Ein Roman ohne Verleger
Der Schriftsteller Kaleb Erdmann hat mit «Die Ausweichschule» einen Roman über das Schreiben eines Romans geschrieben, der gerade erst in die Shortlist für den diesjährigen Deutschen Buchpreis gewählt wurde. Der Autor thematisiert in diesem Metaroman seine Recherchen zum Amoklauf von Erfurt am 26. April 2002, bei dem ein 19jähiger, ehemaliger Schüler des städtischen Gutenberg-Gymnasiums sechzehn Menschen und anschließend sich selbst erschossen hat. Der damals elfjährige Autor Kaleb Erdmann hat den Amoklauf miterlebt, ohne allerdings mit dem Täter konfrontiert gewesen zu sein oder bei seiner Flucht aus dem Schulgebäude eines der Opfer gesehen zu haben. Es war der letzte Tag der Abiturprüfungen dieses Jahres, dem zwanzigminütigen Massaker fielen elf Lehrer, eine Referendarin, eine Sekretärin, zwei Schüler und ein Polizist zum Opfer. Es dauerte eineinhalb Stunden, bis die Polizei den Täter endlich im Gebäude tot auffand. Das Gymnasium wurde sofort geschlossen, umgebaut und renoviert, der Unterricht in eine «Ausweichschule» verlegt. Alle Betroffenen erhielten für lange Zeit eine intensive psychologische Betreuung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für derartige Katastrophenfälle.
Zwanzig Jahre später holen die unverarbeiteten Ereignisse von damals den inzwischen als Schriftsteller tätigen Ich-Erzähler eines noch zu schreibenden Romans völlig unerwartet wieder ein. Er beginnt mit intensiven Recherchen, die im Wesentlichen den Handlungsfaden des vorliegenden Romans bilden. Sie sind für ihn stets auch verbunden mit Fragen nach dem Sinn seines Tuns und Zweifeln über dessen Folgen. Die dürften, mit all den späten Erinnerungen, auch die unbewältigten Traumata aller, nicht nur der unmittelbar Betroffenen, hervorrufen, wenn nun die alten Wunden wieder aufgerissen werden. Es geht ihm aber eher ganz allgemein um spezielle Fragen wie die nach den Vorbedingungen solcher Gewaltexzesse, nach ihren unmittelbaren Folgen, möglichen Erkenntnissen und Konsequenzen, und natürlich auch um die Spätfolgen und die mentalen Schäden, die dauerhaft zurückbleiben. Denn der Ich-Erzähler selbst hat zwar, wie es im Buch heißt, «keinen Mord und kein Blut gesehen», er ist seit damals aber traumatisiert und angstgestört. Ihn treibt ständig die Frage um, wie man über eine derartige Gewalttat denn überhaupt schreiben könne.
Zunächst zieht er dazu das 2004 erschienene und kontrovers diskutierte Buch von Ines Geipel heran, das sich unter dem Titel «Für heute reicht’s» dokumentarisch mit dem Amoklauf von Erfurt befasst. Darin wirf sie den Sicherheitskräften Versagen vor und den Rettungskräften unprofessionelles Handeln. Dem widerspricht die von der Landesregierung eingesetzte «Gasser-Kommission» in ihrer ausführlichen Dokumentation vehement, es habe allenfalls Mängel bei der Kommunikation während des Einsatzes gegeben, die jedoch folgenlos geblieben seien. Sie widerspricht auch der Darstellung von Ines Geipel, die als Ego-Shooter bezeichneten Ballerspiele am Computer seien Schuld an der unfassbaren Verrohung des jugendlichen Täters gewesen. Schließlich nimmt der Ich-Erzähler auch noch Kontakt zu einem im Roman nur als «Dramatiker» benannten, schreibenden Kollegen auf, der gerade ein Bühnenstück über den Fall verfasst. Sie treffen mehrmals zusammen und tauschen sich auch telefonisch lebhaft aus über ihr jeweiliges literarisches Projekt.
Man kann den geschilderten Schreibprozess des Ich-Erzählers als Reise in das eigene Ich deuten, wobei ja eine besondere Schwierigkeit darin besteht, nicht in Voyeurismus abzugleiten, bloß nicht die Sucht nach Horror-Darstellungen zu bedienen, was hier auch überzeugend gelungen ist. In der interessanten Rahmenhandlung mit dem Schreibprozess geht es durchaus auch ironisch zu, wobei die Figur des Ich-Erzählers in seiner Schusseligkeit und Fress- und Saufsucht allerdings wenig sympathisch wirkt. Letztendlich feiert dann das Bühnenstück des «Dramatikers» seine Premiere, während der Roman, dessen Entstehen man mitverfolgen konnte, ironischer Weise keinen Verleger findet!
Fazit: lesenswert
Meine Website: https://ortaia-forum.de


“Im Herbst wird man immer ein wenig atemlos von der Schönheit, die man so besonders nur jetzt mit allen Sinnen aufnimmt“, sagt Peter, der Poet. “Das sind die leuchtenden Tage, die am Ende entscheiden, ob ein Leben gut war oder nicht“, erwidert Paula, die Sinnliche. Bei einem ersten Spaziergang prickelt es zwischen den beiden schon und das mag nicht nur am Wein liegen. Ein Kuss am Friedhof, was für Peter immer ein Spielplatz der Kindheit war und immer noch, Jahrzehnte später, das Gefühl des Nachhausekommens bei ihm auslöst, verbindet die beiden. “Manches muss ja im Herbst gesät werden“, sagt Peter hoffnungsvoll, “dass es im Frühjahr blüht und Frucht im Sommer trägt“. Aber Paula zögert noch, ziert sich, denn sie will vor allem den Moment, den Augenblick genießen und sich nicht zu viele Gedanken über die Zukunft machen. Ein gemeinsames Wochenende haben sie und so mieten sie sich zwei Fahrräder und genießen den Herbst und seine “tausend Schattierungen“. “Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er Glück oder Wehmut, Abschied oder Anfang bedeutet”, meint Peter verheißungsvoll, doch dann taucht plötzlich eine Katze auf, die alles verändern wird. Vor allem das Leben der beiden.
Eine bestechende Geschichte, bebildert mit verführerischen Illustrationen, die das schöne Leben genauso feiern wie die Liebe. Die Leichtigkeit des Seins zelebriert mit einem rührenden Ende. Eine Katze müsste man sein. Oder zumindest wieder einmal ein paar solcher Katzentage erleben.




Alkoholgesättigte Coming-of-Age-Geschichte

Nichts für Hedonisten
Pathos ohne Belang
Sechs Moment-Aufnahmen
“Wir werden von dem geleitet was wir nicht wissen wollen, etwas das uns kränkt und verletzt, davon laufen wir davon in die Wüste unserer Unwissenheit.” Als Wanda begannen sich zu formieren, sagen wir mal ca. 2010, war in Wien eigentlich nichts mehr los. Was die Bandmitglieder schnell verband, war das “Das Gefühl dieser entleerten Wiener Langeweile etwas entgegenhalten zu müssen. Irgendetwas musste passieren“. Kokett fügt er hinzu, dass es schließlich sie – Wanda – waren, die endlich “passierten“. Aber seine Selbsteinschätzung kommt nicht angeberisch, eher verwegen daher, denn Marco Wanda versteht es, immer wieder, zu betonen, wie viele andere Menschen, also Freunde und Freundinnen, am Erfolg von Wanda mitgebastelt haben. Trotz allen Stolzes ist ihm natürlich bewusst, wem er das alles zu verdanken hat und so wirkt auch seine Selbstüberschätzung durchwegs sympathisch da sie mit der Wien-typischen Selbstironie daherkommt. In Wien nennt man sowas nämlich Humor und vielleicht ist es genau das, was den meisten anderen Bewohner:innen der (Bundes-)Länder so abgeht. Selbst in der düstersten Stunde, als er von Schicksalsschlägen getroffen auf der Bühne immer noch weitermachen muss und er sich sein Rückgrat ruiniert, lacht er noch: “Endlich machte ich Bekanntschaft mit etwas, was sich gut anfühlte: legale Drogen“. Der Mick Jagger und alle bekommen es, meint sein Arzt, ein Allheilmittel für alle Künstler und Künstlerinnen, die es mal wieder übertrieben haben. Die Rede ist von Fentanyl, den höheren Weihen des Rockolymps legal zugänglich. Dieser Humor, dieses Schmunzeln, dieses “Singen auf der Folter” macht “Dass es uns überhaupt gegeben hat” zu einem hörenswerten Buch gerade weil es vom Autor selbst gelesen wird, der gerne auch die Stimmen anderer Prominenter imitiert. Auch dadurch wird sein literarisches Debüt zu einem echten literarischen Leckerbissen.
Ein literarisches Kabinettstück