Bis zum letzten Tropfen

Lynn lebt in einer Welt, in der nichts mehr selbstverständlich ist. Auf einer einsamen Farm kämpft sie mit ihrer Mutter ums Überleben. Der einzige Luxus, der ihnen nach dem Zusammenbruch der Zivilisation geblieben ist ein Teich hinter dem Haus und damit der Zugang zu sauberem Trinkwasser. Doch als ihre Mutter verletzt wird, ahnt Lynn, dass sie den Teich allein nicht vor Eindringlingen schützen kann. Sie muss das Undenkbare tun: die sichere Farm verlassen und Hilfe holen.

 

 

Mal wieder ein Buch, bei dem der Klappentext doch ziemlich vom tatsächlichen Inhalt abweicht.

Lynn ist 16 Jahre alt und in einer Welt geboren und aufgewachsen, die schon vor längerer Zeit aus den Fugen geraten ist. Wann genau die Geschichte spielt, wird nicht erwähnt, aber ich vermute, um das Jahr 2050, jedenfalls in einer nicht allzu fernen Zukunft. Zuerst wurde das Öl knapp, es gab deshalb zwei Kriege, und dann fehlte das Trinkwasser.

Lynn hat im verlassenen Ohio nie etwas anderes kennengelernt als die alte Farm und hatte, bis auf ihre Mutter, nie Kontakt zu anderen Menschen. Ihre Mutter hat ihr alles Überlebensnotwendige, wie z.b Feuer machen, Gemüse anbauen und einkochen, Wasser reinigen und vor allem das Schießen beigebracht. Menschliche Werte, Mitgefühl oder Anteilnahme hat sie ihr allerdings nicht vermittelt.

Freizeit oder Spaß kennt das Mädchen nicht, denn das Leben ist hart und wenn sie nicht Feuerholz sammelt, Wasser reinigt oder sich um das Gemüse kümmert, dann hockt Lynn stundenlang mit dem Gewehr auf dem Dach, um den Teich vor durchreisenden Fremden zu verteidigen, die sie ohne zu zögern schon aus der Ferne erschießt.

Direkt am Anfang der Geschichte wird Lynns Mutter aber schwer verletzt und stirbt an ihren Verletzungen, so dass Lynn ganz alleine ist. Eher ungewollt kommt sie mit ihrem einzigen, entfernt wohnenden Nachbarn in Kontakt, freundet sich ganz langsam und vorsichtig ein wenig mit ihm an. Die beiden müssen feststellen, dass sich auch in ihrer unmittelbaren Umgebung ein paar andere Leute niedergelassen haben die eventuell zur Bedrohung werden könnten …

Im Gegensatz zum Klappentext verlässt Lynn die Farm nicht, fast die komplette Geschichte spielt sich eigentlich auf der Farm ab. Es geht in diesem Buch auch nicht um große Abenteuer oder Kämpfe, sondern eher um die kleinen Dinge. Es geht um ein isoliert aufgewachsenes Mädchen in einer zerfallenen Welt, das lernt, was Zusammenhalt, Mitgefühl und Freundschaft bedeuten. Eigentlich passiert in der kompletten Geschichte nicht allzu viel und ich denke, dass das Buch vielen deshalb auch langweilig sein könnte. Mir hat es aber sehr gut gefallen, man muss aber schon ein richtiger Endzeitfan sein, um es zu mögen. Die Geschichte ist mit Liebe und Herzblut geschrieben und man bekommt schnell eine enge Bindung zu den Figuren.

Gegen Ende nimmt die Geschichte dann zwar doch noch an Fahrt auf und es gibt ein bisschen Aktion, allerdings ist diese Aktion dann auch wieder recht schnell (etwas zu schnell) vorbei.

Gut fand ich dass es kein „Friede-Freude-Bratkartoffel“-Ende gibt, sondern dass die Geschichte schon ziemlich realistisch und nicht abgehoben endet.

Ein gutes Buch, das ich Endzeitfans auf jeden Fall empfehlen kann.

Mindy McGinnis lebt in Ohio und arbeitet in einer Bibliothek. Neben dem Schreiben sind ihre anderen Leidenschaften das Überleben in der Wildnis und das Einkochen von Konserven.

 


Genre: Dystopie, Endzeitgeschichten, Kinder- und Jugendbuch
Illustrated by Heyne München

Die Schopenhauer-Kur

Liaison von Philosophie und Belletristik

«Einen Roman zu schreiben ist das Beste, was man tun kann» hat Irvin D. Yalom festgestellt, emeritierter Professor der Psychiatrie, und sein Buch «Die Schopenhauer-Kur» von 2005 bestätigt diese These. Im Genre der Teaching Novel hatte Jostein Gaarder schon 1991 mit «Sophies Welt» einen internationalen Bestseller philosophischen Inhalts geschrieben, Yalom gelang dann 1994 mit «Und Nietzsche weinte» sein belletristischer Durchbruch, ein geistreicher Roman, den ich vor Jahren gerne gelesen habe. Und so hat der Name Schopenhauer im Titel des vorliegenden Romans denn auch prompt wieder meine Neugierde geweckt.

Dem Forschungsschwerpunkt Yaloms entsprechend betreut Julius Hertzfeld, Protagonist des Romans, als Psychotherapeut eine kleine, bunt zusammen gewürfelte Patienten-Gruppe. Nach einer niederschmetternden Krebsdiagnose mit prognostizierter einjähriger Überlebenszeit nimmt der 65jährige Julius spontan Kontakt zu Philip auf, einem schizoiden ehemaligen Patienten. Er hatte ihm auch nach dreijähriger Einzeltherapie nicht helfen können, sich aus seiner zwanghaften Sexsucht zu befreien, sein größter beruflicher Misserfolg, zweiundzwanzig Jahre ist das schon her. Nun geht es ihm darum, die ihm verbleibende Zeit zu nutzen, seine therapeutische Arbeit am Beispiel von Philip rückblickend zu bewerten und so – in Anbetracht seines baldigen Todes – noch einen Sinn in seinem Leben zu entdecken. Und es gelingt ihm, Philip, der sich von seiner Sexsucht zwar mit Hilfe der Philosophie hat befreien können, der aber immer noch hochgradig verhaltensgestört ist, zur Teilnahme in seiner Gruppe zu bewegen. Dort kommt es dann zu einem heftigen Zusammenprall mit einem seiner Opfer, eine von hunderten Frauen, die er damals schnell erobert und skrupellos ebenso schnell wieder abserviert hat.

Im ersten der beiden – kapitelweise wechselnden – Handlungsstränge wird erzählt, wie der Protagonist Julius den Schrecken des baldigen Todes mit Hilfe seiner Therapiegruppe zu bewältigen sucht. Die zweite Erzählebene beinhaltet eine anekdotenreiche Biografie Arthur Schopenhauers, gespickt mit vielen Zitaten aus seinen Werken. Philip, Antagonist von Julius in der Gruppe, hatte seinen Beruf als Chemiker aufgegeben und Philosophie studiert, nun will er selbst Therapeut werden und sieht seine Teilnahme als praktische Übung dazu an. Seine Befreiung von der Sexsucht führt er auf seine intensive Beschäftigung mit Schopenhauer zurück. Der nämlich ist ihm ein Bruder im Geiste geworden, genau so introvertiert und pessimistisch, aber auch hochintelligent wie Philip selbst. Die gruppendynamischen Prozesse entwickeln sich aus lebhafter Interaktion, einem Feuerwerk brillanter Dispute zwischen den psychisch stimmig beschriebenen Patienten, ergänzt durch viele anregende philosophische Exkurse, bei denen natürlich Schopenhauer im Vordergrund steht, wer sonst?

Irvin D. Yalom ist das Kunststück gelungen, mit seinem Plot eine intellektuell anspruchsvolle Thematik in eine unterhaltsame und spannende Geschichte umzusetzen, der man die Lust am Erzählen deutlich anmerkt, auch wenn letztendlich nicht alles dabei wirklich plausibel ist. Seine Sprache allerdings ist fein geschliffen, mit brillanten Formulierungen, seine Syntax geradezu mustergültig, was sich beispielsweise in der nahtlosen Einbindung der Dialoge in den laufenden Text ausdrückt. Besonders gelungen fand ich außerdem seine Methode, schwierige Fremdwörter und intertextuelle Bezüge gleich an Ort und Stelle, also nicht erst in einem Anmerkungsapparat, zu erläutern, indem er den ziemlich ungebildeten Tony immer sofort danach fragen lässt, – und meist liefert dann Philip stanta pede die Erläuterung dazu. Hier wird der Leser also mit Narzissmus, Beziehungsproblemen, Alkohol, Sexsucht, Krankheit und Tod konfrontiert, und er kann en passant in vielerlei Hinsicht Nutzen aus dem Gelesenen ziehen, einer ebenso unterhaltsamen wie bereichernden Liaison von Philosophie und Belletristik.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
Illustrated by btb Verlag

Eine englische Art von Glück

Clash of Civilizations

Als in London geborene Tochter jamaikanischer Immigranten bereichert Andrea Levy mit ihrem 2005 erschienenen Roman «Eine englische Art von Glück» die multi-ethnische Literatur des englischen Sprachraums mit einem bemerkenswerten Epos. Wobei sie, anders als zum Beispiel Zadie Smith mit ganz ähnlicher Thematik in «London NW», sehr konventionell erzählt. Ihre Geschichte ist geprägt vom latenten Rassismus in der britischen Metropole, einem Schauplatz, den sie aus eigenem Erleben kennt. Der Roman brachte ihr literarisch den Durchbruch, wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet und landete auf der BBC-Liste der hundert bedeutendsten britischen Romane. Zu Recht?

Der Roman ist auf zwei Zeitebenen angesiedelt, «1948» und «Vorher», wie die entsprechenden Abschnitte überschrieben sind. Da ist zunächst die stolze Hortense, die das Lehrerexamen in Jamaika abgelegt hat und davon träumt, nach England auszuwandern und im Mutterland des British Empire als Lehrerin zu arbeiten. Sie heiratet den eher einfach strukturierten Gilbert, ein ehemaliger Held der Royal Air Force, im Zivilleben Jamaikas allerdings ein Habenichts und Träumer. Hortense schickt ihren Mann nach London, er soll dort beruflich Fuß fassen und sie später nachkommen lassen, – was dann allerdings in einem ziemlichen Fiasko endet. Gilbert ist in einem armseligen Zimmer bei Queenie einquartiert, einer jungen Engländerin, die aus der Metzgerei des Vaters nach London geflüchtet ist und dort Bernard geheiratet hat, einen ebenso farblosen wie bornierten Buchhaltertypen, der mit seinem Vater in einem großen, eigenen Haus wohnt. Enttäuscht von der Ehe meldete Bernard sich zum Kriegsdienst, war später in Indien eingesetzt und ist nach Ende des Konfliktes nicht nach Hause zurückgekehrt, Queenie bleibt ohne Nachricht und will ihn irgendwann für tot erklären lassen. Die lebenslustige Frau hat schließlich eine ebenso kurze wie leidenschaftliche Affäre mit einem farbigen Soldaten, der wenige Tage später nach Amerika versetzt wird, sie wird ihn nie wieder sehen. Als ihr Mann nach Jahren doch wieder auftaucht, ist sie schwanger und bringt schließlich ein schwarzes Baby zu Welt.

In sieben zeitlich wechselnden Abschnitten erzählt die Autorin kapitelweise aus ebenfalls ständig wechselnder Ich-Perspektive von den Illusionen ihrer vier Protagonisten. Es ist ein tragik-komisches Geschehen, das sich ganz allmählich zu einem immer dichter werdenden Beziehungsgeflecht zwischen ihren Figuren entwickelt. Dominante Thematik ist der Rassismus im weißen London, in dem die «Nigger» ständigen Demütigungen und Pressionen ausgesetzt sind. Das städtische Leben im Kriege, wo die Bevölkerung unter den Bombenangriffen leidet, und in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit bildet einen zweiten narrativen Schwerpunkt. Die Romanfiguren trotzen all den Rückschlägen und geplatzten Träumen unbeirrbar mit fast schon stoischer Gelassenheit, wobei dieser Clash of Civilizations zu absurden Situationen und Missverständnissen führt. All dies wird mit einem unterschwelligen Humor erzählt, der allerdings stets jamaikanisch bleibt, also kein typisch englischer, schwarzer Humor ist.

Die grundverschiedenen Protagonisten des Romans werden sprachlich durch individuelle Idiome charakterisiert, die beiden Jamaikaner sprechen ein mit Patois durchmischtes Englisch, Queenies Sprache ist durch Cockney gefärbt, während Bernards korrekte Sprache militärisch geprägt ist. Die virtuos getakteten Perspektivwechsel fördern zunehmend das Verständnis des Lesers für die verschiedenen Charaktere und enthüllen überraschende mentale Gemeinsamkeiten. Atmosphärisch dicht führt uns die Autorin in diverse Milieus ein, was auch die Kolonien mit einschließt, – und den Krieg natürlich, vor dessen Hintergrund sich das Ganze abspielt. Der im ersten Teil etwas zähflüssige, in epischer Breite erzählte Roman nimmt im letzten Drittel Fahrt auf und führt zu einem überraschenden, aber durchaus schlüssigen, melancholischen Ende.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Eichborn Verlag

Der Mann, der Verlorenes wiederfindet

Der Mann, der Verlorenes wiederfindet

Dieser Beichtvater benötigte pro Seele nur einen Blick“, heißt es über den Heiligen Antonius, der in Köhlmeiers Novelle gleich zu Beginn schon im Sterben liegt, auf einem Platz, vor 3000 Zuhörern, bei seiner letzten Predigt. Er hätte hinunterschauen können in einen, wie in einen ausgeleuchteten Brunnenschacht, „dorthin wo die Seele hocke und bocke und leide und hoffe“. Nach seiner Predigt sei er um 3000 Blutstropfen ärmer gewesen, bemerkt Köhlmeier lakonisch, denn er habe jedem Gläubigen mit seinem punktierten Finger zum Segen ein Kreuz auf die Stirn gemacht.

Die Hölle dauert ewig

Als Kind habe er den kleinen Zehen verloren, da er abgefroren war. Wenn er sprach, blickten die Menschen auf seinen Mund, wenn er schwieg in seine Augen. Leider litt der Heilige unter Hochmut, ein “Kind des Teufels”, denn er lernte schnell und wusste viel. Der in Lissabon geborene Fernandus und Zeitgenosse Franziskus’ kam aus guter lusitanischer Familie und hatte an den Universitäten Coimbra, Toulouse, Montpellier und Bologna studiert und sogar gelehrt und sich besonders mit “dem Bösen” beschäftigt. Wie kommt das Böse in die Welt? „Satan ist nur ein Name. (…) Er ist der Name für das Nichts …das eigentlich keine Namen haben kann …Hätte es einen Namen, wäre es nicht das Nichts. (…) Das Nichts ist dort, wo Gott nicht schaut. …und wohin Gott nicht schaut, dort ist das Nichts. (…) Wohin aber Gottes Auge blickt, dort blüht die Schöpfung. Gott ist eine Himmelsrichtung.“, lautet die Antwort, die Köhlmeier seinem Heiligen in den Kopf legt. Aber Köhlmeier weiß auch eine gute Antwort auf die Definition von Hölle, denn bei ihm ist sie nicht „die anderen“, wie bei Sartre, sondern: „In der Hölle ist es wie auf der Erde. Hier wird gequält, dort wird gequält. Nur einen Unterschied gibt es: Die Hölle dauert ewig.“

Erklärung unserer Unzulänglichkeiten

„Satan ist das Es-wird.“ Und das Gegenteil? Die Liebe. Sie ist Gnade. Sie macht alle gleich, Diener und Herr. „Und das Glück gehört nie einem allein. Wenn du glücklich bist, vermehrst du das Glück auf Erden.“, glaubt auch Antonius in Anlehnung an Aristoteles. „Unsere Worte sollen sein wie die Mongolen, die über ein stummes Land herfallen, und wenn sie abziehen, ist kein Handfleck breit übrig, auf dem nicht ein Abdruck der Hufe ihrer Pferde wäre.“ Predigen und Beten. Wobei beim Beten jedes Wort durchdenkt werden sollte, als spreche man es das erste Mal. Auch die Erklärung für die Unvollkommenheit des Menschen ist aufschlussreich: Hätte Gott uns eigenhändig, jeden von uns bis ans Ende geformt, wäre jeder von uns vollkommen und nachdem Vollkommenheit einmalig ist, wären wir alle gleich und es wäre eigentlich nicht nötig gewesen, gleich mehrere von uns zu schaffen. Manchmal arbeite Gott einen Menschen perfekt aus und behalte ein Stück zurück, so wie bei Antonius. Gott habe die Zehe des Antonius als Pfand für sich behalten, damit er ein „Teilchen seines Lieblings immer bei sich trage“. Eine rührende Erklärung, auch für unsere Unzulänglichkeiten.

Alleinsein=Beten

Die Wiederholung ist noch schwerer zu ertragen, als die Hoffnung, zugleich aber gibt sie nicht weniger Trost als diese.“ Liegt darin der Zauber des Betens? „In eines Mannes Herzen sind viele Pläne; aber zustande kommt der Ratschluss des Herrn.“ Ein Mensch ist aber nicht nach dem zu beurteilen, was er weiß, sondern was er liebt. Und auch hier findet Köhlmeier wunderschöne Worte: „Auch Franziskus sprach der Seele das Recht zu, hin und wieder allein zu sein, weil die Schönheit der Schöpfung rein und klar nur aus einem Augenpaar gebührend bestaunt werden könne. Will aber die Seele sich selbst schauen, was nichts anderes bedeutet, als in das ebenbildliche Antlitz Gottes zu schauen, dann muss sie für sich allein sein.“ Dem kann auch Antonius etwas abgewinnen.

Eine Meditation über das wahre Beten und das, was einen Menschen, ganz abgesehen von der Legende, eigentlich ausmacht. Die Erklärung warum ausgerechnet der Heilige Antonius für die verlorenen Sachen zuständig ist, bleibt Köhlmeier allerdings schuldig. Ein Buch wie eine Meditation: langanhaltend und nachhaltig.

Michael Köhlmeier
Der Mann, der Verlorenes wiederfindet
2017, Hanser Verlag, 160 Seiten
Hardcover oder ePUB-Format
ISBN 978-3-446-25645-3


Genre: Novelle
Illustrated by Hanser

Die stillen Trabanten

Melancholische Erzählwelt

Dass Clemens Meyer erzählen kann wie kaum ein zweiter Schriftsteller im deutschen Sprachraum, wird durch sein neues Buch «Die stillen Trabanten» eindrucksvoll bestätigt. Und wie schon in seinem letzten Roman «Im Stein» erschafft er auch in dieser Sammlung von Erzählungen ein düsteres, zerrissenes, melancholisches Bild unserer Gegenwart, in dem die autobiografischen Bezüge den Ton angeben und einen sehr eigenen Blickwinkel zur Folge haben. So liefert die Eisenbahn als meyersches Faszinosum gleich mehrfach den Hintergrund seiner allesamt im deutschen Osten angesiedelten Geschichten. Es fehlt dabei natürlich ebenso nicht das Pferderennen als weitere Leidenschaft Meyers wie auch das spezielle Milieu der Kneipen und Imbissbuden, der Gelegenheitsjobs und prekären Verhältnisse, und es herrscht auch hier die Nacht als geheimnisvoll dunkle Erzählzeit vor. Thematisch wird Verlust in diesen Erzählungen als Leitmotiv ebenso eingesetzt wie die Vergeblichkeit menschlichen Bemühens, – und Humor findet sich natürlich nicht mal ansatzweise.

Der Band ist in drei durch jeweils eine prologartige Szene eingeleitete Teile gegliedert, die ihrerseits wiederum drei Erzählungen enthalten. Es beginnt im Teil «Eins» mit der zarten Liebesgeschichte eines jungen Wachmannes und einer russischen Emigrantin am Zaun eines Ausländer-Wohnheims, die zaghafte gegenseitige Annäherung einer Wagonputzfrau der Eisenbahn und einer Angestellten beim Bahnhofsfriseur, schließlich eine wehleidige Reminiszenz an die ehemalige Strandbahn einer kleinen Stadt an der Ostsee, die nach dem Zweiten Weltkrieg stillgelegt und abgebaut wurde. Der Teil «Zwei» erzählt von einem Wohnungseinbruch und einer verwirrten alten Frau in einem Abbruchhaus, vom Besitzer einer Imbissbude, der vom 14ten Stock seines Hochhauses nächtens auf die Lichter der Trabantenstadt schaut und beim Rauchen im Treppenhaus seiner ebenfalls dort rauchenden, muslimischen Nachbarin allmählich näher kommt. Sodann wird von einem heruntergekommenen ehemaligen Jockey erzählt, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und unbedingt einmal das exklusive Pferderennen auf Eis in St. Moritz miterleben möchte. Im letzten Teil ist zuerst von der Geschichte eines Lokführers zu lesen, der mit seinem Güterzug nachts einen lachenden Mann auf den Schienen überfährt und den dieser Schienensuizid psychisch derart belastet, dass er die Witwe des Selbstmörders aufsucht. Unter dem Titel «Die Rückkehr der Argonauten» beschreibt der Autor in der nächsten Geschichte den Besuch eines Mannes bei seiner Mutter im trostlosen ehemaligen «Kohlenviertel» der Stadt, wo er auch seine Kumpels von früher trifft, und in der letzten Geschichte wird von einem Schriftsteller berichtet, der sich im Exil in Moskau während des Zweiten Weltkrieges mit der Störtebeker-Sage beschäftigt, wobei interessante Bezüge bis in die spätere DDR hergestellt werden.

Aus all dem, was wir da lesen, spricht eine äußerst genaue Beobachtungsgabe des Autors, der die tiefsten menschlichen Befindlichkeiten akribisch ausleuchtet, der narrativ einfühlsam auch die allerfeinsten Regungen und Sehnsüchte atmosphärisch dicht erfasst. Sprachlich gekonnt setzt er dabei oft Zartes unmittelbar neben Härte, bildet stilistisch die raue Realität ebenso ab wie den schönen Traum. Wobei häufig beides ineinander geht bei seiner Erzählweise, was erhöhte Aufmerksamkeit des Lesers erfordert und zudem abrupte Stimmungswechsel bewirkt. Die Erzählperspektiven bei den neun Geschichten wechseln zwischen erster und dritter Person, vieles ist auch in Form des inneren Monologs erzählt.

Diese Geschichten aus den Randbezirken der ostdeutschen Gesellschaft sind mit ihren vielen Andeutungen und unvermittelten Zeitsprüngen wahrlich keine leichte Lesekost. Clemens Meyer findet allerdings für seine sorgsam ausgewählten Themen wunderbar einprägsame Bilder und zieht damit den Leser stimmungsmäßig tief hinein in seine sehr spezielle, melancholische Erzählwelt.

Fazit: erfreulich

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by S. Fischer

Schachteltexte

Schachteltexte herzustellen scheint mir eine ausgezeichnete Idee. Weniger weil ich generell an die Bedeutung des Neuen glaube, wie es Moderne Kunst als Code verlangt, sondern weil diese selbst gewählte Form – das Schreiben von Texten, Gedichten auf zum Teil auch zurecht gerissenen Schachteln – einen gewissen Rahmen vorgibt, der einerseits das Ausufern der Texte verhindert, anderseits den Autor zu oftmals sehr verknappten Aussagen drängt. Und diese sind, wie wir Peter Paul Wiplinger kennen, oftmals schmerzhaft politisch, was meint: zum Himmel schreiende Missstände hält Wiplinger, auch oft über die eigene Schmerzgrenze gehend, schonungslos fest.

Waren es in den ersten Schachteltexten (ab 2007) oftmals noch Erinnerungen an die Nazizeit, die er aus aktuellen Anlässen oder würgenden Reminiszenzen in die Schachtelform presste, so überschwemmen (irgendwie grenzenlos) die Eindrücke der vielen ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer seine Seele und sein Schreiben. Wiplinger kann oder will nicht mentale Grenzen errichten, die sein Mitleid, seine Wut, seinen Schmerz abdämpfen und filtern; so schreibt und schreit es aus ihm heraus – ein Berserker des Mitgefühls oder ein zorniger Heiliger und mit-leidender Agnostiker, der Gott und die Welt anklagt für all das Trübsal, das die Menschheit schlägt. Auf Karton gefasst mittels Filzstift und anderem entsprechenden Schreibgerät entbehrt die Sammlung seiner Autographen nun keineswegs einer feinen Ästhetik, die sich aus dem Farbhintergrund ergibt, dem ansehnlichen Schriftbild und der Form der Schachteln – deren Umrissen, Löchern oder Aufschriften, die er in seine Arbeit miteinbezieht.

Es sind jedoch nicht ausschließlich politische, anklagende Schriften, die in dem umfangreichen Band gesammelt wurden. Etwa titelt ein Schachteltext: „Nur Klugsein hilft nichts!“. Er setzt fort: „Man muß auch ein G’spür für den Menschen haben, sagte meine Mutter, als ich so halb-erwachsen war. // Und heute, da ich so alt bin, wie sie damals war, als sie mir diese Wahrheit mitgab auf meinen Lebensweg, weiß ich, wie recht sie damit hatte, als sie das zu mir sagte, und ich nur so halb hinhorchte auf das, was sie mir immer wieder sagte. // Ja, man muß auf den Menschen schauen, auf alle und auf jeden einzelnen Menschen, ansonsten geht man am Leben und an sich selbst vorbei.“ Weisheit sprich auch aus folgendem Autograph: „Gedankengefängnis. Immer in Gedanken sein, sich ständig etwas was auch immer denken, denken – dies müssen! das sich in einem Gedanken-gefängnis befinden, eingesperrt sein in seine Gedanken, in sein Ich!“

Originell ein Text der sich „Bankgeschäfte“ nennt und auf einer Papiertragtasche der Bank Austria/Uni Credit geschrieben wurde, in dem Wiplinger Banken, Reiche, Diktatoren anklagt. Auf einer weißen Tragtasche am Beginn des Bandes verfasste Wiplinger einen der ersten Schachteltexte. Großhandelsketten und Lebensmittelmultis wären gesegnet, griffen sie solch auserlesene Idee auf, ihre Papiertragtaschen mit Gedichten aufzuwerten, auf dass die Kunden von Morgen in den Öffis statt auf ihre Smartphones zu starren je die Einkaufstaschen des Gegenübers zu ergründen suchen. Auch höchst Poetisches liest sich in dem starken Band: „Silbern glänzt der Tag doch tiefblau ist die Nacht singst ein Lied und sagst ein Wort mündest in Schweigen achte darauf, daß die Sonne dich nicht verbrennt und daß der Mond dich weder trunken noch schlaflos macht! // Silbern glänzt der Tau am Morgen auf Gräsern und Gesträuch und manchmal wie eine Träne auf deinen Wangen, Geliebte. // Umrunden wir unser Leben wie in einem Segelflugzeug, lautlos schwebend in den Lüften, hoch über der Erde, schwerelos und wie im Traum…“ Man täte P.P. Wiplinger jetzt jedoch unrecht, das gesamte Gedicht zu zitieren. Ein Überhang an Poesie, an privater Stimmung, an Rosen, Nacht, Silber verwischte die drängende Brisanz des Gesamteindrucks – der ist eher im folgenden Schachteltext vorzufinden: „Das Boot ist gesunken, die Menschen treiben hilflos im Meer, Frauen halten ihre Kinder fest an ihren Kleidern, Männer schreien, Alte versinken als erstes, ganz lautlos, Frauen müssen sich entscheiden, welches Kind sie als erstes loslassen; eines nach dem anderen ertrinkt, zuletzt auch die Mutter. Mit dem Rücken nach oben treiben sie im Meer im hohen Wellengang; ein Bild wie in einem Film, aber das alles ist Realität!“ (29.3.2016).

Auch wenn sich der Autor sehr wohl der Begrenzungen, die sich aus Ressourcen für Integration und Kulturanpassung ergeben bewusst ist, im grenzenlosen Herzen ist er ein großer Mitfühlender, der bei allen Bedenken eine laute Stimme für das Individuum, für die gepeinigte Kreatur von der Vergangenheit bis ins häufig bittere Heute erhebt. Womit er es sich ebenfalls persönlich oft schwer macht, wie ein Schachtel-Text, der seinen Unwillen, sich nicht immer aufzuregen, bezeugt… gesünder vielleicht wäre es bisweilen nicht hinzuschauen. Peter Paul Wiplinger aber sieht genau. Für mich unterscheidet er sich wesentlich von den Negativ-Schreibern moderner Attitüde, die sich dem Gegenwartsdiktat der Schwarzmalerei und der Zerrissenheit verschrieben haben. Er scheint vom Schmerz wahrlich übermannt, nimmt ihn nicht als ästhetischen Kniff, als Rahmen innerhalb dessen formuliert und fabuliert werden darf. Sein Schmerz reicht tief bis in die eigene Seele – von dort heraus dröhnt der manches Mal gar unmenschliche Schrei. Doch dort warten auch Versöhnung, Hingabe und Geduld: Weisheit, die zu finden er sich jedenfalls bereit zeigt, wobei der kontemplative Akt des mit der Hand leserlich, nahezu schön Schreibens, was desgleichen die Gedanken zähmt, nicht zu unterschätzen ist. Sodass Wiplingers Schachteltexte wohltuend von den Gegenwartsaposteln der Finsternis abweichen.

Manfred Stangl
Rezension zuerst erschienen in Pappelblatt Heft 12/2017
Peter Paul Wiplinger: „Schachteltexte 2007 – 2016“, edition pen – Löcker, Wien 2017, 327 Seiten, ISBN: 978-3-85409-856-0, Euro 49.-


Genre: Gedichte
Illustrated by Löcker Wien

Meine Sehnsucht wandert mit dem Sand

Die Gedichte Lieselotte Stieglers sind tatsächlich in dem Sinn Ge“dichte“, dass sie zu allermeist sehr knapp angelegt wurden. Auf überflüssiges ist verzichtet, dennoch nicht die Lyrik geschmäht, weil Stieglers Metaphern schön sind, das Spiel mit den Worten gekonnt und ihre Dichtkunst ausgereift ist. Wir sehen vor uns einzelne kleine Meisterwerke, wie Blüten auf einer Wiese: violette, gelbe, ziegelrote, doch ihre kurzen Gedichte hängen irgendwie auch alle zusammen. In „Andalusien“ etwa wachsen Dornen und Jasmin auf Ziegeldächern, das nächste Gedicht heißt: Dornen. Zuvor bereits besingt sie Lorca, erklingen die Jondos in Granada. Also bilden die einzelnen Blüten im exquisitesten Sinn eine Blumenwiese, an deren Ende zum Stadtrand hin sie jedoch vertrocknet und dürr daliegt – die politischen Gedichte gegen Schluss des Bandes.

Keinesfalls möchte ich von der Sammlung der Blüten in diesem Band sprechen. Denn Stiegler schreibt: „Pflücke nicht die Blume, die aus den Wolken wächst.“ Und warnt davor, uns die Worte untertan zu machen, um die damit umrissene Welt durch unsere Ratio zu fesseln. Sie selbst streift diese Fesseln immer wieder ab, schält sich aus den zu engen Wörtern heraus, speziell die der bannenden Liebesbeziehungen. Dann solche, die einen zu engen kneifenden Heimatbegriff beschreiben.

Poetisches, persönliches und politisches fließen im Gedichtband fast übergangslos ineinander: eine weitere Stärke des Büchleins. Flucht ist keine leichte Entscheidung. Eine tödliche Heimat für eine gemeine zu tauschen kein Honiglecken. Stieglers Empathie ist klug: sie fragt, wie sehr wir als Individualisten denn selbst wünschen „integriert“ zu sein.

Auf gewisse Weise haben wir ein einziges langes Gedicht vorliegen, dessen Pfad zwischen Sandelholz und Mandelbaum bis auf die Schutthalden der Gegenwart führt. Doch sie trauert nicht, beklagt nicht jammernd modernistisch die Existenz sondern hält Jubel und Kritik in ausgeglichener Schwebe, sodass wir von gekonnter ganzheitlicher Literatur sprechen können. Zumal die Gedichte verwurzelt bleiben, an der Erde haftend, wenn auch zum Himmel, in die Ewigkeit weisend. Abgehoben aber kommen sie beileibe nicht daher. Eher in einer wohltuenden Harmonie: vielleicht nicht wie ausgerissene Blumen, aber getrocknete Samen und Früchte und Blütenblätter, die nach Lavendel, Sandelholz und Orangenblüten duften.

Als Nachtrag möchte ich kurz auf das außergewöhnliche Cover von Sonja Henisch eingehen, das eine Seherin zeigt. Ein Bild, das die Attribute weiblicher Rundheit und Weisheit trägt, aber nicht barsch sexuell zu deuten ist. Die Figur ist unrealistisch gemalt, der Arm speziell kein menschlicher: eben weil es „die Seherin“ ist, die weist… die Scham ist nicht aus modemodernen Gründen rasiert, sondern verweist auf das Ungeschlechtliche wenngleich nicht Asexuelle – übersexuell wäre wohl das richtige Wort: Arm sowie die breiten Schultern spiegeln den männlichen Anteil wider, Becken, Rundungen, das lange Haar den weiblichen, die Gesichtslosigkeit entwürdigt nicht das Weib, sondern steht für das Überindividuelle. Die Chakra-Farben stellen die Figur ins richtige Licht. Die Nacktheit der Figur generell ist das Indiz unserer Nacktheit/Bloßheit vor dem Göttlichen/der Göttlichen Mutter. Sie hat nichts mit dem neoliberalen Entblößungsgeschäft des Kaufwertreizes gemein. Der Betrachter möge seine Augen schulen, bzw. öffnen, um nicht allein seine Vorurteile zu erblicken, sondern sich zu erweitern. Wie gesagt, ein spezielles Bild, das in die Zukunft weist, und die Gedichte Lieselotte Stieglers herrlich interpretiert.

Lieselotte Stiegler: „Meine Sehnsucht wandert mit dem Sand“, edition sonne und mond, 2o17, brosch, 7o S, ISBN: 978-3-9503442-3-3; 9.- € erhältlich unter bestellungen@sonneundmond.at


Genre: Gedichte, Lyrik
Illustrated by edition sonne und mond

Tagebuch II

Eine Rezension über Tagebücher zu schreiben mutet heute höchst bizarr an. Ich verfasse seit 3o Jahren Rezensionen, und noch niemals kamen mir Tagebücher unter. Welcher Verleger würde das Risiko eingehen, Gedanken, Spinnereien, Schwärmereien eines Autors zu veröffentlichen, wo die Romanform die Mindestanforderung an den jungen Dichter ist, jemals publiziert zu werden. (Besser wäre natürlich gleich ein Krimi). Und Wald? Ha – dass wir nicht lachen. Der eignet sich bestenfalls als Fundstätte für eine Leiche…
Matthes & Seitz gebührt Lob für die Veröffentlichung der Tagebücher II mit Abschriften aus den Jahren 184o -185o anlässlich des 2oo jährigen Geburtstag Thoreaus im Juli 2o17. (Tagebuch I erschien 2o16; geplant ist die Herausgabe von insgesamt 12 Bänden).
Wahrlich: welch großes Vergnügen bereitete es mir, diese Tagebücher durchzublättern. Manches zu überfliegen, einiges zweimal, anderes öfter zu lesen – speziell wo Stellen zu finden waren, die mit dem späteren Hauptwerk von Thoreau „Walden – Leben in den Wäldern“ ident waren. Da las ich nach, achtete auf Unterschiede zum später herausgegeben „Walden“ und freute mich, manches in breiterer, ungeschliffenerer, oft wilder, wäldischer Form anzufinden als im bekanntesten Buch des Dichters.
Ich möchte Thoreau einen Dichter nennen. Seine Naturschilderungen reichen an Poesie, seine Vergleiche mit der Antike an hohe stilistische Fertigkeit, gepaart mit aus Interesse erworben Wissen: deutsche, englische Romantik, Goethe, Kant, die Klassiker von Marlow über Shakespeare hin zu den Lake Poets – alles kennt er sehr genau. Und weiß es vortrefflich miteinander zu verbinden. Wie ein Wald stehen die Buchstaben, die Werke jener Großen, grün stark, oft dicht und undurchlässig – aber Thoreau kennt Pfade, Wildsteige durch Geäst und Gestrüpp – und findet genau dorthin, wo er anzukommen gedenkt. In der Mitte der Natur.
„Ich denke gern an Siebenschläfer…“ lautet ein rührender Beginn einer Notiz. Oder: „Mein Tagebuch soll die Aufzeichnung meiner Liebe sein.“ Oder man liest. „Der Liebende ist der einzige Wissenschaftler – der den Wert von Großherzigkeit und Wahrheit kennt.“ Thoreaus Wahrheit und Liebe ist die Natur: „Alle Teile der Natur gehören zu einem Kopf wie die Locken zu einem Mädchenschopf. Wie schön fließen die Jahreszeiten, als wären sie ein einziges Jahr, und alle Flüsse ein einziger Ozean. In all ihren verschiedenen Erzeugnissen entwickelt sie nur ihre eigenen Keime – der Habicht, der jetzt über die Wipfel der Bäume fliegt, war vielleicht zuerst nur ein Blatt, das zu ihren Füßen flatterte. Aus den raschelnden Blättern wurden im Lauf der Jahrhunderte der stolze Flug und der helle Jubelgesang des Vogels.“ Wer sonst nimmt sich die Zeit, hat die Gelegenheit ausführliche Gedanken über die Natur anzustellen, bzw. sie gar höchst akribisch zu beschreiben, wie er es mit einigen Fischarten der Concord umgebenden Flüsse und Seen macht. Zu Erzählen ist insofern eine Zumutung. Die Handlung einer Geschichte, eines Romans treibt den Leser vorwärts. Kann günstigenfalls einige Naturabschnitte zeigen, in der das wesentliche: die Story sich abspielt. Meist verkommt die Natur als Kulisse für die Menschenbekümmernisse, aber ja selbst die Welt der Menschen wird als Kulisse missbraucht für die Entwicklung eines Spannungsbogens. Solche findet man naturgemäß in Tagebüchern nicht. Dafür Thoreuas Aufforderung: „Anstatt die ohne hin trägen Bauern an ihrem Ruhetag am Wochenende … mit einer weiteren schlurfigen, ellenlangen Predigt zu verdrießen, sollte der Prediger mit Donnerstimme sie Innehalten und Einfachheit lehren. Macht halt! Warum die Hast!“
Thoreau predigt, wie in Walden die Einfachheit, doch auch die Übertreibung. Dabei jedoch unterliegt er keinem Widerspruch. Denn in der Übertreibung versteht er ein ästhetisches Mittel auf die Schönheit, auf die Liebe aufmerksam zu machen. Er fürchtet nicht als Romantiker belächelt zu werden. Er ist einer. Dementsprechend lieber noch mehr Übertreibung. „Der Wert dessen, was wirklich wertvoll ist, kann nie übertrieben werden. Dem Schwerhörigen gegenüber muss man laut sprechen. Um irgendeinen, selbst den einfachsten Menschen schätzen zu können, muss man ihn nicht nur verstehen, sondern muss ihn zuerst lieben; und nie gab es eine größere Übertreibung als die Liebe.“
Thoreau verführt mit einfacher Beschreibung der Natur. Wenn ich in Thoreaus Tagebüchern blättere, erlebe ich es wie Wörtersammeln, schöne, natürlich gebaute Sätze, die ich ins Album einer Rezension kleben mag, – analog dazu, wie er die Dichtung versteht. Dichtung ist das was Natur ist. Alles andere, darüber hinaus sei Eitelkeit, Unvermögen oder bestenfalls Pfad zum Wahren. Man darf Thoreaus Weisheit mitnichten unterschätzen, wo er mit Yogameistern auf einer Baumwurzel inmitten eines Kiefernwaldes sitzen könnte. „Einen schönen Nachmittag, einen himmlischen Nachmittag, kann es nur geben, wenn wir unser Vergnügen dadurch mindern, dass wir nicht all unsere Tage verschönern. Der Gedanke an das, was ich bin, an mein beklagenswertes Verhalten, hindert mich daran, mich über die herrlichen Tage zu freuen, die mich besuchen. … Ich denke oft, ich könnte meine Tage zufrieden in einem abgelegenen Landhaus, das ich gerade sehe, verbringen; denn ich sehe es jetzt als eine günstige Gelegenheit und nicht als Belastung: ich habe meine öden Gedanken, meine prosaischen Gewohnheiten noch nicht hineingeschleppt, die mir die Landschaft vergällen. Was ist diese Schönheit in der Landschaft denn anderes als eine gewisse Fruchtbarkeit in mir selbst? Ich erwarte vergeblich, sie anderswo als in meinem eigenen Leben verwirklicht zu sehen. Wenn ich ganz aufhören könnte, über mich beschämt zu sein, dann wären alle meine Tage schön.“
Wenn unsere Gesellschaft endlich bereit ist, intelligente Selbstbeschränkung zu üben, nur das zu begehren, was sie unbedingt braucht, wie Thoreau in Walden bemerkenswert aktuell schildert, wenn diese Selbstbescheidung die Naturzerstörung, den Klimawandel, und die Ausbeutung dritter für unseren überflüssigen Wohlstandsglauben zu kappen beginnt, dann wird man Thoreau als den Prediger der Wälder ehren, und seine Schriften wie edle Gewürze und getrocknete Heilkräuter behandeln.
Manfred Stangl
Henry D. Thoreau: „Tagebuch II (Wasser und Feuer)“, Matthes & Seitz, Berlin, 2o17, geb., 378 S


Genre: Tagebücher
Illustrated by Matthes & Seitz

Ljubljana

Ljubljana: 5 Routen durch die Hauptstadt Sloweniens, Ljubljana, die „Geliebte“, bietet dieser Falter Reiseführer aus der Reihe City Walks. Neben den gut durchdachten Spaziergängen durch die Geschichte Ljubljanas wird aber auch eine Menge an praktischen Tipps geboten: Kultur, Sightseeing, Shoppingtipps und Öffnungszeiten von Museen sowie Nightlife.

„Geliebte“ und Grüne Hauptstadt Europas

Ljubljana bietet neben der stadteigenen Burg auch idyllische Altstadtgassen, quirlige Hotspots, ruhige Grünoasen sowie viele empfehlenswerte Restaurants und Cafés. Der slowenische Architekt Jože Plecnik, der auch in Wien und anderen Städten der ehemaligen Monarchie seine Spuren hinterlassen hat, wird ebenso näher betrachtet, wie Jugendstilbauten und die Parks der grünsten Hauptstadt Europas (Auszeichnung durch die Europäische Kommission 2016). Aber auch das Nachtleben hat es in sich, wie die ansehnliche Menge an Ausgehtipps dieses Reiseführers zeigt. Wie viele andere Städte auch hat Ljubljana, was man mit „Geliebte“ übersetzen könnte, auch einen Fluss, den Ljubljanica, aber wohl kaum woanders findet man so viele Cafés und Geschäfte entlang einer Uferpromenade wie in Ljubljana, das Deutschsprechenden auch als Laibach bekannt ist. Auch dafür bekam die Stadt übrigens einen Preis, den European Urban Public Space: die verkehrsreichste Straße der Innenstadt, die Slovenska cesta, wurde kurzerhand zu Fußgängerzone erklärt.

Drachen, Plecnik und die Antike

Wer schon einmal in Slowenien war, wird sicherlich auch das bekannteste dortige Bier, das Union (gegründet: 1864), getrunken haben. Auf dessen Bierdosen findet sich ein Drache, der nicht nur ein Emblem des Bieres ist, sondern natürlich das Wappentier der Stadt. Es gibt im Zentrum auch eine eindrucksvolle Drachenbrücke, die daran erinnert, dass Jason in den Sümpfen der Stadt einen Drachen getötet haben soll, als er mit seinen Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Flies war. Die vier Drachen der Zmajski most (Drachenbrücke) stammen von Jurij Zaninovic, einem Schüler Otto Wagners und wer diese Route fortsetzt, kann bald in der Slascicarna pri (Konditorei zum Brunnen) einkehren, bevor er den Aufstieg zur Burg wagt. Aber auch dort wird man kulinarisch verwöhnt, wie der Reiseführer erwähnt. Die zweite Route geht auf den Spuren Joze Plecniks bis zum Plecnik-Haus, das heute ein Museum ist. Route3 erklärt, was die griechische Antike für die Slovenska cesta und Ljubljana für eine Rolle spielt(e) und Route 4 bringt genügend Argumente vor, warum die Stadt zur European Green Capital gekürt wurde: Von „Park zu Park durch die grüne Hauptstadt Europas“ heißt diese Tour. Zuletzt wird in Route 5 auch das Nachtleben erleuchtet: etwa „Zoo“, eine ehemalige Tabakfabrik oder Klub Tiffany im Künstlerviertel Metelkova. Natürlich kommen auch kulinarische Genüsse nicht zu kurz, im Anhang befindet sich auch ein Verzeichnis nützlicher Adressen, ein Register und ein kleiner Sprachführer.

Simon Ošlak-Gerasimov

Ljubljana. 5 Routen durch die Hauptstadt Sloweniens.
Geschichte, Kultur, Sightseeing, Essen, Trinken, Stadtleben
ISBN: 9783854395935
2017, Falter Verlag, 136 Seiten
Reihe: City-Walks
€ 12,90


Genre: Reiseführer, Städte
Illustrated by Falter

Boston: Sacco und Vanzetti

Boston von Upton Sinclair

Boston 1927: Die Hinrichtung der beiden italienischen Anarchisten Sacco und Vanzetti für einen Raubüberfall, denn sie nicht begangen hatten, rief international ein großes Echo hervor. Aber schon zuvor hatten sich namhafte Intellektuelle für deren Freilassung eingesetzt. Eine internationale Bewegung zur Befreiung der beiden Unschuldigen hatte sich zwischen 1922 und 1927 formiert, aber dennoch wurden sie am 23. August hingerichtet. Erst 50 Jahre später erfuhren sie (sehr) späte Gerechtigkeit durch den Gouverneur von Massachusetts, Michael S. Dukakis: „The trial and execution of Sacco and Vanzetti should serve to remind all civilized people of the constant need to guard against our susceptibility to prejudice, our intolerance of unorthodox ideas, and our failure to defend the rights of persons who are looked upon as strangers in our midst.“

A Contemporary Historical Novel

Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti wurden zu Sündenböcken der „Bolschewistenpsychose des amerikanischen Bürgertums“ (Albrecht Graf Montgelas) und wurden mehr für ihre politischen Anschauungen und ihre Herkunft verurteilt, als für ein vermeintliches (nicht) begangenes Verbrechen. Die erstmals in der amerikanischen Literaturzeitschrift The Bookman von Februar bis November 1928 erschienene Geschichte von Upton Sinclair mit dem Titel „Boston“ ist genremäßig ein Zwitter zwischen Fiction und literarischer Chronik, der Untertitel des Originals verrät dies: „A Contemporary Historical Novel“. Sinclair recherchierte für seinen Roman mehrere Monate lang und der kann als Fortsetzung des politischen Aktivismus des Autors mit künstlerischen Mitteln bezeichnet werden. Die Parallelgeschichte über Business und High Finance Kreise in New England (die Ostküsten-Sippe Thornwell) Anfang des 20. Jahrhunderts vermischt sich mit dem dokumentarischen Sacco und Vanzetti Teil des Buches, wie auch Dietmar Dath im Nachwort schreibt. Die sympathische „Aussteigerin“ Cornelia Thornwell fungiert als Bindeglied zwischen den beiden Klassen und Lebenswelten.

Sacco und Vanzetti: 90 Jahre Unrecht

Upton Sinclair sei damals dem Vorwurf, sein Roman sei eine „Hagiografie zweier Anarchisten“ oder eine Art „linkes Passionsspiel“ ausgesetzt gewesen. Pointierter noch drückt Dath die Vorteile der vorliegenden Neuübersetzung bei Manesse mit den folgenden Worten aus: „Deshalb wurde in der Neuübersetzung gewissenhaft darauf geachtet, den Rededuktus der Romanfiguren unverfälscht zu erhalten oder adäquat nachzuahmen – sei es das floskelhafte, gestelzte, stets auf Dezenz und Wahrung des schönen Scheins bedachte Idiom der Bostoner Brahmanen, sei es der den Begrifflichkeiten der politischen Theorie verpflichtete Jargon gesellschaftskritischer Aktivisten“. Die Italianismen der beiden Protagonisten, von einer defizitären Diktion der Immigranten gekennzeichnet, werde überzeichnet, ohne dabei den Eindruck geistiger Simplizität zu suggerieren. Tatsächlich spricht der Vanzetti des 20. Kapitels schon viel flüssiger als der des 2. Kapitels.

Ein Buch über eine Zeit in der Ausdruck „Picknick“ noch ein revolutionärer politischer Kampfbegriff war, denn es wurde mit dem harmlosen Begriff eine Zusammenkunft zur politischen Aktion bemäntelt. Ein Fanal für die Justiz eines Rechtsstaates und eine ewige Mahnung an Toleranz und den Mut zur Wahrheit.

Upton Sinclair
Boston. Roman
Gebundenes Buch, Leinen mit Schutzumschlag
Manesse Verlag Zürich, 1025 Seiten
ISBN: 978-3-7175-2380-2
€ 42,00 [D] inkl. MwSt. 
€ 43,20 [A] | CHF 51,90* 
(* empf. VK-Preis)


Genre: Historischer Roman
Illustrated by Manesse Zürich

Franziskus von Assisi

Der Heilige Franziskus in einer umfangreichen Biographie

Franziskus von Assisi: Eine „zeitgemäße“ Darstellung des Lebens und Wirkens von Franziskus liegt im Interesse des Autors, der den „Gaukler Gottes“ auch gerne mit seinem Spitznamen „Poverello“ anspricht, was so viel bedeutet wie der „kleine Arme“. Denn die Darstellung des Heiligen habe sich kontinuierlich – je nach den geistigen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen – geändert: von der chevalaresken Tradition als Troubadour und Christus-Ritter bis hin zum Kirchenkritiker und Vorläufer von Martin Luther oder wehrloses Opfer päpstlicher Machtpolitik. Franziskus wurde aber nicht nur von den Faschisten funktionalisiert, sondern auch von den 68ern oder der Befreiungstheologie. Zeit also, sich dem echten Franziskus zu widmen.

Franziskus: Der sanfte Rebell

Franziskus von Assisi (1181–1226), geboren als Giovanni di Pietro di Bernardone wurde als Sohn wohlhabender Eltern geboren. Sein Vater hatte ein Tuchgeschäft und gehörte dem reichen Bürgertum, nicht aber dem Adel an. Ein Bürgerkrieg zwischen den minores und den maiores prägte die Jugend des jungen Heiligen, der sich alsbald als Ritter seine Sporen verdienen wollte. Die zweite Phase seines Lebens sei aber von einem allmählichen Bekehrungsprozess gekennzeichnet gewesen, in dem er sich den Aussätzigen und Randständigen der Gesellschaft zuwendete und ein mythisches Erlebnis in der Kirche San Damiano ihn schließlich überzeugte, sein Leben Gott zu widmen. Dieter Berg unterscheidet insgesamt fünf Phase im Leben des Poverello, die er mit Quellen und historischen Methoden untersucht hat.

Methodisch aufschlussreiche Studie

Methodisch handle es sich bei dieser Biographie um eine Kombination von einem biographischen Längsschnitt und problemorientierten Querschnitt, wie Dieter Berg selbst vorausschickt. Den Hauptteil des Werkes bilden systematische Ausführungen zu wesentlichen Aspekten des Lebens und Wirkens von Franziskus sowie seiner Zielsetzungen. Dieter Berg bettet den Poverello aber auch in seine Zeit ein, denn er war nicht der einzige, der die Amtskirche reformieren wollte. Robert von Arbrissel, Peter von Bruys oder Heinrich von Lausanne und Arnold von Brescia hatten ähnliche Anliegen wie Franziskus und wandten sich genauso wie er gegen Reichtum und Macht und forderten zu einem Leben nach dem Vorbild der Urkirche auf. Petrus Waldes aus Lyon etwa verteilte seinen Besitz an Arme mit dem Erfolg, dass er wie viele andere Laiengruppen etwa die Humiliaten, Katharer oder Waldensern von der Kirche als Ketzer exkommuniziert wurde. Eine „Phänomenologie der Häresie“ wurde 1184 festgelegt und Papst Innozenz (1198-1216) schuf die Päpstliche Inquisition.

Weitere Einzelheiten zum gesellschaftlichen und historischen Umfeld sowie Franziskus’ Schrifttum, Existenz und Charisma sowie der Weiterentwicklung des Ordo Minorum erfährt man in dieser lesenswerten Biographie von Dieter Berg über Franziskus, nach dem sich auch der jetzige amtierende Papst benannt hat. Ein Kapitel beschäftigt sich auch mit Franziskus’ Nachleben in Film und TV.

Dieter Berg
Franziskus von Assisi. Der sanfte Rebell.
Originalausgabe
Geb. mit Schutzumschlag.
Format 15 x 21,5 cm
298 S. 34 Abb.
ISBN: 978-3-15-011146-8
Reclam Verlag


Genre: Biographien, Religion
Illustrated by Reclam Verlag

Krafttiere

Krafttiere: Wieder steht ein Jahreswechsel an und mit ihm die guten Vorsätze für das kommende Jahr. Viele Menschen spielen am Vorabend, dem nach dem Heiligen Silvester benannten Abend, diverse Gesellschaftsspiele. Eines davon könnte auch das Kartenlegen sein und da es nicht immer ausschließlich Tarotkarten sein müssen, vielleicht dieses Jahr die Krafttiere-Karten, damit das Neue Jahr gut getankt neu beginnt? Auf den Schwingen des Adlers etwa oder den Blicken der weisen Eule?

Silvesterunterhaltung mit Helfertieren

 

Diese Originalausgabe besteht aus einer Schmuckschachtel, einem Buch mit 60 Seiten, 49 Karten im Format 95 x 140 mm und vielen Informationen zu den Krafttieren, darunter Eule, Fuchs, Adler und 46 weitere, insgesamt also 49. Das ausführliche Booklet mit 60 Seiten erklärt, wie man mit die Karten benutzt und beschreibt jedes Tier mit seinen besonderen Eigenschaften.  Man kann es dem Zufall überlassen, oder selbst wählen, das jeweils eigene Krafttier wird in jedem Fall helfen, das Neue Jahr gut beginnen zu lassen.

Neue Gedanken für ein neues Leben

Ein Helfertier lässt sich mittels einfachen Kartenziehens eruieren. Damit wähle man dann bewusst – oder unbewusst – die „Fährte der Inspiration“, denn Kartenlegen dient ja hauptsächlich dazu, sich neuen Gedanken auszusetzen und sie für sich selbst zu adaptieren. Das kann oft zu Lösungen führen – oder noch mehr Problemen. Aber die Helfertiere haben ja die Aufgabe, Sie über diese Stromschnellen hinwegzuführen. Nach dem Mischen und Ziehen der Karten, sollte man sich den Text im Booklet dazu gut durchlesen und sich zu neuen Gedankengängen verführen lassen. „die Fragen müssen immer an die Realität angebunden sein“, schreiben die Herausgeber, „egal ob sie in die Vergangenheit oder Zukunft führt“.

Regula Meyer / Karin Lurz
Krafttiere und ihre seelischen Botschaften
Set mit Booklet und Karten
ISBN: 9783868267686
Umfang: Set (Buch + Karten)
2017, Königsfurt-Urania Verlag
17,95 €

Eine liebevolle Geschenkidee zu jedem Anlass. Für Jedermann.


Genre: Spiele
Illustrated by Königsfurt Urania

Bewusst fasten

Fasten mit dem Profi: Rüdiger Dahlke

Bewusst fasten: Wegbegleiter und Wegweiser sind die Bücher von Ruediger Dahlke allemal, hat er sich doch schon 1980 für einen bewussteren Lebensweg entschieden und dieses Buch nun in einer Neuausgabe beim Königsfurt-Urania Verlag herausgebracht. Der 1951 geborene Dahlke ist Arzt, Psychotherapeut, Referent und Bestseller-Autor, einige seiner Bücher wurden in 28 Sprachen übersetzt.
Seine Schwerpunkte sind ganzheitliche Psychosomatik, „Krankheit als Symbol“ und vegane Ernährung. Er betreibt seit mehr als drei Jahrzehnten Seminare zu diesen Themen und das vorliegende Buch ist ein guter Einstieg in sein Leben und Werk.

Solve et coagula

Bewusst fasten – das Buch entstand Ende der 1970er Jahre als lose Blättersammlung – wurde zu Beginn von Dahlkes Karriere noch belächelt, doch heute gelte es bereits als wissenschaftlich erwiesen, dass das Fasten gesunde Körperzellen stärkt und kranke schwächt. Es könne mit Fasten sogar Erfolg bei Geisteskrankheiten erzielt werden und auch gegen Krebs kann es unter Umständen Wunder wirken. Denn wer fastet, beschäftigt sich mit seinem Unbewussten, den eigenen dunklen Seiten, den Schattenseiten und dem Verdrängten. „Fasten ist Körperbehandlung und Psychotherapie in einem“, schreibt Dahlke und wer es einmal ausprobiert hat, der wird zugeben müssen, dass die positiven Effekte des Fastens nicht von der Hand zu weisen sind. „Solve et coagula“, das wussten schon die Römer: „Löse und binde!“

Vertrauen schafft Sicherheit

Das Erfolgsgeheimnis des Fastens liege vor allem in der Übernahme von Eigenverantwortung, denn wer fastet, kann seine Verantwortung nicht mehr delegieren, sondern wird aktiv und selbstbezogen – und gerade das ist sehr heilsam. „Therapie“ bedeute viel zu oft „den Irrweg, Patienten scheinbar abzunehmen“, meint Dahlke, „anstatt ihnen die fürs eigene Gesunden notwendige aufzuzeigen“. Der Sinn des vorliegenden Buches liege darin, Vertrauen zu schaffen, denn daraus erwachse Sicherheit. Selbst Hildegard von Bingen vertraute auf das Fasten als Heilmaßnahme: sie traute dem Fasten zu, 29 von 35 Lastern oder Süchten zu therapieren. „Wenn all mein Fleisch hinwegschwindet, wird die Seele immer heller, des Geistes Wachsein immer fester“, sagte schon Buddha. Der „Reiseführer für eine Reise nach innen“, wie Dahlke sein Buch auch nennt, gibt eine Anleitung wie man es richtig macht, enthält einen Fastenplan, Rezepte, viele Fotos und aufbauende Worte. Und damit es kein Neujahrvorsatz bleibt: am besten heute schon beginnen, denn weniger ist ja bekanntlich mehr.

Dr. Med. Ruediger Dahlke
Bewusst fasten
Ein achtsamer Wegweiser zu neuen Erfahrungen
Taschenbuch, durchgängig farbig, 224 Seiten, 11,8 x 18 cm
ISBN: 9783868261639
2017, Königsfurt-Urania Verlag
9,95 €


Genre: Gesundheit, Ratgeber
Illustrated by Königsfurt Urania

Besoffen – Deutsch. Ein Wiener Sprachführer

Ein Sprachführer durch das Wienerische: Besoffen Deutsch

Homseihinshianschssn?“ Die vorliegende Holzbaum Publikation “Besoffen -Deutsch” widmet sich wie immer mit sehr viel Humor ganz besonderen Verständigungsschwierigkeiten, denn wer versteht den Wienerischen Besoffenen noch, wenn ihn selbst die Wiener nicht mehr verstehen können. Ein kleiner blauer Sprachführer schafft jetzt Abhilfe, denn mit „Besoffen – Deutsch. Ein Wiener Sprachführer
“ von Harald Havas, kann man ihm nun immer und überall und gut vorbereitet begegnen: dem Homo viennensis ebrius, dem betrunkenen Wiener, auch – laut Autor – als „gemeiner Bsuff“ bekannt. Die eingangs erwähnte Floskel kann hier aus Pietätsgründen leider nur sinngemäß und nicht wortwörtlich übersetzt werden: „Geht es auch günstiger?“

Besoffen auf Wienerisch

 

„Sbife is Glas!“ Wer einem betrunkenen Wiener begegnet – und das muss, wie auch der Herausgeber betont durchaus nicht unbedingt immer in der österreichischen Hauptstadt sein – der ist künftig gut gewappnet: in 20 kurzen, aus dem Leben gegriffenen, beispielhaften Lektionen wird archetypisch die Ausdrucksweise der Spezies Homo viennensis ebrius vermittelt und für mehr Verständnis gesorgt. „Denn gar nicht selten ist der betrunkene Wiener auch in den Bergen oder am Meer anzutreffen. Manchmal sogar in Begleitung seines Weibchens, das oft seine Leidenschaft für alkoholisch-induzierte Entrückungszustände teilt“, schreibt Havas und spricht damit zugleich eine Warnung aus: sie können auch in Paaren (!) auftreten. Zum Beispiel am Eislaufplatz: „Das Buffet ist hervorragend.“ Mehr als 600 weitere Floskeln erwarten Sie!

Bonustracks zum Mitsingen

 

Als Bonustracks werden in “Besoffen – Deutsch. Ein Wiener Sprachführer.” auch bekannte Wienerlieder, die beim Heurigen mitgesungen und Austropop zum Mitgröhlen als Quiz vorgestellt. Etwa: „Eif Ah Ah Ah Ah Ah Eifiseif!“ Na, hätten Sie’s erkannt? Was? Na, dann wird’s höchste Zeit!

Harald Havas:
Besoffen – Deutsch
Ein Wiener Sprachführer
978-3-902980-63-2
38 Seiten, Softcover,
ISBN 978-3-902980-63-2
5,00 EUR
Holzbaum Verlag


Genre: Humor, Sprache
Illustrated by Holzbaum Wien

Die Aspern-Schriften

Vom steinernen Zölibatär

Der im angelsächsischen Sprachraum als Kultautor verehrte Schriftsteller Henry James hat auch in dem Roman «Die Aspern-Schriften» von 1888 ein grandioses Beispiel geliefert für seine Kunst, psychologisch ausgefeilte Frauenfiguren zu erschaffen, das andere Geschlecht also vielschichtig und tiefgründig darzustellen. Dabei bleibt allerdings eine – nicht ganz unwichtige – Komponente des Weiblichseins völlig ausgeschlossen. Der Autor hat sich selbst mal als einen «sexuellen Selbstversorger» bezeichnet, seine Geschichte – wen wundert’s – ist ein geradezu puritanisch anmutender Text ohne jeden erotischen Esprit. Aber auch Wittgenstein hat ja in seinem berühmten Tractatus logico-philosophicus gefordert: «Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen». Es bleibt aber, das sei vorweg gesagt, genügend übrig aus dem fragwürdigen Innenleben seiner Figuren, was diesen subtilen Roman trotzdem zu einem Lesevergnügen werden lässt.

In einem kammerspielartigen Plot mit nur drei Hauptfiguren und einem verfallenen Palazzo in Venedig als Bühne wird die Geschichte einer literarischen Obsession erzählt. Ein amerikanischer Ich-Erzähler, der namenlos bleibt und auch altersmäßig unbestimmt, ist als Herausgeber von Werken des – etwa um 1820 herum – jung verstorbenen, romantischen Dichters Jeffrey Aspern auf der Suche nach hinterlassenen Schriften von ihm. Dabei ist er auf Juliana Bordereau gestoßen, die einst zu seinen Musen gehörte und in seinem Werk etliche Spuren hinterlassen hat. Sie lebt hochbetagt mit Tina, ihrer Nichte ebenfalls unbestimmten Alters, die genau so gut auch ihre Großnichte sein könnte, völlig zurückgezogen in Venedig. Auf schriftliche Anfrage wird der Romanheld denn auch brüsk abgewiesen, also versucht er mit einer List, in die Nähe der uralten Dame, – eine Hundertjährige mutmaßlich -, und damit auch an die bei ihr vermuteten, begehrten Papiere zu kommen, Liebesbriefe höchstwahrscheinlich. Und tatsächlich zieht er unter falschem Namen und unter einem trickreichen Vorwand für eine horrende Summe als Untermieter in den Palazzo ein und kann auch tatsächlich, nach anfänglich eiskalter Abweisung seitens der Damen, allmählich einen Kontakt zu ihnen aufbauen. Seine wahnhafte Gier nach schriftlichen Zeugnissen seines Dichter-Idols, den er auf einer Stufe sieht mit Shakespeare, lässt ihn alle Demütigungen ertragen und bringt ihn finanziell an den Rand des Ruins. Moralische Skrupel kennt er nicht, «es gibt keine Niederträchtigkeit, die ich nicht um Jeffrey Asperns willen begehen würde» sagt er im Roman. Der Nichte verrät er schließlich den wahren Grund seines Aufenthalts im Palazzo, und nach dem ersten Schrecken deutet sie vage an, ihm vielleicht ja helfen zu können.

Die in neun Kapiteln konventionell erzählte, spannende Geschichte, die zeitlich nur einige wenige Monate umfasst, steigert sich in einer geschickten Dramaturgie auf ein so nicht unbedingt vorhersehbares Ende zu. Mit ihrem kenntnisreichen Nachwort gibt die Übersetzerin dem Leser eine hochwillkommene Ergänzung des Textes zur Hand, die auf dessen viele Bezüge zum Ambiente Venedigs eingeht, auf die im Roman beschriebenen Kunstwerke zudem, vor allem aber auf das verwirrend komplexe psychische Geflecht der drei Protagonisten. An dieser Stelle erfahren wir auch, dass all dem eine Anekdote zugrunde liegt von einem Geschehen, das sich im Jahre 1879 in Florenz zugetragen habe, – mit identischem Ausgang der Geschichte übrigens.

Der sprachlich recht altbackene Roman mit seiner enigmatischen Erzählweise lässt den Lesern reichlich Raum für eigene Interpretationen. Mit kriminalistischen Anklängen wird da von beiden Seiten ein ebenso schlitzohriger wie erbitterter, skrupelloser Kampf zwischen den Damen und dem im Nachwort als «steinerner Zölibatär» bezeichneten Ich-Erzähler geführt. Keiner von ihnen kann wirklich gewinnen, was einen nicht unwesentlichen Teil des – zugegeben – schadenfrohen Lesevergnügens ausmacht, bei mir war es jedenfalls so!

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by dtv München