Baseballschläger und Punkrock
Schon vom Titel her als Wende-Roman erkennbar, wurde Peter Richters autobiografisch geprägte Coming-of-Age-Geschichte «89/90» für den Frankfurter Buchpreis 2015 nominiert. Er gehört zu einem literarischen Genre, das sich offensichtlich großer Beliebtheit erfreut, auch der diesjährige Preisträger der Leipziger Buchmesse schildert ja in seinem prämierten Roman die Zeit vor und nach der Wende. Von Ostalgie kann dabei aber keine Rede sein, das unrühmliche Ende der DDR wird in beiden Romanen eher als heilloses Chaos beschrieben.
Der Ich-Erzähler ist ein wohlbehüteter, zu Beginn 15jähriger Schüler aus dem Mittelstand, dessen rebellische Adoleszenz vom Punkrock im FDJ-Jugendklub sowie von den erbitterten Straßenkämpfen mit den glatzköpfigen Neonazis geprägt ist. Zeitlicher Rahmen der Handlung ist der Sommer vor der Wende, mit dem Mauerfall am 9. November 1989 als Zäsur, und endend beim gesetzlichen Vollzug der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990, von Stund an ‹Tag der Deutschen Einheit›. Seine Generation erlebt – und erleidet – als letzter Jahrgang, neben dem Wehrunterricht als Schulfach, dann auch noch das zweiwöchige Wehrlager bei der Nationalen Volksarmee. Eine erzählbare Handlung gibt es praktisch nicht in diesem Wenderoman, der Plot folgt emotionslos, ziemlich ungerührt aus sicherer Distanz, dem historischen Geschehen aus der grotesk verengten Perspektive eines aufmüpfigen Schülers. Man erfährt gleichwohl herzlich wenig von ihm, es wird über seine Reisen berichtet, auch ins sozialistische Ausland natürlich, zum Balaton beispielsweise, und nach dem Mauerfall besucht er mit Freundin L. sogar Paris. Sie ist allerdings wenig beeindruckt und stellt ihm die ketzerische Frage, was daran so wichtig sei, nach Paris reisen zu können, welcher Zuwachs an Lebensqualität sich daraus für ihn denn wirklich ergebe.
Und Frau K. schließlich fragt im Staatskundeunterricht, «was die Leute eigentlich treibt, für ein paar Bananen und Fernreisen alles einfach wegzuschmeißen, was wirklich wichtig ist im Leben: Familie, Sicherheit, Zukunft, einen Arbeitsplatz, Heimat, nicht zuletzt ihren Anstand und ihre Würde». Immer wieder von solchen dialektischen Diskursen unterbrochen wird hier anekdotenreich und mit unglaublich vielen Details das DDR-Leben aus der sehr speziellen Perspektive eines Heranwachsenden beschrieben, der als Figur jedoch ziemlich konturlos bleibt – und namenlos obendrein. Aber auch für alle anderen Figuren im Roman gibt es keine Namen, alle werden nur mit ihrem Anfangsbuchstaben benannt. Da läuft dann der beste Freund S. mit der Pfarrerstochter G. auf der ‹Rue› genannten Hauptstrasse der Stadt und trifft den T., der ihn auffordert, heute Nacht doch ins Freibad zu kommen, der W. käme auch. Und obwohl dort nackt gebadet wird, findet Sex nicht statt in diesem Roman, trotz des testosteronträchtigen Alters des Helden. Der ist neben den brutal ausgetragenen, blutigen Gruppenrivalitäten nur noch am Punkrock interessiert, zusammen mit S. träumt er von einer Musikerkarriere, obwohl sie beide ja nur zwei Akkorde spielen können auf der Gitarre. Die Erzählung nervt geradezu mit der nicht enden wollenden, sinnlosen Nennung gefühlt hunderter obskurer Bandnamen wie ‹Die Faschisten› oder ‹Hammer und Eichel›.
In einer jugendlich frischen Sprache wird hier, zuweilen recht amüsant, mit lexikalischer Ausführlichkeit durchaus Erwartbares erzählt, wobei den Wessis unter den Lesern ein umfangreicher Fußnotenapparat den fehlenden Erfahrungshintergrund ersetzen muss. Formal ziemlich willkürlich, mit fehlender Kohärenz, werden gesellschaftliche Umbrüche aus der Sicht eines Baseballschläger schwingenden, jugendlichen Anarchisten beschrieben, ohne dass sich daraus irgendwelche relevanten Erkenntnisse ergeben würden. Hingegen ahnt man als Leser am Ende, wie sich aus dieser sozialen Gemengelage heraus, scheinbar aus dem Nichts, eine bisher erfolgreich unterdrückte, politisch ultrarechte Gesinnung derart ausbreiten konnte.
Fazit: mäßig
Meine Website: http://ortaia.de
Was ist gute Literatur?
Es lebe der Zufall
Schlechte Übersetzung aus dem Türkischen?
Augenzwinkern inklusive
Schnee auf dem Kilimandscharo: „Karawong! Karawong! Karawong!“, kracht das Gewehr des Francis Macomber als er auf einen Löwen anlegt. Mit seiner Frau Margot hat er bei Robert Wilson eine Safari gebucht, die ihn verwandelt, aber auch beflügelt. Afrika ist eben kein Land für Feiglinge. Aber als er seine Angst verliert, verliert er auch seine Frau. Oder sein Leben.

Vom Faszinosum der Literatur
Der Shigulimann
Wussten Sie, dass deutsche Behörden zur Bewertung der Schädlichkeit von Substanzen nicht-öffentliche Studien der Industrie verwenden? Und denen mehr vertrauen, als veröffentlichten Studien unabhängiger Wissenschaftler? Und, wie 2015/16 zu Glyphosat geschehen, die deutsche Behörde BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) dies sogar für alle europäischen Staaten mitmacht? Ich auch nicht, und ich kann über meine eigene Naivität nur immer wieder staunen. 
Als ich das Buch 
Der Titel wirkt ganz schön angeberisch bei einem so kleinen Taschenbuch. Ob es sich mit dem Titel besser verkauft? Oder gilt einfach, ganz berlinerisch, “Wer angibt hat mehr vom Leben!”? Denn nicht nur für Berliner ist das Buch lesenswert. Auf seinen knapp 150 Seiten gibt es Tipps, mit vielen Fotos, die auf jedem Balkon, selbst im kleinen Dorf, beim Gärtnern helfen. Denn die Autorin weist gerade auf Dinge hin, die im Verborgenen blühen und fordert auf, sich einzulassen und mitzumachen. 

Literatur als Symptom