Der grüne Heinrich

Ein kanonischer Roman

Gottfried Kellers «Der grüne Heinrich» ist einer der berühmtesten Bildungsromane, das vierbändige Werk erschien in der ersten Fassung 1855/56 und war zunächst außerhalb der Schweiz so gut wie unbekannt. Er habe sich vorgenommen, so sein Autor, «einen kleinen traurigen Roman zu schreiben über den Abbruch einer jungen Künstlerlaufbahn». Gemeint war damit die eigene, denn seine Geschichte sei, wie der 23Jährige bekannte, nicht erfunden, es sei «sogar das Anekdotische darin so gut wie wahr». In Stil des damals aufgekommenen bürgerlichen Realismus schildert er die Kindheit seines Alter Ego Heinrich Lee bis hin zum gescheiterten Künstler. Kellers Begegnung mit Ludwig Feuerbach bildet das Schlüsselerlebnis seiner weltanschaulichen Umorientierung, und so ist dessen ‹Wende zur Diesseitigkeit› denn auch das zentrale Thema dieses Romans. Sein ‹Schicksalsbuch›, denn es hatte dem perfektionistischen Schriftsteller jahrzehntelang nicht genügt und ihn zu einer Neubearbeitung veranlasst, die erst 1879/80, fast fünfundzwanzig Jahre später, als zweite Fassung erschienen ist.

Nach dem frühen Tode des Mannes lebt eine sparsame Witwe mit ihrem Sohn Heinrich in einfachen Verhältnissen, jahrelang schneidert sie die Kleidung des Jungen aus der grünen Uniform des Vaters, was ihm prompt den Spitznamen «Der grüne Heinrich» einbringt. Durch eine Intrige von der Schule verwiesen und damit von höherer Bildung ausgeschlossen, schickt ihn seine Mutter zum Onkel aufs Land, damit er sich dort in Ruhe über seine Zukunft klar werde. Er verliebt sich in ein zartes Mädchen, lernt aber auch die sinnenfrohe junge Witwe Judith kennen und ist zwischen beiden hin und her gerissen. Schließlich kehrt er nach Zürich zurück, um Landschaftsmaler zu werden. Über verschiedene Stationen verfolgt er nun seine künstlerische Ausbildung, begegnet dabei Dilettanten und Könnern, absolviert schließlich auch seinen Militärdienst und nutzt die Zeit dort, seine Jugendgeschichte aufzuschreiben. Trotz materieller Nöte schickt ihn die Mutter anschließend auf die Kunstakademie nach München, wo er jedoch schon bald erkennen muss, dass es ihm an Talent mangelt. Als Bohemien vertrödelt er nun nutzlos seine Zeit, bis die Schulden erdrückend werden und er notgedrungen eine Arbeit annehmen muss. Nach sieben Jahren endlich entschließt er sich zur Heimkehr, findet auf der langen Wanderung erschöpft und ausgehungert freundliche Aufnahme im Schloss eines Grafen, womit sich auch sein Schicksal wendet und er unverhofft zu viel Geld kommt. Und auch hier vermag der bindungsunfähige Heinrich der schönen Adoptivtochter des Grafen seine Liebe nicht zu gestehen.

«Der grüne Heinrich» wird von seinem Antihelden chronologisch und einsträngig in Ich-Form erzählt, wobei viele Motive sich aus den Dialogen heraus entwickeln, immer wieder ergänzt um breit angelegte Überlegungen und tiefschürfende Grübeleien als Bewusstseinsstrom. Der Plot ist geradezu vorbildlich aufgebaut mit einer reichhaltigen Leitmotivik, zu der zum Beispiel auch der auf dem heimatlichen Gottesacker gefundene Totenschädel gehört, den Heinrich unbeirrt auf seinen Reisen mit sich herumschleppt. An die Vaterlosigkeit als Ursache all seiner Irrwege gemahnen leitmotivisch der selbstlose Onkel und der wohlwollende Schlossgraf als Vaterersatz. Das Motiv der Gottverlorenheit des Helden und die Negierung einer Vorbestimmung im Leben bilden Anlass für köstliche Dispute mit dem Kaplan, der überaus lebensfroh den sprachgewandten Gegenpart zum atheistischen Heinrich bildet.

Zu den Lesefrüchten dieses kanonischen Romans vom Scheitern in der Kunst und vom Verzicht in der Liebe gehören die vielen weltanschaulichen Reflexionen aus der damaligen Zeit, die hier authentisch vorgetragen werden. Ferner erfreut die vollmundige Sprache, die starke Bilder zu erzeugen vermag, außerdem überzeugt auch die durchweg stimmige Figurenzeichnung, bei der als Extreme eine tatkräftige Judith dem ewig zaudernden Grünen Heinrich gegenübersteht.

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Diogenes Zürich

Postdemokratie. Das neue Zeitalter

Postdemokratie als Begriff bezieht sich auf die Tatsache, dass heute (Erstauflage 2008) mehr Nationalstaaten als jemals zuvor demokratische Verfahren zur Bestimmung ihrer Regierung praktizierten. Allerdings mag deswegen noch kein Optimismus aufkommen, denn die Art und Weise wie diese durchgeführt wurden steht auf einem anderen Blatt. Dennoch spricht der Begriff, Postdemokratie, für die Phase der Demokratie in der wir uns seither befinden und die u.a. durch Politikverdrossenheit, Sozialabbau und Privatisierung gekennzeichnet ist.

Stichwort: sound bites

Colin Crouch spitzt die Beschreibung unserer politischen Systeme noch derart zu, dass er bemerkt, dass die demokratischen Institutionen zwar weiterhin formal existieren, diese aber von Bürgern und Politikern nicht mehr länger mit Leben gefüllt werden. Denn längst hätten Interventionen kapitalistischer Interessensgruppen die Demokratie ausgehöhlt. Politiker werden gekauft und vertreten im Parlament die Interessen ihrer jeweiligen pressure groups. Die Bevölkerung selbst geht gar nicht mehr zur Wahl oder verschwendet ihre Stimmen an populistisiche Systemzerstörer. Natürlich spielen auch die Medien eine wichtige Rolle in der Postdemokratie: Konkurrierende Teams professioneller PR-Experten würden Politik zu einem Spektakel verkommen lassen, bei dem nur mehr über Probleme diskutiert werde, die zuvor von Experten ausgewählt worden wären. „Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt zu, in der Folge ist das egalitäre Projekt (die Demokratie, AP) zunehmend mit der eigenen Ohnmacht konfrontiert.“ Stichwort: sound bites.

Das Ende der Demokratie?

Ist der „demokratische Augenblick“ der Menschheitsgeschichte bald vorbei? Im Mutterland der Demokratie, den USA, ist seit Ronald Reagan das wohlfahrtsstaatliche Projekt abgewickelt, die Gewerkschaften marginalisiert, die Spaltung zwischen Arm und Reich auf einem Niveau, das man eigentlich nur aus Ländern der Dritten Welt kennt. „Dass sich diese Rückentwicklung“, schreibt Crouch, „ausgerechnet in den USA, der am stärksten zukunftsorientierten Gesellschaft der Welt, einem Land, das in der Vergangenheit der Vorreiter des demokratischen Fortschritts war, am radikalsten vollzieht, lässt sich allein mit dem Modell des parabelförmigen Verlaufs der Demokratie erklären.“ Bedeutet Postdemokratie auch das Ende der politischen Kommunikation? Auch in seinem Folgewerk, „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“, stellt Crouch unbequeme Fragen. Es sind die gigantischen transnationalen Konzerne, unter denen die Demokratie und das Marktmodell leiden. Crouch entwirft aber auch ein Modell des Widerstands: indem wir uns auf unsere Werte und unsere Macht als Verbraucher besinnen. Das ist Crouchs optimistische Vision einer sozialen und demokratischen Marktwirtschaft, die er in diesem Essay der Hegemonie der Konzerne entgegenhält.

Colin Crouch
Postdemokratie
Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm
D: 10,00 € / A: 10,30 € / CH: 14,90 sFr
2008, edition suhrkamp 2540, Taschenbuch, 159 Seiten
ISBN: 978-3-518-12540-3

Suhrkamp Verlag


Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

John Heartfield. Fotografie plus Dynamit.

John Heartfield: In Berlin, Zwolle, London sollte dieses Jahr noch die Ausstellung des Werkes von John Heartfield stattfinden. Bis dahin kann man sich mit dieser Publikation zur Ausstellung schon schlau machen. Denn der vorliegende Band umfasst nicht nur 250 Abbildungen der Montagen von Heartfield in Farbe, sondern auch Beiträge von M. Gough, P. Krishnamurthy, Angela Lammert, Rosa v. d. Schulenburg, Anna Schultz, J. Toman, A. Zervigón u.a. sowie Statements von R. Deacon, T. Dean, M. Lammert, M. Odenbach, J. Wall.

Heartfield: politisches Dynamit

Die Zeiten der politischen Karikatur begleiten die Menschheitsgeschichte schon von Anfang an, aber keiner brachte sie zu einer so pointierten Sprengkraft wie John Heartfield (1891-1968). Sein Werk ist untrennbar mit der Weimarer Republik verbunden, denn seine Fotomontagen und collagierten Buchumschläge, die ihre Herkunft in der Berliner Dada-Szene haben und sich gegen den Faschismus richteten, keimte in ihrem Untergrund. Die scheinbar dokumentarischen und „objektiven“ Pressefotos stellte Heartfield auf den Kopf indem er sie mit pointiertem Humor neu arrangierte und ihnen jene Sprengkraft verlieh, für die sein Werk so berühmt ist. Mit scharfer Beobachtungsgabe, Witz und Kompromisslosigkeit setzte er seine Kunst bildgewaltig und aktiv gegen Krieg und Faschismus ein.

Heartfields Waffe gegen den Krieg

Zusätzlich zu seinen bekanntesten Collagen werden in der hier vorliegenden Publikation des Hirmer Verlages aber auch erstmals seine Trickfilme und seine Theaterarbeit im Kontext von Kunstwerken, Archivalien und Arbeitsmaterialien berücksichtigt. Statements zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, die Heartfields Werk im Zeitalter von Fake News beleuchten, ergänzen diesen Prachtband, der zurecht das „Dynamit“ im Untertitel trägt. „Man ist sich bei den Henkern im Lande genau darüber im Klaren,“, schrieb einst Oskar Maria Graf 1938 in der Exilzeitung Deutsche Volkszeitung, „was für eine unschätzbare Waffe Heartfields Montage ist. Sie wissen welchen Feind sie in dem kleinen, unscheinbaren Johnny haben. Sie hassen ihn wie kaum einen anderen, und wehe, wenn sie seiner habhaft werden!

Heartfield-Ausstellungen im Herbst

Folgende Veranstaltungen sind dieses Jahr zum Werk von John Heartfield geplant: Berlin | Akademie der Künste 02.06.2020 – 22.08.2020; Zwolle | Museum de Fundatie 27.09.2020 – 03.01.2021; London | Royal Academy of Arts 27.06.2021 – 26.09.2021.

Anna Schultz, Angela Lammert, Rosa von der Schulenburg (Hg.)
John Heartfield. Fotografie plus Dynamit.
Hardcover, 312 Seiten, 250 Abbildungen in Farbe
21,5 x 27,5 cm, gebunden
ISBN: 978-3-7774-3442-1
39,90.-

Hirmer Verlag


Genre: Collage, Karikatur, Montage, politische Karikatur
Illustrated by Hirmer

Lustiges Taschenbuch Royal: Adel verpflichtet und andere königliche Geschichten

Die gekrönten Häupter des schwedischen, norwegischen und dänischen Königshauses wollen majestätisch urlauben, denn “Adel verpflichtet”. Nur: Wohin soll die Reise gehen?

Ganz andere Sorgen haben Elisabeth und Jane Bennet. Sie müssen sich gegen “Stolz und Vorurteil” wehren, um ihre wahre Liebe zu gewinnen.

“Ein Genie auf Durchreise” ist ein unbekannter Fremder, der sein Gedächtnis verloren hat. Er findet Unterschlupf bei Marameo Donaldo und hilft den Dorfbewohnern mit seinen genialen technischen Erfindungen.

“Die Geschichte des großen Kometen” ist die Geschichte einer verzauberten Maid mit immerfort wachsenden güldenen Haaren auf der unbewussten Suche nach einem Liebsten.

Einen “Kampf um die Krone” liefern sich Richard Löwenherz und sein Bruder John – und rechnen nicht damit, dass den Kampf zwei grottenschlechte MinnesängerInnen entscheiden werden.

“Ein(en) Sieg für seine Majestät” sollen  die Mausketiere für ihren König erringen, aber die Konkurrenz im wahrsten Sinn des Wortes gewaltig.

“Der Schatz des Turmes” ist ein ganz anderer als die Ritterin Gitta von Gans, die furchtlose Verfechterin der Reinlichkeit, erwartet hat. Aber Gitta wäre nicht Gitta, wenn sie nicht das Beste aus jeder Situation machen würde!

Die sieben Geschichten dieses Sonderbandes unterhalten wahrhaft königlich und natürlich mit dem gewohnten Humor der LTB.

Das Frauenbild in den Geschichten  variiert: Gitta tritt sehr selbstbestimmt auf und erfüllt damit eine Vorbildfunktion, während u.a. Daisy in 2 Geschichten eher die passive Rolle zukommt, in der sie auch noch gerettet werden muss. Daisy als Elisabeth hingegen wird, dem Original von Jane Austens “Pride and Prejudice” ähnlich, klug und für diese Zeit recht eigenständig dargestellt, während ihre Schwester Jane einen eher naiven Eindruck macht.

Schön und gelungen an der Duckifizierung von Jane Austens Roman finde ich die Verquickung der Entstehungsgeschichte des Romans und der Story selbst, sowie die Zeichnungen, die etwas verspielt und verschnörkelt gut zur Geschichte passen. Man bekommt direkt Lust, das Original lesen zu wollen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil von Comics und Zeichentrickfilmen, wenn sie Originale adaptieren – die neute Kunst kann die LeserInnen an klassische Literatur heranführen. Aber sie kann auch an Mythen und Historie heranführen wie im Fall der M(a)usketiere oder Richard Löwenherz und seinem Bruder John. Und natürlich sind die Anspielungen an die Originale und deren kreative Ausgestaltung für alle LeserInnen, die sich mit den Hintergründen auskennen, ein Lesegenuss.

Die Themen Stolz und Vorurteile, die sowohl in Janes Austens Original als auch in der Duck’schen Form eine große Rolle spielen, sind aktuell wie eh und je. Man muss sich nur die Flüchtlingsthematik an- oder auch nur in den Klassenzimmern der Kinder umschauen, um zu sehen, dass Vorurteile gegen Andersdenkende, Anderseiende und überhaupt alles, was anders ist, blühen und gedeien. Hier seinen Stolz und Vorurteile zu überwinden und Toleranz zuzulassen, wäre ein Segen für die Gesellschaft – und zwar von beiden Parteien aus!

Fazit: Humorvoller, unterhaltsamer Sonderband mit Anspielungen, immer noch aktuellen Themen und damit auch ein wenig Tiefgang, sofern man diesen zulässt.

 


Genre: Comics
Illustrated by Walt Disney

Micky Maus 10/20


Das 38-seitige Heft bietet den jungen LeserInnen neben den Extras mehrere Stories, Witze, und Rätselcomics. Aber auch der Entenhausen-Kurier auf der letzten Seite und Infos (nicht nur) zu den Ereignissen bedeutender Tage im April und Mai unten auf fast jeder Doppelseite, eine Kino- und Serien-Vorschau, die Maus Tipps, Experimente, kurze Comics und Rätsel bereichnern das Heft.

Inhaltsverzeichnis der (längeren) Geschichten: Donald Duck – Galileos Teleskop, Donald Duck – Geld ist Geld, Oma Duck – Frisch ab Hof, Micky Maus – Völlig schwerelos, Donald Duck – Das große Rennen von Entenhausen.

Die Titelgeschichte “Donald Duck – Galileos Teleskop” ist eine Zeitreisegeschichte, in der Donald in das Jahr 1609 reist. Er will Galileo Galilei vor Außerirdischen warnen, die seiner Erfindung an den Kragen wollen. Dank der guten italienischen Küche nimmt die Geschichte aber eine überraschende Wendung.

Die Stories sind für Kinder zwischen 8 und 12 Jahren vergnüglich und spannend zu lesen. Mein achtjähriger Sohn ist großer Donald-Duck-Fan und hat sich auch für dieses Heft begeistern können. Sogar die Micky-Maus-Geschichte ist gut bei ihm angekommen, obwohl er Micky Maus gar nicht mag. Die Witze versteht er noch nicht ganz und die Experimente sind auch noch nicht so sein Ding. Dafür liebt er die Comics.

Angeschnitten werden in den Comics auf unterhaltsame Weise Themen wie Umweltbewusstsein, (Geschichts-)Wissen, Fairness und Fair Play, Geldgier, die sich nicht ausszahlt, nachbarschaftliches Verhalten und Flexibilität. Die Mischung von Lach- und Sachgeschichten ist insgesamt gelungen.

An Extras liegen diesem Heft ein batteriebetriebenes Lichtschwert bei (Batterien nicht enthalten), das wie ein Blitz aussieht, und Fußballsammelkarten für die EM 2020.

Das Heft erscheint zweiwöchentlich. Die nächste Ausgabe enthält eine weitere Zeitreisegeschichte Donalds, in der er Sir Isaak Newton besucht.


Genre: Comics
Illustrated by Walt Disney

Die Dame mit dem Hündchen

Ein leidenschaftsloser Zeuge

Der unter dem Titel «Die Dame mit dem Hündchen» erschienene Band von Anton Tschechow vereinigt eine Auswahl von dreizehn der späten Erzählungen aus dem Œuvre des berühmten russischen Schriftstellers. In vielen verarbeitet er dabei eigene Erfahrungen als Arzt und übt unverhohlen Kritik am feudalen System des zaristischen Russlands, er prangert aber auch den Stoizismus seiner Landsleute an, die all das Unrecht passiv über sich ergehen lassen – oder im Suff ertränken. Diese im Stil des Realismus verfassten, melancholischen Erzählungen beschreiben eine genau beobachtete Lebenswirklichkeit der damaligen Zeit, ohne sie moralisch zu werten. Sie stellen vielmehr psychologische Studien dar, die – oft unvermittelt – ziemlich ratlos enden. Als Literat sieht Tschechow sich dabei als «leidenschaftsloser Zeuge», wie er in einem Brief schrieb, nicht als Deuter des Geschehens.

Die Sammlung beginnt mit der titelgebenden Erzählung, die zu den berühmtesten Ehebruchsgeschichten der Weltliteratur gehört. Allein auf Urlaub in Jalta, trifft ein Bankangestellter auf eine junge, ebenfalls allein Erholung suchende Frau, deren Hündchen der höchst willkommene Anknüpfungspunkt zum Anbandeln ist. Beide sind unglücklich verheiratet, eine typische Kurschatten-Konstellation also mit erwartbaren Folgen und ebenso erwartbarem Ende. Hier jedoch stellt sich nach der Heimkehr schon bald heraus, dass sie beide nicht voneinander lassen können. «Wie könnte man sich von diesen unerträglichen Fesseln befreien?», fragen sie sich ratlos. Auch in «Angst» geht es um den Ehebruch des Ich-Erzählers mit der Frau seines besten Freundes, der sie in einer eindeutigen Situation überrascht. Entsetzt flüchtet der Ehebrecher und sieht den Freund und seine Frau nie wieder: «Man sagt, sie lebten weiterhin zusammen». Unglücklich endet auch die Liebe eines Malers zur jüngeren von zwei ungleichen Schwestern, die im Giebelzimmer des elterlichen Hauses wohnt, unerreichbarer optischer Fixpunkt des Verliebten. Ebenfalls tragisch endet «Irrwisch», die Geschichte einer flatterhaften Künstlerin, die erst am Sterbebett ihres vermeintlich langweiligen Mannes dessen wahre Größe erkennt.

Die Novelle «Eine langweilige Geschichte» ist als längster Text das berührende Resümee eines hoch angesehenen Professors der Medizin kurz vor seinem unabwendbaren Tod. Mit gedanklicher Tiefe rekapituliert der Ich-Erzähler schonungslos sein für ihn in jeder Hinsicht sinnlos erscheinendes Leben. Wobei seine Adoptivtochter Katja, die selbst beruflich und beziehungsmäßig tief in einer Krise steckt, sich als wichtigste mentale Stütze für ihn erweist. Tschechows Glaube an den Fortschritt wird auch durch seine beißende Kritik an den sozialen Verhältnissen im aufkommenden Kapitalismus nicht gemindert, wie sie in «Ein Fall aus der Praxis» süffisant zum Ausdruck kommt. Und auch in den anderen Geschichten sind immer wieder der Sinn des Lebens, die Liebe mit ihren unvermeidlichen Fallstricken und letztendlich die Suche nach dem individuellen Glück jedes Einzelnen die beherrschenden Themen.

Entwickelt wird all dies aus den glänzend charakterisierten Figuren heraus, deren Denken und Tun er, mit einem deutlich durchschimmernden Glauben an das Gute im Menschen, narrativ ins Zentrum stellt. «Die Kürze ist die Schwester des Talents» hat Anton Tschechow selbstbewusst seinen sparsamen Schreibstil begründet. Er hat nie brikettdicke Romane geschrieben wie Lew Tolstoi und war damit für die russische Literatur mindestens ebenso prägend wie Edgar Allen Poe für die amerikanische. Das Schöne an dieser Sammlung ist, dass man sie immer wieder mal zur Hand nimmt, um eine Geschichte darin zu lesen, sie ist mit ihrer breit gestreuten Figurenschar aus allen sozialen Schichten geradezu ein Kaleidoskop des untergehenden Zarismus. Die von Thomas Mann in einem Essay hoch gelobte Novelle «Eine langweilige Geschichte» war für mich das kontemplative Glanzstück einiger überaus bereichernder Lektürestunden.

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Erzählungen
Illustrated by Insel Taschenbuch

Die Insel Capri. Ein Portrait

Autor Dieter Richter ist ein glänzender Essayist, der die Neugier beim Leser nicht nur anregt, sondern auch befriedigt. Detailreich und voller Verve und wertvoller Informationen und intellektueller Anregungen widmet er sich in dieser Monographie der Insel im Golf von Neapel, die schon unter Kaiser Tiberius eine Luxus-Destination und ein Traumziel, eine Marke und ein Mythos verkörperte.

Utopia Capri

Einst einmal das Regierungszentrum des Imperium Romanum, dann verarmt und vergessen wurde Capri im 19. Jahrhundert mit der Entdeckung der Blauen Grotte zur ersten klassischen europäischen Tourismus-Insel-Destination. Seither verkörpert die Insel Capri den Zauber einer Insel schlechthin: Robinson-Eiland und Insel Utopia, Toteninsel, Liebesinsel und Neue Welt. Bevor Capri aber zur Destination des Massentourismus wurde, besuchten Abenteurer und Revolutionäre, Künstler, Schriftsteller und Philosophen, Geflüchtete und Emigranten aus den Diktaturen der Welt das Eiland. Der Autor bearbeitete zahlreiche unbekannte und ungewöhnliche Quellen, darunter Grabsteine und Gästebücher, Polizeiakten, Urkunden, Briefe und Tagebücher, und hat hiermit die facettenreichste Biographie einer Insel verfasst und Capri selbst damit ein Denkmal gesetzt.

Isola Futurista

Der Professor für Kritische Literaturgeschichte an der Universität Bremen und Verfasser zahlreicher kulturwissenschaftlicher Bücher, die ebenfalls im Wagenbach-Verlag erschienen sind, widmet sich der „Ziegeninsel“ (capra, ital. für Ziege) voller Liebe und Leidenschaft. Denn gerade im Kopf lässt sich das ländliche Arkadien errichten von dem viele Aussteiger, die nach Capri reisten, einst träumten. Es ist faszinierend mit viel Kenntnis und Detailreichtum der Autor das Eiland zu einem Platz der schönsten Theorien und Anekdoten macht. So weiß er etwa von Lenins Aufenthalt auf der Insel ebenso wie vom cimitero acattolico auf dem sich Tote von 21 Nationen aus verschiedensten konfessionellen Spektren wiederfinden, was gleichzeitig auch den Kosmopolitismus der Insel wiederspiegelt. Aber auch Künstler haben sich in die Geschichte und Landschaft der Insel eingegraben. Etwa der „Einsamkeitswürfel“ des Berliners Willy Kluck oder das Haus des Schriftstellers Curzio Malaparte werden angeführt, aber auch die Futuristen, die Capri als „isola futurista“ feierten.

Kenntnis- und aufschlussreich liest sich diese Monographie einer Insel wie ein Roman aus mehreren Essays. „Oggi siamo/Domani fummo/Percio fumo“ (heute sind wir/Morgen waren wir/ Daher rauche ich) dichtete einst August Weber und brachte damit das Lebensgefühl von Capri deutlich auf den Punkt: „Jetzt“!.

Dieter Richter
Die Insel Capri. Ein Portrait
WAT [795]. 2018
224 Seiten. 12 x 19 cm. Mit vielen Abbildungen
ISBN 978-3-8031-2795-2
Wagenbach Verlag


Genre: Monographie, Reisen
Illustrated by Wagenbach

Mitten im August

Ferragosto: Mitten im August. Die Welt bekommt einen neuen Krimihelden, den Inselpolizisten Enrico Rizzi, der es bevorzugt auf Capri zu arbeiten statt in Neapel. Aber „Neapel“ ist auch zuständig für Capri. Und so ergeben sich bald Spannungen zwischen der Zentrale und der Insel, wer wofür zuständig ist. Denn Rizzi will seinen Mordfall beschleunigen und so schnell wie möglich den Mörder finden. Neapel’s Mühlen hingegen mahlen langsam.

Ferragosto: Mitten im August

Enrico Rizzi, der gerne Selbstgedrehte raucht, hat es auf Capri zumeist mit kleineren Delikten zu tun. Wenn auf dem kleinen Polizeiposten auf Capri nichts los ist, hilft er seinem Vater in den Obst- und Gemüsegärten hoch über dem Golf von Neapel. Natürlich bevorzugt auch er ökologische Anbaumethoden und will auf Spritzmittel gegen Schädlinge verzichten. Marienkäferlarven sollen helfen. Und so überzeugt er bald auch seinen Vater davon. Auch Jack und Sofia sind etwas „grün“ angehaucht, aber sie wollen nicht den Wein, sondern gleich die Weltmeere retten. Aber eines Tages wird Jack mit mehreren Messerstichen in der Brust tot in seinem Boot aufgefunden. Sofia ist seit Tagen verschwunden. Natürlich deutet alles auf sie als Täterin hin. Ein Mord aus Leidenschaft? Oder aus unterschiedlichen politischen Ansichten? Enrico Rizzi ermittelt auch ohne Pouvoir weiter und deckt auf, wer hinter dem Mord von Jack Milani, dem reichen Spross einer Industriellenfamilie und Studenten der Ozeanologie steckt.

Capri, Schauplatz eines Verbrechens

Im ersten Mordfall für den jungen Enrico Rizzi kämpft er nicht nur gegen die Bürokraten in Neapel, sondern auch seinen Vorgesetzten Commissario Lombardi, dem es lieber gewesen wäre, den Toten gar nicht erst an Land zu bringen. Denn so wurde er erst zum Toten von Capri. Ansonsten hätte Neapel sich darum kümmern müssen. Der fleißige Enrico Rizzi ist ganz anders als die der Prokastrination huldigenden Inselbewohner und sein Erfinder, Luca Ventura, arbeitet schon an seinem nächsten Fall, der wieder mit viel Lokalkolorit Capri-Flair in die Wohnzimmer und Lesestuben der deutschsprachigen LeserInnen bringt. Wem Donna Leon gefällt, der wird auch Luca Ventura mögen. Leichte Lesekost für den Strand am Sommer. Vielleicht im August. Mitten im August.

 

Luca Ventura

Mitten im August. Der Capri-Krimi

2020, Paperback, 336 Seiten
ISBN: 978-3-257-30076-5
€ (D) 16.00 / sFr 21.00* / € (A) 16.50
Diogenes Verlag


Genre: Capri, Krimi
Illustrated by Diogenes

Der Dritte Mann

Mehr als 70 Jahre ist der „Dritte Mann“ schon alt und gilt immer noch unbestritten als der Filmklassiker schlechthin, wenn es um das Wien der Nachkriegszeit geht. Alle Themen die darin angesprochen werden sind universell und natürlich immer noch aktuell: Grenzen, die Flüchtlinge, der Schwarzmarkt, das Verbrechen. Aber auch der Soundtrack des Films ist modern, führte er doch vom Strauß-dominierten Wien der Monarchie direkt zum modernen Sound der Republik.

Karas als Vorbote des Austropop

30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nimmt der oberösterreichische Wahlberliner Rebhandl zum Anlass nochmals über den Dritten Mann zu reflektieren. Nach einer Nacherzählung des Inhalts lädt er zu einem Spaziergang durch Wien ein, der an die Schauplätze des Films führt und voller Referenzen an die Walzerstadt auch neue Sichtweisen und Perspektiven öffnet. Als Filmkritiker kennt sich der Autor auch mit ähnlichen Filmen jener Periode aus und zieht Parallelen. Etwa zu Ministry of Fear oder Odd Man Out, The Fall Idol. Aber auch der unverkennbaren Zitherklängen von Karas huldigt Rebhandl. Inzwischen (2017) wurde die Wiener Stimmung und Spielweise der Zither übrigens als immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO anerkannt. Rebhandl lobt am Dritten Mann auch, dass er auf das Strauss-Klischee verzichtete und sich als Vorbote an eine noch gänzlich unklare Popkultur wagte.

Besetzung, Besatzung, Befreiung

Aber auch die literarische Vorlage von Graham Greene hat sich Rebhandl genau angeschaut. Tatsächlich benutzten Sozialsten und Kommunisten die Wiener Kanalisation in der Zwischenkriegszeit als Fluchtweg und ironischerweise gehörte der Doppelagent Kim Philby zu einem Spionagering, der den Namen „The Cambridge Five“ bekam. David O. Selznick, der Produzent, wollte noch „Night in Vienna“ als Titel, aber „The Third Man“ setzte sich durch und trug wohl wesentlich zum Erfolg des Filmes bei. Denn wer ist eigentlich dieser „dritte“ Mann? Besonders hervorzuheben ist auch das Kapitel „Schlechte Staatsbürger“, das sich der Rolle der Österreicher im Dritten Mann widmet. Denn diese wirkten nur als Nebendarsteller in Nebenrollen mit. Unvergessen etwa die Hauswirtin, dargestellt von Hedwig Bleibtreu, die sich die Befreiung „ganz anders“ vorgestellt hatte…

Bert Rebhandl
Der dritte Mann. Die Neuentdeckung eines Filmklassikers
Hardcover, 128 Seiten, 13,5 x 21,5 cm

ISBN: 978-3-7076-0678-2
14,99.-

Czernin Verlag


Genre: Film Noir, Krimi, Unterwelt
Illustrated by Czernin Verlag

Der Wolkenatlas

Von Kultur zur Barbarei

Mit dem Roman «Der Wolkenatlas» hatte der britische Schriftsteller David Mitchell 2004 seinen literarischen Durchbruch, er ist bis heute sein bekanntestes und erfolgreichstes Werk, das mit seiner fragmentarischen Erzählweise charakteristisch ist für diesen Autor. So gibt es hier nicht nur sechs eigenständige Erzählebenen, fünf davon sind auch noch in jeweils zwei Hälften geteilt, deren zweite sich in umgekehrter Reihenfolge an den durchgehend erzählten Mittelteil anschließt. Die Unterbrechungen erscheinen willkürlich, in einem Fall endet der erste Teil sogar mitten im Satz und setzt sich ebenso unvermittelt nach nicht weniger als 562 Seiten im zweiten Teil fort, an genau dieser Textstelle und ganz einfach mit dem nächsten Wort. Diese sechs Erzählungen sind inhaltlich auf verschiedene Art miteinander verbunden, durch ein Déjà-vu-Erlebnis zum Beispiel oder andere narrative Details. Zudem unterscheiden sie sich radikal im Duktus voneinander und sind zeitlich in ganz unterschiedlichen Epochen angesiedelt, vom 19ten Jahrhundert über die Jetztzeit bis in eine ferne, post-apokalyptische Zukunft hinein. Dass ein derart unkonventionell aufgebauter Roman umstritten ist, das liegt auf der Hand.

Es beginnt mit dem Tagebuch eines Anwalts, der zur Zeit des Goldrauschs Mitte des 19ten Jahrhunderts auf der Heimfahrt von Australien nach San Francisco die christliche Seefahrt mit all ihren Beschwernissen und Gefahren schildert. Es schließt sich der Briefzyklus eines schwulen Musikstudenten an, der sich 1931 im belgischen Städtchen Zedelgem als Assistent eines berühmten Komponisten verdingt, allerlei Irrungen und Wirrungen miterlebt und ganz nebenbei ein ultramodernes Sextett mit dem Titel «Wolkenatlas» komponiert. Die dritte Geschichte aus den 1970er Jahren ist ein furioser Krimi um eine Journalistin, die im Milieu der Atom-Mafia in den USA einem Skandal auf der Spur ist. Ein alternder Verleger schließlich hat großen Erfolg mit «Faustfutter», dem Roman eines Autors, der wegen Mordes im Gefängnis sitzt, und wird nach allerlei fiesen Machenschaften in die Psychiatrie weggesperrt. Der dystopische fünfte Teil ist eine Geschichte um Klone und Duplikanten, die in Form eines Verhörs erzählt wird und inhaltlich allenfalls für enthusiasmierte Genreleser goutierbar ist, die Mehrheit muss sich frustriert durchbeißen oder aufgeben. In noch fernerer Zukunft schließlich, nach der Apokalypse, ist im durchgehend erzählten Mittelteil die Menschheit auf eine äußerst primitive Lebensform zurückgeworfen. Diese in Ich-Form und in einem radikal vereinfachten Slang von einem Ziegenhirten auf Hawaii erzählte Geschichte berichtet vom barbarischen Ende der Zivilisation.

David Mitchell hält der Menschheit, die unbelehrbar primitivsten Ur-Instinkten folgend nach Macht giert, was dann stets Unterdrückung und Ausbeutung nach sich zieht, mit diesem deprimierenden Roman den Spiegel vor. Dabei zeigt er das permanente Unrecht nur auf, ohne es zu erklären oder gar die Moralkeule zu schwingen. Die mangelnde menschliche Einsicht verdeutlicht er durch die chronologische Abfolge seiner Geschichten, in denen sich die Missstände und Probleme der verschiedenen Gesellschaftsstufen jeweils verschärfen statt verringern.

Es gibt zahlreiche narrative Verbindungen innerhalb des Romans und auch etliche intertextuelle Bezüge. Auf die Reinkarnation als Thematik weist bereits der Romantitel hin, der als Metapher für die Kartographie der wandernden Seelen benutzt wird. Die überaus kreative Erzähltechnik ist sicherlich das wesentlichste Merkmal dieses außergewöhnlichen Romans, der narrativ alles will und es mit der Postmoderne denn doch ziemlich übertreibt. Letztendlich also L’art pour l’art, diesem virtuosen Balanceakt zwischen Kultur und Barbarei mangelt es nämlich schlicht an Substanz, um Kontemplation beim Leser anzuregen. Anders als an einer Stelle im Buch zitiert geht es in der Literatur tatsächlich doch nicht nur um das ‹Wie›, sondern auch um das ‹Was›!

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt

Spione und Agenten (Sonderheft 4)

Das 4. Sonderheft des “Galileo Spezial” für Kinder von ca. 9 bis 12 Jahren widmet sich dem Thema Spione und Agenten. Das 33-seitige Heft bemüht sich erfolgreich, das Thema von allen Seiten zu beleuchten. Jede Doppelseite behandelt dabei ein eigenes Unterthema.

Das Heft beginnt mit den Anfängen der Spionage, beleuchtet dann berühmte Spione, geht über zu Agenten im Fernsehen (James Bond) und schließlich der Frage nach, wer Spion werden kann. Weitere Unterthemen: die großen Geheimdienste, heimliche Beobachtung, verrückte Gadgets, in geheimer Mission, geheime Botschaften, die Entschlüsselung, Wirst du überwacht?, der Kalte Krieg, Tiere in geheimer Mission, Rätsel. Die Unterthemen selbst sind nochmal in kleine Themenbereiche unterteilt, sodass das Heft insgesamt übersichtlich gegliedert ist. Als Extra, dessen Benutzungsweise im Heft erklärt wird, liegt ein Geheim-Nachrichten-Decoder bei.

Die Texte selbst sind  einfach verfasst, doch erst für ältere Kinder wirklich verständlich. Trotzdem kann ich mir als Mutter eines Grundschülers vorstellen, dass Kinder bei dem ein oder anderen   Wort/Zusammenhang nachfragen. Das ist nicht schlimm, denn so gibt es Gesprächsstoff für die Familie. Etwas störend für den Lesefluss sind allerdings mehrere Tippfehler. Ich persönlich hätte auch eine kleine Einleitung im Heft gut gefunden, die Mädchen und Jungen auf das Thema einstimmt. Kostenpunkt des Heftes: 4, 50 Euro, was für das, was geboten wird, in Ordnung ist.

Insgesamt ein gelungenes Heft, das übersichtlich und auf möglichst breiter Basis versucht, Kinder mit dem Thema Spione und Agenten bekannt zu machen.


Genre: Comics, Kinderzeitschrift
Illustrated by Egmont Ehapa

Die Elixiere des Teufels

Klösterliche Identitätssuche

Der erste Roman des vielseitig begabten E.T.A. Hoffmann, der erfolgreich als Jurist, Schriftsteller, Kapellmeister, Komponist und Zeichner tätig war, gilt als eines der bedeutendsten literarischen Werke der Schwarzen Romantik. In zwei Teilen 1815/16 erschienen, hat diese fiktive Autobiografie eines Kapuzinermönches zunächst eine sehr zwiespältige Aufnahme gefunden. Goethe nannte, als Sprachrohr quasi für die breite Ablehnung in der Wissenschaft, den Autor einen «krankhaft Verirrten» und warnte ausdrücklich vor der Wirkung seiner verderblichen Phantasie. Hebbel hingegen lobte in seinem Tagebuch den Roman als «ein höchst bedeutendes Buch», das eine eigene Gattung begründe. Wie auch immer, sein Status als Klassiker der Weltliteratur wird auch nach zweihundert Jahre eindeutig bestätigt durch regelmäßige Neuauflagen, die das anhaltende Interesse der Leser widerspiegeln, meines eingeschlossen!

Franz findet nach einer glücklichen Kindheit Aufnahme in einem Kapuzinerkloster, nimmt dort den Namen Medardus an und wird wegen seiner beispielhaften Frömmigkeit mit der Verwaltung der Reliquien betraut, unter denen sich auch ein Elixier befindet, das vom heiligen Antonius stammen soll. Er wird zudem weithin berühmt für seine aufwühlenden Predigten, was ihn bald hochmütig werden lässt. Als nun eines Tages die schöne Aurelie, die dem Bildnis der heiligen Rosalia in der Kapelle zum Verwechseln ähnlich sieht, ihm im Beichtstuhl ihre Liebe gesteht, stürzt der fromme Mann in einen verheerenden Strudel von leiblicher Begierde und quälenden Schuldgefühlen. In seiner Verzweiflung trinkt er von dem Teufelselixier, er will Aurelie unbedingt wiederfinden. Als der Abt aber seinen inneren Zwiespalt bemerkt, schickt er ihn kurzerhand mit einem Auftrag nach Rom.

Was folgt ist eine verwirrende Geschichte mit vielen Figuren, von denen sich nach und nach herausstellt, dass die meisten entfernt verwandt sind mit Bruder Medardus. Wobei sein Ururgroßvater Francesco der Maler, der auch öfter mal als Untoter im violetten Mantel erscheint, durch eine teuflische Buhlschaft schwere Schuld auf sich geladen hat, ein in der väterlichen Linie weitervererbtes Verhängnis, das auch auf ihn selbst fällt. In einem nebulös zwischen Traum und Wirklichkeit wechselnden Geschehen begegnen ihm auf seinen Wanderungen die wundersamsten Menschen. Zu denen gehört auch sein wahnsinniger Doppelgänger, der fortan, in buntem Wechsel mit ihm, kaum unterscheidbar als Protagonist des Romans fungiert. Als Tochter eines Schlossherrn findet er auch Aurelie wieder, schließlich aber verführt ihn deren lüsterne Stiefmutter. Sein teuflischer Doppelgänger schlüpft in die Rolle des Grafen Viktorin, vormals Liebhaber der Schlossherrin, und ermordet sie.

Wir lesen als Buch die Aufzeichnungen des Bruders Medardus, E.T.A. Hoffmann versteckt sich in seinem virtuosen Plot hinter der Rolle des Herausgebers, ein typisches Merkmal dieses Romans. Denn auch der Mönch erfährt vieles aus seiner eigenen Lebensgeschichte nur durch Berichte anderer, zu denen vor allem aufgefundene Schriften des Malers gehören, die seine Triebhaftigkeit als Erbschuld aufzeigen. In einer barock ausgeschmückten Sprache wird hier von Wiedergängern und Nebelgestalten berichtet, von wundersamen und grausigen Erscheinungen, von tiefster Frömmigkeit und Selbstgeißelung. Die zum Teil lustigen Figuren sind allesamt sehr anschaulich beschrieben, ihre Dialoge werden in einer überhöhten Kunstsprache geführt, die blumenreich, aber mit gedanklicher Tiefe, das irrlichternde Geschehen vorantreiben. Natürlich ist all das nicht nur sprachlich abgehoben von der schnöden Lebensrealität, alles scheint sich total durchgeistigt in höheren Sphären abzuspielen. Selbst der Kampf des Protagonisten mit seinem teuflischen Doppelgänger findet zumeist rein gedanklich im tiefsten Inneren statt. Die verzweifelte Suche des Kapuziners nach seiner wahren Identität ist auch stilistisch als bereichernde Lektüre durchaus zu empfehlen.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by dtv München

Spitzentitel

Nestbeschmutzer

Mit «Spitzentitel» weist der italienische Schriftsteller Antonio Manzini in seiner gleichnamigen Novelle auf ein in der Branche beliebtes Schlagwort hin, das den Verlagen in ihrer Werbung für Neuerscheinungen dazu dient, ein Buch schon vor seinem Erscheinen hochzupushen. Dabei stehen jeweils die Starautoren im Fokus, Schriftsteller also, die eine Art Markenstatus besitzen aufgrund ihres Renommees und der bisherigen Verkaufserfolge, ihre Bücher selbst rücken dadurch immer mehr in den Hintergrund. Sie werden zu Bestsellern allein durch den Namen des Autors, egal wie es um ihre literarische Qualität bestellt ist. Der Fachhandel spricht von ‹Selbstläufern›, Bücher also, die problemlos ohne verkäuferisches Zutun über die Theke gehen.

Ein solcher Bestsellerautor ist der italienische Schriftsteller Giorgio Volpe, einer der bedeutendsten Autoren seines Lande, der nach zweieinhalb Jahren harter Arbeit das Wort ‹Ende› unter sein achthundertseitiges Manuskript schreibt. Es ist die Geschichte seiner Familie, und er schätzt, «dass ihn dieses Buch entweder ins Grab bringen oder heiligsprechen würde». Er hat niemanden in sein neues Buch schauen lassen, nicht einmal seinen Freund Maurizio, der «ein ebenso beeindruckender Listenerklimmer und Preiseinheimser war wie er selbst». Auch seiner Lektorin beim größten Verlag des Landes hat er keinen Einblick gewährt, obwohl sie schon seit fünfundzwanzig Jahren mit ihm bestens zusammenarbeitet. Er überrascht sie also am nächsten Morgen damit, dass sein neues Buch fertig ist, und schickt es ihr als PDF-Datei. In den Nachrichten ist die Fusion der drei größten Verlage Italiens das Hauptthema, Giorgio aber packt seine Koffer, um endlich mal eine Woche Urlaub mit seiner Frau zu machen, – das Handy bleibt ausgeschaltet, hat er ihr versprochen. Als er zurückkommt, beglückwünscht ihn seine Lektorin telefonisch, sein Buch sei ein Meisterwerk, das sie in zwei Tagen ausgelesen habe. Frohgemut fährt er nach Mailand zu einem Treffen beim Verlag, wo ihn der Big Boss und alle an der Veröffentlichung beteiligten Mitarbeiter als ihren wichtigsten Autor feiern.

Statt seiner Lektorin, die für drei Tage zu ihm kommen wollte, um an letzten Feinheiten des Romans zu feilen, suchen ihn zwei merkwürdige Typen auf. Sie seien in dem neu entstandenen Großverlag nun für ihn zuständig und wollen die erforderlichen Korrekturen mit ihm besprechen, – einer der beiden ist Russe und beherrscht kaum die Landessprache. Es wehe nun ein neuer Wind in dem Großverlag, erklären sie ihm ungerührt. Zum Beispiel würde Tolstois «Krieg und Frieden», um die ja nur negativen Kriegsszenen gekürzt, unter dem Titel «Frieden» neu herausgebracht, «Oblomow» ist in der neuen Fassung ein umtriebiger Unternehmer, und «Anna Karenina» landet nicht vor dem Zug. Die Neuübersetzung von Alessandro Manzonis berühmtem Roman «Die Verlobten» würde radikal modernisiert in einem massentauglichen Neusprech erscheinen, und aus dem «Zauberberg» würde alles gestrichen, was mit Tuberkulose zu tun hat und nur die Stimmung vermiest. Giorgio Volpe fühlt sich, als sei er ein Opfer der TV-Sendung «Versteckte Kamera».

Diese dystopische Satire auf die Buchbranche weist mit ihren scharfen Seitenhieben auf das radikal profitorientierte Marketing der Konzerne einen erschreckend hohen Realitätsgehalt auf, auch wenn sie zum Teil so grob überzeichnet ist, dass sie ins Lächerliche abgleitet. Gleichwohl stimmt es, dass Autoren letztendlich, wie hier in dieser amüsanten Novelle, gute Miene zum bösen Spiel machen müssen, die heraufbeschworene Banalisierung ist längst bittere Realität geworden. Der Roman übrigens, den der tragische Protagonist geschrieben hat, trägt den bezeichnenden Titel «Am Rande des Abgrunds», und so fühlt sich sein gedemütigter Autor auch. Gott sei dank aber gibt es heute und in der Realität noch engagierte Verlage, die ein amüsantes Buch wie dieses frei von Bestsellererwartungen herausbringen, ganz ohne Angst, als Nestbeschmutzer zu gelten.

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Novelle
Illustrated by Wagenbach

Dunkle Gesellschaft

Im Bann der Untoten

Die «Dunkle Gesellschaft», ein «Roman in zehn Regennächten», wie es im Untertitel heißt, nimmt im vielseitigen Œuvre von Gert Loschütz durch seine virtuose Erzähltechnik eine Sonderrolle ein. Es ist ein Erinnerungsroman, der in zehn Kapiteln aus dem bewegten Leben eines Binnenschiffers erzählt, dem in jeder Episode immer wieder die schwarz gekleideten Männer und Frauen mit weißen Gesichtern begegnen. Vor diesen Gestalten hatte ihn schon sein Großvater gewarnt, weil sie Unglück bedeuten.

Der alleinstehende Ich-Erzähler Thomas hat sich nach dem Verlust seines Patents für Fluss- und Küstenmotorschiffe resigniert in die ländliche Einsamkeit der niedersächsischen Provinz zurückgezogen. Die ungewohnte Ereignislosigkeit auf dem flachen Lande jedoch treibt den ruhelosen Mann, der die längste Zeit seines Lebens an Bord verbracht und auch immer nur am Wasser gewohnt hat, in schlaflosen Nächten zu langen Spaziergängen aus dem Haus, bei Wind und Wetter. Dabei erinnert er sich an mysteriöse Begebenheiten in seinem unsteten Leben zurück, in denen die «Dunkle Gesellschaft» der Schwarzgekleideten jeweils bevorstehendes Unheil symbolisiert, – Menschen verschwinden spurlos, Morde geschehen, Unglücke und Katastrophen ereignen sich. Ebenso symbolisch bildet der pausenlose, allmählich sintflutartig anschwellende Regen bei all diesen Episoden den Hintergrund. Er bringt dem lebenslang mit diesem Element Verbundenen das Wasser zurück in sein binnenländisches Refugium und vertreibt ihn schließlich nach zehntägiger Dauer, als Opfer einer verheerenden Überschwemmung, fluchtartig wieder von dort.

Geradezu symptomatisch beginnen die Erinnerungen während der Ausbildung von Thomas auf dem Naval College mit der Geschichte von einem Geisterschiff auf der Themse. Er erzählt ferner von seinen mysteriösen Erlebnissen als Schlafwagenschaffner, von undurchsichtigen Ereignissen auf einem Schloss und von einem geheimnisvollen Verwechslungsspiel um den vermeintlichen, messiasähnlichen Erlöser einer Geheimgesellschaft von Flagellanten. Mit Katharina kommt eine rätselhafte Frau ins Spiel, deren Eltern eine große Sammlung historischer Rechenmaschinen besitzen, sie will ihn durch ein selbstgestochenes Tattoo an sich binden. Auf seinem Laptop erscheint plötzlich beim Einschalten die anonyme, orakelhafte Nachricht «Null vierzig», ein merkwürdiger Junge hält Thomas für seinen Vater und verfolgt ihn. Beim wetterbedingten, unfreiwilligen Stopp im Wiener Hafen Albern gerät er zufällig in eine Live-Sexshow und trifft in einer Werkstatt auf eine seltsame Frau, die Opfer eines für Freitag angekündigten Mordes wird. In der letzten Geschichte hat er eine aufs rein Sexuelle reduzierte Affäre mit der Frau des Nachbarn, der offensichtlich einverstanden ist und heimlich voyeuristisch partizipiert. Als Thomas schließlich wegen der Überflutungen evakuiert wird, ist auch dieses Nachbarpaar im Bus und steigt am Ziel zögernd in einen anderen Bus mit schwarzen Scheiben um, der rasch davonfährt.

Die disparaten Motive dieses Romans erlauben keine stimmige Deutung, gemeinsames Merkmal ist ihre unheilschwangere Atmosphäre, die das rätselhafte, düstere Geschehen permanent mit einer geradezu albtraumhaften Spannung auflädt. In dieser finsteren Welt tauchen als geisterhafte Figuren immer wieder Schattengestalten oder Wiedergänger auf, die das phantastische Geschehen für den Leser vollends undurchschaubar machen. Anders als beim Erzählstil des magischen Realismus fehlt hier jedwede rationale Grundlage. Gert Loschütz benutzt eine unprätentiöse, klare Sprache für seine oft unscharfen, manchmal lose verbundenen Traumbilder, die fragmentarisch die Erfahrungen seines Protagonisten schildern, ohne sie in einen nachvollziehbaren Zusammenhang zu bringen oder gar zu deuten. Das also bleibt dem Leser selbst überlassen, – falls der sich nicht lieber ganz einfach dem Rausch der Bilder in seinem Kopfkino überlässt, die ihm einige anregende Stunden im Bann der Untoten bescheren.

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Piper Verlag München

Macht und Widerstand

Ungleichheit als Nährboden

Mit dem Gegensatzpaar «Macht und Widerstand» hat Ilija Trojanow treffend bereits im Titel seines Romans den Kern seiner Geschichte umrissen. In Bulgarien stehen sich während der kommunistischen Diktatur der Apparatschik Metodi Popow als Geheimdienstagent und der Anarchist Konstantin Scheitanow unversöhnlich gegenüber, – selbst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch. Es sind keine historisch verbürgten Figuren, die hier aufeinandertreffen, die Beiden repräsentieren vielmehr als Archetypen zwei konträre politische und moralische Geisteshaltungen. In den Figuren des opportunistischen, bestens vernetzten Geheimdienstlers und späteren skrupellosen Geschäftsmannes und des intellektuellen Regimekritikers und unbeugsamen Widerstandskämpfers als Antipoden verkörpert sich exemplarisch die politische Gemengelage Bulgariens über eine Zeitraum von mehr sechzig Jahren hinweg, bis ins beginnende neue Jahrtausend hinein.

Schon während der Schulzeit fällt Konstantin den Organen der Staatssicherheit wegen seiner aufrührerischen Gesinnung auf und wird fortan permanent beobachtet. Als er zusammen mit einigen Komplizen 1953 ein Stalindenkmal sprengt, wird er zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, die er in Gefängnissen und Arbeitslagern verbringt. Sein Verfolger vom Geheimdienst, den er schon als Schüler kannte, ist als Major an den vielen Verhören beteiligt, mit denen die kommunistischen Schergen Auskünfte über seine Komplizen und die Ziele ihrer oppositionellen Bewegung aus ihm herauspressen wollen. Konstantin erweist sich als harter Brocken, der Überzeugungstäter bleibt standhaft auch in den härtesten Verhören und während der schlimmsten Schikanen und Strafen. An dieser Unbeugsamkeit scheitert später auch seine Ehe, als seine Frau in ihrer Dissertation wider besseres Wissen auf die offizielle Linie der Staatsmacht einschwenkt in einer moralischen Frage. Metodi Popow als sein skrupelloser Antagonist weiß sich geschickt allen Richtungswechseln und Stimmungslagen im Geheimdienst-Apparat anzupassen und macht unaufhaltsam Karriere, er heiratet sogar die unnahbare Sekretärin des allmächtigen Staatschefs. Während Metodi nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als Geschäftsmann mit Hilfe alter Seilschaften in dem neu etablierten, mafiosen Kapitalismus reüssiert, führt Konstantin einen jahrelangen, erbitterten Kampf um seine Rehabilitierung. Er erlangt als scharfzüngiger Kritiker in der Öffentlichkeit den Status eines politisch außergewöhnlich gebildeten, unangepassten Querdenkers, der alle Repressalien überstanden hat, weil er jederzeit bereit war, für seine Überzeugungen auch zu sterben.

In Ich-Form wird hier aus ständig wechselnder Perspektive, mit großen Zeitsprüngen in beide Richtungen, kapitelweise in relativ kurzen Abschnitten und unter deren Vornamen aus dem Leben der beiden Antagonisten berichtet. Ergänzt werden diese vielen, oft als innere Monologe angelegten Schilderungen durch typografisch kenntlich gemachte Schriftstücke der Behörden. Zusätzlich gibt es noch diverse, jeweils mit den Jahreszahlen betitelte Berichte über historische Geschehnisse dieser Zeit, in denen es meist ebenfalls um den Antagonismus «Macht und Widerstand» geht.

Als Zeitdokument einer totalitärer Diktatur und ihrer noch Jahrzehnte andauernden Nachwirkungen ist das Opus magnum von Ilija Trojanow eher ein historisches Werk als ein unterhaltsamer, bereichernder Roman. Überraschend ist, dass die Figur des selbstzufriedenen Bösewichts sympathischer ‹rüberkommt› als die des verbiesterten Anarchisten, dessen persönliche Tragik nicht mal ansatzweise thematisiert wird. Das Ganze wirkt völlig statisch, die beiden Erzählstränge laufen nahezu verbindungslos nebeneinander her. Zur Katharsis mag letztendlich die Erkenntnis Konstantins dienen, dass unabhängig von der Staatsform, also auch in der Demokratie, die Ungleichheit zwischen den Privilegierten und der Masse fortbesteht und unverändert als fruchtbarer Nährboden für den Widerstand wirkt.

Fazit: mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main