Vincent

Mit »Vincent« seziert Joey Goebel die Popindustrie und zeigt auf, wie Stars und Sternchen in den Himmel geschossen werden und dort rasch verglühen: Harlan Eiffler bekommt den Job seines Leben: Ein millionenschwerer Medienunternehmer will als Krönung seines Lebens eine Nachwuchsakademie ins Leben rufen, um künstlerische Genies zu fördern. In deren Auftrag soll Harlan lediglich ein einziges Talent betreuen. Geld spielt dabei keine Rolle.
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Genre: Romane
Illustrated by Diogenes Zürich

Otherland 4 • Meer des silbernen Lichts

Der vierte und letzte Band der »Otherland«-Reihe reißt die auf der Suche nach den verlorenen Kindern befindlichen Gefährten vollständig auseinander und lässt sie in verschiedenen Simwelten wieder auftauchen. Sie erleben dort atemberaubende Verfolgungsjagden und hasten von einem lebensbedrohenden Abenteuer in Märchen- und Mythenwelten in die nächste Umgebung. Weiterlesen


Genre: Cyberspace-Saga, Fantasy, Science-fiction
Illustrated by Heyne München

Die italienischen Schuhe

Fredrik Welin, ein ehemaliger Arzt, hat sich vor vielen Jahren nach einem medizinischen Kunstfehler auf seine Schären-Insel zurückgezogen. Bei einer notwendigen Operation hatte er einer jungen Patientin den falschen Arm amputiert! Hier in der Einsamkeit teilt er sein Leben mit Hund und Katze und hat nur noch selten Kontakt mit der Außenwelt. Es scheint, dass er kein Interesse mehr am Leben hat. Das ändert sich schlagartig, als an einem eisigen Wintertag plötzlich seine Jugendliebe Harriet, die er vor vielen Jahren ohne Angabe von Gründen verlassen hat, scheinbar aus dem frostigen Nichts auf seiner Insel auftaucht.

Harriet, die schwer an Krebs erkrankt ist, bittet ihn um einen letzten Gefallen. Gemeinsam mit Fredrik möchte sie einen verwunschenen Waldteich aufsuchen, jenen Ort, von dem er ihr vor fast vierzig Jahren erzählt hatte. Nach anfänglicher Empörung über diese Ruhestörung und die Erinnerung an sein schändliches Verhalten in der Vergangenheit willigt er in den Plan ein und sie beginnen ihre gemeinsame Reise in den Norden des Landes. Dort erfährt er von Harriet, dass er eine Tochter hat. Louise, ihre gemeinsame Tochter, wohnt tief versteckt in den Wäldern Nordschwedens. Hier lernt er auch Freunde und Bekannte seiner Tochter kennen, unter anderem einen alten italienischen Schuhmachermeister, der vor dem lauten Leben der Städte Italiens in die Einsamkeit und Ruhe der Wälder geflohen war. Diese Reise in den Norden verändert Fredrik so sehr, dass er bereit ist, sein Leben zu überdenken und zu ändern.

H. Mankell hat ein interessantes Buch über das Älterwerden, die Einsamkeit und die verlorenen Momente des Lebens geschrieben und das in einer Anschaulichkeit, dass man bei der Lektüre zum Nachdenken über das eigene Leben angeregt wird.


Genre: Romane
Illustrated by Zsolnay München

Die dritte Jungfrau

Haben Katzen Knochen im Penis?

Die Autorin ist bestimmt nicht mehr nur in ihren Ferien aktiv, wie immer mal wieder über sie zu lesen ist. Fred Vargas mag zwar, weil sie in ihrem erlernten Beruf als Archäologin gewiss nicht ungern tätig war und die ersten Bücher sie bestimmt nicht reich machten, in den Anfängen ihre Karriere als Teilzeitliteratin begonnen haben. Die Qualität ihrer Bücher allerdings hat sich mit jeder Neuerscheinung signifikant gesteigert, was zum einen unzweifelhaft ihrem Talent zuzuschreiben ist, sich aber wohl auch – ganz irdisch – einer gewissen Steigerung der mit Schreiben verbrachten Arbeitszeit verdanken mag.
In ihrem neuesten Werk, „Die dritte Jungfrau“ hat sie eine weitere Sprosse in der Qualitätsleiter erklommen. Wobei dieses Bild wohl zu viel Mühe suggeriert. Die Erzählung kommt natürlich nicht – wie könnte sie auch, ob des Sujets – „leicht“ daher. Wohl aber freut sich die Leserin und der Leser über eine Flüssigkeit, die nichts mit Oberflächlichkeit zu tun hat. Fred Vargas entwickelt ihre Figuren ebenso behutsam wie dezidiert weiter: Den überaus komplizierten Charakter des Jean-Baptist Adamsberg wie die intelligente Schrulligkeit seiner Mitspieler, der Mitarbeiter der Pariser Sonderkommission des Morddezernats. Die Vargas macht ihre Lesegemeinde dabei zu Komplizen – und wer „leidet“ nicht mit, wenn die immer wieder von Adamsberg verlassene Geliebte nun von einem anderen Mitglied jenes Kommissariats „erobert“ wird? Wer unter den treuen Leserinnen und Lesern wird es nicht mal „zärtlich“ mal „merkwürdig“ berühren, wenn schon auf den ersten Seiten zu erfahren ist, dass Adamsberg mit eben jener Musikerin ein gemeinsames Kind hat – Adamsberg als Papa?
Kurz gesagt: Auch der neue Band in der im Grunde einen, langen Erzählung der Fred Vargas zieht sehr schnell und gekonnt in den Bann. Und neben der Raffinesse der Erzählkunst ist es (handelt es sich doch um nichts anderes als einen Kriminalroman) die Spannung, die sich mit dem Fortgang der Lektüre aufbaut.
Adamsberg hat es mit einer Mordserie zu tun, die zunächst weniger als Mord, denn als Fall unerlaubter Graböffnung und Leichenschändung in zwei Fällen daherkommt. Die Gräber zweier Jungfrauen werden von einer unbekannten Person geöffnet, den Leichen wird offensichtlich Haar abgeschnitten und schließlich werden die Gräber wieder geschlossen.
Beide Damen fanden ihren Tod in der Normandie. Die Polizei dort hatte sich mit der Aufklärung keine große Mühe gegeben, war dem ersten Anschein gefolgt und die Fälle als Selbstmord zu den Akten gelegt. Adamsberg wird im Laufe der Ermittlungen zusätzlich in abstruse Fälle von Wilderei verwickelt, lernt einiges über kirchliche, jahrhundertealte Heilversprechen und wird zudem in seine Kindheit zurückgeworfen. Alles gemeinsam spielt tatsächlich auch für den eigentlichen Fall eine Rolle und – versprochen – was die Auflösung betrifft, wird man wieder auf das Trefflichste in die Irre geführt. Ein Lesegenuss und ein Spaß der nur von einer Archäologin erfunden werden konnte – und nicht nur wegen der Grabschänderei.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

Die dunkle Botschaft des Verführers. Maresciallo Bonanno ringt um Fassung.

Wenn nach dem Siegeszug des Sizilianers Andrea Camilleri (nicht nur) auf dem deutschen Büchermarkt sein deutscher Verlag einen weiteren sizilianischen Autor vorstellt, der ebenfalls mit Kriminalromanen reüssieren will, dann ist jede Vorsicht nicht nur verständlich, sondern angezeigt. Nicht, dass der Versuch, auf der langen Welle des Erfolges ihres Autors Camilleri auch weiteren Autoren aus Sizilien eine Chance und dem Verlagshaus möglichst profitable Umsätze zu verschaffen verwerflich wäre – wenn denn die literarische Qualität mit der Intensität des Marketings mithält.

In der edition luebbe des Verlags Bastei-Lübbe aus Bergisch Gladbach erscheinen nicht nur die Romane des sizilianischen Ausnahmeautors Andrea Camilleri. Mittlerweile wurden dort auch zwei Romane von Roberto Mistretta veröffentlicht. Mistretta wird dem deutschen Publikum als Journalist und Autor von Kinderbüchern vorgestellt, dem es aber in den vergangenen Jahren in den Fingern juckte sich literarisch mit dem Verbrechen auseinanderzusetzen. Ergebnis ist eine auf Serie angelegte Romanfigur, ein Marescialo der Carabinieri namens Bonanno. Dieser lebt mit seiner Mutter und seiner 12jährigen Tochter, aber ohne seine geschiedene Frau, zusammen, raucht sich offenbar von Roman zu Roman die Lunge kaputt und – wen wundert´s – ist natürlich verfressen und jähzornig.

In dem vor wenigen Wochen erschienenen zweiten Buch schlägt sich Bonanno mit verschiedenen kriminellen Auswüchsen menschlicher Sexualität herum. Ein Gauner betreibt mit „Genehmigung“ des lokalen Mafia-Fürsten einen schwunghaften privaten Bordellbetrieb und wird direkt am Anfang der Geschichte, zunächst nicht nachvollziehbar, auf brutalste Weise zusammengeschlagen und dabei fast um sein Leben gebracht. Parallel zu dieser Geschichte um Prostitution, Korruption und Erpressung wird nach und nach eine zweite Geschichte erzählt, die weitaus düsterer, um ein Vielfaches schrecklicher und brutaler ist. Ein Ring von Pädophilen baut eine Bild-, und Filmdatei von Kinderpornographie auf. Das Material stellen sie durch eigenen Kindesmissbrauch selbst her. Beide Geschichten verstricken sich mit dem Fortgang der Erzählung immer mehr miteinander und am Ende gelingt dem braven Carabinieri sowohl die Einbuchtung des Mafiafürsten als auch die Zerschlagung des Kinderpornographieringes. So weit, so gut. Die Geschichten, die Mistretta erzählt, berühren beim Lesen ob ihrer Realitätstauglichkeit. Natürlich wird die Erzählung mit ihrem Fortgang immer spannender und kumuliert zu einem „Showdown“. Aber wie Mistretta die verschiedenen Ebenen miteinander verwebt, bzw. auf welche Weise er uns zum einen die Figuren vorgestellt werden (ein übelgelaunter, wenn auch engagierter und eigentlich herzensguter Carabinieri-Hauptmann; die schon von Camilleri´s Kommissar Montalbano bekannte Schar von mal dümmlich agierenden, mal leidend mitarbeitenden Mitstreitern) zum anderen die Geschichte des Kindesmissbrauchs thematisiert wird, erzeugt bei aller Spannung, ein zuweilen beklemmendes Gefühl. Das Thema wird nicht für einen „Reisser“ instrumentalisiert. Das ist gut so.

Mistretta und Camilleri stammen beide aus Sizilien. Camilleri residiert in einer anderen literarischen Liga als Mistretta. Das ist aber kein Makel, sondern eine Frage der Entwicklung. Camilleri ist im Spätherbst seines Lebens angekommen, hat eine reiche literarische und Lebenserfahrung. Mistretta ist gerade mal halb so alt. Also, nur zu! Wir sind gespannt auf weitere Geschichten.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach

Thomas Bernhard

Hoell beschreibt die schwierige Kindheit Bernhards als Initialzündung für dessen literarische Arbeit. Bernhards Mutter Herta floh aus dem erzkatholischen, intoleranten Österreich, um ihr unehelich geborenes Kind zur Welt zu bringen und ging dazu nach Holland. Geburtsort Bernhards war insofern Heerlen/NL. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gab die Mutter den Sohn weg. Thomas verlebte die frühe Kindheit bei seinem Großvater, dem Heimatschriftsteller Johannes Freumbichler (1881-1949) und gewann diesen als Vorbild. Ab 1936 nahm ihn seine Mutter, die inzwischen Emil Fabjan geheiratet hatte, wieder auf.

1948 erkältet sich Bernhard, der inzwischen eine Lehre angetreten hat, beim Abladen einer Lastwagenfuhre Kartoffeln. Ein mehrjähriger Aufenthalt in Krankenhäusern und Sanatorien ist die Folge dieser unausgeheilten Lungeneerkrankung. Diese wächst sich schließlich zu einer TBC aus und erzwingt im Verbund mit anderen Erkrankungen schlussendlich auch das Ende des Dichters, dessen Werk entsprechend von Krise und Krankheit bestimmt ist.

Durch Vermittlung Carl Zuckmayers wird Bernhard ab Januar 1952 beim »Demokratischen Volksblatt« in Salzburg als freier Mitarbeiter beschäftigt. Dort erlernt er das Handwerk des Schreibens. Er versteht sich in seinem journalistischen Schaffen als »Übertreibungskünstler«. »Wenn drei Tote waren, warn´s bei mir immer sieben, dass war eine Berichtigung am dritten Tag … aber es hat die Auflage gehoben, war sehr günstig.« Im Dezember 1954 endet seine Tätigkeit bei dem Blatt, da er sich weigert, in die Sozialistische Partei Österreichs einzutreten, der die Zeitung gehört. Aber er hat in der redaktionellen Zeit »Blut geleckt am Schreiben«.

Bald folgen erste Veröffentlichungen von Erzählungen, und auch einige Gedichtbände, die er später als »Schmarrn« bezeichnet, werden gedruckt. Bernhard hofft noch auf eine Solokarriere als Sänger, fällt jedoch wegen seiner unausgebildeten Stimme durch, er studiert neben Musik auch Schauspiel und wirkt in Theaterstücken mit. Der spätere Autor von 18 abendfüllenden Stücken, die an allen großen Bühnen Europas aufgeführt werden, erhält dadurch intime Einsichten und Kenntnisse in Dramaturgie und Regie.

Durchschlagener Erfolg ist Bernhard erstmals für seinen 1963 erschienen Roman »Frost« beschieden. Wieder ist es Zuckmayer, der ihm mit einer enthusiastischen Rezension in »Die Zeit« den Weg ebnet. In »Frost« erhält ein junger Medizinstudent von einem Assistenzarzt einen ungewöhnlichen Auftrag: Er soll von dessen Bruder, dem in einem österreichischen Gebirgsdorf lebenden Maler Strauch, ein exaktes Beobachtungsprotokoll erstellen. Die Reise führt ihn in ein verkommenes Dorf und in die abgründige Existenz des wahnsinnig gewordenen Malers. Der Roman besteht neben Wahrnehmungen des Studenten und gemeinsamen Gesprächen größtenteils aus Strauchs Monologen. Für dieses Werk erhält Bernhard den Julius-Campe-Literaturpreis. Von einem weiteren Preisgeld erwirbt er einen Vierkanthof im oberösterreichischen Ohlsdorf nahe Gmunden am Traunsee, in dem er sich als Gesamtkunstwerk inszeniert.

»Frost« ist ein Stück Anti-Heimatliteratur, in welchem der Alpentraum zum Albtraum wird: Die Provinz ist kein Idyll mehr, ihre Bewohner sind keine harmlosen Ländler, die Berge kein Postkartenmotiv; es entsteht ein Szenario aus unbarmherziger Kälte, stinkenden Jauchegruben, feisten Wirtinnen und brutalen Verbrechern. Es ist kein Wunder, dass das offizielle Österreich unfreundlich auf seinen erfolgreich schreibenden Staatsbürger reagiert und Bürgermeister über die angebliche Schädigung des Fremdenverkehrs durch die Veröffentlichung lamentieren.

Zum Eklat kommt es anlässlich der Verleihung des österreichischen Staatspreises an Bernhard, als der Autor formuliert: »Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben«. Minister, Funktionäre und Würdenträger verlassen empört den Saal und demütigen den Autor, der nicht die übliche Schönrednerei bei einer solchen Veranstaltung pflegt. Einige Preise wird Bernhard noch annehmen, dann verweigert er selbst den Vorschlag zum Literaturnobelpreis.

Die begeisterte Kritik etikettiert Bernhard dagegen frühzeitig als »Alpen-Beckett«, und er selbst bestätigt den Einfluss von Genets »Zofen« auf sein erstes Theaterstück, »Ein Fest für Boris«, das 1967 entstand. Diese rabenschwarze Komödie schrieb er für Salzburg als »eine Art Anti-Jedermann, eine Tafel mit Leuten, ein Fest, aber Verkrüppelte«. Wegen der Vieldeutigkeit des Werkes prägte Umberto Eco den Begriff des »offenen Kunstwerks«, der fortan für Bernhards Gesamtwerk stehen sollte.

In seinem Porträt versteht es der Biograph, die Facetten der Persönlichkeit Bernhards heraus zu arbeiten. Auf der einen Seite war der Erfolgsautor innerlich unsicher und schwankend, gehemmt und oft schroff im Umgang mit seiner Umwelt. Auf der anderen Seite spielte und pokerte er um seinen eigenen Marktwert und nahm dazu ein divenartiges Gehabe an, um die Besonderheit seiner künstlerischen Persönlichkeit zu unterstreichen und bezeichnete sich selbst als »geldgierig«. Seine Verletzlichkeit mündet aufgrund der erlittenen Kränkungen in einer krassen Haltung gegen sein Heimatland. Zwei Tage vor seinem Tod verfügt er, dass seine Werke in Österreich weder aufgeführt noch dargeboten werden dürfen.

Durch die schon in der Kindheit erlittenen Verletzungen verbirgt sich Bernhard hinter Masken und richtet einen Schutzwall um sich auf. Der hoch sensible Autor hegt tiefes Misstrauen gegenüber anderen Menschen. Er geht nie eine feste Beziehung ein und hält sich in jeder Freundschaft Rückzugsmöglichkeiten offen. Lediglich mit seinem »Lebensmenschen«, der 37 Jahre älteren Hedwig Stavianicek, die seine Künstlerkarriere auch finanziell fördert, verbindet ihn eine lebenslange Freundschaft.

Als Bernhard im Alter von 58 Jahren am 12. Februar 1989 an seiner schweren Krankheit stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Werk. Theaterstücke wie »Kalkwerk«, »Ritter, Dene, Voss«, »Minetti«, »Alte Meister«, »Auslöschung«, »Über allen Gipfeln ist Ruh« und »Heldenplatz« stehen neben brillanten Prosawerken wie »Wittgensteins Neffe«, »Der Untergeher«, »Auslöschung«, »Beton«.


Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by dtv München

Die Berühmten

Bernhards aus zwei Vorspielen und drei Szenen bestehende Komödie beleuchtet das Musiktheater und seine Protagonisten und nimmt den Festivalbetrieb zwischen Bayreuth und Salzburg kritisch aufs Korn. Der Text entstand 1975 und wurde am Theater an der Wien unter der Regie von Peter Lotschak am 8. Juni 1976 uraufgeführt.

Anlässlich seiner 200. Vorstellung als Baron Ochs von Lerchenau im »Rosenkavalier« von Richard Strauss lädt ein Bassist berühmte Künstler seiner Zeit ein, die ihm zu Freunden und Verbündeten geworden sind. Für sie stellvertretend stehen »Vorbilder« als Avatare bereit, zu denen sich die Anwesenden gesellen. Vertreten sind Richard Mayr (1877-1935), ein als »Ochs« berühmt gewordener österreichischer Bassist sowie der als »König des Belcanto« in die Musikgeschichte eingegangene österreichische Tenor Richard Tauber (1891-1948). Alexander Moissi (1879-1935) und Helene Thimig (1889-1974) repräsentieren die Zunft der Schauspieler. Der Regisseur und Intendant Max Reinhardt (1873-1943), der italienische Stardirigent Arturo Toscanini (1867-1957), die Pianistin Elly Ney (1882-1968) sowie Verleger Samuel Fischer (1859-1934) sind ebenfalls mit von der Partie. Lediglich die Sopranistin Lotte Lehmann (1888-1976) lässt auf sich warten und stößt erst im zweiten Vorspiel zu der Gruppe.

Im Mittelpunkt des Stückes steht der Bassist, der von den anderen in einem gewaltigen, selbstgefälligen Monolog über seine Karriere und seine Kunst unterstützt wird. Während er schlemmt, erzählt er die Geschichte eines Dirigenten, der bei seinem Auftritt kopfüber in den Orchestergraben gestürzt sei und sich dabei schwer verletzte. Damals sei noch echte Kunst auf der Bühne gezeigt worden. »Heute wird vom Fließband gesungen, alle singen und schauspielern vom Fließband, eine einzige riesige Massenfabrikation, pseudomusikalisch«, kritisiert er den Opernbetrieb. Es handele sich dabei um eine »perverse Vermögensbildung auf dem Konzertpodium und auf dem Theater«.

Der Verleger meint dazu, »das Genie soll sich hüten, der Mittelmäßigkeit etwas beibringen zu wollen«, und der Regisseur sieht die größte Leistung der Kunst nicht im absolut Schönen sondern im Verkrüppelten: »Von dem Verkrüppelten geht immer eine Faszination aus. In jeder Kunstgattung, ist es die Malerei, ist es die Literatur, ja selbst in der Musik fasziniert uns das Verkrüppelte.« Alle Großen und alles Große sei verkrüppelt. Die Großen, die Bedeutenden, die Berühmten seien verkrüppelt, sei dies nun sichtbar oder nicht. Bereits Theodor Adorno habe nachgewiesen, das Genie sei schon immer verkrüppelt gewesen, in körperlicher oder geistiger Hinsicht.

Im zweiten Vorspiel greift der Bassist diesen Gedanken auf: »Jeder hat seine Verkrüppelung. Nur wird sie nicht zugegeben. Der Künstler gibt seine Verkrüppelung nicht zu, aber er schlägt Kapital aus seiner Verkrüppelung.« Der Regisseur unterstützt ihn lautstark: »Das Genie ist ein durch und durch krankhafter und verkrüppelter Mensch und ein durch und durch krankhafter und verkrüppelter Charakter.«

In der ersten Szene geht es dann um das »Volksmärchen« von der Bescheidenheit der Künstler. »Der große Künstler fordert, und er kann nicht genug fordern, denn seine Kunst ist unbezahlbar. Es ist keine Summe zu hoch, um einen bedeutenden Künstler zu honorieren, ganz zu schweigen von den größten, von den bedeutendsten, von den außerordentlichsten, von den berühmtesten …«, so der Regisseur. Im Gegensatz dazu stehe der jammernde Staat und die »Mördergrube der Politik«, die »eine lebenslängliche Feindschaft von innen heraus« mit den Künstlern verbinde, analysiert der Kapellmeister, denn «die Künstler durchschauen die Politiker und durchschauen nichts als Dummköpfe, aufgeblähte Dummköpfe«. Die Künstler erschüfen jeden Tag die Welt, und die Politiker ruinierten sie.

Auf Anregung des Verlegers, der sich für Charakterforschung interessiert, treffen sich in der zweiten Szene die Figuren mit jeweils zu ihnen passenden Tierköpfen. Der Bassist wird zum Ochsen, der Kapellmeister zum Hahn, der Verleger zum Fuchs, die Schauspielerin zur Kuh, die Pianistin zur Ziege, die Sopranistin zur Katze. Sie gehen zum opulenten Nachtisch über und kommen gedanklich zum Schluss, dass Sänger und Schauspieler »Stimmbandkünstler« seien. Sie berichten von der enormen Abhängigkeit, die der gesamte Betrieb der Musiktheaters von ihren Stimmen und deren Anfälligkeiten habe: »Eine kleine Halsentzündung wirft eine ganze Opernsaison über den Haufen«.

Als Ratten gezeichnete Diener fahren schließlich Champagner auf, und die Berühmten steigern sich immer mehr in Selbstgefälligkeit und Eigenlob. Der Regisseur fasst es zusammen: »Von der Berühmtheit geht die größte Faszination aus. Man kann sagen, von diesem Tisch hier: Der Opernkünstler ist der eigentliche Herrscher der Kunstgesellschaft, und der Bassist an sich ist ihr König.« Die Stimmen der Akteure steigern sich immer weiter, bis sie in der Schlussszene nur noch Tierlaute von sich geben, die vom dreifachen Kikeriki des Hahnes übertönt werden.


Genre: Theater
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Ein Fest für Boris

Thomas Bernhards erstes Theaterstück, »Ein Fest für Boris«, entstand 1967. Diese rabenschwarze Komödie schrieb der österreichische Autor für die Salzburger Festspiele als »eine Art Anti-Jedermann, eine Tafel mit Leuten, ein Fest, aber Verkrüppelte«.

Zentrale Figur im Stück mit zwei Vorspielen und einer Festmahl-Szene ist die reiche »Gute«. Bei einem Unfall hat sie ihre Beine und den Ehemann verloren und lässt seither ihre Dienerin Johanna, die einzige Akteurin, die noch auf eigenen Beinen stehen kann, erbarmungslos nach ihrer Pfeife tanzen. Ihren zweiten Mann, den ebenfalls beinlosen Boris, hat sich aus dem benachbarten »Krüppel-Asyl« heraus geheiratet, wo sie durch reichliche Spenden auch ihre Titulierung als «Die Gute« erworben hat.

Bis zum Ende des Vorspiels probiert die Gute rote, grüne, gelbe, aber vor allem weiße und schwarze Handschuhe und große Hüte in denselben Farben. Johanna ist ihr dabei behilflich. Die Gute hält während der Anprobe einen langen Monolog. Sie bemitleidet sich selbst in ihrem beinlosen Zustand.

Das zweite Vorspiel handelt nach dem Maskenball, auf dem die Gute zusammen mit Johanna gewesen war, die Gute im Kostüm einer Königin, Johanna als Schwein. Als die Gute bemerkt, dass Johanna ihre Schweinemaske nicht mehr trägt, zwingt sie diese dazu, die Maske wieder aufzusetzen. Die Gute lässt sich gerade über den besuchten Maskenball aus und kommt dann auf Boris zu sprechen. Boris, ebenfalls beinlos, ist ihr Mann, den sie sich neulich aus dem »Krüppelasyl« ausgesucht und geheiratet hat, um nicht mehr allein zu sein. Doch Boris spricht kein Wort mit der Guten und ruft ständig nach Johanna.

Das Fest für den Geburtstag von Boris beinhaltet den Hauptteil des Stückes. Zum Geburtstagsmahl für Boris sind seine beinlosen Genossen aus dem Asyl geladen. Selbst Johanna muss an diesem Abend ihre Beine versteckt halten. Die zunehmend aufgeregten Gespräche über zu kurze Schlafkisten, schlechtes Essen und andere Miseren im Heim der Beinlosen untermalt Boris mit immer heftigeren Trommelschlägen, bis er – unbemerkt – tot nach vorne sinkt.

Als alle müde werden und sich für das Essen bedanken, bemerkt Johanna plötzlich, dass Boris tot ist. Alle mit Ausnahme der Guten entfernen sich aus dem Raum. Kaum ist die Gute mit dem toten Boris allein, bricht sie in ein fürchterliches Gelächter aus.

Die Kritik etikettierte Bernhard für diesen Text als »Alpen-Beckett«, und er selbst bestätigte den Einfluss von Genets »Zofen« auf sein Werk, das 1972 in der Hamburger Inszenierung von Claus Peymann als absurdes Theater uraufgeführt wurde. 2007 wurde es erstmals in Salzburg im Rahmen der Festwochen aufgeführt.


Genre: Theater
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Ortstermine

Er ist das genaue Gegenteil des schillernden »Richter Gnadenlos«. Seine Urteile offenbaren Feingefühl, Takt, Menschlichkeit und eine bei deutschen Juristen unerwartet große Portion Humor. Die Urteile des in Berlin aufgrund seiner amtskritischen Haltung »Das Phantom des Kriminalgerichts« genannten Strafrichters Rüdiger Warnstädt, lesen sich vergnüglich und bieten bisweilen sprachliche Bonbons. Jetzt legt Berlins originellster Richter sein drittes Buch vor.

»Recht so« und »Herr Richter, was spricht er«, die Titel seiner ersten beiden Bücher, waren schnell ausverkauft. In seinem dritten Werk, »Ortstermine« genannt, berichtet der inzwischen im Ruhestand befindliche Jurist nicht von Besichtigungen blutiger Tatorte. Warnstädt erzählt von seinen Reisen, genauer: von seinen Lesereisen, die ihn quer durch die Republik führen.

Die Lesungen des kauzigen Richters sind ebenso vergnüglich und erbaulich wie seine Texte selbst. Der Zuhörer spürt, dass der Mann gewohnt ist, vor Publikum vorzutragen und sich dabei selbst inszeniert. Er ist pointiert, spitzzüngig, antibürokratisch und dabei immer aufklärend und erzieherisch tätig. »Wann ist ein Richter subversiv«, »Wie viele Justizminister braucht die Bundesrepublik« sind typische Fragen, die der spätbürgerlich wirkende Humanist aufwirft und zum Vergnügen seiner Leser beantwortet.

Ein intelligentes Buch eines charmanten Autors!

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Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Das Neue Berlin Berlin

Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens

»Katar will berühmt werden. Ein Mensch, der so ein Ziel vor Augen hat, nimmt an Talentwettbewerben teil. Unter Staaten gilt dieser Weg als unschicklich, also lädt man sich zur Bekanntmachung seiner Herrlichkeiten internationale Schreibkräfte ein, setzt sie an erlesene Tafeln, lässt sie auf King-Size-Betten liegen und erzählt ihnen nebenbei etwas über das hervorragende Erziehungssystem« … Max Goldt zählt zu den Auserwählten, die Katar zum Nulltarif besuchen durften. In dem ihm eigenen überspitzt eleganten und witzigen Stil beschreibt er die Schönheiten des Emirates, das Familien mit Kinder anlocken möchte, ohne den Kleinen auch nur einen Eisstand anzubieten.

Allein diese Geschichte macht Goldts Büchlein »Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens« empfehlenswert. Aber auch die anderen Dialoge, Szenen und Kolumnen, die der einstige Mitbegründer der Band »Foyer des Arts« und langjährige »Titanic«-Kolumnist in seinem Werk zusammengestellt hat, lesen sich vergnüglich und sich sprachliche Leckerbissen.

In der Titelgeschichte »Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens« nimmt er freundlich Abstand von den Aufdringlichkeiten einer Wirklichkeit, die er besonders mit dem alljährlichen Weihnachtsmarktzauber verbindet. An der »Volksschwäche«, »historische Marktplätze für geschlagene fünf Wochen mit billigen Sperrholzverschlägen zu möblieren«, geht er gern, »geführt von ruhigem, friedlichem Desinteresse«, seitlich vorbei.

Max Goldt schreibt mild und mit innerer Heiterkeit, er postuliert die Sanftheit der Sprache. Seine Texte haben einen Drall in Richtung »Quiet Quality«. Dieses neue Schlagwort aus den USA steht für alles, was nicht schreit und spritzt, und der Autor hat die stille Qualität »QQ« inzwischen zum Titel einer weiteren Veröffentlichung erhoben.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Rowohlt

Berliner Verhältnisse

Wer bei dem Buchtitel »Berliner Verhältnisse« glaubt, eine aktuelle Analyse des politischen Selbstbedienungsladens in Deutschlands Hauptstadt in Händen zu halten, der hat sich vergriffen. Tatsächlich geht es um eine Großstadtsatire, die in der Kreuzberger Adalbertstraße spielt.

Mario, Hauptheld des Buches und Bewohner einer Wohngemeinschaft in besagter Straße, lässt sich darauf ein, für ein paar illegale Bauarbeiter Lohn einzutreiben. Die wilden Gestalten aus seiner WG, die mit kalbsgroßen Hunden auftreten, sind als Eintreiber erfolgreich und entwickeln bald daraus einen einträglichen Nebenerwerb auf Provisionsbasis. Jedoch verliebt sich einer der Jungunternehmer, der bislang als schwul galt, in eine der Schuldnerinnen und zieht zu ihr. Damit rutscht das alternative Unternehmen in Schieflage.

Kurz darauf bemerkt die Inkasso-Brüderschaft, dass ihr Auftraggeber sie nicht nur zu eigenen sondern auch zu Schuldnern fremder Auftragnehmer schickt. Auf verschnörkelten Bahnen landet Mario so schließlich bei seinem Bruder Wolfgang. Der betreibt ein verschachteltes Netz von Bauträger- und Immobilienbüros und wird deshalb in seiner Familie als Erfolgsmensch dargestellt. Tatsächlich steht der Mann kurz vor dem Bankrott und versucht selbst, seinen Gläubigern zu entkommen. Mario kommt nun in den Geruch, gemeinsame Sache mit Kapitalisten zu machen und hat alle Hände voll zu tun, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Raul Zelik hat einen rasanten Milieuroman über Berlin-Kreuzberg geschrieben. Dabei gelingt es ihm leider nur bedingt, den Leser mit seinem Helden emotional zu verknüpfen. Zeliks Werk hinterlässt trotz der Farbenpracht, die Thema und Milieu bieten, einen eher unbeteiligten und seltsam nüchternen Eindruck.

Es hat wohl mit dem aktuellen Mangel an herausragenden deutschen Autoren zu tun, dass mit Zelik »eines der interessantesten deutschen Erzähltalente« (WDR) für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde.

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Genre: Humor und Satire
Illustrated by Heyne München

Die Verschwörung der Idioten

Ignaz J. Reilly ist ein Muttersöhnchen aus dem tiefschwarzen New Orleans, das sich auch mit 30 Jahren noch von Mami mit Kuchen und Cremeschnitten füttern lässt. Der feiste, stinkfaule und philosophisch veranlagte Phlegmatiker lebt bevorzugt in seinem Bett und rennt von dort gegen die Segnungen der amerikanischen Zivilisation an. Wütend kommentiert er die nachmittäglichen Programme des Verdummungsfernsehens, ohne auch nur eine Folge der Achse des Schwachsinns auszulassen. Weiterlesen


Genre: Humor und Satire, Roman
Illustrated by dtv München

Ich bin dann mal weg

Das Wandern und das Pilgern haben bekanntlich eine lange Tradition in Deutschland. Goethe wanderte, Heine ebenfalls, die Älteren erinnern sich noch an die Wandervogelbewegung oder an die knickerbockerbehosten Herren, die mit Mundharmonika und entsprechendem Liedgut durch die Gegend streiften.

Viel älter ist das Pilgern. Das Wort Pilger stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Fremdling. Kirchenlateinisch bezieht sich der Ausdruck Pelegrinus auf eine Person, die aus religiösen Gründen in die Fremde geht.

Zum Thema Pilgern und Wandern hat der Humorist, Schauspieler und Entertainer Hape (Hans Peter) Kerkeling ein Buch veröffentlicht.
Nach überstandener Krankheit beschließt Hape Kerkeling eine Pilgerreise, den Jakobsweg, zu gehen. Die Reise auf dem Camino Francés, eine der alten Europäischen Kulturstraßen, führt ihn vom südfranzösischen Saint-Jean-Pied-de-Port über achthundert Kilometer nach Santiago de Compostela. Das Ziel ist am Ende der Reise das Grab des Apostels Jakobus. Neben Jerusalem und Rom ist Santiago de Compostela das dritte Hauptziel christlicher Pilger. In seinem Reisetagebuch beschreibt Hape Kerkeling den äußerst beschwerlichen Weg, die ermüdenden Tagesetappen, die nicht immer einladenden Pilgerherbergen, Hitze, Kälte, Regen und die Einsamkeit des Pilgers. Er berichtet von den Situationen der körperlichen Schwäche, als er nahe daran ist, diesen Weg abzubrechen. In den schwierigen Situationen erlebt er spirituelle Erfahrungen, Zuneigung von Einheimischen und Freundschaft mit anderen Pilgern. Bei all diesen Strapazen findet er aber auch noch Zeit und Muße, von der Schönheit der Landschaft, Städte und Dörfer zu schwärmen.

»Ich bin dann mal weg« ist eine Empfehlung an Alle, die den Jakobsweg real oder nur im Kopf begehen wollen.


Genre: Reisen
Illustrated by Piper Malik Kabel München