Allenfalls Tütensuppe
Mit «Alles, was ist» hat der damals 88jährige US-amerikanische Schriftsteller James Salter nach 34jähriger Romanabstinenz 2013 seinen letzten Roman veröffentlicht. Der Autor gehört zu den eher unbekannten literarischen Größen seines Landes, bewundert nur in Kreisen namhafter amerikanischer Kollegen. In Deutschland wurde er recht spät mit seinem erst 1998 erschienen Roman «Lichtjahre» von 1975 bekannt, blieb aber auch bei uns eher ein Geheimtipp, trotz höchstem Lob des meinungsbildenden Feuilletons. Ein verkanntes Genie also, auch mit seinem hier vorliegenden Alterswerk?
Der zweiteilig aufgebaute Roman startet im kurzen ersten Kapitel furios, auf nur einem Dutzend Seiten unter dem Titel «Tagesanbruch» wird vom Inferno des kriegsentscheidenden Angriffs auf Okinawa erzählt. Die folgenden dreißig Kapitel beginnen mit der Rückkehr des Lieutenant Philip Bowman aus dem Pazifikkrieg nach New York, wo er zunächst anfängt, Biologie zu studieren, um dann aber nach beruflichen Umwegen als Lektor bei einem renommierten Verlag anzuheuern. Er führt ein abwechslungsreiches Leben, lernt viele interessante Leute kennen und heiratet die schöne Vivian, seine Traumfrau. Aber die eheliche Idylle trügt, in der quirligen Weltstadt mit ihrem grenzenlos scheinenden Glückspotential lauern viele Gefahren, werden manche Blütenträume brutal zerstört.
James Salter erzählt, mit dem wechselvollen Schicksal seines Protagonisten als Handlungsfaden, vom heftig entbrannten Kampf der Geschlechter in der Nachkriegszeit bis etwa in die achtziger Jahre hinein, genauere chronologische Markierungen im Text fehlen. Die Ehe als Bindung auf Lebenszeit hat ausgedient, mehrfach verheiratet gewesen zu sein ist die Regel, Trennungen und Seitensprünge sind an der Tagesordnung, viele Beziehungen werden von vornherein nur auf Zeit eingegangen. Mit einem völlig ausufernden Figurenensemble um den Romanhelden herum werden sämtliche Spielarten dieses Geschlechterkampfes und der sie begleitenden sexuellen Abenteuer ebenso thematisiert wie die beruflichen, finanziellen und familiären Umstände der unzähligen Randfiguren. Dabei erfährt der Leser zwar nicht «Alles, was ist», aber doch vieles, nämlich was im bürgerlichen Leben der Amerikaner ist – zur Zeit der Erzählung. Wobei darüber nur fragmentarisch berichtet wird und auch nicht in chronologischer Folge, sondern viele Haken schlagend, narrativ fehlt es also an Stringenz, was das Lesen ziemlich mühsam macht. Erhöhte Aufmerksamkeit ist also unabdingbar für das Verständnis. Auffallend ist die distanzierte, fast schon lakonische Erzählweise des Autors, geradezu lässig und völlig emotionslos wird da, Schicksal für Schicksal aufgefächert, eine einseitig lustorientierte Gesellschaft vorgeführt, deren Perspektiv- und Illusionslosigkeit geradezu beklemmend wirkt.
Der Protagonist ist ein «Mann ohne Eigenschaften», die Unbehaustheit seines Lebens ist unmittelbare Folge des erlittenen Kriegstraumas. Die reichlich vorhandenen Sexszenen werden sprachlich wohl unfreiwillig komisch beschrieben, wodurch völlig verquere, lachhafte Bilder erzeugt werden. Was letztendlich bei einem Roman, in dem eindeutig ja speziell das Triebleben seines Protagonisten im Mittelpunkt steht, ein ziemliches Manko bedeutet. Aber Autoren aus dem prüden Amerika tun sich in dieser Hinsicht ja alle schwer, Salter-spezifisch gibt es kein Davor und Danach, alles ist hier aufs Animalische reduziert. Die dauernden Wiederholungen der wegen Entfremdung, Untreue, Verrat, Bankrott oder Trunksucht gescheiterten Beziehungen sind sehr ermüdend für den Leser. James Salter, der biografisch in manchem seiner Romanfigur ähnelt, hat mit diesem Roman einen Abgesang auf den alternden Mann geliefert, dessen Leben nur ereignislos dahin geplätschert ist, ein Menetekel der Vergeblichkeit. Was das Genie anbelangt, literarisch ist dieser Roman mit seinen vielen Klischees, um einen Vergleich aus der Kulinarik heran zu ziehen, allenfalls Tütensuppe.
Fazit: mäßig
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