnis nützlicher Adressen, ein Register und ein kleiner Sprachführer.

Simon Ošlak-Gerasimov

Ljubljana. 5 Routen durch die Hauptstadt Sloweniens.
Geschichte, Kultur, Sightseeing, Essen, Trinken, Stadtleben
ISBN: 9783854395935
2017, Falter Verlag, 136 Seiten
Reihe: City-Walks
€ 12,90


Genre: Reiseführer, Städte
Illustrated by Falter

Boston: Sacco und Vanzetti

Boston von Upton Sinclair

Boston 1927: Die Hinrichtung der beiden italienischen Anarchisten Sacco und Vanzetti für einen Raubüberfall, denn sie nicht begangen hatten, rief international ein großes Echo hervor. Aber schon zuvor hatten sich namhafte Intellektuelle für deren Freilassung eingesetzt. Eine internationale Bewegung zur Befreiung der beiden Unschuldigen hatte sich zwischen 1922 und 1927 formiert, aber dennoch wurden sie am 23. August hingerichtet. Erst 50 Jahre später erfuhren sie (sehr) späte Gerechtigkeit durch den Gouverneur von Massachusetts, Michael S. Dukakis: „The trial and execution of Sacco and Vanzetti should serve to remind all civilized people of the constant need to guard against our susceptibility to prejudice, our intolerance of unorthodox ideas, and our failure to defend the rights of persons who are looked upon as strangers in our midst.“

A Contemporary Historical Novel

Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti wurden zu Sündenböcken der „Bolschewistenpsychose des amerikanischen Bürgertums“ (Albrecht Graf Montgelas) und wurden mehr für ihre politischen Anschauungen und ihre Herkunft verurteilt, als für ein vermeintliches (nicht) begangenes Verbrechen. Die erstmals in der amerikanischen Literaturzeitschrift The Bookman von Februar bis November 1928 erschienene Geschichte von Upton Sinclair mit dem Titel „Boston“ ist genremäßig ein Zwitter zwischen Fiction und literarischer Chronik, der Untertitel des Originals verrät dies: „A Contemporary Historical Novel“. Sinclair recherchierte für seinen Roman mehrere Monate lang und der kann als Fortsetzung des politischen Aktivismus des Autors mit künstlerischen Mitteln bezeichnet werden. Die Parallelgeschichte über Business und High Finance Kreise in New England (die Ostküsten-Sippe Thornwell) Anfang des 20. Jahrhunderts vermischt sich mit dem dokumentarischen Sacco und Vanzetti Teil des Buches, wie auch Dietmar Dath im Nachwort schreibt. Die sympathische „Aussteigerin“ Cornelia Thornwell fungiert als Bindeglied zwischen den beiden Klassen und Lebenswelten.

Sacco und Vanzetti: 90 Jahre Unrecht

Upton Sinclair sei damals dem Vorwurf, sein Roman sei eine „Hagiografie zweier Anarchisten“ oder eine Art „linkes Passionsspiel“ ausgesetzt gewesen. Pointierter noch drückt Dath die Vorteile der vorliegenden Neuübersetzung bei Manesse mit den folgenden Worten aus: „Deshalb wurde in der Neuübersetzung gewissenhaft darauf geachtet, den Rededuktus der Romanfiguren unverfälscht zu erhalten oder adäquat nachzuahmen – sei es das floskelhafte, gestelzte, stets auf Dezenz und Wahrung des schönen Scheins bedachte Idiom der Bostoner Brahmanen, sei es der den Begrifflichkeiten der politischen Theorie verpflichtete Jargon gesellschaftskritischer Aktivisten“. Die Italianismen der beiden Protagonisten, von einer defizitären Diktion der Immigranten gekennzeichnet, werde überzeichnet, ohne dabei den Eindruck geistiger Simplizität zu suggerieren. Tatsächlich spricht der Vanzetti des 20. Kapitels schon viel flüssiger als der des 2. Kapitels.

Ein Buch über eine Zeit in der Ausdruck „Picknick“ noch ein revolutionärer politischer Kampfbegriff war, denn es wurde mit dem harmlosen Begriff eine Zusammenkunft zur politischen Aktion bemäntelt. Ein Fanal für die Justiz eines Rechtsstaates und eine ewige Mahnung an Toleranz und den Mut zur Wahrheit.

Upton Sinclair
Boston. Roman
Gebundenes Buch, Leinen mit Schutzumschlag
Manesse Verlag Zürich, 1025 Seiten
ISBN: 978-3-7175-2380-2
€ 42,00 [D] inkl. MwSt. 
€ 43,20 [A] | CHF 51,90* 
(* empf. VK-Preis)


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Manesse Zürich

Franziskus von Assisi

Der Heilige Franziskus in einer umfangreichen Biographie

Franziskus von Assisi: Eine „zeitgemäße“ Darstellung des Lebens und Wirkens von Franziskus liegt im Interesse des Autors, der den „Gaukler Gottes“ auch gerne mit seinem Spitznamen „Poverello“ anspricht, was so viel bedeutet wie der „kleine Arme“. Denn die Darstellung des Heiligen habe sich kontinuierlich – je nach den geistigen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen – geändert: von der chevalaresken Tradition als Troubadour und Christus-Ritter bis hin zum Kirchenkritiker und Vorläufer von Martin Luther oder wehrloses Opfer päpstlicher Machtpolitik. Franziskus wurde aber nicht nur von den Faschisten funktionalisiert, sondern auch von den 68ern oder der Befreiungstheologie. Zeit also, sich dem echten Franziskus zu widmen.

Franziskus: Der sanfte Rebell

Franziskus von Assisi (1181–1226), geboren als Giovanni di Pietro di Bernardone wurde als Sohn wohlhabender Eltern geboren. Sein Vater hatte ein Tuchgeschäft und gehörte dem reichen Bürgertum, nicht aber dem Adel an. Ein Bürgerkrieg zwischen den minores und den maiores prägte die Jugend des jungen Heiligen, der sich alsbald als Ritter seine Sporen verdienen wollte. Die zweite Phase seines Lebens sei aber von einem allmählichen Bekehrungsprozess gekennzeichnet gewesen, in dem er sich den Aussätzigen und Randständigen der Gesellschaft zuwendete und ein mythisches Erlebnis in der Kirche San Damiano ihn schließlich überzeugte, sein Leben Gott zu widmen. Dieter Berg unterscheidet insgesamt fünf Phase im Leben des Poverello, die er mit Quellen und historischen Methoden untersucht hat.

Methodisch aufschlussreiche Studie

Methodisch handle es sich bei dieser Biographie um eine Kombination von einem biographischen Längsschnitt und problemorientierten Querschnitt, wie Dieter Berg selbst vorausschickt. Den Hauptteil des Werkes bilden systematische Ausführungen zu wesentlichen Aspekten des Lebens und Wirkens von Franziskus sowie seiner Zielsetzungen. Dieter Berg bettet den Poverello aber auch in seine Zeit ein, denn er war nicht der einzige, der die Amtskirche reformieren wollte. Robert von Arbrissel, Peter von Bruys oder Heinrich von Lausanne und Arnold von Brescia hatten ähnliche Anliegen wie Franziskus und wandten sich genauso wie er gegen Reichtum und Macht und forderten zu einem Leben nach dem Vorbild der Urkirche auf. Petrus Waldes aus Lyon etwa verteilte seinen Besitz an Arme mit dem Erfolg, dass er wie viele andere Laiengruppen etwa die Humiliaten, Katharer oder Waldensern von der Kirche als Ketzer exkommuniziert wurde. Eine „Phänomenologie der Häresie“ wurde 1184 festgelegt und Papst Innozenz (1198-1216) schuf die Päpstliche Inquisition.

Weitere Einzelheiten zum gesellschaftlichen und historischen Umfeld sowie Franziskus’ Schrifttum, Existenz und Charisma sowie der Weiterentwicklung des Ordo Minorum erfährt man in dieser lesenswerten Biographie von Dieter Berg über Franziskus, nach dem sich auch der jetzige amtierende Papst benannt hat. Ein Kapitel beschäftigt sich auch mit Franziskus’ Nachleben in Film und TV.

Dieter Berg
Franziskus von Assisi. Der sanfte Rebell.
Originalausgabe
Geb. mit Schutzumschlag.
Format 15 x 21,5 cm
298 S. 34 Abb.
ISBN: 978-3-15-011146-8
Reclam Verlag


Genre: Biographien, Religion
Illustrated by Reclam Verlag

Krafttiere

Krafttiere: Wieder steht ein Jahreswechsel an und mit ihm die guten Vorsätze für das kommende Jahr. Viele Menschen spielen am Vorabend, dem nach dem Heiligen Silvester benannten Abend, diverse Gesellschaftsspiele. Eines davon könnte auch das Kartenlegen sein und da es nicht immer ausschließlich Tarotkarten sein müssen, vielleicht dieses Jahr die Krafttiere-Karten, damit das Neue Jahr gut getankt neu beginnt? Auf den Schwingen des Adlers etwa oder den Blicken der weisen Eule?

Silvesterunterhaltung mit Helfertieren

 

Diese Originalausgabe besteht aus einer Schmuckschachtel, einem Buch mit 60 Seiten, 49 Karten im Format 95 x 140 mm und vielen Informationen zu den Krafttieren, darunter Eule, Fuchs, Adler und 46 weitere, insgesamt also 49. Das ausführliche Booklet mit 60 Seiten erklärt, wie man mit die Karten benutzt und beschreibt jedes Tier mit seinen besonderen Eigenschaften.  Man kann es dem Zufall überlassen, oder selbst wählen, das jeweils eigene Krafttier wird in jedem Fall helfen, das Neue Jahr gut beginnen zu lassen.

Neue Gedanken für ein neues Leben

Ein Helfertier lässt sich mittels einfachen Kartenziehens eruieren. Damit wähle man dann bewusst – oder unbewusst – die „Fährte der Inspiration“, denn Kartenlegen dient ja hauptsächlich dazu, sich neuen Gedanken auszusetzen und sie für sich selbst zu adaptieren. Das kann oft zu Lösungen führen – oder noch mehr Problemen. Aber die Helfertiere haben ja die Aufgabe, Sie über diese Stromschnellen hinwegzuführen. Nach dem Mischen und Ziehen der Karten, sollte man sich den Text im Booklet dazu gut durchlesen und sich zu neuen Gedankengängen verführen lassen. „die Fragen müssen immer an die Realität angebunden sein“, schreiben die Herausgeber, „egal ob sie in die Vergangenheit oder Zukunft führt“.

Regula Meyer / Karin Lurz
Krafttiere und ihre seelischen Botschaften
Set mit Booklet und Karten
ISBN: 9783868267686
Umfang: Set (Buch + Karten)
2017, Königsfurt-Urania Verlag
17,95 €

Eine liebevolle Geschenkidee zu jedem Anlass. Für Jedermann.


Genre: Spiele
Illustrated by Königsfurt Urania

Bewusst fasten

Fasten mit dem Profi: Rüdiger Dahlke

Bewusst fasten: Wegbegleiter und Wegweiser sind die Bücher von Ruediger Dahlke allemal, hat er sich doch schon 1980 für einen bewussteren Lebensweg entschieden und dieses Buch nun in einer Neuausgabe beim Königsfurt-Urania Verlag herausgebracht. Der 1951 geborene Dahlke ist Arzt, Psychotherapeut, Referent und Bestseller-Autor, einige seiner Bücher wurden in 28 Sprachen übersetzt.
Seine Schwerpunkte sind ganzheitliche Psychosomatik, „Krankheit als Symbol“ und vegane Ernährung. Er betreibt seit mehr als drei Jahrzehnten Seminare zu diesen Themen und das vorliegende Buch ist ein guter Einstieg in sein Leben und Werk.

Solve et coagula

Bewusst fasten – das Buch entstand Ende der 1970er Jahre als lose Blättersammlung – wurde zu Beginn von Dahlkes Karriere noch belächelt, doch heute gelte es bereits als wissenschaftlich erwiesen, dass das Fasten gesunde Körperzellen stärkt und kranke schwächt. Es könne mit Fasten sogar Erfolg bei Geisteskrankheiten erzielt werden und auch gegen Krebs kann es unter Umständen Wunder wirken. Denn wer fastet, beschäftigt sich mit seinem Unbewussten, den eigenen dunklen Seiten, den Schattenseiten und dem Verdrängten. „Fasten ist Körperbehandlung und Psychotherapie in einem“, schreibt Dahlke und wer es einmal ausprobiert hat, der wird zugeben müssen, dass die positiven Effekte des Fastens nicht von der Hand zu weisen sind. „Solve et coagula“, das wussten schon die Römer: „Löse und binde!“

Vertrauen schafft Sicherheit

Das Erfolgsgeheimnis des Fastens liege vor allem in der Übernahme von Eigenverantwortung, denn wer fastet, kann seine Verantwortung nicht mehr delegieren, sondern wird aktiv und selbstbezogen – und gerade das ist sehr heilsam. „Therapie“ bedeute viel zu oft „den Irrweg, Patienten scheinbar abzunehmen“, meint Dahlke, „anstatt ihnen die fürs eigene Gesunden notwendige aufzuzeigen“. Der Sinn des vorliegenden Buches liege darin, Vertrauen zu schaffen, denn daraus erwachse Sicherheit. Selbst Hildegard von Bingen vertraute auf das Fasten als Heilmaßnahme: sie traute dem Fasten zu, 29 von 35 Lastern oder Süchten zu therapieren. „Wenn all mein Fleisch hinwegschwindet, wird die Seele immer heller, des Geistes Wachsein immer fester“, sagte schon Buddha. Der „Reiseführer für eine Reise nach innen“, wie Dahlke sein Buch auch nennt, gibt eine Anleitung wie man es richtig macht, enthält einen Fastenplan, Rezepte, viele Fotos und aufbauende Worte. Und damit es kein Neujahrvorsatz bleibt: am besten heute schon beginnen, denn weniger ist ja bekanntlich mehr.

Dr. Med. Ruediger Dahlke
Bewusst fasten
Ein achtsamer Wegweiser zu neuen Erfahrungen
Taschenbuch, durchgängig farbig, 224 Seiten, 11,8 x 18 cm
ISBN: 9783868261639
2017, Königsfurt-Urania Verlag
9,95 €


Genre: Gesundheit, Ratgeber
Illustrated by Königsfurt Urania

Besoffen – Deutsch. Ein Wiener Sprachführer

Ein Sprachführer durch das Wienerische: Besoffen Deutsch

Homseihinshianschssn?“ Die vorliegende Holzbaum Publikation “Besoffen -Deutsch” widmet sich wie immer mit sehr viel Humor ganz besonderen Verständigungsschwierigkeiten, denn wer versteht den Wienerischen Besoffenen noch, wenn ihn selbst die Wiener nicht mehr verstehen können. Ein kleiner blauer Sprachführer schafft jetzt Abhilfe, denn mit „Besoffen – Deutsch. Ein Wiener Sprachführer
“ von Harald Havas, kann man ihm nun immer und überall und gut vorbereitet begegnen: dem Homo viennensis ebrius, dem betrunkenen Wiener, auch – laut Autor – als „gemeiner Bsuff“ bekannt. Die eingangs erwähnte Floskel kann hier aus Pietätsgründen leider nur sinngemäß und nicht wortwörtlich übersetzt werden: „Geht es auch günstiger?“

Besoffen auf Wienerisch

 

„Sbife is Glas!“ Wer einem betrunkenen Wiener begegnet – und das muss, wie auch der Herausgeber betont durchaus nicht unbedingt immer in der österreichischen Hauptstadt sein – der ist künftig gut gewappnet: in 20 kurzen, aus dem Leben gegriffenen, beispielhaften Lektionen wird archetypisch die Ausdrucksweise der Spezies Homo viennensis ebrius vermittelt und für mehr Verständnis gesorgt. „Denn gar nicht selten ist der betrunkene Wiener auch in den Bergen oder am Meer anzutreffen. Manchmal sogar in Begleitung seines Weibchens, das oft seine Leidenschaft für alkoholisch-induzierte Entrückungszustände teilt“, schreibt Havas und spricht damit zugleich eine Warnung aus: sie können auch in Paaren (!) auftreten. Zum Beispiel am Eislaufplatz: „Das Buffet ist hervorragend.“ Mehr als 600 weitere Floskeln erwarten Sie!

Bonustracks zum Mitsingen

 

Als Bonustracks werden in “Besoffen – Deutsch. Ein Wiener Sprachführer.” auch bekannte Wienerlieder, die beim Heurigen mitgesungen und Austropop zum Mitgröhlen als Quiz vorgestellt. Etwa: „Eif Ah Ah Ah Ah Ah Eifiseif!“ Na, hätten Sie’s erkannt? Was? Na, dann wird’s höchste Zeit!

Harald Havas:
Besoffen – Deutsch
Ein Wiener Sprachführer
978-3-902980-63-2
38 Seiten, Softcover,
ISBN 978-3-902980-63-2
5,00 EUR
Holzbaum Verlag


Genre: Humor, Sprache
Illustrated by Holzbaum Wien

Die Aspern-Schriften

Vom steinernen Zölibatär

Der im angelsächsischen Sprachraum als Kultautor verehrte Schriftsteller Henry James hat auch in dem Roman «Die Aspern-Schriften» von 1888 ein grandioses Beispiel geliefert für seine Kunst, psychologisch ausgefeilte Frauenfiguren zu erschaffen, das andere Geschlecht also vielschichtig und tiefgründig darzustellen. Dabei bleibt allerdings eine – nicht ganz unwichtige – Komponente des Weiblichseins völlig ausgeschlossen. Der Autor hat sich selbst mal als einen «sexuellen Selbstversorger» bezeichnet, seine Geschichte – wen wundert’s – ist ein geradezu puritanisch anmutender Text ohne jeden erotischen Esprit. Aber auch Wittgenstein hat ja in seinem berühmten Tractatus logico-philosophicus gefordert: «Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen». Es bleibt aber, das sei vorweg gesagt, genügend übrig aus dem fragwürdigen Innenleben seiner Figuren, was diesen subtilen Roman trotzdem zu einem Lesevergnügen werden lässt.

In einem kammerspielartigen Plot mit nur drei Hauptfiguren und einem verfallenen Palazzo in Venedig als Bühne wird die Geschichte einer literarischen Obsession erzählt. Ein amerikanischer Ich-Erzähler, der namenlos bleibt und auch altersmäßig unbestimmt, ist als Herausgeber von Werken des – etwa um 1820 herum – jung verstorbenen, romantischen Dichters Jeffrey Aspern auf der Suche nach hinterlassenen Schriften von ihm. Dabei ist er auf Juliana Bordereau gestoßen, die einst zu seinen Musen gehörte und in seinem Werk etliche Spuren hinterlassen hat. Sie lebt hochbetagt mit Tina, ihrer Nichte ebenfalls unbestimmten Alters, die genau so gut auch ihre Großnichte sein könnte, völlig zurückgezogen in Venedig. Auf schriftliche Anfrage wird der Romanheld denn auch brüsk abgewiesen, also versucht er mit einer List, in die Nähe der uralten Dame, – eine Hundertjährige mutmaßlich -, und damit auch an die bei ihr vermuteten, begehrten Papiere zu kommen, Liebesbriefe höchstwahrscheinlich. Und tatsächlich zieht er unter falschem Namen und unter einem trickreichen Vorwand für eine horrende Summe als Untermieter in den Palazzo ein und kann auch tatsächlich, nach anfänglich eiskalter Abweisung seitens der Damen, allmählich einen Kontakt zu ihnen aufbauen. Seine wahnhafte Gier nach schriftlichen Zeugnissen seines Dichter-Idols, den er auf einer Stufe sieht mit Shakespeare, lässt ihn alle Demütigungen ertragen und bringt ihn finanziell an den Rand des Ruins. Moralische Skrupel kennt er nicht, «es gibt keine Niederträchtigkeit, die ich nicht um Jeffrey Asperns willen begehen würde» sagt er im Roman. Der Nichte verrät er schließlich den wahren Grund seines Aufenthalts im Palazzo, und nach dem ersten Schrecken deutet sie vage an, ihm vielleicht ja helfen zu können.

Die in neun Kapiteln konventionell erzählte, spannende Geschichte, die zeitlich nur einige wenige Monate umfasst, steigert sich in einer geschickten Dramaturgie auf ein so nicht unbedingt vorhersehbares Ende zu. Mit ihrem kenntnisreichen Nachwort gibt die Übersetzerin dem Leser eine hochwillkommene Ergänzung des Textes zur Hand, die auf dessen viele Bezüge zum Ambiente Venedigs eingeht, auf die im Roman beschriebenen Kunstwerke zudem, vor allem aber auf das verwirrend komplexe psychische Geflecht der drei Protagonisten. An dieser Stelle erfahren wir auch, dass all dem eine Anekdote zugrunde liegt von einem Geschehen, das sich im Jahre 1879 in Florenz zugetragen habe, – mit identischem Ausgang der Geschichte übrigens.

Der sprachlich recht altbackene Roman mit seiner enigmatischen Erzählweise lässt den Lesern reichlich Raum für eigene Interpretationen. Mit kriminalistischen Anklängen wird da von beiden Seiten ein ebenso schlitzohriger wie erbitterter, skrupelloser Kampf zwischen den Damen und dem im Nachwort als «steinerner Zölibatär» bezeichneten Ich-Erzähler geführt. Keiner von ihnen kann wirklich gewinnen, was einen nicht unwesentlichen Teil des – zugegeben – schadenfrohen Lesevergnügens ausmacht, bei mir war es jedenfalls so!

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by dtv München

Trennung

Wenn Trennung obsolet wird

Der erste auf Deutsch erschienene Roman der amerikanischen Schriftstellerin Kati Kitamura mit dem Titel «Trennung» überrascht in mancherlei Hinsicht. Denn es geht um die Trennung eines Ehepaares, was in vergleichbaren Geschichten ein Gefühlschaos auslöst und zu emotionalen Ausbrüchen führt, die unter dem Motto «Herz-Schmerz» ganze Bibliotheken mit Trivialliteratur füllen. Nicht so in diesem Buch, dessen Autorin sich dieses Themas kühl sezierend annimmt, das Geschehen vielmehr sehr distanziert, geradezu gelassen schildert und damit erzählerisch überraschend dieses beliebte literarische Genre konterkariert.

Die seit fünf Jahren verheiratete, in London lebende, namenlose Ich-Erzählerin hat sich mit Christopher auseinander gelebt, er ist seit einigen Monaten ausgezogen, sie selbst wohnt inzwischen bei ihrem Freund. «Es begann mit einem Anruf von Isabella» lautet der erste Satz. Die Schwiegermutter, die nichts von ihrer Trennung weiß, erkundigt sich nach ihrem Sohn, der in Griechenland für ein Buch recherchiert, aber nicht erreichbar ist. Ob sie nicht dorthin reisen könne, um zu klären, was mit ihrem Sohn sei. Vor Ort stellt sich heraus, dass Christoph schon seit vielen Tagen nicht mehr in seinem Hotelzimmer war, niemand weiß etwas über seinen Verbleib. Bis nach drei Tagen die Polizei erscheint, er sei an einer einsamen Landstraße tot aufgefunden worden, ausgeraubt und ermordet, es gäbe den Umständen nach leider kaum eine Chance, den Mordfall aufzuklären.

Diese vom Plot her wenig originelle, in dreizehn Kapiteln erzählte Geschichte lebt von den kontemplativen Einschüben, von den gedanklichen Rückblenden und Reflexionen der Ich-Erzählerin, die in Form des Bewusstseinsstroms, oft auch mit der inneren Rede all das ergänzt, was das erzählerische Gerüst erst zu einer vollständigen Geschichte formt. So erfährt man, dass Christoph ein notorischer Schürzenjäger war, als Schriftsteller aber kaum reüssieren konnte, und auch, wie wenig seine Frau letztendlich über ihn weiß. Aus ihrem geradezu voyeuristischen Blickwinkel werden dem Leser einige weitere Figuren vorgestellt. Da ist zunächst die Hotelangestellte Maria, mit der Christoph ein Verhältnis hatte, was sie der Witwe in einem der wenigen Gespräche, die die Handlung direkt voranbringen, freimütig gesteht. Oder der Taxifahrer Stefano, der Maria liebt und als eifersüchtiger Mann zumindest vom Motiv her als Täter in Frage käme. All das Spekulation, Teil der endlosen Gedankenspiele und Projektionen der Ich-Erzählerin, und auch über sie selbst übrigens erfährt der Leser herzlich wenig. Es ist eine äußerst minimalistische Erzählweise, mit der hier Illusionen aufgearbeitet, die Realitäten in einem Prozess des ständigen Sinnierens hinterfragt werden, und in der immer wieder über die Leerstellen und Lügen einer Ehe spekuliert wird.

Geschickt bindet die Autorin die trostlose griechische Landschaft, in der erst vor kurzem ein Waldbrand gewütet hat, in Ihre nicht minder trostlose Geschichte ein, die viele Fragen bewusst offen lässt. Ihre narrative Emotionslosigkeit macht nachdenklich, es wird damit eine Betroffenheit beim Leser erzeugt, die resignativ wirkt, die die Schrecken von Trennung und Tod evident werden lässt. Eine ziemlich makabre Szene spielt sich – darauf hinzielend – im Haus einer der im ländlichen Raum noch typischen Klageweiber ab, die bei einem Besuch der jungen Witwe eine Kostprobe ihres Klagegesangs zum Besten gibt und sich dabei exstatisch in ihren Gesang hineinsteigert. Das Todesmotiv taucht übrigens bereits am Anfang des Romans auf, Christoph recherchiert nämlich für ein Buch über Trauerrituale, er war mutmaßlich auch genau deswegen dorthin gereist. Mit irritierender Distanz und gelegentlich durchschimmernder Ironie wird in diesem psychologischen Roman jenes weibliche Gefühlsleben thematisiert, das mit dem langsamen Auflösungsprozess einer Ehe einhergeht, in der paradoxer Weise die Trennung selbst schlussendlich obsolet wird.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Hanser

Die siebte Sprachfunktion

Für den idealen Leser

Der französische Autor Laurent Binet nimmt in seinem satirischen Roman «Die siebte Sprachfunktion» seine Leser mit auf einen Parforceritt durch die Semiotik, in dem die Poststrukturalisten gehörig durch den Kakao gezogen werden. Der Romantitel deutet auf die performative Funktion von Sprache hin, thematisiert wird hier also die Frage, inwieweit Sprache Realität herstellen kann. Ein einfaches Beispiel dazu: Mit dem Ausspruch «Ich eröffne die Versammlung» durch den Vorsitzenden tritt genau das ein, was er sagt, die Sprache schafft Fakten, die Versammlung ist tatsächlich eröffnet. Im Roman nun geht es darum, die von einem russischen Semiotiker perfektionierte siebte Sprachfunktion politisch zu nutzen, um damit Wahlen zu gewinnen, hier beim entscheidenden Rededuell um die französische Präsidentschaft mit dem sozialistischen Herausforderer François Mitterand.

Der in den 1980er Jahren angesiedelte, turbulente Plot versammelt alles, was Rang und Namen hat im Bereich der Semiotik, in einer geradezu burlesken Kriminalgeschichte, die den Tod von Roland Barthes, einem ihrer führenden Köpfe, kurzerhand zum Mordfall erklärt. Denn der Professor war im Besitz eines hochbrisanten Manuskripts, angeblich von dem russischen Linguisten Roman Jakobson verfasst, das den Schlüssel zur siebten Sprachfunktion bildet und eine mächtige Waffe darstellt in der Hand dessen, der es besitzt, es habe «die Sprengkraft einer Neutronenbombe». Bei seinem Verkehrsunfall muss das Papier dem berühmten Wissenschaftler, der just von einem Dinner mit François Mitterand kam, ganz offensichtlich entwendet worden sein. Kommissar Bayard ermittelt, nachdem der Schwerverletzte im Krankenhaus ermordet wird, in Intellektuellenkreisen, assistiert von Simon, einem Linguistik-Doktoranden mit Sherlock Holmesartiger Kombinationsgabe, der ihm im elitären Dschungel der Sprachwissenschaft die dringend benötigte Schützenhilfe geben soll.

In seiner ebenso aberwitzigen wie respektlosen Story, die über Paris, Bologna, Ithaka (USA) und Venedig bis nach Neapel führt, vermischt der Autor unbekümmert historische Realität mit tolldreister Fiktion. Er lässt sich die absurdesten Winkelzüge einfallen in einem Krimi, der im Wesentlichen als Vehikel dient für ausgiebige, teilweise auch ausufernde Streifzüge durch die Sprachwissenschaft. Wobei sein intellektuelles Personal aus namentlich benannten, realen Personen der Zeitgeschichte besteht, von denen viele noch leben. Wirklich erstaunlich, dass niemand von den Betroffenen gegen den Autor vorgegangen ist, niemand seine Persönlichkeitsrechte verletzt sah. Aber das kann wohl nur daran liegen, dass die Satire hier deutlich erkennbar ist und niemals hämisch daherkommt, also immer wohlwollende Karikatur bleibt. Der bulgarische Geheimdienst, die Mafia, zwei mysteriöse Asiaten, eine weltweit operierende, intellektuelle Loge, bei der auch Umberto Eco Mitglied ist, sie alle spielen eine Rolle in der spannenden Geschichte. Und leitmotivisch taucht immer wieder der schwarze Citroen DS-19 vom Titelbild auf. Déesse also, die Göttin, in Deutschland liebevoll «Flunder» genannt, als automobiler Klassiker ein Wahrzeichen der «Mythen des Alltags», der auch in einem Essay von Roland Barthes thematisiert wurde.

Der ideale Leser nach poststrukturalistischer Lehre ist der detektivisch veranlagte Spurenleser, immer auf der Suche nach Bedeutungen, mit einer geradezu lustvollen Beziehung zum geschriebenen Wort. Binets kecke Farce ist für eben jenen Leser als vergnügliches Lehrstück über eine epochetypische Theorieseligkeit angelegt, deren Absurdität nur mit viel Humor zu goutieren ist. Er erzählt sprachlich perfekt und schnörkellos, zeichnet dabei jeweils stimmige Bilder, jagt auf wechselnden Schauplätzen von einer interessanten Szenerie zu anderen. Egal, ob man an seinen semiotischen Exkursen Gefallen findet als idealer Leser, an der temporeichen Kriminalstory oder an der köstlichen Satire, lesenswert ist der Roman in jedem Fall.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Monument 14 – Die Rettung (Band3)

Nachdem ein Tsunami die Ostküste der USA verwüstet hat, finden sich Dean und sein kleiner Bruder Alex in einer Welt wieder, in der nichts mehr ist, wie es einmal war. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen gelingt es ihnen, sich in ein Flüchtlingslager in Kanada zu retten. Doch Zeit zum Atemholen bleibt ihnen nicht: Noch immer ist Josies Schicksal ungewiss, die sich nicht mit ihnen aus dem Herzen des Sturms retten konnte und dann spurlos verschwand. Und auch Astrid, Deans Freundin, schwebt in Gefahr: Da sie während des Chemieunfalls, der sich kurz nach der Naturkatastrophe ereignete, schwanger war, zeigt die Regierung nun ein beunruhigendes Interesse an ihr. Astrid fürchtet um ihr Kind und flieht aus dem Flüchtlingslager, begleitet von Dean. Doch sie ahnen nicht, was sie draußen erwartet…

Fast alle Kinder und Jugendliche haben es unter dramatischen Umständen zum Denver Airport geschafft und wurden nach Kanada ausgeflogen, wo sie nun unter akzeptablen Umständen in einem Flüchtlingslager untergebracht sind. Dort haben ein paar der Kinder sogar ihre Eltern wiedergefunden.

Allerdings herrschen nicht in allen Flüchtlingslagern solch akzeptable Bedingungen und in manchen Lagern der USA herrschen katastrophale Zustände die eher Hochsicherheitsgefängnisse für Schwerverbrecher oder sogar an Konzentrationslager erinnern.

Durch Zufall erfahren die Jugendlichen dass Josie in einem solchen Lager gelandet ist denn sie wurde bei der Flucht vom Rest der Gruppe getrennt. Natürlich gibt es jetzt für die Jugendlichen kein Halten mehr und sie wollen Josie dort raus holen. Vor allem ihr Anführer Niko will sofort aufbrechen denn Josie und Niko haben sich während der Flucht verliebt und sind mittlerweile ein Paar.

In einer ziemlich überstürzten Aktion verlassen Niko, Dean, Astrid und Jake das Lager und machen sich auf den langen Weg zu Josie.

Dass die hochschwangere Astrid die Jungs begleitet ist eigentlich nicht geplant aber Gerüchte darüber dass die Regierung Experimente an schwangeren Frauen durchführt die dem Giftgas ausgesetzt waren, treiben die Jungs dazu Astrid mit auf die Reise zu nehmen.

Diese Reise stellt sich aber als noch gefährlicher und anstrengender heraus als gedacht denn das Giftgas ist nicht völlig verschwunden. In manchen Bundesstaaten gibt es noch gefährliche Gaswehen, was die Regierung allerdings zu vertuschen versucht und natürlich sind das genau diese Bundesstaaten die die Jugendlichen auf dem Weg zu Josies Lager durchqueren müssen…

Im dritten und letzten Teil der Trilogie gibt nun die „Dean-Kapitel“, sowie auch die „Josie-Kapitel“, die jeweils aus der Ich-Erzählperspektive erzählt werden.

Obwohl die Josie-Kapitel aus dem grauenvollen Flüchtlingslager auch sehr spannend, interessant und heftig sind und auch die Dean-Kapitel sehr spannend bleiben, so muss ich doch sagen dass der dritte Band der schwächste der Trilogie ist.

Ich fand das Buch auch sehr gut und die komplette Trilogie extrem empfehlenswert, allerdings hat mich der dritte Band nicht so extrem gefesselt wie die ersten beiden Bände und das Ende fand ich auch etwas zu abrupt und ein bisschen zu schmalzig.

Alles in allem kann ich Endzeitfans diese Trilogie aber wirklich sehr ans Herz legen und auf jeden Fall extrem empfehlen.


Genre: Dystopie, Endzeitgeschichten
Illustrated by Heyne München

Trutz

Glücklich ist, wer vergisst

Der mit Preisen üppig dekorierte Schriftsteller Christoph Hein erzählt in seinem Roman «Trutz», wie zwei Familien in Deutschland und Russland ins Mahlwerk der Geschichte geraten. Im Vorwort erfahren wir: «In diesen Roman geriet ich aus Versehen oder vielmehr durch eine Bequemlichkeit». Bei einem Vortrag nämlich trifft er zufällig auf Maykl Trutz, der ganz offensichtlich ein phänomenales Gedächtnis hat und aus dem Stehgreif mit seinen gezielten Fragen die Rednerin arg in Verlegenheit bringt. Von dem verblüfften Ich-Erzähler angesprochen, woher er denn seine Detailkenntnisse habe, erklärt er: «Ich habe es irgendwann einmal gelesen. Und was ich gelesen habe, weiß ich. Und wenn ich es aufgeschrieben habe, weiß ich es für alle Zeiten». Von ihm stammt die Geschichte, die hier erzählt wird, und ihm hat der Autor sein Epos auch gewidmet.

Die Mnemonik, die Kunst des Gedächtnistrainings also, zieht sich wie ein roter Faden durch den Plot, der von der Weimarer Republik bis ins neue Jahrtausend hinein insbesondere die verheerenden Auswirkungen der durch Hitler und Stalin, aber auch durch die SED errichteten Diktaturen am Beispiel seiner Protagonisten verdeutlicht. Da ist zunächst Maykls Vater Rainer, der nach der Schule aus seinem kleinen Dorf nach Berlin geht, um dort als Schriftsteller sein Glück zu versuchen. Er schreibt eine kritische Rezension für die «Weltbühne» über die Reise einer Gruppe von Schriftstellern durch die Sowjetunion und hat mit einem kleinen Roman seinen ersten Erfolg, bis plötzlich im «Stahlhelm», dem Kampfblatt der Nazis, eine bösartige Kritik erscheint, der sich alle anderen Zeitschriften geflissentlich anschließen, – er ist als Autor damit vernichtet. Mit seiner Lebensgefährtin, die einer christlichen Gewerkschaft angehört und ebenfalls unter politischen Druck gerät, emigriert er schließlich nach Moskau. Sie bauen sich dort unter großen Mühen ein bescheidenes Leben auf und bekommen 1934 einen Sohn, Maykl.

Bei einer Weihnachtsfeier mit ihrer russischen Freundin lernen sie Waldemar Gejm kennen, Professor für Mathematik und Sprachwissenschaft, der als Pionier der Mnemonik in Russland erfolgreiche Studien betreibt. Selbst sein kleiner Sohn Rem und Maykl werden darin einbezogen, als sie zwei Jahre alt sind, beide machen begeistert mit, die Knirpse profitierten deutlich erkennbar von dem neuartigen Gedächtnistraining. Bis plötzlich beide Familien Opfer der stalinschen Säuberungen werden und man sie unter völlig unhaltbaren Anschuldigungen zur Zwangsarbeit im Osten verurteilt, die beide Elternpaare letztendlich nicht überleben. Auch in der DDR leidet der später nach Deutschland zurückgekehrte Maykl erneut unter politischer Willkür, er trifft Rem schließlich erst nach 48 Jahren wieder, als beide schon pensioniert sind.

Dramaturgisch geschickt erzählt Hein in drei Teilen seine ebenso spannende wie bewegende Geschichte von der oft abstrusen politischen Willkür dieses für das Menschsein eher katastrophalen, rückschrittlichen Jahrhunderts. Wobei er sich einer geradezu «zweckdienlichen», schnörkellos klaren Sprache bedient, die besonders in den lebensechten Dialogen überzeugt. Auch die Verstrickung der beiden Familienschicksale ist glaubwürdig dargestellt. Allerdings hat man all das, wovon berichtet wird, schon anderswo gelesen, sieht man mal von der Mnemonik ab, und es wird leider auch so manches Klischee bemüht. Zuweilen stellt sich – auch durch einige unnötige Wiederholungen – Langeweile ein bei den detailverliebten, aber eben auch ausufernden Schilderungen. Ironie mithin, weil Maykls Verleger im Roman ihn ermahnt, nicht mehr als 150 Seiten zu schreiben bei seinem zweiten Romanprojekt, – Hein selbst braucht 477, Suhrkamp ist da deutlich großzügiger. Und das Couplet «Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist» am Ende von Rems Trauerfeier, das auch den letzten Satz des Romans bildet, den Maykl da vor sich hinträllert, ist geradezu unglaublich kitschig. Schade!

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Brick Lane

Prekär wie die gleichnamige Straße

Ihr Debütroman «Brick Lane» hat die britische Schriftstellerin Monica Ali auf einen Schlag berühmt gemacht, er wurde 2003 für den Booker Price nominiert und löste einen entsprechenden Hype aus, der sich in Deutschland allerdings nicht wiederholte, ganz im Gegenteil. Der 2007 verfilmte Roman wurde vom britischen Feuilleton positiv kommentiert, führte jedoch auch zu erregten Debatten, an denen sich sogar Salman Rushdie vehement beteiligte. Es ging dabei allerdings nicht um die literarische Qualität, sondern um seine Thematik, Immigration ist schließlich ja nicht nur in Großbritannien ein Reizthema par excellence. Die Autorin mit bengalischem Vater und englischer Mutter verdeutlicht schon mit dem Titel ihres Buches, worum es geht. Die reale Brick Lane in Londons East End, knapp zwei Kilometer lang, liegt in der prekären Gegend von ‹Tower Hamlets›, einer Art ‹Klein-Indien›, sie bildet den Mittelpunkt im Viertel der Immigranten aus Bangladesch.

Erzählt wird die Geschichte von Nazneen, die als 18jährige Bengalin von ihrem Vater mit dem zwanzig Jahre älteren, behäbigen Chanu verheiratet wird und aus einem kleinen Dorf in Bangladesch zu ihm nach London geht. Sie ist völlig ungebildet, kann kein Wort Englisch und ist in ihrer traditionellen Rolle als islamische Frau strikt an das Haus gebunden, sie verlässt die winzige, armselige Wohnung kaum. Wir haben es mit einem typischen Entwicklungsroman zu tun, der erste Satz lautet denn auch: «Eine Stunde und fünfundvierzig Minuten bevor Nazneens Leben begann – es begann, wie es für einige Zeit auch weitergehen sollte, das heißt ungewiss -, spürte ihre Mutter Rupban, wie eine eiserne Faust ihren Leib zusammenpresste.»

Im ersten Teil der Geschichte wird das armselige Leben Nazneens in Bangladesch beschrieben, aus dessen Fremdbestimmung sich ihre jüngere Schwester Hasina befreit, indem sie mit ihrem Geliebten in die Hauptstadt Dhaka durchbrennt, eine Auflehnung gegen die Eltern, die für Nazneen völlig undenkbar wäre. Ihr Mann ist gut zu ihr, erweist sich aber mit den Jahren als völlig unrealistischer Schwadroneur, er kündigt am Ende entmutigt seine Stellung, um in die Heimat zurückzukehren. Die Töchter von Nazneen aber bestärken ihre inzwischen immer selbstbewusster gewordene Mutter darin, nicht mitzugehen nach Bangladesch, eine Entscheidung, bei der auch die Ereignisse von 9/11 eine gewichtige Rolle spielen. Um diesen Handlungskern herum breitet die Autorin auf vielen hundert Seiten Nazneens Weg aus der Unmündigkeit vor uns Lesern aus, berichtet minutiös vom kargen Leben der Immigranten in der Hauptstadt des Empire. Als Gegenpol dienen hierbei die Briefe der Schwester aus Dhaka, deren Leben alles andere als beneidenswert erscheint und die am Ende gar, vom Geliebten verlassen, als Prostituierte arbeitet. Und auch die Nachrichten von ihrem nichtsnutzigen Ehemann sind alles andere als ermutigend, Nazneen ist froh, ihm nicht gefolgt zu sein.

Die Widersprüche zwischen traditionell muslimischer und moderner westlicher Lebensweise sind hier wenig überzeugend dargestellt, die aus privilegierten britischen Verhältnissen stammende Autorin hat jedenfalls keinerlei autobiografische Erfahrungen in ihre Geschichte einbringen können, und das merkt man deutlich. Ihr Roman ähnelt einer schier endlosen, gefühlsduseligen Soap Opera mit hoffnungsvollem Ausgang, wobei sie wohlweislich nur beschreibt, die Geschehnisse also nicht bewertet. Das entscheidende Manko aber ist die quälende Langatmigkeit, in der die handlungsarme Story, völlig humorlos übrigens, erzählt wird. Eine Geduldsprobe für den Leser also, mindestens ebenso langweilig wie das Leben, das die Heldin mit ihrem Mann führen muss, bevor sie sich trennen. Schade, denn das sprachliche Können der Autorin, ihre Beobachtungsgabe, die Sensibilität, mit der sie alles Menschliche erfasst, ist ja durchaus vorhanden. Aber das allein reicht halt nicht für einen bereichernden, unterhaltsamen, lesenswerten Roman!

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Droemer Knaur München

Monument 14 – Die Flucht (Band 2)

Wenn die Zivilisation zusammenbricht, bist du ganz auf dich allein gestellt.
Nachdem ein Tsunami die Ostküste der USA getroffen und weite Teile des Landes verwüstet hat, stranden vierzehn Jugendliche in einem Einkaufszentrum. Der Strom fällt aus, die Zivilisation bricht zusammen, und aus einer nahen Chemiefabrik entweicht eine gefährliche Giftwolke. Dann dringt das Gerücht durch, dass die Überlebenden von Denver aus ausgeflogen werden. Die Jugendlichen bestimmen eine Gesandtschaft, die sich nach Denver durchschlagen soll. Der Rest von ihnen bleibt zurück, darunter der eher schüchterne Dean, der sich früher immer aus allem herausgehalten hat. Als sie von einem gewalttätigen Einbrecher bedroht werden, muss Dean über sich selbst hinauswachsen…

Die Lage im Einkaufszentrum hat sich dramatisch zugespitzt. Nachdem Fremde in das Einkaufszentrum gelangt sind, wurde einer der Jugendlichen angeschossen und benötigt dringend Hilfe. Außerdem gibt es das Gerücht, dass am Flughafen von Denver Hilfe zu erwarten ist. Angeblich ist dort der Sammelpunkt für Überlebende, die von dort durch das Militär nach Kanada und Alaska ausgeflogen werden. Aber was ist dran an diesem Gerücht, und können die Kinder und Jugendlichen die 100 Kilometer nach Denver überhaupt schaffen? Die Straßen sind zerstört oder verstopft und die Giftgaswolke hängt noch immer über dem Land …

Den Jugendlichen bleibt keine Wahl, denn wenn Braydon nicht dringend Hilfe bekommt, dann sieht es sehr schlecht für ihn aus. Aber nicht alle sind dafür, das (relativ) sichere Einkaufszentrum zu verlassen, und so teilt sich die Gruppe auf. Die eine Hälfe der Kinder und Jugendlichen bleiben im Einkaufszentrum und die andere Hälfte macht sich auf die gefährliche und lange Reise nach Denver …

Dadurch dass sich die Gruppe aufgeteilt hat, ist im zweiten Band der Trilogie nicht mehr nur der 17jährige Dean der Ich-Erzähler, sondern auch sein 13jähriger Bruder Alex, der sich mit den anderen auf den Weg nach Denver macht. Von nun an gibt es immer abwechselnd die „Alex Kapitel“ und die „Dean Kapitel“, was mir sehr gut gefallen hat und gleichermaßen spannend war. Denn auch im Einkaufszentrum spitzt sich die Lage immer weiter zu, während Alex und die anderen sich mit den Gefahren der Außenwelt und anderen Überlebenden herumschlagen müssen, die nichts zu verlieren haben und an die Vorräte der Jugendlichen gelangen wollen.

Der zweite Teil der Trilogie hat an Spannung und Dramatik noch um einiges zugelegt, und ich habe das Buch noch schneller verschlungen als den ersten Teil. Jetzt kann ich es kaum erwarten, mich direkt auf den dritten Teil zu stürzen.

Einfach nur großartig, extrem spannend und sehr bewegend!

 

 


Genre: Dystopie
Illustrated by Heyne München

Das Ende einer Affäre

Der dritte Mann

Auf der im Dezember 2015 von der BBC veröffentlichten Liste der hundert bedeutendsten britischen Romane ist Graham Greene dreimal vertreten, wobei sein Roman «Das Ende einer Affäre» von den 82 nicht-britischen Juroren als sein bester auf Platz 31 gewählt wurde. Das 1951 erschienene Buch des mehrfach erfolglos für den Nobelpreis nominierten Autors wurde zweimal verfilmt, es gibt auch eine Adaption als Oper. Beherrschende Themen seiner Werke ist das Menschsein insbesondere in Hinblick auf Schuld, Verrat und Glaube, er wird wegen seiner religiösen Bindung zu der in Frankreich entstandenen literarischen Bewegung Renouveau catholique, der Religiösen Erneuerung gerechnet. Seine frühen Romane sind von einer düsteren, traurigen Atmosphäre gekennzeichnet, für die im englischen Sprachraum der Begriff «Greeneland» geprägt wurde. Auch der vorliegende Roman zählt dazu, er gehört thematisch zu den «catholic novels» dieses Autors. Es finden sich darin diverse autobiografische Bezüge, auch der Ich-Erzähler des Romans ist Schriftsteller, hat eine Affäre mit einer verheirateten Frau, und eine Konversion zum katholischen Glauben, wie sie der Autor auch selbst vollzogen hat, ist letztendlich das Schlüsselelement dieser moralinsauren Geschichte.

Maurice Bendrix, lediger und wenig erfolgreicher Schriftsteller, hat während des Zweiten Weltkriegs eine leidenschaftliche Affäre mit Sarah, der Frau des hohen Beamten Henry Miles in London, deren kinderlos gebliebene Ehe in liebloser Alltagsroutine erstarrt ist. Als bei einem Rendezvous ganz in der Nähe eine deutsche V1-Rakete einschlägt und Sarah Maurice im Hausflur tot unter Trümmern liegen sieht, gelobt sie Gott, – an den sie nicht glaubt -, im Gebet verzweifelt, die Liaison sofort zu beenden, wenn Maurice wieder lebendig würde. Der aber war tatsächlich nur ohnmächtig und konnte sich fast unverletzt aus den Trümmern befreien. Sarah fühlt sich nun an ihr Gelöbnis gebunden und wendet sich von ihrem Geliebten ab, ohne ihm den Grund zu sagen. Nach mehr als einem Jahr, in dem sie sich nicht sehen, trifft der eifersüchtige Maurice, der an einen neuen Liebhaber glaubt, 1946 zufällig Sarahs Mann. Der erzählt ihm bei einem Drink von seiner Befürchtung, dass Sarah ihn betrügt, er zögere aber, des Skandals wegen, einen Detektiv zu engagieren. Maurice, immer noch rasend eifersüchtig, greift Henrys Idee auf und engagiert seinerseits einen Detektiv. Es findet sich aber kein neuer Liebhaber, nur ein charismatischer Atheist und Straßenredner, den Sarah regelmäßig aufsucht, damit er sie von der Nichtexistenz Gottes überzeuge. Was sie letztendlich dann von ihrem Gelübde entbinden würde, denn sie liebt Maurice nach wie vor inniglich.

Die in fünf «Bücher» untergliederte Geschichte wird, abgesehen von einer längeren Tagebuch-Passage, von Maurice in Ich-Form erzählt. In dem Tagebuch, das sich direkt an Gott wendet, lesen wir von Sarahs verzweifelten Versuchen, gottgläubig zu werden, ihre Schuld zu sühnen, ihren Seelenfrieden wieder zu finden. Liebe und Glaube stehen sich hier also als moralische Instanzen entgegen und zerstören Sarah seelisch durch ihre tragische Unvereinbarkeit. Die ja, das lehrt diese Geschichte, nicht Gott anzulasten ist, sondern dem katholischen Klerus mit seinen ebenso willkürlichen wie unversöhnlichen Dogmen. In Maurice aber, der inzwischen selbst an die Existenz Gottes glaubt, ist nur tiefer Hass ihm gegenüber.

Der Plot wirkt arg konstruiert, er ist ganz in Hinblick auf das moralische Dilemma seiner weiblichen Protagonistin angelegt, das der Autor hier wenig glaubwürdig vor uns ausbreitet. Das uralte Thema der Frau zwischen Ehemann und Liebhaber erfährt hier eine Ausweitung ins Metaphysische, Gott selbst ist der dritte Mann in diesem Rührstück, dessen Kernthema einer Konversion zum Katholizismus banal und langatmig abgehandelt wird von einem missionarisch bemühten Graham Greene. Schade, dass er sein literarisches Können hier so naiv zweckgebunden eingesetzt hat!

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by dtv München