Emanuel Gyger & Arnold Klopfenstein

Unberührte Schneelandschaften, ein virtuoses Spiel mit Licht und Schatten, Pulverschneewolken, eine ausgefeilte Bildkomposition und ein atemberaubendes Gespür für den richtigen Augenblick zeichnen die Fotos von Emanuel Gyger (1886–1951) und Arnold Klopfenstein (1896–1961) aus. Die beiden Schweizer Fotografen schufen vor rund einhundert Jahren spektakuläre Skifotos, die für ihre Zeit einzigartig und wegweisend waren und den Betrachter heute noch faszinieren.

Wer sich mit Plattenkameras und dem komplizierten Prozess der Belichtung von Glasnegativen auskennt, der sieht Emanuel Gyger keuchend mit seiner schweren Last bergauf in den Schnee stapfen, um die besten Perspektiven zu finden. Die Balgenkamera schraubte er dort auf ein schweres hölzernes Stativ. Dann wurde unter einem übergestülpten schwarzen Tuch Bildausschnitt und Tiefenschärfe auf der Mattscheibe bestimmt. Stand alles fest, legte der Meister eine Kassette mit einem Glasnegativ im Format 9 x 12 cm ein, zog den Schieber auf, damit das Negativ zur Belichtung frei lag und löste dann per Drahtauslöser das Foto aus.

Jede Aufnahme musste auf diese mühsame Weise einzeln geschossen werden. Da das Material schwer wog, durfte nur wenig Ausschuss vorkommen. Jeder Schuss musste möglichst ein Treffer sein. All dies geschah unter den Bedingungen extremer Hell-Dunkel-Kontraste. Die Sonne reflektierte das Weiß des Schnees und erzeugte dadurch teils brutale Schattenwürfe.

Gyger-Klopfenstein

Tagelang stapften Gyger & Klopfenstein mit schwerem Gepäck durch tiefen Schnee, bis die richtige Perspektive für die Landschaftsaufnahme gefunden war

Später, als der Lichtbildner wieder alles bergab in sein heimisches Labor geschleppt hatte, wurden die Glasnegative einzeln in einer Schale entwickelt, wobei schon die Konzentration der Entwicklerflüssigkeit ein gehütetes Geheimnis war. Denn je stärker Agfa Rodinal verdünnt wurde, desto ausgeglichener wurden die Schatten durchzeichnet. Im nächsten Schritt erfolgte der Positivprozess: Meist im Kontaktverfahren wurden Abzüge hergestellt, die ebenfalls per Hand entwickelt, fixiert und gewässert wurden.

Diese Abzüge wurden dann an die ersten Skitouristen und Bergsteiger, die in jener Zeit rund um das Matterhorn kletterten, als Postkarten verkauft. Gyger war geschäftstüchtig, er zog das Geschäft profimäßig auf und ließ bis zu dreißig Laboranten tausende Abzüge ziehen. Noch in den Achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts galt die Aufgabe, »zwölf gleiche« (Abzüge) herzustellen, als eine ungeliebte Aufgabe bei der Gesellenprüfung.

Emanuel Gyger bildete seinen Nachwuchs selbst aus, und bald nahm er Lehrling Arnold Klopfenstein mit auf die Pirsch. Die beiden wuchsen derart stark zusammen, dass es heute fast unmöglich ist zu sagen, wer welche Aufnahme gemacht hat. Beide gelten als Pioniere der Skifotografie und werden in einem Atemzug genannt.

Der vorliegende Band sammelt eine Auswahl der besten Arbeiten des Fotografenduos. Die Stärke der Schwarzweiß-Fotografien kommt im Duplex-Offset-Druck sehr schön zum Ausdruck. Besonders die feine Zeichnung, die in den Falten und Überhängen des Schnees sichtbar wird, zeigt, mit welcher Akribie die beiden gearbeitet haben müssen.

Grandios im Gegenlicht: Skifahrer im Sprung

Noch mehr Anerkennung gebührt den Aufnahmen, auf denen Skifahrer sogar im Sprung abgelichtet wurden. Schon die kurze Verschlusszeit ist für eine Plattenkamera eine Grenzerfahrung. Es ging also stets darum, die Apparate vorher erst einmal genau aufzustellen und Licht und Sprungwinkel zu berechnen, um überhaupt die Voraussetzung dafür zu schaffen, im geeigneten Augenblick den Auslöser zu drücken. Im Zeitalter vollelektronischer Spiegelreflexkameras, die mühelos mit einer vierttausendsel Sekunde auslösen und Serien schießen, aus denen später der beste Schnappschuss gewählt wird, ist es unvorstellbar, was es bedeutete, mit einer unhandlichen, starren Balgenkamera zu arbeiten.

Rund 10.000 Landschaftsfotografien mit einem Schwerpunkt auf alpinen Schnee- und Winterwelten haben die beiden Schweizer hinterlassen. Die etwa 250 Skifotografien, darunter Abfahrt, Sprung, Schwungtechniken, Skispuren, die auf ihren Expeditionen durchs Hochgebirge entstanden, stellten zu ihren Lebzeiten ein Nebenwerk dar. Aus heutiger Sicht betrachtet handelt es sich dabei um ihr künstlerisches Hauptwerk, zumal die Wintersportfotografie praktisch erst geboren wurde.

Verleger Martin Regenbrecht eröffnete zur Buchpremiere eine Ausstellung der Fotografien von Gyger & Klopfenstein. Der Schweizer Botschafter übernahm die Schirmherrschaft.
Fotos: © Ruprecht Frieling

Gyger und Klopfenstein entwickelten eine markante fotografische Handschrift, die den Betrachter bis heute gefangen nimmt. Ihre Schwarzweiß-Aufnahmen zeichnen sich aus durch Kontrastreichtum, das virtuose Spiel mit Licht und Schatten sowie einen radikalen Einsatz von Gegenlichteffekten.

Vor einigen Jahren stieß Fotosammler und Herausgeber Daniel Müller-Jentsch auf eine seltene Skifotografie von Gyger und Klopfenstein und war fasziniert von deren kraftvoller Ästhetik. Kein Flohmarkt war vor ihm sicher, als er begann, eine Sammlung zusammenzutragen, die nach Umfang und Qualität ihresgleichen sucht.

Der Berliner Regenbrecht-Verlag war mutig genug, den Fotoband mit einer Auswahl der besten Bilder von Gyger und Klopfenstein als Hardcover aufzulegen. Diese verlegerische Leistung verdient Respekt.


Genre: Bildband, Fotografie
Illustrated by Martin Regenbrecht

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