Berühre mich. Nicht. Die Graphic Novel: Teil 1

Berühre mich. Nicht. / Berühre mich nicht - Graphic Novel Bd.1 - Kneidl, LauraNeuanfang

Sage hat nach traumatischen Erlebnissen beschlossen, ein neues Leben fernab ihrer Heimat zu beginnen. Mit nichts als ihrem wenigen Besitz und ihrem Auto kommt sie in Nevada an. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bekommt sie einen Job in einer Bibliothek, wo sie im Archiv arbeiten soll. Dort lernt sie Luca kennen, der ebenfalls für das Archiv eingeteilt worden ist. Für Sage blanker Horror, denn Luca erinnert sie an ihren ehemaligen Peiniger, dem sie eigentlich entkommen wollte. Auch sonst begleitet sie ihre traumatische Erfahrung auf Schritt und Tritt, denn sie hat Panik vor jedem Mann – und die sind nunmal nicht nur im Archiv, sondern auch in der Uni und in allen anderen Alltagssituationen zu finden. Zum Glück helfen ihr ihre langjährige Freundin Megan und ihre neu gefundene Freundin April über das Schlimmste hinweg – bis Sage entdeckt, dass April die Schwester von Luca ist.

Ein New-Adult-Roman in einer Graphic Novel umgesetzt

Die New-Adult Graphic Novel fußt auf dem gleichnamigen Roman von Kneidl. Diesen kenne ich nicht, dafür aber andere New-Adult-Romane, die ähnlich aufgebaut sind. Momentan gibt die Mainstream-Strömung vor, dass romantische Romane Tiefgang haben sollen, deshalb werden die Protagonist*innen mit allen möglichen Traumata und sonstigen Schwierigkeiten ausgestattet. Das ist eine sehr gute Sache, denn oft verkommen Liebesromane zur Seichtigkeit und damit Flachheit, was dieser neuen Strömung so nicht passieren wird. Hin und wieder meinen es aber die Autorinnen zu „gut“ und statten ihre Held*innen mit zu vielen Schwierigkeiten aus. Das scheint bei dieser Graphic Novel zumindest im ersten Teil nicht der Fall zu sein; das Verhältnis stimmt und die Autorin kann sich ganz der Ausgestaltung eines einzelnen Traumas widmen. Das tut sie sehr gut, einfühlsam und plausibel. Und obwohl ich den Roman nicht kenne, habe ich beim Lesen nicht das Gefühl gehabt, dass die Handlung zu sehr gestrafft worden ist und zu schnell vonstatten geht; das Tempo ist meiner Meinung nach genau richtig. Die in Farbe gehaltenen Zeichnungen unterstützen die Story gut, das Verhältnis Text-Zeichnungen ist in Ordnung. Die Farben spiegeln z.T. auch die Gefühle von Sage wider. Zudem gibt es am Ende des Bandes einen Steckbrief mit den Hauptcharakteren. Was mir bei den ansonsten guten Zeichnungen aufgefallen ist: Die Gefühle werden bei allen Figuren sehr verhalten dargestellt und manchmal stimmen Proportionen und Winkel nicht so ganz.

Traumatische Erfahrungen

Kneidl und der Comic stellen sehr schön dar, was passiert, wenn man mit Missbrauch leben muss, was das mit einem anstellt und wie sehr eine solche Erfahrung das Leben beeinträchtigt. Vor den Erinnerungen kann man nicht weglaufen, man muss sie verarbeiten, um wieder ein halbwegs normales Leben führen zu können. Sage erfährt das und wird zudem noch durch einen Einbruch retraumatisiert. Aber die sich anbahnende Beziehung mit Luca, der nur äußerlich Sages Peiniger gleicht, innerlich aber ein hilfsbereiter empathischer junger Mann ist, hilft ihr langsam über ihr Trauma hinweg. Dazu muss man aber sagen, dass es in der Realität oft so ist, dass man sich unterbewusst ähnliche Menschen und/oder Situationen sucht, die der schlechten Erfahrung ähneln. Deshalb kommt es oft vor, dass z.B. Frauen nach einem gewalttätigen Kerl wieder an einen solchen geraten. Da muss schon eine gewisse (Selbst-)Reflexionsfähigkeit und/oder therapeutische Begleitung vorhanden sein, damit man nicht wieder retraumatisiert wird. Dass es bei Sage anders ist, ist wohl dem romantischen Impetus des Romans geschuldet.

Einen Traum zu haben, den man umsetzen kann oder schon zumindest teilweise umsetzt, hilft auch. Bei Sage ist das der Traum, Schmuck herzustellen und zu verkaufen, was sie schon mit einem gewissen Erfolg begonnen hat. Auch Freundschaften helfen, obwohl Sage z.B. April, der neuen Freundin, (noch) nichts erzählen kann. Aber sie erfährt in einer Notlage viel Unterstützung durch April und Luca, was ihr wieder ein Stück mehr Vertrauen in die Menschheit gibt. Weitere Themen: Obdachlosigkeit, Kampf ums Überleben. Sage hat keine Wohnung; sie wohnt in ihrem Auto. Als in dieses eingebrochen wird, steht sie ohne alles da. Auch vorher schon hat sie Geldnot und Hunger kennengelernt, da der Verkauf ihres Schmucks nicht alle Kosten deckt. Auch das stellt der Comic dar, aber ebenso der unbedingte Wille trotz Schüchternheit und schlechten Erlebnissen, etwas aus dem eigenen Leben zu machen und sich seine Träume zu bewahren und zu erfüllen. Damit ist Sage Vorbild für Leserinnen.

Empfohlen.


Genre: Missbrauch, New Adult
Illustrated by LYX

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