Bei Vollmond

Bei Vollmond: Scherenschnittkunst für Kinder und Erwachsene

Bei Vollmond: Scherenschnittkunst für Kinder und Erwachsene

Ein bestechend schönes Weihnachtsgeschenk könnte dieses wunderschöne Scherenschnittbuch über eine Vollmondnacht im Wald werden. Der Grafikdesigner Antoine Guilloppé, geboren in Chambéry in den französischen Alpen, legt ein beeindruckendes und überzeugendes Bilderbuch vor, das nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene begeistern wird. Passend zur herbstlichen und bald winterlichen Stimmung erzählt dieses wunderschöne Scherenschnittalbum von einer Vollmondnacht im Wald, die ein ganz besonderes Ereignis feiert. Was genau passiert wird hier aber nicht verraten, den die Spannung baut sich durch die schönen Bilder mit wenigen Worten so gut auf, dass sie hier nicht gespoilert werden soll.

Im Wald bei Vollmond …

Etwas Sonderbares geht jedenfalls vor sich, in diesem dunklen Wald. Alle Tiere629(3) des Waldes lauschen aufmerksam, ein Wolf öffnet seine Augen, Reineke Fuchs wird nervös und eine Wildschweinmutter grunzt durchs Unterholz. Ein nicht einzuordnendes Geräusch hat die Tiere des Waldes aufgeweckt. Der Vollmond steht in seiner ganzen weißen Pracht am Himmel und alle Tiere sind plötzlich still und lauschen gespannt in den Wald hinein. Was hat sie aufgeweckt? War es die Helligkeit des Vollmondes oder droht von irgendwoher Gefahr? Antoine Guilloppé zeigt alle Tiere des Waldes in Großaufnahme und man sieht sie vor sich, den Wolf, den Fuchs, einen Uhu, einen Hirsch, sogar eine Fledermaus huscht vorbei und ein Wildschwein grunzt einem flüchtendem Kaninchen nach.

… der Bär sich streckt

629(2)Doch dann tauch plötzlich der Bär auf. Was bringt er mit sich? Gefahr? Warum ist er so stumm, hat auch er Angst? Angst vielleicht ja, aber nicht um sich. Denn selbst die grobschlächtigsten Bestien haben ein Herz. Aber Bären sind keine Bestien. Was also hat er? Fühlt er? Eine Entdeckungsreise in den tiefen, tiefen Wald bei Vollmond, was kann es Schöneres zu entdecken geben? Antoine Guilloppé schafft es mit wenigen Worten aber großartigen Bildern die Sinne anzusprechen und sowohl Erwachsene als auch Kinder für eine weitere Entdeckungsreise zu begeistern.

Antoine Guilloppé
Bei Vollmond
Aus dem Französischen von Ana María Montfort
32.0 x 29.0 cm, gebunden mit SU, 40 Seiten mit 10 schwarz-weiß-Abbildungen
ISBN 978-3-86873-394-5
Knesebeck
24,95 €


Genre: Kinder- und Jugendbuch, Kunst
Illustrated by Azur Verlag Mannheim, Reclam Verlag

Max und Moritz auf Wienerisch

Max & Moritz von Wilhelm Busch im Wiener Dialekt

Max & Moritz von Wilhelm Busch im Wiener Dialekt

Max und Moritz auf Wienerisch: Dass der Wiener Dialekt für Dichtungen aka Verdichtungen oder Mehrdeutigkeiten äußerst geeignet ist haben schon andere bewiesen. H.C. Artmann gehört sicher zu den besten Kennern seines Faches: der Wiener Dialekt. Aber ein bereits existierendes deutsches Werk ins Wienerische umdichten? Hat man das schon gehört?

Max und Moritz auf Wienerisch: Freche Frotzn ohne Rotzn

Hans Werner Skop zeigt schon beim ersten Streich der beiden „Frotz“ Max und Moritz, was in dieser wunderbaren Sprache alles steckt: mit dem Wort „spaunans“. Denn das bedeutet so viel wie „spannen“, aber eben auch „erkennen“. Es reiche aber nicht „blede Witz nur driber reißn/und si denken: Geh doch –fuat“, die Leerstellen kann man sich gerne selbst dazu denken, sondern es geht mehr darum Entsprechungen zu finden, die sich auch reimen. So etwa im fünften Streich, bei dem aus den Mäusen nicht die „Mais“, sondern die Rotzn – also Ratten – werden, denn das reimt sich eindeutig besser auf „Frotzn“.

A Buamgschicht in siebm Stickln

Was in bundesdeutschen Kreisen gerne belächelt und als „herzig“ abgetan wird, ist tatsächlich ein eigenes Universum für sich, das zeigt eben auch die Umdichtung von Wilhelm Buschs Meisterwerk „Max und Moritz“ aus dem Jahre 1865 in den Wiener Dialekt. Aus einer Strophe werde hier wörtlich zitiert, damit die werten LeserInnen sich ein Bild machen kann, was genau sie bei der Lektüre von XX erwartet: „Mauncher tuat si sehr vü au,/Daß er Hendln hoitn kau./Erschtens, d Eier san a Segn,/Wos de Piperln fleißig legn;/Zweitens mocht ma daun und waun/Si an Brotn in der Pfaun;/Drittens oba wern s aa grupft,/Daß ma d feinan Federn zupft,/Tuchantn und Poistern füt,/Weu ma si net gern verküht.“ Wer jetzt Angst bekommen hat, dass er nichts versteht, um was es hier geht, dem sei anvertraut, dass sich natürlich auch eine deutsche Übersetzung in dieser Publikation im Anhang befindet, denn die eigentliche – Wienerische – Erzählung ist natürlich bebildert. Die „Buamgschicht in siebm Stickln“ hätte vielleicht aber doch mit Anmerkungen auf derselben Seite bei ganz schwierigen Ausdrücken ergänzt werden können, da doch gerade die Etymologie und Narration eines Wienerischen Ausdrucks – wie es der Autor an zwei, drei Beispielen im Nachwort ja auch macht – den Hochgenuss dieser Lektüre noch verstärken hätten können. Wenn ich zum Beispiel lese „Des woa scho der zweite Wickl,/Glei kummts dritte Lausbuamstickl“, würde mich der Ausdruck Wickl doch sehr interessieren, der eben nicht „Wickel“ bedeutet, sondern „Kampf, Streit, Auseinandersetzung, Kapriole, etc.“ Aber nein, ich will natürlich „kaan Wickl“, sorry, bitte gerne…

Hans Werner Skop, Magistratsjurist a.D. bei der Stadt Wien, hat nicht nur vom Deutschen ins Wienerische übersetzt, darunter „Wienerisch is aa a Sproch“ (1979), „Sunst samma gsund“ (1984), „Wiener Woikerln“ (1991), „Wienerisches Adventkalenderbuch“ (2005) und „Wienerische Viechereien“ (2012), sondern auch vom Italienischen ins Deutsche: die (hoch)deutsche Terzinenfassung von Dante Alighieris Göttlicher Komödie, erstmals 1983 erschienen.

Hans Werner Skop
Wilhelm Busch
Max und Moritz auf Wienerisch
Übers.: Sokop, Hans Werner
2015, 79 S.
ISBN: 978-3-15-019286-3
Reclam Verlag


Genre: Dichtung
Illustrated by Reclam Verlag

Reiseführer Sardinien

sardiniaReiseführer Sardinien in 15. Auflage: Der vorliegende Reiseführer gliedert Sardinien nach den vier Himmelsrichtungen und dem fünften Kapitel „Innersardinien“ in fünf lesens- und besuchenswerte Destinationen. Auf beinahe 700 Seiten wird Sardinien nicht nur als Ferien-, sondern vor allem auch Kulturregion vorgestellt, das jedem etwas zu bieten hat. Sardinien ist immerhin die zweitgrößte Insel des Mittelmeers und Italiens und die fünftgrößte Europas. Auf 24.090 km2 finden sich Gebirge wie die Punta la Marmora (1834m), der Bruncu Spina (1829m) und das Bergmassiv Supramonte bei Nuoro (1463m) ebenso wie Strand- und Wüstenlandschaften oder Wälder resp. die Macchia. Das italienische Festland ist ca. 190 km entfernt, Tunesien aber sogar nur 180 km. Und was Sardinien besonders attraktiv macht: es gehört zu den Ländern/Inseln mit der geringsten Bevölkerungsdichte: nur 1,66 Millionen Menschen leben auf Sardinien, die meisten davon arbeiten im benachbarten In- oder Ausland.

Festkalender und Attraktionen

Dafür beheimatet die Insel 3,6 Millionen Schafe, knapp 300.000 Ziegen und fast 2 Millionen (!) Rinder, was man wirklich nicht erwartet hätte. In der schönsten Reisezeit, allgemein wird der Mai genannt, wenn alles blüht, begegnet man also auch den vielen Hirten der Insel, die das Bild Sardiniens wesentlich mitgeprägt haben. Korkeichen sind bezüglich der Flora typisch, Mufflon-Schafe und Wildschweine bezüglich der Fauna. Aber auch Hirsche und Mönchsrobben wurden schon gesichtet. Geier, Adler und Mufflons gibt es auch. Der Festkalender der Sarden ist ebenso erwähnenswert wie die alten Trachten und die Volksmusik des Inselvolkes. So gibt es etwas das Reiterfest Sa Sartiglia am Karnevalssonntag und –Dienstag, bei dem weiß maskierte Reiter versuchen einen über die Straße hängenden Stern zu durchbohren. Auch die Mamoiada, ein heidnisches Fest, ist über die Grenzen Sardiniens hinaus bekannt und erinnert an den Perchtenlauf unserer Breitengrade. Ostern wird in dem katholischen Sardinien opulent mit Umzügen gefeiert, das größte Fest des Frühjahres ist die Sagra di Sant’Efisio, bei dem auf einem Umzug von Cagliari nach Nora die schönsten Trachten der Insel gezeigt werden. Weitere Feste werden in dem Reiseführer mit den jeweiligen vormerkbaren Daten beschrieben.

Viel Geschichte, Kultur und Geheimtipps vom Profi

Um Missverständnissen vorzubeugen: die Insel hat ihren Namen nicht von den Sardinen, sondern von srdn resp. Shardana, einem kriegerischen Volk, das aus Ägypten kam. Auf einer Stele bei Nora hat man erstmals das Wort srdn entdeckt und seither trägt Sardinien seinen Namen. Schon Phönizier und Nuraghier, Römer und Barbaren besuchten die Insel, wenn auch zumeist nicht so friedlich wie die heutigen Touristen, die nach Sardinien wegen dem glasklaren Meer und dem Wind zum Surfen kommen. Und natürlich wegen der ausgezeichneten Gastronomie. Der vorliegende Reiseführer gibt eine ausführliche Einführung in die Geschichte des Landes, erklärt sein Wappen (das mit den vier Mohren) und besucht quasi jede Stadt und jedes Dorf, wo es Vorschläge zum Übernachten und Essen, Campen oder für Ausflüge macht. Sehr ausführlich und dennoch sehr übersichtlich gestaltet, viele Fotos und Karten und interessante Zusatzinformationen sowie Geheimtipps: Sardinien hat viel zu bieten: die bizarren Granitbuchten der Gallura im Nordosten, die Tauchgründe und Surfspots, Tropfsteinhöhlen, das Schwemmland des Tirso mit seinen salzigen Lagunenseen und den rosafarbenen Flamingos oder das steile, weißglänzende Dolomitmassiv des Supramonte. Hintergrundinfos für Ausflüge und längere Aufenthalte im Inselinneren bietet Fohrer ebenso wie seinen reichhaltigen Reisebuchautorenschatz.

Der studierte Autor aus Marburg arbeitet nämlich schon seit über dreißig Jahren als hauptberuflicher Reisebuchautor. Seine Bücher sind – laut Verlag – Bestseller und sein Reiseführer zu Kreta (der inzwischen in der 20. Auflage vorliegt) gilt unter Griechenlandkennern anscheinend sogar als „Kreta-Bibel“.

Eberhard Fohrer
Reiseführer Sardinien
2016, 15. Auflage, aktualisiert
Michael Müller Verlag, 708 Seiten + herausnehmbare Karte (1:300.000), farbig
ISBN 978-3-95654-224-4
26,90 EUR (D)/27,70 EUR (A)/39,90 CHF


Genre: Reiseführer
Illustrated by Michael Müller Verlag

Der Nazi und der Friseur

hilsenrath-1Widerlegt Adornos Diktum

Bis auf wenige Ausnahmen erfolgt die literarische Aufarbeitung des Holocausts unverändert in ehrfürchtiger Betroffenheit aus der Sicht der Opfer. Edgar Hilsenrath verlässt mit seinem Roman «Der Nazi und der Friseur» diesen Konsens, er erzählt aber nicht nur aus der Täter-Perspektive, sondern benutzt unbeirrt auch noch die Form des Schelmenromans, damit genüsslich sämtliche gängigen Klischees zu diesem höchst sensiblen Thema ad absurdum führend. Obwohl von dem 1971 in den USA erschienenen, auf Deutsch verfassten Roman bereits mehr als 2 Millionen Exemplare verkauft waren, wurde das Buch damals von mehr als 60 deutschen Verlagen unter fadenscheinigen Gründen feige abgelehnt, ehe es 1977 schließlich doch noch auch in Deutschland erschien, – mit großem Erfolg übrigens, gleich vom Start weg!

In dem als Groteske angelegten Plot erzählt der SS-Mann Max Schulz seine Lebensgeschichte. Als Sohn einer Nutte verbindet den aufgeweckten Jungen eine innige Freundschaft mit Itzig Finkelstein, dem Sohn des jüdischen Friseurs in der Nachbarschaft. Itzig ist gut aussehend, blond und blauäugig, während der arische Max wie ein Jude aussieht, schwarzhaarig, mit Hakennase, wulstigen Lippen und schlechten Zähnen. Bei Itzigs Vater lernt er schließlich den Beruf des Friseurs und arbeitet dort jahrelang sehr erfolgreich. Als die Naziherrschaft beginnt, tritt Max in die SA ein und wechselt später zur SS. Er folgt im Krieg mit seiner Einheit der Wehrmacht in die besetzten Gebiete Russlands, um dort die Juden auszurotten. Max landet 1942 schließlich als Aufseher im KZ Laubwalde in Polen, wo er im Winter 1944 auf der Flucht vor der Roten Armee von der Front überrollt wird. Bis Kriegsende versteckt er sich bei der alten «Waldhexe» Veronja und macht sich schließlich mit einem Sack voller Goldzähne aus dem KZ auf den Weg nach Deutschland. Die polnischen Behörden halten ihn für tot, sie identifizieren eine Leiche im Wald als den gesuchten SS-Mann Max Schulz.

In Deutschland nimmt Max die Identität von Itzig Finkelstein an, der den Holocaust nicht überlebt hat. Er besorgt sich neue Papiere, lässt sich von einem verschwiegenen Arzt beschneiden, seine SS-Tätowierung wegoperieren und eine Auschwitznummer auf den Arm tätowieren. Mit den Goldzähnen als Startkapital macht er nun Geschäfte am Schwarzmarkt in Berlin, bis ihn seine «blonde Gräfin» bei einer riskanten Transaktion um sein gesamtes Kapital bringt. Als die Gründung eines jüdischen Staates greifbar wird, entschließt er sich, stets in Furcht vor seiner Enttarnung, zur Emigration nach Palästina. Er fasst schnell Fuß dort und baut den neuen Staat Israel mit auf, heiratet auch, macht einen Friseursalon auf und beteiligt sich an den Kriegen mit den arabischen Nachbarn. Immer wieder aber holt ihn die Vergangenheit ein, ist er in Gedanken Max Schulz und nicht Itzig Finkelstein. Am Ende geht er gar eine Wette mit einem pensionierten Amtsgerichtsrat ein: Er sei sicher, dass Max Schulz lebe. Aber keiner nimmt ihn ernst, er habe einen Dachschaden von den schrecklichen Erlebnissen, heißt es, – aus seiner Rolle kommt er nicht mehr heraus!

In dieser mit schwärzestem Humor gewürzten, spannenden Groteske berichtet Ich-Erzähler Max in betont naiver Sprache geradezu lapidar von dem Ungeheuren, das er miterlebt oder als Täter – ohne jedes Schuldgefühl – selbst begangen hat. Der durch einen realen Fall inspirierte Hilsenrath konterkariert mit seiner scharfsinnigen Verspottung des verlogenen Philosemitismus auch die gängige Erwartungshaltung der Leser. In absurden Szenen ist sein ambivalenter Romanheld eine gelungene Karikatur seiner selbst, man kommt aus dem Schmunzeln kaum noch heraus, erfährt aber en passant auch viel Wissenswertes über die jüdische Geschichte, von der Thora über den Holocaust bis zur Gründung Israels. Zwischen abstrusem Witz und blutigem Ernst hat Hilsenrath hier literarisch eine bewundernswerte Balance gefunden und Adornos berühmtes Diktum über Auschwitz widerlegt.

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by dtv München

99 Songs

99Der Autor will in seinem Buch am Beispiel seiner frei und völlig subjetkiv ausgewählten 99 Songs „gesellschaftliche Hintergründe, kollektive Sehnsüchte oder Konsumentwicklungen und Zeitbrüche erkunden“. Konsenslieder ebenso wie abseits der kommerziellen Warenproduktion entstandene Songs, die zwar keine Hits, aber dafür politische Identifikation bieten und bei Demonstrationen als Protestsongs einsetzbar waren ebenso wie Gassenhauer. Kos’ „99 Songs“ kommen aus unterschiedlichen Musikepochen und kulturellen Milieus und reichen stilistisch von der Oper, dem Musical zu Blues und Country, Schlager und 20er Jahre hin zum Great American Songbook der 30er und 40er, aber auch Chansons und Folk, Rock’n’Roll, Beat, Soul, Rock, Hip-Hop und Rap, partiell wird auch auf Tango, Bossa Nova, Reggae oder Pop aus Afrika zurückgegriffen, um sich dem Vorwurf des Eurozentrismus zu erwehren bevor er noch artikuliert wird. Und natürlich geht es auch um Sex. Und Liebe.

Das 20. Jahrhundert in Liedern

Das Jahrhundert beginnt in „99 Songs“ eigentlich erst 1905 mit der „Lustigen Witwe“ von Lehar/Leon/Stein und zeigt die Frivolität des Begriffs von der „anständigen Frau“. 1900-1920 ist das erst Kapitel in „99 Songs“, das auch den schon von Pedro Orgambide in mythische Größe überhöhten Tangokünstler Carlos Gardel behandelt. Die Zwischenkriegszeit wird dann mit den Bananen der Josephine Baker, Bessie Smith und den Arbeitern von Wien charakterisiert, aber auch dem Buchenwaldlied und Lili Marleen. „This Land is Your Land“ von Woody Guthrie, dem „Flüchtling im eigenen Land“, geht auf die Dust Bowl Ballads des Okie ebenso ein, wie auf seine Krankheit (Huntington) und dem Spruch auf seiner Gitarre: „This machine kills Fascists“. Die Periode des Kalten Krieges wird von Juliette Gréco eröffnet und führt über den Deserteur Boris Vian zu Hank Williams, dem ersten des Club 27, auch wenn er erst mit 29 – von seinem Chauffeur kutschiert – im Delirium in die ewigen Jagdgründe entglitt: „And now I’m lost, too late to pray/Lord I paid the cost, on the lost highway.“ Aber auch der Widerstand gegen „das Imperium“ begann in dieser Zeit mit Hymnen wie „We shall overcome“ oder „Edelweiss“ aus dem Musical „Sound of Music“. Dazwischen keimt der Rock mit „Hoochie Coochie Man“ von Muddy Waters interpretiert oder „Rock Around the Clock“ und „Hound Dog“, „Tutti Frutti“ oder „Johnny B. Goode“.

Widerstand, Protest und Jugendkultur

1960-1970 ist wohl das Kapitel, das auch dem Autor am meisten Spaß gemacht hat. Darin schreibt er nicht nur über die unvergessliche Piaf, deren Großmutter ein Bordell betrieben habe, sondern auch über „Little Boxes“ von Malvina Reynolds, das u.a. von Pete Seeger interpretiert wurde und unlängst der TV Serie Weeds als signation diente. Reynolds’ Mann war immerhin Kommunist, was in den Sechzigern noch genauso unamerikanisch war wie davor und danach und ihr Lied kommt zwar als Kinderlied daher ist aber ein bitterböser Abgesang auf Reihenhaussiedelungen und den amerikanischen Traum. Selbst Kinder waren damals eben vor den Kommunisten nicht sicher, waren sie doch auch als Kinderfresser verschrien. Auch „The Ballad of Ira Hayes“, das von Peter La Farge geschrieben, aber von Johnny Cash bekannt gemacht wurde, kann als in der Tradition des klassischen Protestsongs stehend verstanden werden. Tja, und dann kam Dylan, dem der Autor übrigens gleich mehrere Seiten und Beiträge widmet.

„99 Songs“ ist ein Nachschlagewerk zu den Lieblingssongs des Autors aus einem Jahrhundert, das endlich vorbei ist. Es erzählt vielleicht mehr über die Autoren und die Entstehungsgeschichte als über die Lieder/Songs selbst und die meisten Informationen wären wohl im WWW auch leicht auffindbar gewesen, aber sicherlich nicht so schön bebildert und mit so viel Akribie, Sorgfalt und Liebe verpackt und geschrieben. Oder hätten Sie etwa gewusst, dass der Hit „Amsterdam“ von Jacques Brel auch von David Bowie interpretiert worden war und ersterer sich niemals bei letzterem dafür bedankt hatte? Oder dass Jagger in der Teenagerhymne „I can’t get no satisfaction“ (1965) gezählte dreißig Mal „No“ singt? Und was murmelt John (Lennon) nochmal am Ende von „Strawberry Fields Forever“? „I buried Paul“? Bei Wolfgang Kos steht die Wahrheit darüber, schlagen Sie’s einfach nach!

Alle Songs zum Anhören:

www.brandstaetterverlag.com/buch/99-songs

Wolfgang Kos
99 Songs. Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts
Rebellion, Sehnsucht und Lebensgefühl – Die Geschichte des 20. Jahrhunderts neu erzählt
ISBN: 978-3-7106-0022-7
Format: 19 x 24 cm
320 Seiten, ca. 250 Abbildungen, Hardcover

Brandstätter Verlag
€ 39,90


Genre: Popkultur, Popliteratur
Illustrated by Brandstätter Verlag

Erich Mühsam Tagebücher

MühsamDie Herausgabe der Erich Mühsam Tagebücher ist ein sehr aufwendiges Projekt des Verbrecherei Verlages, das sich derzeit bei Band 12, 1922-1924, befindet und noch bis zum Frühjahr 2019 mit Band 15 1924 fortgesetzt wird. Der gesamte Rahmen umfasst also die Jahre 1910-1924, runde 15 Jahre des anarchistischen Schriftstellers und Dichters Erich Mühsam. Seine Tagebücher erscheinen zugleich auch als Online-Edition und werden unter der gleichnamigen URL im Netz auch von einem Anmerkungsapparat mit kommentiertem Namensregister, Sacherklärungen, ergänzenden Materialien und Suchfunktionen ergänzt. So entsteht eine historisch-kritische Ausgabe, ein großes Vorhaben und „der erste wirklich überzeugende Versuch, Buch und Internet plausibel und produktiv zu kombinieren“, wie rbb Kulturradio über das ambitionierte Projekt schreibt. Auch die Ausstattung ist übrigens wunderschön: in schwarzes Leinen gebunden mit Lesebändchen genügt sich auch ästhetischen Anarchisten des Wortes.

Münchner Bohème vor dem Krieg

Der vorliegende Band 3, der in den Jahren 1912-1914 verfasst wurde und die Hefte 10 und 11 umfasst, spielt am Vorabend des Ersten Weltkrieges und zeigt in welch schwieriger wirtschaftlicher Situation der Schriftsteller sich zu dieser Zeit befand. Obwohl ihm der Simplizissimus ab und zu ein Gedicht abnimmt und er auch Vorträge hält, die durchaus die Kneipen Münchens füllen, will es nicht so recht klappten mit der Schriftstellerei als Einkommensquelle und Mühsam hofft vergeblich auf das Erbe seines Vaters, der 1912 im Sterben liegt: „Jetzt wünsche ich ihm selbst die Erlösung schon so aufrichtig, wie ich sie mir wünsche“. Am 29. Oktober 1912 schreibt er „und nun beginnt damit eine neue Epoche in unsrer Liebe: der Konflikt mit den Eltern“. Die „widerwärtige Konzession“ der religiösen Trauung scheint ohnehin zu platzen, da die Eltern der angebeteten Jenny nicht wirklich bereit sind eine Mitgift zu zahlen. Ohne diese ist das Unternehmen Ehe aber nicht zu bewerkstelligen und Mühsam rät unter diesen Umständen seiner Jenny von dem Zusammenzug ohne Heirat eindringlich ab, obwohl er in ihr „die prachtvolle Entschlossenheit erkenne, um ihrer Liebewillen auf Elternhaus, Wohlstand und jegliche Bürgerlichkeit zu verzichten“. Ihm fehlt jegliche Ambition diesbezüglich, da er keine Möglichkeit mehr sieht, Geld zu verdienen, wie er am selben Tag schreibt. Danach bricht das Tagebuch ab, denn vom 22. November 1912 bis zum 2. August 1914 hat Erich Mühsam gar keines geführt.

Ende der Liebe/Anfang des Krieges

Heft 11 setzt also fort mit dem 3./4. August 1914 an dem der Krieg gerade begonnen hat und dasselbe Heft schließt auch diesen Band 3 der Tagebücher mit den Worten: „Möge das neue Tagebauch eine bessere Zeit registrieren, gesehen durch ein gerechteres und reineres Herz.“ am 31. Dezember 1914 ab. „Wenn ich’s mit dem Verzicht auf alles, was sich einmal erben soll, erreichen könnte, dass der Krieg nur einen Tag früher zu Ende wäre und das Leben nur eines einzigen singhalesischen Bogenschützen gerettet würde – bei Gott, ich besänne mich nicht.“ In der Nachbemerkung zu vorliegendem Band zeichnet Chris Hirte allerdings die weniger ruhmreiche Seite des Anarchisten nach, der durchaus auch vor Chauvinismus nicht gefeit war. Der zu dieser Zeit Mitte Dreißigjährige hatte sich die bequeme „Fiktion des bösen Vaters“ nur zurechtgelegt, um sich selbst die Scham, „keine Frau ernähren zu können, die dafür sorgt, dass er sich ungestört der Arbeit widmen kann“ (Jenny Brünn) zu ersparen. „Der schöne Glaube, dass einer, der sich von inneren und äußeren Zwängen befreit, ein freier Mensch sein müsse, hat sich als Illusion erwiesen. Das eigene Tagebuch lehrt ihn nun, dass auch Leidenschaften und Konflikte unfrei machen, Zwänge und Schuld erzeugen. Statt den Erfolg seines anarchistischen Lebensentwurfs zu beglaubigen, ist das Tagebuch zum Dokument eines Scheiterns geworden.“, schreibt Hirte treffend. Aber es wäre auch verlogen, ihm seine Schwächen anzukreiden, nur weil er sie akribisch dokumentiert hat und dass er das wagte, sei eine Stärke, die er den meisten bis heute voraus hat, so Hirte. Der LeserIn kann an dieser Ausgabe der Erich Mühsam Tagebücher übrigens auch mitwirken, mehr dazu erfährt man online über die Verlagsseite. Ein Sach- und Personenregister und ergänzende Materialien, die digitalisierte Handschrift und umfassende Suchfunktionen lassen sich über die Online Version abrufen.

Christ Hirte/Conrad Piens (Hg.)

Erich Mühsam
Tagebücher
Band 3 1912-1914
Leinen mit Lesebändchen, 432 Seiten,
ISBN: 9783940426796
Verbrecher Verlag
28,00 €
www.verbrecherverlag.de
www.muehsam-tagebuch.de


Genre: Anarchismus, Zeitgeschichte
Illustrated by Verbrecher Verlag

Krähen

Riechelmann_Umschlag_03.inddAus einer ursprünglich im tropischen Regenwald lebenden „Urkrähe“ hätten sich die Krähenvögel in der Zeit vom späten Oligozän bis zum Miozän herausentwickelt und über die ganze Erde verbreitet. Die Kulturgeschichte des Menschen habe sich quasi unter der Beobachtung der Krähen vollzogen, denn beide haben sich entwicklungsgeschichtlich aus dem dichten Dschungel in offene Landschaften bewegt. Auf der Flucht vor Jägern hat sich diese Entwicklung allerdings einige tausend Jahre später wieder umgedreht, denn die Krähen sind vom Land in das Stadtgebiet geflüchtet, wo sie Schutz vor Freiwild-Erklärung des Menschen finden und so ihre Populationen wieder ansteigen konnten. Es gab nämlich eine Zeit da wurde tatsächlich Jagd auf die armen Vögel gemacht, weil diverse Vorurteile über sie kursierten. Diese zu bekämpfen, dazu trägt auch diese wunderschön illustrierte Krähenschau des Matthes & Seitz Verlages aus Berlin bei.

Raben die Singvögel unter den Paradiesvögeln

Es gab aber durchaus auch Völker bei denen die Raben oder Krähen, beide Ausdrücke werden oft synonym verwendet, positiv besetzt waren. So habe etwa Wilhelm der Eroberer, der Wikinger, eine Rabenfahne vorangetragen, was wiederum die Eroberten wohl mit Hass auf diesen Vogel erfüllte. Auch die Tatsache, dass Raben Aasfresser sind trug nicht unbedingt zu ihrer Reputation bei, denn das Aasgeier und eben Raben eine wichtige Rolle in der Natur als Gesundheitspolizei spielen, war noch nicht in alle Köpfe durchgedrungen. Krähenvögel gehören zur Gruppe der Singvögel und als Corvidae sind sie eine Familie in der Ordnung der Sperlingsvögel (Passeriformes) in der Klasse der Vögel (Aves). Von den Corvidae gibt es 123 Arten in 24 Gattungen, schreibt Riechelmann, wozu auch Elstern, Häher und südamerikanische Blauraben gehören. Zu der eigentlichen Gattung Corvus gehören wiederum 23, darunter Nebel-, Raben- und Saatkrähen, sowie Dohlen und der Kolkrabe. Ihre engsten Verwandten sind übrigens die Paradiesvögel.

„Trainspotting“ auf Rabenart

„Du bist in Alaska, am Ende der Welt, nirgendwo ein Zeichen von Leben – und auf einmal ist da der Rabe.“ Noch in der Höhe von 7000 Metern am Himalaya würde man sie antreffen, berichten etwa britische Forscher, wo sie auch gerne Steinlawinen auslösen würden, denn die Kolkraben etwa sind sehr verspielt, und lieben es, mit Steinen zu werfen. Es wurden aber auch schon Krähen in Tokio beobachtet, die Steine auf die Bahngleise legten und dann mit schräggelegtem Kopf auf das Klickgeräsuch warteten, das die Züge erzeugten, wenn sie die Steine zerquetschten. „Trainspotting“ auf Rabenart eben. Es sei auch schon beobachtet worden, dass sie Autos, die bei Rot an Ampeln halten, zum Nüsseknacken benutzten oder verstecken ihre Nahrung unter Dachziegeln, wie etwa die Elstern, die ebenfalls zur Corvidae Gruppe gehören. Kolkraben können übrigens als einzige der Gruppe auch am Rücken liegend fliegen. Kiefernhäher wiederum versteckten zu Vorratszwecken im Herbst bis zu 30000 Samen an bis zu 6000 verschiedenen Orten und graben die jeweilige Sorte auch noch rechtzeitig vor dem Aufkeimen aus. Gedächtnisfähigkeiten, die man sich als Mensch nur wünschen kann.

Im Anhang befinden sich noch Portraits der einzelnen Vögel. Auch der Fleißtext ist reichlich illustriert und erzählt von der unterschiedlichen Wahrnehmung der „Galgenvögel“ in unterschiedlichen Teilen der Welt und ihrer langen Geschichte mit dem Menschen.

Cord Riechelmann/Judith Schalansky (Hg.)

Krähen. Ein Portrait

Reihe: Naturkunden

155 Seiten, Gebunden

Illustration: Falk

Preis: 18,00 €

Matthes & Seitz VerlagKrähen


Genre: Naturkunde, Porträt
Illustrated by Matthes & Seitz

Die Kunst der Liebe
by Ovid

OVIDOvids Liebestipps: „exue fastus, curam mansuri quiquis amoris habes“: Legt allen euren Stolz ab, alle, die Ihr Interesse an einer dauerhaften Liebesbeziehung habt, rät Ovid seinen Liebesschülern und es kommt noch dicker. Als „fairer Mittler“ gibt Ovid nicht nur einer Partei Waffen in die Hand, sondern „trainiert auch die andere Seite mit Ratschlägen“. Aus diesem Grund ist vorliegende amüsante Lektüre von beiden Seiten lesbar: die eine für die Männer, die andere für die Frauen. Wer Ovid deswegen Verrat an seinen Geschlechtsgenossen vorwerfen möchte, dem sei die aufklärerische Note seiner Schrift ans Herz gelegt. Denn obwohl Ovid seine Schrift „ars amatoria“ schon um Christi Geburt schrieb und veröffentlichte sind seine Ansichten bezüglich den Frauen durchwegs fortschrittlich zu nennen. Entgegen damaliger Vorstellungen gesteht er nämlich auch den Frauen Seitensprünge zu und verteidigt stets die erotischen und materiellen Interessen der Frau – wohl auch im Eigeninteresse. Seine fortschrittlichen Ansichten führten übrigens auch zur Verbannung und so verstarb er statt in seinem geliebten Rom am Schwarzen Meer.

gaudia Veneris – Ovids Freuden der Liebe

Lust ist für Ovid kein männliches Privileg und nur dann vollkommen, wenn nach dem Sex „Frau und Mann in gleicher Weise erschöpft da liegen“. Sein revolutionärer Aufruf zur sexuellen Gleichberechtigung der Frau bezieht sich durchaus auch auf verheiratete Frauen und nicht nur „leichte Mädchen“. Die Sittengesetzgebung eines Augustus war damals genauso ambivalent wie die heutige: die Mimen, die sich wirklich unflätiger Ausdrücke durften sich alles erlauben, aber ein Ovid, der die Oberschicht ansprach, wurde verbannt. Seine Tipps an die Frauen, niemals wütend zu sein, zu lächeln und stets sich dezent zu verhalten mögen von heutigen Feministinnen zwar mit Verachtung betrachtet werden, sind aber für das erotische Zusammenspiel der Geschlechter auch heute noch unerlässlich. „Auch Bildung kann sexy sein“, nennt Weeber ein Kapitel, das sich ganz den Strategien der Frau zur Eroberung widmet. So empfiehlt Ovid etwa immer zu spät zu kommen, denn das Warten wäre die stärkste Kupplerin – außerdem wären die Wartenden dann ja meist schon betrunken und man erscheine in noch besserem Licht. Auch das Trinken verwehrt er den Frauen nicht, aber es gelte wie bei den Männern: „qua patiens caput est animusque pedesque“, stets nur soviel wie Kopf und Verstand und Füße es vertragen. Er warnt zudem vor Schmeichlern, empfiehlt das Zappelnlassen und lobt zuletzt die Liebeskünste der Poeten –ebenfalls nicht ganz uneigennützig: „est deus in nobis et sunt commercia coeli; sedibus aehteriis spiritus ille venit“: Es wohnt ein Gott in uns; wir haben Verkehr mit dem Himmel , von ätherischen Höhen kommt zu uns der Geist.

Fall in Love – Täuschung und Enttäuschung

Auf der anderen Seite des Buches warten die Ovids Tipps für Männer mit scharfer Munition für den Geschlechterkampf auf. „To fall in love“, das sich aus dem lateinischen fallere ableitet, was so viel wie „täuschen“ bedeute. Tarnen und täuschen? Ja, aber eben auch, sich zu täuschen. Allzu viel Offenheit und Ehrlichkeit sowie schonungslose Transparenz seien in der Liebe alles andere als Erfolgsgaranten, rät Ovid und auch den Männern rät er Trunkenheit zumindest vorzutäuschen, nicht aber sich die Frauen schön zu trinken (sic). Auch der Mann müsse an seiner Bildung arbeiten, denn der Geist allein halte bis zum letzten Ziel des Scheiterhaufens durch, während die physische Schönheit zunehmend versiege. Besitze etwas, das mehr wert ist als der Körper!, rät er seinen Lesern. Einen jeden Fehler durch den benachbarten Vorzug zu verbergen, schade ebenfalls nicht: nenne Dicke vollschlank und Kleine handlich u.ä. „Helenen ego criminie solvo“ (Ich spreche Helena von Schuld frei) wäre zusammenfassend die Formel von Ovids Liebeskunst: Menelaos sei selbst schuld, dass Helena ihn mit Paris betrog. Wäre er nicht in den Krieg gezogen, hätte sie ihm keine Hörner aufgesetzt. Warten lassen kann also durchaus die Begierde und Sehnsucht steigern, aber wer zu lange wartet, den bestraft das Leben. Ad metam properate simul: tum plena voluptas, cum pariter victi femina virque iacent: Eilt gleichzeitig zum Ziel! Dann ist die lust vollkommen, wenn Frau und Mann in gleicher Weise erschöpft da liegen. Eben!

Karl-Wilhelm Weeber fasst die Kunst des Liebens von Ovid auf amüsante Weise zusammen und zeigt, dass es auch vor 2000 Jahren nicht viel anders zuging im Geschlechterkampf. Gerichtet an Liebhaber und Liebhaberinnen, Geliebte und eventuell auch an Eheleute: Denn es ist nie zu spät.

Karl-Wilhelm Weeber
Die Kunst der Liebe. Ovids Tipps für Frauen/ Ovids Tipps für Männer
Wendebuch. Paperback. Format 12,5 x 20,5 cm
Originalausgabe, 144 S. ISBN: 978-3-15-011141-3
Reclam Verlag


Genre: Antike, Ratgeber
Illustrated by Reclam Verlag

Per Anhalter durch die Galaxis

Per Anhalter durch die Galaxis 1 von Douglas Adams

Per Anhalter durch die Galaxis 1 von Douglas Adams

Was die wenigsten wissen: Per Anhalter durch die Galaxis – die Roman-Quintologie – von Douglas Adams war ursprünglich eine Radioserie mit demselben Titel gewesen, die 1978 erstmals von der BBC ausgestrahlt wurde und erst ein Jahr später zu einem Roman verarbeitet wurde. Auf das Debüt folgten dann noch vier weitere Bände bis 1992. Der Bayrische Rundfunk nahm in Kooperation mit dem Südwestrundfunk und dem Westdeutschen Rundfunk das Hörspiel 1981 erstmals in einer deutschen Fassung auf und produzierte 1990/91 auch eine Hörspielfassung der anderen Teile des Science Fiction Klassikers.

Vom Erfinder des Towel Days und babelfish

Was viele wissen: Der International Towel Day wird jedes Jahr seit 2001 am 25. Mai gefeiert um an den britischen Autor, der schon mit Graham Chapman (Monty Python) zusammengearbeitet hatte, zu erinnern. Obwohl eigentlich der 11. Mai 2001 der Todestag von Douglas Adams war, konnte sich seltsamerweise der 25. Mai als internationaler Towel Day durchsetzen. Auch der 42. Tag des Jahres (11. Februar) wurde natürlich diskutiert, wäre er doch eine ebenso deutliche Hommage an den Roman gewesen. Stattdessen kann man aber jederzeit Siri (die Assistentin von iphones) nach dem Sinn des Lebens und des Universums befragen und bekommt die Antwort „42“, denn diese Zahl wird tatsächlich auch im Roman als Antwort von einem Computer auf dieselbe Frage genannt. (Allerdings funktioniert dieses Gadget nur in der Englischen Sprache.) Warum jetzt aber „Towel“ Day? Das Handtuch (engl.: towel) wird deswegen von Douglas Adams Fans gefeiert, weil es im ersten Teil der Roman-Quintologie als das Nützlichste genannt wird, das man auf eine Reise durch die Galaxis mitnehmen kann. 2012 hatte der Towel Day immerhin in 39 Ländern Verbreitung gefunden. Es gibt auch eine gleichnamige Webseite mit mehr Informationen.

Eine Reise durch unsere Galaxie

Die hier vorliegende Ausgabe des Hörspieles stammt aus dem Jahr 2005 und ist eine Produktion des Bayrischen Rundfunks aus dem Jahr 1981 und 1997 mit Dieter Borsche, Klaus Löwitsch, Bernhard Minetti, Felix von Manteuffel, Doris Schade und vielen anderen in insgesamt zwei CD-Paketen mit jeweils vier CDs. Inzwischen ist aber längst eine neue Version – ebenfalls beim Hörverlag – mit Christian Ulmen – bekannt vor allem durch Leander Haußmanns Literaturverfilmung „Herr Lehmann“ (Sven Regener) als Sprecher und von Benjamin Schwarz übersetzt erschienen. Für den Hörverlag hat er aber nicht nur „Per Anhalter durch die Galaxis“, sondern auch „Das Restaurant am Ende des Universums“ von Douglas Adams als Hörbuch eingelesen. Ein Zitat aus dem Buch soll hier stellvertretend die Dimensionen in die man sich begibt und von denen man vorher nie zu träumen gewagt hätte illustrieren: „Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau rausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt … Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.“ Douglas Adams – der beste und lustigste Reiseführer, den man sich durch die Galaxis wünschen kann.

Übrigens auch der Ausdruck „babelfish“ – nach dem später ein Online Nachschlagewerk für Übersetzungen benannt wurde – stammt aus „Per Anhalter durch die Galaxis“. Es untersucht Millionen Übersetzungen von professionellen Übersetzern, Webseiten und Wörterbüchern – also ganz im Sinne des weltverbindenden intergalaktischen Ansinnens des Schöpfers des Begriffes und des wohl außergewöhnlichsten Hörspiels dieses Planeten. Außerdem ist beim Hörverlag erschienen: „Douglas Adams: Das Leben, das Universum und der ganze Rest – Mach’s gut und danke für den Fisch. Hörspiel mit Bruno Ganz, Rolf Boysen, Otto Sander.“

Douglas Adams
Per Anhalter durch die Galaxis 1 und 2
Hörspiel mit Siemen Rühaak, u.a.
von Douglas Adams  (Autor),‎ Ernst Wendt (Regisseur),‎ Siemen Rühaak (Sprecher),‎ Rolf Boysen (Sprecher),‎ Wolfgang Hess (Sprecher),‎ Markus Boysen (Sprecher),‎ Klaus Löwitsch (Sprecher),‎ Felix von Manteuffel (Sprecher),
2005/2009, Der Hörverlag, jeweils ca. 6h Laufzeit
ISBN-10: 9783899406245
€ 29,95 [D]/€ 29,95 [A]*/CHF 41,90*


Genre: Hörbuch, Science-fiction
Illustrated by Hoerverlag

Monument 14

Monument 14Vierzehn Jugendliche. Eine Shopping-Mall. Eine Welt, in der nichts mehr ist, wie es einmal war. An dem Tag, als die Welt untergeht und ein Tsunami die Ostküste der USA trifft, stranden 14 Jugendliche in einem Einkaufszentrum. Schnell wird ihnen klar, dass sie völlig auf sich allein gestellt sind. Während der Strom ausfällt und die Zivilisation zusammenbricht, braut sich am Himmel etwas noch viel Furchtbareres zusammen. Eine Giftwolke aus einer nahen Chemiefabrik nähert sich dem Einkaufszentrum. Diejenigen, die die Chemikalien einatmen, verändern sich in völlig unerwarteter und beängstigender Weise. Der zurückhaltende Dean, bislang eher ein Außenseiter, muss sich mit den anderen verbünden und um sein Überleben kämpfen…

Die Geschichte spielt im Jahr 2024 und wird aus der Ich-Erzählperspektive des 17 jährigen Dean erzählt. Dean und seine Familie wohnen in dem kleinen Städtchen Monument in Colorado.

Es ist ein ganz gewöhnlicher Morgen und Dean und sein 13 jähriger Bruder Alex sind im Schulbus auf dem Weg zur Schule. In dem Bus befinden sich aber nicht nur Highschool Schüler sondern auch Grundschüler denn beide Schulen werden vom selben Bus angesteuert.

Plötzlich setzt kräftiger Hagel ein und innerhalb kürzester Zeit werden die Hagelkörner gigantisch groß und zerstören Häuser und Autos. Geistesgegenwärtig steuert die Schulbusfahrerin ein riesiges Einkaufzentrum an und brettert mitten hinein um die Kinder in Sicherheit zu bringen.

Als der Hagel aufgehört hat, gleichen die Straßen einem Schlachtfeld und die Busfahrerin macht sich zu Fuß auf den Weg um Hilfe zu holen, die Kinder und Jugendlichen bleiben im Einkaufszentrum.

Kurze Zeit später gibt es ein extrem heftiges Erdbeben aber das Einkaufszentrum hält diesem wie durch ein Wunder stand. Die 14 Gestrandeten finden in der Elektroabteilung einen noch funktionierenden Fernseher und schalten die Nachrichten ein aber was sie dort erfahren ist schlimmer als alle Befürchtungen. Eine 800 Meter hohe Welle, ausgelöst durch einen gigantischen Tsunami, hat die Ostküste der USA getroffen und komplett ausgelöscht. Durch das Erdbeben wurde die ortsansässige Chemiefabrik stark beschädigt und chemische Kampfstoffe sind unkontrolliert ausgetreten. Eine riesige und hochgifte Wolke breitet sich aus und die Menschen werden aufgefordert sich unter keinen Umständen im Freien aufzuhalten.

Die Jugendlichen verbarrikadieren die Türen des Einkaufszentrums, können nirgendwo hin und auf die Rettung durch die Busfahrerin oder sonstige Rettungskräfte brauchen sie auch nicht zu hoffen denn schließlich liegt das Land in Trümmern…!

Die Jugendlichen sind in der Mall zwar recht gut aufgehoben, sind erst einmal sicher und haben ausreichend Nahrung, Kleidung und es gibt auch eine Apotheke aber wie soll es jetzt weitergehen?

Dazu kommt noch dass sich die 6 Jugendlichen, selbst noch halbe und verängstigte Kinder, jetzt auch noch pflichtbewusst um die Grundschüler und eine frühreife 13 Jährige kümmern müssen. Die Nerven liegen blank und es kommt durch Verzweiflung und Überforderung natürlich zu Streitereien und Machtkämpfen…!

Das Buch hat mir hammermäßig gefallen und ich konnte es kaum aus der Hand legen. Eine sehr spannende Geschichte, die von der Grundidee zwar nicht wirklich neu ist und mich auch teilweise ein bisschen an „Herr der Fliegen“ erinnert hat, aber welche Idee ist schon noch wirklich neu?!

Generell liebe ich ja eh die Ich-Erzählperspektive und zusätzlich hat mir auch gut gefallen dass die Hauptfigur Dean am Anfang den Leser auch noch hin und wieder direkt anspricht. Für Endzeitfans eine wirklich spannende Geschichte mit einem sehr ergreifenden Ende bei dem mir auch ein Tränchen runtergekullert ist. Eine Geschichte über das Überleben, das Erwachsenwerden, Freundschaft, Liebe, Pflichtbewusstsein, Zusammenhalt und Menschlichkeit. Ich freue mich jetzt schon total auf den zweiten Band dieser Trilogie!

Bevor Emmy Laybourne zum Schreiben kam, arbeitete Sie als Schauspielerin. Ihr Debütroman „Monument 14“ wurde ein großer Erfolg, obwohl Sie selbst nicht damit gerechnet hatte. Sie lebt mit Ihrem Mann, zwei Kindern und einer australischen Echse in New York.

 


Genre: Dystopie, Endzeitgeschichten
Illustrated by Heyne München

Ein fliehendes Pferd

walser-4Allegorie auf die Spaßgesellschaft

Zwei Jahre nach dem vernichtenden Verriss seines Romans «Jenseits der Liebe» durch Marcel Reich-Ranicki in der FAZ erschien 1978 Martin Walsers Novelle «Ein fliehendes Pferd» – und wurde vom selben Großkritiker im gleichen Blatt als «ein Glanzstück deutscher Prosa» überschwänglich gefeiert. Die in nur zwei Wochen niedergeschriebene Novelle erreichte als Bestseller eine Auflage von einer Million Exemplaren, sie stellte einen Wendepunkt seines literarischen Schaffens dar, die dem damals bereits etablierten Schriftsteller last, but not least, auch finanzielle Sicherheit brachte. Das Feuilleton beurteilte das Buch damals überwiegend positiv, ist die Lektüre dieses frühen Werkes aus dem inzwischen recht umfangreichen Œuvre Walsers also lohnenswert?

In dem kammerspielartigen Plot wird von zwei Ehepaaren mittleren Alters erzählt, die bei einem Urlaub am Bodensee (wo sonst?) zufällig aufeinander treffen, der Gymnasiallehrer Helmut Halm und der Journalist Klaus Buch waren einst Schulkameraden. Sie sind vom Naturell her völlig unterschiedlich, ihre Lebenswege verliefen folglich auch in ganz verschiedenen Bahnen. Während der eher behäbige, desillusionierte Helmut mit seiner ähnlich gearteten Frau Sabine unauffällig und zurückgezogen lebt, führt der sportlich gestählte, gesundheitsbewusste Klaus mit seiner deutlich jüngeren, attraktiven zweiten Frau Helene ein offensichtlich aufregendes, bewegtes Leben, jagt dem Erfolg und gesellschaftlicher Anerkennung hinterher. Sehr zum Missvergnügen von Helmut arrangiert Klaus nun eifrig verschiedene gemeinsame Unternehmungen, in deren Verlauf die Kluft zwischen dem verklemmten Spießbürgertum von Helmut und Sabine und der überbordenden Lebenslust von Klaus und Helene immer deutlicher wird.

Bei einer gemeinsamen Wanderung kommt es zu dem titelgebenden Ereignis mit Symbolkraft, als es Klaus durch richtiges Verhalten gelingt, ein auf sie zu galoppierendes, durchgehendes Pferd einzufangen. «Einem fliehenden Pferd kannst du dich nicht in den Weg stellen. Es muss das Gefühl haben, sein Weg bleibt frei.» Bei einem Segeltörn ohne die Frauen versucht Klaus später, seinen Freund zum gemeinsamen Auswandern auf die Bahamas zu überreden, um dort ein neues, aufregenderes Leben zu beginnen. Als überraschend ein schwerer Sturm aufzieht, geht der segelerfahrene Klaus über Bord, Helmut wird in dem nun steuerlosen Boot hilflos an Land getrieben, Klaus bleibt verschwunden. In ihrer Verzweiflung enthüllt Helene später in der Ferienwohnung von Helmut und Sabine die wahren Lebensumstände von Klaus, der in Wahrheit ein Versager war und sich gerade aus der Begegnung mit Helmut die Rettung aus all seiner Hoffnungslosigkeit versprochen hatte.

Walser stellt die Sicht Helmuts in den Mittelpunkt und gewährt dem Leser damit tiefe Einblicke in das Innenleben seines eher drögen Protagonisten. Ihren Reiz erhält die Geschichte aber insbesondere aus der Gegenüberstellung der konträren Lebensentwürfe, die ja beide keineswegs widerspruchsfrei sind, sondern nur Schein erzeugen, keine Realität. Der Autor zeigt also nur auf, was ist, ohne werten zu wollen, wobei es unsere Gesellschaft ist, die sich da widerspiegelt. Sprachlich ist die Novelle leicht lesbar geschrieben, nicht gerade wortgewaltig oder stilistisch kreativ also, aber mit stimmigen Dialogen, das stets überschaubare Geschehen wird zudem ganz unkompliziert chronologisch erzählt. Man muss das wohl als Abkehr des Autors von der anspruchsvolleren Literatur zur reinen Unterhaltung interpretieren, in der selbst gewisse Action-Momente nicht fehlen und Sex Walser-typisch ebenfalls eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Diese entlarvende, sozialkritische Allegorie auf eine erfolgsgeile Spaßgesellschaft ohne jeden tieferen Lebenssinn endet zwar ziemlich trivial, sie lässt dem Leser aber genügend Raum für eigene Reflexionen, für seine eigene Standortbestimmung irgendwo zwischen den beiden Extremen, die Martin Walser hier aufzeigt.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Das Fischkonzert

laxness-2Das Beste von Laxness

Mit seiner Darstellung der Unterdrückung während der Dänen-Herrschaft in dem historischen Roman «Islandglocke» von 1943 wurde Halldór Laxness endgültig zum Nationaldichter. In seinen späteren Werken, zu denen auch «Das Fischkonzert» von 1957 gehört, steht die Sozialkritik des linksintellektuellen Autors nicht mehr so deutlich im Vordergrund. Vielmehr griff der auf seiner Insel tief verwurzelte Weltbürger, inzwischen mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt, nun häufig menschliche Themen auf. Er stellte eine sehr spezifische, vom Taoismus geprägte Poesie in den Vordergrund seiner Prosa und thematisiert das «Vollkommene Sein» exemplarisch an seinen Romanfiguren.

Ich-Erzähler dieses Bildungsromans ist Alfgrimur, den seine Mutter in einem aus Grassoden erbauten Erdhaus des Seehasenfischers Björn geboren und dort zurückgelassen hat, um nach Amerika auszuwandern. Er bekam, wie alle vaterlosen isländischen Kinder, den Familiennamen Hansson. Der kleine Hof Brekkukot am Stadtrand von Reykjavik war «eine kostenlose Herberge für jeden, der davon Gebrauch machen wollte». An Großeltern statt ziehen der alte Björn und seine Frau den Jungen dort liebevoll auf. Ihr von einem hölzernen Drehkreuz, – durchaus nicht nur der Schafe wegen, sondern auch symbolisch -, von der Außenwelt abgetrennter, ärmlicher Hof wirkt wie die Enklave einer archaischen Lebensweise, während sich überall draußen schon die Vorboten des Frühkapitalismus deutlich bemerkbar machen. So verkauft der urchristlich gesinnte «Großvater» Björn zum Beispiel seine Fische unbeirrt auch dann zum selben Preis wie immer, wenn der Fang allgemein spärlich ausfällt und alle anderen Fischer profitorientiert, also «marktkonform», ihre Preise kräftig erhöhen. Diese überschaubare Idylle bildet das bodenständig enge Zentrum einer kargen Jugend seines Protagonisten, dem Laxness mit den skurrilen Bewohnern und Durchreisenden im gastfreien Hause, den wunderlichen Nachbarn und den kauzigen Einwohnern der – Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts noch kleinen Stadt Reykjavik, gekonnt eine vielköpfige, muntere Figurenschar zur Seite stellt.

Kontrapunktisch ist die groteske Geschichte des weltberühmten isländischen Sängers Gardar Holm in die Erzählung integriert, dessen Wege sich im Verlauf der Handlung zunehmend mit denen von Alfgrimur kreuzen. Aber während der Junge auf Druck der Großeltern äußerst erfolgreich die höhere Schule absolviert, – obwohl er doch eigentlich lieber Grauquappenfischer werden wollte -, um anschließend ein Studium zu beginnen, entpuppt sich der Sänger allmählich als Scharlatan, der alle getäuscht hat und am Ende kläglich scheitert. Der Aufstieg des einen spiegelt sich also im Abstieg des anderen, man ahnt das schon bald als Leser, die Beziehung der beiden ungleichen Protagonisten wird zudem intertextuell durch diverse Anspielungen auf «Erlkönig» und «Faust» verdeutlicht.

Geradezu einfältig wirkt die unbeholfene Sprache, in der das Geschehen fast schon lakonisch, aber durchaus passend zur engstirnigen Perspektive von Alfgrimur, in 41 Kapiteln erzählt wird, ergänzt um ein hilfreiches Nachwort des Übersetzers. Was da aber in schlichten Worten scheinbar naiv erzählt wird, erweist sich nicht nur als äußerst lebensklug und zutiefst menschlich, es ist ebenso tiefsinnig wie überraschend in seiner Denkart. Und alles Erzählte ist dazu noch mit einem köstlichen Humor gewürzt, der manchmal so urkomisch daherkommt für einen nicht-isländischen Leser des 21.Jahrhunderts, dass man laut auflachen muss. Die vielen schrägen Figuren dieses vielschichtigen Romans, der somit auch eine formidable Gesellschaftssatire ist, erweisen sich zumeist als gradlinig denkende, oft wortkarge Sympathieträger. Sie wirken durch ihr Scheitern schicksalhaft menschlich und verkörpern geradezu archetypisch die beklemmende Absurdität des Lebens ebenso wie die des Todes. Zweifellos zählt «Das Fischkonzert» thematisch wie stilistisch zu den besten Romanen aus der Feder von Haldor Laxness.

Fazit: erstklassig

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Genre: Roman
Illustrated by Steidl Göttingen

Liebe

morrison-3Liebe, Gier, Hass – eine Melange

Romane von Toni Morrison stellen meist erhöhte Anforderungen an den Leser, sie sind ambitioniert, was ihre Thematik anbelangt, und kompliziert in ihrer Erzählweise. «Liebe», 2003 erschienen, fügt dem aber noch eine weitere Hürde hinzu. Der Plot mit dem kitschverdächtigen Titel ist derart kryptisch angelegt, dass seine Lektüre mich an ein komplexes Ratespiel erinnert, dessen Auflösung, soviel darf verraten werden, erst auf der vorletzten Seite erfolgt, – wenn denn der Leser bis dahin durchhält. Die Rassenproblematik als beherrschendes Thema der US-amerikanischen Nobelpreisträgerin schimmert hier allenfalls im Hintergrund mit durch, man begegnet ihr in einer ungewohnten Variante erfolgreicher Farbiger, die der kämpferischen Bürgerrechtsbewegung eher skeptisch gegenüberstehen, sich in Zeiten der Rassentrennung vielmehr selbstbewusst ihr eigenes, von Diskriminierung freies Umfeld schaffen.

Es sind fünf Frauen, von denen da im Wesentlichen erzählt wird, und von dem Mann, der ihr Leben bestimmte, Bill Cosey, ein reicher Lebemann, der während der Weltwirtschaftskrise erfolgreich ein Strandhotel aufgebaut hatte. Er ist, wie man nach einer Art Prolog in sieben ihm gewidmeten Kapiteln erfährt, schon lange tot, im ersten, «Das Portrait» betitelten Kapitel begegnen wir nur noch seinem Ölbild, und auch sein Hotel ist inzwischen eine verlassene Ruine an einem verlotterten Strand. Der von vielen Bewunderte war Freund, Fremder, Wohltäter, Liebhaber, Ehemann und Vater, wie die folgenden, ihm gewidmeten Kapitel überschrieben sind, deren Sinn allerdings oft ironisch konterkariert wird. Er war für jeden ein anderer, einem Phantom ähnelnd. Die etwa sechzig Jahre, – bis ins letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hinein -, umspannende Geschichte handelt von den komplizierten Verwicklungen, die sich allesamt auf diesen charismatischen Mann zurückführen lassen. Und alle in seinem Bannkreis, seine Schwiegertochter May, seine Enkelin Christine, deren Jugendfreundin Heed, die Streunerin Junior als deren Komplizin und die Köchin «L.», – jene kursiv gesetzte Stimme aus dem Off, bei der am Ende alle Fäden zusammenlaufen -, sie alle sind schicksalhaft miteinander verwoben, weit über seinen Tod hinaus.

Toni Morrison hat auf die Frage, warum die klassische Liebe in ihrem Roman kaum eine Rolle spiele, geantwortet: «…, ich wollte die Spannbreite der Emotionen ausloten, die in dem Wort stecken». Es gäbe ja nicht nur die eine Form der Liebe, und man könne im Idealfall sogar soweit kommen, dass Liebe eine Großzügigkeit des Geistes sei. Wie auch immer, im Kern geht es hier um die innige Liebe zweier gleichaltriger, unzertrennlich scheinender Mädchen, Coseys Enkelin Christine und ihre aus ärmlichsten Verhältnissen stammende Freundin Heed. Als aber der verwitwete Hotelier die elfjährige (sic!) Heed heiratet, zerbricht die innige Freundschaft der Beiden und schlägt in blinden Hass um. Auch zwanzig Jahre nach Coseys Tod wohnen die zwei Zerstrittenen immer noch in seinem Haus und belauern sich, der Erbschaft wegen. Denn Cosey hat kein Testament hinterlassen, auch wenn es Gerüchte gibt, er hätte einst in fröhlicher Runde auf eine Speisekarte seines Hotels geschrieben, sein Haus solle an sein «geliebtes Cosey-Kind» gehen. Wen meinte er damit, Frau oder Enkelin? Und vor allem, wo ist diese ominöse Speisekarte?

Die Autorin erzählt all dies aus wechselnden, manchmal kaum verifizierbaren Perspektiven, zusätzlich erschwert noch durch unvermittelte Zeitsprünge, die erhöhte Aufmerksamkeit des Lesers oder, – oft Ultima Ratio -, seine treffsichere Intuition erfordern. Und unscharf bleiben auch ihre Figuren, man erfährt selbst von Cosey herzlich wenig. Ihre Art, einen jede Liebe zerstörenden Erbkrieg zu schildern, ist hochkomplex und in der sprachlichen Umsetzung anspruchsvoll. Der Leser muss sich also ziemlich anstrengen, will er in das Gefühlschaos des Romans eindringen und einen Nutzen aus alldem ziehen, was er da liest.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

100 Seiten Che Guevara

Zum 50. Todestag: 100 Seiten Che

Zum 50. Todestag: 100 Seiten Che

Zum 50. Todestag am 9. Oktober: 100 Seiten Che Guevara. „Seremos como el Che!“, sollen kubanische Kinder noch heute nach dem Absingen der Nationalhymne rufen: „Wir werden sein wie Che!“ Aber wer war dieser „Che“ eigentlich wirklich? Der Lateinamerikakorrespondet der FAZ geht hart ins Gericht mit dem einstigen Idol der Achtundsechziger und macht sich mit Hammer und Meißel an die Zerstörung eines Denkmals, denn seine Recherche fördert einige unangenehme Tatsachen zu Tage, die viele Leute lieber nicht wissen möchten. Schon das berühmt gewordene Ikonenfoto von Alberto Corda beinhaltet ein störendes Geheimnis: nicht nur, dass der Urheber auf alle Tantiemen verzichtete, sondern das Foto wurde sogar noch manipuliert, damit der cortison-aufgeschwemmte Revolutionsheld weniger aufgedunsen wirkte. Guevara habe selbst von seinem „Mondgesicht“ gesprochen, aber der Verlger Feltrinelli konnte das durch eine Streckung um ein Sechstel in die Höhe ausgleichen und so seien alle Che-Fans zu Opfern einer frühen Photoshop-Manipulation geworden, so will es uns Matthias Rüb zumindest in seinen „100 Seiten Guevara“ vermitteln.

Che als „Posterboy der Revolution“

Die Reclam Reihe „100 Seiten“ fasst im Taschenformat das Wichtigste zu einer historischen Persönlichkeit zusammen und man muss zugeben, dass das im Falle von Matthias Rüb wirklich sehr viel ist. Wir erfahren als Leser über den „Jesus Christus mit der Knarre“ nicht nur, dass er eitel uns selbstverliebt gewesen sein soll, sondern auch seine Auftritte sorgsam geplant habe. Che sei ein „internationaler Posterboy der kubanischen Revolution“ gewesen und habe auch aus Kalkül Militäruniform bei öffentlichen Auftritten getragen, um sein Image als Guerillero zu pflegen. Vor allem liegt es Matthias Rüb aber am Herzen, die Frauengeschichten Guevaras und seine teilweise rassistischen Äußerungen über Indigenas sowie seine Blutrünstigkeit nachzuweisen. So wirft er ihm zum Beispiel vor, schon vor der Revolution im Guerillakampf Verräter („chivatos“) eigenhändig hingerichtet zu haben und nach dem geglückten Putsch der „barbudos“ (Bärtigen) in Kuba politische Dissidenten standgerichtlich erschießen habe lassen oder es sogar selbst getan zu haben (Stichwort: La Cabana). Dass eine Revolution kein Kindergeburtstag ist, müsste der FAZ-Korrespondent des krisengeschüttelten Lateinamerika allerdings schon vorher gewusst haben.

100 Seiten Che Guevara: „Neuer Mensch, alter Macho“

Che Guevara, der niemals den zweijährigen Pflichtwehrdienst in seinem Heimatland absolvieren musste, weil er an Asthma litt, sei von einem „obsessiven Hasse auf die Vereinigten Staaten“ getrieben gewesen und hätte in der Kubakrise von 1962 nicht gezögert, Atomwaffen auf amerikanische Millionenstädte zu richten. Sein politisches Initialereignis sei der Sturz von Präsident Arbenz in Guatemala gewesen, wo der amerikanische Außenminister John Foster Dulles, der selbst für United Fruit gearbeitet hatte, die Enteignung der UFC mittels eines CIA-Putsches wieder rückgängig machte. „Neuer Mensch, alter Macho“ heißt ein Kapitel von Matthias Rübs Heldenzerstörung, indem er ihm mangelnde Treue vorwirft. Rüb sieht einen Widerspruch in der Forderung nach altruistischer Aufopferung für ein abstraktes Volkskollektiv und der Untreue Guevaras zu seinen (Ehe-)Frauen und Kindern, obwohl er weiß, dass die Zweigleisigkeit Teil der „Éducation sentimentale“ in diesen Ländern ist. Che Guevara mag vielleicht nicht „der vollkommenste Mensch seiner Epoche“ gewesen sein, aber die Denkmalzerstörung Matthias Rübs sollte man in jedem Fall gelesen haben!

Matthias Rüb
Che Guevara.
Reihe: 100 Seiten
ISBN: 978-3-15-020429-0
Reclam


Genre: Biographien, Dokumentation
Illustrated by Reclam Stuttgart/Dietzenbach

Die Geheimnisse Italiens. Roman einer Nation

Die Geheimnisse Italiens

Die Geheimnisse Italiens

Die Geheimnisse Italiens, der Roman einer Nation: Wenn man Frankreich Paris wegnähme oder Großbritannien London bliebe nicht allzu viel übrig. „Wenn man Italien dagegen Rom wegnimmt, bleibt noch ziemlich voll“, schreibt Augias in seinem Vorwort über den Unterschied seines Heimatlandes zu dem anderer. Kein zweites Volk habe sich in solchen Extremen bewegt und das sei auch das eigentliche Geheimnis, das alle übrigen Geheimnisse einschließe. Provokante Ansagen macht Corrado Augias aber nicht nur in seinem Vorwort, denn er will sein (Lese-)Publikum ganz in seine Erzählung Italiens einbeziehen, auch wenn es eben nur ein weiteres Narrativ von vielen ist.

Norden gegen Süden

Eine der brennendsten Fragen ist natürlich die Spaltung zwischen dem entwickelten Norden und dem unterentwickelten Süden des Landes. Der sog. „Mezzogiorno“ entwickelte sich aus dem Königreich beider Sizilien heraus und wurde erst durch das Risorgimento 1861 in den italienischen Nationalstaat eingegliedert. Laut den sog. Sudisti hätten damals die Piemonteser den Mezzogiorno kolonisiert und damit zur Unterentwicklung verdammt und außerdem den Staatsschatz geraubt und in den Norden verbracht, so zitiert Augias ein hartnäckiges Gerücht. Mit dem „Handschlag von Teano“ zwischen König Vittor Emanuele II. und Giuseppe Garibaldi am 26. Oktober 1860 sie die Annektion besiegelt worden und damit auch das Schicksal des Südens. Farini, ein Politiker, der damals dabei war, schrieb über damals über den Süden: „Was für eine Barbarei! Das ist nicht Italien! Das ist Afrika: Im Vergleich zu diesen Primitivlingen sind die Beduinen die Blüte der zivilisatorischen Jugend“. Tatsächlich war „Italienisch“ damals nur bei acht Tausendstel der Bevölkerung der Halbinsel übel, erst der Nationalstaat schuf eine einheitliche Staatssprache für Nord und Süd.

Die Parthenopäische Republik

Corrado Augias erzählt wie der Vatikan Unternehmungen finanzierte, um die Einheitsbewegung zu schwächen und auf subersive Aktionen setzte, womit er sogar die Briganten unterstützte. Aber auch die wichtigsten Schriftsteller und Städte Italiens werden von ihm auf ihre Geheimnisse hin untersucht und Zeile für Zeile erschlossen. So zum Beispiel Neapel, deren Lazzaroni auf die Jakobiner der Parthenopäischen Republik mit folgenden Worten reagierte: „La libertà ve la tenite pe’vvuie! Sai addo’ l’avit’a mettere? Dinto allo mazzo de màmmeta!“ Eine Übersetzung dieser Worte findet sich bei Augias im Kapitel VI. Der White Trash Neapels hätte eben am liebsten Partei für die Rückkehr der bourbonischen Monarchie ergriffen. Aber auch Ruhmreiches gibt es von den Parthenopäern zu berichten: während der Besetzung Neapels durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg gelang es den dortigen Aufständischen, sich selbst davon zu befreien. Weitere Kapitel beschäftigen sich u.a. mit: das venezianische Ghetto und La Serenissima, das Jüngste Gericht, Mailand, Rom, Franziskus, la duchessa di Parma, de Amicis’ „Cuore“, Palermo und D’Annunzio’s „Lust“.

Ursache der Rückständigkeit: „Amoreler Familiarismus“

Der Autor der Geheimnisse Italiens, Corrado Augias, versucht sich auf vielfältige Weise dem Phänomen seines Landes anzunähern. So zitiert er etwa auch den Soziologen Edward C. Banfield, der Italien 1958 einen „amoral familism“ attestierte. Die Maximierung der materiellen und unmittelbaren Vorteile der eigenen Familie stehen im Mittelpunkt der Italiener, ganz egal welcher Klasse, Schichte oder welchem Milieu sie angehören. Und genau das ist es auch, was den Fortschritt des Landes bisher verhindert hat: die Familie. Denn die Loyalität gilt in Italien nicht einem Staat oder einer Gesellschaft, die nie etwas für einen getan hat, sondern der Familie und damit ist jetzt nicht ausschließlich die Mafia gemeint. „Das gesamte Verhalten ist zu Lasten der Gemeinschaftsinteressen auf die Intereesen und den Vorteil der eigenen Familie ausgerichtet.“

Corrado Augias
Die Geheimnisse Italiens
Roman einer Nation
C.H. Beck
ISBN: 978-3-406-65898-3
272 S.
Gebunden


Genre: Biographien, Dokumentation, Kulturgeschichte, Sachbuch
Illustrated by C.H. Beck München