Die Pest

Kurzrezension

Um es gleich vorwegzusagen: Das Buch ist ganz schön brutal. Gleich zu Beginn wird man von den vielen verendeten Ratten verschreckt. „…Da sah er aus dem Dunkel des Ganges eine dicke Ratte auftauchen, mit feuchtem Fell und unsicherem Gang. Das Tier blieb stehen, schien sein Gleichgewicht zu suchen, wendete sich gegen den Arzt, blieb wieder stehen, drehte sich mit einem leisen Schrei im Kreis und fiel schließlich zu Boden, wobei aus den halbgeöffneten Lefzen Blut quoll…“

Mir war das so nicht bewusst, als ich das Taschenbuch aus aktuellem Anlass aus den Tiefen unserer Bibliothek hervorkramte. Man sieht es dem Cover schon an, dass ich es bereits Anfang der 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts erstanden hatte.

Letztlich ist es aber trotzdem in hohem Maße lesenswert, gerade in den Zeiten unserer Pandemie. Es gibt so viele Parallelen im Verhalten der Menschen und der Behörden. Erstaunlich ist schon, wie treffend Albert Camus die Gegebenheiten und Charaktere in dieser fiktiven Geschichte beschreibt, die in den 40-er Jahren in Oran, einer Stadt an der Küste Algeriens spielt. Zu Recht ist das Buch ein Klassiker der Weltliteratur. Sehr empfehlenswert!


Genre: Romane
Illustrated by Rowohlt

Mandalay Moon

Schauplätze einerseits in Thailand, vor allem in seiner Hauptstadt Bangkok, andererseits in Myanmar, dem früheren Burma, da läuft jedem Reise- und Asien-affinen Leser schon vor der ersten Seite das Wasser im Mund zusammen. Dann hat der Autor nicht nur diesen Roman, sondern ganz nebenbei auch noch als Reisebücher „Gebrauchsanweisung für Thailand“ und „Gebrauchsanweisung für Burma/Myanmar“ publiziert. Das schraubt die Erwartungen an die Kulisse schon ganz schön nach oben.

So viel sei verraten – Martin Schacht wird ihnen gerecht. Zumindest was das Atmosphärische, das Lokalkolorit, die Stimmungsbilder, die Detailbeschreibungen und die gelungenen Bilder über Land und Leute anbelangt. Schacht lebt und arbeitet heute als Journalist immer noch teilweise in Bangkok. Neben Südostasien sind Mode, Kunst und Design seine Leidenschaften.

Und auch das ist an unzähligen Stellen im Buch spürbar und sehr wohltuend. Wenn er „Klebreis im gefalteten Bananenblatt mit einer süß-scharfen Chili-Kokos-Mischung“ oder einen „Blumenstand mit Opferketten aus aufgezogenen Jasmin- und Tagetes-Blüten“ beschreibt, dann ist der Kopf sofort in Asien, mitten in der Szene. Film ab.

Wenn man das in einem Roman sucht, bekommt man mehr als genug davon.

Aber Martin Schacht kann auch der nachdenkliche, der philosophische Autor sein. „Hobbys sind etwas für Rentner oder pickelige Nerds, aber ich bin so lange dabei, dass ich gar nicht anders kann, als damit weiterzumachen. Aufhören wäre das Eingeständnis, einen guten Teil meiner Lebenszeit unnütz vergeudet zu haben“ oder „Wenn man einmal mit dem Reisen angefangen hat, hört man nicht wieder damit auf….Alles wird gewöhnlich, sobald man sich daran gewöhnt hat. Und dann muss man eben weiterziehen.“

Ach ja. Dann gibt es da auch noch eine Story. Vom Alltagsleben gefrusteter Journalist erhofft sich in Bangkok eine Inspiration und Neuorientierung (der autobiographische Anteil an der Geschichte ist nicht bekannt) und trifft auf ein vom Leben verwöhntes Paar. Glück, Liebe, gutes Aussehen und finanzielle Unabhängigkeit. Er ist ein eher wenig engagierter Filmemacher, möchte aber einen Dokumentarfilm über das Leben seiner Großmutter im damaligen Burma zu Zeiten des Militärputsches drehen. Anfangs etwas verwirrend, später aber als Parallel-Handlung spannungssteigernd, springt Schacht immer wieder zurück in die Zeiten, als das Opium-Geschäft im Goldenen Dreieck florierte, beherrscht von der Opium-Königin Olive Yang.

Belletristisch sehr unterhaltsam gleitet die Handlung beider Erzählungen dahin und muss natürlich fast zwangsläufig irgendwann fusionieren, da Olive Yang auch zum Zeitpunkt der gegenwärtigen Handlungsstranges noch zu leben scheint. Eher überraschend wird erst sehr spät aus der Erzählung mit ästhetischem, kulturellem und historischen Schwerpunkt plötzlich ein Krimi mit dem für dieses Genre typischen Finale furioso.

Alles in allem ein wirklich gelungener Roman eines feinsinnigen und feingeistigen Autors mit leicht melancholischer Note.


Genre: Kriminalliteratur, Reisen, Roman
Illustrated by Rowohlt

Reise mit Clara durch Deutschland

Das glücklichste Buch

Der im Original 2010 erschienene Roman des spanischen Schriftstellers Fernando Aramburu schildert das Entstehen des Berichtes über eine Reise durch Deutschland. Den Reiseführer schreibt Clara, die Frau des Ich-Erzählers, die sich für den Auftrag ihres Verlags ein Jahr Auszeit als Lehrerin genommen hat, der Vorschuss für das Buch macht’s möglich. Ihren Mann, selbst Schriftsteller, hat sie gebeten, sie auf ihrer Recherche-Reise zu begleiten. Er soll ihr neben seinen Diensten als Chauffeur auch beim Sammeln des Materials helfen, soll insbesondere das Fotografieren für sie übernehmen. Nach dem Riesenerfolg von «Patria», der den ETA-Terror behandelt, ist dieser vorher entstandene Reise-Roman Aramburos nun ebenfalls auf Deutsch erschienen, er bleibt literarisch aber weit unter dem Niveau des Bestsellers von 2016.

Erste Station der Reise im Hitzesommer 2003, die in der Nähe von Wilhelmshaven beginnt, ist Tante Hildegard in Cuxhaven. Die stellt dem kinderlosen Ehepaar mittleren Alters kostenlos ihre Wohnung in Bremen zur Verfügung, in die sie anschließend fahren, um die Hansestadt zu erkunden. Es folgt ein Abstecher nach Hamburg mit Hafenrundfahrt und Striptease auf der Reeperbahn, weiter geht es zur Insel Rügen, zur ehemaligen Künstlerkolonie Worpswede, und auch das Arno-Schmidt-Haus in Bargfeld bei Celle wird besucht. Schließlich geht es noch nach Goslar, Göttingen und Berlin. Dort endet die Reise abrupt, denn Goethe ist erkrankt, der bei einer Nachbarin während der Reise untergebrachte Hund der Beiden.

Mit ihrem mageren Plot kann die in der Tradition des Schelmen-Romans geschriebene Geschichte leider nicht überzeugen. Es fehlt jede Spannung, das Erzählte ist so banal wie der Alltag der vielen Menschen, denen das Paar begegnet. Gleichwohl werden die Figuren stimmig geschildert mit ihren teils schrulligen Eigenarten, werden in Aussehen und Verhalten detailliert beschrieben. Allerdings ohne dass dabei irgendwelche regionaltypischen Besonderheiten herausgestellt werden, die Land und Leute charakterisieren könnten. Erzählerisch markant sind nur die beiden Protagonisten selbst, deren gemeinsames Merkmal jedoch darin besteht, dass sie als Roman-Figuren keinerlei Emotionen erzeugen, sie bleiben einfach nur unsympathisch. Einzig die ironische Schilderung ihres Ehe-Alltags mit all den Neurosen und Macken, die der Autor verschmitzt immer aufs Neue als erzählerischen Trumpf aus dem Ärmel zieht und genüsslich vor dem Leser ausbreitet, machen diese Lektüre zumindest stellenweise amüsant. Auf Distanz bedacht, enthält der Autor sich dabei aber strikt jeder moralischen Wertung, denn die Fronten sind klar: Clara ist eine Nervensäge, die ihre dominante Rolle in der Beziehung so geschickt nutzt, dass «Maus», wie sie ihren Mann zuweilen nennt, immer klein beigibt, egal wie absurd ihr Ansinnen jeweils ist. Und «Mäuschen», so die Steigerungsform seines Kosenamens, geht jedem Dissens tunlichst aus dem Weg, er ist der Prototyp eines trägen Weicheis und knickt immer sofort ein, wenn es ernst wird.

Was der Ich-Erzähler in dem voluminösen Roman zu sagen hat, ist kaum von Belang, allzu platt sind die episodenweise erzählten Szenen geraten. Sie gehen spannungslos ineinander über, ihre Motive laufen ins Leere, statt näher beleuchtet zu werden und Erkenntnisse daraus zu ziehen. Äußerst platt ist auch der Humor, der das einzig markante Merkmal dieses Romans ist, er erinnert in seiner Vorhersehbarkeit aber eher an Klamauk als an brillanten Witz. Und auch wer als Leser erwartet, durch dieses Buch-im-Buch-Konstrukt literarische Einblicke zu erhalten, wird enttäuscht, denn was die «Frau Schriftstellerin» zu Papier bringt, das bleibt offen, einzig ihre Schreibblockaden werden erwähnt. Es gibt auch kaum nennenswerte intertextuelle Bezüge, die bei Schriftstellern als Protagonisten sich ja geradezu aufdrängen. Was Fernando Aramburu als sein «glücklichstes Buch» bezeichnet hat, wird seine Leser jedenfalls kaum glücklich machen.

Fazit: miserabel

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Schreib ohne Furcht und viel

Camus – Casarès: Schreib ohne Furcht und viel. Ein Briefwechsel

Schreib ohne Furcht und viel. Was für ein Imperativ! Was für eine Liebesgeschichte! Sagenhafte 1568 Seiten umfasst dieser Briefwechsel – bei Rowohlt erstmals in Buchform – zwischen Albert Camus (1913-1960) und der Schauspielerin Maria Casarès. Eineinhalb Jahrzehnte dauerte ihre Liebesgeschichte, die vielleicht nur durch Camus’ tragischem Unfalltod am 4. Januar 1960 für immer ihr Ende fand. Aber als Zeugnis der Intensität ihrer unvergleichlichen Liebe wird nun der Briefwechsel zwischen den beiden mehr als 60 Jahre später öffentlich zugänglich.

Schreib ohne Furcht und viel

In Frankreich erschien dieser Briefwechsel schon 2017 und wurde geradezu zu einer literarischen Sensation. Ein Vorwort des Schriftstellers Uwe Timm, der in den 1970er Jahren seine Doktorarbeit über Albert Camus schrieb, eröffnet die erstmalige deutschsprachige Ausgabe beim Rowohlt Verlag. Er schreibt auch von dem 1967 zu trauriger Berühmtheit gelangten Studenten Benno Ohnesorg, der ebenfalls ein Camus-Fan war und sogar nach Nordafrika getrampt war, um dort “genau die Landschaft zu erleben, die der Autor so hymnisch in Hochzeit des Lichts beschrieben hat“. Camus und Casarès hatten sich im Frühjahr 1944 im besetzten Paris kennen und lieben gelernt. Er war damals 30, sie immerhin 21. “Ich brauche dich, um mehr als ich selbst zu sein“, schreibt er ihr liebestoll. Er selbst war im Alter von ihr bitter enttäuscht worden, als ihn sein erste Frau betrogen hatte. Außerdem war er als Kind von seiner Großmutter mit einem Ochsenziemer gedemütigt worden.

Solitaire und solidaire

Eine Zeit wird kommen, in der wir trotz aller Schmerzen leicht, fröhlich und aufrichtig sind“, schreibt Camus ihr hoffnungsvoll im Februar 1950. Tatsächlich hatten sich die beiden zwischen 1944 und 1948 wieder trennen müssen, da Camus’ Frau, Francine Faure, zu ihm stieß (sie waren durch den Krieg getrennt worden). Eigentlich begann die Beziehung erst richtig am 6. Juni 1948 als sie sich zufällig am Boulevard Saint-Germain wiedersahen. Wieder ein 6. Juni wie schon 1944 und wieder ein Zufall. Aber auch in den zwölf Jahren ihrer Beziehung waren sie oft getrennt, allerdings nur geographisch. Denn ihre Briefe schmiedeten ein unsichtbares Band, das Zeugnis gibt, wie intensiv eine Liebe auch in Abwesenheit des Geliebten empfunden werden kann. Vielleicht gerade in Abwesenheit des anderen. “Was jeder von uns in seiner Arbeit, seinem Leben etc. Tut, tut er nicht allein Eine Anwesenheit, die nur er spürt, begleitet ihn“, schreibt Camus ihr im selben Brief vom Februar 1950 aus dem auch seine Tochter, Catherine Camus, die ebenfalls ein Vorwort schrieb, zitiert.

“Aye!Que cara de tonta tienes hoy!”

Wenn man sensibel ist, neigt man dazu, Hellsichtigkeit zu nennen, was einen enttäuscht, und Wahrheit alles, was einem schadet. Aber diese Hellsichtigkeit ist genauso blind wie anderes.“, schreibt er ihr 1944 und spricht darin von “dieser Welle, die mich seit gestern trägt” und beschreibt es mit “mein Herz ist voll von Dir“. Dennoch weiß Camus natürlich auch, dass er sich in Geduld üben muss. Schließlich herrscht Krieg und zudem ist er ja noch verheiratet. Sie antwortet ihm: “ich warte darauf, zu existieren, bin nur Verheißung”. Ihre Seligkeit beim Erhalten eines Briefes von Camus lässt ihren Vater ob ihres Anblickes ausrufen: “Aye!Que cara de tonta tienes hoy!” (Oh! Was machst du heute für ein dummes Gesicht!) Eine Seligkeit, die an Schwachsinn grenzt, meint sie. Aber wer kennt das nicht, wenn er/sie verliebt ist?

Liebe in kleinen Dosen

“Ich bin jedes Mal hingerissen, wenn Du mir Deine Liebe schreibst. Ich zittere, und zugleich bricht alles zusammen“, antwortet Camus ihr und zeigt damit, dass es ihm ähnlich geht. Über ihren letzten Brief meint er: “ich lebe, auf seinem Grund, wie ein glückliches Wrack“. Kann man das überhaupt “leben” nennen, ohne den Geliebten zu sein? Jeder, der schon einmal eine Fernbeziehung hatte, weiß, dass gerade durch die Trennung, die Gefühle sich intensivieren. Und vielleicht (er)lebt man sich gerade dadurch selbst mehr. Man wird kühner und dankbarer und wagt Dinge zu sagen, die ansonsten des Alkohols oder anderer Substanzen bedürfte. Hemingway (sie liest ihn gerade) nennt Camus einen Trickser und für die Liebe die sie ihm bereitet bedankt er sich aus tiefsten Herzen. Aber an manchen Tagen weint das Herz dann wieder stundenlang, “trotz den Hoffnungen und Freuden, die ihm versprochen” worden sein mögen. Und an solchen Tagen schreibt man seinem Geliebten oder seiner Geliebten am besten Briefe. Voller Sehnsucht und Leidenschaft. Keine E-Mails.

Albert Camus, Maria Casarès
Schreib ohne Furcht und viel.
Eine Liebesgeschichte in Briefen 1944-1959
Übersetzt von: Claudia Steinitz, Andrea Spingler, Tobias Scheffel
2021, Hardcover, 1568 Seiten
ISBN: 978-3-498-00131-5
Rowohlt


Genre: Biographie, Briefe, Exil, Fernbeziehung, Frankreich, Krieg, Liebesgeschichte
Illustrated by Rowohlt

Das schwarze Königreich

Das schwarze Königreich von Szczepan Twardoch

Das 2019 ebenfalls bei Rowohlt erschienene Werk „Der Boxer“ zeigte Twardochs Protagonisten, Jakub Shapiro, am Höhepunkt seines Lebens und Wirkens. In „Das schwarze Königreich“, der Fortsetzung,  ist er nur mehr ein Schatten seiner selbst und auf fremde Hilfe angewiesen.

Das schwarze Königreich des Jakub Shapiro

Aus Zorn und Hass ist mein Lebenswille gewebt, Zorn und Hass sind schwer und nicht leicht zu tragen, doch mitnehmen muss man sie, denn ohne sie endet man vorzeitig dort, wo ohnehin alle enden.“ Der einstige „König der Warschauer Unterwelt“ muss zusehen wie nicht nur sein Reich zerfällt, sondern auch das Warschau, das er kannte. Die deutsche Besatzung Polens 1939, die Warschauer Aufstände, das Ghetto sind die Echokammern eines Romans, der nicht nur intelligent gebaut ist, sondern auch den Leser in einen Strudel hinabreißt, aus dem es kein Entrinnen gibt. Twardoch erzählt den vorliegenden 2020 erstmals bei Rowohlt auf Deutsch erschienen Roman aus zwei Perspektiven, die er immer wieder wechselt. Der halbwüchsige Sohn David, der sich nach der Trennung seiner Mutter Emilia von seinem Vater Jakub um seinen Bruder Daniel und seine Mutter kümmert ist die eine Stimme des Romans. Die andere Stimme des Romans ist Ryfka, die einst ein Bordell leitete, wo Jakub in seinen besseren Zeiten Stammgast war. Sie liebt ihn so sehr, dass sie sich auch um den kranken Mann kümmert, der er jetzt geworden ist.  Ihr Zorn und ihr Hass sind es, die das gemeinsame Überleben sichern.

Überleben als Rache und Sühne

“Der Boxer” erschienen bei Rowohlt 2019

Auffallend am Stil dieses Romans ist aber auch die Konzeption. Die Tempuswechsel in der Erzählung von Ryfka Kij, die stets zwischen Präsens und Präteritum wechselt, charakterisieren die Brisanz ihres Narrativs.  Denn sie ist noch am Leben und nur deswegen kann sie all die Schrecken und den Terror des Krieges uns Nachgeborenen schildern. Sie war dabei und hat überlebt. An der Seite eines „bösen Mannes“, der nicht nur seine Frau und die Zwillinge enttäuschte. „Auf diese Art kann ich ihn bestrafen, indem ich ihn am Leben halte, so kann ich mich selbst strafen, und nur so kann ich auch weiter lieben. Die Liebe zu diesem bösen Mann ist alles, was mir geblieben ist.“ Szczepan Twardoch, Jahrgang 1979,  erzählt von Juden, Polen, Deutschen, von Tätern und Opfern, Kollaboration und Terror und macht auch vor den Sowjets nicht halt. Denn von diesen von Hitlers Wehrmacht befreit zu werden ist wahrlich kein einfaches Schicksal. Twardoch erzählt nämlich auch vom Holodomor, der Hungerkatastrophe, die durch Stalins Zwangskollektivierung Millionen Opfer nicht nur in der Ukraine forderte. „Der Krieg wird irgendwann zu Ende sein, und die Deutschen werden ihn verlieren, dann wird es gut sein, ans Licht zu kommen und wieder Mensch zu sein.“

Ein erschütternder und auch trauriger Roman, der dennoch Hoffnung macht, weil er zeigt, dass man trotz der vielen Opfer überleben kann und muss. Um diese und andere Geschichten zu erzählen und Sühne zu verlangen.

Szczepan Twardoch

Das schwarze Königreich

Übersetzt von: Olaf Kühl

2020, Hardcover, 416 Seiten

ISBN: 978-3-7371-0073-1

24,00 €

Verlag: Rowohlt Berlin


Genre: Deutsche, Juden, Noir, Polen, Warschauer Ghetto, Weltkrieg
Illustrated by Rowohlt

Es ist immer so schön mit dir

Konzentrat aus 40 Jahren Liebesleben

Als Spezialist für menschliche Abgründe hat Heinz Strunk auch seinem neuen Roman «Es ist immer so schön mit dir» wieder eine düstere Thematik zugrunde gelegt, eine nur als toxisch zu bezeichnende Liebesgeschichte. Er lässt ein Paar zu einander finden, die beide als seelisch eher verkrüppelte Figuren so gar nicht zusammenpassen. Eine Amour fou also, bei der das Scheitern vorprogrammiert ist. Wie die flapsige Erkenntnis «Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen» hier am Beispiel demonstriert wird, das ist trotz des wenig originellen Themas sehr eindrucksvoll, und gekonnt erzählt ebenfalls.

Als Musiker ist der namenlose Protagonist mit Mitte zwanzig gescheitert. Er hat daraufhin ein Tonstudio eröffnet, in dem er seit nunmehr zwei Jahrzehnten Hörbücher und Hörspiele produziert, außerdem vertont er Produktvideos, Tutorials und anderes mehr. Davon kann er inzwischen gut leben, er ist insoweit eigentlich ganz zufrieden. Seine Freundin Julia ist Mathematiklehrerin, sie sind schon einige Jahre liiert. Er fühlt sich jedoch geradezu gefangen in dieser Beziehung, und der Sex ist inzwischen auch immer seltener geworden. Mit Vanessa lernt er plötzlich eine halb so alte Traumfrau kennen und wundert sich, dass die eher spröde Schöne ausgerechnet an ihm Gefallen findet. Er trennt sich daraufhin von Julia. Seine neue Liebste schlägt sich als wenig erfolgreiche Schauspielerin recht und schlecht mit allerlei Gelegenheitsjobs durchs Leben, beide sind beruflich allenfalls Mittelmaß. Sie erleben einen sexuellen Rausch miteinander, worauf ja auch der Titel «Mit dir ist es immer so schön» deutlich anspielt. Aber sie sind nicht nur dadurch aufeinander fokussiert, sie verstehen sich auch in vielerlei anderer Hinsicht. Sein unverhofftes Glück, aber auch das Chaos, das sie in sein Leben bringt, bindet ihn gleichermaßen an die rätselhaft bleibende, junge Frau. Er kommt trotz vieler Probleme und mancher Enttäuschung, die sie ihm beschert, einfach nicht mehr los von ihr.

In einem Mix aus Tragik und Komik erzählt der Autor aus einer zutiefst machohaften Sicht von der Midlife-Crisis seines wehleidigen, typisch strunkschen Antihelden. Wobei er ihm auch keines der Fettnäpfchen erspart, in das all die zunehmend verknöchernden, bindungsunfähigen ewigen Junggesellen so gern hineintreten. Die magersüchtige, als Jugendliche vom Diakon missbrauchte Vanessa hingegen bleibt als oft eher kalt erscheinende Figur nicht nur unberechenbar, sondern auch ziemlich konturlos. Der Autor entwickelt seine Figuren mit Hilfe oft funkelnder, zuweilen sogar amüsanter Dialoge, die in der Geburtstagsfeier von Vanessa zu einer virtuosen Redeschlacht mit deren neunmalkluger Schwester ausarten. Überhaupt sind etliche der Figuren recht schrullige Typen, die genüsslich mit allen ihren Ecken und Kanten geschildert werden. Der Roman ist das verstörende Psychogramm eines gescheiterten Künstlers, der sich notfalls mit viel Alkohol aus seinem seelischen Trümmerfeld in eine bessere Welt säuft. Am Ende stellt er dann immer ernüchtert fest, dass sie davon auch nicht besser geworden ist und die große Liebe wohl scheitern wird.

Diese düstere Geschichte ist in einer angenehm lesbaren Sprache geschrieben, in weiten Teilen mit dem für den Autor typischen Stilmittel der erlebten Rede, wobei auch sein morbider Humor nicht zu kurz kommt. Auffallend als erzählerische Besonderheit ist dabei seine ausgeprägt olfaktorische Beschreibung ekelerregender Szenerien, wohl um Unbehagen auszudrücken. Dem wird eine bei Männerhaushalten eher selten anzutreffende Putzwut des geruchsempfindlichen Helden gegenübergestellt. In Abkehr von seinen bisher autobiografisch geprägten Themen, die inzwischen «auserzählt» seien, hat Strunk nun sein Thema gewechselt: «Das Buch fasst alle meine Erfahrungen aus 40 Jahren Liebesleben zusammen», hat er dazu erklärt. Und das ist ihm, von einigen Ungereimtheiten abgesehen, zu denen auch ein roter Slip gehört, tatsächlich gelungen.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Die Schlange im Wolfspelz

Von den Ursachen getrübter Lesefreude

Die Reihe nützlicher Sachbücher zum Thema Literatur ist von Michael Maar mit «Die Schlange im Wolfspelz», einem bei Eva Menasse entlehnten Titel, jüngst um ein populäres Werk ergänzt worden. Der Untertitel «Das Geheimnis großer Literatur» weist auf das durchaus ambitiöse Vorhaben hin, Licht ins Dunkel der Buchstaben-Kunst zu bringen. Wobei der Autor sich als Germanist, wen wundert’s, auf die deutsche Literatur beschränkt. Wer also als Leser in seiner Lektüre mehr sieht als nur einen angenehmen Zeitvertreib, wer sich über die Finessen eines gekonnten Schreibstils umfassend aufklären lassen will, der wird in diesem informativen Buch fündig. Um dann, deutlich besser gerüstet, in künftige Leseabenteuer aufzubrechen.

Diese Stilkunde beginnt denn auch gleich, die Frage «Was ist Stil?» mit vielen Textbeispielen systematisch und unterhaltsam zu klären. Was sind denn wohl die Fallstricke, die beim Schreiben auf den Autor warten? Um zu verdeutlichen, was denn Stil überhaupt ist, zitiert Maar eine kurze Passage aus Daniel Kehlmanns Roman «Die Vermessung der Welt». Darin wird Humboldt von seinen Ruderern gebeten, etwas zu erzählen. Er könne, bietet er ihnen an, das schönste deutsche Gedicht für sie ins Spanische übersetzen: «Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald wird man tot sein». Die Zuhörer sind verblüfft. Aber er hat alles richtig gemacht, er hat genau das erzählt, was Goethe, als «Wanderers Nachtlied», 1870 an die Holzwand einer Jagdhütte geschrieben hatte. Inhaltlich also gleich, nur stilistisch nicht! «Über allen Gipfeln / ist Ruh, / in allen Wipfeln / spürest du / kaum einen Hauch; / die Vöglein schweigen im Walde. / Warte nur! Balde / ruhest du auch.» Einprägsamer kann man die Funktion von Inhalt und Stil in der Literatur wohl kaum demonstrieren. Und solche anschaulichen Beispiele gibt es ungewöhnlich viele in diesem Buch! Inhalt und Stil, so lernen wir, kann man eben nicht trennen voneinander. Sie gehören zusammen, bilden eine künstlerische Einheit, die, wenn alles perfekt aufeinander abgestimmt ist, zu großer Literatur werden kann.

Mit vielen Porträts ganz unterschiedlicher Schriftsteller verdeutlicht Maar in unzähligen Textauszügen sprachliche Besonderheiten. Satzbau, Wortwahl, Sprach-Rhythmus, Dialoge, gekonnt eingesetzte Metaphorik oder einprägsame Leitmotive sind Bausteine, aus denen wahre Prosa-Kathedralen entstehen können, wenn Sprachgenies die Baumeister sind. Trotz aller akademischen Bemühungen bleibt die Beurteilung von Sprachkunst aber ein eitles Unterfangen. Das weiß der Autor auch, und so finden sich bei seiner oft sehr strengen Kritik häufig Anmerkungen wie «Die Arno-Schmidt-Jünger werden laut Protest erheben». Es bleibt also auch nicht aus, dass man als Leser manchen Einwand partout nicht nachvollziehen kann. Aber das ist völlig normal und mindert den Wert dieses Literatur-Führers keineswegs. Die Auswahl der als Referenz herangezogenen Schriftsteller ist, Germanisten können wohl nicht anders, zudem derart vorvorgestrig, dass man als heutiger Leser viele nie gelesen hat, bei einigen nicht mal ihrem Namen kennt. Umso erstaunter ist man dann, wenn plötzlich Hildegard Knef auftaucht, deren Autobiografie von Michael Maar stilistisch sehr gelobt wird, – nicht zu unrecht übrigens, wie die Textzitate zeigen.

Wer einigermaßen belesen ist, wird natürlich auch manches finden, bei dem er mitreden, seine Meinung mit dem vergleichen kann, was Maar, oft durchaus scharfzüngig, darüber schreibt. En passant erfahren wir zudem, dass Goethe mit ausgezählten 90.000 Wörtern den höchsten je gemessenen deutschen Wortschatz hatte. Trotzdem sind «Die Wahlverwandtschaften» kein Roman, den heute jemand freiwillig lesen würde, Wortschatz ist eben nicht alles! Schlechten Stil aber dürften aufmerksame Leser nach der Lektüre dieses Ratgebers deutlich besser entlarven können als eine Ursache getrübter Lesefreude!

Fazit: erfreulich

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Genre: Sachbuch
Illustrated by Rowohlt

Die Wahrheit über Eva: Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern

Abbildung von Schaik / Michel | Die Wahrheit über Eva | 2. Auflage | 2020 | beck-shop.de

“Evalution” und Beginn der toxischen “Patrix”

Die Autoren Carel van Schaik (Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe) und Kai Michel (Historiker und Literaturwissenschaftler) haben sich zusammengetan, um den Ursachen der mittlerweile jahrtausendealten Genderungerechtigkeit auf die Spur zu kommen. Herausgekommen sind – kurz zusammengefasst – folgende Erkenntnisse des 701 Seiten starken Buches:

  • in 99% der Evolutionsgeschichte der Menschen gab es keine Diskriminierung der Frau (ganz im Gegenteil!) – die bildete sich trotz erbitterter Widerstände erst in den letzten Jahrtausenden heraus (was in der Geschichte der Menschheit einen Wimpernschlag bedeutet)
  • die Jäger- und Sammlerkulturen waren auf das lebensnotwendige Zusammenarbeiten der Geschlechter angewiesen; sie konnten sich Diskriminierung nicht leisten => egalitäres System mit großer Wertschätzung der Frauen
  • die Frauen sorgten in den Jäger- und Sammlergesellschaften für die Basisernährung: Essbares sammeln und Jagen mindestens kleiner Tiere; die Männer sorgten für das Großwild, das sie erbeuteten (oder auch nicht) => wenn sie es erbeuteten, erwarben sie Reputation; um die Reputation aufrecht zu erhalten, mussten sie ihr Erjagtes großzügig mit dem Stamm teilen (Horten von Eigentum war unmöglich)
  • Männer vom Schlage der vergangenen und gegenwärtigen Diktatoren, Despoten und Machos waren in den Stammesgesellschaften nicht gern gesehen, sie wurden diszipliniert; wenn das nicht reichte, wurden sie ausgeschlossen oder getötet => solche Männer schadeten dem Wohl des Stammes und waren damit untragbar
  • sozial gesinnte Männer wurden von den Frauen für die Paarung gern genommen => die Männer halfen den Frauen im Gegenzug bei der Erziehung der Kinder und teilten mit ihnen ihre erbeutete Nahrung, was sehr gute Voraussetzungen waren für die Versorgung der Kinder und damit der Entwicklung des menschlichen Hirns (wären die Menschenaffenfrauen alleinerziehend gewesen wie bei den heutigen Menschenaffen, würde es heute aufgrund der fehlenden Hirnentwicklung keine Menschen geben!); heute wird fehlende Hilfe bei der Versorgung der Kinder und die daraus resultierende Erschöpfung der Frau ungerechtfertigt pathologisiert
  • Frauen, die das soziale Netzwerk der Hilfe des Mannes und ihrer Verwandten nicht hatten, zogen das geborene Kind nicht auf => Ressourcen der Frauen waren dafür zu knapp und wurden anderweitig gebraucht
  • die ganzheitliche, inklusive Religion der Frauen nützte allen – sowohl Frauen als auch Männern – in ihrem (schwierigen) Alltag; Frauen waren gesellschaftlich und spirituell hoch angesehen, auch als Heilerinnen (Religion von unten)
  • die Religion der Männer wurde exklusiv und damit eine Religion von oben (Herrschaftsreligion): Göbekli Tepe bildete den Anfang mit seinen aggressiven Darstellungen von tierischen Waffen und erigierten Penissen; Ausschluss der Frauen => Anfänge der “toxischen Männlichkeit”
  • Sesshaftwerdung als umfassende Katastrophe für das egalitäre System: um die Gemeinschaft in Hungerzeiten zu ernähren, griffen die Frauen auf die arbeitsintensive und mühsame Verarbeitung von Grassamen zu Nahrung zurück und sicherten so das Überleben – zu ihrem eigenen Nachteil
  • diese o.g. Überlebensstrategie in Verbindung mit der Sesshaftwerdung bezahlten die Frauen bitter: mehr Arbeit, erhöhte Geburten- und damit Sterberate der Frauen => intensive Arbeitsbelastung durch Nahrungsanbau und -verarbeitung und Kindererziehung, sowie ständige Schwangerschaften und Geburten schwächten die Frauen; geringere Lebenserwartung der Frauen um ca. 2 Jahre, während die der Männer um ca. 2 Jahre stieg
  • die Männer verloren mit der Sesshaftwerdung ihre Reputation als Großwildjäger (s.o.) => neue Reputationsmöglichkeit: Umschwenken auf Raubzüge und das Jagen von Menschen => Krieg und Herausbildung des toxischen Kriegerethos, Ausbildung exklusiver (= alle anderen ausschließender) Männerbünde
  • durch das Sesshaftwerden konnte Besitz angehäuft werden => Verteidigung des Besitzes wurde notwendig => Männer schienen für diese Aufgabe besser geeignet
  • Beginn der ungerechten Besitzverteilung => Herausbildung von Hierarchien mit despotischen Herrschern, die ihre Macht mit riesigen Frauenharems unterstrichen => Frauenmangel bei der übrigen Bevölkerung => Frauenraub
  • das frühere System, dass der Mann zur Frau zog, wurde ersetzt durch das System, dass die Frau zum Mann zieht (s.o. Verteidigung des Besitzes) => Ausgleich der fehlenden Arbeitskraft der Frau durch einen Brautpreis und damit einher gehend die allmähliche Verdinglichung und Entwertung der Frau als Mensch; außerdem wurde sie so ihrer sozialen Netzwerke und insgesamt ihrer sexuellen Freiheit beraubt, um die männliche Erblinie sicherzustellen
  • die Religion von oben (v.a. die monotheistischen Religionen) bekämpft erbittert die Religion von unten und trägt bis heute zum Patriarchat entscheidend bei
  • Jesus war ein Frauenfreund und von Frauen Gesalbter (christos = Gesalbter) und trat (im Sinne der Jäger und Sammler) für Egalität und Diversität ein => das Christentum paulinischer Ausprägung wurde seines Ursprungs entfremdet, an patriarchale Systeme angepasst (Griechen, Römer) und hatte somit nicht mehr viel mit den von Jesus gepredigten Werten gemein (Vermutung der Autoren, dass das ursprüngliche Christentum ausgestorben ist) => Dämonisierung der Religion von unten und damit übelste Dämonisierung der Frau und der Sexualität der Frau bis hin zu den Hexenverfolgungen; Übertragung der männlichen sexuellen Triebhaftigkeit auf die Frau, die damit zum unverschuldeten Sündenbock für mangelnde männliche Kontrolle über deren eigene männliche Sexualität wird (Auswüchse des Zölibats)
  • Eva muss jahrtausendelang als Sündenbock für die angebliche Sündhaftigkeit der Frau und deren damit einhergehende Unterdrückung und Entwertung bis hin zur Entmenschlichung herhalten => ugaritischer Ausgangsmythos, den die biblische Paradiesgeschichte für patriarchalische Zwecke umdeutete und zweckentfremdete, schrieb der Frau eine menschenrettende Rolle zu; Eva stammt exegetisch gesehen von “hawwah” (Titel, der bereits für Göttinnen wie Aschera benutzt wurde)
  • “Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen: Wir haben es mit keiner schlagartigen Revolution zu tun, sondern mit einem langen, sich selbst verstärkenden Prozess.” Und diesen Prozess nennen die Autoren “Patrix”, abgleitet von dem Film “Matrix”, um die vielen Schleier zu verdeutlichen, hinter denen das Patriarchat die egalitären und frauenfreundlichen Ursprünge versteckt und seine eigene Ideologie als die einzig Wahre und angeblich von Gott oder der Biologie gewollte Ordnung darstellt; der Ursprung aber sind weibliche Gottheiten und die Biologie ist nur als Anlage von Möglichkeiten zu begreifen, die nicht genutzt werden müssen; Kultur dagegen ist – mithilfe der Schrift und vorher durch Göbekli Tepe im wahrsten Sinn des Wortes – zum Vorteil der Patrix in Stein gemeißelt und damit Ungerechtigkeiten dauerhaft festgeschrieben worden
  • Kultur kann aber verändert und damit der Patrix die Basis entzogen werden!

Reden, diskutieren, Ungerechtigkeiten ans Tagesicht holen – nicht schweigen!

Diese Zusammenfassung kann nur ganz grob die Ergebnisse der Forschung wiedergeben, die die beiden Autoren in ihrem Buch ebenfalls nur zusammenfassen und andeuten können. Es lohnt sich, die mittlerweile wachsende Literatur zu dem Thema zu sichten!

Die Autoren bezeichnen die Patrix immer wieder als katastrophale Verirrung, da es eigentlich genügend menschen- und umweltfreundlichere Angebote gab, mit denen alle Lebewesen des Planeten deutlich besser gefahren wären. Ihnen ist es ein Anliegen, die Strukturen der Patrix aufzudecken, um sie zu entschleiern und ihr den Boden unter den Füßen wegziehen zu können. Und das ist ihnen auf jeden Fall gelungen! Ich hatte beim Lesen immer wieder ein “Aha!”-Erlebnis in der Form “So ist das also!”

Ich hoffe, dass dieses Buch eine breite Verbreitung findet, denn es ist extrem wertvoll! Aber auch hier wird wieder die Patrix greifen: Wenn es schon in seiner Veröffentlichung nicht verhindert werden kann, versucht man es zu ignorieren und totzuschweigen. Schweigen und verschweigen darf frau und mann aber auf keinen Fall, wenn es tatsächlich zu einem für alle Menschen und Lebewesen besseren Zukunft kommen soll. Denn das Bild, das die Patrix sowohl von der Frau als auch vom Mann zeichnet, ist eindimensional und für beide Geschlechter extrem toxisch. Weder mit dem feindlichen Frauenbild noch mit dem toxischen Männerbild lässt sich gesund leben, für keine der Geschlechter. Es schließt Diversität aus und damit den Großteil der weiblichen und männlichen Menschheit. Geschlechter, die dazwischenstehen, sowieso, ebenso diverse Formen der Sexualität. Gerade die negativen Seiten des Patriarchats für die Männer hätte ich gern in dem Buch nicht nur angedeutet, sondern ausformuliert, um zu verdeutlichen, dass die Patrix eben auch dem Großteil der Männer schadet. Die menschenverachtende Dimension der Patrix für die Frau bis in unsere Zeit hinein ist dagegen ausführlich dargestellt worden.

Fazit

Das Buch zeigt verständlich, systematisch und unterstützt durch wiederkehrende Wiederholungen der wichtigsten Ergebnisse einprägsam und heilsam auf, wie die Verirrung des Patriarchats entstand, welche Schäden sie anrichtete und immer noch anrichtet und wie man die Schleier, die das Patriarchat entgegen erbitterten Widerständen weben musste, um sich an der Macht zu halten, lüften kann – hin zu einem besseren, gerechteren Leben für alle!


Illustrated by Rowohlt

Krass

Sic transit gloria mundi

Im neuen Roman von Martin Mosebach mit dem deskriptiven Titel «Krass» steht ein Machtmensch gleichen Namens auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Krass ist aber auch, adjektivisch wohlgemerkt, der aberwitzige Plot des umstrittenen Büchner-Preisträgers, in dem der Zufall fröhliche Urständ feiert. Wie oft bei diesem Autor ist es eine Geschichte vom Scheitern, hier als Psychogramm eines narzisstischen Machertypen mit einer dominanten physischen Präsenz, ein skrupelloser Waffenhändler. «Er arrangiert die Welt, so wie sie ihm gefällt», hat der Autor seinen Protagonisten charakterisiert.

In Neapel besucht 1988 eine siebenköpfige Reisegruppe eine Zauberschau und trifft später in einem Restaurant auf die als Assistentin beteiligte Lidewine. Ralph Krass, Spritus rector und großzügiger Finanzier der Gruppe, lässt sie von seinem Adlatus Dr. Jüngel an ihren Tisch bitten. Die junge Frau, Inkarnation des «Ewig Weiblichen», wie es im Roman anbiedernd heißt, ist Krass sofort sympathisch. Er weist den assistierenden Kunsthistoriker spontan an, sie als Begleiterin für diese Reise zu engagieren. Alles rein platonisch, Sex ist für die Dauer der Reise – auch für sie – tabu, er braucht sie nur für sein Ego, als dekorative Begleitung. Man besichtigt das berühmte Alexander-Mosaik, in dem sich auch das Motiv des Buchumschlags mit der in ihr Spiegelbild verliebten Bachstelze findet. Anschließend geht es nach Capri, um dort eine zum  Verkauf stehende schlossartige Villa anzusehen. Lidewine wird ständig mit teuren Geschenken überhäuft, bis Jüngel zufällig mitbekommt, dass sie einen adonisartigen Hotel-Kellner nachts in ihrer Suite empfängt. Ein eindeutiger Vertragsbruch, sie wird entlassen, die Gruppe zerfällt schlagartig.

Dieser erste Teil des Romans mit dem Titel «Allegro imbarazzante» weist auf das Peinliche des großspurigen Gehabes von Krass hin. Es folgt mit «Andante pensieroso» ein melancholischer zweiter Teil, in dem der arbeitslos gewordene Jüngel vorübergehend Unterschlupf in der französischen Provinz sucht. Dort rekapituliert er die Neapel-Reise und nebenbei auch das Scheitern seiner Ehe. Mit «Marcia funebre» wird im letzten Teil zwanzig Jahre später eine Art finaler Trauermarsch angestimmt. Die Protagonisten treffen in unterschiedlicher Mission in Kairo wieder aufeinander, welch ein Zufall! Krass ist völlig mittellos, er liegt buchstäblich auf der Straße. Jüngel, inzwischen Professor für Urbanistik und nach einer zweiten Ehe wieder geschieden, ist als Forscher in der ägyptischen Metropole. Lidewine wiederum ist dort unterwegs, um eine Galerie zu gründen, in der Superreiche aus den Emiraten ihr überflüssiges Geld in moderne Kunst investieren können.

Martin Mosebach erzählt seine mephistophelische Geschichte in einem altväterlichen Duktus mit Sätzen wie diesem: «Dass sein Körper, so wie er nun einmal war, als Wohnstatt seines Willens höchste Beachtung verdiente, das stand für ihn außer Frage». Die auktoriale Erzählweise wechselt im Mittelteil zur personalen, mit Jüngel als Ich-Erzähler, abwechselnd im Brief oder Tagebuch. Es bleibt offen, ob Krass mit seinen Allmachts-Fantasien unternehmerisch ein Genie ist oder ein Hochstapler. Außer einer nur telefonisch in Erscheinung tretenden Sekretärin gibt es offensichtlich keine weiteren Mitarbeiter. Alle Geschäfte werden rund um den Erdball nur papierlos in Hotels und Restaurants abgewickelt. Der atmosphärisch dichte, bildstarke Roman verdeutlich in seinem spannenden Plot, der letztendlich aber nirgendwo hinführt, das Wesen und die Wirkungen der vergehenden Zeit. Das geschieht in einer eigenwilligen Form, die unübersehbar ironisch gefärbt ist und unterschwellig zuweilen sogar Humor erahnen lässt. Erstaunlich ist jedenfalls, dass dieser ambivalente Roman, in dem sich zwar vieles ereignet, aber nicht wirklich auch etwas passiert, es mit seiner Schadenfroh-Thematik ‹sic transit gloria mundi› auf Anhieb in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Wo wir waren

Zum Träumen einladend

Mit der Nominierung des Romans «Wo wir waren» für den deutschen Buchpreis 2019 hat Norbert Zähringer seine bislang größte Anerkennung als Schriftsteller gefunden. In diesem fünften Roman erweist er sich erneut als ein Autor, der sein ausuferndes erzählerisches Material virtuos in verschiedene Handlungsfäden zu überführen versteht. Es ist mal wieder ein Pageturner, perfekt konstruiert, den er da geschrieben hat, argwöhnisch beäugt vom Feuilleton, das ihn als thematisch überfrachtet hart am Rande des Kitsches verortet.

Narratives Zentrum des weitverzweigten Handlungs-Geflechts ist die Mondlandung 1969. Der Protagonist Hardy Rohn, dessen Leben den dominanten Handlungsfaden des Romans bildet, damals fünf Jahre alt, flieht in dieser Fernsehnacht aus einem schrecklichen Waisenhaus. Als er in aller Frühe plötzlich am Fenster des Science-Fiction-Autors Walther auftaucht, der euphorisch eine Mondlande-Party vor seinem Fernseher veranstaltet, nehmen sich Nachbarn spontan des Jungen an. Ein Jahr später adoptiert das kinderlose Paar den schweigsamen Hardy, und er erweist sich schon bald als wahres Wunderkind. Der ein ganzes Jahrhundert umfassende, vielschichtige Plot vereint so unterschiedliche Themen wie die Weltraumfahrt, die Gräuel zweier Weltkriege, Entdecker-Freude, Globetrotter-Sehnsüchte, Vietnamkrieg, die Dotcom-Blase und anderes mehr, aber eben auch so Banales wie das Spießertum in der Reihenhaus-Siedlung mit akkurat gestutzten Buchsbaum-Hecken. Hardys Mutter, die ihn im Zuchthaus geboren und sofort zu Adoption freigegeben hat, verbüßt eine lebenslängliche Strafe wegen Doppelmordes, sie erzählt in einem längeren Kapitel dem Psychiater in der Forensik ausführlich ihre tragische Geschichte. Mit großen Zeitsprüngen wechseln auch die Handlungsorte, vom beschaulichen Kleinstadtidyll im Rheingau ins Silicon-Valley, wo der von einem unbändigen Forscherdrang getriebene Hardy eine kometenhafte Karriere zuerst mit Computerspielen und dann mit einer neuartigen GPS-Software hinlegt. Mit einer Viertel-Milliarde Dollar als Erlös für seine von der Konkurrenz übernommene Firma sinnt der nimmermüde Tüftler und Entdecker auf neue Taten. Sein Lebenstraum, in das Weltall zu fliegen, scheint durch die Absicht der Russen realisierbar, private Gäste für läppische 25 Millionen Dollar an einem Raumflug teilnehmen zu lassen, Hardy bucht als Erster.

In eine überaus spannende, turbulente Geschichte, der man atemlos folgt, wurde hier sehr viel Weltgeschehen hinein gepackt. Über Raum und Zeit hinweg jagt dieser Roman, von Cliffhanger zu Cliffhanger, durch seine vielen episodisch erzählten Szenen. Ein stimmig geschildertes, vielköpfiges Figuren-Ensemble ist dabei in allerlei schicksalhafte Situationen verstrickt. Jeder sucht sich auf seine Weise zu verwirklichen, seinen ureigenen Weg zu finden in einem ebenso durch Zufall wie durch Vorprägung bestimmten Leben. Es geht um die Essenz menschlichen Daseins, die Norbert Zähringer anhand seiner unterschiedlichste Typen verkörpernden Figuren dahingehend deutet, dass sie ganz einfach in der ungeheuren Vielfalt der Möglichkeiten liegt. Seine permanenten Rückblenden unter dem Motto «Wo wir waren» verdeutlichen anschaulich diese These.

Es ist ein ironisches Märchen für Erwachsene, das den Leser hier mit einer abenteuerlichen Fülle von wundersamen Zufällen und glückhaften Wendungen bei Laune hält, so er denn bereit ist, die zahlreichen Klischees unkritisch zu akzeptieren als unverzichtbare Bestandteile von Märchenhaftem. Der in einem flüssig lesbaren Stil geschriebene Roman führt leichtfüßig durch ein komplexes Handlungs-Dickicht, in dem alles mit allem zusammen zu hängen scheint, er überwindet spielend kulturelle Grenzen und lädt ungeniert zum Träumen ein. «Vieles ist unwahrscheinlich, aber wenn wir nur an das Wahrscheinliche glauben, dann kommen wir nicht weit» heißt es im Roman. Und genau so sollte man auch als Leser herangehen an diese zum Träumen einladende Geschichte!

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Maghrebinische Geschichten

Kein Wort ist wahr

Im breiten Œuvre von Gregor von Rezzori ist «Maghrebinische Geschichten» sein bekanntestes Werk, erstmals 1953 in Buchform erschienen. Einige seiner satirischen Erzählungen hatte der Autor vorher bereits im Nachtprogramm des NWDR vorgelesen. Als sein Lektor handgeschriebene Notizen von ihm für diese Radiosendungen gesehen hat, schlug er ihm vor, daraus ein Buch zu machen. Nach seinen ersten drei, im Krieg erschienenen und als trivial kritisierten Romanen wurde er als Schriftsteller von kitschiger Unterhaltungs-Literatur abgestempelt. Das änderte sich mit dem vorliegenden Buch, das nicht nur in Deutschland sehr erfolgreich war. Sechs Jahre später widmete ‹Der Spiegel› ihm seine Neujahrsausgabe, eine Art Ritterschlag dieses seinerzeit meinungsbildenden Nachrichten-Magazins, mit dem er quasi als ‹literarischer› Schriftsteller anerkannt wurde. Ein Erfolg allerdings, an den er später dann nicht mehr anknüpfen konnte. Zeitlebens, beklagte er sich im Alter, klebe sein Name an einem einzigen Buch. Es ist ein Klassiker seines Genres, der bis heute gerne gelesen wird.

In einer an Boccaccio erinnernden Sammlung von Anekdoten, Schwänken, Legenden, Mythen und in epischer Breite erzählten Witzen schildert Rezzori parodistisch das Leben und die Sitten in seinem Phantasiestaat Maghrebinien. Als Vorlage diente ihm dabei das multikulturelle Land seiner Kindheit, das historische Gebiet der Bukowina, einst habsburgisches Kronland mit Czernowitz als Hauptstadt, in der er 1914 geboren wurde. Diese kosmopolitische, längst untergegangene Balkan-Gesellschaft am östlichen Rand der einstigen k. u. k. Monarchie, in die auch ein islamisch-osmanisches Erbe hineinwirkt, prägt seine Erzählungen entscheidend, er hat sich ihr zeitlebens als zugehörig gefühlt. Die von ihm selbst als «balkanischer Operettenstaat» bezeichnete, fiktive Welt wird von einem bunten Völkchen aus Schlitzohren, Schlawinern, Schnorrern, Lebenskünstlern und Halunken bevölkert. Allesamt extrem lustbetonte Hedonisten, deren Zusammenwirken über die Höhe des obligatorischen Bakschischs geregelt wird, besser gesagt geschmiert wird. Einig ist man sich nur im extensiven Genuss, wobei auch die Frauen allenfalls als Genussmittel angesehen werden in dieser extremen Macho-Gesellschaft.

Einer der unzähligen Witze dieses Buches sei hier als Beispiel für diese Denkweise in Kurzform wiedergegeben: ‹Bei Reisen ritt früher der Maghrebiner auf seinem Pferd vorweg, die Frau folgte ihm zu Fuß. Inzwischen hat sich diese Sitte total geändert, heute laufen stets die Frauen vorweg. Aber einzig deshalb, weil nach dem Krieg die Wege noch so stark vermint sind›. In den nur lose verbunden Kapiteln brennt der Autor ein wahres Feuerwerk kurioser Einfälle ab, manchmal finden sich gleich mehrere Witze auf einer Buchseite. Kein Wort von alldem ist je ernst gemein, alles dient als virtuoses Spiel nur dem Angriff auf unsere Lachmuskeln. Dass darin auch manch versteckte Gesellschaftskritik steckt, kann wegen der maßlosen Übertreibungen leicht übersehen werden. Gregor von Rezzori, Grandseigneur alter Schule, hat sichtlich Spaß an der Verbreitung seiner Schnurren, er schildert ganz ungeniert und zuweilen zotig Sitten und Gebräuche in Form von Eulenspiegeleien.

Stilistisch in einer bewusst gedrechselten Sprache geschrieben, weisen alle 27 Kapitel als Einleitung eine stichwortartige Kurzfassung des Folgenden auf. Da findet man dann auch mal eine Warnung vor einer Fußnote, «welche ein zartfühlender Leser besser überschlägt». Es geht dabei um Zoophilie, sei angemerkt. An anderer Stelle wird bei einem Hermaphroditen mit Kinderwunsch von ‹lesbischer Autogenese› gespöttelt. Alle Fußnoten sind als persönliche Anmerkungen des Autors, vom Schriftsatz her deutlich abgesetzt, als ergänzende Absätze angefügt. «Bei der Drucklegung des vorliegenden Berichts über …» ist ein Beispiel, es folgt dann meistens noch eine weitere, nicht minder kuriose Geschichte. Als amüsante Lektüre unbedingt zu empfehlen!

Fazit: lesenswert

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Rowohlt

Von Bienen und Menschen: Eine Reise durch Europa

Auch für dieses Buch über Bienen und ihre Menschen nimmt die Autorin uns mit auf ausgedehnte Reisen, am Anfang und zum Schluss sind wir wieder bei Galina in Jasnaja Poljana, dem ehemaligen Trakehn bei Kaliningrad, wo wir schon beim Akazienkavalier waren. Die Reise geht bis zu den Pyrenäen, und über Gotland nach Slowenien. Einmal geht es nur von Lüneburg kurz mal über die Elbe, in das ehemalige Zonenrandgebiet, wo nach dem Mauerbau im Todestreifen Bienen gehalten wurden.

Ulla Lachauer‘s Kunst besteht darin, in ihren Gesprächen eine vertraute Atmosphäre zu schaffen, so dass die Menschen gerne von den Bienen in ihren Leben erzählen. Im Vorwort lesen wir, warum sie verstehen möchte, was Bienen den Menschen bedeuten, früher, während der gesellschaftlichen Umbrüche dieses und des letzten Jahrhunderts und jetzt, wo durch die Gifte der industriellen Landwirtschaft Bienen und andere Insekten sterben.

Zwischen den Texten stehen Rezepte, die sich für verschiedene Honigarten eignen, man liest, wie unterschiedlich Honig ist, je nach der Tracht, also der jeweils blühenden Pflanzen. Und wir lernen, dass Tannenhonig von Ausscheidungen von Blattläusen gewonnen wird, also eigentlich ziemlich eklig ist.

Ein Glossar zum Schluss klärt auf über das zur Bienenhaltung verwandte Vokabular und endlich glaube ich nun, deren ungewöhnliche Paarungsabläufe verstanden zu haben.

Von den zehn Orten, in denen die Begegnungen stattfanden, möchte ich einige vorstellen:

Wir beginnen in Stuttgart, wo ein Stadtbauer ihr sein Revier zeigt: eine Industriebrache, auf der er 15 Stöcke hält. Den Bienen fehlt es an nichts: die Spontanvegetation blüht, etwas weiter ist eine Lindenallee Der Stuttgarter Honigbauer arbeitet ohne Schutz, seine Bienen kennen ihn. Dann wird ein Volk einlogiert, also in seine Behausung eingeführt, dabei sind Geduld und Beobachtungsgabe gefragt.

Wer an einem bewohnten Stock arbeiten will, braucht einen Smoker, den hat jeder Imker. Wenn es nach Rauch riecht (und, wie wir sehen werden, hat jeder Imker sein Spezialrezept für seinen Rauch) glauben, die Bienen es wäre Waldbrand, packen ihre Vorräte für die Flucht, so kann der Imker sich in Ruhe am Stock zu schaffen machen.

Danach besuchen wir im Schwarzwald die Familie Pfefferle, eine „Bienendynastie“ seit Generationen, ein Vorfahre hat ein wichtiges Buch geschrieben. Mit seiner Schwiegertochter, inzwischen auch über sechzig Jahre alt, gehen wir zu den fünfzehn Völkern. Sie kontrolliert, wie groß die Schäden sind, die die Varroamilbe angerichtet hat (drei Völker müssen in Quarantäne) und erfahren, wie unterschiedlich Männer und Frauen als Imker sind. Und wir werden an das große Bienensterben am Oberrhein im Jahr 2008 erinnert, als Neonicotinoide in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, später heißt es: „seitdem kämpfen die Imker für ihr Verbot.“

Länger halten wir uns in Slowenien auf, ein Land, das eine besonders lange Imkertradition hat, und als einziges europäisches Land die Imkerei staatlich fördert. Unser Gesprächspartner ist Franc Sivic, dessen Deutsch einen österreichischen Klang hat und der viel über die Geschichte der Bienen und Menschen im ehemaligen, Habsburg, aber auch im ehemaligen Jugoslawien weiß.

Für den Bienenhalter sind die Rassen wichtig: die heute in Europa verbreitete Carnica ist einfacher zu halten, als stechsüchtigere Rassen. Viele Imker sind begeistert von den Möglichkeiten, selbst zu züchten, schon seit Jahrhunderten werden Königinnen ex- und importiert. Kein Wunder, dass es während der Nazizeit vergleichende Theorien zu besseren Rassen nicht nur bei Bienen gab, bisher (das Buch erschien 2018) haben Imkerverbände dies nicht aufgearbeitet.

Veränderungen der Umwelt beeinträchtigen die Imkerei, überall, wo die Vielfalt der Blühpflanzen zum Verschwinden gebracht wurde, am schlimmsten ist es, wenn nach dem Juli nichts mehr blüht, oder wenn, wie bei Galina in Russland, aufgrund wechselnder Besitzverhältnisse gar nichts angebaut wird, oder dass sie sterben, wie beim Imker in Südfrankreich, der Gifte vermutet, die in der Landwirtschaft verwendet wurden.

Im Nachwort werden neben den ideellen die wirtschaftlichen Seiten der Imkerei zusammengefasst: Der Honigbauer braucht kein eigenes Land, und während der vielen Krisen, die die Menschen auch in Europa immer wieder heimsuchten, erbrachte der Honigverkauf ein Zubrot. Das wäre etwas für Sie?

Als Städterin empfehle als zukünftigen Standort Städte. Wir selbst bringen seit einem Jahr keinen Honig mehr von unseren Reisen zurück. Aber wir nehmen Berliner Stadthonig als Mitbringsel: der ist weniger mit Schadstoffen belastet, als der, den man in Dörfern bekommt. Für den Anfang reicht ein kleiner Stock …


Genre: Biographie, Garten
Illustrated by Rowohlt

Kokoschkins Reise

Solitäre lakonische Diktion

Mit «Kokoschkins Reise» hat Hans Joachim Schädlich einen Jahrhundertroman geschrieben, nicht der Bedeutung nach, sondern inhaltlich. Der in breiten Leserkreisen kaum bekannte Schriftsteller schlägt darin zeitlich einen weiten Bogen, der die politischen Umbrüche und Katastrophen des Jahrhunderts in Europa abhandelt und schließlich sogar 9/11 mit einbezieht. In Anlehnung an die reale Figur des 1918 von Bolschewisten ermordeten, der Demokratischen Partei angehörenden Ministers Kokoschkin ist dessen fiktionaler Sohn Fjodor der Protagonist dieser Geschichte. Seine historische Tour d’Horizon sei quasi ein Nebeneffekt seines narrativen Vorhabens, hat er im Interview erläutert. «Ich wollte wirklich nur eine Geschichte erzählen, in deren Mittelpunkt die Konfrontation eines Einzelnen mit den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts steht».

Dieser ‹Einzelne› ist der 95jährige Exilrusse Fjodor Kokoschkin, der sich am 8. September 2005 in Southampton auf den Luxusliner ‹Queen Mary II› einschifft. Der rüstige Pensionär, ein emeritierter Professor aus Boston, kehrt nach einer Europareise zu den Stätten seiner Kindheit und Studentenzeit nach Hause zurück. Die wechselvollen politischen Verhältnisse und materielle Nöte hatten ihn früh von seiner Mutter getrennt. Nach dem Internat ging er nach Berlin, begann ein Biologie-Studium und flüchtete dann vor den Nazis nach Prag. Glückliche Umstände verhalfen dem mittellosen jungen Studenten durch Vermittlung der dortigen Botschaft 1933 schließlich zu einem Stipendium in den USA, er durfte dorthin auswandern. In Boston schloss er sein Studium ab und gelangte als Spezialist für Gräser und Halme zu akademischen Ehren. 1968 lernte er dann bei einem ersten Europa-Besuch in Prag den deutlich jüngeren Jakub Hlaváček kennen. Dieser Freund hatte Kokoschkin nun auf auch seiner mutmaßlich letzten Europareise begleitet.

Der Roman ist, in der nur wenige Tage dauernden Erzählebene der Gegenwart, neben der Prozedur zur Einschiffung in fünf nach Tagen auf See gegliederte Kapitel unterteilt und endet mit der Ankunft in New York. In Tischgesprächen mit anderen Passagieren, Begegnungen bei den verschiedensten Veranstaltungen an Bord und so manchem Barbesuch erzählt Kokoschkin in der zweiten Erzählebene aus seiner bewegten Vergangenheit. Dabei fungieren seine verschiedenen Gesprächspartner zumeist als reine Zuhörer oder Stichwortgeber, er berichtet in langen Passagen aus seinem Leben. Diese in direkter Rede erzählten Rückblicke enthalten neben den politischen Themen einiges an Intertextualität, vor allem Iwan Bunin wird häufig genannt und in längeren Passagen auch zitiert. Wladislaw Chodassewitsch und seine Frau Nina Berberowa gehören ebenfalls mit zu den engen Freunden von Kokoschins Mutter, sie folgt ihnen schließlich sogar nach Paris. Häufig geht der Protagonist in seinen Erzählungen auf besonders schöne Bauwerke ein, bewundert Kunstwerke und genießt ganz bewusst den Luxus, den er sich als renommierter Wissenschaftler im Alter leisten kann.

Auffallend ist die große Gelassenheit, mit der Kokoschkin aus seinem durchaus nicht immer erfreulich verlaufenen Leben berichtet, ein derartiger Gleichmut den politischen Zumutungen gegenüber ist allenfalls durch die Milde des Alters zu erklären. Hans Joachim Schädlich erzählt seine Geschichte in einer für ihn typischen, hoch verdichteten Sprache, die von der schnörkellosen Verkürzung auf das Nötigste lebt, die bei allem, was sie sagt, vermeidet, es direkt auszusprechen. Der Text wirkt dadurch natürlich eher als nüchterner Bericht denn als mitreißende, angenehm unterhaltende Erzählung. Diese lakonische Diktion, im Feuilleton und in Kollegenkreisen als solitär bewundert, versteckt ihre Botschaft quasi zwischen den Zeilen. Sie erfordert damit einen stets aufmerksam mitdenkenden und sensiblen Leser.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Bis wieder einer weint

Ein schreckliches Kind

Eine der frühen Neuerscheinungen dieses Jahres, der zweite Roman von Eva Sichelschmidt, spielt mit seinem Titel «Bis wieder einer weint» auf die Warnung der Erwachsenen an, wenn Kinder übermütig herumalbern. Weil ja, wer kennt das nicht, oft das Kichern und Getobe plötzlich umschlägt. Die nach Bekunden der Autorin autobiografisch gefärbte Geschichte, beginnend in der Adenauerzeit und bis in die frühen neunziger Jahre hineinreichend, schildert Aufstieg und Fall einer westdeutschen Unternehmerfamilie am Rande des Ruhrgebiets.

«Am 29. Juni 1971 hat niemand fotografiert» heißt es zu Beginn des Romans, es war der Tag, an dem die Mutter der damals knapp zehn Monate alten Ich-Erzählerin beerdigt wurde. An diesen Tag glaubt Suse sich später erinnern zu können, sie hatte eine Blumenvase umgerissen und ihren Laufstall damit unter Wasser gesetzt. Diese nonverbale Erinnerung bezeichnet ein Kinderpsychologe, dem sie am Ende privat von ihrem verkorksten Leben erzählt, als das bekannte Phänomen ‹emotionaler Erinnerung› in Bildern. In permanentem Wechsel zwischen personalem und auktorialem Erzähler wird zunächst die Geschichte von Inga und Wilhelm erzählt, dem glamourösen Elternpaar von Suse. Schönheit und Reichtum kamen da zusammen, die siebzehnjährige Tochter eines praktizierenden Augenarztes eine geradezu strahlende Erscheinung, der zwölf Jahre ältere Bräutigam glamouröser Dressurreiter und erfolgreicher Geschäftsmann. Inga stirbt bald nach Suses Geburt an Leukämie, das Baby wird zu den mütterlichen Großeltern gegeben, ihre sechs Jahre ältere Schwester bleibt beim Vater. Der holt dann aber auch die inzwischen achtjährige Suse wieder zu sich, sie kommt damit unter die Fuchtel der pietistischen Großmutter und leidet sehr darunter. Was sich dann in einer permanenten Widerborstigkeit im familiären Umgang ausdrückt und ebenso in einem eklatanten schulischen Versagen. Sie entwickelt sich zu einer allerseits gemiedenen Außenseiterin und weist keinerlei erkennbare Talente auf, ihre Zukunft bleibt bis zum Ende ungewiss.

Das chronologisch erzählte Geschehen nimmt seinen Anfang in den Jahren der zunehmend prosperierenden BRD, deren wirtschaftlicher Aufschwung auch Wilhelms mittelständische Maschinenfabrik mitreißt. Ein Erfolg, den er in vollen Zügen genießt, er wirft geradezu um sich mit dem reichlich vorhandenen Geld, verwöhnt seine junge Frau und nach deren Tod auch die beiden Töchter. Mit einer überbordenden Fülle an Details, vor allem aus der schillernden Konsumwelt, erzählt die Autorin, den Leser damit auf Dauer ermüdend, Alltägliches aus jener Zeit, – vieles davon ist unübersehbar klischeehaft. Diese materielle Dominanz beeinträchtigt narrativ leider allzu sehr das Seelenleben ihrer Figuren. Deren Psyche bleibt auffallend blass, es wird auch nicht angemessen differenziert beim Blick auf die verschiedenen Charaktere. Denn auch Wilhelm hat seine dunklen Seiten. Vor allem hat er eine heimlich ausgelebte homosexuelle Prägung, er ist mit der ahnungslosen Inga einmal sogar als Gast geladen zu einem Empfang von Arndt von Bohlen und Halbach in der Essener Villa Hügel.

In der zweiten Hälfte kommt endlich ein wenig Schwung in die bis dahin eher langweilige, deutlich zu breit ausgewalzte Geschichte, die Lebenslügen werden entlarvt, die glamouröse Fassade bekommt zunehmend Risse. Denn irgendwann endet auch Wilhelms Firma im Konkurs, die Zeiten haben sich geändert, für ihn eine harte Landung nach den Höhenflügen der glorreichen Vergangenheit. Wilhelm ist zum Alkoholiker geworden, leidet an verschiedenen Krankheiten, er lässt sich nahezu willenlos von seinem Liebhaber finanziell ausnehmen. Den Töchtern bleibt nur die Flucht aus dieser Misere in ein selbstbestimmtes Leben, das für sie ganz bei Null anfängt. Dieser Gesellschaftsroman endet mit dem an Suse gerichteten, resignierenden Satz ihrer Tante: «Du warst wirklich ein schreckliches Kind». Und das ist es auch schon, was sich dem Leser eingeprägt hat am Ende, mehr ist da nicht.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt